Zu meinem Opa hatte ich kein wirklich enges Verhältnis. Was ich aber bis heute mit ihm verbinde, ist - neben einem Andersen-Märchenbuch - ein Micky-Maus-Abo, das er uns für ein Jahr geschenkt hatte. Das war damals, Ende der 1950er Jahre, ziemlich gewagt, denn das Lesen von Comics ("Schund & Schmutzliteratur"!) war damals höchst umstritten, vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen, aber höchst vergnüglich für mich als Kind, das gerade diese Kulturtechnik erlernt hatte. Wer da für die (deutschen) Texte verantwortlich war, war mir damals schnuppe, ihr Name wurde ohnehin bis 1968 nicht erwähnt. Erst später habe ich erfahren, dass das eine Frau war: Erika Fuchs.
© Egmont Ehapa |
Marktplatz in Belgard |
1933 |
"Dem Verlag sei es Anfang der 50er Jahre vor allem darum gegangen, die Bedenken kirchlicher und staatlicher Jugendschützer gegen die 'Schmutz-und Schundliteratur' Comics zu zerstreuen. Am liebsten hätte man ja einen Professor ins Impressum gerückt. Da ein solcher aber nicht aufzutreiben war, habe man mit ihr, der promovierten Kunsthistorikerin, vorlieb genommen. Sie habe jedoch nie ein Büro im Stuttgarter Verlag bezogen...", so fasst Denis Scheck hier 1980 die Aussagen Erikas zu ihrem Start im Comic-Wesen zusammen.
Ihre erste Reaktion in eigenen Worten:
"Also ich habe ‚51 das erste Mal gesehen, daß es überhaupt Comics gibt. Das gab's ja bei uns nicht. Die ganzen 30er Jahre und auch die 40er, nein, das gab es einfach nicht. Und ich war zuerst wirklich außerordentlich verblüfft. Die vielen Bilder auf einer Seite, dann die Sprechblasen. Also ich sagte spontan, das geht in Deutschland nicht. In Deutschland gab es als Jugendzeitschrift 'Das Kränzchen', den 'Guten Kamerad', die hatten, glaube ich, 30.000 Auflage. Also ich hielt das für ausgeschlossen. Aber die Herren lachten nur und sagten: 'Nein, nein, das geht in Deutschland auch. Nehmen Sie das mal mit, in einem halben Jahr kommen die Leute von Disney, machen Sie eine Probeübersetzung und dann sehen wir weiter.'"Man behält recht. Und so wird Dr. Erika Fuchs aus Schwarzenbach an der Saale zur deutschen Stimme von Micky und Minnie, Donald und Daisy und was es da an Einwohnern in Entenhausen noch so gibt. Der Erfolg ist sogar so groß, dass im folgenden Jahr das Micky-Maus-Heft nun statt monatlich wöchentlich erscheint.
Erika muss sich erst eingewöhnen, um mit den Sprechblasen angemessen umgehen zu können und den einzelnen Charakteren in den Geschichten gerecht zu werden. Später entwickelt sie eine Leidenschaft für ihre Übersetzerinnen-Tätigkeit. Besonders die von dem Zeichner Carl Barks im Auftrag Disneys geschaffenen Comic-Geschichten mit Donald wachsen ihr ans Herz. Bark bringt nämlich...
Erika mit Carl Barks 1994 ©Egmont Ehapa |
"... den Choleriker im Matrosenanzug zur charakterlichen Reife, versah Donald mit einer vielschichtigeren Psyche als in den Zeichentrickfilmen, bereicherte sein Umfeld mit Figuren wie den drei Neffen Tick, Trick und Track, der angehimmelten Freundin Daisy, dem Geizhals Onkel Dagobert und dem unausstehlichen Glückspilz Gustav Gans. Die jugendliche Leserschaft in Amerika merkte schnell, daß zwischen den liebevoll detaillierten und nicht selten bitter ironischen Geschichten von Carl Barks und den oft recht einfallslosen Comics der anderen Zeichner Welten lagen", so Denis Scheck.
So wird Erika Fuchs in den 1960er Jahren viele Geschichten von Carl Barks für eine erneute Veröffentlichung grundlegend überarbeiten, weil diese sie auch künstlerisch überzeugen.
Die eifrigen Tugendwächter der Nachkriegszeit entdecken in den Comics alsbald die Anzeichen für den Verfall aller kulturellen Werte, und man unterstellt im Adenauer-Deutschland eine verderbliche Wirkung auf Sitten, Phantasie und vor allem auf das Artikulationsvermögen seiner kindlichen Leser. Keine zehn Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur werden sogar Micky-Maus-Hefte öffentlich auf Schulhöfen verbrannt. Und selbst "Der Spiegel" brandmarkt Comics als "Opium in der Kinderstube".
©Egmont Ehapa |
Man/frau denke mal nur an die - im Fachjargon Onomatopöien geheißenen Lautmalereien - wie "Knirsch", "Stöhn", "Seufz" oder "Grummel, grummel", mit dem Unmut ausgedrückt wird, "Fnf", um Erschöpfung anzuzeigen.
Sie schafft die sogenannten Inflektive wie "seufz" statt "seufzen","schluck" statt "schlucken" oder "würg" statt "würgen" ( inzwischen wird das sprachliche Phänomen auch Erikativ genannt ).
Sie schafft idiomatische Redewendungen, die Eingang in die deutsche Umgangssprache finden werden wie "Dem Ingeniör ist nichts zu schwör". Andere wären es wert, als moderne Sprichwörter aufgenommen zu werden wie "Die Ruhe ist dem Weisen heilig, nur Verrückte habens eilig".
©Egmont Ehapa |
Es sollte auch nicht unterlassen werden zu erwähnen, dass Erikas Sprache in den Comics immer der deutschen Grammatik verpflichtet ist. Ihre korrekte Verwendung der Konjunktive und Genitive führt die Schmutz-und Schund-Kampagne der Comic-Gegner ad absurdum.
"Ein blank geschliffener, hochintelligenter Mutterwitz sprang aus diesen Texten", revidiert "Der Spiegel" fünfzig Jahre später sein einst hartes Urteil.
©Egmont Ehapa |
"Lesen bildet", sagt Donald irgendwann mal. "Was lernt man nicht alles, zumal aus den Werken unserer Dichter und Denker." Gebildet ist auch Erika, das merkt man an ihren Anspielungen, den Alliterationen, der Sprache der Klassik ( statt einem einfachen "No!" ein "Mitnichten!" z.B. )
"So spricht man nur in der Klassik, das stimmt schon. Aber, ich habe ja versucht, die Personen sprachlich zu unterscheiden als Vertreter von einer bestimmten Klasse, oder sagen wir Schicht lieber, und Generation. Und so redet eben Onkel Dagobert sehr korrekt, mit jedem Konjunktiv, auch noch mit dem Dativ, wenn es sein muß, mit dem echten Genitiv, mit sehr vielen Sprichwörtern, sehr autoritär auch. Während Donald, der ja eigentlich keinen Erfolg im Leben hat, der wetzt das so etwas aus, dadurch daß er sehr blumig spricht, und, etwas hoch gesprochen, auch poetisch wird. Und die Kinder sprechen Alltagssprache. Und das habe ich mir so allmählich, nicht von Anfang an, so allmählich habe ich mir das ausgedacht, daß man dadurch die Sache bereichern könnte. Das ist ja im Englischen, oder zumindest im Amerikanischen eigentlich nicht so möglich, weil da eigentlich jeder im selben Stil spricht, ich meine, Wissenschaftler natürlich etwas gehobener, aber die Unterschiede sind nicht so groß wie bei uns."
Ihr Donald verändert in ihren Übersetzungen gar seinen Charakter. Bei ihr wird er "einer, der sich müht und abstrampelt, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen, und seine frustrierten Ambitionen durch hohltönendes Bildungspathos tarnt: die Ente als verkappter Spießer, der sich in Momenten existentialistischer Sinnkrisen schon mal als 'ein Niemand, der allernichtigste Niemand in ganz Entenhausen' bezeichnet", so Dennis Scheck. "Ich stehe hier, ein Herkules mit Fackeln! Sie sollen lodern, leuchten, knistern und auch knackeln!", ruft der prometheusche Feuerteufel Donald aber auch schon mal sehr theatralisch.
Nicht verwunderlich auch, dass die deutsche 1968er-Bewegung Donald zu ihrem Helden kürt: Den von seinem schwerreichen Onkel bis aufs Blut geschundenen Enterich kann man doch glatt zu den Verdammten dieser Erde zählen. Ist Donald nicht die typische ausgebeutete "Underduck"? Und dann achtet die Übersetzerin auch immer auf auf einen liberalen, antimilitärischen und nicht autoritären Grundton. Das Böse versieht sie gerne mit Begriffen aus der Nazizeit. Als sie den Panzerknackern in den späten sechziger Jahren auch noch einen Chefideologen beigesellt und irgendwo den Begriff "Genossen" einführt, ist ihr die Feindschaft der CSU gewiss. Auch das gefällt dieser Generation.
Übrigens sind auch die Namen Gundel Gaukeley, Panzerknacker oder Daniel Düsentrieb Erikas Erfindungen. Für die Ortsnamen verwendet sie gerne solche aus Oberfranken, darunter Schnarchenreuth, Kirchenlamitz, Rehau und die Schiefe Ebene.
1986 ©Egmont Ehapa |
Bis in die frühen siebziger Jahre übersetzt sie fast alle Disney-Comics im Ehapa-Verlag, während ihr Mann eine Honorar-Professur an der TU München erhält. Später bearbeitet sie, hauptsächlich aufgrund ihrer stärker werdenden Augenprobleme, nur noch die Micky Maus-Auftaktgeschichten und längere Donald Duck-Fortsetzungsgeschichte. Erst 1988 übergibt sie die Chefredaktion an ihre Nachfolgerin Dorit Kinkel. Da ist sie fast 82 Jahre alt und schon seit vier Jahren Witwe. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie in einem kleinen Reihenhaus im Münchner Stadtteil Gern in der Schlagintweitstraße 22 in der Nähe ihrer Söhne & der vier Enkelkinder.
1994 erhält die geniale Übersetzerin ihren ersten Preis, die "Morenhovener Lupe", ein Kabarettpreis, vergeben von der Gemeinde Swisttal hier in meiner näheren Umgebung. Der "Deutsche Fantasypreis" folgt zwei Jahre später. 2001 wird sie gleich zweimal geehrt, einmal mit dem "Roswitha - Preis", dem ältesten alljährlich nur an Frauen vergebenen deutschen Literaturpreis, und mit dem "Heimito-von-Doderer-Preis" für ihren Beitrag zur Entwicklung der Deutschen Sprache. Eigentlich habe sie auch den "Büchner-Preis" verdient, so einmal Elfriede Jelinek voller Hochachtung für Erika Fuchs, deren lautmalerische Erfindungen sie in ihre eigene Prosa einbaut.Am 22. April 2005 stirbt Erika Fuchs mit 98 Jahren in München. Ihre Familie unterrichtet die Öffentlichkeit nicht sofort, da man wohl einen zu großen Presserummel vermeiden will. Ihre letzte Ruhestätte findet sie in Schwarzenbach im Grab ihres Ehemannes.
Die große Anteilnahme der Öffentlichkeit zeigt sich in zahlreichen Nachrufen. Elke Heidenreich schreibt in ihrem in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
"Erika Fuchs war mir eine mächtige, sprachgewaltige Lehrerin, die mir auch beibrachte, die Absurditäten des Lebens früh zu verstehen. Wußte ich noch von meinem Vater, wie gern im Krieg gesungen wurde, daß uns heute Deutschland, morgen aber die ganze Welt gehöre, lernte ich bei den Panzerknackern:
'Wir sind die Panzerknacker
und tun, was uns gefällt.
Heute gehört uns die Kohldampfinsel
und morgen die ganze Welt.'"
Da war wieder Erika Fuchs am Werk gewesen, und auch die immer noch gültige "Tick, Trick&Track"-Hymne geht auf ihre Dichtkunst zurück:
'Wir pfeifen auf Pomade, /auf Seife, Kamm und Schwamm, /wir bleiben lieber dreckig/
und wälzen uns im Schlamm.'
Das sah eine gute deutsche Mutter wie die meine nicht gern."...
Und weiter:
"Als ich später Germanistik studierte, schreckte mich kein Professorengeschwätz. Ich hatte bei Erika Fuchs schon erfahren: "Unter den Talaren / Muff von tausend Jahren", lange ehe wir das an die Tafeln schrieben, und Onkel Donald hatte mir bereits den "Lehrsatz von der kurzfristigen Bilanzschwebe und der kreditabwürgenden Unsicherheitstheorie" beigebracht, und wer das versteht, den schreckt kein Wiesengrund Adorno mehr. "
Zehn Jahre nach ihrem Tod wird in Schwarzenbach dann ein Haus für Erika Fuchs und für die Kunst des Comic-Zeichnens etabliert. Direktorin wird die Kulturwissenschaftlerin Alexandra Hentschel. 2021 beschließt der Münchner Stadtrat eine Straße im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl nach ihr zu benennen. Inzwischen ist die Übersetzerin zur Ikone geworden.
hach - da freue ich mich aber heute über die frau, deren namen ich nicht kannte. ich durfte keine comicgeschichten lesen, als ich geld dafür hatte dachte ich nicht mehr daran. danke für diese biografie aus einem bereich, der mir mit 75 jahren neuland ist. lieben gruß, roswitha
AntwortenLöschenWunderbar, dass ich endlich mal sehe, wer wirklich dahinter gesteckt hat. Mal wieder eine kluge, wortgewandte Frau. Ich weiß noch, wie ich in Studententagen als Nachhilfelehrerin vor den Eltern meiner (darüber begeisterten Schülern) eine Lanze für die Comics gebrochen hab. "Seien Sie doch zufrieden, die Kinder lesen doch!" Grins ;-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
Oh ja, zähneknirschend ließ mich meine Mutter Micky Maus und Co lesen, denn ich liebt schon als Kind Comics. Na ja, ich las zu der Zeit eh alles Mögliche 😊 Aber da wäre wenigstens die Sprache ok, so meinte sie.
AntwortenLöschenUnd ja, sie hat so viel Wortwitz hineingebracht, so viel Komik, der sonst durch wortgenaue Übersetzungen wohl dahin gewesen wäre. Ich meine gelesen zu haben, dass sich Barks und Fr. Fuchs auch gekannt haben.
Und interessant, der Werdegang dahin!
Danke Dir und liebe Grüße
Nina
Wie schön, heute Erika Fuchs hier zu treffen. Sie hat meine Jugend sehr versüßt. Ich habe die Comics von Micky & Co. geliebt und hatte auch ein quasi ein Abo, weil ich immer in einem bestimmten Schreibwaren-Laden, in dem mein Vater für die Firma Büromaterial kaufte, Schulhefte usw. einkaufen durfte - und anschreiben ließ. Rechnung an den Herr Papa.... Dass zu den Schulheften dann auch immer die MickyMaus ganz unschuldig hinzukam, ja das war ein großes Glück. :-))
AntwortenLöschenErika Fuchs war einmalig und wunderbar in den Übersetzungen. Sie hat soviel Witz und gutes Deutsch reingebracht und dann doch den Charakter der Comics total gut interpretiert. Ich wusste auch bis vor ca. 20 Jahren nicht, dass sie es war. Das kleine Museum in Schwarzenbach an der Saale wäre mal einen Ausflug wert....
Danke für das wunderbare Portrait heute!
Liebste Grüße von Sieglinde
Ach wie wunnebaa Erika Fuchs. Die lautmalerischen Geräuschumschreibungen sind mir allerliebst. Gacker. Herzlichte Nachtgrüße!! Eva
AntwortenLöschenvon Helga:
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
hab mit sehr viel Interesse über Erika Fuchs gelesen. Da muss Kerstin dazu etwas sagen können oder mein filmbegeisteter Sohn, ich war da noch mit den Nachkriegsjahren beschäftigt, alles noch im Werden begriffen. Dank Deiner wunderbaren Recherche bin ich noch im Alter schlauer geworden. Ganz unbekannt sind mir die Figuren ja nun auch nicht, aber als junge Mutter sah ich da auch nix um ein Verbot auszusprechen. Danke vielmals und grüße Dich lieb als die Helga
Nein, das wusste ich alles wirklich nicht liebe Astrid. Danke für den informativen Post über diese great Women !! ich habe natürlich viel Comics gelesen allen voran Donald Duck.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße zum 2. Adventswochenende
Kerstin