Donnerstag, 7. November 2024

Great Women #396: Maria von Maltzan

So genau weiß ich nicht mehr, wo und wie ich auf meine heutige Great Woman gestoßen bin, wahrscheinlich bei der Beschäftigung mit dem Widerstand gegen das NS-Regime, z. B. durch sogenannte "U-Boote" wie Ruth Andreas Friedrich. Fasziniert hat mich auch der Name, erinnerte er mich doch an die Drachenlehrerin in Michael Endes "Jim Knopf". Aber hinter Maria von Maltzan versteckt sich wahrlich keine Fantasy-Figur, auch wenn ihr Leben sich wie ein Roman liest...



"Keine Schrecksekunde zu kennen, 
ist manchmal lebensrettend."

Maria Helene Françoise Izabel "Maruschka" Gräfin von Maltzan, Freiin zu Wartenberg und Penzlin kommt am 25. März 1909 auf Schloss Militsch, 56 km nördlich von Breslau am Südufer der Bartsch in der Provinz Schlesien gelegen, zur Welt. Sie ist das jüngste von acht Kindern der Elisabeth "Else" Bertha Melanie Gräfin von der Schulenburg, auf Schloss Oefte im heutigen Essener Stadtteil Kettwig geboren. Der Vater ist Andreas Joachim Mortimer Reichsgraf von Maltzan, Freiherr zu Wartenberg und Penzlin, aus altem norddeutsch-schwedischen Adel, dereinst über Pommern nach Schlesien gekommen, und Besitzer einer Herrschaft über zwölf Güter.

Seit 1892 verheiratet, hat das Paar ab 1893 alle zwei Jahre ein Kind bekommen: Huberta (*1893), Alexandrine (*1895), August Andreas (*1897, der einen Monat nach seiner Geburt schon stirbt), Gabriele (*1899), Eva Angelique (*1902), Asta (*1904) und  Joachim-Carl "Carlos" (*1905). 

ca. 1914

Offensichtlich ist die Familienplanung des Paares abgeschlossen gewesen, als sich ein scheußlicher Unfall auf dem Schloss ereignet, bei dem die Gräfin Else schwere Verbrennungen erleidet. Ein mühseliger Heilungsprozess schließt sich an, und schließlich kommt ein behandelnder Arzt zu dem Schluss, dass jetzt nur noch Rizinus, Aspirin oder ein Kind helfen könne und sich der Graf "noch mal bemühen" müsse. So wird es Maria später in ihrem Buch "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht" erzählen. ( Der Titel ist die Anfangszeile eines Gedichts des deutschen Juden Heinrich Heine. )

Das Schloss in Militsch gleicht einer Wunderkammer: Gemälde flämischer Meister, eine Kupferstichsammlung im Wert von Millionen Goldmark, eine Stradivari-Geige und in der Sammlung an Musikinstrumenten solche, auf denen selbst einstmals Friedrich der Große gespielt hat. Und wenn sie auch mit ihren Geschwistern, ihren Kinderfrauen & Gouvernanten nach eigener Aussage im schönsten, da neuen Teil des Schlosses untergebracht ist - das ist nicht die Welt, die der kleinen Maria viel bedeutet: 

Mit fünf Jahren bekommt sie ihr erstes Pony, lernt im Damensattel reiten und bewegt sich am liebsten auf dem von Wäldern umgebenen Anwesen ihrer Eltern, einem weitläufigen Terrain von über 12 Hektar. Die nahe Niederung des Flüsschens Bartsch birgt eine der größten Teichanlagen der Welt und die Zucht von Karpfen ist eine wichtige Einnahmequelle der Familie. Mit dieser Fischgattung wird sich Maria später noch intensiv beschäftigen. 

Dem ehemaligen König von Sachsen droht sie, als er nistende Vögel willentlich stört. Den Bruder will sie gar ertränken, nachdem sie eines Tages viele Schlangen erschlagen aufgefunden hat und erfährt, dass diese im Auftrag ihrer Mutter getötet worden sind, weil sich ihr einziger Sohn vor ihnen fürchtet. Das Vorhaben misslingt, das Verhältnis zum Bruder bleibt für immer angespannt: Als der 1940 im Zweiten Weltkrieg bei Sedan gefallen ist, wird ihr eine ihrer fünf Schwestern vorhalten, dass der Bruder schließlich für sie gefallen sei. Maria wird antworten: Das müsse ein Irrtum sein. Der Bruder sei nicht für sie, sondern für Adolf Hitler gefallen.

Auch zieht Maria die Gesellschaft von Dienstboten und polnischen Saisonarbeitern den aristokratischen Verwandten vor. Zur höheren Tochter fühlt sie sich mit ihre Leidenschaft für die Natur einfach nicht berufen und  sie bekommt alsbald den Ruf eines schwarzen Schafes der Familie. Als der Erste Weltkrieg - da ist sie gerade mal fünf Jahre alt - ausbricht, schließt sie sich allerdings dem chauvinistischem Eifer ihrer Geschwister an, als die versuchen, ihre französische Gouvernante zu verbrennen – zum Glück gelingt das nicht.

Maria, die Nachzüglerin, ist der Liebling des Vaters und wird von seinen Werten & Anschauungen geprägt. Ihm verdankt sie ihren "starken Sinn für moralische Gerechtigkeit" und den Hang "für die Schwachen einzutreten".

Als dieser Vater 1921 stirbt, schickt ihre Mutter, die konservativ ist und sich nie mit der rebellischen Tochter verstanden hat, die 12jährige auf das Internat Warmbrunn im Riesengebirge. Maria setzt alles daran, dass sie aus diesem Institut so schnell wie möglich herausfliegt. Sie kommt anschließend auf das Kirstein-Lyzeum in Berlin und wohnt in einer Pension, u.a. geleitet von einem Fräulein von Kuhlwein, "eine großartige Person", die ihr auch ihren Hund mitzubringen erlaubt. 

Während ihrer Zeit als Schülerin
der Elisabeth-Oberschule

Maria ist eine gute Schülerin und vertraut Fräulein von Kuhlwein an, dass sie Abitur machen möchte. Der Mutter wird brieflich mitgeteilt, dass sie weiter auf eine Frauenschule gehen möchte - ein Täuschungsmanöver. In Wirklichkeit gelingt es Maria, auf die naturwissenschaftlich ausgerichtete Elisabeth-Oberschule in Berlin-Kreuzberg zu wechseln und dort Ostern 1927 das Abitur abzulegen – dank des Fräulein von Kuhlweins, die sie im letzten Schulbesuchsjahr kostenlos beherbergt, denn die Mutter ist finanziell klamm.

Ihren Berufswunsch, Tierärztin zu werden, kann sie gegenüber Mutter und Bruder Carlos, dem nach Erreichen seiner Volljährigkeit aktuellen Chef des Hauses Maltzan, dann doch nicht durchsetzen. Das ist ein Unterfangen, welches im aristokratischen Umfeld zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht akzeptabel ist. Schließlich darf sie sich im Herbst 1927 in Breslau für die Fächer Zoologie, Botanik und Anthropologie einschreiben. 

Da sie noch nicht volljährig ist, wird sie in einem Wohnheim unter der strengen Leitung der Schwestern des Erlöserbundes untergebracht. Gegen deren penetrante Neugier und Kontrolle bringt sie eine "süße kleine Ringelnatter" in ihren privaten Fächern unter.

Weil sie während dieser Studienzeit knapp bei Kasse ist, lässt sie sich vom Juwelier der Familie anheuern, seinen Vorrat an Perlen zu tragen. Er ist der Ansicht, sie habe genau die richtige Haut, damit die Perlen ihren Glanz behalten. Also trägt sie wertvollen Schnüre jeden Tag versteckt unter ihrer Bluse: "Schönes, leicht verdientes Geld", so ihr Kommentar. 

Über eine neue Freundin bekommt Maria Kontakt zur sozialdemokratischen Studentenvereinigung. Es wird aber auch von Nazileuten versucht, sie als Werberin für ihre Partei zu engagieren und ihr dafür ein Auto versprochen. Durchaus reizvoll, hat sie doch einen Führerschein. Diesen hat sie nur bekommen, weil sie in einer Autowerkstatt gejobbt hat. Die Mutter stören ihre dreckigen Hände und die Liebe zu einem frisch geschiedenen Mann, weniger die Nationalsozialisten.

Maria steht schließlich an der Schwelle zu einer neuen Etappe in ihrem Leben, als ihr der Geldhahn wegen ihrer Affäre zugedreht werden soll. Sie muss das Schloss, in dem sie ihre schöne Kindheit verbracht hat, verlassen, um ihr Leben in München nun selbst in die Hand zu nehmen. Dort wohnt sie bei einer Tante, studiert Zoologie mit Schwerpunkt Fischereibiologie und findet im späteren Hochschulrektor Demoll & dem späteren Nobelpreisträger von Frisch wohlwollende Förderer.

1932 wird die Machtergreifung der Nazis in München durchaus sichtbar, und Maria liest in der Bibliothek des befreundeten Fürsten Henckel-Donnersmark am Tegernsee Hitlers "Mein Kampf". Sie ist also überhaupt nicht überrascht, als sofort nach der Machtergreifung jüdische Bürger drangsaliert werden.

Maria kehrt gerne im "Simplicissmus" ein, wo sich die Künstler noch nicht ganz den Mund verbieten lassen. Dort trifft sie auf den Kabarettisten Walter Hillbring, der in ihrem künftigen Leben noch eine Rolle spielen wird. Als sie Ostern nach Hause fährt, wird ihr unter die Nase gerieben, dass es die Nazis geschafft haben. Maria kontert. Ihr alter Lehrer mahnt sie dann allerdings zur Vorsicht.

Zu Hause empfängt sie ihr Bruder denn auch in entsprechender Uniform. Und auf ihre lässige Kommentierung hin, kommt es zum offenen Bruch, die Zulage zu ihrer Apanage von 280 Mark streicht er ihr. 

Sie verdient sich ihr Geld nun beim katholischen Wochenblatt "Weltguck", das in Innsbruck gedruckt wird, da Österreich noch nicht zum Dritten Reich gehört. Maria lernt so den Jesuiten Friedrich Muckermann kennen, einem der engagiertesten Mitglieder der katholischen Widerstandsbewegung und "Staatsfeind" in Deutschland. Neben der Übermittlung geheimer Botschaften und der Verbreitung von Informationen über das wahre Gesicht des Nationalsozialismus beteiligt sie sich an Aktionen, die deutschen Juden zur Flucht verhelfen. Trotz der Schwierigkeiten und Gefahren, die mit der Zugehörigkeit zur Widerstandsbewegung verbunden sind, zögert sie nie, sich auf die Seite der Gegner des Nationalsozialismus zu stellen.

Ihre Familie und das dort erlernte resolute Auftreten bieten ihr eine geradezu perfekte Tarnung: Der Bruder Carlos als glühender Nationalsozialist sowie der Schwager Walter von Reichenau, Ehemann von Schwester Alexandrine, Hitlers jüngster Feldmarschall ( der bei seinem Tod 1942 mit einem Staatsbegräbnis geehrt werden wird ). Maria hingegen ist eine ebenso glühende Nazigegnerin und Helferin der Juden.

"Maltzan war fraglos sehr mutig, denn in ihrer Familie war sie umgeben von überzeugten Nationalsozialisten. Von ihrer sozialen Herkunft her ist ihr Fall absolut atypisch: Adelige waren selten Judenretter."

Auch ihre Liebe gehört alsbald einem Unangepassten: dem Kabarettisten Walter Hillbring, der sich traut, auf offener Bühne verbotene Tucholsky-Lieder vorzutragen. 

Nach Abschluss ihrer Promotion über die Karpfen & ihre Zucht im Herbst 1933 entfremdet sich Maria vollends von München. Über Politik lässt sich dort nur noch im "gedämpften Ton" reden, beklagt sie in ihren Erinnerungen. Auch im Elternhaus wagt sie nicht mehr, offen zu sprechen. 

Als ihr das Pflaster nach ein paar Gestapo-Verhören zu heiß wird und ihr aufgrund ihrer Gesinnung - kein Parteimitglied also - keine Anstellung in einem biologischen Institut oder Versuchsanstalt angetragen wird, rät ihr Muckermann zu einer Reise durch Afrika zusammen mit einem "Weltguck"- Redakteur in einem klapprigen Chevrolet, gekauft von einer kleinen Erbschaft. Ein Vetter aus der Bülow-Familie verschafft ihr die erforderlichen Visa. 

Zu Jahresbeginn 1934 geht es los über die Schweiz, Frankreich & Spanien nach Gibraltar, von dort nach Tanger, durch Marokko und durch die Wüste, bis der teure Sprit sie nach Algier zwingt. Über Tobruk, damals italienischer Mandatsbereich, gelangen sie nach Ägypten. Dort erreicht sie in Kairo die Nachricht, dass ihre Mutter in Nizza gestorben ist. Da "Erbangelegenheiten" anstehen, gibt sie ihr Ziel Südafrika auf und reist auf einem Schiff auf dem Weg von Haifa nach Piräus zurück und weiter bis nach Wien. 

Zuhause auf Schloss Militsch ist der Empfang durch den Bruder ausgesprochen kühl & ablehnend bzw. ist der verärgert, weil Maria nicht bei der Beerdigung anwesend gewesen ist. Im Juni des Jahres kehrt sie nach München zurück. Dort verdingt sie sich als Dolmetscherin und durch Artikel auf Zeilenhonorar bzw. indem sie den Pferden reicher, gut beschäftigter Leute den täglichen Ausritt verschafft. Auch als Reiterdouble bei Filmarbeiten in Geiselgasteig wird sie geschätzt.

Nach einem gemeinsamen Sommer in Jugoslawien heiratet Maria am 29. August 1935 den neunzehn Jahre älteren Walter Hillbring mit Missbilligung der Familie. Ausgerichtet wird ihr die Hochzeit deshalb von ihrer Freundin Christa Winsloe ( siehe dieser Post ). Zu vorgerückter Stunde schießt Maria auf dem Fest im Hinterzimmer angeblich Hitler die Augen aus. Zumindest auf einem Gemälde, das dort hängt.

Maria ( 1939 ), Walter Hillbring

Das Paar zieht nach Berlin, und Maria findet eine Wohnung wie eine Anstellung bei einem Kunstbücher-Verlag. Doch die Ehe zerbricht bald, da Hillbring auf dem biologischen Unterschied zwischen Männern & Frauen beharrt und Affären, u.a. mit der Sängerin Lale Andersen, hat. Er kehrt nach München zurück, sie bleibt schwer erkrankt in Berlin. Noch im Krankenhaus flattert ihr die Scheidungsklage aufs Bett. Geschieden wird man dann 1940, bleibt aber befreundet.

Ihre Kontakte zu katholischen Widerstandskreisen bleiben auch in Berlin bestehen, was Verhöre zur Folge hat, aber auch zur vorübergehenden Aufnahme eines ehemaligen KZ-Häftlings führt: "... und es war das erste Mal, daß mir ein Mensch unter die Augen kam, der von den Nazis im KZ geschunden worden war. Vom Nacken hinunter zum Steißbein war alles schwarz von Schlägen, die er erhalten hatte."

Die gerade mal Dreißigjährige führt ein strapaziöses Doppelleben: Ihren Alltag empfindet sie demzufolge zunehmend als Widerspruch, so jedenfalls schildert sie es in ihrer Autobiografie: Unter dem Pseudonym "Nazlam" schreibt sie eine Zeit lang erfolgreich kitschige Katzen- und Hundegeschichten. Nach Kriegsbeginn muss sie in der Postprüfstelle Briefe zensieren, zerreißt aber, wie sie später berichten wird, einige Kassiber und schluckt die Schnipsel herunter. 

Sie studiert ab Ostern 1940 auch wieder, jetzt endlich Veterinärmedizin, und praktiziert ab 1943 als passionierte Tierärztin, die mit allen Tricks versucht, Hunde und Pferde vor der Kriegsverwendung zu schützen. 

Gleichzeitig sucht sie die Nähe zu Menschen, die das Gegenteil ihres Bruders sind: Kommunisten, Querköpfe, Mitglieder des Widerstands. So gehört Maria dem Solf-Kreis an, einem Zirkel aus Regimegegnern, der sich im Haus der Politikerin Hanna Solf in der Berliner Alsenstraße trifft. Hanna Solf versucht, den von den Nationalsozialisten Verfolgten den sicheren Weg in die Schweiz zu ermöglichen. Dazu besorgt sie falsche Pässe, und Maria, eine ausdauernde Schwimmerin, begleitet diese Flüchtlinge durchs Wasser des Bodensees. 

Durch ihren Neffen Reichenau & seinen Freund erfährt sie vom "großen Morden" in Russland: "Die beiden Jungen hatten an dem, was da geschehen war, schwer zu tragen und kamen sich wie Mörder vor." Den Freund Reichenaus treibt das schließlich in den Suizid.

Hans Hirschel
Kurz vor dem Ausbruch des Krieges hat sie bei Fräulein von Kuhlwein Hans Hirschel, ein jüdischen Kunst- & Literaturwissenschaftler, neun Jahre älter als sie, kennengelernt. Der nimmt Englischunterricht bei der Kuhlwein, da er auszuwandern gedenkt. Doch seine Mutter, mit der er lebt, zögert die gemeinsame Emigration immer wieder hinaus. 1942 müssen die Hirschels ihre Wohnung aufgeben. Da ist Maria schon von Hans schwanger, und sie überredet ihn, einen Abschiedsbrief mit der Ankündigung seines Selbstmordes im Wannsee zu schreiben, bevor seine Mutter ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wird.

In Wirklichkeit zieht Hans bei ihr mit seiner massiven Bettcouch ein, in der er sich gut verstecken kann. Maria präpariert für den Fall der Fälle das Möbelstück mit Haken & Ösen innen, so dass man die Klappe nicht öffnen kann, und in den Boden bohrt sie Luftlöcher, auf der unteren Seite mit Rupfen beklebt und so getarnt.

Dort verbringt Hirschel die Zeit, wenn sie zur Uni geht, versorgt mit Wasser und Codein gegen Hustenanfälle. Auch andere Juden nimmt sie auf, die sich aber nicht so vorsichtig verhalten mögen wie ihr Geliebter, so dass sie sie bitten muss, eine andere Unterkunft zu suchen. Lebensmittel für ihre "Familie" bekommt sie bei ihrer Vetrinärsarbeit auf dem Schlachthof von den dortigen Metzgern, die eine "Rote Zelle" gebildet haben.

Einen Freund, den Schweden Eric Svenson, überzeugt Maria, die Vaterschaft für ihr Kind vorzugaukeln. Vielleicht ist es der Stress gewesen oder die Mangelernährung: Im September 1942 kommt ihr Baby, ein Junge, zu früh zur Welt. Nur wenig später wird Berlin bombardiert, die Stromversorgung bricht zusammen und das Frühgeborene im Brutkasten hat keine Chance. Keine Beerdigung sei für sie je schlimmer und pathetischer gewesen, schreibt sie später. Daran kann man zerbrechen, aber Maria wird - ganz im Gegenteil - noch wagemutiger.

Lange Zeit fällt kein Verdacht auf sie. Doch eines Tages überreicht ihr ein Nachbar eine gelbe Karte, die ein Herr, der sie wohl abholen sollte, fallen gelassen hat. Darauf steht: "Bei Maltzan leben Juden". In ihrer Wohnung fordert sie Hans umgehend auf, sein Versteck aufzusuchen. Zwei Gestapo-Männer kommen dann auch bald und durchsuchen die Wohnung dreieinhalb Stunden lang. 

Die kaltblütige Maria wirft währenddessen ihren beiden Hunden einen Ball zu. Als die Männer sie fragen, ob sie damit nicht aufhören könne, weil es ihnen auf die Nerven ginge, sagt sie ruhig, dass ihre Hunde wegen der Durchsuchung ihren Spaziergang verpassen würden und etwas Bewegung bräuchten.

Dann fordern sie sie auf, das Sofabett zu öffnen. Sie wendet ein, das klappe nicht. Sie habe es vor vier Wochen gekauft und mehrmals versucht, es zu öffnen. 

"Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie Ihre Knallpistolen rausholen und Löcher hineinschießen – aber wenn Sie das tun, bestehe ich darauf, dass Sie mir einen Gutschein für neues Polstermaterial geben und die Reparatur bezahlen. Und das will ich jetzt schriftlich."

Die Gestapo-Männer entscheiden, dass ihnen ein solch bürokratischer Aufwand zu viel ist, und gehen. Maria ist wohl auch damit durchgekommen, weil sie eine Aristokratin und ihr Vater ein hochrangiger Armeeoffizier gewesen ist, dessen Porträt einschüchternd von der Wand blickt. Hans ist anschließend kreideweiß und schweißgebadet aus seinem Versteck gestiegen...

Maria unterhält auch Kontakt mit dem Helferkreis der schwedischen Victoria-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf, die Jüdinnen und Juden zur Flucht nach Schweden verhelfen. Die "Löwin von Berlin" nennt sie Erik Myrgren, Pastor der schwedischen Kirchengemeinde in Berlin:

"Sie war sehr temperamentvoll, machte Judo, schwamm und ritt wie ein Mann. Wenn es nötig war, konnte sie auch mit einer Pistole umgehen."

Die Schweden sind berechtigt, ihre Möbel in versiegelten Kisten außer Landes zu bringen. Aufgrund einer geheimen Absprache mit deutschen Eisenbahnangestellten kann der Güterzug an einem vereinbarten Punkt am Stadtrand von Berlin noch einmal anhalten. Dort sollen die Flüchtenden den Zug besteigen und die Stelle der für Schweden bestimmten Möbel einnehmen. Marias Aufgabe ist es, diese durch die städtische Kanalisation zur betreffenden Bahnstation zu schmuggeln.

Der Gestapo entkommt sie ein weiteres Mal, weil sie eine Vorahnung hat und an einem geheimen Treffen des "Solf-Kreises" in der Nacht des 10. September 1943 nicht teilnimmt. Alle Anwesenden werden vier Monate später verhaftet. 

Als der Krieg zu Ende ist, liegt auch Marias eigenes Leben in Trümmern, denn die Anstrengung und der ständige Druck, aufzufliegen, haben die so unermüdlich aktiv Scheinende medikamentensüchtig werden lassen. An Amphetamine ist sie als Tierärztin ja ziemlich leicht herangekommen. Es gelingt ihr zunächst, eine Praxis & Wohnung zu bekommen und sie praktiziert zunächst für die sowjetischen, später für die britischen Besatzungsoffiziere. Sie heiratet 1947 auch Hans Hirschel. Doch schon zwei Jahre später ist auch diese Ehe zu Ende, weil der Mann ihren Nöten nicht gewachsen und einer gewissen Lethargie verfallen ist.

Aufgrund ihres auffällig gewordenen Medikamentenmissbrauchs verliert Maria ihre Zulassung und sie wird mehrmals wegen Drogensucht in ein brutales Entzugszentrum in Wittenau eingewiesen, das von Leuten geleitet wird, die offenbar in Konzentrationslagern ausgebildet worden sind. Die Gerichte scheint nicht zu interessieren, dass sie bis zu sechzig Menschen im Dritten Reich gerettet hat, oder wenigstens den Stress zu berücksichtigen, dem sie dadurch ausgesetzt gewesen ist. Nach ihren Entlassungen muss sie von Sozialhilfe leben, bis sie eine Anstellung als Nachtwache in einem Krankenhaus bekommt. Dort erlebt sie, dass man ihr nicht wohl gesonnen ist.

1988
Mit eiserner Energie baut sie sich aber ein wieder geordnetes Leben auf, sie arbeitet im Zirkus, im Berliner Zoo, bekommt ihre Approbation zurück und verdingt sich bis 1963 als Praxisvertreterin in Großtier- & Gemischtpraxen von der Schweiz bis Ostfriesland. 

Das hält sie durch bis 1971. Dann hat sie genug Geld beisammen, um in Berlin-Charlottenburg in der Mommsenstraße eine neue Praxis zu erwerben und ihren Ruf zu festigen. Auch heiratet sie Hans Hirschel 1972 ein zweites Mal und lebt mit ihm, mit ihren Hunden, Katzen und Affen bis zu seinem Tod 1975 zusammen.

1983 wechselt die 74jährige mit ihrer Praxis nach Kreuzberg an den Oranienplatz, wo sie als moralisch integre Person wahrgenommen und geschätzt wird. So betreut sie beispielsweise die Tiere der Punks in der Nachbarschaft unweit des "Bullenwinkels" kostenlos. Sie mag das alternative Milieu, die türkischen Nachbarn, die die Gegend bunt und lebendig machen. 
"Wenn ich abends mit meinen Hunden nach Hause komme und die Gestalten, die ich so treffe, auch manchmal etwas seltsam aussehen, so habe ich doch das Gefühl, unter Freunden zu sein."
Im Jahr darauf wird ihre Lebensgeschichte unter dem Titel "Forbidden" ( dt. "Versteckt" ) mit Jacqueline Bisset & Jürgen Prochnow verfilmt. Mit dieser Darstellung kann sich Maria von Maltzan allerdings nicht anfreunden. 1986 kommen ihre Memoiren unter dem Titel "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht" heraus und sie wird zum Talkshowgast im Fernsehen. Margarete von Trotta wird 2003 in ihrem Spielfilm "Rosenstraße" die Rolle der Lena Fischer nach der streitbaren Gräfin anlegen.

1987 wird Maria der Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" zuteil und ihr Name steht an der "Wall of Honor" in Yad Vashem. 1989 dann erhält sie den Verdienstorden des Landes Berlin, für ihre "Menschlichkeit angesichts von Terror und Verzweiflung", wie es Bürgermeister Walter Momper formuliert.

Am 12. November 1997 stirbt Maria Gräfin von Maltzan und wird am 20. November 1997 auf dem Friedhof Heerstraße beigesetzt. 

Kurz vor ihrem Tod hat die damals 88-jährige Gräfin auf eine Interviewfrage hin, warum sie Widerstand geleistet habe, geantwortet: 

"Das liegt daran, dass ich Preußin bin. Verwechseln Sie uns nicht mit den Deutschen. Wir Preußen gehen unseren eigenen Weg..."

An ihrem früheren Wohnort an der Detmolder Straße 11 erinnert heute eine Gedenktafel an Maria von Maltzan. Im Jahr 2008 wird die Kaserne der Schule für das Diensthundewesen der Bundeswehr nach ihr benannt. In Friedrichshain-Kreuzberg gibt es inzwischen einen Maria-von Maltzan-Platz. 

Ihren Abschiedskommentar zu ihrem Leben - "Ich habe mich keinen Moment gelangweilt." - mag frau ihr gerne glauben...

                                                                                                                      

 

Auch heute wieder die Verlinkungen zu den Posts der Frauen, die in den vergangenen zwei Wochen einen Gedenktag hatten:


6 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    danke für diesen Post nach dem gestrigen politischen Tag, der mich immer noch durch den Wind sein lässt. Das muss sich setzen und sacken.

    Umso interessanter die Frau, die du uns heute vorstellst. Mir sagte der Name bisher auch nichts bis auf die besagte Frau bei Jim.

    So ein Leben, so ein "Grund" zur Zeugung. Was hat sie in ihrem Leben alles bewirkt, geholfen, mit- und durch gemacht.

    Klar, dass so ein Leben seinen Tribut zollt und sie irgendeine Flucht in die Medikamente sucht. Und doch hat sie dank ihres Willens und ihrer Energie wieder die Kurve gekriegt. Enorm. Können das eher Frauen als Männer? Ich weiß es nicht.

    Danke für die Vorstellung!

    Viele liebe Grüße,
    Claudia

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  2. Das Buch kann ich nur empfehlen, es war nicht umsonst damals ein Bestseller.
    Danke, dass Du dieses unglaubliche Leben so gut zusammen gefasst hast.
    Liebe Grüße
    Nina

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  3. puh.... Gänsehaut- liebe Astrid was du damit alles ausgegraben hast -

    wie viel weiss man doch nicht; - wenn man sich nicht viel mit Biographien und Autobiographien befasst wie schon so oft bei dem Lesen dieser interessanten Frauen-Lebensgeschichten, das macht mich geradezu sprachlos...
    ich danke dir ganz herzlich dafür...und muss dies erst einmal nach der langen erlebnisreichen Nacht und dem gestrigen Tag sacken lassen - so etwas nimmt wirklich mit!!!
    welch ein Leben - unglaublich beeindruckend dicht und geprägt von der Zeit in der sie es er/lebte..
    dir liebe Grüße...
    von allem !!! - muss ich mich erst mal erholen...
    herzlich Angel

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  4. Da war ich am Ende des Lesens richtig froh, dass dieser tapferen, toughen Frau noch Anerkennung und Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Danke, dass ich ihren Namen jetzt auch mit dieser Lebensgeschichte verbinden kann.
    In Zeiten wie diesen werden wir solche Frauen wieder brauchen.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. wow
    was für eine Frau..
    welch ein Durchsetzungsvermögen
    ein Vorbild für heute weitgehend "jammernde" Menschen
    die sich den "Verführern "anschließen weil sie Angst haben es gänge etwas von ihrem Wohlstand ab
    auch in USA war das wohl der große Stimmenfang für das Trampeltier
    wie Umfragen beweisen.. es versprach den Erhalt und die Vermehrung
    mal sehen ob er es halten kann
    sie war sich als Adelige nicht zu schade niedrigste Arbeit zu leisten
    und hatte keine Berührungsängste oder Dünkel
    sie hat es geschafft mit Kaltblütigkeit den Nazis ein Schnippchen zu schlagen
    gäbe es nur mehr solcher Menschen die nicht auf Eigennutz schauen
    sonder echt was für Andere tun
    danke für das Porträt
    immer noch geschockte Grüße
    Rosi

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  6. Wieder eine Frau, die nicht kannte und die so Großes geleistet hat: für die Menschheit, für die Tiere und für sich. Was sie für Nerven hatte und wie sie die Kleingeister kannte und sie austricksen konnte. Allen Respekt habe ich vor ihr.
    So schön, dass ihr doch noch Würdigung zuteil wurde zu Lebzeiten und sie auch von ihrer Sucht wieder loskam.
    Danke für dieses wertvolle Portrait in Zeiten wie diesen!
    Herzlichst,
    Sieglinde

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

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