In meiner persönlichen Geschichte gibt es einige Vorkommnisse, die meine Einstellung bis heute prägen. Dazu gehören auch die Kleidervorschriften, denen ich mich als Teenager in einer Nonnenschule zu unterwerfen hatte und die mich bis heute allergisch reagieren lassen auf jegliche Bevormundung von Frauen durch Kleiderordnungen, egal, ob religiös oder kulturell begründet. Diese waren immer Kampfplätze und dienen dazu, auch äußerlich einen bestimmten Platz in der Gesellschaft zuzuweisen durch die, die die Macht dazu haben. Mir war also verboten, Hosen zu tragen, obwohl in den 1960er Jahren die Jeans ihren Siegeszug als Alltagskleidung auch für Mädchen und Frauen antraten. Untragbar blieben sie also in manchen Schulen, im Theater, im Restaurant oder bei sonstigen festlichen Anlässen. Und auch im Deutschen Bundestag, bis eine 1970 kam, und das in Frage stellte: Lenelotte von Bothmer.
"Wir wollen nicht 'berücksichtigt' sein
oder als Besonderheiten gelitten,
etwa in der Weise,
wie man unter vielen weißen Hühnern
der Kuriosität halber
auch ein paar bunte hält."
Lenelotte von Bothmer kommt am 27. Oktober 1915 als Helene-Charlotte Wepfer in Bremen zur Welt. Sie wird hineingeboren in eine Familie der bürgerlichen Oberschicht, denn ihre Eltern sind der Geologie-Professor Emil Adolf Wepfer und seine Ehefrau Anna-Maria Meyer.
Zum Zeitpunkt von Lenelottes Geburt leistet der 32jährige Vater seinen Kriegsdienst ab. Im Jahr darauf wird er zum außerordentlichen Professor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau ernannt, wo er sich zuvor habilitiert und mit anderen Kollegen die Paläontologischen Gesellschaft mitbegründet hat. 1923 folgt er einem Ruf an die Württ. Landesaufnahme (Geologische Abteilung des Württ. Statistischen Landesamts) nach Stuttgart, wo er an der Neubearbeitung der geologischen Übersichtskarten von Südwestdeutschland beteiligt ist, bis ihn ein "tückisches Leiden" an der Arbeit hindert, an dem er im Sommer 1930 verstirbt. Da ist seine Tochter Lenelotte noch keine fünfzehn Jahre alt.
Zum Zeitpunkt von Lenelottes Geburt leistet der 32jährige Vater seinen Kriegsdienst ab. Im Jahr darauf wird er zum außerordentlichen Professor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau ernannt, wo er sich zuvor habilitiert und mit anderen Kollegen die Paläontologischen Gesellschaft mitbegründet hat. 1923 folgt er einem Ruf an die Württ. Landesaufnahme (Geologische Abteilung des Württ. Statistischen Landesamts) nach Stuttgart, wo er an der Neubearbeitung der geologischen Übersichtskarten von Südwestdeutschland beteiligt ist, bis ihn ein "tückisches Leiden" an der Arbeit hindert, an dem er im Sommer 1930 verstirbt. Da ist seine Tochter Lenelotte noch keine fünfzehn Jahre alt.
Über deren Kindheit ist so gut wie nichts bekannt. Sie selbst berichtet später in ihren verschiedenen Büchern davon, dass ihr herkömmliches Frauenbild noch nicht in Frage gestellt gewesen ist, sie aber als Kind sich vorstellen konnte, Malerin, Schriftstellerin, Pianistin, Lehrerin "oder irgend so etwas" zu werden, für das es Vorbilder in der Familie gegeben hat. Von der Politik gewinnt sie nur "schattenhafte Eindrücke", denn der Vater spricht wenig darüber, aber...."nach seinem frühen Tod geriet ich, als ich heranwuchs, nicht in den Sog rechtsradikaler, nationalsozialistischer Strömung." ( Quelle hier ).
Als die Nationalsozialisten an die Macht gekommen sind, wird auch an Lenelottes Schule in Bad Cannstatt eine "Vertrauenslehrerin" eingesetzt, die Druck ausübt, doch politisch aktiv zu werden. Es wird auch das Gerücht gestreut, dass man nur das Reifezeugnis erhält, wenn man in die Hitlerjugend eintritt - die ganze Klasse Lenelottes tut das nicht und dennoch erhalten alle ihr Abitur. Anschließend studiert sie in Berlin Germanistik, Anglistik und Geschichtswissenschaft. Auch an der Universität wird der Nachweis politischer Aktivitäten erwartet. Da sie sich nicht mehr entziehen kann, tritt sie in die "Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen" ein und betreut u.a. ausländische Studenten bzw. leitet eine Studiengruppe im historischen Seminar. Systematisch wird auch sie wie alle jungen Frauen jener Zeit auf Notzeiten und den Krieg vorbereitet, zum Beispiel durch entsprechende Kochkurse. Auch ideologisch wird versucht, die jungen Frauen auf den Glauben an den Führer einzuschwören. Das lehnt Lenelotte aus Gründen der Religion ab, auch, weil sie das Recht des Andersdenkenden gewahrt sehen will.
In Tübingen fühlt sie sich in kleinen Kreisen um den Staatsrechtler Carlo Schmid wohler, der ihr eine Welt eröffnet, "die weit über dem Parteigewäsch stand, das wir alle Tage zu hören gezwungen waren." Wie in manchen Kreisen des gebildeten Bürgertums geht auch Lenelotte in den "inneren Widerstand".
Am 8. Juni 1939 heiratet sie in Berlin den drei Jahre älteren Hermann von Bothmer, Sohn des Thorwald von Bothmer, Besitzer des Rittergutes Bennemühlen in Niedersachsen. Der junge Ehemann wird alsbald mit Beginn des 2. Weltkrieges eingezogen. Lenelotte begleitet ihn zum Bahnhof und kommentiert ihre Beobachtungen dabei später:
"Was nun geleistet werden mußte, wollten wir alle auf uns nehmen und tragen; froh und begeistert habe ich aber niemanden gesehen." ( Quelle hier )
Die Kriegszeiten steht die junge Frau, inzwischen Mutter von zwei Kindern, in der Provinz durch. Nach Kriegsende arbeitet sie eine Zeit lang als Dolmetscherin bei der Dienststelle der britischen Militärregierung, um für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt zu verdienen, denn ihr Mann befindet sich in Gefangenschaft.
"Ich erinnere mich an eine kurze Phase der geistigen Besinnung, kurz nach Kriegsende; sie hätte wohl fruchtbar werden können - notwendig, wie sie war - wäre sie nicht schnell überrollt worden vom allgemeinen Ringen um das Notwendigste zum täglichen Überleben."
Inzwischen in einem kleinen Heidedorf in einem Haus voll eigener - sechs werden es sein - und fremder Kinder lebend, bleibt ihr das weitere politische Leben erst einmal fern, zumal die einzige Tageszeitung eine ultrarechte ist, der sie skeptisch gegenübersteht. Es stört sie damals nicht, dass es heißt "Politik ist Männersache". Doch gerät sie bald in den Elternrat der Schule ihrer ältesten Kinder:
"Ohne persönlichen Einsatz geht es nirgends, das zeigte sich schnell.... Unsere Rechte waren ziemlich begrenzt, wenige kannten sie überhaupt. Es war nicht verwunderlich, daß die durch unsere Aktivität zu neuen Spielregeln zwischen Schule und Eltern eingeladenen Lehrkräfte nicht durchaus erfreut reagierten. In dieser Zeit der Schulelternschaft habe ich manches Lehrgeld zahlen müssen." (Quelle hier)
In den 1950er Jahren tritt ihr Mann Hermann, inzwischen als Lehrer tätig, in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein, für sie "keine Verlockung", obwohl sie seine Motivation gut versteht, sich gegenüber der Gesellschaft verantwortlich zu zeigen. Parteigenossen kommen in ihr Haus, aber Lenelotte zieht sich noch auf ihre häuslichen Verpflichtungen zurück, bis sie 1958, als die jährliche Frauenkonferenz des Unterbezirks stattfindet, Frauen aus ihrem Ort dorthin chauffiert und sie im Versammlungssaal sitzen bleibt:
Da spricht eine ältere Frau über die Frauenbewegung der Arbeiterinnen, aus der sie hervorgegangen ist. Lenelotte ist plötzlich berührt und sie nimmt für sie verblüffend wahr, dass all die Frauen um sie herum "Zeit und Kraft (geben), ... um Gerechtigkeit und Gleichheit der Lebenschancen für alle zu erkämpfen." Da mag sie nicht länger privat bleiben.
Auch ihre Erziehungsziele für ihre Kinderschar, unter denen die Erziehung zu Verantwortungsbewusstsein ganz oben steht, machen ihr auf einmal klar, dass sie das am besten als Vorbild erreichen kann, wenn sie also selbst Verantwortung übernimmt. Entscheidend ist für sie, dass es eine Partei ist, die einzig und alleine zum damaligen Zeitpunkt in der Bundesrepublik noch gesellschaftliche Veränderungen anstrebt. Religion und Politik mag sie schon seit Nazizeiten nicht miteinander verknüpfen, deshalb kommt die Partei mit dem "C" im Namen nicht in Frage. Der Begriff "Liberal" scheint ihr nur persönliche, individuelle Freizügigkeit zu versprechen.
Es dauert seine Zeit, bis sich ihr politisches Engagement im Familienleben niederschlägt. Die Folgen sind, dass ihre Kinder mehr Verantwortung füreinander und für das "Ganze" übernehmen, dass politische Themen genug Gesprächsstoff bieten, bei dem sich auch die - nun nicht mehr ganz kleinen - Kinder einbringen können, Stellungnahme und Kritik üben lernen. Lenelotte selbst bringt die neue Tätigkeit Selbstbestätigung und die Möglichkeit, ihre Kinder leichter aus ihrer Obhut ins Leben zu entlassen.
Zunächst besucht sie nur die Ortsvereinsversammlungen, übernimmt dort, Themen für Gespräche zu organisieren, rutscht so in eine Leitungsfunktion hinein und wird Mitglied des Frauenausschusses des Unterbezirks Peine-Burgdorf. Das heißt, auch auf Versammlungen zu reden - ihr Themenschwerpunkt: Bildung - und das muss gelernt werden ( und ist nicht nur eine Frage des Inhaltes ). Nach zwei Jahren wird sie auf dem Unterbezirksparteitag für den Vorstand vorgeschlagen und gewählt. Aber das gefällt nicht allen Männern im Ortsverein: Ehrgeiz bei Frauen ist einfach nur scheußlich, so ihre Einstellung.

Lenelotte von Bothmer wird nicht mehr aufgestellt, obwohl der Vertreter des Wahlkreises, in dem sie lebt, verstorben ist. Man macht ihr unmissverständlich deutlich, dass sie als Frau einfach nicht in Frage kommt, "die Freunde auf dem Lande hielten es für unzumutbar, sich von einer Frau vertreten zu lassen."
"Ich benahm mich trotz des kaum zu unterdrückenden Gefühls der Empörung und Enttäuschung typisch weiblich: ich zog auf der Wahlkreiskonferenz meine Kandidatur zurück, denn ich hielt dennoch an Solidarität fest: der Unterbezirksvorstand hatte einen anderen Kandidaten vorgeschlagen; ich gehörte diesem Vorstand selbst an und hielt mich für gebunden an den Beschluß." Und: "Ich habe hart an dieser Sache geschluckt."
1969 zieht Lenelotte von Bothmer über die niedersächsische Landesliste der SPD in den Deutschen Bundestag ein, eine von 34 Frauen bei 518 Abgeordneten insgesamt. Der Frauenanteil im Parlament beträgt damals 6,6 Prozent ( heute 31% ). Ein Direktmandat bleibt der nunmehr 54jährigen in ihrer gut zehnjährigen Parlamentszeit aber verwehrt. Die sind den "Platzhirschen" vorbehalten, die ihr gnädig einen sicheren Listenplatz überlassen.
"Und ich kam nach Bonn, als der erste sozialdemokratische Kanzler sein Amt antrat, Willy Brandt. Die Woge der Begeisterung, die die Fraktion erfaßt hatte, schien für mich die Aufnahme in ein neues verheißungsvolles 'Wir' federleicht zu machen. Am ersten Tag allerdings, als ich allein im fremden leeren Büro saß und an zu Hause dachte, überfiel mich ein Gefühl elender Verlorenheit und Reue - wie hatte ich mich nur auf Bonn einlassen können?- ... Aber ich wuchs hinein in das, was für mich Bonn werden sollte." ( Quelle hier )
21. Oktober 1969
Man teilt sie von der Partei den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaften sowie Petition zu, nicht dem für Auswärtiges, was sie sich selbst doch wünscht. Deshalb muss sie sich mit den diversen Entwürfen der Länder zum Hochschulrahmegesetz ( oh, ich erinnere mich! ) auseinandersetzen - eine undankbare Aufgabe, denn bei den Ländern findet kein Vorschlag Gnade. Montagnachmittags geht die Arbeit im Büro los, dienstags Arbeitskreis, dann Arbeitsgruppe bis in die Nacht. Mittwochs stehen die Ausschusssitzungen an und dann an den nächsten beiden Tagen die Plenarsitzungen. Zeit fürs Büro bleibt da kaum noch. Genächtigt wird in einem billigen Zimmer ohne Rheinblick im Godesberger "Rheinhotel Dreesen" ( immerhin wird sie dort bedient! ). Es dauert, bis sie merkt, dass es einen Fahrdienst gibt, der sie zum Bahnhof bringt, wenn sie am Wochenende nach Hause fährt. Lenelotte läuft zuerst zu Fuß und benutzt die Straßenbahn...
Aber sie arbeitet sich ein und wird in ihrer zweiten Legislaturperiode auch in den Auswärtigen Ausschuss aufgenommen. Aber vorher passiert das, was ihr bis zum heutigen Tag nachhängt. Doch alles erst einmal auf Anfang:
Lenelotte, die eigentlich nie Hosen getragen hat und auch gar keine besitzt, kauft sich einen eleganten hellen Hosenanzug mit recht langer Jacke, bis weit über die Oberschenkel reichend, ein "ausgesprochen züchtiges Kleidungsstück", und betritt damit am 15. April 1970 das Plenum:
Diese historischen Minuten bescherten der hannoversche Bundestagsabgeordneten ihren Platz in den Geschichtsbüchern, allerdings eher als Fußnote, denn über weitere Aktivitäten in den nächsten zehn Jahren findet man im Netz keine weiteren Informationen, wohl aber über die Geschichte der "weiblichen Hose" als mühevoll erkämpftes Zeichen der Emanzipation und Lenelottes herausragende Rolle darin. Inzwischen ist der Hosenanzug der Dresscode für Ministerinnen und Managerinnen geworden, der Stilbruch zur Uniform.
Lenelotte von Bothmer gilt als schrecklich links, als Feministin - Feminismus ist ihrer Meinung nach aber etwas viel Umfassenderes als so eine "Blödheit", wie sie später ihren Auftritt charakterisieren wird.
Tatsächlich ist sie eine Menschenrechtlerin, engagiert sich im Kampf gegen die Apartheid in Afrika, für die Rechte der Palästinenser und in der Friedenspolitik. Als sie in ihrer zweiten Parlamentsperiode tatsächlich in den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten einrückt, eckt sie mit ihrer Haltung in ihrer Fraktion an, besonders bei den "Kanalarbeitern" unter Leitung ihres Hannoveraner Kollegen Egon Franke, die sich als großer "Bremserhaufen" dem Reformschwung der Partei entgegen werfen.
Sie selbst empfindet sich am Anfang ihrer Zeit im Parlament als freigewählte Volksvertreterin nur ihrem Gewissen verantwortlich, will "mehr Demokratie wagen", sieht sich in den kommenden Jahren aber Schritt für Schritt ihren "hehren Glauben an die unverrückbare Hoheit des Volkssouveräns" verlieren, weil die "alte(n) Tante SPD zum konservativ-administrativen Apparat" verkommt - etwas, das Lenelotte von Bothmer nicht akzeptieren will.
Ab 1973 ist sie Mitglied und Ausschußvorsitzende der Beratenden Versammlung des Europarates und der Westdeutschen Union (WEU) - und das, obwohl sie sich zunächst nicht für das Thema Sicherheit und Verteidigung interessiert. Ihr Interessenschwerpunkt wird aber immer mehr, Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Länder Afrikas zu finden. Sie unternimmt Reisen ins südliche Afrika und sie macht dabei die Erfahrung, dass Regional- und Graswurzelbewegungen am meisten erreichen, aber dass Technik & Industrie alles überrennen: "Ich bin immer unsicherer geworden. Läßt sich wirklich kein Zipfel der Erde vor unserer menschenverachtenden Anspruchsgesellschaft schützen?Und ich habe doch in Afrika noch Ehrfurcht und Achtung gefunden, wie die Menschen miteinander und mit dem Überkommenen umgingen."
Dort in Afrika trägt sich die zweite Episode zu, die man im Zusammenhang mit Lenelotte von Bothmer noch in den Weiten des Netzes finden kann, die mit der Kuh in Lusaka, Sambia: Dort wird sie auf eine Landwirtschaftsmesse gebracht, wo sie eine Schwarzbunte am Strick übergeben bekommt, die sie dem örtlichen Landwirtschaftsminister als Geschenk der Bundesrepublik präsentieren soll. Sie erledigt die Aufgabe formal und souverän mit den Worten: "Your Excellency, I have the honour to present this cow to you." Später wird dieses Erlebnis den Titel für ein Buch über ihre ihre parlamentarischen Memoiren abgeben, die sie "Szenen aus den Dienstjahren einer Hinterbänklerin" untertiteln wird, das 1996 herauskommen wird. Darin wird sie u.a. ihre Erinnerungen an diverse Besuche in verschiedenen afrikanischen Ländern schildern.
Aber sie arbeitet sich ein und wird in ihrer zweiten Legislaturperiode auch in den Auswärtigen Ausschuss aufgenommen. Aber vorher passiert das, was ihr bis zum heutigen Tag nachhängt. Doch alles erst einmal auf Anfang:
Einer der damaligen Vize - Bundestagspräsidenten ist der CSU-Abgeordnete Richard Jaeger, ein Hardliner und "Scharfmacher", Befürworter der Todesstrafe ( aber auch der Begnadigung von NS-Kriegsverbrechern ), vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner deshalb mit dem Spitznamen "Kopf-ab-Jaeger" belegt. Der hat mehrfach verlauten lassen, unter ihm werde keine Frau mit Hose im Bundestag geduldet, erst recht keine Frau in Hose ans Rednerpult gelassen, sondern sofort des Saales verwiesen. Lieselotte Funcke von der FDP, ebenfalls Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, findet, das dürfe frau nicht durchgehen lassen und bittet Lenelotte von Bothmer, stellvertretend für alle Frauen, um den Rebellendienst: Sie solle die erste Hosenträgerin im Parlament sein.
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Richard Jaeger, Lieselotte Funcke, Herbert Wehner |
Lenelotte, die eigentlich nie Hosen getragen hat und auch gar keine besitzt, kauft sich einen eleganten hellen Hosenanzug mit recht langer Jacke, bis weit über die Oberschenkel reichend, ein "ausgesprochen züchtiges Kleidungsstück", und betritt damit am 15. April 1970 das Plenum:
"Der ganze Saal geriet in Bewegung, fröhliche Zurufe und Lachen in allen Reihen. Vom Balkon herunter richteten sich Kameras der Presse auf mich. Kollege Jaeger saß nicht im Präsidentenstuhl. Der amtierende Präsident aber runzelte verwundert die Stirn. Ein Abgeordneter rief: 'Wäre ich nur auf so eine Idee gekommen und im Schottenrock erschienen!' Am Abend wurde der Hosenanzug vom Nachrichtensprecher im Fernsehen mit einem kleinen Schmunzeln erwähnt. Und am nächsten Tag konnte man in jeder Zeitung im Land davon lesen und meist noch ein Foto bewundern. Ich war mit einem Schlag in aller Munde. Nicht, weil ich klug oder weitblickend gehandelt oder geredet hätte, nein, weil ich einen Hosenanzug getragen hatte."Die Abgeordnete erhält nach ihrem gelungenen Auftritt in Hose eine Flut von meist unfreundlichen Briefen. Ein Anonymer erbost sich im Namen des Vaterlandes: "Ein unanständiges, würdeloses Weib! Armes Deutschland, so tief bist du gesunken mit den roten Parteiweibern!" "Hoffentlich werden wir Sie im nächsten Bundestag nicht mehr sehen", schreibt ein anderer. Einer knallt nur drei Worte auf eine Postkarte: "Sie Schwein Sie!" Und ein ganz strenger Sittenwächter menetekelt: "Nächstens kommen Sie wohl oben ohne!"
"Daß ich solche Aggressionen ausgelöst hatte, erstaunte mich sehr. Was ich jedoch für bedenkenswert hielt, war, daß aus diesen vielen Briefen auch hervorging, wie viele sich persönlich getroffen fühlen, wenn ihrer Vorstellung von der Erhabenheit des Bundestages mit den dort selbstverständlich edel gekleideten Menschen nicht entsprochen wird. Sie wünschen sich von ihrer gewählten Volksversammlung, daß sie sich deutlich als etwas Höheres abhebt", schreibt Lenelotte von Bothmer später an dieser Stelle.Am 14. Oktober 1970 folgt der zweite Akt: Die Hosenträgerin geht diesmal sogar ans Pult, hält eine Rede zur Bildungspolitik, ihre erste überhaupt im Parlament. Der CDU-Abgeordnete Berthold Martin muss das lauthals kommentieren - "Die erste Hose am Pult!" - und die Rednerin durch zahlreiche Zwischenrufe - "Man möge das Licht ausmachen!" - zu verunsichern. Vizepräsident Jaeger scheint wie versteinert, so sehr, dass er den guten parlamentarischen Brauch unterlässt, der Rednerin zu ihrer ersten Rede im Plenum zu gratulieren.
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14. Oktober 1970 |
Lenelotte von Bothmer gilt als schrecklich links, als Feministin - Feminismus ist ihrer Meinung nach aber etwas viel Umfassenderes als so eine "Blödheit", wie sie später ihren Auftritt charakterisieren wird.
Tatsächlich ist sie eine Menschenrechtlerin, engagiert sich im Kampf gegen die Apartheid in Afrika, für die Rechte der Palästinenser und in der Friedenspolitik. Als sie in ihrer zweiten Parlamentsperiode tatsächlich in den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten einrückt, eckt sie mit ihrer Haltung in ihrer Fraktion an, besonders bei den "Kanalarbeitern" unter Leitung ihres Hannoveraner Kollegen Egon Franke, die sich als großer "Bremserhaufen" dem Reformschwung der Partei entgegen werfen.
Sie selbst empfindet sich am Anfang ihrer Zeit im Parlament als freigewählte Volksvertreterin nur ihrem Gewissen verantwortlich, will "mehr Demokratie wagen", sieht sich in den kommenden Jahren aber Schritt für Schritt ihren "hehren Glauben an die unverrückbare Hoheit des Volkssouveräns" verlieren, weil die "alte(n) Tante SPD zum konservativ-administrativen Apparat" verkommt - etwas, das Lenelotte von Bothmer nicht akzeptieren will.
Ab 1973 ist sie Mitglied und Ausschußvorsitzende der Beratenden Versammlung des Europarates und der Westdeutschen Union (WEU) - und das, obwohl sie sich zunächst nicht für das Thema Sicherheit und Verteidigung interessiert. Ihr Interessenschwerpunkt wird aber immer mehr, Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Länder Afrikas zu finden. Sie unternimmt Reisen ins südliche Afrika und sie macht dabei die Erfahrung, dass Regional- und Graswurzelbewegungen am meisten erreichen, aber dass Technik & Industrie alles überrennen: "Ich bin immer unsicherer geworden. Läßt sich wirklich kein Zipfel der Erde vor unserer menschenverachtenden Anspruchsgesellschaft schützen?Und ich habe doch in Afrika noch Ehrfurcht und Achtung gefunden, wie die Menschen miteinander und mit dem Überkommenen umgingen."
Dort in Afrika trägt sich die zweite Episode zu, die man im Zusammenhang mit Lenelotte von Bothmer noch in den Weiten des Netzes finden kann, die mit der Kuh in Lusaka, Sambia: Dort wird sie auf eine Landwirtschaftsmesse gebracht, wo sie eine Schwarzbunte am Strick übergeben bekommt, die sie dem örtlichen Landwirtschaftsminister als Geschenk der Bundesrepublik präsentieren soll. Sie erledigt die Aufgabe formal und souverän mit den Worten: "Your Excellency, I have the honour to present this cow to you." Später wird dieses Erlebnis den Titel für ein Buch über ihre ihre parlamentarischen Memoiren abgeben, die sie "Szenen aus den Dienstjahren einer Hinterbänklerin" untertiteln wird, das 1996 herauskommen wird. Darin wird sie u.a. ihre Erinnerungen an diverse Besuche in verschiedenen afrikanischen Ländern schildern.
In der Mitte ihrer dritten Legislaturperiode (1974- 1980) fasst Lenelotte den Entschluss, ihre parlamentarische Laufbahn anschließend zu beenden. "Noch einmal bei meinen sturen Niedersachsen, die mich nach wie vor nicht für voll nahmen, um eine Kandidatur buhlen zu - nein. Das erschien mir entwürdigend." Die niedersächsischen Genossen nehmen diesen Entschluss mit Erleichterung auf, sind sie den "lästigen 'Listensonderfall'" los. Lenelotte, die sich auf dem Höhepunkt ihrer politischen Karriere fühlt, ist es wichtig, den Abgang aus eigener Entscheidung zu nehmen. In ihrem Wahlkreis ist man nach wie vor überzeugt, dass ein gestandener Gewerkschafter ein besserer Vertreter denn eine Frau sei, die dazu noch eine "Linke" ist.
In ihrer letzten Woche im Parlament im Sommer 1980 wird sie von einem Fernsehteam begleitet, was so gar nicht zu ihr passt, ist sie doch keine laute Frau, keine, die sich nach vorn drängt. Drei- oder viermal in elf Jahren hat sie vor dem Plenum gesprochen, mehr hat ihr die Fraktion nicht zugelassen. "Frauen spielen eine Rolle, wenn sie sich eingeordnet haben, wenn sie sich eingefügt haben, wenn sie über das normal menschliche Maß an Loyalität hinaus dem Fraktionsvorstand sehr, sehr loyal sind", sagt sie im Film. Doch sie hat sich einen eigenen Kopf geleistet.
Dennoch bleibt sie politisch aktiv: Bis 1981 wirkt sie als Präsidentin der "Deutsch-Arabischen-Parlamentariergruppe", die sie 1976 gegründet hat. Bis 1983 ist sie Vorsitzende des "Bundes für Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen", der Vorläuferorganisation des heutigen BUND. 1986 schließlich wird sie in den Bundesvorstand des "Verbandes deutscher Schriftsteller" gewählt, denn das Schreiben ist jetzt ihre neue Berufung. Unter ihrer Feder entstehen Bühnenstücke wie "Das war's. War's das, Elena?" (1993), humorvolle Feuilletons, Erzählungen wie in "Jossi und Abdallah" (1989), aber auch politische Bücher wie "Projekt Afrika? Hilfe zur Selbsthilfe" (1981) oder "Ich will nicht Krieg. Erfahrungen und Konsequenzen" (1982).
Die Papiertheatermacherin Heike Ellermann führt bis heute das "Märchen vom zornmütigen König und der törichten Prinzessin" von Lenelotte von Bothmer auf, in dem es um das Lesen und um die Bedeutsamkeit von Büchern geht und neben Barockmusik auch die Stimme der Autorin zu hören ist - ein schönes Denkmal für die ganz andere Seite der berühmtesten Hosenträgerin der jungen Bundesrepublik!
Am 19. Juni 1997 stirbt Lenelotte von Bothmer im Zug auf dem Weg von Göttingen nach Hannover, 82jährig. Kein Nachruf, nichts, ist dazu zu finden. Nur immer wieder diese Hosengeschichte. Als ob sie nicht sinnvolle Gedanken in ihren Büchern mitgeteilt hätte! Sie hat mehr Aufmerksamkeit verdient, findet
Hallo Astrid,
AntwortenLöschenman hat das oft nicht so vor Augen wie kurz es erst her ist, dass solche Dinge wie das Tragen von Hosen möglich und selbstverständlich wurden.
Und erst recht vergisst man die Frauen, die diese Kämpfe für uns durchgstanden haben. Danke für's Erinnern!
Elke
danke dafür! danke für deine mühen, deine scharfen und passenden anmerkungen, die sich fast nur wie randbemerkungen lesen. danke für diese frau, die ich vorher noch nicht kannte, danke für die geschichte. musste zwischenzeitlich an joschkas zertretene turnschuhe einige jahrzehnte später denken. über ihn wird vermutlich später auch mehr zu finden sein, als diese latschen... mann halt...
AntwortenLöschenliebst,
jule*
Ups, zuerst fiel mir beim Namen "Bothmer" nur Gymnastik ein, das war aber jemand anderes aus dem Geschlecht derer von Bothmer.
AntwortenLöschenEs gibt schon zu denken, dass Kleiderfragen (die Damenhosen, die Herrenturnschuhe) zu Höhepunkten der Parlamentsgeschichte werden.
Die Biographie dieser engagierten, mutigen und tatkräftigen Frau lässt einen gleich noch in die muffigen Jahrzehnte der eigenen Kinderzeit zurückkehren.
Wir haben uns gerade eben erst den muffigen Geruch aus den Klamotten geschüttelt, es gibt noch viel zu tun.
Danke, dass Du uns daran erinnert hast, was Lenelotte v. Bothmer alles geleistet hat!
Liebe Grüße
Andrea
Das ist wirklich eine riesige Sippe und es dementsprechend schwer, verifizierbare Informationen zu bekommen! - Ja, der Muff jener Tage, so lange her, und dann doch immer wieder sehr gut erinnerbar!
LöschenGLG
Übrigens ist der Schwiegervater nur präsent im Netz wegen eines Buches über den Schweißhund, schau mal hier:
Löschenhttps://www.buecher.de/shop/buecher/dem-schweisshund-verfallen-erfahrungen-bei-der-nachsuche/thorwald-von-bothmer-fredrik/products_products/detail/prod_id/24403035/
Und ich weiß nicht einmal, was ein Schweißhund ist 😂😂😂
Offensichtlich frönte er der Jagdleidenschaft, passt ja zum Adel. Die Schweißhunde sind Jagdhunde, die darauf spezialisiert sind, verletztes Wild bei der Nachsuche zu suchen. Dafür brauchen sie einen super Geruchssinn. Curly Coated Retriever wie mein Lockenhund kann man da theoretisch auch einsetzen (Locke war mal als seltener Rassevertreter auf einem Jagdhundetag eingeladen, deshalb tue ich jetzt so schlau. ;-)
LöschenLiebe Grüße
Andrea
Sehr gut, liebe Astrid. Ja, Frauen und ihre Kleidung - als ob wir aus nichts anderem bestehen würden. Undenkbar, wie kurz die Zeit her ist, da vieles verboten, unschicklich und "unweiblich" war. Meine Großmutter bestieg als Frau mit Bergführer 1929 den Großvenediger. Schon ihr Ansinnen, es zu tun, wurde so intensiv diskutiert, bis in meine Kinderjahre. Dabei war sie auch noch eine der ersten weiblichen Sportlehrerinnen, die in rockähnlich fallender, das Knie weit überdeckender Pluderhose dann Unterricht erteilte. Die Fotos dazu scheinen heute aus einer uns weit entfernten Welt.Unvorstellbar für uns heute! Aber wenn ich es recht bedenke, sind ja täglich irgendwelche Kommentare oder Texte dazu zu finden, wie Frau sich zu kleiden hat...Soviel, außer unserem veränderten Selbstbewusstsein, hat sich bei unseren Kritikern nicht geändert :-) . Herzlich, Sunni
AntwortenLöschenDa kann ich Dir nur von Herzen zustimmen. Es ist ja auch nicht so, als sei diese Männerarroganz heute vorbei.
AntwortenLöschenLG
Magdalena
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenmeine Ausbildung war in einem Industriebetrieb, im Büro (keinesfalls im Betrieb - undenkbar!!!) von 1968-71, und Du wirst es nicht glauben: Es war Vorschrift für die Frauen: Röcke und Kleider, keine Hosen !!!
Ist doch heute unvorstellbar!
Liebe Grüße Luitgard M.
wie bekannt mir doch diese zeit noch ist! noch während meiner ausbildungszeit zum "verlagskaufmann" wurde es höchst ungern gesehen in hosen zu erscheinen. ich kann mich auch an keine meiner älteren kolleginnen erinnern die hosen trug. wichtig daran ist ja auch nicht die kleidervorschrift, sondern dass es männer waren, die uns vorschrieben, was wir zu tragen hatten. insofern toll, dass sich lenelotte von bothmer gegen kopf-ab-jaeger (noch sehr bekannt dieser name!!) zu dieser unsinnigenvorschrift zur wehr gesetzt hat. leider ist es ja bei ihr ähnlich wie bei der großartigen carmen thomas, die nur als "schalke 05" in erinnerung bleiben wird.
AntwortenLöschendanke für die vielen infos, sie hat einige erinnerungen wieder hervorgeholt und ich habe neues über diese tolle frau erfahren.
liebe grüße
mano
Einerseits freue ich mich über das "Hosenbild", andererseits hat es sie so abgestempelt. Mein Gott, warum Männer sich von Kleidungsstücken bedroht gefühlt haben!? (Nur ein Vorschieben, sie hatten und haben Angst vor Frauen)
AntwortenLöschenKönnen sich heute kaum noch junge Leute vorstellen, ich selber kaum noch dran erinnern. Meine Mutter war eine der ersten Frauen im Ort in Jeans! Man ging als Kommunionkinder ja brav jede Woche zur Kirche, natürlich nicht in Jeans. Meine Jeans (all meine Hosen) müssten andauernd geflickt werden, war ein wildes Mädchen und Geld für neue Hosen nicht da. Ich bemalte ein oder zwei Flicken und mein Onkel meinte, ob ich so ein Hippy wäre. Ich wusste nicht Mal was das ist. Hosen gleich Jungen stellte ich fest, die durften mehr, erschienen einem unsicheren Mädchen viel Stärker, also wollte ich ein Junge sein und benahm mich oft so. Das war alles ein Symbol für Ungerechtigkeiten. Schade, dass der Kleidsamen Hosenanzug eine Geschichte ausgemacht und einen grossen Schatten geworfen hat, aber auch bravo, für den Mut. Man merkt auch in meinem Kommentar, was für einen Schatten, hat sie doch so viel mehr geleistet.
Danke für das interessante Portrait und liebe Grüße
Nina
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenein feines Porträt einer Politikerin, die doch fast ausschließlich auf ihr Kleidungsstück in Ihrer Funktion reduziert wurde/wird....welch ein "Affront" gegen die Männerdomäne, den sie damit unternahm.
Schade, dass sie so unbekannt ist...zumindest hast du sie ein wenig bekannter gemacht.
Schönen Sonntag, Marita