Donnerstag, 17. April 2025

Great Women #414: Williamina Fleming

Irgendwie fand ich, dass es mal wieder an der Zeit ist, eine Wissenschaftlerin an dieser Stelle vorzustellen. Wie ich auf Williamina Fleming gestoßen bin, weiß ich nicht mehr. Aber ihre Lebensgeschichte hat mich sofort fasziniert, denn sie hat wieder mal bestätigt, dass die Leistungen der Frauen immer wieder klein gemacht oder vertuscht werden...
Der Pferdekopfnebel
im Sternbild Orion

Williamina Fleming kommt als Williamina Paton Stevens am 15. Mai 1857 in Dundee in der heutigen Region Tayside/Schottland in der Nethergate 86, einem Haus aus dem 18. Jahrhundert, zur Welt. 
 
Geburtshaus und Straßenbild
aus dem späten 19. Jahrhundert
Ihre Mutter Mary Walker und ihr Vater Robert Stevens, ein Schnitzer und Vergolder, aber auch mit der Daguerreotypie vertraut, haben insgesamt zehn Kinder: Robert Nicholson (*1851), Richard Stevens (*1852), Mary Anderson (*1854), John Maule (*1855), Andrew Killock (*1859), Joanna Crighton (*1860), Fox Maule (*1862), Charles James, (*1863) und Alexander Blair Spence (*1864). Vier Brüder sterben schon im Kleinkindalter. Die Kindersterblichkeit ist extrem hoch zum damaligen Zeitpunkt in Dundee.

1864 wird das Mädchen, von der Familie Mina genannt, durch einen Lieferwagen der Eisenbahn verletzt: Ihr linker Knöchel ist dabei zu Schaden gekommen. Die Ärzte raten zur Amputation ihres linken Beins unterhalb des Knies, doch ihr Vater besteht darauf, dass die Ärzte es zu retten versuchen. Mehrere Jahre wird Williamina mit einem stahlverstärkten Lederstiefel laufen müssen. Noch während ihrer Behandlung stirbt der Vater am 19. März 1864 mit 38 Jahren.

Sie wächst in der mütterlichen Großfamilie auf, zu der auch die Eltern der Mutter gehören. Die Mutter fertigt Wachsblumen an und gibt ihre Fähigkeiten auch weiter. Robert Nicholson, der Älteste, hat zunächst ein Auskommen als kaufmännischer Angestellter, die Schwester als Musiklehrerin und ein weiterer Bruder als Mechaniker. Williamina trägt 1871 nach dem Besuch öffentlicher Schulen in ihrem Heimatort in der Funktion einer Aushilfslehrerin für jüngere Schüler ( "Schüler -Lehrerin" ) zum Lebensunterhalt bei, während sie selbst noch lernt. Zuerst in Dundee, dann fünf Jahre in Broughty Ferry übt sie diese Tätigkeit aus. Broughty Ferry ist eine kleine Nachbarstadt, in der die Fabrikbesitzer leben. Manche sagen, Broughty Ferry sei zu dieser Zeit die reichste Stadt Großbritanniens gewesen.

Mit zwanzig Jahren, am 26. Mai 1877, heiratet sie einen verwitweten Bankangestellten, James Orr Fleming, 16 Jahre älter als sie. Ein kleiner Sohn stirbt schon nach der Geburt. Es scheint, dass dieser Verlust die Ehe der Flemings belastet hat. Nachdem die wirtschaftliche Not der Familie immer größer geworden ist, sind bereits fünf der Stevens-Kinder in die USA emigriert. So liegt nahe, dass auch die Flemings im  November 1878 Schottland in Richtung Vereinigte Staaten verlassen. 

Als Williamina wieder schwanger ist, lässt ihr Mann sie im Stich, und sie muss sich um einen Job zwecks Lebensunterhalt kümmern. Sie zieht deshalb von New York zu ihrem ältesten Bruder nach Boston und verdingt sich als maid im Haus des Edward Charles Pickering, Direktor des Harvard College Observatory - ihr Glück! 
Pickering ist ein bekannter Mann und hat sich in Astronomenkreisen eine gehörige Reputation aufgebaut. Zusammen mit dem deutschen AstrophysikerHermann Carl Vogel gilt er als Entdecker von Doppelsternen. Die Pickeringsche Bruchmethode ist eine Methode zur Bestimmung der Helligkeit von Sternen mit bloßem Auge.
Ihr Arbeitgeber bzw. seine Ehefrau sind von der Intelligenz & Tüchtigkeit  ihrer neuen Hausangestellten beeindruckt. Die Pickerings sind es auch, die die junge, ganz auf sich gestellte Schwangere ermutigen, zur Geburt ihres Kindes nach Schottland zu reisen. Am 16. Oktober 1879 kommt es in Dundee auf die Welt. Dass Williamina ihren neugeborenen Sohn dann Edward Charles Pickering Fleming nennt, verdeutlicht sowohl den Ernst ihrer Lage als auch ihre Dankbarkeit gegenüber ihrem Arbeitgeber ( es kommen allerdings auch Gerüchte auf, Pickering sei der Vater ). In den Unterlagen zur Erlangung der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft gibt sie übrigens später an, der Vater sei verstorben. 

In Dundee arbeitet sie als dressmaker und kehrt im Januar 1881 zurück, den kleinen Jungen in der Obhut von Mutter & Großmutter lassend. Er wird erst später folgen und zuletzt sogar am Massachusetts Institute of Technology studieren.

Das Observatorium auf einem alten Stich des frühen 19. Jahrhunderts


Im Harvard College Observatory ist man mit der Kartierung des Sternenhimmels befasst, um einen entsprechenden Atlas erstellen zu können. Dieses Projekt wird vom Arzt und Amateurastronomen Henry Draper und nach seinem Tod von seiner Witwe Mary Anne Draper, die an allen Experimenten und Forschungsarbeiten ihres Mannes beteiligt gewesen ist, finanziert.

Die Menge an Daten, die im Observatorium gesammelt werden, bewältigen Pickerings männliche Angestellte überhaupt nicht mehr. Er ist mehr und mehr frustriert von den Fähigkeiten seiner Mitarbeiter und soll, so wird erzählt, gesagt haben, sein Hausmädchen würde die Arbeiten besser erledigen als sie. Tatsächlich hat Williamina immer wieder einmal Aufgaben bei der Sternkartierung übernommen, indem sie die Analyse von fotografischen Glasplatten mit Sternenaufnahmen durchführt.

1881 erhält sie eine reguläre Anstellung am Observatorium, zunächst um Büroarbeiten in der Verwaltung zu erledigen. Doch schon 1885 beginnt sie anhand von Fotografien die Helligkeit von Sternen zu vermessen und ihre Position zu errechnen, nachdem ihr Chef sie in der Analyse von Sternspektren unterwiesen hat. Pickering möchte nämlich die Erforschung des Kosmos nach mehr als vierzigjähriger Arbeit effizienter vorantreiben. Deshalb hat er das menschliche Auge am Ende eines Teleskops durch eine Kamera ersetzt. Nachts fotografieren die Harvard-Astronomen Sterne und Nebel und tagsüber untersuchen und analysieren speziell ausgebildete weibliche Angestellte die Glasplatten. Sie werden als computer bezeichnet.  

Pickering ist nämlich der Ansicht, dass Frauen für diese monotone Plackerei besser geeignet seien. Obwohl ein fortschrittlicher Förderer der Bildung von Frauen & Mädchen, hat er allerdings auch eine Krämerseele, denn die Frauen sind billiger als männliche Mitarbeiter. Erwartet wird von ihnen keine geistige Gewitztheit oder Brillanz, sie sollen lediglich die Sternfotos analysieren, klassifizieren, Routineberechnungen durchführen. Für die jungen Frauen stellt dies zweifellos eine akzeptablere Arbeit dar als das Putzen von Häusern oder in einer dreckigen & lauten Fabrik zu schaffen.

ca. 1890
Williamina Fleming  kopiert zunächst die "Harvard Annals", die eine Literaturübersicht aus alten Katalogen enthalten, die bis zu Claudius Ptolemäus und Wilhelm Herschel zurückreichen. Diese Arbeit beinhaltet auch die Diskussion von Fehlerquellen, die der jungen, in dieser Hinsicht ungebildeten Frau ein besseres Verständnis der Natur, aber auch von den Anforderungen der astronomischen Forschung vermittelt. Sie besitzt ja keine formale Hochschulbildung und hat einen ganz anderen sozialen Hintergrund als viele ihrer Kolleginnen, die nach und nach das Team verstärken, aus wohlhabenden Familien stammen und Absolventinnen der neu eröffneten Frauenhochschulen wie dem Wellesley College gewesen sind.

Dennoch überträgt Pickering ihr 1886 die Leitung dieser Gruppe. Sie führt sie mit wohl unerbittlicher Disziplin, ist gleichzeitig gefürchtet wie bewundert. Aber anders als im wissenschaftlichen Kontext sonst üblich, begleitet sie ihre Mitarbeiterinnen mit menschlicher Anteilnahme. Dass ihre Intelligenz einer in ihren Augen attraktiven Sache dient, macht die knapp Dreißigjährige ehrgeizig und unermüdlich in ihrem Einsatz.

Nach einigen Unstimmigkeiten im Team hinsichtlich der Unterteilung der Sterne erweitert Williamina die seit 1866 existierende Klassifikation des Jesuitenpaters Angelo Secchi, dem Leiter der vatikanischen Sternwarte. Sie ordnet jetzt die Sterne 17 Kategorien zu, ersetzt die römischen Ziffern durch Buchstaben und erfindet damit die bis heute gültige Harvard-Klassifikation O-B-A-F-G-K-M, als Pickering-Fleming-System bekannt und durch die Eselsbrücke "Oh, Be A Fine Girl – Kiss Me!" der Annie Jump Cannon, ebenfalls im Team der "Harvard Computers".

Die Zuordnung erfolgt nach der relativen Menge an Wasserstoff, die in den Spektren beobachtet werden kann. A-Sterne haben am meisten Wasserstoff, B-Sterne etwas weniger, und so weiter. Dies ist durch den Einsatz eines Spektrographen zusätzlich zur Kamera möglich, der die Spektren von Dutzenden von Sternen auf ein einziges Foto projizieren kann. Der Buchstabe O kennzeichnet Sterne mit hellen Emissionslinien

So beginnt eine Ära der Frauen im Harvard College Observatory – teilweise mehr als 80, eine Liste ist hier nachzulesen –, die während Pickerings Amtszeit astronomische Daten ermitteln, berechnen und katalogisieren. Williamina wird 34 Jahre dabei sein. Im öffentlichen Raum wird diese Arbeitsgemeinschaft allerdings als "Pickerings Harem" sexistisch runtergemacht.

Williamina Fleming im Hintergrund stehend
Doch wie schon erwähnt, ist Pickering ganz Kaufmann, ja geradezu ausbeuterisch: Die Frauen sitzen sechs Tage der Woche über Fotografien für 25 - 50 Cent die Stunde, die Hälfte von dem, was ein einfacher männlicher Arbeitet damals verdient. Ihre Tätigkeit erfordert viel Präzision und Geduld. Ihre Erkenntnisse tragen sie in Tabellen ein mit genauer Ortsbezeichnung des Sternes und seiner jeweiligen Helligkeit. Williamina schreibt dazu in ihrem Tagebuch:
"Im astrofotografischen Gebäude des Observatoriums sind zwölf Frauen, mich eingeschlossen, mit der Pflege der Fotografien beschäftigt. … Meine täglichen Aufgaben am Observatorium ähneln sich so sehr, dass es außer den üblichen Routinearbeiten wie Messungen, der Untersuchung von Fotografien und der Arbeit an der Auswertung dieser Beobachtungen wenig zu beschreiben gibt."

Dennoch: Die "Harvard Computers" arbeiten mit Stolz in Pickerings Team. Einige bieten ihm sogar an, ohne Lohn neue Aufgaben zu übernehmen, um Erfahrung in Bereichen zu bekommen, zu denen fast niemand — Frauen schon gar nicht — zu dieser Zeit Zutritt bekommen. 

Die "Harvard Computers" bei der Arbeit



1887 entdeckt Williamina den Pferdekopfnebel auf einer Teleskop-Fotoplatte, die William Henry Pickering, der Bruder ihres Direktors, mit Hilfe einer damals komplett neuen Fotografie belichtet hat. Der drei Lichtjahre große Teil einer sog. Dunkelwolke im Sternbild Orion bekommt wegen seiner Form diesen Namen. Sie beschreibt ihn als "an intense, well-defined semicircle cloudiness". 

In einem Brief vom 28. März 1887 an den Astrophotographic Congress weist sie auf ihn hin, in dem Kopien einiger dieser Fotografien beschrieben werden. Doch in der darauf erfolgenden Publikation wird ihr Name nicht erwähnt. Auch im Dreyer Index Katalog fehlt sie.

Sehr viel später wird die äußerst fähige Astronomin als erste Person die Existenz heißer, erdgroßer Sterne erkennen, im Nachhinein "Weiße Zwerge" ( white dwarfs ) genannt. Ein Weißer Zwerg ist das, was übrig bleibt, wenn ein Stern von der Größe unserer Sonne ausbrennt. Es sind also sehr kompakte alte Sterne, so ihre Definition. Ein Papier dazu veröffentlicht sie 1910. Zu ihrer Leistung äußert sich der amerikanische Astronom Henry Norris Russell :
"Die erste Person, die von der Existenz weißer Zwerge erfuhr, war Mrs. Fleming; die nächsten beiden, ein bis zwei Stunden später, Professor E. C. Pickering und ich. Mit seiner charakteristischen Großzügigkeit hatte Pickering sich freiwillig bereit erklärt, die Spektren der Sterne, deren Parallaxe ich beobachtet hatte, auf den Harvard-Platten nachzuschlagen. Alle Sterne mit schwacher absoluter Helligkeit gehörten der Klasse G oder höher an. Neugierig geworden, fragte ich ihn nach dem Begleiter von 40 Eridani. Bezeichnenderweise rief er erneut Mrs. Fleming an, die mir innerhalb einer Stunde mitteilte, dass es sich um einen Stern der Klasse A handelte."
Doch zunächst bleibt Williamina der Kopf des Draper Catalogue of Stellar Spectra, der 1890 in Band 27 der Annalen der Universität publiziert wird. Dafür hat sie 28.266 Spektren von 10.351 Sternen auf 633 Platten klassifiziert - die mit Abstand umfangreichste Sternensammlung ihrer Zeit auf vierhundert Seiten!

Von links nach rechts: Mary Anna Draper, Antonia Maury, Florence Cushman, Annie Jump Cannon


Der Katalog wird im Laufe der Jahre von Antonia Maury, Enkelin von John William Draper und eine Nichte von Henry Draper, beides wegweisende Astronomen, und Studentin am Vassar College, und Annie Jump Cannon erweitert. 

Die "Harvard Computers" entwickeln sich nach und nach zu einem Netzwerk hochgebildeter Frauen, die sich als Team akademisch vernetzen und ihre Arbeit professionalisieren. Pickerings Entscheidung, alleinig aus Budget-Optimierungsgründen getroffen, wird so ein feministisches Prototypen-Projekt. Mehrere der dort arbeitenden Wissenschaftlerinnen, darunter auch noch Mary Anna Draper als Finanzier und Florence Cushman, werden zu den erfolgreichsten Astronominnen ihrer Zeit.

Besonders zu Annie Jump Cannon - seit 1886 im Team - hat Williamina ein engeres Verhältnis, wohnt diese doch bei ihr zur Untermiete, und die beiden Frauen geben sich auch in ihrer Freizeit astronomischen Fragestellungen hin. Die Freundin beschreibt Williamina als äußerst anziehende Persönlichkeit mit einem attraktiven Gesicht, belebt durch bemerkenswert strahlende Augen, und vergisst nicht, ihren charmanten schottischen Akzent zu betonen.
"Wenn man nur immer weiter an seiner Arbeit arbeiten könnte …, wäre das Leben ein wunderschöner Traum; aber Sie … verwenden die meiste Zeit darauf, die Arbeiten anderer für die Veröffentlichung vorzubereiten", charakterisiert Williamina einmal ihre Tätigkeit.
Inzwischen veröffentlicht sie auch die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen, so z.B. eine Liste mit 222 veränderlichen Sternen, die sie entdeckt hat, und sie nimmt an Forschungskonferenzen teil. 1898 erhält sie bei einer nationalen Versammlung von Astronomen Beifall, nachdem Pickering von ihrer heldenhaften Arbeitsmoral berichtet hat. 1899 wird sie zum Harvard’s Curator of Astronomical Photographs ernannt, da ist sie 42 Jahre alt. Zu dieser Ehre gehört allerdings auch, zahllose Stunden mit der Bearbeitung und Korrektur der "Astronomical Annals" Harvards zu verbringen.

1907 wird sie als erste Frau in die renommierte "Royal Astronomical Society" Englands aufgenommen. Kurz darauf wird die Quereinsteigerin ohne akademische Ausbildung zur Ehrenstipendiatin am Wellesley College bestimmt.

Erst 1908, in der zweiten Ausgabe des Draper- Kataloges, wird Williamina Fleming endlich gemeinsam mit ihren Kolleginnen als Mitarbeiterinnen genannt und ihnen wird die schon lange verdiente Anerkennung ihrer Leistungen zuteil. Henrietta Swan Leavitt, eine weitere US- Astronomin im Computer - Team, beginnt ihr "Geheimes Tagebuch" mit dem folgenden Satz: 
"Viele Leute fragen mich, was eine Handvoll Frauen am Harvard-Observatorium gemacht haben. Und ich sage ihnen: Wir haben den Grundstein für die Astrophysik des 20. Jahrhunderts gelegt."
Das Machogehabe ihrer Zeit setzt der gebürtigen Schottin ihr ganzes Leben lang zu. Neben ihrer Forschungsarbeit setzt sie sich für die Frauen in der Astronomie ein. Schon 1893 ist in der Zeitschrift "Astronomy & Astrophysics" ein Artikel von ihr publiziert worden - "A Field for Woman's Work in Astronomy": 
"Wir können zwar nicht behaupten, dass die Frau dem Mann in allem ebenbürtig ist, doch in vielen Dingen machen ihre Geduld, Ausdauer und Methode sie ihm überlegen", schreibt sie.

Sie hält dazu auch 1893 auf der Weltausstellung in Chicago eine entsprechende, beachtete Rede. 

Kritik übt sie natürlich auch an den Gehaltsunterschieden zwischen den Geschlechtern. In ihrem Tagebucheintrag, nachdem sie die Konfrontation mit Pickering gesucht hat, notiert sie: 
"Mir wurde sofort gesagt, dass ich im Vergleich zu den Gehältern von Frauen ein ausgezeichnetes Gehalt erhalte. … Denkt er etwa, dass ich nicht genauso gut wie die Männer einen Haushalt und eine Familie zu versorgen habe? … Und wir gelten als aufgeklärtes Zeitalter!"
Und weiter zu ihrer Situation als alleinerziehende Mutter: 
"Mein Privatleben unterscheidet sich zwangsläufig von dem anderer Universitätsangestellter, da ich neben der Deckung meiner Ausgaben auch alle Haushaltspflichten trage. Mein Sohn Edward, jetzt Junior am Massachusetts Institute of Technology, weiß wenig bis gar nichts über den Wert des Geldes und glaubt daher, dass alles auf Verlangen kommen sollte." 
Obwohl sie den Großteil ihres Lebens mit der Routine der Wissenschaft verbringt, sind ihre privaten Interessen vielfältig. Sie liebt Menschen und Aufregung, veranstaltet gerne Dinnerpartys, besucht das Theater und feuert bei den Harvard-Footballspielen lautstark an. Nicht gerne untätig, ist sie mit der Nadel ebenso vertraut wie mit dem Vergrößerungsglas, kann kunstvoll nähen, z.B. eine Puppe in ein komplettes schottisches Hochlandkostüm kleiden.

Erst 1907 wird ihr die US-amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt.

Trotz angeschlagener Gesundheit reist sie im September 1910 zur "International Union for Cooperation in Solar Research at the Mount Wilson Solar Observatory" nach Kalifornien, wo sie als eine von zwei Frauen teilnimmt. Zurück in Boston läuft ihre Gesundheit immer mehr aus dem Ruder. Ein Krankenhausaufenthalt wegen einer Lungenentzündung wird am 2. Mai 1911 unabwendbar. Am 21. Mai 1911 stirbt sie daran, nur sechs Tage nach ihrem 54. Geburtstag. Eine Beerdigung findet zwei Tage später unter Anteilnahme der Mitarbeiter des Observatoriums, statt, die Beisetzung auf dem Mount Auburn Cemetery, dem ersten in eine Landschaft eingebetteten Friedhof in den Vereinigten Staaten. 

Ihre eigenen Worte geben einen passenden Nachruf ab: 
"Arbeiten Sie ehrlich, gewissenhaft und standhaft, und Anerkennung und Erfolg müssen Ihre Bemühungen am Ende krönen."
Noch kurz vor ihrem Tod verleiht ihr die Astronomische Gesellschaft von Mexiko die Guadalupe-Almendaro-Medaille für die Entdeckung neuer Sterne. Posthum kommt ihr "Sterne mit eigenartigen Spektren" heraus.

1970 wird nach ihr ein Mondkrater ( zusammen mit Alexander Fleming, dem Entdecker des Pencillins ) benannt sowie 2022 der Asteroid (5747) Williamina. In Dundee gibt es eine Gedenktafel, die an Williaminas Leistungen erinnert.

Während ich über diese unglaubliche Forscherin las und schrieb, ging mir immer wieder durch den Kopf, dass aufgrund der Beharrlichkeit dieser angeblichen, so verketzerten Eliten die Grundlage für die Möglichkeit des "Hofnarren auf Ketamin" des neuen amerikanischen Kaisers, ins Weltall zu fliegen, geschaffen haben, darunter eine Frau aus einfachsten Verhältnissen, kein verwöhntes Kind elitärer, da schwerreicher Eltern. Ja, und dass das bzw. die, die die Vereinigten Staaten im letzten Jahrhundert so erfolgreich gemacht haben, die Wissenschaft bzw. die Wissenschaftler*innen, jetzt sogar gucken müssen, ob sie anderswo einen geschützten Raum finden, an dem sie weiter die Welt & was diese im Innersten zusammenhält, erkunden können. So sad!

                                                                            

Zum Schluss wieder die Sammlung der von mir porträtierten Frauen,
die in dieser Kalenderwoche und darüberhinaus
einen Gedenktag hatten:

7 Kommentare:

  1. ein sehr spannendes portrait über eine mir bisher unbekannte frau habe ich gelesen, danke dir dafür, liebe astrid. ja, ich spüre zorn in mir, weil immer wieder die leistungen der frauen unbeachet blieben über viele jahre oder für immer. was für eine innere kraft hatte diese frau, wieviel intelligenz und geduld. ich denke, dies geschieht auch heute noch, das frauen ausgenutzt und kleingehalten werden. schöne ostertage für dich und deine familie wünscht roswitha

    AntwortenLöschen
  2. Was für ein beeindruckendes Frauen-Leben! Und wie schäbig sich zeitweise diese gebildeten Männer verhalten haben, auch wenn sie glaubten schon unmäßig großzügig zu sein.
    Eine Wissenschaftlerin, deren Namen ich bisher nie gehört hatte. Gut, dass Du sie uns heute hier vorgestellt hast. Es ist wunderbar, wie sie ihre Chancen genutzt hat und am Schluss tatsächlich auch anerkannt wurde.
    Harvard, eine Legende, die derzeit ja wie Du schon schreibst, schwer angegangen wird. Mein Sohn hat dort einige Zeit verbracht und war tief beeindruckt von der Atmosphäre dort, die sich so sehr unterscheidet von blinder Geiferei und Unwissenheit im recht nahen Washington.
    So sad, Du sagst es.
    Herzlichst und nachdenklich,
    Sieglinde

    AntwortenLöschen
  3. Danke, dass du wieder eine so verdienstvolle Wissenschaftlerin ins Zentrum gestellt hast. Solche Namen in der Geschichte einer Universität oder eines Landes sind ein Dorn im Auge des Washingtoner Autokraten und werden bestimmt zeitnah aus Geschichtsbüchern getilgt.
    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen
  4. Liebe Astrid,

    sehr interessant, deine Frauenvorstellung. Ich hatte noch nie von ihr gehört. Was hat sie erstaunliches geleistet und wieder mal zuerst keine Anerkennung, was sich später geändert hat. Wie sie schreibt, sie geht ihren Studien nach, hat Haushalt und Kind, während die Herren sich nur ihren Forschungen widmen konnten.

    Wie kann man nicht erkennen, welche Größen Harvard hervorgebracht hat und Gelder streichen? Immer mehr wird für mich erkennbar, dass das Verhalten sich eher im Kindergarten als in der Politik wiederfinden sollte. Wenn es nicht so traurig und beängstigend wäre, könnte man sich ja noch amüsieren.

    Am Rande:
    Heute saß ich im Café, ein älterer Bekannter, dessen Frau und ihn ich schon länger gut kenne, unterhalten uns. Auf einmal fängt er an, anzügliche Bemerkungen mir gegenüber zu machen. Was habe ich gemacht? Gar nix.

    Liebe Grüße,
    Claudia

    AntwortenLöschen
  5. Was für eine tief bewegende, respektvolle und großartig recherchierte Würdigung dieser außergewöhnlichen Frau, die viel mehr verdient hat als eine Fußnote in der Geschichte. Danke dir von Herzen für diesen beeindruckenden Beitrag zu Williamina Fleming – eine Hommage, die nicht nur informiert, sondern auch tief berührt.

    Beim Lesen ist mir mehr als einmal der Atem gestockt. Da ist dieses Mädchen aus Dundee, verletzt, verwundet – körperlich wie seelisch – das sich immer wieder aufrichtet. Das sich nicht beirren lässt, das Verantwortung übernimmt, kämpft, liebt, arbeitet, leidet – und sich doch nie unterkriegen lässt. Ihr Leben ist ein Zeugnis von Mut und unerschütterlicher Entschlossenheit – und von einer Stärke, die uns leise, aber umso wirkungsvoller daran erinnert, wie viel Frauen in der Geschichte geleistet haben. Trotz aller Hindernisse. Trotz aller Ungleichheit. Trotz aller Missachtung.

    Was mich besonders berührt hat: dass Williamina trotz ihrer widrigen Umstände nie zynisch wurde. Sie hat nicht nur eine brillante Arbeit geleistet, sondern gleichzeitig mit Würde und Wärme ihre Kolleginnen gefördert, war Vorbild, Mutterfigur, Anführerin – mit klarem Blick und offenem Herzen. Und ja, sie hat gestritten für Gerechtigkeit, für Anerkennung, für ein faires Gehalt – und für das Recht der Frauen, Teil der Wissenschaft zu sein. Nicht nur als billige Arbeitskräfte, sondern als kluge Köpfe, die Erkenntnisse schaffen.

    Wie bitter es ist, dass ihre größten Entdeckungen, wie der Pferdekopfnebel oder die Klassifikation weißer Zwerge, anderen zugeschrieben wurden. Wie bezeichnend für die Zeit – und wie wichtig es ist, dass du diesen Beitrag geschrieben hast, damit ihre Geschichte weitererzählt wird. Ihre Stimme, ihre Arbeit, ihr Vermächtnis dürfen nicht in dunklen Fußnoten verschwinden.

    Dass sie dennoch stolz war, ein Teil des wissenschaftlichen Fortschritts zu sein, zeigt ihre Größe. Sie hat nicht für Ruhm gearbeitet, sondern aus Liebe zur Wahrheit, zur Neugier, zur Erkenntnis. Dass sie ihr ganzes Leben damit verbracht hat, das Licht der Sterne zu entziffern – während ihr eigenes Licht oft übersehen wurde – ist eine bittere Ironie. Und doch strahlt es heute umso heller.

    Dass sie die "Harvard Computers" nicht nur geführt, sondern zu einer Gemeinschaft gemacht hat, einer Art weiblicher Akademie im Schatten der offiziellen Anerkennung, finde ich so stark. Ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Veränderung oft im Verborgenen beginnt. Und dass es nie nur um Zahlen und Formeln geht, sondern immer um Menschen, Beziehungen, um geteilte Leidenschaft und Visionen.

    Ich habe beim Lesen deines Textes so viel über Williamina gelernt – und noch mehr über das, was echte Größe ausmacht: nicht Herkunft, nicht Status, nicht Macht, sondern Hingabe, Mut und die Fähigkeit, selbst unter widrigsten Bedingungen Neues zu schaffen.

    Danke für diesen wundervollen Beitrag. Danke für deine Liebe zum Detail, für deinen Blick auf die menschliche Seite der Wissenschaft, für dein Erinnern an Frauen wie Williamina – die so viel geleistet haben und doch oft vergessen wurden.

    Dein Text ist nicht nur eine Biografie – er ist ein Denkmal. Und ein flammender Appell, Frauen in der Wissenschaft, in der Geschichte, im Leben endlich die Anerkennung zu geben, die ihnen zusteht.

    Mit großer Hochachtung

    AntwortenLöschen
  6. Danke für dieses tolle Portrait! Auch das ist ein Post, den ich meinen Schüler(innen) empfehlen werde. Dein Blog ist wirklich eine enorme Fundgrube und ich frage mich oft, wo du alle Informationen dazu immer findest. Ohne die Frauen wäre die Wissenschaft so oft auf der Stelle getreten ... und nun könnten wir als Europäer klug sein und all diese Wissenshungrigen und Gelehrten einladen Teil unserer Gesellschaft zu werden. Zum Glück geschieht dies bereits in vielen Bereichen, das macht Hoffnung! Viele Grüße Ingrid

    AntwortenLöschen
  7. Liebe Astrid,

    wir Bienenelfen haben diese Lebensgeschichte wieder sehr gerne gelesen. Ein so aufregendes und interessantes Leben. Wir sind immer wieder beeindruckt was Du uns hier bietest.

    Frohe Ostern und liebe Grüße
    Kerstin und Helga

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- oder sonstigem Blog -Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.