Donnerstag, 7. Dezember 2023

Great Women #359: Erika Fuchs

Zu meinem Opa hatte ich kein wirklich enges Verhältnis. Was ich aber bis heute mit ihm verbinde, ist - neben einem Andersen-Märchenbuch - ein Micky-Maus-Abo, das er uns für ein Jahr geschenkt hatte. Das war damals, Ende der 1950er Jahre, ziemlich gewagt, denn das Lesen von Comics ("Schund & Schmutzliteratur"!) war damals höchst umstritten, vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen, aber höchst vergnüglich für mich als Kind, das gerade diese Kulturtechnik erlernt hatte. Wer da für die (deutschen) Texte verantwortlich war, war mir damals schnuppe, ihr Name wurde ohnehin bis 1968 nicht erwähnt. Erst später habe ich erfahren, dass das eine Frau war: Erika Fuchs.
© Egmont Ehapa

"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, 
in keiner Not uns waschen und Gefahr!"
Tick, Trick und Track 

Erika Fuchs kommt am 7. Dezember 1906 - heute hätte sie also ihren 117. Geburtstag - als Johanne Theodolinde Erika Petri in Rostock auf die Welt. Ihre Mutter ist Auguste Horn, 28 Jahre alt, eine Sängerin und Lehrerin, ihr Vater August Petri, Elektroingenieur bei den Siemens-Schuckertwerken in Rostock, fünf Jahre älter als seine Frau. Sie haben bereits einen Sohn von einem Jahr, Friedrich. Vier Kinder werden noch bis 1914 folgen. Da ist die Familie schon längst übergesiedelt nach Belgard an der Persante (heute Białogard) zwischen Kolberg und  Köslin in Hinterpommern.

Marktplatz in Belgard
Der Vater Erikas ist Direktor einer Überlandzentrale, die eine halbe Million Menschen mit aus Kohlekraft gewonnener Energie versorgt.

Dass die Familie wohlhabend ist, kann man auch daran erkennen, dass sie bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Auto besitzt, dazu eine Villa, an der Persante gelegen, mit fünf Hausangestellten, darunter auch ein Kindermädchen. Konservativ sind sie, die Eltern Petri - die Mutter, so Erika, habe immer rückwärts geschaut und Wagner im Ohr gehabt -, der Vater autoritär, noch autoritärer als damals ohnehin üblich. "Bei uns daheim wurde nicht argumentiert und nicht ausdiskutiert. Da wurde befohlen und gehorcht". Die Befehle, die der Vater erteilt, dulden keinen Widerspruch: "Muß ich erst wieder böse werden? Du hast zu gehorchen! Deine Erläuterungen interessieren mich nicht!" So wird sich Erika später erinnern. Die Stadt insgesamt ist sehr rechtskonservativ geprägt ( und wird später Hitler mit 61,8 % der Stimmen zur Macht verhelfen ).

1933
Ostern 1913 wird die schulpflichtige Erika eingeschult und besucht eine Höhere Mädchenschule, die für die Größeren auch Unterricht in Englisch und Französisch vorsieht. Die selbstbewusste Erika hält allerdings nicht viel vom Niveau des Unterrichts und gewinnt der Sache erst etwas ab, als eine Studienrätin für Deutsch & Geschichte die Klasse übernimmt ( ähnliches habe ich auch im 4. Schuljahr erfahren & das hat mich weiter gebracht ). Ihre Wissbegierde wird endlich gestillt, auch dadurch, dass die Lehrerin auf Einladung nach Hause kommt, weil Erika mehr über die klassischen Künste erfahren will.

Schließlich strebt die 14jährige zusammen mit einer Freundin den Besuch des örtlichen Jungengymnasiums an. Unmöglich! Der Vater unterstützt allerdings seine Tochter und versucht seinen Einfluss als einer der reichsten Bürger der Stadt im konservativen Rat durchzusetzen, der über die Öffnung der Knabenschule für Mädchen zu entscheiden hat. Die deutschnationalen Parteifreunde lassen August Petri aber im Stich. Und nur die sozialdemokratischen Stadträte verschaffen Erika die ersehnte Aufnahme. 1926 legt sie als erste weibliche Gymnasiastin in der Geschichte der Stadt Belgard das Abitur ab.

Zum Studium verlässt sie Pommern und geht in die Schweiz. In Lausanne hört sie Kunstgeschichte, Archäologie und Mittelalterliche Geschichte. Anschließend verbringt sie das zweite Semester in München, bevor sie zwei Semester in London absolviert. Im Wintersemester 1930/31 studiert sie weiter in München und schließt das Studium dort auch ab.

Die umtriebige Erika besucht vor allem gegen Ende der Zwanzigerjahre viele andere europäische Länder. Vorrangig finanziert wird das von ihrem Vater, der gerne in die gute Ausbildung seiner Tochter investiert. So reist sie nach Florenz, nach Holland, in die Schweiz und nach Großbritannien. Mit dem Übersetzen beginnt sie schon während der dreißiger Jahre, damals noch für die Schublade, hauptsächlich Klassiker der englischen Literatur wie Dickens oder George Eliot.

Ihre Studien schließt sie letztendlich 1935 mit einer Promotion magna cum laude ab über den deutschen Barock-Bildhauer Johann Michael Feichtmayer. Ihre ausgiebigen Recherchen bebildert sie mit 160 selbst geschossenen Fotos, und ihre Formulierungen lassen schon da ihre spätere kreative Sprachgestaltung erahnen. Sie habe aber nie überlegt, zu was für einem Beruf ihr Studium führen könne. Es sei für eine Frau unvorstellbar gewesen, in einem Museum eine Stelle zu bekommen, bemerkt sie später.

Johann Michael Feichtmayer:
"Heiligenbüste" links; "Vierzehnheiligen" rechts
Noch vor der Promotion hat sie 1932 Günter Fuchs geheiratet, einen Münchner Kommilitonen, der Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Technische Thermodynamik studiert und 1931 in seiner fränkischen Heimatstadt Schwarzenbach an der Saale eine Fabrik für Wohnheizungen mit zeitweilig bis zu 50 Mitarbeitern gegründet hat. Günter Fuchs betätigt sich auch als Erfinder und wird später seiner Frau Tipps geben, wenn es um technische Dinge in den von ihr übersetzten Comics geht. Das Familiendomizil stattet er mit selbstgeschreinertem Mobiliar aus. ( Das steht  mittlerweile im Münchner Stadtmuseum. )

In Schwarzenbach bringt Erika Fuchs auch ihre beiden Söhne zur Welt: Thomas 1934, Nikolaus 1938. Sie hat Hauspersonal zur Verfügung und gewinnt so Zeit für sich, in der sie moderne amerikanische Literatur liest, Hemingway, Faulkner, Dos Passos und Konsorten im Original. Die knappe amerikanische Sprache gefällt ihr. In der Nazizeit sind Übersetzungen schwer zu bekommen, also bezieht sie die Originale über die Tauchnitz-Edition in Leipzig. Schon damals habe sie gern übersetzen wollen, "aber alles Ausländische galt ja als minderwertig, und wahrscheinlich hätte ich dann in die Reichsschrifttumskammer eintreten müssen", so ihre spätere Erklärung.

Mit ihren Söhnen übersteht sie die Kriegszeit in der eher abgelegenen Kleinstadt, die erst im April 1945 von amerikanischen Streitkräften angegriffen und schließlich befreit wird. Sie habe unter keinem Druck damals gestanden und Glück gehabt, wird sie später über ihre Zeit unter der Nazidiktatur sagen.

Ihr Mann ist allerdings als Truppeningenieur seit 1941 eingezogen gewesen und hat seine Fähigkeiten eingebracht bei Verbesserungen von Panzern, später im Raketenbau in der unterirdischen Rüstungsfabrik "Vorwerk Mitte" in Lehesten im Thüringer Wald, in dem auch viele KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind. Dort ist er der technisch Verantwortliche gewesen und hat, als 1945 die Gegend von der US Army befreit worden ist, mit dieser kooperiert und Informationen bezüglich deutscher Raketentechnologie weitergegeben. Ein Angebot, auf diesem Gebiet in den USA tätig zu werden, schlägt er aus und kehrt stattdessen zu seiner Familie nach Schwarzenbach zurück. 

Nach dem Krieg leben sie mit zweiundzwanzig Leuten in ihrem Haus. Erika erinnert sich gerne, wie viel und gern damals gelacht worden ist, obwohl oder gerade weil die meisten doch wirklich alles verloren hatten. Die finanzielle Lage der Familie ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht rosig, da Günter Fuchs mit Geld nur schlecht umgehen kann und ein Zuverdienst ist wünschenswert. Als Erika im Radio hört, dass der Verlag von "Reader's Digest" Übersetzer für seine Artikel sucht, bewirbt sie sich beim Stuttgarter Verlag "Das Beste". Die eingereichte Probeübersetzung gefällt, und sie wird angenommen. Gleichzeitig engagiert sie sich in einer Schwarzenbacher Elternvereinigung und ist am Aufbau des Progymnasiums am Ort beteiligt, was ihr später zum Pluspunkt gereichen wird, als es um ihre pädagogische Qualifikation für die Übersetzung kindertauglicher Texte geht.

Eher zufällig gerät sie an den Posten der Chefredakteurin bei "Micky Maus": Als die Übersetzungsaufträge  bevorzugt an aus dem Krieg heimgekehrte Männer gegeben werden, wird die wirtschaftliche Lage der fuchsschen Familie eng. Erika reist nach Stuttgart zum Verlag, um nach den Gründen und neuen Artikeln zu fragen.
"Dem Verlag sei es Anfang der 50er Jahre vor allem darum gegangen, die Bedenken kirchlicher und staatlicher Jugendschützer gegen die 'Schmutz-und Schundliteratur' Comics zu zerstreuen. Am liebsten hätte man ja einen Professor ins Impressum gerückt. Da ein solcher aber nicht aufzutreiben war, habe man mit ihr, der promovierten Kunsthistorikerin, vorlieb genommen. Sie habe jedoch nie ein Büro im Stuttgarter Verlag bezogen...", so fasst Denis Scheck hier 1980 die Aussagen Erikas zu ihrem Start im Comic-Wesen zusammen. 

Ihre erste Reaktion in eigenen Worten:

"Also ich habe ‚51 das erste Mal gesehen, daß es überhaupt Comics gibt. Das gab's ja bei uns nicht. Die ganzen 30er Jahre und auch die 40er, nein, das gab es einfach nicht. Und ich war zuerst wirklich außerordentlich verblüfft. Die vielen Bilder auf einer Seite, dann die Sprechblasen. Also ich sagte spontan, das geht in Deutschland nicht. In Deutschland gab es als Jugendzeitschrift 'Das Kränzchen', den 'Guten Kamerad', die hatten, glaube ich, 30.000 Auflage. Also ich hielt das für ausgeschlossen. Aber die Herren lachten nur und sagten: 'Nein, nein, das geht in Deutschland auch. Nehmen Sie das mal mit, in einem halben Jahr kommen die Leute von Disney, machen Sie eine Probeübersetzung und dann sehen wir weiter.'"
Man behält recht. Und so wird Dr. Erika Fuchs aus Schwarzenbach an der Saale zur deutschen Stimme von Micky und Minnie, Donald und Daisy und was es da an Einwohnern in Entenhausen noch so gibt. Der Erfolg ist sogar so groß, dass im folgenden Jahr das Micky-Maus-Heft nun statt monatlich wöchentlich erscheint. 

Erika muss sich erst eingewöhnen, um mit den Sprechblasen angemessen umgehen zu können und den einzelnen Charakteren in den Geschichten gerecht zu werden. Später entwickelt sie eine Leidenschaft für ihre Übersetzerinnen-Tätigkeit. Besonders die von dem Zeichner Carl Barks im Auftrag Disneys geschaffenen Comic-Geschichten mit Donald wachsen ihr ans Herz. Bark bringt nämlich... 

Erika mit Carl Barks 1994 
©Egmont Ehapa 

"... den Choleriker im Matrosenanzug zur charakterlichen Reife, versah Donald mit einer vielschichtigeren Psyche als in den Zeichentrickfilmen, bereicherte sein Umfeld mit Figuren wie den drei Neffen Tick, Trick und Track, der angehimmelten Freundin Daisy, dem Geizhals Onkel Dagobert und dem unausstehlichen Glückspilz Gustav Gans. Die jugendliche Leserschaft in Amerika merkte schnell, daß zwischen den liebevoll detaillierten und nicht selten bitter ironischen Geschichten von Carl Barks und den oft recht einfallslosen Comics der anderen Zeichner Welten lagen", so Denis Scheck.

So wird Erika Fuchs in den 1960er Jahren viele Geschichten von Carl Barks für eine erneute Veröffentlichung grundlegend überarbeiten, weil diese sie auch künstlerisch überzeugen.

Die eifrigen Tugendwächter der Nachkriegszeit entdecken in den Comics alsbald die Anzeichen für den Verfall aller kulturellen Werte, und man unterstellt im Adenauer-Deutschland eine verderbliche Wirkung auf Sitten, Phantasie und vor allem auf das Artikulationsvermögen seiner kindlichen Leser. Keine zehn Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur werden sogar Micky-Maus-Hefte öffentlich auf Schulhöfen verbrannt. Und selbst "Der Spiegel" brandmarkt Comics als "Opium in der Kinderstube". 

©Egmont Ehapa
Erika ficht das nicht an, weiß sie doch, dass ihre Kritiker die Geschichten nur oberflächlich betrachtet haben. Und heute weiß man, dass ihre Comic-Texte die deutsche Sprache bereichert haben wie keine zweite literarische Übersetzung seit dem Zweiten Weltkrieg. 

Man/frau denke mal nur an die - im Fachjargon Onomatopöien geheißenen Lautmalereien - wie "Knirsch", "Stöhn", "Seufz" oder "Grummel, grummel", mit dem Unmut ausgedrückt wird, "Fnf",  um Erschöpfung anzuzeigen.

Sie schafft die sogenannten Inflektive wie "seufz" statt "seufzen","schluck" statt "schlucken" oder "würg" statt "würgen" ( inzwischen wird das sprachliche Phänomen auch Erikativ genannt ). 

Sie schafft idiomatische Redewendungen, die Eingang in die deutsche Umgangssprache finden werden wie "Dem Ingeniör ist nichts zu schwör". Andere wären es wert, als moderne Sprichwörter aufgenommen zu werden wie "Die Ruhe ist dem Weisen heilig, nur Verrückte habens eilig". 

©Egmont Ehapa
Sie liebt die zusammengesetzten bildhaften Substantive wie es nur die deutsche Sprache möglich macht, als da sind Wunderkind, Geistesblitz, Mutterwitz und Fabelwesen. Ihr ist "jeder Anlass recht, mit schönen Wörtern zu spielen. Auf deren Wohlklang kam es ihr mehr an als auf den Sinn", meint ihr Freund Ernst Horst einmal dazu.

Es sollte auch nicht unterlassen werden zu erwähnen, dass Erikas Sprache in den Comics immer der deutschen Grammatik verpflichtet ist. Ihre korrekte Verwendung der Konjunktive und Genitive führt die Schmutz-und Schund-Kampagne der Comic-Gegner ad absurdum. 

"Ein blank geschliffener, hochintelligenter Mutterwitz sprang aus diesen Texten", revidiert "Der Spiegel" fünfzig Jahre später sein einst hartes Urteil.

©Egmont Ehapa

"Lesen bildet", sagt Donald irgendwann mal. "Was lernt man nicht alles, zumal aus den Werken unserer Dichter und Denker." Gebildet ist auch Erika, das merkt man an ihren Anspielungen, den Alliterationen, der Sprache der Klassik ( statt einem einfachen "No!" ein "Mitnichten!" z.B. )

"So spricht man nur in der Klassik, das stimmt schon. Aber, ich habe ja versucht, die Personen sprachlich zu unterscheiden als Vertreter von einer bestimmten Klasse, oder sagen wir Schicht lieber, und Generation. Und so redet eben Onkel Dagobert sehr korrekt, mit jedem Konjunktiv, auch noch mit dem Dativ, wenn es sein muß, mit dem echten Genitiv, mit sehr vielen Sprichwörtern, sehr autoritär auch. Während Donald, der ja eigentlich keinen Erfolg im Leben hat, der wetzt das so etwas aus, dadurch daß er sehr blumig spricht, und, etwas hoch gesprochen, auch poetisch wird. Und die Kinder sprechen Alltagssprache. Und das habe ich mir so allmählich, nicht von Anfang an, so allmählich habe ich mir das ausgedacht, daß man dadurch die Sache bereichern könnte. Das ist ja im Englischen, oder zumindest im Amerikanischen eigentlich nicht so möglich, weil da eigentlich jeder im selben Stil spricht, ich meine, Wissenschaftler natürlich etwas gehobener, aber die Unterschiede sind nicht so groß wie bei uns." 

Ihr Donald verändert in ihren Übersetzungen gar seinen Charakter. Bei ihr wird er "einer, der sich müht und abstrampelt, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen, und seine frustrierten Ambitionen durch hohltönendes Bildungspathos tarnt: die Ente als verkappter Spießer, der sich in Momenten existentialistischer Sinnkrisen schon mal als 'ein Niemand, der allernichtigste Niemand in ganz Entenhausen' bezeichnet", so Dennis Scheck. "Ich stehe hier, ein Herkules mit Fackeln! Sie sollen lodern, leuchten, knistern und auch knackeln!", ruft der prometheusche Feuerteufel Donald aber auch schon mal sehr theatralisch. 

Nicht verwunderlich auch, dass die deutsche 1968er-Bewegung Donald zu ihrem Helden kürt: Den von seinem schwerreichen Onkel bis aufs Blut geschundenen Enterich kann man doch glatt zu den Verdammten dieser Erde zählen. Ist Donald nicht die typische ausgebeutete "Underduck"?  Und dann achtet die Übersetzerin auch immer auf auf einen liberalen, antimilitärischen und nicht autoritären Grundton. Das Böse versieht sie gerne mit Begriffen aus der Nazizeit. Als sie den Panzerknackern in den späten sechziger Jahren auch noch einen Chefideologen beigesellt und irgendwo den Begriff "Genossen" einführt, ist ihr die Feindschaft der CSU gewiss. Auch das gefällt dieser Generation.

Übrigens sind auch die Namen Gundel Gaukeley, Panzerknacker oder Daniel Düsentrieb Erikas Erfindungen.  Für die Ortsnamen verwendet sie gerne solche aus Oberfranken, darunter Schnarchenreuth, Kirchenlamitz, Rehau und die Schiefe Ebene.

1986
©Egmont Ehapa

Bis in die frühen siebziger Jahre übersetzt sie fast alle Disney-Comics im Ehapa-Verlag, während ihr Mann eine Honorar-Professur an der TU München erhält. Später bearbeitet sie, hauptsächlich aufgrund ihrer stärker werdenden Augenprobleme, nur noch die Micky Maus-Auftaktgeschichten und längere Donald Duck-Fortsetzungsgeschichte. Erst 1988 übergibt sie die Chefredaktion an ihre Nachfolgerin Dorit Kinkel. Da ist sie fast 82 Jahre alt und schon seit vier Jahren Witwe. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie in einem kleinen Reihenhaus im Münchner Stadtteil Gern in der Schlagintweitstraße 22 in der Nähe ihrer Söhne & der vier Enkelkinder.

1994 erhält die geniale Übersetzerin ihren ersten Preis, die "Morenhovener Lupe", ein Kabarettpreis, vergeben von der Gemeinde Swisttal hier in meiner näheren Umgebung. Der "Deutsche Fantasypreis" folgt zwei Jahre später. 2001 wird sie gleich zweimal geehrt, einmal mit dem "Roswitha - Preis", dem ältesten alljährlich nur an Frauen vergebenen deutschen Literaturpreis, und mit dem "Heimito-von-Doderer-Preis" für ihren Beitrag zur Entwicklung der Deutschen Sprache. Eigentlich habe sie auch den "Büchner-Preis" verdient, so einmal Elfriede Jelinek voller Hochachtung für Erika Fuchs, deren lautmalerische Erfindungen sie in ihre eigene Prosa einbaut.

Am 22. April 2005 stirbt Erika Fuchs mit 98 Jahren in München. Ihre Familie unterrichtet die Öffentlichkeit nicht sofort, da man wohl einen zu großen Presserummel vermeiden will. Ihre letzte Ruhestätte findet sie in Schwarzenbach im Grab ihres Ehemannes.

Die große Anteilnahme der Öffentlichkeit zeigt sich in zahlreichen Nachrufen. Elke Heidenreich schreibt in ihrem in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung":

"Erika Fuchs war mir eine mächtige, sprachgewaltige Lehrerin, die mir auch beibrachte, die Absurditäten des Lebens früh zu verstehen. Wußte ich noch von meinem Vater, wie gern im Krieg gesungen wurde, daß uns heute Deutschland, morgen aber die ganze Welt gehöre, lernte ich bei den Panzerknackern:

'Wir sind die Panzerknacker
und tun, was uns gefällt. 
Heute gehört uns die Kohldampfinsel
und morgen die ganze Welt.'" 
Da war wieder Erika Fuchs am Werk gewesen, und auch die immer noch gültige "Tick, Trick&Track"-Hymne geht auf ihre Dichtkunst zurück:
'Wir pfeifen auf Pomade, / 
auf Seife, Kamm und Schwamm, / 
wir bleiben lieber dreckig/
und wälzen uns im Schlamm.'  
 
Das sah eine gute deutsche Mutter wie die meine nicht gern."...

 Und weiter: 

"Als ich später Germanistik studierte, schreckte mich kein Professorengeschwätz. Ich hatte bei Erika Fuchs schon erfahren: "Unter den Talaren / Muff von tausend Jahren", lange ehe wir das an die Tafeln schrieben, und Onkel Donald hatte mir bereits den "Lehrsatz von der kurzfristigen Bilanzschwebe und der kreditabwürgenden Unsicherheitstheorie" beigebracht, und wer das versteht, den schreckt kein Wiesengrund Adorno mehr. "

Zehn Jahre nach ihrem Tod wird in Schwarzenbach dann ein Haus für Erika Fuchs und für die Kunst des Comic-Zeichnens etabliert. Direktorin wird die Kulturwissenschaftlerin Alexandra Hentschel. 2021 beschließt der Münchner Stadtrat eine Straße im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl nach ihr zu benennen. Inzwischen ist die Übersetzerin zur Ikone geworden.

"Die alte Dame aus gutem Haus, durchaus konservativ wie der Zeichner, hat einen unideologischen Kosmos geschaffen in einer sehr ideologischen Zeit", bewertet Brigitte Landes um die Jahrtausendwende  das Werk der Chronistin des Zeitgeistes der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus. "Lächel, lächel" bleibt mir da nur zu sagen.


7 Kommentare:

  1. hach - da freue ich mich aber heute über die frau, deren namen ich nicht kannte. ich durfte keine comicgeschichten lesen, als ich geld dafür hatte dachte ich nicht mehr daran. danke für diese biografie aus einem bereich, der mir mit 75 jahren neuland ist. lieben gruß, roswitha

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  2. Wunderbar, dass ich endlich mal sehe, wer wirklich dahinter gesteckt hat. Mal wieder eine kluge, wortgewandte Frau. Ich weiß noch, wie ich in Studententagen als Nachhilfelehrerin vor den Eltern meiner (darüber begeisterten Schülern) eine Lanze für die Comics gebrochen hab. "Seien Sie doch zufrieden, die Kinder lesen doch!" Grins ;-)
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. Oh ja, zähneknirschend ließ mich meine Mutter Micky Maus und Co lesen, denn ich liebt schon als Kind Comics. Na ja, ich las zu der Zeit eh alles Mögliche 😊 Aber da wäre wenigstens die Sprache ok, so meinte sie.
    Und ja, sie hat so viel Wortwitz hineingebracht, so viel Komik, der sonst durch wortgenaue Übersetzungen wohl dahin gewesen wäre. Ich meine gelesen zu haben, dass sich Barks und Fr. Fuchs auch gekannt haben.
    Und interessant, der Werdegang dahin!
    Danke Dir und liebe Grüße
    Nina

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  4. Wie schön, heute Erika Fuchs hier zu treffen. Sie hat meine Jugend sehr versüßt. Ich habe die Comics von Micky & Co. geliebt und hatte auch ein quasi ein Abo, weil ich immer in einem bestimmten Schreibwaren-Laden, in dem mein Vater für die Firma Büromaterial kaufte, Schulhefte usw. einkaufen durfte - und anschreiben ließ. Rechnung an den Herr Papa.... Dass zu den Schulheften dann auch immer die MickyMaus ganz unschuldig hinzukam, ja das war ein großes Glück. :-))
    Erika Fuchs war einmalig und wunderbar in den Übersetzungen. Sie hat soviel Witz und gutes Deutsch reingebracht und dann doch den Charakter der Comics total gut interpretiert. Ich wusste auch bis vor ca. 20 Jahren nicht, dass sie es war. Das kleine Museum in Schwarzenbach an der Saale wäre mal einen Ausflug wert....
    Danke für das wunderbare Portrait heute!
    Liebste Grüße von Sieglinde

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  5. Ach wie wunnebaa Erika Fuchs. Die lautmalerischen Geräuschumschreibungen sind mir allerliebst. Gacker. Herzlichte Nachtgrüße!! Eva

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  6. von Helga:

    Liebe Astrid,

    hab mit sehr viel Interesse über Erika Fuchs gelesen. Da muss Kerstin dazu etwas sagen können oder mein filmbegeisteter Sohn, ich war da noch mit den Nachkriegsjahren beschäftigt, alles noch im Werden begriffen. Dank Deiner wunderbaren Recherche bin ich noch im Alter schlauer geworden. Ganz unbekannt sind mir die Figuren ja nun auch nicht, aber als junge Mutter sah ich da auch nix um ein Verbot auszusprechen. Danke vielmals und grüße Dich lieb als die Helga

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  7. Nein, das wusste ich alles wirklich nicht liebe Astrid. Danke für den informativen Post über diese great Women !! ich habe natürlich viel Comics gelesen allen voran Donald Duck.

    Herzliche Grüße zum 2. Adventswochenende
    Kerstin

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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