Mittwoch, 2. Juli 2025

Bücherlese Juni

Was war das für eine Leseausbeute in diesem zurückliegenden Monat! Täglich mehr habe ich mich auf meine Lektüre gefreut, und manchmal war sie mein Höhepunkt in einem schlichten Alltag...
"Und es liegt an uns, 
der Literatur einen Platz
 in unserem Leben einzuräumen. "
Daria Razumovych

Der Bücherstapel des Monats Juni war nicht wirklich fotograble, nur ein Hochformat hätte geklappt.  Also habe ich ihn aufgeteilt, ein bisschen nach Genres sortiert.



Zunächst ein kleinerer Stapel zum Thema Zeitgeschichte & Vergangenheitsbewältigung mit dem beeindruckenden "Non-Fiction-Comic" von Nora Krug: "Heimat. Ein deutsches Familienalbum ". Den habe ich hier schon einmal vorgestellt. Auf außergewöhnliche Weise, nämlich mit Zeichnungen, Fotos, Typographie hat sie ihre Suche & Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte festgehalten. Mir hat das so gut gefallen, dass ich das Buch mittlerweile öfter verschenkt habe. 

Gefallen hat mir auch Jürgen Wiebickes "Sieben Heringe", der darin die Geschichte seiner Eltern aufrollt, die während der Zeit des Nationalsozialismus im Alter meiner eigenen gewesen sind, nur sind die Rollen vertauscht: Vater Flüchtling, Mutter alteingesessen. Schon von daher hat es mich sehr berührt, denn die dargestellten Konflikte kannte ich nur zu gut. Es macht auch verständlich, wie unsere Altvorderen so geworden sind, wie sie es waren ( und meiner Generation auch oft auf die Nerven gegangen sind ). 

Ein reines Sachbuch ist hingegen "Die Enkel des 20. Juli 1944" von Felicitas von Aretin, das den Umgang mit den Angehörigen der Mitglieder dieser Widerstandsgruppe im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland aufzeigt und zehn Nachkommen zu Wort kommen lässt, darunter z. B. David Heinemann, Enkel von Julius Leber, der 1974 den ehemaligen Nazi-Richter, damals Bundesratspräsident, Fritz Filbinger zu ohrfeigen versuchte. Sehr informativ, auch was die schleppende Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit anbelangt ( und deckt sich mit den Erfahrungen, die Hilde Domin - siehe weiter unten - machen musste ).

"Amrum" vom Filmemacher Hark Bohm passt nur insofern auf den Stapel, als die letzten Tage des 2. Weltkrieges den Hintergrund abgeben für eine Coming of Age - Geschichte eines Zehnjährigen auf der Insel, der hin- und hergerissen ist zwischen der ideologischen Verbissenheit seiner Mutter und der kritischen Haltung der Insulaner, seiner Liebe zu ihr und seiner Sorge um ihr Wohlergehen. Ein paar Ereignisse bzw. Personen nach Kriegsende werden mir für meinen Geschmack zu nebensächlich abgehandelt oder bekommen nicht mehr Gewicht als die Rangeleien zwischen Flüchtlings- & Inselkindern. Das ist plakativ, für ein Filmdrehbuch ( der Film wurde in Cannes vorgestellt und kommt im Oktober ins Kino ) gemacht, sprachlich nicht außergewöhnlich und lässt sich leicht lesen. Bei den Beschreibungen der Flora & Fauna des Wattenmeeres kommt der Vogelkenner Bohm durch. 

Sprachliche Besonderheiten hatte ich mir von Saša Stanišic' "Vor dem Fest" erwartet, das auf meinem nächsten, größeren Stapel liegt. Es erzählt vom uckermärkischen Fürstenfelde nach der Wende und im weit zurückliegenden 16. Jahrhundert, hat ein paar interessante Charaktere und gibt Einblick in ostdeutsche Befindlichkeiten. Und das geschieht auch mit Humor, aber nicht in dem Maße, wie ich es vom Autor bisher kannte. 

J.L.Carrs "Ein Monat auf dem Land" spielt ebenfalls in eher abgelegenen, ländlichen Breiten, nämlich in Yorkshire in einer Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg. Das Werk hat den Umfang einer Novelle, kann also an einem langen Abend gelesen werden. Auch hier wieder Protagonisten von ganz eigenem Wesen, aber mit einem liebevollem Bemühen umeinander, so dass Heilung einer verstörten Seele, nämlich der Hauptperson der Geschichte, möglich wird. 

Dieses zärtliche Miteinander, auch ohne große Worte, hat mich letztendlich auch bei Alana S. Porteros "Die schlechte Gewohnheit" beeindruckt. Ihr Buch der Kategorie Coming-of-Age-Roman erzählt von einer mir in jeder Hinsicht fremden Welt, nämlich der der Arbeiterklasse in den betonlastigen Wohnmaschinen der städtischen Außenbezirke Madrids, in der das Abweichen von deren Normen gerne Gewalt hinter sich herzieht. Es handelt von Rollenvorstellungen und ihren Grenzen für das Individuum, von sexueller Identität und auch von dem Mut, als Mädchen im Körper eines Jungen trotz herber Niederlagen für sich das Anderssein schließlich doch in Anspruch zu nehmen. Ein Plädoyer für die Vielfalt menschlichen Seins & seine Würde!

Noch fremder war mir die Welt in Chris Adrians "Die große Nacht", frei nach Shakespeares "Sommernachtstraum". Da bewegen sich in San Francisco drei Stadtneurotiker wie auf LSD durch ein Hieronymus-Bosch-Szenario, welches das Elfenreich der Titania unter dem Buena Vista Park beisteuert. Meine visuellen Fantasien hat das sehr gefüttert, aber auf Dauer auch überfordert mit den verschiedenen Handlungsebenen: Ich hab zum Schluss nicht alles verstanden. Aber das geht mir beim "Sommernachtstraum" auch so, und der ist DAS Theaterstück, von dem ich nicht genug bekomme, weil es mich noch tagelang gedanklich zu beschäftigen vermag.

Bestimmt nicht alles nachvollziehen konnte ich auch an der "Trauerarbeit" von Helen Macdonald in "H wie Habicht". Ich habe mich selbst überrascht, so sehr habe ich mich faszinieren lassen von den Versuchen der Autorin, nach dem Tod ihres Vaters einen Habicht abzurichten. Es sind ihre Schilderungen der Natur, aber auch ihre Ausflüge in die Literatur- & Kulturgeschichte Englands ( zu T. H. White z.B., dessen Artus - Roman ich in jungen Jahren verschlungen habe ), die mich angesprochen haben. Und auch, weil es elegant erzählt wird. ( Nicht mehr auf dem Foto, da in den öffentlichen Bücherschrank gewandert und innert eines Tages dem entnommen. )

Um Trauer geht es in gewisser Weise auch in Maggie O'Farrells "Ich bin, ich bin, ich bin: Siebzehn Berührungen mit dem Tod", dessen einzelne Episoden für mich teilweise harter Tobak waren, auf jeden Fall zu Herzen gingen und dazu gut geschrieben sind. Im weitesten Sinne um Trauer geht es ebenso bei Fabio Andina: In "Davongekommen" nutzt er die Erzähltechnik des Bewusstseinstroms, also innere Monologe & assoziative Gedanken, um seine Verarbeitung der Trennung von seiner Frau und vor allem seinem kleinen Sohn zu schildern. Das ist bisweilen bizarr und man muss sich darauf einlassen. Ich musste schon manches Mal nach Luft schnappen, wenn er die Fahrten unter Alkohol- & Tabletteneinfluss die Serpentinen hoch zu seiner alpinen Hütte unternimmt. Identifizieren konnte ich mich durchaus. Das Buch ist aber keinesfalls vergleichbar mit  dem kontemplativen "Tage mit Felice".


"Ich möchte die Pracht der Welt einfangen können, wenn die Sonne vor ihrem Untergang auf das Gras fällt. Ich möchte beschreiben, wie grün das Gras ist und die schönen Dinge, die ich um mich herum sehe, die bedauerlicherweise nicht länger existieren als der Augenblick, da ich sie erblicke." So Margarita Liberaki.

Mit ihrem Buch "Drei Sommer" - noch ein  Coming-of-Age-Roman - bin ich ein weiteres Mal nach Griechenland "gereist" wie in insgesamt elf Sommern in meinen jüngeren Jahren. Das Buch ist in den 1940er Jahren geschrieben worden und im Ursprungsland ein Klassiker. Die damaligen Gegebenheiten im pastoralen Umland von Athen im Pendeli - Gebirge sind so, wie ich sie Mitte der 1970er Jahre auch noch vorgefunden habe. Die so erinnerte Idylle habe ich genossen. Eindrücklicher sind in Liberakis Roman aber die drei Schwestern auf der Suche nach der für sie passenden Rolle als Frau. Dadurch ist er geradezu zeitlos. Und die Art & Weise, wie Margarita Liberaki das schildert, mit Gerüchen, Geschmäckern, Geräuschen, Bildern und Empfindungen in so feinen Nuancen, hat mir als Leserin viel Freude gemacht und Verständnis & Identifikation ermöglicht. Ein lyrischer, weiblich-emanzipatorischer Blick auf eine männerdominierte Welt, der wir noch nicht entgangen sind! Die Antwort auf die Frage, wie man in einer Gesellschaft nach seiner Vorstellung leben kann, deren "Gesetze" doch nach wie vor gerne von anderen geschaffen werden, ist ja immer noch nicht leicht zu geben...



Ein besonderer, kleiner Stapel gilt u.a. zwei Monografien zu bemerkenswerten Frauen, die ich in meinen Blog vorstellen wollte. Beide unheimlich umfangreich und detailliert, kunst- bzw. literaturgeschichtlich fundiert, aber auch etwas ermüdend: Susanna Partsch "Artemisia Gentileschi" und Marion Tauschwitz "Hilde Domin - Das ich sein kann, wie ich bin". Das ist dann eher was für Leute, die recherchieren wie ich. 

Etwas ganz Besonderes, das ich nicht unbedingt einordnen kann, ist das Gemeinschaftswerk von Klaus Willbrandt, dem Kölner Antiquar, und Daria Razumovych, der fünfzig Jahre jüngeren Digitalberaterin & freien Lektorin, "Einfach Literatur. Eine Einladung." Besonders ist das Buch nicht nur, weil ich persönliche Bezugspunkte zu Willbrandt habe, sondern weil es ein Kompendium ist, das einen an Literatur als Kunst heranführen möchte. Manchmal braucht's da eine "Hebamme". Wer sich darauf einlassen mag, findet neben der berührenden persönlichen Geschichte der Autor*innen und ihrem kurzen, aber fulminanten Auftritt in den social media ganz viele Hinweise zu empfehlenswerten literarischen Werken. Ich hab das Buch noch am Ersterscheinungstag verschlungen und anschließend manches aus den Bibliotheksregalen des Herrn K. gezogen. Wer in puncto Lesen einen Schritt weitergehen und eventuelle schulische Traumata überwinden will: Meine Leseempfehlung!

Klaus Willbrand und Daria Razumovych und ihr Instagram Account kamen für mich persönlich genau zur rechten Zeit und waren einer der Impulse, die mich - nach einer längeren Zeit mit Lektüre in homöopathischen Dosen, streng zielgerichtet im Hinblick auf meine Great-Women-Posts, - wieder zu der  gemacht haben, die ich einstens gewesen bin. An dieser Stelle ein großes Dankeschön!

                                                                                  

7 Kommentare:

  1. das gefällt mir gut, deine buchvorschläge zu lesen, habe gleich einige unbekannte bücher notiert. ja, liebe astrid, was täten wir ohne bücher, die unser leben begleiten? in diesen tagen der hitze ist es besonders gut im kühlen ein buch zu lesen. herzlichen gruß, roswitha

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  2. "H wie Habicht" gehört zu meinen (zahlreichen) Lieblingsbüchern. Ich habe es schon zweimal gelesen und dann im Nachgang auch alle Artus-Romane, von denen mir die späteren allerdings wirklich zu grausam und schrecklich waren.
    LG
    Centi

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    1. Interessant! Die Autorin habe ich jedenfalls auf dem Schirm.- Ja, was hat man früher vieles Grausames hingenommen. Ich hab ja vor einiger Zeit einen Versuch gestartet und einen Karl May- Band aus dem Bücherschrank mitgenommen und mich nur über mich und meine damalige Wahrnehmung gewundert.
      GLG

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  3. ohne Buch kein Leben zumindest undenkbar ich finde Bücher, Bildbände, Romane, Bilddokumente unumgänglich - wichtig informatives - für den Geist. in manch Haushalten hingegen kehrt man ein und entdeckt sehr erstaunt °nichts zu lesen - kein Regal in dem man schmökern, blättern - sich etwas zum lesen aussuchen kann ist kaum zu verstehen. Ist dir schon mal begegnet dass jemand seine Bücher nach den Farben der Buchrücken sortiert?;_) und selbst noch nie darin gelesen hat? - das gibt es auch -
    Interessant deine Buchvorschläge - sehr abwechslungsreich und unterschiedlich - ein Fundus ohnegleichen in deinen Buchregalen und Wänden.
    ja was täten wir tatsächlich hätten wir keine Bücher zum lesen...
    ich bin heute noch meiner Mutter dankbar, dass sie mich zum lesen verführt und angehalten hat, aber ich glaube nicht, dass es nötig gewesen wäre...
    ich hätte das Lust am lesen frühzeitig entdeckt und damit nie Inne gehalten...
    liebe Grüße herzlich Angel...

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    1. Du darfst lachen: Ich habe in den drei hohen schmalen roten Regalen rund um mein Bett alle Bücher in rotes Papier eingeschlagen. Initiierend war die Brigitte-Edition von Elke Heidenreich in rotem Leinen. Dann mussten meine zahlreichen Lyrik-Bände dran glauben, ergänzt um ebenso rot eingebundene von Klassikern des Aufbau-Verlages, damals noch DDR.
      Mein Mann hatte seine Sammlung an Mathebüchern nach Farbe sortiert und die Edition Suhrkamp mit ihren regenbogenfarben bot sich dafür geradezu an. Meine Augen müssen auch ein Vergnügen an den Buchschätzen haben.
      LG

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  4. Du hast ja wirklich einen guten Stapel Bücher verschlungen und sehr vielfältig!
    Ich muss und möchte Dir ganz herzlich für Deine Post danken, die gestern hier eintrudelte! Tausend Dank für den neuen Lesestoff. H. McDonalds H wie Habicht kenne ich. Damit hatte ich allerdings meine Probleme, denn die "Zähmung" des Habichts ist ziemlich heftig. Aber ich glaube, dieser Titel (Abendflüge) könnte definitiv etwas für mich sein. Aber ich glaube, ich muss Dir mal ein paar Lesezeichen machen!
    Und dass Du die hübsche Karte noch nachgesendet hast...
    Ganz herzlichen Dank nochmal!
    Mit lieben Grüßen und ich hoffe, Du hast diesen Hitzetag (fast) überstanden, hier ballen sich schon Gewitterwolken.
    Nina

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  5. Was warst Du ein fleißiger Bücherwurm liebe Astrid,
    so viele Bücher, Wow.
    Da sind einige dabei, die mich auch interessieren würden, kommen auf die Liste.
    Ganz lieben Gruß
    Nicole

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