Zehn Jahre ist es heute bis auf den Tag genau her, dass ich auf meinem Blog mit der Rubrik "Great Women" angefangen habe. Mit mehr als sechstausend Klicks ist mein damaliger Beitrag auch der mit den meisten Aufrufen überhaupt zu diesem Thema. Damals ging es um Hannah Höch.
Emerenz Meier heute also. Der Name war's, der mich immer hat aufhören lassen. Begegnet ist er mir öfter, wenn ich mit der literarischen Wrelt im schönen Bayernland beschäftigt habe, zum Beispiel mit Lena Christ. Ihr 150. Geburtstag heute hat mich veranlasst, mich ihr einmal zu widmen.
Hätte Goethe Suppen schmalzen,Klöße salzen,Schiller Pfannen waschen müssen,Heine nähn, was er verissen,Stuben scheuern, Wanzen morden,Ach die Herren,Alle wärenKeine großen Dichter worden.
Am 3. Oktober 1874 also erblickt Emerenz "Senz" Meier an der sogenannten "goldenen Steig" ( einer einstmals wichtigen Handelsverbindung zwischen Bayrischem & Böhmerwald ) in Schiefweg auf dem Gasthof der Eltern das Licht der Welt. Heute gehört der Ort zur Gemeinde Waldkirchen in Niederbayern im tiefsten Bayrischen Wald.
Postkarte mit Geburtshaus & Porträt (1898) |
In der Schule tut sich das aufgeweckte Mädchen leicht, aber mehr als fünf Klassen darf es nicht besuchen. Höhere Schulen sind ohnehin bis 1903 nur Jungen vorbehalten. Die Volksschule ist damals auch nicht koedukativ, Jungen & Mädchen werden also getrennt unterrichtet, letztere von "Englischen Fräulein".
Die Eltern sind angewiesen auf die Arbeitskraft ihrer Töchter im Haus und können finanziell durch einen Besuch einer privaten "Höheren Töchterschule" den Bildungshunger des Mädchens nicht stillen. Emerenz ist geradezu besessen von ihrem Drang nach mehr Wissen. Das macht sie zur Außenseiterin in ihrer bäuerlichen Umwelt und sie erntet viel Unverständnis. Selbstbewusst, und doch auch unsicher, sucht sie sich einen eigenen Weg nach Bildung.
Filmstill aus "Wildfeuer" (1989) |
Obwohl sie auch zu manchem Jubiläum auf Bestellung Gedichte verfasst, ist die "Wirtssenz" bei den Dorfbewohnern als "narrische Versel-Macherin" verschrien.
Als 1891 ihre älteste Schwester Petronilla, die die Stelle der Magd im Anwesen der Familie eingenommen hat, heiratet, übernimmt deren Ehemann Hans Egerer das Anwesen der Eltern in Schiefweg. Der Vater erwirbt im benachbarten Oberndorf nun ein kleineres Anwesen. Emerenz erhält dort immerhin ein eigenes Zimmer.
Bereits ab Mai 1893 gelingt es ihr, in der Wochenende-Ausgabe der Passauer "Donau-Zeitung" in rascher Folge acht von ihr verfasste dramatisch-knappe Erzählungen aus ihrem bäuerlichen Milieu zu veröffentlichen, die erste heißt der "Der Juhschroa" ( hier zu lesen ). Als sie danach das erste Honorar auf den Tisch blättern kann, wird der Vater toleranter. Er soll sie sogar zum Weitermachen ermuntert haben: "Schreib, Senzl. Schreib!"
Bei dem Festspiel in Waldkirchen lernt sie im Sommer bei der Aufführung von "Die Dreisessel-Jungfrauen" ihre spätere enge Freundin Auguste "Gusti" Unertl kennen, zehn Jahre älter als sie, Marktsekretärsgattin, die im Ort sogar einen literarischen Salon unterhält. Der wichtigste Kontakt, der Emerenz Zugang zu dem so begehrten Wissen verschafft, wird zu diesem Zeitpunkt allerdings der gleichaltrige Medizinstudent Ludwig Liebl, Sohn des Landgerichtsassessors in Waldkirchen, dem sie bei diesem Festspiel ebenfalls begegnet ist, und der sich ihr als "Berater" andient und ihr Latein- und Steno-Unterricht vermittelt. Emerenz wird ihn lange als ihren Mentor betrachten. Liebl ist ein musischer Mensch, komponiert & dichtet selbst ( seine "Jugendgedichte", 1931 dann veröffentlicht, sind literarisch allerdings unbedeutend ). Später wird Emerenz ihm attestieren, dass sie durch ihn
"Burns und Dickens kennen und lieben lernte und dadurch mich anleitete, auf dem Weg vorwärts zu gehen, der doch einem Bauernmädchen fremd bleiben sollte nach der Denkart der meisten Bürger von damals, die nur ihrer Klasse und der höheren das Anrecht auf Wissen und Bildung zugestanden haben wollten." ( Brief an Liebl von 1922 )
Schon in ihren ganz jungen Jahren ist bei Emerenz auch die Kritik an den sozialen Verhältnissen, in denen sie zu leben gezwungen ist, stark ausgeprägt. Auch strebt sie nach Emanzipation in einer von Männern beherrschten Welt:
"Man schichte Scheiter, man werfe Steine,
Denn die Welt schuf Gott, für den Mann alleine."
heißt es zum Schluss eines ihrer kämpferischen Gedichte - "Wenn sich ein Weib aus der Herde hebt" - aus jenen Jahren. Sie bezieht Position gegenüber Autoritäten ihrer damaligen Zeit. Sie tritt bedingungslos – auch wenn es ihr selbst schadet – ein für Benachteiligte, Notleidende, all die Außenseiter einer Gesellschaft, die sie als ausgesprochen defekt empfindet.
1900 |
"Die Emerenz Meier allerdings konnte schreiben wie eine aus der Stadt, selbst die phonetische Umschrift des Bayerischen ist bei ihr näher an der gesprochenen Sprache als etwa bei Ludwig Thoma. Emerenz war echt.., " schreibt Willi Winkler an dieser Stelle.
Die Familie Meier: Emerenz ganz rechts, die Eltern sitzend in der Mitte, zwischen ihnen die Schwiegermutter der Schwester Anna links, deren beide Kinder (ca. 1900) |
"Überliefert ist: Allenfalls könne man ihr eine Stelle im Haushalt anbieten, und beim Bodenschrubben könne sie ja über neue Geschichten aus dem Bayernwald nachdenken. – Zwar bekam sie 200 Gulden aus der sogenannten Privatschatulle des Prinzen, weil dem wohl die kesse Art der jungen Dichterin gefallen hatte", schreibt Angelika Kemter an dieser Stelle.
Chicago um 1900 |
Mit dem ersten Ehemann (1907) |
"Mein erster Mann, mit dem ich in glückloser Ehe lebte, hatte diesen schwedischen Riesen einmal von einem Saloon (einem Wirtshaus) mitgebracht. Beide waren schwer betrunken, doch während mein Mann sich als echt saubayerischer Bauernlümmel aufführte, blieb der andere ruhig, reserviert und äußerst höflich. Ich fragte ihn nach seinem Heimatland. Er antwortete in korrektem Deutsch. Auch nach seinen heimatlichen Dichtern befragte ich ihn, da fing er an, von der Frithiofs- Saga zu erzählen, aber in Schwedisch. Er ging darauf fort, aber ich hatte den Menschen nicht vergessen und als mein Mann starb, (... ) da suchte ich gleich mit ihm in Fühlung zu kommen. Er ist ein Entgleister von draußen, wohnte in einer Wirtschaft, in der er all sein Geld draufgehen ließ. Resolut nahm ich ihn weg von jener Bande (die auch Bayern waren), bot ihm Wohnung und Kost gegen Ablieferung seines wöchentlichen Verdienstes und heiratete ihn später. Und ich habe es noch keinen Augenblick bereut. Er es aber auch nicht."
Emerenz arbeitet in der Fabrik, John ist in einem Großhandelshaus als Sachbearbeiter tätig und der Sohn, Joe genannt, geht noch zur Schule, trägt aber mit einem Nebenjob zum Haushaltseinkommen bei. Zwischenzeitlich gelingt es Emerenz sogar, ein Mietshaus mit sieben Partien zu kaufen. Wenig auskömmlich gestaltet sich das Zusammenleben mit ihrer Schwester Maria:
Mit Sohn Joe (1914) |
"... sie will reich und reicher werden und dabei größer und mächtiger. Sie hat ein zweites Drei-Wohnungshaus gekauft, hält sich ein Auto und blickt nur mehr mit heimlicher Verachtung auf uns herab."
Emerenz weicht der Situation kurzfristig nach Kansas City aus, wo die Schwester Anna nun lebt.
Das Einkommen der Lindgrens reicht hinten und vorne nicht. So erschließt sich Emerenz eine weitere Einnahmequelle und braut heimlich Bier, was in der Zeit der Prohibition in Amerika verboten ist:
"Die Prohibition – auf die wird in Amerika gepfiffen. Gesoffen wird mehr als je vorher. Das Verbrecherunwesen hat schrecklich zugenommen, die Irrenhäuser sind überfüllt, die Friedhöfe füllen sich schneller und schneller. Die Schulen sind auf den Hund gekommen. Alles ist faul im Staate – Nordamerika."
Emerenz behält ihren kritischen Blick auch jetzt, verklärt nicht die wirtschaftlichen & sozialen Verhältnisse in den Staaten. Sie wird zur glühenden Pazifistin und Marxistin, "fürchterlich radikal gesinnt", glaubt sie an einen menschheitsbefreienden Sozialismus. Auch wendet sie sich von der Kirche, wenngleich nicht vom Glauben, ab. Ambivalent, wie sie aber auch ist, singt sie ein Loblied auf die amerikanische Freiheit.
Kritisch sieht sie aber auch die Zustände in Europa, sucht deshalb auch mit Geld und Sachspenden die große Not in der alten Heimat zu lindern ( ermöglicht auch durch die Verdienste mit ihrem "Heimatbräu" ).
Nach Kriegsende hat sie nämlich den Kontakt dorthin wieder aufgenommen. Ihre Briefe zeugen von ihrer großen Sehnsucht nach dem heimatlichen Wald. Dort liegen die Quellen ihrer künstlerischen Arbeit. In Amerika verliert sich Emerenz im Alltäglichen des üblichen Emigrantenschicksals. Außer ein paar Kurzgeschichten, anklagenden und verzweifelten Gedichten, die anfangs in deutschen US-Zeitschriften erscheinen, wird sie in Chicago neben bösen und herzzerreißenden Briefen nichts mehr verfassen. Auch die Vorträge in deutschen Vereinen vor Ort gibt sie auf.
ohne Jahr |
56 Briefe und Ansichtskarten erhält die Waldkirchner Freundin. Zwei Briefe bleiben es nur an Hans Carossa, denn sie muss schnell konstatieren, dass der Doktor aus Passau nicht verstehen kann, "dass der Kommunismus für eine Proletarierin die einzige Erlösung ist für Amerika und die Welt... Sie lebt in einem Elend, das er nie kennenlernen musste. In Chicago war das Elend, das sie schon zu Hause gefühlt hatte, benennbar geworden... ", so Willi Winkler an dieser Stelle.
Um sich vor dem eigenen Kulturverlust zu bewahren, stöbert Emerenz Meier in Antiquariaten nach deutscher Literatur. Voller Stolz berichtet sie nach Waldkirchen von ihren glücklichen Funden wie einer alten Goethe-Ausgabe, dem ganzen Jean Paul oder Werken von Eduard Mörike.
Am 8. Oktober 1927 schreibt sie an ihre Freundin: "Ich bin nun 53 Jahre und möchte den Rest meines Lebens ans Schriftstellern verwenden, meine so lange gewaltsam unterdrückte Leidenschaft."
Büste in Passau (2008) |
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenvielen Dank für dieses interessante Frauenporträt.
Ich habe noch nie von ihr gehört.
Wäre sie 100 Jahre später geboren , hätte sie vermutlich bessere Chancen gehabt, ihren Bildungs- und Wissenshunger zu stillen.
Dennoch ist sie ihren Weg - so gut es ging - gegangen. Schade, dass sie, als sie sich mit 53 entschlossen hatte, ihre so lange unterdrückte Schriftstellerleidenschaft leben zu wollen, ihr so wenig Zeit dazu blieb.
Liebe Grüße,
Claudia
PS.
Zitat meines Vaters, als ich ihm gesagt hatte, dass ich studieren wollte:
"Wenn ich das gewusst hätte, wärst du nichts auf's Gymnasium gegangen." Das gab es auch noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Angeregt durch deine Liste der Frauen habe ich mir deinen Beitrag über Petra Kelly durchgelesen.
LöschenSehr informativ. Und soviel, was ich im Laufe der Jahre vergessen hatte, kam wieder in die Erinnerung. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Schock, als ich von ihrem Tod und ihres Partners gelesen hatte. So jung, 45 Jahre.
Viele Grüße,
Claudia
Vor ihrer Büste in Passau bin ich vor ein paar Jahren gestanden und hatte nur unklare Vorstellungen von ihr. Danke für dieses ausführliche Portrait dieser außergewöhnlichen Frau. Was hätte sie alles gedichtet, wenn sie das Stipendium erhalten hätte? Statt dessen ein hochwohllöbliches Angebot als Putzfrau...
AntwortenLöschenUnd dann noch die Auswanderung in ein fremdes Land mit kleinen Parzellen Bajuwarentums wie dem Bayerischen Viertel. Das zeigt doch deutlich, dass eigentlich niemand seine Heimat gern verlässt um in eine ungewisse Zukunft zu gehen, es sei denn in Not. So ist es auch noch heute.
Dein Portrait heute war besonders schön, finde ich!
Herzlichst,
Sieglinde
welch ein Leben...kaum vorstellbar und doch so wahr...
AntwortenLöschenwem jede Chance versagt wird seinen Leidenschaften nachzugehen...
über so viele Steine des Leben stolpert, so wenig Glück hat den richtigen Menschen zur eigenen Förderung zu begegnen, der gibt irgendwann - und sei er/sie noch so rebellisch - auf...
Talent versickert im Sande und am Rande des eigenen Lebens...
eine bemerkenswerte Frau dieser Zeit und wissensdürstende die von Anfang an so wenig Chancen hatte und doch so tapfer durchhielt hat nun hier in Anerkennung ihre Ruhe gefunden und sich in deine starken Charaktere mit eingereiht...
wunderbar...du erwecktest sie wieder neu zum Leben...
danke... herzlichst Angelface...
Hatte die nicht permanent um Auskommen kämpfen müssen... Schöne Worte kommen einem nicht mehr in den Sinn, wenn man abends vor Erschöpfung einschläft
AntwortenLöschenHab einen schönen Feiertag und liebe Grüße
Nina
Danke für die interessanten Portraits. Dieses fand ich besonders spannend, angefangen beim Namen, den ich noch nie gehört habe. Beindruckend, dass sie ihre Ansichten öffentlich vertreten hat. Was sie wohl heute zu unserer Gesellschaft gesagt hätte?
AntwortenLöschenEin steter Kampf gegen Widerstände... Aber wie schön, dass man sich in ihrer alten Heimat ihrer wieder erinnert.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea