Samstag, 15. Februar 2025

Meine 7. Kalenderwoche 2025

"Die immer laut formulierten Pseudolösungen
 der extremen Rechten
 sind darauf ausgelegt, 
von möglichst vielen gehört zu werden. 
Sie fordern die Unterdrückung 
und letztlich die vollständige Beseitigung dessen, 
was angeblich 'weiblich', anders, fremd, 
unkonventionell, flexibel, 
kreativ, grenzüberschreitend ist. 
Sie wollen das Ende der Liebe. 
.....
Ich weiß, dass es schwer ist, 
sich auf Widerstand zu konzentrieren, 
wenn man von derartig viel Lärm umgeben ist. 
Der Faschismus liebt Chaos."
A.L. Kennedy, schott. Schriftstellerin

  "Die Grundfrage ist, ob ich Populismus 
mit Populismus kleinmache. 
Ich habe da meine Zweifel."
Matthias Mirsch


Wo schon letzte Woche mein Kalenderwochenpost mit Selbstgebackenem angefangen hat, greife ich das diese Woche einfach wieder auf. 😂 Beim Wegräumen der Keksdosen ins Kellerregal habe ich doch glatt noch Vanillekipferln & Walnusskarteln gefunden - aus den Augen, aus dem Sinn. Sie schmecken allerdings immer noch ganz toll zum Verveine-Tee mit Zitrone und Honig.

Was freue ich mich in diesem Winter, wenn mal die Sonne scheint. Und besonders schön für mich ist, dass sie es jetzt wieder über die Dachfirste der Nachbarhäuser und in meine Räumlichkeiten im Parterre schafft. Im Dezember/Januar ist das nur sehr reduziert der Fall. Aber jetzt wird wieder alles anders. Und meine liebsten Himmelsblicke umfassen auch immer „meine Bäume“.

Der Wintergarten ist dann wieder eine Wärmefalle, und ich kann die Heizung runterschalten.



Neben all den traurigen und bedrückenden Geschichten, die mich momentan immer wieder erreichen, gibt es auch immer wieder welche, die mindestens erheitern, wenn nicht mehr:
In Tschechien, dem Heimatland meiner Ma selig, wollte eine Behörde im Landschaftsschutzgebiet Brdy bei Prag einen Damm errichten, um ausgetrocknete Flächen wieder in Feuchtwiesen zu verwandeln. Das Genehmigungsverfahren hat - wie das nun mal so ist, nicht nur bei uns - gedauert, sechs Jahre genau. Als das Damm-Projekt endlich bewilligt ist und die Arbeiter ausrücken, trauen sie ihren Augen nicht: Der Damm ist bereits errichtet! Schneller und besser und billiger, als sie das je hätten machen können. Und zwar von Bibern. Zudem bewachen die jetzt auch noch den Damm und pflegen ihn, ausgesprochen kostengünstig, denn die Wartung entfällt. So schön kann die Welt sein, wenn der Mensch nicht eingreift! Weniger Bürokratie und mehr Biber wagen...

Biber gehören zu meinen Lieblingstieren. Meine Klasse von 1999 bis 2004 trug ihren Namen. Das Lernspiel, das ich damals für die Schüler*innen hergestellt habe ( inkl. kleiner Biberspielfiguren aus Fimo ) habe ich nicht mehr gefunden, dafür noch drei Bücher aus der einstigen schulischen Leseecke. Memories are made of this...

Die Nachbarin jenseits der Gartengrenze hat es momentan sehr schwer. Und dazu noch Handwerker im Bad und Geburtstag, so ganz allein. Also habe ich ihr nicht nur das Duschen möglich gemacht, sondern ein klein wenig diesen besonderen Tag versüßt. Wie man die Linzertorte backt, hab ich jetzt raus. Aber auch kein Wunder, wenn Frau das jetzt jede Woche macht 🤣. Und sie ist meine liebste Torte, so lecker!

Der Mittwoch ist dann wieder bei "12 von 12" dokumentiert. So leicht und heiter der Post erscheinen mag: Seine Erstellung hat mich viel Mühe gekostet, ist doch an diesem Tag das Netz meines Servers zusammengebrochen. Zwischendurch konnte man auch nicht mehr telefonieren, weder auf Festnetz, noch mobil. Letztendlich habe ich den Beitrag über das Mobilnetz "unter die Leute" gebracht.


Bleibt für diesen Post wieder der Donnerstag: Da musste ich mich erneut beim Zahnarzt vorstellen: Teil zwei meiner Gebisssanierung wurde angegangen, leider alles nicht ganz komplikationslos. Auch die Ereignisse in M. ließen mich nicht unberührt, betraf es doch auch Kolleg*innen meiner Tochter. Zum Glück funktionierte an diesem Tag das Netz, so dass wir in Kontakt treten konnten. Ich konnte dann auch nicht gut einschlafen, nur mit Schmerztablette, und war auch schon wieder um fünfe wach...















Der Valentinstag heißt bei mir eigentlich "Faltinschdaach" und hatte mit dem Treiben, das inzwischen üblich ist, gar nichts zu tun, sondern war das Fest des Namenspatrones der Kirche im Dorf meiner Kindheit. Er wurde aber immer erst im August mit einer großen Kirmes gefeiert und alle Verwandten aus Nah & Fern kamen zu Besuch. Viele schöne Kindheitserinnerungen! Was war ich aufgehoben & wohlgelitten im weiten Familienkreis... 

Und weil ich diese Woche sehr nostalgisch aufgelegt war und Fotos auf meinen Festplatten gesichtet hatte, gibt es auch eines hier im Post mit dem Kirchturm mit der welschen Haube bzw. Zwiebelhaube. Jetzt wisst ihr auch, warum ich die so liebe: frühkindliche Prägung quasi. Den Namen mag ich auch sehr gern und ich freu mich, dass eine meiner Enkelinnen ihn als Zweitnamen trägt.


Inzwischen ist das ein Datum, dass mich die Verbindungen zu vielen Frauen, ob aus Familie oder Freundeskreis, aufnehmen lässt mit vielen verschiedenen Zeichen der Wertschätzung und Liebe. Das ist mir gerade in diesen Zeiten, die von Tag zu Tag finsterer werden, wichtiger als eventuelle Konsumkritik. Deshalb hab ich am Nachmittag auch in der Nachbarschaft kleine Zeichen verteilt.

Ich habe den  Tag richtig genossen, so viel Freude und Liebe und Anerkennung durch Post - Danke, Sieglinde! - Mails und Nachrichten auf dem Smartphone, den ganzen Tag über. Was für ein Netz! So beschwingt am Abend habe ich mich schon länger nicht mehr gefühlt.



"No reasonable adult human feels 
this isn't going terribly."
"... es gibt zig Millionen von uns, die um schwierige Gespräche herumgetanzt sind, unangenehme Feiertagstreffen ertragen und den Mund gehalten haben, um Konflikte mit Menschen zu vermeiden, die wir durch unsere Anwesenheit letztlich aus der Verantwortung entlassen haben.
Die von ihnen belästigten, verletzten und terrorisierten Menschen dieser Welt  [... ] müssten uns ebenso viel bedeuten wie die ständig grausamen, absichtlich ignoranten und hoffnungslos bösartigen Menschen, deren Hände wir seit zehn Jahren halten und die wir davon zu überzeugen versuchen, anständige Menschen zu werden und sich tatsächlich um andere Menschen zu kümmern.   
Bis zu einem gewissen Grad ist Toleranz ein edles Streben, das wir Menschen [... ] praktiziert haben, und sie ist leider einer der Gründe, warum wir jetzt hier angelangt sind."
Dieses Zitat von John Pavlovitz - "stuff that needs to be said" -, ein ehemaliger US-amerikanischer Jugendpastor & Blogaktivist, habe ich einem Post entnommen, den Rosi/Rumpelkammer unter diesem verlinkt hat. In diesem Post hat sie ihre Teilnahme ( und die Gründe dafür ) an einer Fotoaktion ihrer Heimatstadt dargelegt. Welch Kommentar sie darauf bekommen hat, könnt ihr euch an Ort & Stelle zu Gemüte führen. Triggerwarnung: Brechreiz!
"Ich musste schließlich zugeben," schreibt Pavlovitz, "dass viele dieser Menschen letztlich doch nicht so anständig, vernünftig oder liebevoll waren; dass sie ihre Grausamkeit, ihre Gewalttätigkeit und ihren Hass wollten."

John Pavlovitz schreibt von "herzzerreißender Wahrheit", und meint, es sei eine Illusion gewesen, der wir lange erlegen sind, dass man es bei diesen Leuten, die lautstark, aggressiv, herabwürdigend, mitunter lügend die Kommunikation in den Medien & im alltäglichen Miteinander bestimmen - und in den Staaten nun das gesamte Staatswesen -, mit Menschen zu tun hat, die es wert sind, sich mit ihnen zu beschäftigen. Sie sind es nicht ( mehr ). Er wie ich stehen auf Seiten derjenigen, die nicht vergessen, das wir Menschen sind. Selbst wenn wir einander nicht mögen, könnten wir human & respektvoll miteinander umgehen. Dazu sind im eher idyllischen Bloggershausen auch nicht mehr alle bereit & fähig.

                                        

Freitag, 14. Februar 2025

Friday - Flowerday #7/25



Vor dreißig Wochen habe ich das letzte Mal das Begrüßungskomitee 
im Eingangsbereich meines Hauses freitags gezeigt
( nicht, dass da wöchentlich KEIN Blumenschmuck gestanden hätte ).




Jetzt musste es einfach mal sein,
denn es stehen wieder Hyazinthen in der Vase.
Und die hab ich schon lieber etwas von meinem Lieblingsplatz entfernt,
denn der Duft ist schon recht intensiv.











Die ersten Papageientulpen sind auch dabei.


Zur gestreiften Vase passt doch gut 
mein kleines holländisches Hasenmädchen, oder?


Dieser Blick bietet sich allen,
die mich besuchen kommen...

Euch entlasse ich damit in ein schönes Wochenende!

                                                                    

( Wer‘s noch nicht gemerkt hat: Auf den Fotos steht das falsche Datum: 
Ich war gestern beim Einrichten des Posts reichlich durcheinander…)

Nun aber wieder das übliche Linktool:

You are invited to the Inlinkz link party!

Click here to enter

Donnerstag, 13. Februar 2025

Great Women #407: Sybil Gräfin Schönfeldt

Die Frau, die heute vor 98 Jahren geboren wurde, ist mir in meinem Leben in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit öfter "über den Weg gelaufen", sei es als Journalistin, Förderin von Kinder- & Jugendliteratur und Kochbuchautorin: Der Name Sybil Gräfin Schönfeldt hatte dabei immer einen guten Klang.

"Schau dich um, sei aufmerksam, 
guck, was um dich herum passiert, 
denk nicht nur an dich!"

Anna Sybil Gräfin Schönfeldt kommt also am 13. Februar 1927 als Tochter der 21jährigen Carmen Sackermann und des österreichischen Reichsgrafen Carl von Schönfeldt, bei ihrer Geburt 29 Jahre alt, in Bochum zur Welt. Die Mutter, Tochter eines Sohnes eines Zuckerbarons & Plantagenbesitzers in Manila auf den Philippinen, stirbt Ende März des Jahres, sieben Wochen nach der Geburt des Babys, an einer Sepsis, damals unter dem Namen "Kindbettfieber" bekannt und vor hundert Jahren noch eine der häufigsten Todesursachen bei frisch gebackenen Müttern.

"... ich hab' ja dadurch, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist, auch den Tod als frühen Begleiter. Das ist immer erwähnt worden. Immer stand jemand und sagte 'Ach das arme Kind' oder es sagte irgendjemand, 'Das hätte deine Mutter aber nicht getan'. Das heißt also, ich hab' von Anfang an miterlebt, wie lebendig der Tote sein kann." ( Quelle hier )

Der Vater hat mit dem österreichischen Adelsaufhebungsgesetz von 1919 das Recht auf seine Titel verloren gehabt und um 1920 den Familienbesitz Schloss Hornegg südlich von Graz / Steiermark in Richtung Deutschland auf der Suche nach einer Existenzgrundlage verlassen. Auch bei den Großeltern mütterlicherseits hat es durch den 1. Weltkrieg einen Bruch in der Geschichte der Familie gegeben. Die Großmutter Sophie Sackermann, vom Großvater Carlos noch vor dem Krieg geschieden, kehrt nach Deutschland zurück und heiratet dort Elbert "Elli" von Gorrissen, einen Kavallerie-Offizier, Garde Ulan aus Hamburg, wo er aus ein typischen Familie voller Kaufleute, Seefahrer, Konsuln mit lauter mehr oder weniger exotischen Frauen stammt. Gemeinsam bekommen die Großeltern noch einen Sohn, und dieser Großvater ist es, der sich kümmert um das kleine Mädchen, zukünftig alles zahlt, was zu zahlen ist, und wird von ihr von Herzen geliebt.

ca. 1917
Die Schwester der Großmutter, Friederike, holt die kleine Sybil nach dem Tod ihrer Mutter, in ein kariertes Plaid gehüllt, ab, um sie nach Nassau an der Lahn zu bringen. Dort, damals ein 3000-Seelen-Städtchen, wächst sie in der zeitüblichen Knappheit bei dieser Großtante & ihrer Oberin, zwei pensionierte Rote-Kreuz-Schwestern, bis 1933 auf. Sie fühlt sich geborgen in der Gemeinschaft und vermisst Vater & Mutter eher nicht.

Anschließend wird von der Familie entschieden, dass Sybil bei ihrer mütterlichen Großmutter und ihrem Stiefgroßvater in Göttingen in deren Wohnung in der Herzberger Landstraße leben soll. Dort besucht sie die Albanischule, eine Volksschule. 

Der Vater führt derweil ohne seine Tochter sein eigenes Leben und arbeitet bei der deutschen Filmgesellschaft Ufa als Pressesprecher. Als er zum zweiten Mal heiratet - ein "Ufa-Sternchen", so Sybil - wird das siebenjährige Kind nach Berlin geholt, "um endlich eine Familie zu haben." Dort bleibt sie Außenseiterin und hat nur mit der ebenfalls ausgeschlossenen jüdischen Mitschülerin Kontakt, bis diese verschwindet. Weil sie nicht so recht zum Lebensstil des Vaters passt, kommt sie letztendlich wieder zurück zur Göttinger Großmutter, die Sybil als Ersatz für die verlorene Tochter schätzt und an die glanzvolle Zeit, die sie, reich & angesehen, auf den Philippinen verbracht hat, erinnert. Den Schwiegersohn macht sie zeitlebens für den Tod ihrer schönen Tochter verantwortlich, so dass der den Kontakt so minimal wie möglich hält.

"Aber wenn ich an diese Zeit zurückdenke, so sehe ich, wie ich instinktiv das vermutlich Einzige tat, das mich rettete: überschwängliche Liebesbeteuerungen und Wegducken." ( Quelle hier )

Später besucht sie ein Lyzeum, das heute das Hainberggymnasium am Friedländer Weg ist. Ihre Jugend empfindet sie als "unbehaust", sieht darin aber auch die Grundlage dafür, dass sie sehr selbständig & selbstbewusst wird.

Mit siebzehn Jahren, kurz vor dem Abitur, wird sie Anfang November 1944 zum - längst sinnlosen - Reichsarbeitsdienst nach Oberschlesien eingezogen. Die Großmutter gibt ihr für die lange Reise außer dick belegten Butterbroten und wollener Unterwäsche den Satz mit auf den Weg: "Denk immer daran, anständig bleiben!" Für den Großvater ist sie jetzt Soldat ( "Ein Soldat harrt dort aus, wohin ihn die Pflicht stellt." ), weil sie Uniform trägt, und er stellt den Einsatz nicht in Frage, obwohl die russische Armee unaufhaltsam gen Westen rollt.

Ihre Autobiografie "Sonderappell", die 1979 erscheinen wird, ist eine Abrechnung mit dieser Zeit und dem Drill der Mädchen in dieser Institution. Sie erlebt Furchtbares bei den Rückzügen der sogenannten Volksdeutschen "heim ins Reich", die auf den Bahnhöfen zu betreuen ihr zugeteilt worden ist. Sybil schildert im Buch ihre Entwicklung von einer überzeugten Hitler-Anhängerin zur politischen Autorin, die sich schämt, nicht eher das Grauen des Regimes erkannt zu haben. Das Buch wird nicht nur positiv aufgenommen:

"Die Beteiligten haben mich natürlich aufs Korn genommen und haben gedroht, haben angerufen und gesagt, das sei Nestbeschmutzung.... Und es hat sich herausgestellt, dass die Führer und Führerinnen des Reichsarbeitsdienstes keine Parteigenossen werden mussten, infolge dessen hatten all die jungen Leute eine schneeweiße Weste. Sie waren Anfang und Mitte 20 und waren Heimleiter oder so was Ähnliches und sind ohne mit der Wimper zu zucken in die deutsche Pädagogik hinübergegangen, sind Lehrer geworden, Geschichtslehrer geworden. Sie haben ihrerseits wieder Heime geleitet und sie haben alle Unterlagen, Arbeitslisten und so weiter sichergestellt", erzählt sie später über die Reaktionen, die das Buch hervorgerufen hat. ( Quelle hier )

Das Kriegsende erlebt die junge Frau bei einer Freundin der Großmutter in Augsburg, wohin sie sich über Prag & Böhmen durchgeschlagen kann:

"Das war ein solches Glück, eine solche Freiheit. Davor war man immer in Organisationen, die ganze Zeit eingeteilt, ständig eingespannt. Und jetzt wieder ein einzelner Mensch, man musste nicht bei jedem Geräusch den Kopf einziehen, der Himmel war frei, keine Flugzeuge, keine Angst, kein Alarm. Man konnte endlich machen, was man wollte. Und lesen, was man wollte." ( Quelle hier

Nachdem sie einen Passierschein bekommen hat, kann sie im Sommer nach Göttingen heimkehren. Nach dem Übergangsabitur ( "mit einer gewissen Mühe" ) 1946 studiert Sybil zunächst an der Georg-August-Universität Göttingen Germanistik, Englisch und Kunstgeschichte, später in Heidelberg & Hamburg. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich selbst: "Ich habe stundenweise Hemden gebügelt, Hunde ausgeführt, Hamburger Stadtpläne handkoloriert.

1947 heiratet ihr Vater, der mittlerweile Nachrichtensprecher von Rot-Weiß-Rot unter dem Pseudonym Rudolf Hornegg ist, in Wien ein drittes Mal ( die spätere Organisatorin des Opernballs, Christl Arnold, übrigens ). Er überredet sie zum Studium in Wien:

"Mit Wien verknüpfe ich besondere Erinnerungen. Plötzlich hatte ich zwei Schwestern und einen lang ersehnten Bruder, mit dem ich viel und über alles reden konnte. Ich hatte, so könnte man sagen, ein richtiges Zuhause mit Geschwistern. Nachdem ich vorher nur bei alten Menschen gelebt hatte, stellte sich bei mir ein völlig neues Lebensgefühl ein."

In Wien promoviert sie 1951 über "Formprobleme in der Lyrik Josef Weinhebers". Es schließt sich ein Volontariat beim "Göttinger Tageblatt" 1952 an. Dann geht sie nach Hamburg. In den ersten Jahren ihrer journalistischen Tätigkeit gehört sie zur Redaktion der Frauenzeitschrift "Constanze" ( Vorgängerin der "Brigitte" ) und arbeitete unter anderem für den "Stern". Ihr erster Artikel für "Die Zeit" hat gleich große Wirkung: Ein Zehnzeiler über ein grässliches Kinderheim in einem düsteren Tal bei Göttingen führt zu dessen Schließung.

Der Feuilletonchef der "Zeit", Paul Hühnerfeld, beauftragt sie als eine der wenigen Frauen der Redaktion, über den gerade 1956 gegründeten Jugendbuchpreis zu berichten, bei dem sie Jurorin wird. Gemeinsam etablieren sie die Kinder- und Jugendliteraturkritik in der Wochenzeitung. Es sind die Jahre, in denen Kinderbuchverlage wie Dressler, Oetinger, Erika Klopp, Ravensburger und dtv junior von Frauen geleitet werden, und Sybil wird ein wichtige Figur dieser Szene. Aber nicht nur das: Sie übersetzt auch Klassiker aus dem Englischen wie "Alice im Wunderland" von Lewis Carroll oder Roald Dahls "Hexen hexen", Rudyard Kiplings "Dschungelbuch", Richard Carpenters "Catweazle, der große Zauberer", Charles Dickens und Edith Nesbit - insgesamt werden es 120 Titel werden. "Die Zahl der Übersetzungen war bei der Kinderliteratur am höchsten zwischen Ende 30 bis Anfang 50 Prozent."

In jener Zeit lernt Sybil den sechs Jahre älteren Kaufmann Heinrich Schlepegrell kennen, mütterlicherseits der Familie Mendelssohn verbunden, vom Vater her mit einer niedersächsischen Ur-Adelsfamilie aus Lüneburg. 1957 heiraten sie, bekommen 1959 einen ersten Sohn, Henry, und 1960 dann Ludwig. 

Um ihre Kinder betreuen zu können, kündigt sie "mitten auf dem Weg nach oben": "Ein schwieriger Entschluss, denn ich sollte gerade nach zehn Jahren in der Redaktion in die Chefetage der Constanze wechseln." Sie bleibt nun Freiberuflerin. Dankbar ist sie später für die daraus resultierende Erweiterung ihrer Themenkreise, darunter das "Knaurs Großes Babybuch" von 1969, "Knaurs Buch vom Kind" der Europäische Bildungsgemeinschaft von 1972 oder "Die Großmutter und ihr Enkelkind. Der moderne Ratgeber für Erziehung, Pflege, Beschäftigung" von 1975. Mit "Glückliche Kinder brauchen Großmütter" greift sie das Thema 1994 noch einmal ganz anders auf.

Die Gräfin Schönfeldt wandert als Künstlername auf ihre künftigen Buchtitel. 

Sie übernimmt das Lektorat der Romanredaktion der "Zeit" und wird Leserbriefredakteurin im Bauer-Verlag. Über Bauer gerät sie in die Welt der Kochbücher. Da der Verleger geizig ist, geht sie dafür in das Kochlabor von Maizena. Ihr erstes Kochbuch ist "Das Beyer-Kochbuch. Eine Kochlehre in Grundrezepten. Ernährungslehre, Küchen- und Vorratspraxis, Arbeitsmethoden" (1963).

Ihre Leidenschaft für die Esskultur und das Kochen dokumentieren heute allerdings viele andere Buchtitel, darunter die Rowohlt Taschenbuchreihe "koche froh mit rororo", die nun folgt und die sie einem breiteren Publikum bekannt machen. Bald ist sie in jedem bürgerlichen deutschen Haushalt zu finden. Das sind Ratgeber für Dicke, für junge Mütter und für überforderte Eltern gewesen mit sehr plakativen Titel und praxisorientiert: "Kochbuch für die Frau vom dicken Mann" ( 50 000 Exemplare auf Anhieb ), "Das Kochbuch für geplagte Mütter", "Das Kochbuch für die Frau die sparen will"

Die Leidenschaft für gutes Essen ist bei Sybil schon in frühester Kindheit gelegt worden. Keinen geringen Einfluss hat die Großtante Friederike gehabt. Die hat viele Rezepte und praktische Haushaltstipps in ein dickes rotes Buch geschrieben, das Sybil geerbt hat. Ihre Großmutter mit der philippinischen Vergangenheit, die "Manila-Oma", hat damals auch einiges notiert, später nur noch die Zutaten ( die Mengen hatte sie im Kopf ). Von ihr aus dem schwarzen Kochbuch wird Sybil später einige Reisgerichte übernehmen. Sie wird auch Gründungsmitglied der Zeitschrift "Essen & Trinken", die 1972 erstmals erscheint.  

1977 wird ihr der Große Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur verliehen.  Von 1981 bis 1984 ist Sybil Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur. 1987 Jahre kommt ihre Benimm-Fibel "Einmaleins des guten Tons" heraus und wird zum Bestseller. "Manche sagten damals zu mir 'Benimmpäpstin'"... "In den Achtzigerjahren war das ein "Kotz-Kotz-Thema". Wenn du dann auch noch Gräfin heißt, haben die Leute sofort ein völlig falsches Bild. "

"Gutes Benehmen ließe sich für alles missbrauchen, instrumentalisieren. Um sich einzuschmeicheln, besser zu verkaufen oder die Welt zu belügen. Hitler habe schließlich auch zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele einen Frack getragen. Der Kern sei wichtig. Das sittliche Empfinden, Wahrhaftigkeit und Echtheit. Moral und Manieren als Basis für den Umgang miteinander. Beides. Nur Moral sei unerträglich und nur gute Manieren seien auch zu verachten", sagt sie im Alter an dieser Stelle.

Von 1989 bis 1991 unterrichtet Sybil Gräfin Schönfeldt dann künftige Journalisten an der Henry-Nannen-Schule in Berlin. 

1990er Jahre

Für die Rowohlt Monografien verfasst sie 1987 ein Porträt der Astrid Lindgren ( neun Auflagen bis 2003; 2007 neu überarbeitet ):

"Der Oetinger Verlag hatte im Hamburger Pressehaus auch sein Büro und ich lernte Astrid kennen, als sie dort zu Besuch war. Wir redeten nur über Bücher, und als ich die Monografie schrieb, merkte ich, wie wenig ich sie nach so vielen Jahren als Mensch kannte. Sie lud mich nach Schweden ein in ihr Sommerhaus, Anfang der Achtzigerjahre. Und erzählte mir zuletzt, dass sie nach Stockholm gegangen war, um da ihr uneheliches Kind zu bekommen. Davon hatte in Deutschland noch niemand gehört. In Schweden wurde es durch eine unautorisierte Biografie bekannt, und sie war wütend: "Es geht niemanden was an." Sie hatte dafür gesorgt, dass diese schwedische Biografie in Schweden blieb und nicht übersetzt wurde. Mich hat immer aufgeregt, dass dieses Thema aus der Sicht der Männer beschrieben wird - nicht, dass da ein älterer Mann eine junge Frau ausnutzt. Darum habe ich gerade noch einmal meine Erinnerungen über sie aufgeschrieben." ( Quelle hier )

Ihre Hingabe zur Esskultur und dem Kochen belegt auch ihr 2010 erscheinendes "Zu Tisch, zu Tisch!", eine wunderbare Kulturgeschichte der Küche, des Kochens und des Essens, die den Leser durch das 20. Jahrhundert begleitet und zeigt, was wann in Mode gekommen, erfunden, vergessen worden ist und wie die Küche nach ideologischen Gesichtspunkten gestaltet und bewirtschaftet worden ist - eine Fundgrube bisher weitgehend unbeachteter Alltagsgeschichte, finde ich.

Seit 1960 lebt Sybil in einer alsternahen Dachwohnung in Hamburg - Winterhude, in der sie lange Zeit selbst die Gastlichkeit pflegt - am ehesten ihre Heimat: 

"Wenn ich mich in meinem Zuhause umschaue: Ich habe den Schreibtisch meiner Großmutter, das Bücherregal der Großtante, die Bilder vom Ururgroßvater. Wenn man so etwas um sich hat, ist es leichter, von Heimat zu sprechen. Der Blick auf die Wurzeln der Familie gibt Halt. Auch in Zeiten des Sturms." ( Quelle hier )

Dort betreut sie auch über mehrere Jahre ihren kranken Ehemann, bis der  am 27. März 2007 zuhause im Kreise seiner Familie stirbt."Heinrichs Tod hatte damit begonnen, dass er nicht mehr wusste, wer ihm gegenüber saß..." Ihren 80. Geburtstag und die Goldene Hochzeit haben sie im letzten gemeinsamen Jahr noch begehen können.

Je größer die Trauer und folgenreicher das Altwerden, desto mehr fordert sie von sich, trotz schlechter Gesundheit mit preußischer Disziplin weiterzuarbeiten: "Wenn du dich erst gehen lässt, bist du verloren". Sie schreibt bis zuletzt nicht am Computer, sondern mit einem penibel gespitzten Bleistift,  linkshändig. 

2020













2018 kommt, basierend auf den eigenen Erfahrungen, das "Kochbuch für die kleine alte Frau" heraus. Im gleichen Jahr der "Knigge für die nächste Generation", 2019 das "Kochbuch für den großen alten Mann"  und schließlich 2023 "Er und ich. Erinnerungen", in der sie Anekdoten & Geschichten aus ihrem Leben mit denen aus dem ihres Mannes bzw. aus ihrer gemeinsamen Zeit als Paar & Familie verknüpft hat.

Als es veröffentlicht wird, ist sie schon tot, gestorben mit 95 Jahren nach kurzer Krankheit am 14. Dezember 2022, anschließend bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof...

Ich war überwältigt, als ich hier die Liste all dessen studiert habe, was Sybil Gräfin Schönfeldt geschrieben hat. Daraus ablesen lässt sich auch, welche Rolle, welchen Einfluss sie auf das bundesrepublikanische Alltags- wie Literaturleben gespielt und gehabt hat. Da ist es mir auch sehr schwer gefallen, meine Darstellung zu straffen. 

                                                              

Und nun wieder zu den alten Frauenporträts auf meinem Blog -
alles Frauen, für die ein Gedenktag angestanden hat: