Donnerstag, 21. September 2023

Great Women #351: Anna Magdalena Bach

Genau, die Anna Magdalena mit dem Notenbüchlein, um die geht es mir heute. Und schon ist es auch wieder vorbei, mit dem Wissen über sie. Wer war sie doch gleich? Das sollte dieser Great-Women-Post heute klären und noch ein bisschen mehr informieren über die Frau, die morgen vor 322 Jahren zur Welt gekommen ist.

Zeitz 1650
Im sächsischen Zeitz kommt am 22. September 1701 eine Anna Magdalena Wilcke ( oder altertümlich Wülcken ) zur Welt, das jüngste Kind von Margaretha Elisabeth Liebe, 35 Jahre alt & Tochter eines Organisten& Schuldieners in Frießnitz in Thüringen, und des Zeitzer Hoftrompeters Johann Caspar Wilcke, 41 Jahre alt. Sowohl die Großväter mütterlicher- wie auch väterlicherseits sind bereits Musiker gewesen.

Das seit 1686 verheiratete Paar hat schon drei Töchter - Anna Katharina (*1688), Johanna Christine (*1695), Erdmuthe Dorothea (*1697) - und einen Sohn namens Kaspar (*1691), der später ebenfalls  Hoftrompeter, und zwar in Zerbst, werden wird, aber auch als Violinist & Pianist aktenkundig ist. Die drei Schwestern wiederum werden Hoftrompeter heiraten. 

Zwei Tage nach seiner Geburt wird das Mädchen in der Kirche des Schlosses Moritzburg getauft. Taufpatin  ist die Ehefrau eines weiteren Hoftrompeters, Bruder der Mutter Anna Magdalenas. Die Familie lebt in einem Haus in der Messerschmiedegasse ( heute Messerschmiedestraße; im 19. Jahrhundert abgerissen ) im Städtchen, wo das Mädchen auch seine musikalische Ausbildung erhält, wahrscheinlich auch im Klavierspiel. Sie wird in ihrer Kindheit vertraut mit den Gewohnheiten und Problemen, die in einem Haushalt auftreten, dessen Unterhalt durch Musik erwirtschaftet wird, und die kleine Anna Magdalena weiß um das ständige Üben & Proben, das dafür notwendig ist.

Als der Herzog Moritz Wilhelm seine Residenz nach Weida/Thüringen verlegt - möglicherweise im Zusammenhang mit dem Niedergang der Residenz und der Hofmusik in Zeitz durch das Erlöschen der Nebenlinie Sachsen-Zeitz - verkauft die Familie Wilcke ihr Haus und zieht mit den beiden unverheirateten Töchtern Anna Magdalena und Erdmuthe Dorothea - die dort dann den Hoftrompeter Christian August Nicolai heiraten wird - nach Weißenfels.  Das ist 1718. In Weißenfels wird Vater Johann Caspar als "Hoch Fürstlich Sachßen Weißenfelßischer Musicalischer Hoff und Feld Trompeter" geführt. 

1721

Es wird angenommen, dass Anna Magdalena bereits in Zeitz Gesangsunterricht erhalten hat, auf jeden Fall aber in Weißenfels. Dort ist nämlich die berühmte Primadonna Christiane Pauline Kellner, genannt Paulina, am Hof tätig, und man nimmt an, dass sie an der Ausbildung Anna Magdalenas beteiligt gewesen ist. 1720 bzw. 1721 wird Anna Magdalena schon in Dokumenten als Sängerin in Köthen aufgeführt. Zuvor ist sie mit ihrem Vater am Hof in Zerbst aufgetreten.

Ab 1721 ist verbürgt, dass Anna Magdalena, nun 19 Jahre alt, im anhaltinischen Köthen eine Anstellung als Sängerin am dortigen Hof hat, und ein Mitglied der Hofkapelle mit einem geradezu fürstlichen Gehalt von 300 Talern pro Jahr ist. Umgerechnet ergäben das heute etwa 21.600 €. Damit wird sie nur vom Konzertmeister Spieß und Capellmeister  Bach in puncto Lohn übertroffen. In den Taufregistern zu ihren Patenkindern in Köthen wird sie als "Hof - Cantatrice", fürstl. Sängerin" bzw. "Cammer-Musicantin" aufgeführt. 

Köthen ist eine kleine, wirtschaftlich und politisch unbedeutende Residenzstadt, so unbedeutend, dass der Fürst sich weniger mit dem Regieren als vielmehr mit Musik, Kunst und Literatur beschäftigen kann.

Johann Sebastian Bach
Zu diesem Zeitpunkt ist Johann Sebastian Bach sein Hofkapellmeister. Im Sommer 1720 hat er überraschend & unerwartet seine Frau Maria Barbara, 36 Jahre alt, verloren, während er mit dem Fürsten auf Reisen nach Karlsbad gewesen ist. Maria Barbara hat ihm vier Halbwaisen im Alter von 5, 6, 9 und 11 Jahren zurückgelassen. 

Der zu dieser Zeit 35jährige Komponist und Virtuose auf den Tasteninstrumenten, Experte im Orgelbau und für weitere akustische Probleme, ist in den Jahren zuvor schon Organist der Neuen Kirche in Arnstadt, in der Freien Reichsstadt Mühlhausen und Konzertmeister in Weimar gewesen und hat 1717 einen Vertrag mit den jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen unterschrieben, ohne in Weimar zu kündigen. Dies hat ihm ein "Arrest" in Weimar eingebracht, aus dem er Ende des Jahres entlassen wird, so dass er seine Stelle als  Kapellmeister und Director der Cammer-Musiquen in Köthen antreten kann.

Wann Bach und die junge Sängerin miteinander bekannt geworden sind, weiß man nicht. Am 25. September 1721 übernehmen die beiden jedenfalls gemeinschaftlich eine Patenschaft für den neugeborenen Sohn eines fürstlichen Kellerknechtes. Dieses gemeinsame Auftreten kann man als Anzeichen für ein vorangegangenes Verlöbnis interpretieren.

Nach damaligem Recht darf ein Witwer bereits nach einem halben Jahr erneut heiraten. Es ist von daher eher unwahrscheinlich, dass eine Ehe mit Anna Magdalena eingegangen wird, weil die Kinder versorgt werden müssen und dringend eine Arbeitskraft für den Haushalt notwendig ist. Es muss andere Gründe gegeben haben. 

Der "Hochfürstliche Capell-Meister alhier Wittber" und die "Jungfer" Anna Magdalena werden am 3. Dezember 1721 zu Hause getraut. Was sie dazu bewegt hat, bleibt aber Spekulation. Verliebtsein wird in jenen Zeiten nicht als Voraussetzung für eine Eheschließung betrachtet, Wertschätzung dem Partner gegenüber aber schon. Für die junge Frau geht damit aber sicher eine größere finanzielle Sicherheit und ein gewisser Schutz einher. Als "Frau Capellmeisterin" hat sie auch ein gewisses Renommee bzw. eine gehobene gesellschaftliche Position. Anna Magdalenas Erfahrungen aufgrund ihres Aufwachsens in einem Musikerhaushalt und die dabei erworbenen Fähigkeiten mögen sie wiederum in den Augen Johann Sebastian Bachs als geeignete Partnerin für die Führung seines Hauswesens qualifizieren. 

Thomaskirche & - schule um
1723
Nach der Heirat tritt Anna Magdalena weiterhin als Sängerin am Hof in Köthen auf. So wirkt sie beispielsweise bei der Aufführung von Bachs "Serenada" am 10. Dezember 1722 im Schloss Köthen zum Geburtstag des Fürsten Leopold mit ( "Durchlauchster Leopold" BWV 173a ). 

Sie scheint auch eine versierte Cembalistin zu sein, denn kurz nach ihrer Hochzeit hat ihr Johann Sebastian Bach das "Clavier-Büchlein von Anna Magdalena Bachin Anno 1722" zusammengestellt, das nur in Fragmenten erhalten ist. 1725 widmet er ihr dann ein zweites Notenbüchlein, um sie vermutlich zum Erhalt ihrer Fähigkeiten zu motivieren.

Unterdessen - ein Jahr nach ihrer Hochzeit - hat sich der Ehemann um eine Stelle in Leipzig beworben. Dort wird er tatsächlich als Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt gewählt, weil man wohl "auf einen berühmten Mann bedacht" ist. 

Im Juni 1723 verlässt die Familie Bach das kleine Fürstentum Köthen mit seinen zehntausend Einwohnern - die Bevölkerung der Stadt Leipzig ist zu diesem Zeitpunkt drei Mal so groß - und ihr Einzug mit vier Wagen voller Hausrat ist selbst der ortsansässigen Zeitung eine Nachricht wert. Die Familie bezieht die über 200 Quadratmeter große Dienstwohnung, über mehrere Stockwerke verteilt, in der Thomasschule, 250 Meter Luftlinie vom Leipziger Markt entfernt. Für Anna Magdalena wird die Messe- & Universitätsstadt ab diesem Zeitpunkt  37 Jahre lang Heimat sein.

Auftrittsmöglichkeiten als Sängerin gibt es für sie in Leipzig kaum, da es sich dort nicht um einen Fürstenhof handelt. Zudem ist das örtliche Opernhaus seit 1720 ruiniert und daher geschlossen. In der Kirche dürfen Frauen auch nicht solistisch auftreten. Dagegen könnte Anna Magdalena die Möglichkeit gehabt haben, bei privaten Anlässen wie Hochzeitsfeiern und Hausmusiken zu singen. Abrechnungen für Auftritte in Köthen aus den Jahren 1724, 1725 und 1729, bestätigen, dass sie auch in den Leipziger Jahren auf einem sehr hohem Niveau als Sängerin tätig ist. Eine Aussage ihres Ehemannes in einem Brief von 1730 bestätigt, dass sie "einen sauberen Soprano singet". Anspruchsvolle Kantaten wie die "Schwingt freudig euch empor" (BWV 36.1) oder "O angenehme Melodei" (BWV 210.1), ein Werk für Sopran-Solo, dessen Noten von Anna Magdalena geschrieben sind, dürften, so Experten, mit der Gesangskunst Anna Magdalenas zu tun haben. Auch die bekannte Hochzeitskantate (BWV 210.2) zählt dazu.

"Musizieren auf hohem Niveau ist ohne regelmäßiges Üben nicht möglich, was in besonderem Maße für eine Künstlerin gilt, die zwischen 1723 und 1730 sieben Kinder zur Welt brachte. (... ) Das Instrument einer Sängerin ist ihr Körper. Vor allem bei Schwangerschaften und Geburten kann es da zu größeren Veränderungen kommen. Anna Magdalena musste ihre Stimme also nicht nur regelmäßig schulen, sondern auch in besonderem Maße Aufmerksamkeit auf Veränderungen ihrer stimmlichen Mittel verwenden und darauf mit zeitaufwendigem Üben reagieren. Eigentlich ist es ohne die Aussicht auf regelmäßige Auftritte vor Publikum kaum vorstellbar, dass sie für eine so anstrengende Arbeit die nötige Motivation aufbringen konnte. Dafür waren die Räume der Wohnung aber nicht geeignet. Selbst im größten Zimmer betrug die Entfernung von Wand zu Wand weniger als 6 Meter und kein Raum war über 30 Quadratmeter groß." So beurteilt das Eberhard Spree in seinem Buch "Die Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach. Ein Zeitbild"

Das Ehepaar Bach ist also ein berufstätiges Ehepaar, im 18. Jahrhundert nicht unüblich. In der Wohnung der Bachs erklingt ständig Musik, es wird unterrichtet, geübt, geprobt, aber nicht als Hausmusik, die ausschließlich zur Freude der Ausführenden dient: In diesem Haushalt wird eben mit Musik Geld verdient, und die Annahme, "dass vorhandenes Potential nicht für die Erlangung zusätzlicher Einkünfte genutzt wurde, hieße wirtschaftliches Unvermögen zu unterstellen". Nach Meinung von Eberhard Spree sei es schon allein aus wirtschaftlichen Gründen höchst unklug, wenn Anna Magdalena Arbeiten übernommen hätte, die Angestellte verrichten können. Sie verfügt über Fähigkeiten, mit denen deutlich höhere Einkünfte erwirtschaftet werden können, als eine Köchin oder Magd als Lohn für ihre Arbeit erhalten.

"Ohne Gesinde hätte kein Leipziger Professorenhaushalt […] funktionieren können – und wäre ohne dessen Dienstbarkeit nicht einmal vorstellbar gewesen", zitiert Spree aus einer Doktorarbeit über die damaligen Verhältnisse. Es ist also nicht die Aufgabe einer Frau des Standes der Anna Magdalena, in der Küche das Essen zu kochen, die Wohnung zu reinigen oder die Wäsche zu waschen. Dafür hat sie Dienstpersonal. Die Säuglinge werden wiederum durch Ammen gestillt & gepflegt, alle Arbeiten werden also als Lohnarbeit delegiert. Die Mittel zur Entlohnung & zum Wohnen von "Gesinde" sind jedenfalls vorhanden, wenn man ein Vielfaches von dem verdient, was ein Handwerker für seine Arbeit bekommt, wie Johann Sebastian Bach. Im Laufe der Jahre sind verschiedene Personen nachzuweisen, die für die Familie als Privatsekretäre und Hauslehrer arbeiten. Die Aufgabe der Hausfrau ist hingegen das Organisieren und Überwachen des Hauswesens.

Bleiben also die Schwangerschaften und Geburten, die alleine auf ihr lasten. Als Mutter führt sie ein körperlich und seelisch immens anstrengendes Leben. 1723, noch in Köthen, bringt sie ihr erstes Kind, Christiana Sophia Henrietta, auf die Welt, welches nur drei Jahre alt wird. Es folgt der behinderte Gottfried Heinrich im Jahr darauf, der immerhin ein Alter von knapp 39 Jahren erreichen wird, und 1725 Christian Gottlieb, der ebenfalls mit drei stirbt. Elisabeth Juliana Friderica (*1726 ) hingegen wird die Mutter überleben, Ernestus Andreas (*1727) sind dafür nur ein paar Tage Erdenleben vergönnt. Die im darauf folgenden Jahr geborene Regina Johanna wird fünf Jahre alt, ihre Schwester von 1730, Christiana Benedicta, nur ein paar Tage, Christiana Dorothea fünf Monate. Johann Christoph Friedrich wird dann sogar ein Alter von 62 Jahre erreichen im Gegensatz zu seinem Bruder Johann August Abraham, 1733 geboren, der kurz danach stirbt. Johann Christian (*1735) ist ein Erdenleben von knapp 47 Jahren beschieden, Johanna Carolina (*1737 ) ein ähnlich langes. Die Letztgeborene, Regina Susanna, (*1742) wird am längsten von Anna Magdalenas Kindern leben.

Es kann nur gemutmaßt werden, wie Anna Magdalena Bach ihre vielen Schwangerschaften, Geburten und die Tode ihrer Kinder erfahren & bewältigt hat. Sieben Monate vor der Geburt ihrer dritten Tochter Regina Susanna erkrankt sie schwer, es ist aber nicht bekannt, ob das in einem Zusammenhang mit der Schwangerschaft gestanden hat. Ausschließlich die älteste Tochter aus der ersten Ehe, Catharina Dorothea, wird den ganzen Zeitraum über, in dem Kinder im Bachschen Haushalt leben, dort verbringen. Nur im Sommer 1732 leben fünf Kinder zur gleichen Zeit in der Wohnung an der Thomasschule, sonst immer weniger.

Nach einer Äußerung des Bach-Sohnes aus erster Ehe, Carl Philipp Emanuel, gleicht die Kantorenwohnung einem "Taubenhause" ( es leben ja immer auch eine ganze Reihe Privatschüler dort ). Da muss Anna Magdalena dafür sorgen, dass ihr Mann die nötige Ruhe für seine kompositorische Arbeit hat. Zusätzlich kopiert sie handschriftlich viele seiner Noten. Wann? Wahrscheinlich nachts.

Dass die Kinder wohl versorgt sind und dass man sich auf eingespielte Abläufe und ein Vertrauensverhältnis verlassen kann, beweisen die gemeinsamen Reisen Anna Magdalenas mit ihrem Mann. Verbürgt sind diese für 1724, 1725, 1729, 1732 ( eine mehrwöchige Reise nach Kassel zu einer Orgelprüfung, das damals Jüngste war da gerade zwei Monate alt ) und 1739 wie 1741, was nicht heißt, dass es noch mehr gegeben hat, es gibt nur eben keine Belege dafür.

Bleibt noch der Aspekt der Geschäftsfrau, die Anna Magdalena Bach ebenfalls gewesen ist. Die Familie lebt nämlich auch vom Verleihen von Musikinstrumenten - als Bach stirbt, gibt es acht Klaviere im Haus, dazu noch viele weitere wertvolle Instrumente - und betreibt einen Musikalienhandel, bei dem gedruckte Werke auch anderer Komponisten vertrieben bzw. Notenmaterial verliehen wird. Sie kennt sich in den Beständen aus und wirkt bei der Ordnung derselben mit. Es ist zu jener Zeit üblich, Handschriften von Noten im eigenen Besitz anzufertigen und dafür eine Gebühr zu erheben. Das ist vor allem Anna Magdalenas Arbeit. Ihre Abschrift der Cello-Suiten hat bis heute eine große Bedeutung, denn es existiert kein Autograph ihres Mannes mehr. Sie fertigt auch die Einzelstimmen für die Kantaten Bachs für seine sonntäglichen Aufführungen in den Kirchen an. 

Inn jener Zeit kommt es einer Art Altersversicherung gleich, die Geschäfte der Familie auch in Abwesenheit des Mannes führen zu können, denn viele Frauen sind damals nach dem Tod ihrer sehr viel älteren Partner dazu gezwungen.

Unterschrift unter einem Dokument von 1742

Was wissen wir sonst noch, vor allem über die "Privatperson" Anna Magdalena Bach? Dass sie "eine große Gartenliebhaberin" gewesen sei, mit einer Schwäche für Nelken, so Johann Elias Bach, der Neffe und Privatsekretär von Johann Sebastian Bach. Der berichtet auch davon, einen dressierten Hänfling für sie erwerben zu wollen, denn sie sei "eine große Freundin dieser Vogelart". In Leipzig pflegt sie einen engen Freundeskreis, zu dem auch ihre "Busenfreundin" und Nachbarin Christiana Sybilla Bose gehört. Ihre vielfältigen Kontakte wie sozialen Verbindungen spiegeln auch ihre Patenkinder wider, davon zwei noch in Köthen. In Leipzig zählen dazu die Kinder eines Stadtsoldaten, eines Feldtrompeters, eines Glockengießers und eines Damastwirkers. In Berlin kommt schließlich 1747 noch ihre Enkelin Anna Carolina Philippina, die Tochter von Carl Philipp Emanuel, zu dem sie lebenslang ein gutes Verhältnis hat, dazu.

Ab ca. 1748 zeigen sich Veränderungen in Bachs Handschrift, die ungelenker wird. Eine Augenschwäche scheint die Ursache zu sein, "bis endlich eine sehr schmerzhafte Augenkrankheit daraus entstand", so sein Sohn Carl Philipp Emanuel. Hilfe wird bei einem "Oculisten Sr. Großbritannischen Majestät" gesucht, der den 65jährigen im März & April 1750 operiert. Danach gibt es Anzeichen erneuter Aktivitäten, in denen er u.a. finanzielle Dinge regelt. Dann ein Schlaganfall im Juli. Zehn Tage später, am 28. Juli 1750 stirbt Johann Sebastian Bach.

Anna Magdalena ist jetzt eine "arme Witwe" - eine feste Formel in jener Zeit, die nichts über die finanzielle Lage der Betroffenen aussagt. Über ihren Gemütszustand können wieder nur Mutmaßungen angestellt werden. Als Vertreterin des Musikdirektors der Stadt Leipzig tritt sie bald in Erscheinung, als der Rat am 24. August 1750 bei ihr die "Kirchen Music" für den Festgottesdienst anlässlich des Ratswechsels bestellt. Anna Magdalena Bach ist also verantwortlich für die Aufführung der Kantate. Das Amt ihres Mannes kann sie aber nicht übernehmen.

Dafür sind andere Dinge zu regeln: Da sind einmal die Kinder, die noch im Bachschen Haushalt leben. Die beiden jüngsten Töchter Johanna Carolina (12) & Regina Susanna (8) sowie der behinderte, auf Betreuung angewiesene Gottfried Heinrich (26). Der 18jährige Johann Christian geht zu seinem Halbbruder Carl Philipp Emanuel, um seine musikalische Ausbildung fortzusetzen. Wäre eine lebensnotwendige materielle Versorgung der Kinder nicht gewährleistet gewesen, wären sie alle auf die Familien der Angehörigen verteilt worden - damals wird das als Christenpflicht betrachtet.

"Um für das Auskommen und das ihrer Kinder zu sorgen, gehörte es für Anna Magdalena auch dazu, sich um die Gelder zu kümmern, auf die sie meinte, Anspruch zu haben. So wandte sie sich am 15. August 1750 in einem Brief an den Leipziger Rat und beantragte die weitere Auszahlung des Gehalts ihres Mannes", so Spree.

Der Vormundschaftsdeputation der Universität Leipzig, die darüber wacht, dass die Kinder die ihnen zustehenden Erbanteile erhalten, teilt sie im Oktober mit, dass sie diese Anteile verwalten wolle. Dabei verwendet sie die Formulierung "mit dem Verzicht, nicht wieder zu heyrathen". Als verwitwete unverheiratete Mutter ist sie zur Verwaltung der Erbanteile der unmündigen Kinder berechtigt. ( Im Falle einer erneuten Eheschließung müsste die Verwaltung einer anderen Person übertragen werden. ) Zur damaligen Zeit müssen übrigens per Gesetz Eltern ihren Kindern den Pflichtanteil ( "Legitima" ) auszahlen, egal, ob die Kinder bereits über eigenes Einkommen verfügen. Bach hat also von daher seine Frau in einem Testament gar nicht als Alleinerbin einsetzen können. Der Vorwurf, er habe sie in dieser Hinsicht im Stich gelassen, ist danach obsolet.

1751

Die Witwe Bach zieht gemeinsam mit ihren drei Kindern im Februar 1751 an den Neuen Kirchhof in Leipzig ( genaueres zur neuen Adresse ist nicht bekannt ). Als Witwe kann sie den vormaligen Lebensstandard nicht halten und wird bis zu ihrem Tode als Musikalienhändlerin tätig sein und möblierten Wohnraum vermieten. Unter anderem vertreibt sie auch "Die Kunst der Fuge", die sie gemeinsam mit den Bach- Söhnen herausgebracht hat und ab 1752 sehr erfolgreich das Lehrwerk "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" von Carl Philipp Emanuel. Da sie auch die Musikalien ihres Mannes besitzt, kann sie Kopien seiner Werke anbieten. Mehr als zwei Drittel des musikalischen Nachlasses ihres Mannes stehen nämlich ihr zu.

In der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit gilt sie allerdings als unterstützungswürdig, aber nur, wenn sie selbst zu ihrem Lebensunterhalt beiträgt. Zunächst bekommt sie von der Stadt Leipzig und der Universität eine solche Unterstützung, vereinzelt auch Sonderspenden, zeitweise auch eine durch das Legat von Friedrich Heinrich Graff, der eine Stiftung für arme Witwen und Studenten unterhält, sowie aus dem Bornschen Legat des Johann Franz Born mit einer ähnlichen Zielsetzung. 1752 ersucht sie den Rat der Stadt um weitere finanzielle Unterstützung und bietet Noten zum Verkauf an. Wegen "ihrer Dürftigkeit, auch einiger überreichter Musikalien" zahlt ihr die Stadt vierzig Reichstaler.

Im Siebenjährigen Krieg ( 1756 bis 1763 ) presst der Preußenkönig der Stadt Leipzig jeden Taler ab, um ihn der Kriegskasse Preußens zuzuführen. Auf Unterstützung durch die Stadt kann Anna Magdalena deshalb kaum noch hoffen. Auch die Zuwendungen aus den beiden Stiftungen fallen weg und die der Universität wird auf die Hälfte gekürzt. Die Gelder der Leipziger Almosenstube hingegen sind höchstwahrscheinlich nicht reduziert worden.

"Am 27. Februar 1760 verstarb Anna Magdalena Bach. Es gibt keinen Hinweis, was die Ursache dafür war. Es könnte ein Unfall gewesen sein oder eine Krankheit, die innerhalb kurzer Zeit zum Tode führte. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sie bereits seit längerer Zeit leidend war", so Spree.
Ins Totengräberbuch der Stadt Leipzig wird sie allerdings zwei Tage später als Almosen-Frau eingetragen. Dieser Vermerk trägt entscheidend dazu bei, in der Witwe Bach eine verarmte, verzweifelte Frau zu sehen.  Die Bezeichnung sagt aber nur aus, dass da eine Witwe Unterstützung gemäß ihres Standes erhalten hat. Warum sie in der Hainstraße gestorben ist - dafür gibt es keine Erklärung, denn die Töchter werden wieder am Neuen Kirchhof geführt. Sie ist auch nicht - nachweislich - in einem Doppelgrab mit ihrem Mann bestattet worden, aber auch nicht in einem Armengrab, welches die Stadt bezahlt hätte.

Es ist einfach so, dass vieles im Dunkeln bleiben muss, denn es gibt nur wenige zeitgenössische Dokumente, in denen ihr Name aufgeführt ist, auch keine persönlichen Briefe. Nicht einmal ein Bild von ihr ist erhalten. Und das, was durchs Netz geistert, bildet sie nicht ab. Es hat eines gegeben, gemalt von einem Künstler mit dem Namen Antonio Cristofori, einst im Besitz von Carl Philipp Emanuel Bach. Aber das ist verschollen. Das Bild auf dem Büchlein mit dem Titel "Singende Muse an der Pleiße" ist reine Fantasie. Und das ach so beliebte & erfolgreiche Büchlein der britischen Schriftstellerin Esther Meynell "Die kleine Chronik der Anna Magdalena Bach" von 1930 ist nichts anderes als ein Roman und eine "rührselige Schilderung des Bachschen Familienlebens" (Hans-Joachim Schulze, 2004). Bleibt noch der Film "Chronik der Anna Magdalena Bach" des französischen Regisseurs Jean-Marie Straub aus dem Jahr 1968, bei dem es sich eher um eine Musikbiografie des großen, geschätzten Komponisten handelt und Anna Magdalena musizierende Staffage ist.

Ich habe mich ihr mit großer Neugier & Respekt genähert. Ich hoffe, mein Porträt ist unterhaltsam und geeignet, einiges zurechtzurücken. Auf Bildmaterial habe ich diesmal leider weitgehend verzichten müssen - siehe oben.





3 Kommentare:

  1. Die Bach-Familie ist immer interessant. Bach sowieso. Wir haben vor einigen Jahren mal alle Wirkungsorte von Bach besucht und natürlich auch die Kirchen, wo er gespielt hat. In Köthen waren wir natürlich auch. So kann ich mir das gut vorstellen, wie die beiden sich da begegnet sind. Was wäre Bach gewesen (und manch anderer berühmte Mann) ohne seine tüchtigen Ehefrauen? Sie haben alles am Laufen gehalten und sich darüber selbst nicht ganz vergessen. Das ist die größte Leistung dabei.
    Eine ganz wunderbare Biografie hast Du hier erstellt, liebe Astrid. Auch ohne Bilder kann ich mir alles sehr gut vorstellen.
    Danke und herzlichste Grüße, Sieglinde

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  2. Liebe Astrid,

    auch hier wieder vielen Dank an dich für die Vorstellung der Anna Magdalena Bach.

    Interessant zu lesen, wie ein Leben als Frau und Ehefrau von JSB in der damaligen Zeit sich gestaltet hat.
    Ebenso interessant, dass man es nicht für nötig befunden hat, von ihr ein Bild anzufertigen, dass der Nachwelt überliefert wird. Schade.

    Vielen Dank sagt
    Claudia

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  3. War wieder interessant und spannend zu lesen, liebe Astrid!

    Übrigen steht ein Buch in unserem Regal: Gödel - Escher - Bach ... eine wirklich spannende Kombination, Lektüre die ich zwischendurch immer wieder gerne zur Hand nehme.

    Liebe Grüßle von Heidrun

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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