Um ihre "tiefe Anziehungskraft auf die Gesellschaft" zu befriedigen, unterhält die Malerin einen illustren Salon in ihrem Appartement in der Rue de Grenelle.
Die Ausstattung dieses Salons ist dank der Beschreibung eines Besuchers bekannt: Um sich für ihre jahrelange finanzielle Unterstützung erkenntlich zu zeigen, hat ihr Bruder Louis die Decke mit einer Herkulesapotheose ausgemalt, die Wände schmücken jeweils Darstellungen von Medor und Angelika aus dem "Orlando furioso".
Diese Malerei wie die in der Rue de Grenelle aufbewahrte beeindruckende Sammlung an Kunstwerken anderer Künstler, darunter zwei wertvolle, aus farbigem Wachs gefertigte, mehrfigurige Plastiken des
Gaetano Julio Zumbo, eine Anbetung der Hirten und eine Kreuzabnahme, haben die Funktion, Diskussionen über die Kunst zu stimulieren.
Élizabeths gemalte Fassung der Kreuzabnahme ( nur noch nachvollziehbar durch einen Kupferstich ) konfrontiert die Besucher im Salon, der Ausstellungsveranstaltung der Akademie, erstmalig in seiner Geschichte mit einem vollwertigen Historiengemälde aus der Hand einer Frau. ( Daneben hat es wohl auch noch weitere Gemälde des Genres - eine Darstellung der "Flucht nach Ägypten", eine "Cassandre interrogeant un génie sur la destinée de la ville de Troye" und eine "Verkündigung" - gegeben, so Zeitzeugen. )
Bemerkenswert ist auch, dass Élisabeth mit dem hingebungsvoll betrauerten Leichnam Christi einen erotisierten männlichen Akt ins Zentrum ihres Bildes stellt. Bemerkenswert insofern, als Frauen aus Schicklichkeitsgründen verboten gewesen ist, am Aktzeichnen teilzunehmen - die wichtigste Säule der akademischen Kunstausbildung, die eine ambitionierte, mehrfigurige Historienmalerei erst möglich gemacht hat. Zu ihrem Glück hat die Künstlerin die Wachsfiguren Zumbos in ihrer Kunstsammlung "befragen" können.
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"Kreuzabnahme ( (nach Gaetano Zumbo) " Kupferstich (1710) |
Nach den Salongesprächen scheint sich die Malerin dann dem Schaffen von Porträts ihrer Freunde gewidmet zu haben. Allerdings bleiben sämtliche Modelle der Frauenbildnisse anonym, so dass nur spekuliert werden kann, dass sich darunter die Schriftstellerinnen
Madeleine de Scudéry oder
Antoinette Deshoulières befunden haben ( es gibt nur Reproduktionsstiche ).
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Johann Georg Wille nach Chéron: "Porträt der Madeleine de Scudéry" |
Im Wohnzimmer der Chéron kommen Literaten zusammen, aber auch die Musik spielt eine große Rolle. In ihrem Nachlass werden sich viele Instrumente wie ein Cembalo, Lauten, Theorben, Spinette finden. Auf ihre Liebe zur Musik verweist auch jenes recht frühe Selbstporträt aus einem Museum in Dijon, das sie noch in hugenottischer Kleidung zeigt, und welches
Cesare Gennari zugeschrieben worden ist, unter dem Titel "
Porträt einer Musikerin". Unterstützt wird Élisabeth beim Musizieren von ihren Schülerinnen Ursule & Anne De La Croix ( von denen auch etliche Kupferstiche nach Gemälden ihrer Lehrerin in Museen vorhanden sind ).
Élisabeth Sophie Chéron ist bestens vernetzt gewesen - "tous les gens de lettres étoient ses amis, & se rassembloient chez elle", schreibt ein gelehrter Besucher einmal. Während ihre Bedeutung als Sammlerin von Kunstwerken, eigenen wie denen von Kolleg*innen, weitgehend folgenlos für Chérons Nachruhm geblieben ist, hat ihr literarisches Wirken sich nachhaltiger auf ihren Ruf ausgewirkt.
Durch ihre Ausbildung im Kloster hat Élisabeth auch Hebräisch, Griechisch und Latein gelernt, was ihr 1694 die Veröffentlichung von "Essay de pseaumes et cantiques mis en vers, et enrichis de figures" ( "Psalmen und Hymnen in Versen, angereichert mit Figuren " ) ermöglicht, in dem sie biblische Psalmen paraphrasiert. Die Kupferstiche stammen von ihrem Bruder. 1699 werden die Verse auch vertont.
Im selben Jahr wird sie in die "Accademia del Ricovrati" in Padua unter dem Namen Erato ( die Muse der Lyrik ) aufgenommen und wo sie als "die Sappho ihrer Zeit" gepriesen wird. Nach einigen Berichten habe sie sich längere Zeit in Italien aufgehalten, um dort die Kunst der Antike zu studieren.
Gegen die Gleichstellung mit einer göttlich inspirierten Muse und die schwülstigen Lobeshymnen ihrer Zeitgenossen wehrt sie sich übrigens, indem sie schreibt. "Die Musen gehorchen mir nicht so bereitwillig." Doch sie ist ausgestattet mit einem fundierten Wissen - ihre Bibliothek, mit stolzen 1088 Einzelbänden ausgestattet, reflektiert ihre Interessen - über Bibel wie Mythologie, beherrscht die Sprache, hat Sinn für Nachahmung und eine fruchtbare Vorstellungskraft: All das versetzt sie in die Lage, poetische Werke zu verfassen. Ihre Nachahmung einer Ode des augusteischen Dichters Horaz, die sie an den ebenfalls dichtenden Archäologen Antoine Bauderon de Sénecé schickt, kommentiert dieser im Gegenzug mit "Die Anmut Ihrer Poesie übersteigt meine Ausdruckskraft".
Der Ruhm der Dichterin Elisabeth Sophie Chéron erreicht ihren Höhepunkt erst posthum mit einem heroisch-komischen Gedicht in drei Liedern, dessen Regeln sie perfekt beherrscht. Mit "Les Cerises Renversées" ( "Verschüttete Kirschen" ) gelingt es ihr, aus einem durchaus anekdotischen Thema eine Art Epos zu machen: Nach einem Kutschenunfall in Begleitung ihres Mannes löst der umgeworfene Kirschenkorb eines Kaufmanns eine Art Aufstand aus, der gelöst wird durch eine rechtzeitige Entschädigung. Dieses Werk wird 1717 publiziert.
An dieser Stelle stellt sich die Frage nach dem erwähnten Ehemann: In vielen Kommentaren zu ihrem Leben geht man davon aus, dass Élisabeth ein eher atypisches Leben als Frau geführt hat, bedingt durch ihren Beruf. So heißt es, sie sei bis zu ihrem 44. Lebensjahr unverheiratet geblieben. Doch in ihrem Ehevertrag mit Jacques Le Hay, dem Ingenieur des Königs, den sie 1692 schließt, ist auch die Rede von einem Vorgänger namens Albert Godefroy, Chefgerichtsschreiber, der sie kinderlos & verwitwet zurückgelassen hat. Élisabeth hat zeitlebens ihren Mädchennamen beibehalten. Ihre zweite - "philosophische" - Ehe geht sie finanziell und sozial unabhängig ein. 1700 erhält sie vom französischen König Ludwig XIV. eine jährliche Pension über 400 Livres für ihre Verdienste und ihre vielfältigen Talente in Literatur und Kunst.
Erwähnenswert ist noch, dass Élisabeth Sophie Chéron als Lehrerin weitere Künstlerinnen ausgebildet hat, zunächst ihre Schwester, die ebenfalls als Porträtminiaturistin gearbeitet hat, sowie die schon erwähnten Nichten ihres Mannes, Ursule & Anne, denen sie jeweils eine höhere Summe, "pour servir aussy pour son Etablissement" vererben wird. In jenen Tagen ist es unschicklich, sich in die Obhut eines anderen Künstlers zu begeben. So haben fast ausschließlich nur Frauen aus Künstlerfamilien eine Chance auf eine entsprechende Ausbildung.
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"Engelskopf nach Raffael" ( aus dem "Livre des Principes à Dessiner"; 1706 )
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Größeren Einfluss auf die Ausbildung zukünftiger Künstler*innen scheint sie sich durch ihr Werk "Livre des Principes à Dessiner" von 1706 versprochen zu haben, in dem sie verschiedene Gefühlsregungen in exemplarischen Kopf-, Hand- und Fußstudien versammelt, denen damals eine herausragende Bedeutung beim Ausdruck der Leidenschaften zugeschrieben werden. Nur wenige Monate nach Erscheinen des Buches werden Frauen gänzlich aus den Reihen der Akademie verbannt.
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Benedetto Eredi "Elisabetta Sofia Scheron Pittrice Francese" ( Kupferstich von ca. 1770 ) |
Mit dieser bei uns kaum bekannten Künstlerin haben wir es mit einer Frau zu tun, die sich nicht mit dem ihrem Geschlecht zugestandenen malerischen Genre, dem Porträt, zufrieden gegeben hat. Dadurch hat sie einen Status erreicht, der damals noch nicht vielen ihrer Koilleginnen möglich gewesen ist.
Ihr Testament zeugt von ihrem gesellschaftlichen Erfolg und ihrer tiefen Überzeugung: Tatsächlich zögert sie nicht, ihren nach London verbannten Bruder Louis zu enterben und die Nichte ihres Mannes Anne De La Croix (oder Delacroix) zur Universalerbin zu bestimmen..
Danke für diese Porträts die ich wahnsinnig gern lese und bei denen ich so viel lerne. Was für ein Schatz in all die vorigen Posts einzutauchen. Liebe Grüße, Sabine
AntwortenLöschenDas freut mich sehr, liebe Sabine! Es gibt immer welche, die meinen, ich solle ein Buch daraus machen. Aber dann müsste ich mich um Bildrechte und so was GANZ GENAU kümmern. Und das ist einfach nicht mein Ding. Ich stöbere lieber neue Frauen auf. Das ist auch immer ein bisschen so wie Verlieben. Und das tut mir gut.
LöschenAlles Liebe!
Erst hat mich so gewundert, da sie in Miniatur Malerei und handwerklichen Miniatur Arbeiten wie Schnitzen und Emaille malen ausgebildet wurde, dass sie auch das "Große" beherrscht. Das zeigt, was für eine geniale Künstlerin sie gewesen sein muss! Ein Universal Genie fast. So schade, dass die Geschichte so viel davon begraben hat. Ob es der Revolution, dass sie eine Frau oder der Zeitgeschmack war.
AntwortenLöschenDanke Dir für s Ausgraben.
Liebe Grüße
Nina
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenein interessantes Porträt, das du diesmal schenkst. Immer erstaunlich und ermutigend, dass auch Frauen im 17. Jahrhundert ihren Weg gehen konnten und gegangen sind.
Ohne dich würden mir solche Frauen entgehen, da ich mich letztendlich doch eher für die zeitgenössischen interessiere.
Also danke dir!
Liebe Grüße,
Claudia
Was für eine interessante Frau und wieder ein wunderbares Portrait
AntwortenLöschenMan kann deine Arbeit nur bewundern. Liebe Grüße! Sunni
Wie schade, dass von dieser Malerin so wenige Gemälde erhalten geblieben sind. Danke für die spannende Vorstellung!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
Je tiefer man gräbt, desto mehr erfährt die Nachwelt davon.
AntwortenLöschenWunderbar und hochinteressant.
Phantastisch liebe Astrid deine Darstellung einer berühmten Künstlerin ihrer Zeit. Ich war fasziniert beim lesen was doch alles zu dieser Zeit möglich war.
Zu schade , dass so wenig davon den Weg in unsere Zeit gefunden hat um archiviert zu werden. Ein beeindruckender Lebensweg.
auch ich sage ein herzliches Danke...
liebe Grüße Angelface
Was für eine großartige Künstlerin! Sie konnte ja wirklich alles und das richtig gut.
AntwortenLöschenUnd ich kannte sie nicht, wie bestimmt viele sie nicht - mehr - kennen.
His-story hat einfach viel Her-story übertüncht und ausgelöscht.
Dass sie aber sich und ihre Familie(n) mit ihrer künstlerischen Arbeit ernähren konnte, das finde ich ja ganz besonders.
Danke dafür, dass Du sie wieder ans Licht geholt hast, wo sie hingehört!
Herzlichst,
Sieglinde