Donnerstag, 16. Februar 2023

Great Women #327: Ida Ehre

Meine heutige "Great Women" ist mir eine alte Bekannte aus der Zeit, als das Fernsehen noch meinen unbändigen Bildungshunger als Teenager stillen konnte. Da sah ich sie in "Die Ermittlung" von Peter Weiss oder in "Herodes und Mariamne" von Friedrich Hebbel, aber auch in "Tevya und seine Töchter" nach dem Roman "Tewje, der Milchmann" von Scholem Alejchem oder Krimiproduktionen wie "Der rote Schal" oder dem "Tatort". Ida Ehre hat mich damals nachhaltig beeindruckt.
Prerau

"Die Welt hat Sonne, viel Sonne, 
man muss sie nur auch in sich selbst tragen."
.....
"Redet nicht, sprecht miteinander."

Ida Ehre erblickt am 9. Juli 1900 im damals südmährischen Prerau ( heute Přerov ) in der Region Olmütz das Licht der Welt. Ihre Mutter ist Bertha Kohn, 30 Jahre alt und aus der Slowakei, ihr Vater der aus der Ukraine stammende Oberkantor ( "Chasan" ) Samuel ( Salomon ) Ehre, 36 Jahre alt. Ida ist das zweitjüngste von insgesamt sechs Kindern, der Bruder Paul kommt anderthalb Jahre nach ihr auf die Welt, der älteste, Fritz, ist zwölf Jahre älter. Die Schwestern Ottilie, Lola und Emma sind ca. 1890, 1894 und 1896 geboren.

Als sie zwei Jahre alt ist, stirbt der Vater. Obwohl dieser Beamter gewesen ist, erhält seine Ehefrau aufgrund seines jungen Sterbealters keine Pension. Eine zweite Eheschließung - trotz vieler Angebote - lehnt Bertha Ehre ab, weil sie den Kindern einen Stiefvater ersparen will. Also muss sie sehen, wie sie die Familie alleine durchbringt. Der Mutter wird Ida später in ihrem Buch bescheinigen, dass sie ihr eine schöne Kindheit verschafft habe, weil diese sich stets von ihrer Empfindung habe leiten lassen und immer gespürt habe, was für ihr jeweiliges Kind gut gewesen ist. Sie hat die Kinder auch immer ermuntert, das auszuprobieren, was das Kind sich in den Kopf gesetzt hat.

Um besser verdienen zu können, zieht Bertha mit ihrer Kinderschar nach Wien, wo sie mit dem Nähen & Verkaufen von Hemden, Schürzen, Häubchen an Frauen der Wiener Beamtenschicht das tägliche Brot für die Familie sichern kann. Sie ist eine fähige und daher beliebte Handwerkerin. Die Wohnverhältnisse der Familie sind beengt - in vier vorhandenen Betten schlafen immer zwei Kinder zusammen -, denn außerdem lebt noch der Großvater bei ihnen. Den tricksen die Kinder gerne aus, damit er mit ihnen den Prater besucht, was Ida herrlich, geradezu königlich findet, wie sie später erzählen wird.

Wurstelprater 1905

Mit ihrem jüngsten Bruder lacht die kleine Ida viel und gerne und spielt mit ihm Rollenspiele, in denen sie sich eine eigene Welt kreieren. Auch Spielzeuge stellen sie sich ganz plastisch vor in ihrer Fantasie. Und wenn sie Fremden begeistert davon erzählen, glauben die, gut betuchte Kinder vor sich zu haben. Sie gehen auch zusammen in Kaffeehäuser und fragen dort nach, ob sie Theater spielen können.

Im Prater faszinieren sie besonders die Pantomimen. Damit sie deren - sehr pathetische - Auftritte ansehen können, sammeln die Kinder in einem Hut bei Passanten das nötige Eintrittsgeld ein:

"Wir saßen da, mein Großvater hatte ein Glas Bier vor sich, mein Bruder Paul und ich bekamen ein Kracherl, so ein buntes Sodawasser, das doll gesprudelt hat. So saßen wir vier Stunden lang und wurden nicht müde, zuzuschauen. Großvater allerdings schlief meist ein." ( Quelle hier )

Aber auch solchen Spektakeln wie den Feierlichkeiten zum 60jährigen Regierungsjubiläum des österreichischen Kaisers Franz Josef kann Ida viel abgewinnen und so drängelt sie sich mit dem Bruder durch die Absperrungen. Vor lauter Begeisterung kommen sie so spät heim, dass die Mutter aus Angst & Sorge schon die Polizei verständigt hat.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird der schöne große Bruder eingezogen, und der Großvater hadert im Zwiegespräch mit Gott, den Kopf dabei immer unter einem Handtuch versteckt, um sich vom übrigen Familienlärm abzuschirmen. Für Ida beginnt mit 14 Jahren die schau­spielerische Ausbildung. Ihre älteste Schwester Ottilie, eine großgewachsene Schönheit, ist bereits Schauspielerin, gibt aber aufgrund ihrer Schüchternheit bald auf und heiratet Dr. Heinrich Kanner, Chefredakteur & Mitinhaber der Wiener Tageszeitung "Die Zeit" ( für die übrigens auch Bertha von Suttner geschrieben hat ). Schwester Lola ist Tänzerin und tritt als Erste im Burgtheater nackt in Franz Werfels "Spiegelmensch" auf. Nur die dritte Schwester, Emma, fällt aus dem Rahmen und arbeitet als Modistin.

Schon in der Schule erzielt Ida Aufmerksamkeit durch ihre gekonnten Gedichtrezitationen, was sich auch außerhalb der Schule herumspricht. Um vier Ecken wird so der Burgschauspieler Heinrich Prechtler, ein Meister des zu Herzen gehenden Gefühlsausdrucks, auf ihre Fähigkeiten aufmerksam und erteilt ihr Unterricht, bis er sich nach dem Tod seiner Frau suizidiert. 

Die Hofschauspielerin Auguste Wilbrandt-Baudius nimmt sich anschließend Idas an, die bei ihr die Wiener Prominenz, darunter die Ebner - Eschenbach ( siehe dieser Post ) oder Peter Altenberg, kennenlernt und zum ersten Mal mit ihr ein Theater besucht. Die Baudius schickt den Teenager auch zur K.u.K.- Akademie für Musik und Darstellende Kunst. Dort zu studieren ist Ida nur möglich, weil sie ein Stipendium von einer Baronin Königswarter erhält. Als sie im dritten Ausbildungsjahr während der Abschlussprüfung Monologe aus "Die rote Robe" von Eugène Brieux und "Liebe" von Anton Wildgans spricht, applaudiert das Auditorium in den zweiten Monolog hinein - was für ein Erfolgserlebnis für Ida nach den drei Jahren mit der anstrengenden Lernerei und Unterrichtsinhalten wie Mythologie, Fechten Tanzen, Kunstgeschichte, Französisch, Italienisch und vieles mehr.

Theaterplatz in Bielitz
(1915)
Draußen vor der Tür der Akademie erwartet sie schon der Direktor des Stadttheaters Bielitz - Biala in den Beskiden mit einem Vertrag...

Sieben tolle Monate verbringt sie dort und startet mit der Rolle der Viola in "Was ihr wollt". Dann zieht sie weiter nach Czernowitz, der legendären Hauptstadt der Bukowina, jetzt in Rumänien liegend. Nach einem halben Jahr geht es nach Bukarest, dem damaligen Klein - Paris. Dort soll sie nackt im "Reigen" von Arthur Schnitzler auftreten. Nackt bedeutet in jenen Tagen im Hemdhöschen. Ida schämt sich sehr.

1921 zieht sie weiter nach Cottbus. Österreich erscheint ihr zu klein, Ida will in Deutschland Karriere machen. Bald macht ihr der berühmteste Impresario der Zeit das Angebot, zu ihm nach Berlin zu kommen. Dort schreibt er ihr, ohne ihr Vorsprechen bis zum Ende anzuhören, ein Empfehlungsschreiben für den Intendanten des Frankfurter Theaters, Richard Weichert. An der Frankfurter Bühne tritt sie in "Maria Stuart" auf. Als nächste Station folgt das Bonner Theater. In der Studentenstadt macht sie Bekanntschaft mit den Burschenschaften, aber auch mit dem Antisemitismus. Das ist 1922 - ein einschneidendes Erlebnis. Dennoch bleibt ihr das damalige Bonn als besonders musische Stadt in schöner Erinnerung.

Von Bonn aus gelangt sie nach Königsberg und schließlich über Stuttgart 1926 ans Mannheimer Nationaltheater.

1928

Zuvor hat sie in Stuttgart auf Vermittlung einer Freundin die Bekanntschaft mit dem Arzt Dr. Bernhard Heyde gemacht. Beim ersten Treffen liegen sie sich alsbald in den Haaren, "als würden wir uns schon viele Jahre kennen." Der ein Jahr Ältere macht ihr den Hof, dann auch einen Heiratsantrag, den Ida ablehnt. "Ich werde so lange warten, bis Sie sich das vorstellen können", so die lapidare Reaktion des jungen Mannes. 

1928 ist es so weit, dass sie heiraten. Da ist schon die gemeinsame Tochter Ruth unterwegs, die am 20. Oktober 1928 zur Welt kommt. Noch im neunten Monat steht die Schauspielerin auf der Mannheimer Bühne in einem Stück, das sinnigerweise "Die große Hebammenkunst" heißt und in dem sie die Xanthippe spielt. 

Ihr Mann ist in ihren beiden letzten Jahren am Mannheimer Theater als Schiffsarzt unterwegs, wozu ihn Ida überredet hat, damit er die Welt kennenlernt. 1931 wandert sie schließlich auch wieder weiter, von Mannheim nach Berlin ans dortige Lessing - Theater.

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 ist es aber aus mit Idas Theaterkarriere, da sie als Jüdin ein Berufsverbot erhält: Man teilt ihr am Theater mit, dass man sie nicht behalten könne. Ida hingegen würde gerne bleiben, denn die Kritiken sind bislang wohlmeinend und erfolgversprechend gewesen. Auch hat sie noch einen Filmvertrag mit der Tobis, ein Drehbuch bekommen und viel für den Rundfunk gearbeitet:

"Ich packte meine sieben Sachen und ging nach Wien. Dort lebte meine Mutter, und noch hatte sich das großdeutsche Reich nicht ausgeweitet."

Dass das nur zeitlich begrenzt so ist, ist hinlänglich bekannt. Ihr Mann, Deutschnationaler durch und durch und anfangs eher beschwichtigend - "... das wird alles nicht so schlimm, und Deutschland wird groß werden"- erkennt nach dem Röhmputsch, was Sache ist, kündigt seine Oberarztstelle und bemüht sich um eine Praxis in der Provinz. Die erhält er in Böblingen, und Ida übersiedelt mit ihm ins Schwäbische, nicht ohne vorher ihre Geschwister zu warnen, Wien ebenfalls zu verlassen. Ottilie wird letztendlich 1943 von der Gestapo abgeholt werden und an einem unbekannten Ort sterben. Lola gelingt es zunächst mit Hilfe eines Freundes, sich bei einem Hausmeisterpaar hinter einem Schrank zu verstecken. Sie überlebt. Mutter Bertha wird 1942 nach Theresienstadt gebracht, wo sie umgebracht wird. 

Da Ida von der Bühnengenossenschaft ausgeschlossen worden ist, arbeitet sie nun in der Praxis ihres Mannes mit, der ihr alles Notwendige beibringt. Während der Novemberpogrome 1938 fliegt auch ein Stein durch die Fenster des Heydeschen Familienheimes, und Idas Ehemann muss sich eingestehen, dass das nicht das Deutschland ist, welches er sich erträumt hat. 

Das Paar fährt deshalb nach Hamburg und pilgert von Konsulat zu Konsulat, um eine Möglichkeit zum Auswandern inklusive Visum zu finden. Schließlich können sie mit zehn Mark in der Tasche - mehr erlauben die Nazis nicht - sich von Antwerpen auf einem kleinen Frachter namens "Roda" in Richtung Chile aufmachen. Doch kurz vor den Azoren wird das Schiff wegen Kriegsausbruchs nach Hamburg zurückbeordert: "Die Tage, in denen wir zurückfuhren, waren gespenstisch, unendlich gespenstisch.

Ida Ehre wird also jetzt sozusagen in Hamburg an Land gespült und lebt von nun an unter dem privilegierten Status "Mischehe mit einem Christen, kleines Kind". Ihr Mann wird aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin, von der er sich nicht scheiden lassen will, als wehruntüchtig erklärt und den ganzen Krieg über mit Praxisvertretungen beschäftigt. Wohnen können sie zunächst in einem Auswandererheim katholischer Nonnen, dem Raphaelsheim, bevor es ihnen tatsächlich nach einem Jahr gelingt, eine Wohnung im Haus einer NS-Frauenschaftsleiterin zu mieten. Ida hat immer wieder Glück, dass sie auf Menschen trifft, die sich selbst in einem inneren Konflikt mit der Naziideologie befinden und nur eine äußere Fassade aufrechterhalten, um gefährdete Angehörige zu schützen.

"Nicht die  vierzig Jahre Theater nach 1945 haben mich geprägt, sondern diese Zeit damals. Rückblickend ist alles wie ein Theaterstück gewesen."

Tatsächlich vermisst sie das Theater nicht, denn um sie herum spielt sich Ergreifenderes ab. So erfährt sie bei einer Reise nach Wien, dass ihre Mutter abgeholt und in einem Schulgebäude untergebracht worden ist. Dort kann sie sie noch kurz an einem Fenster sehen und erhält von ihr einen Zettel mit einer kleinen Nachricht. Ida ist Augenzeugin, als die Mutter auf einem Lastwagen fortgebracht wird.

Später wird auch Ida selbst von der Gestapo verhaftet und nach Hamburg-Fuhlsbüttel gebracht. Der Grund für die Verhaftung sei gewesen, so wird sie hinterher berichten, dass sie zufällig bei Filmaufnahmen anwesend gewesen sei und von einem Kameramann gebeten wurde, doch vor die Kamera zu treten und sich filmen zu lassen. Da sie Angst hatte, ihre jüdische Herkunft anzugeben, habe sie diesem Wunsch entsprochen, sei dann aber von einer anderen Frau angezeigt worden, weil sie sich nicht als Jüdin zu erkennen gegeben habe. 

Schließlich kommt sie wieder frei, weil ihr Ehemann einen Brief an Heinrich Himmler, mit dem er auf einer Schule gewesen ist, geschrieben und gemeinsame Erinnerungen geschildert hat. Himmlers Vater, Oberstudiendirektor Joseph Gebhard Himmler, ist zudem Konrektor an diesem Institut gewesen.

Noch 1944 erhält Ida Ehre einen Gestellungsbefehl der Gestapo. "Sie sollte zur Moorweide kommen für den letzten Auschwitz-Transport, ging aber nicht hin. Ihre Freundin Marianne Wichmann hat sie versteckt und unter Lebensgefahr gerettet", so die Tochter Ruth in diesem Interview.

Schließlich findet auch diese furchtbare Zeit ein Ende, es erfolgt die Kapitulation, der Einmarsch der Engländer in Hamburg. Schon am 25. Juli 1945 wendet sich die Hamburger Kulturverwaltung an die Britische Militärkommendantur mit der Bitte, das ehemalige jüdische Logenhaus in der Hartungstraße, das einzige nicht zerstörte Theater Hamburgs, für die "Kammerspiele" freizugeben. Hinter diesem Vorstoß steht eine jüdische Schauspielerin, nämlich Ida Ehre. 

Maßgeblich unterstützt wird sie von dem britischen Theateroffizier John Olden, der im Nachkriegshamburg Themen zu Wort kommen lassen will, "von denen wir 12 Jahre lang nichts wissen durften." Mit ihm hat Ida sehr schnell ein gutes Verhältnis, kommt er doch ursprünglich auch aus Wien und ist 1939 nach London emigriert. Ida selbst drängt es gar nicht mehr so sehr zum Spiel, aber viele Kollegen sind zwischenzeitlich an sie herangetreten und bringen ihr so viel Vertrauen entgegen, dass sie sich überzeugen lässt und sich die Aufgabe schließlich zutraut. 45 Jahre ist sie jetzt alt.

Das Gebäude für die "Hamburger Kammerspiele"

Bereits am 10. Dezember 1945 werden die "Hamburger Kammerspiele" mit einem Stück des Amerikaners Robert Ardreys namens "Leuchtfeuer" eröffnet. 

"Eiskalt war es, die Menschen saßen in Decken und in Mänteln eingehüllt und unser Atem ging runter, und der Atem des wenigen Publikums kam herauf zu uns, da waren so vielleicht 25, 30 Menschen da, und nach drei Wochen war das Theater voll," erinnert sich Ida 40 Jahre später. 

Auch wenn den Menschen die Steckrübe zunächst wichtiger als die Theaterkarte gewesen ist -  der Kulturhunger in der Stadt ist bemerkenswert groß. 

Ida lässt die modernsten Stücke aufführen. Ein "Theater der Menschlichkeit" soll es werden. Statt Nazi-Propaganda holt sie neue Autoren aus dem Ausland, Stücke wie "Wir sind noch einmal davongekommen", "Der Trojanische Krieg findet nicht statt", später Sartres "Die Fliegen". Das Haus füllt sich schnell: "Mein Publikum saß bei Halbfunzellampen im Zuschauerraum und hat geguckt."

Schon bald zur Legende wird eine Aufführung, kaum dass sie stattgefunden hat: Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" am 21. November 1947. Ida hat den todkranken Dichter dazu bewegen können, das zunächst als Hörspiel verfasste Drama für die Bühne umzuschreiben. Inszeniert von Wolfgang Liebeneiner ist besonders die Darstellung des Beckmann durch Hans Quest eine bis heute unübertroffene künstlerische Leistung. Borchert hat das Stück diesem Schauspieler gewidmet.

Ida selbst beeindruckt in einer Aufführung von Bert Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" zu ihrem 50. Bühnenjubiläum und als Hekabe in den "Die Troerinnen" von Euripides. 

Mit ihrer Stückauswahl, ihrem hochkarätigen Ensemble, darunter Grete Weiser, Hilde Krahl & Wolfgang Liebeneiner, und eben auch ihrer eigenen schauspielerischen Leistung setzt sie künstlerische Maßstäbe, die weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus Geltung erlangen. "Nicht Rollen spielen, sondern Menschen", das ist Idas künstlerisches Credo.

Von links nach rechts: In "Mutter Courage", als Hekuba in "Die Troerinnen" und mit Karl John in "In jenen Tagen" 
Doch die Kammerspiele bleiben nicht ihre einzige Wirkungsstätte. Ida Ehre feiert an zahlreichen anderen Bühnen große Erfolge, an denen sie auch oft die Regie übernimmt. Aber nicht nur die Theaterwelt interessiert sich für ihre schauspielerischen Leistungen. Sie ist auch bei den Filmemachern gefragt. Das erste Mal steht sie 1947 vor der Kamera in dem Film "In jenen Tagen" von Helmut Käutner ( eine beeindruckende Liste ist hier zu finden, ebenso die ihrer Hörspielaufnahmen ).

Ihr 65-jähriges Bühnenjubiläum feiert die Schauspielerin dann mit der Darstellung einer alten Dame in der Komödie "Gigi" nach dem Roman von Colette ( siehe dieser Post ).

Philipp Jenninger & Ida Ehre im Bundestag
Außerhalb von Theater und Fernsehen gerät die inzwischen 88jährige ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als sie am 10. November 1988 anlässlich des Gedenkens an die Pogromnacht 1938 im Bonner Bundestag aus Paul Celans berühmter "Todesfuge - Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" vorträgt. Der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger kann in seiner nachfolgenden Rede nicht mehr den richtigen Ton finden. Es kommt zum Eklat im Parlament, und Jenninger tritt danach zurück.

Ida Ehre ist auch sonst eine besondere Frau, auch in ihrem Privatleben. Sie selbst spricht in ihrem Buch "Gott hat einen größeren Kopf, mein Kind" davon, dass sie weitgehend kein einfaches Leben geführt habe, "aber in Bezug auf Männer war mein Leben nie einfach." Sie bleibt bis zu seinem Tod 1978 ehelich mit Bernhard Heyde verbunden, das Verhältnis ist allerdings ein rein platonisches, nachdem unter den Nazis die Rassegesetze wirksam geworden sind. Ida knüpft danach eine Beziehung zu einem erheblich jüngeren Mann, Bernhard Heyde selbst hatte jahrelang eine Freundin. Als Idas junger Freund aus russischer Gefangenschaft zurückkehrt, leben sie alle drei 17 Jahre in der gemeinsamen Wohnung in Hamburg in der Hallerstraße. Die Beziehung endet erst, als er ihr ein Ultimatum stellt. Ida entscheidet sich für ihren Mann, der immer zu ihr gehalten und ihre Karriere und ihre Erfolge, anders als der Freund, immer ohne Neid oder Eifersucht begleitet hat.

Am 16. Februar 1989 stirbt die große Theater-Prinzipalin in einem Krankenhaus in Hamburg, der Stadt, in der sie schon drei Jahre Ehrenbürgerin ist. Ihre letzte Ruhe findet sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof in einem Ehrengrab am äußersten südöstlichen Rand des Althamburgischen Gedächtnisfriedhofs nahe der Theaterlegende Gustaf Gründgens. 

In seiner Trauerrede sagt Altbundeskanzler Helmut Schmidt unter anderem: 

"Ida Ehre, das war der Wille, Theater zu machen und doch zugleich in jeder Minute sie selbst zu sein". Ihr Freund, der Schriftsteller Walter Jens, schreibt in einem Nachruf: "Die Frau, die überlebte und die Bühne, die nach Jahren brutaler Abgeschlossenheit wieder Welt nach Deutschland brachte, Urbanität und Offenheit – beides gehört für die Älteren unter uns, aber nicht nur für sie, untrennbar zusammen."

Das bringt treffend zum Ausdruck, weshalb ich bis heute diese großartige Frau mit Respekt & Bewunderung im Herzen trage.

Vergessen ist sie auch sonst nicht: In Hamburg wird später ein Platz in der Innenstadt nach ihr benannt, auch eine Schule im Stadtteil Eimsbüttel trägt ihren Namen. In Böblingen wird der Platz vor der Kongresshalle in Ida-Ehre-Platz getauft, in der Kölner Nachbarstadt Brühl gibt es einen Ida-Ehre-Weg und in Bad Oldesloe eine Integrierte Gesamtschule mit ihrem Namen. 2016 wird die ehemalige Kriegerehrenallee auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Ida-Ehre-Allee umbenannt. Die "Hamburger Kammerspiele" existieren bis heute, inzwischen als privates Theater, und sie heimsen immer noch Auszeichnungen ein...





6 Kommentare:

  1. Guten Abend liebe Astrid
    Vielen, vielen Dank, dass du immer wieder den Aufwand auf dich nimmst, und eine Person in deiner „Great Women“ Serie vorstellst. Ich mag deine Texte sehr und freue mich stets, wenn ich wieder einen lesen kann. Ich lasse kaum einen aus!
    Hab einen gemütlichen Abend und liebe Grüessli
    Eda

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Astrid,
    es ist sehr wohltuend, dass Du derart - im wahrsten Sinne des Wortes - außergewöhnlichen Frauen ein so wertschätzendes Andenken gibst.
    Bewegend immer wieder, wie mutig die Menschen in einer Zeit waren, als Mut immer schreckliche Folgen nach sich ziehen konnte. Damit meine ich auch Ida's Mann, der sich immer zu ihr bekannte, weshalb sie sich auch ihm gegenüber loyal zeigte.
    Auch Dein Hinweis auf Jenninger's Rede ist interessant. Ich denke, er wollte etwas erklären, dazu dürfte er ja auch aufgefordert worden sein, er fand aber dazu nicht den richtigen Ton.
    Herzliche Grüße,
    C Stern

    AntwortenLöschen
  3. ihr name ist mir noch im ohr, aber an filme mit ihr erinnere ich mich nicht. wieder einmal bedrückt mich ihr leidensweg während der grauenvollen nazizeit, die so vielen, vielen menschen das leben zur hölle gemacht hat. so traurig, dass ihre mutter und schwester den holocaust nicht überlebt haben.
    beeindruckend, dass sie nach dem krieg wieder so gut fuß gefasst und vielen menschen mit ihrer theaterleidenschaft freude gemacht hat.
    wie immer: danke für dein interessantes portrait!
    liebe grüße
    mano

    AntwortenLöschen
  4. Wirklich eine great woman, das war Ida Ehre. Wie gut, dass sie so lange lebte und soviel Kultur schaffen konnte und das in Deutschland.
    Die Rede Jenningers war mir gar nicht mehr so bewusst. Das muss ich nochmal googlen.
    Auch wenn der Vergleich niemals stimmen kann, so kann ich doch nach den kulturellem Corona Lockdown den Hunger nach Kultur nach dem Krieg so gut verstehen. Das war Nahrung für die Seele.
    Ein sehr spannendes Portrait auch über die deutsche Geschichte ist ihr Leben. Du hast es sehr einfühlsam beschrieben, Danke.
    Herzlichst, Sieglinde

    AntwortenLöschen
  5. liebe Astrid, welch eine beeindruckende Lebensbiographie, da meine Mutter Ida Ehre sehr liebte und oft von ihr sprach war sie mir immer der Begriff für große Bewunderung ihres langen künstlerischen Lebens.
    Als außergewöhnlich starke Persönlichkeit hab ich sie immer empfunden..
    Nun hast du es mit ihrer Biographie komplementiert, dafür danke ich dir sehr...hätten wir deine starken Frauen die du auswählst nicht in den feinen Biographien würde uns unglaublich viel zeitgeschichtliches entgehen...
    liebe Grüße angel

    AntwortenLöschen
  6. Auch mir ist der Name Ida Ehre ein Begriff. Ihr Leben ist so bewegend und spannend. Nur ein kleiner Fehler ist dir unterlaufen, wurden doch in dieser Region so oft die Grenzen verschoben: Czernowitz gehört heute zur Ukraine ( Чернівці). Das stach mir gleich ins Auge, kein Wunder... Danke für dieses wieder so eindrucksvolle Frauenportrait!
    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.