Mit den Frauen der Pariser Bohème der 1920/30er Jahre habe ich mich viel beschäftigt, seit ich durch das Buch "Paris war eine Frau" von Andrea Weiss auf diese interessante Szene gestoßen war. Gertrude Stein war eine der ersten, Colette, Sylvia Beach & Nancy Cunard habe ich in dieser Reihe porträtiert, aber auch eine ganze Reihe anderer, die nicht unmittelbar zu diesem Zirkel gehörten, aber sich in den Pariser Künstlerkreisen bewegten wie Lee Miller, Helen Hessel, Meret Oppenheim, Leonora Carrington oder Nora Joyce. Heute also Elsa Triolet.
Auf Tahiti |
"Der erste schickt immer nur Blumen, wird aber immer trauriger. Der zweite, dem Du mich unvorsichtigerweise anvertraut hast, besteht weiterhin darauf, dass er mich liebt. Als Gegenleistung verlangt er, dass ich mich mit all meinen Sorgen an ihn wende."
Louis Aragon ( eigentlich Louis-Marie Andrieux ) am 3. Oktober 1897 in Paris als unehelicher Sohn des Politikers & späteren Polizeipräfekten von Paris Louis Andrieux und der Marguerite Toucas-Massillon, einer Romancière aus dem südfranzösischen Forcalquier, zur Welt gekommen, wird in seiner Taufurkunde als in Madrid geborener Sohn eines Jean Aragon und dessen Frau Blanche Moulin ausgegeben, die angeblich bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Neun Monate lang wird er von einer Amme in der Bretagne aufgezogen. Dann geben sich die Großeltern Toucas als seine Eltern aus. Aragons Vater ist ein Freund des Großvaters. Er erkennt den Jungen nie als den seinen an, finanziert aber seine Ausbildung. Aragons ganze Lebensgeschichte steht also unter dem unguten Siegel der Verschwiegenheit & Geheimhaltung und verpflichtet alle Beteiligten zur ständigen Verstellung - wenn das nicht für den Surrealismus prädestiniert! Aragon wird später aus dieser seiner Geschichte schöpfen, weiter erfinden oder verbergen.
Louis Aragon
Als 17jähriger erhält Louis eine offizielle Urkunde auf den Namen Aragon und erfährt von seiner "großen Schwester" die Wahrheit über seine Herkunft, bevor er in den Krieg muss. Zuvor hat er angefangen, Medizin zu studieren, aber auch Poesie wie Prosa zu verfassen, und pflegt eine enge Freundschaft zu André Breton. Mit diesem und Philippe Soupault gründet er 1919 die Zeitschrift "Littérature", in der Texte aus seiner Kindheit veröffentlicht werden. 1921 wird er durch seinen ersten Roman bekannt. Seine Erfahrungen als emsiger Nachtschwärmer & Stammgast in Cafés, Bars und Bordellen verarbeitet er in dem Buch, welches Elsa so fasziniert hat. Bevor er sie trifft, hat er eine Beziehung zu Nancy Cunard gepflegt ( siehe dieser Post ), die mit einem Suizidversuch seinerseits geendet hat.
Von links nach rechts: Aragon & Elsa, André Breton, Paul & Nusch Eluard (1930) |
"Immer zu zweit, immer Glück. Mit oder ohne Geld, gesund oder krank, das beständige Glück. Er liebt mich, was will ich mehr? Keine Fremden, weder Männer noch Frauen", wird Elsa über ihre Beziehung sagen.
Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, übernimmt Elsa Schreibarbeiten, übersetzt aus dem Russischen – u.a. Majakowski und Tschechow – und stellt für Pariser Couturiers eigenwilligen Schmuck her. Als ihr Handelsvertreter fungiert der Gefährte, der die ultramodernen Accessoires den großen Pariser Couturiers anbietet, darunter Elsa Schiaparelli ( siehe dieser Post ). Sie selbst posiert mit ihren Kreationen auch als Modell, fotografiert von Man Ray. Der Schmuck ist oft aus den Porzellanteilen für Elektroverbindungen zusammengefügt und wäre mit Edelsteinen ausgeführt kein Surrealismus à la mode mehr.
Als Absolventin eines Architekturstudiums, als eine, die den russischen Konstruktivisten und der gesamten europäischen Avantgarde nahe steht, strahlt Elsa selbst ihr ganzes Leben lang eine moderne Eleganz aus mit ihren Ketten aus Tahiti-Muscheln, Turbanen oder Hermès-Schals.
Die beiden Schriftsteller eint in jenen Tagen nicht nur ihre Profession & ihre Liebe, sondern auch ihre politische Überzeugung. Auch Aragon ist Mitglied der kommunistischen Partei seines Landes, schon ein Jahr länger als seine Gefährtin. Elsa hat über ihre Schwester Lily und deren Mann Ossip Brik Kontakte in die Sowjetunion und auch zur dortigen Geheimpolizei. 1930 reist sie gemeinsam mit Aragon in künstlerischer wie auch politischer Absicht nach Charkow in der Sowjetunion. Immer wieder empört man sich in der Pariser Künstlerszene, dass Elsa den Dichter von der Dichtkunst abhält und ihn stattdessen mit kommunistischem Gedankengut infiltriere. Es wird Elsas Schicksal sein, dass über sie zahllose Legenden und unterschiedliche biografische Angaben in Umlauf gebracht werden, nicht gerade zu ihrem Vorteil.
Während Aragon ihr 1934 seinen Roman "Les cloches de Bâle" ( dt. "Die Glocken von Basel" ) widmen kann, steht sie als Schriftstellerin in seinem Schatten. "Sprachkrankheit ist unerträglich wie Heimweh", sagt sie einmal, gibt ihren Ambitionen schließlich wieder nach und beginnt nun, auf Französisch zu schreiben, in einer einfachen Sprache mit einfachen, realistischen Sujets. 1938 kommt ihr Roman "Bonsoir Thérèse" heraus, der wieder autobiografisch motiviert ist. Anders als Aragon schreibt sie für ein Massenpublikum, was diesen irritiert, hat er doch seine Leserschaft in Intellektuellenkreisen.
Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbricht, erhält Aragon einen Einberufungsbefehl und soll als Hilfsarzt eingezogen werden. Vorher haben die beiden schon nach zehnjährigem Zusammenleben am 28. Februar 1939 geheiratet.
Aragon wird allerdings schon im Juni 1940 demobilisiert. Als Mitglieder der verbotenen KPF müssen sie untertauchen, und das Schriftstellerehepaar flüchtet nach Nizza in den noch nicht von den deutschen Nationalsozialisten okkupierten Teil Frankreichs, wo Marschall Pétain seinen "Etat français" etabliert hat. Dort schließen sie sich der Résistance an. Später sind sie in Villeneuve-les-Avignon, in Dieulefit im Departement Drôme und in Lyon, damals ein Zentrum des intellektuellen und literarischen Widerstandes, tätig. Beide gehören zu den Gründungsmitgliedern des "Comité National des Ecrivains" der Südzone sowie zu den Mitarbeitern der 1942 gegründeten illegalen Zeitschrift "Les Lettres françaises". Belastend für die Beziehung ist, dass Elsa als Jüdin laut Befehl der Gestapo sofort verhaftet werden müsste und ihr Mann sie deshalb von allen Widerstandsaktivitäten fernhalten will.
Als im Sommer 1942 die gesamte Belegschaft der Zeitschrift festgenommen und erschossen wird, muss sich das Paar völlig im Untergrund verstecken und lebt von da ab mit gefälschten Papieren in Saint-Donat-sur-l'Herbasse im Département Drôme. Dank kommunistischer Netzwerke können sie unter den Pseudonymen Elisabeth und Lucien Andrieux - für die Einwohner der Gemeinde Flüchtlinge wie viele andere eben auch - 14 Monate bis in den Juli 1944 bleiben. Nur sehr wenige Menschen, darunter ein Apothekerpaar, kennen ihre wahre Identität.
In Saint-Donat-sur-l'Herbasse |
Tatsächlich können in jenen Tagen im nationalsozialistisch besetzten Paris zwei Werke von Elsa erscheinen, ausgerechnet bei Robert Denoël, dem Verleger der Antisemiten und Kollaborateure Louis-Ferdinand Céline und Lucien Rebatet!
In "Die Liebenden von Avignon" ( 1943; auf deutsch 1950 erschienen ) benutzt Elsa Untergrund und Résistance als zeitgeschichtlichen Hintergrund. Darin schildert sie nahezu unverschlüsselt das eigene schwierige Leben als Paar während der années noires. Sie selbst sagt über dieses ihrer Werke, es sei "der freie und mühevolle Ausdruck einer einzigen und einzigartigen Bemühung: sich von einem unerträglichen Zustand zu befreien."
Zusammen gründen sie auch eine Zeitung - "La Drôme enarmes" -, die vom 10. Juni bis 5. September 1944 erscheint.
Mit der Befreiung von Paris können sie wieder zurückkehren. 1945 wird Elsa als erster Frau der Prix Goncourt, die höchste literarische Auszeichnung Frankreichs, verliehen, rückwirkend für 1944 und für "Le Premier accroc coûte deux cents francs". Sie wird zur Beobachterin für "Les Lettres Francaise" bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse bestimmt. Von dort berichtet sie allerdings auch über das abendliche Feiern der illustren alliierten Prozessgesellschaft im Nürnberger Grand Hotel: "Die Richter tanzen, die Sekretärinnen tanzen, die Polizei, die Journalisten, die Übersetzer, die Juristen - alle tanzen." Sonst kommt ihr die Stadt vor "wie ein zermatschtes Gehirn, rosa und grau in stark erhitzter Butter."
Ihre Rolle dort wird, da sie als "unbeirrbare Stalinistin, Zuträgerin des sowjetischen Geheimdienstes" angesehen ist, kritisch betrachtet, und ihr wird Manipulation und unredlicher Umgang mit der Wahrheit vorgeworfen. Wenig sympathisch macht sie auch ihr enger Kontakt mit der sowjetischen Geheimpolizei bei Versuchen, russische Emigranten zur Rückkehr in die Sowjetunion zu bewegen, was ihr im Fall des in Paris in desolaten Verhältnissen lebenden Iwan Bunin, Literatur-Nobelpreisträger von 1933, allerdings nicht gelingt.
Zwar protestiert das Paar gegen die Behandlung der Dissidenten in der UdSSR und gegen das Verhalten der Partei im Ungarnaufstand, doch die Widersprüchlichkeit und Zerissenheit in den Anschauungen & den Handlungen des Paares wird gerne an Elsa festgemacht, die immer "im neuesten Pariser Chic und in teuren Pelz gehüllt" ist.
"Ich habe diese Augen, nämlich Elsas Augen. Ich habe einen Mann, der Kommunist ist. Und ich bin daran schuld. Ich bin ein Spielzeug der Sowjets. Ich bin ein Luxusgeschöpf. Ich bin Grande Dame und Schandfleck. Ich bin dem sozialistischen Realismus ergeben. Ich bin eine Moralistin und ein frivoles, strickendes, fabulierendes Geschöpf. Ich bin Scheherazade, die große Erzählerin. Ich bin die Muse und der Fluch des Dichters. Ich bin schön und ich bin abstoßend," beklagt sie sich einmal über die Kritik an ihrer Person.
Fast Jahr für Jahr veröffentlich Elsa ein Buch, wechselt vom Autobiografischen zum Roman, zur Science-Fiction mit "Le Cheval roux ou les intentions humaines" ( dt. "Das rote Pferd", 1953), in dem es um den dritten Weltkrieg und die Atombombe geht, oder zum Essay. In "Das Monument" (1957) kritisiert sie den Stalinismus und den sozialistischen Realismus in der Kunst.
Das Paar protestiert schließlich 1968 gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei und geht auf Distanz. Aragon bleibt allerdings bis zu seinem Tod Mitglied des Zentralkomitees der KPF.
Nach ihrer letzten Moskau-Reise Mitte der 60er Jahre, auf der Elsa Triolet Erfahrungen gemacht hat mit der Verfälschung historischer Wahrheiten durch das kommunistische Regime, hat sie schon den Roman "Le grand jamais" ( dt. "Das große Nimmermehr" ) geschrieben, der von einem toten Historiker handelt, der sein eigenes Begräbnis beschreibt. Es geht darin auch um die Vergänglichkeit der Liebe, um Lüge und Fälschung, um die Unmöglichkeit der historischen Wahrheit.
Nach den erbitterten politischen Auseinandersetzungen zieht sich Elsa, gesundheitlich angeschlagen, ganz in ihr Landhaus zurück, einer alten Mühle in Saint-Arnoult-en-Yvelines im Wald von Rambouillet westlich von Paris, welches das Paar sich 1951 gekauft hat, um Wochenenden und Ferien auf dem Land, weit weg vom Trubel der Hauptstadt, zu genießen. 1966 hat Agnès Varda in der Mühle einen kurzen Dokumentarfilm gedreht, andere bunte Illustriertenreportagen zeigen sie in ihrem Heim. Die Frauenzeitschrift "Elle" schwärmt von dem alternden Paar: "Sie bieten das schönste Bild einer einzigartigen Liebe."
Ihr letztes Buch schreibt Elsa Triolet in der Mühle von Saint-Arnoult: "Le Rossignol se tait à l’aube" ( dt. "Die Nachtigall verstummt im Morgengrauen", 1970 ). Am 16. Juni 1970 erliegt sie im Park ihres Anwesens ihrem Herzleiden. Da ist sie 73 Jahre alt. Elsa kann dort auf dem Grundstück dank einer Ausnahmegenehmigung des Präsidenten ihre letzte Ruhestätte bekommen. Zwölf Jahre später wird auch Louis Aragon dort beerdigt. Die Mühle, dem Staat vermacht, ist heute ein Museum.
Über die "Liebenden des Jahrhunderts" wird viel geschrieben werden. Elsas Bücher hingegen sind bei uns nur antiquarisch oder auf Französisch erhältlich. Dabei hat sie Albert Camus mit seiner Aussage geadelt:
"Eine Schriftstellerin der Phantasie, etwas sehr Seltenes in Frankreich."
Was für eine grandiose Frau! Herzlich, Sunni
AntwortenLöschenmerci Astrid ! Elsa Triolet : un incroyable parcours de vie que tu nous résumes si bien !
AntwortenLöschenlieber gruss
mo
Ein sehr besonderes und kein leichtes Leben.Tahiti habe ich vor ganz langer Zeit gelesen.Im Osten sind viele Franzosen verlegt worden. Mich fasziniert auch immer wie toll es ist, wenn man von frühen Kindesbeinen mehr als die Muttersprache lernt.Es würde sich auf jeden Fall lohnen mehr von ihr zu lesen.
AntwortenLöschenVG Karen
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenwas für eine besondere Frau Du wieder gefunden hast. Immer wieder ist es eine Freude Deine great women zu lesen. Hab ganz lieben Dank für Deine Zeilen. Wir sind ein bisschen in den Sommermodus übergegangen und im Moment nicht so präsent aber jetzt zum Samstagsplausch gibt es einen kleinen piep von uns. Mama geht es wie Dir mehr brauch ich nicht sagen !!! Alles Gute für Dich und liebe Grüße
Kerstin und Helga
ein sehr interessantes Leben einer begbatenFrau
AntwortenLöschensie ist ihren Weg gegangen und hat ..
wenn auch etwas später noch ihr Glück gefunden
danke für das Portrait
liebe Grüße
Rosi