Donnerstag, 16. September 2021

Great Women #273: Simone Signoret

Jetzt kommt sie mal wieder mit ihrem Filmclub der 1960er Jahre ( war ja schon lange nicht mehr dran ), so oder ähnlich habe ich vor zehn Monaten schon einmal einen Great-Women-Post zu einer Ikone des französischen Films eingeleitet. Heute geht es um eine weitere Bekannte aus jenen Jahren, denn damals habe ich in "Goldhelm" Bekanntschaft mit der heutigen Great Woman, der Filmschauspielerin Simone Signoret, gemacht, deren Schönheit mich umgehauen hat. Ende September vor 36 Jahren ist diese beeindruckende Frau schon mit 64 Jahren gestorben...

"..so ist doch das Leben, das Leben der Frauen, 
erst ist man ein hübsches Mädchen
 und dann eine schöne Frau. 
Dann ist man eine Frau, die einmal schön war, 
und dann ist man eben häßlich."


Simone Signoret erblickt als Simone Henriette Charlotte Kaminker am 25. März 1921 in Wiesbaden das Licht der Welt. Sie ist das erste Kind der 25jährigen Georgette Signoret und ihres neun Jahre älteren Ehemannes, einem französischen Militär mit polnisch-jüdischen Wurzeln im alten Österreich-Ungarn, André Kaminker. André, Sohn eines Antwerpener Diamanthändlers und einer österreichischen Jüdin, hat, da in Frankreich geboren, mit seiner Volljährigkeit die französische Staatsangehörigkeit angenommen und einen entsprechenden Wehrdienst als Ballonfahrer abgeleistet. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er teilgenommen hat, bleibt er als Beamter in der Armee, wird den Besatzungstruppen im Rheinland zugeteilt und ist mit den Problemen der Rückgabe des von Deutschen in Elsaß-Lothringen beschlagnahmtem Eigentums befasst.

Im Juni 1920 hat er in Paris die Tochter eines Marseiller Malers und seiner nordfranzösischen Ehefrau geheiratet, was Andrés Mutter ihm nie verziehen hat, denn Georgette ist katholisch. Simone wird ihren Vater später beschreiben als "den Archetypen des assimilierten Juden", der auch nie über seine Ursprünge bzw. sein Jüdischsein in der Familie geredet hat. Erst aus den Erzählungen der Mutter über die armen jüdischen Kinder während des Naziregimes wird sie damit konfrontiert werden.

Nach der Rückkehr aus Deutschland 1923 lebt Simone weitgehend allein mit der Mutter im Pariser Vorort Neuilly-Sur-Seine, wo sie zur Schule, u.a. auf das Lycée Pasteur geht. 1930 vergrößert der Bruder Alain die Familie, 1932 Jean- Pierre. 1934 kehrt der Vater - als Dolmetscher inzwischen ein Meister seines Faches - völlig erschöpft heim, nachdem er eine Rede Adolf Hitlers auf dem Reichsparteitag in Nürnberg simultan gedolmetscht hat.

Bei Kriegsausbruch zieht sich die Familie zunächst nach Saint-Gildas-de-Rhuy im Département Morbihan in der Region Bretagne, ihrem Sommerferienort, zurück, und Simone besucht das Lycée de Vannes bis 1940, wo für einige Monate Lucie Aubrac ihre Geschichtslehrerin ist, ein späteres Mitglied der Résistance, die nach dem Krieg jede Heldenverehrung und eine politische Karriere ablehnen und von der Simone in "La nostalgie n'est plus ce qu'elle était", ihren Memoiren, berichten wird. 

Mit 19 Jahren legt Simone im Frühjahr 1940 das Abitur ab, noch bevor Saint-Gildas-de-Rhuys im Juni von deutschen Soldaten besetzt wird. Nachdem jemand verraten hat, dass die Kaminker-Kinder einen jüdischen Vater haben, muss die Familie binnen 24 Stunden den Ort verlassen und kehrt nach Paris zurück. Danach fliehen sie weiter nach London. Der Vater schließt sich dort den freifranzösischen Streitkräften an. Doch Simone kommt bald mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern nach Paris zurück.

Eigentlich möchte sie Jura studieren, doch sie muss den Lebensunterhalt für die Mutter und die kleinen Brüder sichern. Über eine Schulkameradin, die spätere Schauspielerin Corinne Luchaire, kommt sie 1940 ( bis Juni 1941) auf einer Stelle als Sekretärin bei deren Vater Jean Luchaire unter, der mit seiner Zeitschrift "Nouveaux Temps" auf Seiten der Vichy-Regierung steht und mit ihr eine bedeutende Rolle in der Medienpolitik der Kollaboration spielt. ( Dafür wird er 1946 hingerichtet werden.) Simone selber wird ihn später als "weichlich, schwach, korrupt, schön und großzügig" beschreiben. 

Dank Corinne kann sie beim Film kleine Statistenrollen übernehmen. Sie figuriert unter dem Nachnamen ihrer Mutter, auch um mit ihrem eher jüdisch klingenden Namen nicht aufzufallen. Simone wird in späterer Zeit Gespräche über die im Nachkriegs-Frankreich verfemte Corinne Luchaire lieber vermeiden, diese aber noch vor ihrem Tod an Tuberkulose 1950 aufsuchen.

1947
Ihre Mutter verlässt Paris schließlich und geht mit den zwei Söhnen, die mittlerweile aus Schutz vor Verfolgung durch die Deutschen den protestantischen Glauben erhalten haben, in das unbesetzte Südfrankreich nach Valréas im Departement Vaucluse. Dort verdient sie während der Besatzungszeit als Wäscherin ihren Lebensunterhalt. André Kaminker ist unterdessen in London für den französischen Rundfunksender "France Libre" tätig und einige Male als Dolmetscher für General Charles de Gaulle, der von London aus die Fortsetzung des französischen Widerstandes organisiert. 

Simone selbst betritt im März 1941 zum ersten Mal das Café de Flore, und trifft dort auf Menschen,  die der französischen "Kommunistischen Partei" und der Widerstandsbewegung "Résistance" nahe stehen, darunter Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, Alberto Giacometti, Jacques Prévert, Boris Vian. "Ich hatte keine Ahnung, dass ich mit dem Durchschreiten dieser Tür in eine Welt eintrat, die für mein weiteres Leben entscheidend sein sollte", erinnert sie sich später, denn sie findet dort Freunde, die sie ihr Leben lang begleiten werden. In einer Atmosphäre des politischen Diskurses und der engagierten Kameradschaft startet die Filmkarriere der Simone Signoret, Spitzname damals: "Kiki".

Mittlerweile bessert sie nämlich ihre bescheidenen Finanzen mit ersten kleine Nebenrollen auf, so in "Boléro" (1942; wo sie noch nicht im Abspann erwähnt wird ) und in "Le prince charmant" und "L’ange de la nuit" ( beide 1942). Simone findet Gefallen an der Schauspielerei und nimmt entsprechenden Unterricht, bestärkt von ihrem damaligen Geliebten Daniel Gélin. Es folgt noch im gleichen Jahr eine größere Nebenrolle in "Les visiteurs du soir" ( "Die Nacht mit dem Teufel" ).  



Ihre atemberaubende Schönheit erregt die Aufmerksamkeit des Regisseurs Yves Allégret, mit dem sie die nächsten sechs Jahre zusammenleben wird. Von ihm erhält Simone ein erstes ernsthaftes Rollenangebot für den Film "Les Démons de L’Aube" (1946). Für den Streifen "Macadam" ( 1946; "Zur roten Laterne" ), in dem sie eine Prostituierte spielt, verleiht man der inzwischen 26jährigen 1947 den "Suzanne-Bianchetti-Preis" für die beste Nachwuchsdarstellerin.

Mit Tochter Catherine und Yves Allégret ( rechts )

Den vierzehn Jahre älteren Allégret, einst Sekretär von Leo Trotzki, heiratet Simone schließlich nach seiner Scheidung von seiner ersten Ehefrau 1948. Zuvor hat sie ihr einziges Kind mit ihm, Catherine, am 16. April 1946 auf die Welt gebracht.

In einem von Allégrets Filmen, "Dédée d'Anvers" (1948; "Schenke zum Vollmond", bei YouTube zu sehen ), spielt Simone wieder eine Prostituierte mit einem Herzen aus Gold und verleiht dieser Rolle eine Subtilität und Tiefe, die das Klischee zu einer Ikone von dauerhaftem Wirkungsgrad werden lässt. Der Film ist gleichzeitig der Auftakt zu Allégrets Neuinterpretation eines Poetischen Realismus à la Carné-Prevert ( "Kinder des Olymp" ).

Zwei Jahre nach der Dédée spielt Simone eine bösartigere Version der Rolle als intrigante Spitzmaus in Allégrets "Manèges" (1950; "Eine Frau im Sattel"), aber da hat sie sich schon von ihm scheiden lassen, denn im August 1949, - Simone sitzt auf der Terrasse des Hotels "Colombe d’Or" im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence - kreuzt sich ihr Blick "mit denen eines schlaksigen Mannes mit abstehenden Ohren und jungenhaftem Grinsen. Er ist Sänger, und sein Name ist Yves Montand. Die Begegnung ist der Beginn einer Leidenschaft, einer tiefen Liebe und einer französischen Institution". ( Quelle hier ) Montand wird später erzählen, ihr Anblick habe ihn bis ins Mark getroffen und er habe sofort gewusst: "Das ist die Frau meines Lebens!" Da er ihren Namen kennt, spricht er sie an...

1949
Yves Montand, eigentlich als Yvo Livi am 13. Oktober 1921 in Monsummano Terme in der Toskana geboren, Sohn eines italienischen Kommunisten, der 1922 vor den Faschisten nach Marseille geflohen ist, ist seit seinem 17. Lebensjahr als Sänger unter dem Namen Yves Montand aufgetreten. Beide, Simone wie Yves, kommen also sehr früh für ihre von den Zeitläuften zerrissenen Familien auf. Montand ist in der Besatzungszeit nur knapp einer Deportation nach Deutschland entgangen und kommt nach dem Ende der Vichy-Regierung nach Paris, wo er in Music Halls auftritt, von Edith Piaf entdeckt, für ihre Konzerte engagiert und ihr Liebhaber wird. Seinen ersten Film, "Chanson der Liebe" ( "Étoile sans lumière"), ist 1946 in den Kinos angelaufen. 

Geheiratet wird nach der Scheidung von Allégret am 22. Dezember 1951 in Saint-Paul-de-Vence, und Montand adoptiert Simones Tochter. Beide teilen sie ihre politischen Sympathien und ein geradezu selbstverständliches Engagement für Ziele, die eher auf der linken Agenda stehen. Bereits 1950 unterschreiben sie die Stockholmer Erklärung  zum Verbot aller Kernwaffen. Simone erhält prompt darauf ein Einreiseverbot für die USA.

Vor dem "Chateau Blanc"
1954 kauft das Paar - vor allem von den Schallplatten- & Konzerteinnahmen Montands - in Autheuil-Authouillet im Tal der Eure in der Normandie,  89 Kilometer von Paris entfernt, das Anwesen "Le Chateau Blanc", wo sie ihre illustren Freunde oft zu Gast haben werden und was sich zu einem Ort der künstlerischen und intellektuellen Begegnungen entwickeln wird. Neben Beauvoir & Sartre werden andere Intellektuelle wie die Schauspielkollegen Serge Reggiani - ihr Partner in "Goldhelm" - und Pierre Brasseur, die Filmemacher Luis Buñuel und Costa-Gravas oder der Schriftsteller Jorge Semprún dort regelmäßig Gäste sein. In dieses "gemütliche Nest", mit Antiquitäten liebevoll von Simone ausgestattet, kommen sie, um Kraft zu tanken, sich zu finden, weit weg vom Wirbel ihrer Karrieren und ihrer aktivistischen Verpflichtungen. Das Anwesen "steht für Luxus. Ein gewisser Luxus, der darin besteht, sich mit den Früchten der Arbeit etwas kaufen zu können", wird Simone in ihren Memoiren später schreiben.

Ab 1950 spielt Simone fünf Jahre lang die Rollen, mit denen sie bis heute am meisten identifiziert wird. Sie hat eine so stimmungsvolle, sinnliche, schillernde Präsenz, die sie zuerst zu einem nationalen, dann zu einem internationalen Star macht und zu Frankreichs Sexsymbol der 1950er Jahre: "La Ronde" von Max Ophüls ( 1950; "Der Reigen" - ein Film der in den  USA als unmoralisch verboten wird ), "Thérèse Raquin" von Marcel Carné (1953; "Thérèse Raquin – Du sollst nicht ehebrechen" ), "Diabolique" von Henri-Georges Clouzot ( 1955; "Die Teuflischen" ) und schließlich - als Höhepunkt - "Casque d'Ôr" von Jacques Becker (1952; "Goldhelm" ). Letzterer etabliert Simone Signoret nicht nur als Schauspielerin von beträchtlichem Können und Komplexität in der Rollendarstellung, sondern bedeutet ihren endgültigen Durchbruch als Star, ein Label, das sie nie mögen wird und stets hinterfragt, aber auch ausfüllen wird wie selten eine Schauspielerin. 

"Dass sie in ihren Anfangsjahren, aber auch später in ikonischen und zauberhaften Rollen als etwas verruchte Femme Fatale und oftmals Sexarbeiterin festgelegt schien, hatte neben dem äußerst engen Frauenbild des französischen Nachkriegskinos auch mit der aus allen Gesten und Blicken ihres Körpers sprechenden Unabhängigkeit zu tun, die sich besonders tragisch entfaltete, wenn sie abhängige Frauen spielte. Oft kann man Signoret rauchend auf und ab tigern sehen in zu kleinen Hinterzimmern, umgarnt von Dandys oder Streunern, und in einsamen Nachtclubs, auf ein letztes Getränk oder eine letzte Chance wartend. Eigentlich haben alle Männer Angst vor den von ihr verkörperten Frauen, aber genau deshalb sind sie bedroht. Der Trotz ist ihr Markenzeichen, die Hände liegen in der Hüfte, das Funkeln springt aus ihren traurigen Augen." So erklärt der Filmwissenschaftler Patrick Holzapfel das Phänomen in einem Beitrag für den "Filmdienst" zum hundertsten Geburtstag der Schauspielerin.

Noch einmal zurück zu "Casque d'Ôr"/"Goldhelm", dem Film, in dem mich Simone Signoret in den Bann geschlagen hat. Patrick Holzapfels Ausführungen dazu finde ich kongenial:

"Möchte man begreifen, warum Signoret zu Beginn der 1950er-Jahre der größte Star im französischen Kino war, muss man sich nur die Anfangssequenz von Jacques Beckers „Goldhelm“ ansehen. Vor der virtuos, federleicht durch die Szenerie eines vorstädtischen Gaststättenidylls fahrenden Kamera Robert Le Febvre verliebt sich die von Signoret gespielte Marie in den ihr eigentlich nie gewachsenen Manda (Serge Reggiani). Während sie mit einem anderen Mann tanzt und sich beständig um ihn windet, findet ihr Blick diesen streunenden Beobachter und der Blick der Kamera findet sie. Der beginnende Belle Époque-Reigen von Becker ist ein einziger Coup de foudre, erst auf narrativer Ebene und dann für das Kino und Signoret selbst. Der meist etwas geneigte Kopf drückt einen kecken Widerstand aus, aus den Augen spricht die Angst dahinter und der Stolz darüber."

1956 spielt das Ehepaar Signoret/ Montand zum ersten Mal zusammen in einem Film von Yannick Bellon, "Un matin comme les autres", einem Kurzfilm über das Problem unhygienischer Wohnverhältnisse in den Vororten französischer Städte, ein Beispiel dafür, dass sich beide für linke Ideen einsetzen. Bald werden sie dann als "Reisebegleiter" der französischen Kommunistischen Partei denunziert. 

1957 geht Yves Montand auf eine Tournee durch alle damaligen "Ostblockländer", Simone begleitet ihn und erlebt seinen Triumph. In Moskau treffen sie Nikita Chruschtschow zum Frühstück. Simone protestiert bei dieser Gelegenheit gegen den Einmarsch der Sowjets in Ungarn, doch der sowjetische Ministerpräsident lacht nur über sie. Zutiefst desillusioniert von der konkreten Realität der Länder des "realen Sozialismus" kommen sie nach Frankreich zurück und distanzieren sich von der Partei, geben jedoch ihre politischen Überzeugungen nicht auf. Mitglied der KP, was ihr immer unterstellt wird, ist Simone allerdings nie gewesen. 

1958 dreht sie mit dem britischen Regisseurs Jack Clayton "Room at the Top" ( "Der Weg nach oben" ), laut Wikipedia "der erste britische Film, in dem Sexualität realistisch und lustvoll dargestellt wird und nicht nur als Quelle der Sünde". Simone spielt darin eine ältere, unglücklich verheiratete Französin, Alice Aisgil, mit der der Protagonist Joe, ein kleiner Finanzangestellter,  reichlich sexuelle Erfahrungen sammelt und sich in sie verliebt, aber eine andere heiratet, mit der er in die Oberschicht aufsteigt. Joes Stolz bleibt dabei auf der Strecke wie seine Liebe zu Alice, die sich das Leben nimmt.

"In Signorets Darstellung trägt Alice den Panzer einer Lebenserfahrung, der sie dennoch nicht davor schützen kann, sich unsterblich zu verlieben. Kaum auszuhalten ist ihr von Trauer verschleierter Blick. Dann wieder blitzen ihre Augen, wenn sie ihrem Geliebten den Kopf wäscht, nachdem er ihr eifersüchtig Vorwürfe gemacht hat wegen eines lange zurückliegenden Jobs als Aktmodell: Mit welchem Recht verfügt er über den Blick auf ihren Körper? Wieso glaubt er, ihre Vergangenheit beurteilen zu können? Was weiß er schon von den Möglichkeiten einer Frau, sich durchzuschlagen? Der Stolz der Alice Aisgill ist der gelebte Feminismus von Simone Signoret ." So gibt Katja Nicodemus in der "Zeit" ihren Eindruck von Simones Spiel wieder. 

Mit Laurence Harvey als Joe Lampton


Die Jury der Filmfestspiele in Cannes honoriert die darstellerische Leistung Simones mit einer "Goldenen Palme", und  die British Film Academy verleiht ihr den Preis als beste ausländische Schauspielerin. 1960 wird ihr dann auch der Oscar für die beste Hauptdarstellerin zuerkannt, als erster Französin überhaupt vom legendären Rock Hudson überreicht.

Simone nutzt die Gelegenheit, um in einem Interview im Fernsehen den Krieg Frankreichs gegen Algerien anzuprangern. Eine Nation sollte wissen, wann sie von ihrer Regierung betrogen werde, erklärt sie. Die Klatsche kommt bald zurück: "Und eine Frau sollte wissen, wann sie von ihrem Mann betrogen wird", so die französischen Gazetten wenige Monate später. 

Nach den Dreharbeiten zu "Room at the Top" in England hat Simone Yves Montand zu Dreharbeiten in die USA begleitet. Dort dreht er mit Marilyn Monroe, seit drei Jahren verheiratet mit dem Schriftsteller Arthur Miller, zu dem das französische Paar freundschaftliche Beziehungen unterhält, unter George Cukor "Let's make love" ( "Machen wir's in Liebe" ). Bald sind Montand/ Monroe viel mehr füreinander als Filmpartner und ihre kurze Affäre füttert die Presse. Das Ehepaar Miller/Monroe zerbricht darüber, während das Ehepaar Montand/Signoret trotz der Differenzen standhält.

"Ketten halten keine Ehe zusammen. Es sind Fäden, Hunderte von Fäden, die Menschen über die Jahre zusammennähen. Das macht eine Ehe haltbar – mehr als Leidenschaft oder gar Sex!", wird sie in ihren Memoiren dereinst dazu schreiben.

Doch die größte französische Schauspielerin des vorhergehenden Jahrzehnts, die erste Oscar-Gewinnerin der Nation, muss sich eingestehen, dass der Zahn der Zeit an Männern anders nagt als an Frauen oder wie sie es auf ihre Weise ausdrückt: "Ich bin zehn Jahre älter als Montand, obwohl wir gleich alt sind, ich aber eine Frau bin ..." Traurige, dumme und anonyme Briefe erreichen sie, zugleich pornographisch, skatologisch und patriotisch, und viele mit dem Tenor, Simones Mann habe doch recht, wenn er ihr eine so frische Blondine vorzieht.

Von links nach rechts: "L'Armée des Ombres", "Das Geständnis", "Die Katze"


Ein paar Jahre zieht sie sich jetzt weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, dreht aber weiterhin Filme, darunter "Ship of Fools" (1965; "Das Narrenschiff", zusammen mit Oskar Werner und Heinz Rühmann in seiner einzigen Hollywood-Rolle; erneute Oscar-Nominierung ), "Compartiment tueurs" unter Costa-Gavras ( 1965; "Mord im Fahrpreis inbegriffen", zusammen mit Mann & Tochter ), "Paris brûle-t-il ?" ( 1966; "Brennt Paris?) oder "The Deadly Affair" (1967; "Anruf für einen Toten"). Am bedeutendsten ist wohl in jenen Jahren die Rolle, die sie 1969 in "L'Armée des Ombres" von Jean-Pierre Melville spielt.

Im Film hat Simone als Mathilde, die einzige Frau in einer Widerstandsgruppe, eine Stärke, Intelligenz und Überzeugung, die der des Anführers der Gruppe, Philippe Gerbier, gleichkommt. Im Alleingang entwirft sie einen Plan, um diesen aus einer "Schießbude" der Gestapo zu retten, und es ist ihre Darstellung, von Melvilles Kameramann in intensiven Nahaufnahmen festgehalten, die eine Stimmung tiefster Spannung und größter Tragödie vermittelt.

Doch das Leben ist wichtiger als das Kino, so Simones Lebensphilosophie, und so ordnet sie nicht alles ihrer Filmkarriere unter. Dazu gehört auch, dass sie sich nicht verbissen in ihrer Lebensweise diszipliniert oder Schönheitsoperationen unterzieht. Sie altert sichtbar, sichtbarer als viele ihrer Kolleginnen, was ihr dafür auch aufregendere Rollen verschafft. "Der wahre Luxus", sagt Simone, "besteht für mich darin, Rollen, die mir nicht zusagen, abzulehnen." Ihre Falten, die über den Menschen und seine Geschichten erzählen, ihr körperlicher Verfall machen es ihr möglich, auch im Film glaubhaft menschliche Schicksale darzustellen. 

Mit ihrer Darstellung von Madame Rosa in dem gleichnamigen Film von Moshé Mizrahi nach dem Roman von Romain Gary/Emile Ajar ( siehe auch dieser Post ) schafft sie in der altersschwachen, aber mitfühlenden Madame, die sich um Kinder von Prostituierten kümmert, auch ein Bild ihres Verständnisses des menschlichen Seins. Im Film ist sie eine Auschwitz-Überlebende, die am Ende ihres Lebens steht und immer noch von der Erinnerung verfolgt wird, die sie für immer verändert hat. Während es in dem Roman mehr um den Zerfall einer Person und eine unwahrscheinliche Liebe geht, gibt uns der Film eine überzeugende und doch eindringliche Darstellung einer Frau, deren unbezwingbare Stärke sowohl in ihren traumatischen Erinnerungen als auch in ihrem Mitgefühl liegt. Die Bedeutung des Films für das jüdische Selbstverständnis beruht auf Simones darstellerischen Kräften. Sie trägt übrigens im Film als Tattoo die Häftlingsnummer ihrer jüdischen Maskenbildnerin, obwohl die auf den Aufnahmen nie zu sehen ist.


Abgesehen von diesem Film manifestiert sich Simones Verbundenheit mit dem Judentum in ihrem Schreiben und ihren Aktivitäten, z.B. auch in ihrer Arbeit in Verbindung mit Mosco Boucaults Dokumentarfilm "Terrorists in Retirement", 1985 publiziert. Dieser Film über eine Gruppe jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, die während des Zweiten Weltkriegs einen aktiven Flügel des kommunistischen Widerstands in Paris und anderen Orten gebildet haben, wird fast nicht gezeigt, vielleicht auch, weil er darauf hindeutet, dass das französische Establishment Widerstandskämpfer mit französischer klingenden Namen bevorzugt hat.

Simone hat diese Zusammenarbeit inspiriert, ihren Roman "Adieu Wolodja" über das Leben von jüdischen Emigranten aus Polen und der Ukraine in Paris zu verfassen, der bei seinem Erscheinen 1985 deutlich macht, dass in ihr auch eine beachtenswerte Literatin versteckt ist. Schon ihre Memoiren "La nostalgie n'est plus ce qu'elle était" ( "Ungeteilte Erinnerungen" ) von 1976 sind ein großer Erfolg gewesen, haben eine Auflage von einer Million erreicht und werden in 16 Sprachen übersetzt. Die Plaudereien aus ihrem an Ereignissen reichen Leben vertreiben sogar das Erstlingswerk des damaligen Staatspräsidenten d’Estaing von der Spitze der Bestsellerlisten. 1979 folgt ein weiteres autobiografisches Buch "Le lendemain elle était souriante".

Als Madame Baron in "Stern des Nordens"
Zudem startet sie fast 60-jährig, übergewichtig und mit deutlichen Falten ein Comeback als Schauspielerin. Neben Partnern wie Jean Gabin oder Alain Delon überzeugt sie in Fernseh-Thrillern, in Deutschland vor allem durch die Maigret-Verfilmung "Die Katze" 1971. 1973 spielt sie in "Die Löwin und ihr Jäger" (Originaltitel: "Les granges brûlées" ). Simone Signorets letzter Film ist dann "Stern des Nordens" von Pierre Granier-Deferre aus dem Jahr 1982. Er beruht auf dem Roman "Der Untermieter" ("Le locataire") von Georges Simenon. 

Ab 1981 verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand und Simone Signoret erblindet allmählich. Schließlich erkrankt sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs und stirbt am  30. September 1985 in Autheuil-Anthouillet. Sie wird unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt. Yves Montand folgt ihr sechs Jahre später. 

Ein Jahr nach ihrem Tod bringt Chris Marker, gleichaltriger französischer Schriftsteller aus Neuilly-sur-Seine, Simone durch das tragische Schicksal ihres Bruders Alain verbunden, der während der Dreharbeiten des gemeinsamen Filmes "La mer et les jours" vor der Küste der Île de Sein ertrunken ist, seinen wirklich sehenswerten Film "Mémoires pour Simone" ( "Erinnerungen an Simone" ) heraus, der eine "zärtliche Annäherung eines Freundes und Bewunderers und gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den feinen Linien zwischen Leben und Fiktion, Erinnerung und Gegenwärtigkeit, Star-Dasein und Aufrichtigkeit, die Signorets Karriere prägten" ist, so noch einmal Patrick Holzapfel.

Simone Signorets Karriere beim Film dauerte lang, länger als für die meisten Schauspielerinnen. "Als ich anfing", hat sie in einem Interview wenige Wochen vor ihrem Tod gesagt, "da war Michèle Morgan da. Dann kam Martine Carol, ein enormer Star. Und dann war es plötzlich die Bardot, die alle jungen Mädchen hinwegfegte, während ich langsam älter wurde. Danach war Jeanne Moreau der Superstar, und ich war immer noch da. Plötzlich wollten sie Jeanne nicht mehr..." Simone Signoret blieb fast vierzig Jahre lang, erst auf der Kinoleinwand, dann in den Serien des Fernsehens. Sie ist das "monstre sacré" des französischen Films gewesen, ein "Star as Cultural Sign", wie der Titel eine Buches über sie lautet. Für mich ist sie eine einmalige Verbindung von Schönheit und einem Ernst, der wohl nicht zu trennen ist von der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges.






10 Kommentare:

  1. Hallo Astrid,

    wieder ein sehr interessantes Frauenportrait.
    Dass sie in Wiesbaden geboren wurde, ist mir unbekannt gewesen.

    Ein Gesicht, dem man neben ihrer Schönheit auch ihren Kummer und Schmerz ansieht.

    Bei 2 Fotos musste ich zweimal hingucken, so groß erscheint mir die Ähnlichkeit zu Romy Schneider (das mit ihrer Tochter Catherine und das mit Laurence Harvey).

    Liebe Grüße
    Claudia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das passt vielleicht zu deiner Great Women - Reihe?


      Hast du den Film "Die Unbeugsamen" (Geschichte der Frauen in der Bonner Republik) schon gesehen?

      Ich bin gespannt, wann er bei uns in der Nähe laufen wird und möchte ihn mir anschauen.

      Liebe Grüße
      Claudia

      Löschen
  2. Simone Signoret hatte ich bisher nur als ältere Frau wahrgenommen und ehrlich gesagt, noch nie einen Film gesehen mit ihr. Dass sie einmal so klassisch schön war, hatte ich garnicht gewusst. Über ihr politisch-gesellschaftliches Engagement hatte ich schon gehört, aber nicht so ausführlich wie heute hier bei Dir. Also, wieder viel dazu gelernt!
    40 Jahre in Film-Geschäft dabei zu sein, das heißt eine Menge. Sie muss wirklich außergewöhnlich gewesen sein.
    Herzlichst, Sieglinde

    AntwortenLöschen
  3. Irgendwie kenne ich Simone Signoret gar nicht in ihren früheren Filmen. Ich hatte sie gleich in späteren Lebensjahren vor Augen. Beim Lesen habe ich gemerkt, dass ich eigentlich rein gar nichts von ihrer interessanten Biographie wusste. Danke wieder für dieses spannende Frauenportrait.
    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen
  4. Simone Signoret, das freut mich sehr. Seit ich sie in "Die Katze" gesehen habe, bin ich begeistert von ihr. Ich fand sie auch im Alter schön, nein, eigentlich nur im Alter, denn in jüngeren Jahren kannte ich sie noch gar nicht (und sollte ich mal einen Film mit ihr gesehen haben, habe ich sie womöglich noch nicht mal erkannt). Insofern war es mir auch ganz neu, dass sie quasi als Sexsymbol galt. Auch die "Verstrickungen" mit Beauvoir und Sartre (oder auch Monroe) finde ich sehr interessant, wusste ich alles nicht. Damit hast du mir wirklich eine Freude gemacht, liebe Astrid.
    Schöne Grüße
    Jutta

    AntwortenLöschen
  5. von Helga:

    Liebe Astrid,

    ich erinnere mich noch genau an diese Schönheit,es war die Zeit der Reklame für Lux Seife, wo man noch glaubte wenn man sie benützen würde, wäre man nachher genau so schön wie die Stars.
    Wir sammelten damals Bilder die wir aus Illustrierten ausschnitten und aufklebten. Ich sammelte damals ( etwa 12 bis 15 Jährig) Marika Rökk und Dieter Borsche, meine Freundin Rudolf Prack und Ingrid Bergmann. Die Signoret war auch dabei, aber wer und ob die auch jemand gesammelt hatte weiß ich nicht. In der Schule wurde jedenfalls heftig geschachert und getauscht. Illustrierte gab es erst nur wenige und dann auch teuer, begehrt waren Filmprogramme. Auch wenn man noch nicht ins Kino konnte oder durfte, vor allen Dingen, es gab ja nicht täglich Vorstellungen. Montags und Dienstags so gut wie nie, nur Mittwochs und am Wochenende. Mein erster Film wo Mama mich mit ließ, mit meinem Bruder und dessen Freundin war „Dr. Holl“mit der herzkranken Maria Schell und Dieter Borsche. Ich fühle es heute noch, wie erwachsen ich danach das Kino verließ. Eine Schülerin war ich nicht mehr, meine Lehrzeit war mein weiterer Lebensweg.
    Danke für die Rückblende, sie hat mich nochmal jung werden laßen. „Vom Winde verweht“ ein weiteres Filmhighlight, daß ich nie vergessen werde. Oft spreche ich Scarlett nach, wenn ich das Leid in den armen Ländern sehe: das Radieschen in der Hand und das lichterloh brennende Atlanta im Hintergrund, „Ich will nie wieder hungern“
    So schön, wie Du Dich immer wieder bemühst. Das muß man mögen und wollen sonst gelingt es nicht so perfekt.

    Liebe Grüße von Helga zu Dir

    AntwortenLöschen
  6. Ich kenne sie nur aus Altersrollen, geht mir wie Jutta, jung würde ich sie wahrscheinlich nicht erkannt haben. Eine tolle Schauspielerin und eine wechselvolle Biographie. Ich feiere Jede, die in diesem harten Geschäft das Altern annimmt - eh voila, da kommen sehr interessante Rollen. Sie war grandios. Danke für das tolle Portrait! und apropos, das Deinige ist ja Zucker!! Abendgrüße den Rhein runter! Eva

    AntwortenLöschen
  7. Welch wundervolles Portrait, so liebevoll ausgearbeitet mit den Zitaten und Fotos. Deine Bewunderung kannst du nicht verhehlen. Ich kennen nur wenige Filme mit Simone Signoret, finde sie aber in allen Lebensaltern schön.

    Herzlichst, Petruschka

    AntwortenLöschen
  8. Lustig, wie unterschiedlich die Wahrnehmung sein kann. Ich fand sie immer so weit ganz gut aussehend, aber als Schönheit hätte ich sie nicht bezeichnet.
    Aber das reine Aussehen sollte bei einer Schauspielerin ja auch nicht so entscheidend sein (wobei hübsch sein schon hilft - für die anderen und die Alten gibt es dann die "Charakterrollen").
    LG
    Centi

    AntwortenLöschen
  9. hach
    mal jemand den ich kenne ;)
    aber auch nur aus späteren Rollen
    ins Kino bin ich nicht oft gekommen und Fernseher gab es erst
    ab 1969 bei uns
    aber stimmt was Elke schrieb
    sie hat Ähnlichkeit mit Romy Schneider
    wieder ein sehr interessantes Porträit

    liebe Grüße
    Rosi

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.