Donnerstag, 10. Juli 2025

Great Women #423: Artemisia Gentileschi

Artemisia! Welch ein Name, welch ein Klang! - So richtig auf sie aufmerksam geworden bin ich, als mein Mann von einer Abiturprüfung in Kunst, bei der er den Vorsitz geführt hatte, eine farbige Fotokopie nach Hause mitgebracht hatte: "Judith enthauptet Holofernes". Was für eine Kraft in Gestik und Mimik! - Schon lange will ich diese größte Malerin des Barock porträtieren, ist sie doch wie Frida Kahlo & Camille Claudel eine der Ikonen der Frauenbewegung und wichtiger Bestandteil der feministischen Kunstgeschichte. Jetzt ist sie endlich "dran", zwei Tage nach ihrem 432. Geburtstag...

( 1612/13; Museo di Capodimonte, Neapel )

"Ich bin eine Frau mit der Seele eines Cäsaren in der Brust."

Artemisia Gentileschi kommt also am 8. Juli 1593 in Rom zur Welt. Da heißt sie eigentlich mit Nachnamen Lomi, den Gentileschi ist nur der Künstlername ihres Vaters Orazio, der ihn von seinem mütterlichen Onkel entlehnt hat. Dreißig Jahre ist der alt und verheiratet mit Prudenzia Montone. Prudenzia entstammt einer angesehenen römischen Familie und ist mit einem Maler namens Sebastiano Guerra verlobt gewesen. Aber der stirbt, sie wird per Testament seine Alleinerbin und kann so bei der Hochzeit mit Orazio diesem eine komplett eingerichtete Werkstatt sowie einen ersten Auftrag mitbringen.

Orazio Gentileschi selbst stammt aus Pisa, ist Sohn eines Goldschmieds und zwischen 1575 und 1578 über Florenz nach Rom gekommen, wo er bei jenem Onkel Gentileschi lebt und um 1588/89 an der Ausstattung der Bibliothek des Vatikans als Gehilfe beteiligt ist.

Die Eltern

Zum Zeitpunkt von Artemisias Geburt sind die Eheleute ein Jahr verheiratet. Sie ist ihr erstes Kind, der Bruder Giovanni Battista folgt 1594, lebt aber nicht lange, ebenso ein zweiter Bruder gleichen Namens, 1601 zur Welt gekommen. Guilio (*1595), Francesco (*1597) und Marco (*1604) heißen die Brüder, die über die Kindheit hinaus kommen und Artemisia auch später begleiten werden. Die hat übrigens ihren Namen von der Taufpatin Artemisia Capizucchi, einer Patrizierin, erhalten, als sie zwei Tage nach der Geburt in der Kirche San Lorenzo in Lucina getauft wird. Die Eltern wohnen zu diesem Zeitpunkt in der Via di Ripetta im Künstlerviertel in der Nähe der Piazza del Popolo und dem Tiberufer. 

Rom ist zu dieser Zeit eines der wichtigsten Zentren der Künste, in dem immer noch an der monumentalen Peterskirche gebaut wird. Aus allen Teilen Europas drängen die Künstler in die Stadt, und es geht mitunter recht rau & rüpelhaft in dieser Künstlerszene zu: Der Fall des Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, der in zahlreiche Gesetzeskonflikte verwickelt gewesen ist und nach einem Streit mit gewaltsamem Ende 1606 aus der Stadt verbannt worden ist, ist da nur die bekannteste Spitze eines Eisbergs. Auch Artemisias Vater, der seit 1600 mit Caravaggio bekannt ist, ist in Gerichtshändel  wegen Verleumdung verwickelt und kommt deshalb auch in Haft.

1604 wird Orazio Mitglied der Academia di San Luca und später der Congregazione dei Virtuosi al Pantheon und gehört damit zur ersten Garde der Maler der Stadt. Bei der Geburt eines weiteren Kindes stirbt seine Frau dreißigjährig. So wird Artemisia Weihnachten 1605 mit zwölf Jahren Halbwaise - spätestens da dürfte ihre Kindheit zu Ende gewesen sein. Sie wird sich im Haushalt betätigen müssen, später mit Unterstützung durch eine verwitwete Schwester ihres Vaters.

"Susanna e i vecchioni/
Susanna und die beiden Alten"
Dass er das Mädchen auch im Malen unterrichtet hat, tut der in seinem späteren Werbe - Brief an die Großherzogin der Toskana 1612 kund. Doch ihre Tätigkeit in der väterlichen Werkstatt hat bereits früher begonnen, hat sie dort die Entstehung eines Gemäldes gut beobachten können, angefangen beim Reiben der Farben, beim Präparieren des Malgrundes, der Behandlung von Kupfertafeln bis hin zum endgültigen Bild.

Ihr Vater hat zwar als Freskenmaler begonnen, doch einzelne Bilder lassen sich auf dem sich entwickelnden Kunstmark leichter verkaufen. So wendet er sich der Malerei mit Ölfarben zu. Artemisia selbst wird Kopien anderer Werke anfertigen, für die gute Preise erzielt werden können. 

1610 signiert sie immerhin ihr erstes Bild "Susanna und die beiden Alten" mit eigenem Namen, das als ihr inoffizielles Gesellenstück gilt, denn damit stellt sie ihre Kompetenz als Malerin unter Beweis. Siebzehn Jahre ist sie jetzt.

Es ist ein Motiv aus der biblischen Geschichte, gerne gewählt, denn es bietet die Gelegenheit einen aufreizenden Frauenakt zu präsentieren und ist zuvor in Venedig ein Verkaufsschlager unter den Gemälden geworden. Artemisias Gestaltung legt nahe, dass sie andere Bildnisse durch eigene Anschauung, Reproduktionen oder Zeichnungen ihres Vaters kennengelernt hat. Einzelne Gesten hat sie von Rubens übernommen, die starke Abwehrhaltung der jungen Frau von Michelangelos "Sündenfall" in der Sixtinischen Kapelle. Auch dieser dürfte ihr von in Rom zirkulierenden Reproduktionen bekannt gewesen sein. Auf jeden Fall legt sie ein außerordentliches Selbstbewusstsein an den Tag, indem sie einen der allerangesehensten Künstler zitiert. Durch diese Haltung übrigens fehlt im Bild die bei männlichen Künstlern ( und ihren Abnehmern ) so beliebte Ambivalenz zwischen Ablehnung & Lust. Artemisias Aktmalerei wird besonders begehrenswert ( wie auch ihre anderen aus dieser Zeit ) für männliche Interessenten, dass das Bild eben durch die Hand eine Frau entstanden ist.

Das Gemälde ist nicht das einzige, welches Artemisia in Rom geschaffen hat, aber das einzige, das sie signiert hat: Fünf weitere sind bekannt, darunter eine "Maria mit Kind", das in den noch zur Sprache kommenden Prozessakten Erwähnung finden wird.

Ja, dieser Prozess 1612... fast so bekannt heutzutage wie die Gemälde der Künstlerin! Es ist also unumgänglich, auch hier davon zu schreiben:

"Selbstporträt"
(1611)
Zu der Zeit, als Artemisia mit ihren eigenen Bildern ins Gesichtsfeld möglicher Käufer gerät, arbeitet ihr Vater mit Agostino Tassi an einer Deckenbemalung im Quirinalspalast zusammen, der deshalb häufig zu Gast im Hause der Gentileschi ist. Tassi ist bei ihrer Kooperation für die Architekturmalerei zuständig und geeignet, Artimisia in der Kunst der Perspektive zu unterrichten. Der Maler ist moralisch gesehen kein unbeschriebenes Blatt in der römischen Kunstszene, ist er doch in Haft gewesen wegen Unzucht mit seiner Schwägerin, der Schwester seiner Frau, die ihn zuvor verlassen hat.

Die Gentileschi sind inzwischen zusammen mit Tuzia Medaglia, die die Rolle einer Anstandsdame für die junge Malerin übernommen hat ( mehr schlecht als recht, wie sich später herausstellen wird ), auf die andere Tiberseite in die Borgo Santo Spirito gezogen, wo auch Tassi lebt. 

Die Zusammenarbeit findet allerdings ein jähes Ende, als Orazio im März 1612 in einem Schreiben an den Papst den Malerkollegen beschuldigt, seine Tochter "gewaltsam entjungfert und mehrfach fleischlich erkannt hat."

"Die gewaltsame Entjungferung, der Stupro oder lateinisch stuprum, war die einzige Form der Vergewaltigung, gegen die damals Anklage erhoben werden konnte. Geschädigt war weniger das Opfer als der Vater, der seine Tochter nur noch unter schwierigen Voraussetzungen verheiraten konnte. Eine Form der Wiedergutmachung war die anschließende Heirat, eine andere eine hohe Geldzahlung, die dann als Mitgift diente," so Susanna Partsch in ihrer Biografie.

Rechtsbeistand in diesem Falle ist der florentinische Notar Giovanni Battista Stiattesi, der mit seiner Familie bei den Gentileschi wohnt. Der instruiert wahrscheinlich Orazio, aber auch Artemisia, was sie aussagen muss, um bei dieser Rechtsstreitigkeit erfolgreich zu sein. Die in diesem Prozess verwendeten Formulierungen finden sich nämlich gleichlautend in etlichen anderen Prozessakten jener Zeit. Artemisia schildert in dem Verfahren, das bis November 1612 andauert, "präzise und drastisch" die Handlungen, die Tassi am 8. Mai 1611 an ihr vorgenommen und wie sie sich dagegen gewehrt hat, zu guter Letzt mit einem Messer in der Hand drohend. Doch sie ist zu schwach, und als sie weint, verspricht ihr Tassi die Heirat. 

"Durch dieses gute Versprechen beruhigte ich mich und er erreichte dadurch, dass ich später mehrfach liebevoll seinen Wünschen nachgab, auch weil er sein Versprechen mehrfach wiederholte." ( Quelle hier )

Sie erwähnt auch in einem ersten Verhör, dass sie von Tassis Frau erfahren habe, er ihr aber versichert habe, sie sei tot. Tassi wiederum beschuldigt sie, eine Dirne zu sein, die mit mehreren Männern Verkehr gehabt hätte, aber nicht mit ihm. Bei einer Gegenüberstellung im Verfahren im Mai bleiben beide bei ihren Aussagen. Artemisia ist sogar bereit, sich der sibyllinischen Folter zu stellen. Dabei wird eine Kordel um die Finger gelegt und dann daran gezogen, dass die Finger gequetscht, aber nicht verletzt werden. Was für eine Qual, und das ausgerechnet bei einer Malerin! Die junge Frau bleibt bei ihren Aussagen.

In den Prozessakten gibt es einige Ungereimtheiten, letztendlich wird Tassi im 27. November verurteilt zu harter Arbeit, z.B. auf einer Galeere, oder zum Exil, aber nicht zu einer Geldzahlung. Er wählt das Exil, bleibt aber in Rom und verlässt die Stadt nach anderen gewalttätigen Auseinandersetzungen 1613 nur in Richtung Kirchenstaat.

Artemisia aber heiratet am Tag darauf, am 28. November, den sehr viel jüngeren Bruder ihres Anwalts, Pierantonio Stiattesi, ein Apotheker ( kein Maler! ), und geht mit ihm im Januar 1613 nach Florenz. Susanna Partsch will das nicht als Flucht gesehen wissen, denn ein solcher Prozess hat zur damaligen Zeit nicht so ein Echo, wie wir es heutzutage aufgrund der medialen Omnipräsenz gewohnt sind. Dem Florentiner Hof hat Orazio schon während des laufenden Prozesses die Ankunft & die Fähigkeiten seiner Tochter angepriesen, aber auch alle seine Zwistigkeiten mit Tassi geschildert, der ja zuvor schon in der Stadt tätig gewesen ist. Offensichtlich will er die Unterstützung unterbinden, die Tassi vom toskanischen Hof erhält.

"Autoritratto come suonatrice di liuto/
Selbstbildnis als Lautenspielerin"
(1615/17)

Ebenfalls schon im Sommer 1612 hat Orazio mit seinem Bruder eine Wohnung in Florenz gemietet und seiner Tochter in einem Ehevertrag ein Mitgift von tausend scudi angekündigt, mit denen eine Apotheke eingerichtet werden soll - allerdings nur, wenn Artemisia die Hoheit über die Finanzen behält. 

Die richtet sich im großen Haus ihres angesehenen Florentiner Schwiegervaters in der Via Reparata ein Atelier ein und bringt noch im September 1913 ihren Sohn Giovanni Battista zur Welt. Sein Taufpate aus einer angesehenen Florentiner Familie lässt den Schluss zu, dass Artemisia und ihr Mann in Kreisen von Humanisten & Künstlern verkehren. So soll der Taufpate für ihr zweites Kindes, Agnola ( 16. Dezember 1614 ) sogar Michelangelo Buonarroti der Jüngere werden. Doch Agnola stirbt noch am gleichen Tag, nur mit einer Nottaufe versehen. Elf Monate später kommt Christofano auf die Welt, der nur fünf Jahre alt werden wird, im August 1617 Prudenzia, und im Oktober 1918 Lisabella. Die wird nur acht Monate alt. Einzig Prudenzia wird ein Erwachsenenleben möglich sein.

Von ihren sieben Florentiner Jahren ist Artemisia also die meiste Zeit schwanger - eine große körperliche und vermutlich auch seelische Belastung. Umso erstaunlicher, dass sie in dieser Zeit am kulturellen Leben der Stadt teilnimmt, intensiv malt und darüberhinaus Lesen & Schreiben lernt. Sie scheint nicht nur eine Werkstatt unterhalten zu haben. Und sie gilt als äußerst kreditwürdig, ist sie doch Mitglied einer angesehenen Familie mit vielen Kontakten. Es gehört zu den auffälligen Gewohnheiten in den Künstlerkreisen damals, auf Kredit zu kaufen, Schulden, auch auf erste Mahnungen hin, nicht zu bezahlen und so Abhängigkeiten zu schaffen. Hat man/frau einen Gläubiger mit guten Verbindungen zum Hof, wird der sich dort für weitere Aufträge verwenden, in der Hoffnung, endlich so an sein Geld zu gelangen.

Der vielfach beschworene Eindruck, Artemisa habe in Armut gelebt, lässt sich aufgrund von vorhandenen Dokumenten nicht aufrechterhalten. Sie zeigen auch, dass Pierantonio nie als Apotheker gearbeitet hat, sondern als Artemisias Manager & Materialbeschaffer ( vergleiche auch mit Lavinia Fontana ). Schmuck und elegante Kleider benötigt die Malerin, um in höheren Kreisen verkehren zu können bzw. als Requisiten für ihre Gemälde, gleichzeitig bemüht sie sich dennoch, den Eindruck einer armen Künstlerin zu vermitteln. 

"Giuditta che decapita Oloferne/
Judith enthauptet Holofernes"
( 1613/14; Uffizien/ Florenz )

In Artemisias Florentiner Zeit fällt die Anfertigung der beiden Varianten von "Judith enthauptet Holofernes". Ob sie dazu von der Darstellung "Judith mit dem Haupt des Holofernes" ihres Malerfreundes & Pate ihres Sohnes Cristofano Allori animiert worden ist, muss unklar bleiben. Heute geht man eher davon aus, dass Artemisia, aus Rom kommend, den Florentiner Kollegen mit neuesten Moden & Stilmitteln bekannt gemacht hat. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sie noch in Rom Caravaggios Interpretation des Bibelthemas kennengelernt hat. Doch welch ein Unterschied! 

Es ist ein Lieblingsmotiv jener Zeit, die Darstellung der Überwindung des Starken durch den Schwachen ( Michelangelos David vor dem Stadtpalast! ) und ein Verkaufsschlager ohnegleichen. 

Artemisia wählt, anders als ihre Malerkollegen vorher, zwei jugendliche Frauen, die gemeinsam einen physisch sehr viel stärkeren Mann zu töten vermögen. Wenn das keine weibliche Sichtweise bezüglich einer solchen Tat ist! Auffällig ist der Unterschied zur ersten Fassung, malt sie doch physikalisch zutreffend, wie das Blut in die Höhe spritzt, wenn man eine Halsschlagader durchtrennt. Hat sie durch die Bekanntschaft mit Galileo Galilei, dem Universalgelehrten & Physiker, genauere Einsichten in die Naturgesetze gewonnen?

"Giuditta e la sua ancella/
Judith mit ihrer Magd"
(1613/14)

Die durch die Arme & Schwert gebildeten Parallelen lassen eine ganz andere Dynamik entstehen als bei anderen Malern. Daran lässt sich erkennen, zu welch Innovationen die damals gerade mal neunzehnjährige Künstlerin fähig ist. Auch die Darstellung solch kaltblütiger Gewalt ist neu, macht allerdings verständlich, darin eine Wut auf die Vergewaltigung abzulesen. Das ist aber eher eine Sicht aus unserer Realität heraus.

Übrigens ist die Neapolitaner Version die erste und beide sind kurz hintereinander entstanden. Für die Florentiner Fassung wählt die Malerin viel prächtigere Kleidung, Armband und goldenen Brokat, das Bettuch ist aus tiefroter Seide oder Samt.

Christofano Allori ist es, der engen Kontakt zu Michelangelo dem Jüngeren hat, der in seinem Palazzo im ersten Stock eine Ruhmesgalerie zu Ehren seines Großonkels einrichten will. Artemisia darf dazu als eine der ersten Künstlerinnen die "Allegorie der Begabung/Das natürliche Talent" (1615) beisteuern. Über Michelangelo lernt sie auch die damals berühmte Sängerin & Komponistin Francesca Caccini kennen. Bei der Aufführung ihres "Il ballo delle Zigane" im Fasching 1615 singt Artemisia eine der Rollen. 

Von links nach rechts: 
Christofano Allori, Michelangelo Buonarroti der Jüngere, Francesco Maria Maringhi












Am Hof Cosimos II. de’ Medici gibt es viele talentierte Persönlichkeiten, darunter eben auch Galileo Galilei, den ersten modernen Wissenschaftler, der in Florenz die volle Freiheit genießt, sich ganz der Forschung zu widmen. Es ist keine ungewöhnliche Freundschaft, die sich zwischen diesem und Artemisia entwickelt: Er ist ebenso begeistert für Kunst wie für die Naturwissenschaft, hat eine ausgeprägte Liebe zur Poesie und ist ein begabter Zeichner. Diese Sympathie wird durch einen Brief bestätigt, den Artemisia Jahre später aus Neapel an Galileo schreiben wird ( wird ihn allerdings gleichzeitig bitten, sich erneut für ihr Werk bei Cosimos Nachfolger Ferdinando einzusetzen ).

Der wichtigste Kontakt in Florenz dürfte für den Menschen Artemisia aber der zu Francesco Maria Maringhi gewesen sein. Dieser gleichaltrige Bankier, außerehelicher, einziger Sohn eines vermögenden Adligen, Teilhaber der Bank von Matteo Frescobaldi, ist mit sämtlichen Geistesgrößen in Florenz befreundet, die wiederum Kunden seiner Bank sind. Er besitzt eine Sammlung alter Manuskripte & Bücher so wie Kunstwerke. 

"Danae"
(1612)

Die existierenden Korrespondenz - ab 1617 durch Datumsangaben verifiziert -  zwischen ihm und Artemisia bzw. deren Ehemann belegen, dass er in finanzieller Hinsicht dem Paar immer wieder unter die Arme greift, aber auch auf andere Weise hilft. Ihn nennt sie allerdings nicht nur "Euer Hochwohlgeboren",  sondern auch "mein geliebtes Herz". 1620 gesteht sie ihm sogar, dass sie "bis zum letzten Atemzug" die seine sei - romantisch Veranlagten zergehen solche Bekundungen auf der Zunge! 

Dem Ehemann ist die Liaison durchaus bekannt, schreibt er doch davon, dass ihm Hörner aufgesetzt worden seien. Es ist aber auch zeitgemäß, dass solche Verbindungen zwischen höhergestelltem Mann & einer Frau eines niedrigeren Standes vom Ehemann geduldet werden, wenn es denn materielle Vorteile bringt. Geldforderungen stellt Pierantonio allerdings.

Schon am 19. Juli 1616 ist die inzwischen 23 Jahre alte Künstlerin in die Accademia dell’Arte del Disegno in Florenz aufgenommen worden - doch nicht als erste Frau, wie gerne verlautbart. Es bringt ihr einmal die Anerkennung ihrer Professionalität, aber auch andere Vorteile, vor allem finanzieller & juristischer Art. Artemisia Gentileschi ist also gut etabliert.

"Giaele e Sisara/Jaël und Sisera"
(1620)

Warum sie dann im Februar 1623 dem Großherzog vermeldet, dass sie sich wegen einiger Unannehmlichkeiten & Familienangelegenheiten ein paar Monate nach Rom begeben müsse ( das Gemälde rechts ist wohl ihr letztes, in Florenz entstandenes Werk ), ist nicht gut nachvollziehbar.

Es wird gemunkelt, dass ihr Verhältnis zu Maringhi nicht mehr tragbar gewesen sei. Doch der bürgt nach wie vor für sie, kauft später sogar ihren noch in der Stadt befindlichen Besitz auf, bringt sie in Rom mit ihrer Familie im Haus eines Freundes unter und zahlt die Miete. 

Es kann durchaus sein, dass dahinter ein Konflikt mit ihrem Vater steckt, der eigentlich den zweiten Teil ihrer Mitgift auszahlen müsste, es aber wegen der Trennung des Ehepaares verweigert. Aus diesem Grund kommt das Paar in Prato schließlich wieder zusammen. Aus den paar Monaten in Rom werden schlussendlich sieben Jahre, in denen die junge Frau am gesellschaftlichen Leben ihrer Geburtsstadt teilhat und ihren Ruf als Künstlerin weiterhin festigt. Warum sie nicht wie versprochen nach Florenz zurückkehrt, wissen wir nicht.

Simon Vouet "Porträt der Artemisia Gentileschi"
(1623/26)
Pierantonio, ihr Ehemann, betätigt sich zunächst weiter als ihr Agent, entschuldigt sie sogar brieflich bei Maringhi - sie habe so viel zu tun, dass sie nicht mal zum Essen komme -, nimmt sie gegenüber ihrem Vater in Schutz & toleriert die fortgesetzte Liaison. 

Wenn sie Maringhi selbst schreibt, schwankt sie zwischen Eifersucht & Liebesüberschwang, Selbstzweifel & Renommiersucht. Ihre Briefe geben Einblick in ihre Kämpfe, Ambitionen und die Herausforderungen für eine Künstlerin in einer Männerwelt. Trotz der gesellschaftlichen Normen, die die Freiheit und Handlungsfähigkeit der Frauen einschränken, drückt Artemisia in ihrer Korrespondenz mit Maringhi aber auch ihre Gefühle und Gedanken offen aus. Von ihm als Adligem wird erwartet, innerhalb seiner sozialen Schicht zu heiraten und seinen familiären Pflichten nachzukommen. Das macht eine formelle Verbindung mit Artemisia unmöglich. 

Es sind auch sonst persönlich harte Zeiten, denn ihr kleiner Sohn stirbt zu dieser Zeit.

Ab 1623 wohnt Pierantonio nicht mehr bei ihr, dafür lebt der Geliebte zeitweilig in den nächsten Jahren in Rom. Alles verläuft in ruhigeren Bahnen, führt sie doch jetzt nur noch einen Haushalt mit Tochter & Dienstboten. Nach wie vor besitzt sie den Status der verheirateten Frau und legt ein Finanzgebaren wie in Florenz an den Tag. Kontakte hält sie zu Künstlern aus den Niederlanden & Frankreich wie zu italienischen Künstlerinnen.

Wenige Gemälde aus dieser Zeit sind signiert und viele sind schwer zuzuordnen. Über Ihre Auftraggeber ist daher wenig in Erfahrung zu bringen. Es scheinen etliche Damen der Gesellschaft darunter gewesen zu sein. Die Bekanntschaft mit Cassiano dal Pozzo, Freund Galileis & Sekretär des Kardinals Francesco Barberini, scheint die geschäftlich folgenreichste für sie gewesen zu sein. Auch ein spanischer Herzog, Botschafter in Rom, bestellt bei ihr Bilder ( später wird er sie nach Neapel einladen ). Aus der einstigen Analphabetin ist nicht nur eine ausgezeichnete Malerin geworden, sondern in Rom auch eine Dichterin. Das beweisen zwei Sonette jener Zeit, die sie mit dem "Weltreisenden" Pietro Della Valle austauscht.

1625 verlässt Artemisia Rom in Richtung Venedig. Dort ist sie als Mitglied der Akademie der Begierigen (Accademia dei Desiosi ), in der sich vor allem Literaten einfinden, verzeichnet. Aus der venezianischen Zeit sind wenige Bilder erhalten und viele nur literarisch besungen: Die in einer Broschüre 1627 in Venedig gedruckten Gedichte schildern einen "Amoretto", eine "Lukretia" und eine "Susanna und die beiden Alten". Für den König von Spanien malt sie "Herkules und Omphale" - ein prestigeträchtiger Auftrag, der sie in die Riege der bedeutendsten Maler Europas aufsteigen lässt. Damit festigt Artemisia auch in der Lagunenstadt ihren Ruf als Malerin von starken Heldinnen. In dieser Hinsicht ist sie sogar bahnbrechend. 

Als im Juni 1630 eine erneute Pestwelle Venedig erreicht, ist Artemisia höchstwahrscheinlich schon in Neapel.  Ein erster Brief aus der Stadt von ihr vom 24. August ist erhalten.

"Sansone e Dalila/Samson und Delilah"
(1630-38)

Neapel, damals die größte Stadt Europas neben Paris & eines der Zentren europäischer Kultur, wird von den spanischen Habsburgern regiert.  Ihr Bekannter aus Rom, der Herzog von Alcalá, ist inzwischen der dortige Vizekönig. Der verschafft ihr wohl den Auftrag für zwei Porträts und ein weiteres Bild für die künftige deutsche Kaiserin, zu diesem Zeitpunkt noch die spanische Infantin Dona Maria Anna, Braut von Ferdinand III., König von Ungarn und Böhmen, Bilder, die nicht identifiziert sind. 

In Neapel ist sie die Malerin ungeheuer produktiv. Sie hat wieder eine eigene Werkstatt, in der sie wohl auch ihre Tochter Prudenzia in der Malkunst unterweist. Königliche, kirchliche und fürstliche Aufträge gibt es genug. 1630 mit Ende dreißig malt sie das allererste Altarbild ihrer Karriere, "Die Verkündigung an Maria". Auch der Nachfolger Alcalás als Vizekönig, Manuel de Acevedo y Zúñiga, Graf von Monterrey, beauftragt sie, u.a. drei Altarbilder, die den Chor der neu renovierten Kathedrale von Pozzuoli schmücken sollen. Der Charakter dieser Projekte rückt Artemisia Gentileschi in den Mittelpunkt der Kunstszene von Neapel und ermöglicht ihr, nun mit den renommiertesten Malern der Stadt zusammenzuarbeiten, ohne dass sie in die in der Stadt üblichen Konkurrenzkämpfe involviert wird.

Artemisia gilt in der Kunstgeschichte  bislang als "Caravaggistin". Ihre in Neapel geschaffenen Werke zeichnen sich durch einen eleganten naturalistischen Stil aus, einen "temperierten Naturalismus und gemäßigten Klassizismus". Seine Wurzeln hat dieser Stil in der Malerei des Simon Vouet, der wiederum den Maler Massimo Stanzione beeinflusst hat, mit dem Artemisia, ebenso wie mit Paolo Finoglia und Bernardo Cavallino, eng zusammenarbeitet. Auf diese Weise entstehen in ihrer Werkstatt Kunstwerke "aus mehreren Händen". Möglicherweise erfordern das die stetig steigenden Anforderungen an ihr Atelier, auch aufgrund gesteigerter Anfragen durch ihre Kunden. 

"Susanna e i vecchioni/
Susanna und die beiden Alten"
(1652)

Andererseits ist dies allgegenwärtig Usus in Neapel: Man holt sich Unterstützung von  Landschaftsspezialisten & Architekturmalern, um eine vielfigurige Komposition mit verschiedenen Elementen herzustellen. Zuletzt arbeitet Artemisia sogar gemeinsam mit anderen Figurenmalern, insbesondere Onofrio Palumbo, an einem Bild. In Anbetracht ihres fortgeschrittenen Alters und einer zunehmend belastenden Erkrankung fällt es ihr schwer, ihre Verpflichtungen zu erfüllen: 1652 malt sie mit "Susanna und die beiden Alten" ihr letztes bekanntes, signiertes und datiertes Gemälde.  So schließt sich thematisch der Kreis. Zu diesem Zeitpunkt ist Artemisia fast sechzig Jahre alt. 

Bis auf eine Reise nach London 1638 - 1641, von Arbeitssuche motiviert und um den Vater in den Tod zu begleiten - er stirbt am 11. September 1939 -, wird Artemisia fast ein Vierteljahrhundert lang in Neapel bleiben. Aus der Londoner Zeit ist ihr wunderbares "Selbstporträt als die Allegorie der Malerei" bis heute in England verblieben. Susanna Partsch bezweifelt jedoch, dass dies das Gesicht der 45jährigen Malerin zeigt, sondern eher das Gesicht ihrer Tochter, auf jeden Fall handelt es sich um eine starke Idealisierung.

Schon zuvor, 1636, drückt sie in einem Brief an den Sekretär des florentinischen Großherzogs Ferdinand II. ihren Wunsch aus, Neapel zu verlassen, und beklagt das Chaos des Krieges, das harte Leben und die hohen Lebenshaltungskosten dort, denn immer wieder kommt es ständig zu Volksaufständen und Rebellionen. Warum sie geblieben ist? Zeitzeugen bestätigen, dass sie in der Stadt "in großer Pracht" leben kann. Ihre Briefe enthüllen, dass sie eine Frau von Beharrlichkeit & Charakterstärke ist, die die Kontrolle über ihre Finanzen hat und Familienangelegenheiten zu regeln weiß.

"La Pittura/Selbstporträt als die Allegorie der Malerei"
(1638/39)

Ein letztes Dokument vom 12. August 1654 belegt, dass sie noch Steuern bezahlt hat. Fünf Wochen zuvor hat sie noch ihren 61. Geburtstag gefeiert. Damit ist sie für damalige Verhältnisse alt. Wann sie gestorben ist, ist nicht bekannt. Vielleicht ist sie ein Opfer der Pest geworden, die 1655 Neapel heimgesucht hat. Ihre Grabstätte in der Kirche San Giovanni Battista dei Fiorentini ging in den 1950er Jahren verloren, als das Gebäude abgerissen wurde, um Platz für moderne Wohnungen zu schaffen. Das Epitaph mit der Inschrift "HEIC ARTEMISIA" ist schon 1785 bei einer Renovierungsaktion entfernt worden.

Noch Jahrzehnte nach ihrem Tod dichten italienische Dichter Lobeshymnen auf sie, es erscheinen Traktate, in denen auch Künstlerinnen abgehandelt werden, auch Artemisia, sogar im 18. Jahrhundert werden ihr in einem einschlägigen Werk mehrere Seiten gewidmet, selbst noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dann fällt die Kenntnis, dass Frauen in der Kunst Außergewöhnliches zu leisten vermögen, wohl dem Chauvinismus der Kunsthistoriker jener Zeit zum Opfer.

"Judit y su doncella"
(1645)

Erst wieder 1916 widmet ihr der italienische Kunsthistoriker Roberto Longhi eine ausführliche Studie. Die Wiederentdeckung der Artemisia Gentileschi durch eine etwas breitere Öffentlichkeit beginnt allerdings erst 1947 mit einer fiktionalen Biografie ( dt.: "Zum Fürchten schön und tüchtig – Artemisia" ) der italienischen Schriftstellerin Anna Banti, Longhis Ehefrau. Vor allem die überstandene Vergewaltigung, ihre Resilienz & Durchsetzungskraft machen sie dann in den Zeiten der zweiten Frauenbewegung zu einem Symbol weiblicher Stärke und Kreativität, die sich trotz Widrigkeiten in der vorherrschend männlichen Kunstwelt des 17. Jahrhunderts zu behaupten gewusst hat.

Gegen Ende der 1970er Jahre widmet ihr Judy Chicago ( siehe dieser Post ) in ihrer Arbeit "The Dinner Party" eines der 39 Gedecke am Tisch. 1994 wird der Venuskrater Gentileschi nach ihr benannt, 1997 gibt es eine französische Filmbiografie von Agnès Merlet: "Artemisia".

In der Mangaserie "Arte" von Kei Ohkubo, die seit 2013 in Japan erscheint, werden Motive aus Artemisias Leben aufgegriffen. 2023 veröffentlicht die Engländerin Elizabeth Freemantle eine Novelle mit dem Titel "Disobedient", eine "fesselnde feministische Nacherzählung einer Heldin des 17. Jahrhunderts, die ihr eigenes Schicksal schmiedet", so der Verlag.

2023 ist auch eine Ausstellung über die Zeit der Künstlerin in der Gallerie d’Italia in Neapel in einer Zusammenarbeit der National Gallery von London mit dem Staatsarchiv von Neapel ausgerichtet worden. Das Musée Jacquemart-André in Paris präsentiert derzeit bis zum 3. August 2025 die Ausstellung "Artemisia: Heldin der Kunst".

Dass das Interesse an ihrer Kunst sich auch finanziell bemerkbar macht, zeigt die Tatsache, dass die National Gallery in London ein Selbstporträt Artemisias für 3,6 Millionen GBP erworben hat, was einen neuen Rekord für die Künstlerin bedeutet. Ich hab euch extra viele Gemälde im Post bereit gestellt, dass ihr immerhin auf dem Monitor die -  oft aufregenden - Werke bewundern könnt.

                                                                                            


Und nun hab ich für euch noch ein paar Links zusammengestellt
zu anderen Künstlerinnen & interessanten Frauen,
die in dieser Woche einen Gedenktag haben:


1 Kommentar:

  1. Wunderbar, das zuletzt dargestellte Selbstbildnis ist wunderbar! Perspektive und Farben und Hell und Dunkel...
    Wieder ein interessantes Künstlerinnenbild. Danke Dir.
    Mit lieben Grüßen
    Nina

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Anonym? Dann bitte ein Name am Ende des Kommentars.

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