Donnerstag, 24. Oktober 2024

Great Women #395: Gae Aulenti

Ihre Pipistrello-Lampe war schon in meiner Studienzeit mein Traum ( den ich mir aber nicht leisten konnte ), und auch mein Besuch in dem von ihr umgebauten Bahnhof zum Musée d'Orsay 1989 hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Und da mich Architektur, insbesondere Architektinnen, schon immer interessiert haben, finde ich es an der Zeit, sie bei mir im Blog vorzustellen: Gae Aulenti.

"Architektur ist ein Männerberuf, 
aber ich habe das nie beachtet."

Gaetana Emilia Aulenti erblickt am 4. Dezember 1927 in Palazzolo dello Stella südwestlich von Udine in der Region Friaul-Julisch Venetien als Tochter von Virginia Gioia und Aldo Aulenti das Licht der Welt. Dass das Mädchen ausgerechnet im norditalienischen Friaul geboren wird, ist eher Zufall, denn ihre Eltern kommen eigentlich aus Italiens Süden. 


Die Familie Aulenti - lauter Richter, Anwälte, Ärzte und Bischöfe - ist recht gut situiert, ist doch der Großvater des Mädchens, Giuseppe Aulenti, 1865 in Canneto di Bari ( heute Adelfia ) geboren, Richter im malerischen Trani in der Region Apulien gewesen. Gaes Vater hingegen hat in Kalabrien das Licht der Welt erblickt, in Acri. Aus Kalabrien kommt auch ihre Mutter, die allerdings wiederum in Neapel geboren worden und deren Vater Arzt und Akademiker in Palermo gewesen ist. Die Eltern verstehen sich jedoch als typische Kalabresen, obwohl der Vater wenig von der Mentalität hat, die den Menschen jenes Landstriches zugeschrieben werden.

Der, ausgebildeter Landvermesser, hat eine Stelle als Steuereintreiber in Latisana, einer Stadt unweit von Palazzolo, gefunden. Virginia arbeitet in Palazzolo als Grundschullehrerin. Sie heiraten 1926 also in der kleinen Gemeinde an der Laguna di Marano. Im Geburtsjahr von Gae schreibt der Vater sich an der Universität Ca' Foscari in Venedig ein, wo er zehn Jahre später einen Abschluss in Wirtschafts- und Handelswissenschaften machen wird. Die junge Familie lässt sich schließlich in Latisana, an der Bahnstrecke nach Venedig gelegen, nieder, wo Gaes Schwester Olga im Oktober 1930 zur Welt kommt. 1939 ein erneuter Umzug, diesmal ins Piemont, nach Biella am Fuß der Walliser Alpen, wo der Vater bessere berufliche Möglichkeiten vorfindet.

Auch Gae entwickelt eine enge Bindung zu Kalabrien, wo sie die Sommer in einem Landhaus der Familie verbringt - in ihrer Erinnerung die schönsten Momente ihrer Kindheit. Sie beschäftigt sich gerne mit Lesen und dem Klavierspiel, ist auch sonst vielseitig interessiert und entwickelt eine ausgesprochen eigene Persönlichkeit. 

Der Hang des intelligenten & lebhaften Mädchens zur Kunst manifestiert sich schon früh. Doch zu Hause gelten strenge Regeln, die wenig Raum für Spontaneität und das typisch kalabrische "kommste heut´ nicht, kommste morgen..." lassen. Im Gegenteil: Das Familienleben ist sehr restriktiv aufgrund der Strenge des Vaters, der ihr und ihrer jüngeren Schwester "Frivolitäten" wie die Freude an schöner Kleidung oder an einem ästhetischen Äußeren nicht erlauben mag. Schon bei der geringsten Spur eines Augen-Make-Ups setzt es beispielsweise eine Ohrfeige.
"Meine Eltern wollten, dass ich ein dilettantisches, aber nettes Mädchen der Gesellschaft werde", erzählt Gae Aulenti einmal in der "Brigitte", "aber ich habe rebelliert."
Da wundert es nicht, dass das Mädchen sich eine Ausweichmöglichkeit sucht und entscheidet, das Elternhaus zu verlassen, um in einer weiterführenden Kunstschule in Florenz zu lernen. Sie will nicht in der Stadt bleiben, in der die Eltern leben, um den rigiden Forderungen des Vaters zu entgehen. Doch wegen des Krieges - die italienischen Faschisten schlagen sich 1940 auf die Seite der deutschen Nazis - muss Gae nach Biella zurückkehren. Sie entwickelt eine antifaschistische Haltung, geprägt durch die Gräueltaten des Regimes in Italien, und engagiert sich im Widerstand. Das wird Gaes politisches und ziviles Engagement bis zur Niederschlagung des Ungarnaufstandes prägen. Es ist eine sehr unruhige Zeit mit Luftangriffen auf Turin, daher der Notwendigkeit, das Lernen zu Hause selbst zu organisieren, und mit wenig Geld fürs tägliche Leben..

Im August 1946 kann sie dann das Abitur an der Albertina-Akademie der Schönen Künste, dem Kunstgymnasium in Turin, ablegen. Gegen den ausgesprochenen Wunsch der Eltern schreibt Gae sich im darauffolgenden Herbst an der Fakultät für Architektur am Polytechnikum Mailand ein. "Italien war damals zerstört und die Architektur ein Feld, auf dem man intervenieren konnte", erklärt sie das später einmal. "Ich konnte die Trümmer nicht ertragen." Ein nützlicher Beruf also soll es für sie sein. In Mailand macht sie 1953 ihren Abschluss als eine von zwei Frauen insgesamt.

Eheschließung mit Francesco Buzzi
(1954)
Im Mai 1954 heiratet sie den Architekten Francesco Buzzi, mit dem sie studiert hat, und bekommt ihre gemeinsame Tochter Giovanna im Jahr darauf. Buzzi arbeitet an der Universität in Venedig und ist der Meinung, dass seine Frau doch nun das Schönste geschaffen habe, was sie je wird schaffen können, und die Architektur sein lassen solle. Doch Gae ist eine, die sich schon früh gegen Traditionen gewandt und ihre eigenen Ideen durchgesetzt hat. Sie trennt sich von Buzzi, da ist Giovanna keine drei Jahre alt ( und die beschließt, so ihre späteren Aussagen, damals, nie Architektin zu werden. Stattdessen wird sie sich als Kostümbildnerin einen Namen machen. ).

Gae schließt sich der Neo-Liberty-Bewegung an, die der strengen Sachlichkeit eines Le Corbusier, Mies van der Rohe oder Walter Gropius entsagt und Vergangenes zu neuem Leben erweckt. Das erste Haus, das sie entwirft - Casa Cumani - existiert heute nicht mehr. Es ist 1956 im Mailänder Stadtteil San Siro entstanden, wohin einer ihrer Klassenkameraden gezogen ist. Gae ist da noch keine dreißig Jahre alt. Einige applaudieren wegen seiner "fast außergewöhnlichen formalen Ausgewogenheit", andere kritisieren es als eine weitere Übung im Neoliberty -Stil.

Am Parthenon/Athen
(1960)


Im Gegensatz zum damals vorherrschenden Internationalen Stil, wie ihn eben Ludwig Mies van der Rohe verkörpert, ist für Gae zeitgenössische Architektur nur als Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem kulturhistorischen Kontext denkbar. Für sie zählt einzig der individuelle Umgang mit dem bereits Vorhandenen. Anstatt eine wiedererkennbare Künstlerhandschrift zu entwickeln, setzt Gae ihre theoretische Haltung kompromisslos in der Praxis um und lehnt auch jede Form von Stil ab. Deshalb wird sie auch nicht so populär sein wie andere Architekten ihrer Generation.

Um ihre Mutterrolle mit ihrer Arbeit in Einklang zu bringen, übt Gae ihre Tätigkeit zunächst in einer Studio-Ecke in ihrem Einzimmer- Appartement in der Via Cesariano aus. Sie arbeitet alleine ohne oder mit einer geringen Zahl an Mitarbeitern, entwickelt aber bei mehreren Gelegenheiten ( hauptsächlich Wettbewerben ) Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Freunden aus der Universität. Sie schließt sich - anders als Charlotte Perriand oder Lilly Reich - nie einem männlichen Kollegen an, in dessen Schatten sie hätte geraten können.

1967
Doch da sie eher selten Architekturaufträge bekommt - eine Villa in der Brianza 1959 bleibt eher die Ausnahme-, layoutet bzw. schreibt sie in den Jahren 1955 bis 1965 als Redakteurin für die Architekturzeitschrift "Casabella". Sie arbeitet auch von 1960 bis 1962 als Assistentin von Giuseppe Samonà am Lehrstuhl für Architekturkomposition am Universitätsinstitut für Architektur in Venedig.  Und sie wird als Produktdesignerin aktiv - es ist die Zeit, in der das beeindruckende italienische Design der Nachkriegszeit geboren wird.

Als 1960 der Vater stirbt, wird für die alleinerziehende Mutter eine größere ökonomische Unabhängigkeit notwendig. Eine Freundin der Familie aus Biella vermittelt den Kontakt zu Adriano Olivetti, dem Chef von Italiens großer Schreibmaschinen- und Computerfirma. Trotz eines Vorstellungsgespräches, das so kommunikationsarm verläuft, dass Gae schließlich in einer Technik-Zeitschrift blättert, kommt sie mit dem progressiven Büromaschinenhersteller ins Geschäft. 1965 darf sie schließlich den showroom für die Firma Olivetti in Paris gestalten. Einer in Buenos Aires wird folgen.

Zwecks Beleuchtung entwirft sie für den Salon eine höhenverstellbare Tischlampe - "Pipistrello" also -, die sich vom funktionalen Design der Schreibmaschinen klar unterscheidet: So erinnert der geschwungene Lampenschirm an die Flügel der ( namengebenden ) Fledermaus und die Lampe insgesamt an eine Palme, also etwas ganz anderes als die präsentierten Schreibmaschinen. In den sechziger Jahre ein ungewöhnlicher Entwurf, der mit seiner organischen Form an die Zeit des Jugendstils erinnert. 

Olivetti-Showroom in Paris
"Ja, aber er hatte einen ganz konkreten Grund. Denn die Pipistrello war für den Showroom von Olivetti in Paris bestimmt. Deswegen musste sie sich von den Schreibmaschinen, Computern und anderen Geräten im Raum umso stärker unterscheiden. Sie war ja anfangs noch gar nicht für den Verkauf bestimmt. Als sie dann in die Sammlung vom MoMA aufgenommen wurden, begann sie plötzlich ein eigenes Leben zu führen und wird bis heute noch hergestellt", sagt sie einmal in einem Interview. 
Links sitzend im Pariser Showroom 
 
Sie lernt auch Gianni Agnelli, Leiter von Fiat, einer der damals größten Automobilhersteller Europas, kennen, für den sie 1965 zunächst seine Milaneser Wohnung gestaltet. Für die Agnelli-Familie wird sie Wohnsitze in Paris, Marrakesch und St. Moritz einrichten und später den Palazzo Grassi in Venedig restaurieren und umbauen. Für Fiat gestaltet sie die showrooms in Turin, Rom, Zürich, Wien, Brüssel. 

Liiert ist sie inzwischen mit Carlo Ripa di Meana, ein römischer Adliger, Politiker, Mitglied der sozialistischen Partei und einer, den sich damals alle alten Damen in Mailand als Schwiegersohn gewünscht hätten - "the most handsome couple in the city", so das "Archivo Gae Aulenti" in seiner Biografie. Zeitgenossen finden eher, dass er neben Gae Statist bleibt. 

An ihre zwanzigjährige Beziehung erinnert der geschwungene Schaukelstuhl "Sgarsul" – also "frivoler, frecher Straßenjunge" – der 1961 sein Debüt feiert. Es ist ihr Kosename für den Gefährten. Die Beziehung endet wegen seiner Anhängerschaft  des "Craxismus", einer Mischung aus Sozialdemokratie, Sozialismus und liberalem Konservatismus, benamt nach dem italienischen Politiker Bettino Craxi - eine Richtung, die Gae wegen der allgegenwärtigen Korruption nicht teilen mag, ja kriminell findet.

1965 mietet sie ein neues Haus in der Via dell’Annunciata 7, wo sie im Souterrain ihr Büro einrichtet und darüber eine Art Salon, neuer Knotenpunkt der Begegnungen, Beziehungen, Freundschaften. Es liegt ganz in Gaes Natur, über Kunst, Architektur, Kino und Politik zu diskutieren, und die Mailänder Szene weiß das zu schätzen. Den Ort wird sie erst 1974 verlassen, um in der Via Fori Oscuri 3 ein Haus mit Kriegsschäden in eines mit mehreren Ebenen mit großen Fenstern zur Piazza San Marco zu verwandeln. Es wird ihr Zuhause für immer bleiben...

Gae Aulenti pflegt eine besondere Beziehung zum Theater – für sie ein großartiger architektonischer Ort – und vor allem zum berühmten Regisseur Luca Ronconi. Ronconi steht ihr so nahe, dass er bei Abendessen in ihrem Zuhause immer zu ihrer Linken sitzen darf. Sie teilen die Auffassung, dass jeder Inszenierung eine Art Architektur zugrunde liegt, beim Theater halt ohne Fundament oder zumindest mit - paradoxerweise - beweglichen Fundamenten. Ein Höhepunkt ist, als Gae 1981 Rossinis "La donna del lago" inszenieren darf ( mit Maurizio Pollini als Dirigent ). Für Luca Ronconis  Uraufführung von Karl Heinz Stockhausens "Donnerstag aus Licht" im San Siro Palasport entwirft sie 1984 die Kostüme & das Bühnenbild  - was für eine Vielseitigkeit! Die Zusammenarbeit mit Theatermann dauert vor dem Hintergrund ihrer sehr engen Freundschaft bis 1995. 

Mit Luca Ronconi in der Mailänder Scala
(1977)
Nach wie vor liebt die Architektin aber auch die Bildende Kunst und widmet sich leidenschaftlich der Tätigkeit als Ausstellungsdesignerin, wobei sie über Orte nachdenkt, die um die Werke herum gestaltet werden, und nicht umgekehrt. 

Auf diesem Hintergrund entsteht ihr vielfältiges Werk, von der Produktgestaltung über Theaterinszenierungen bis zur Architektur, weshalb sie für gewöhnliche Architekturenthusiasten nur schwer fassbar bleibt.

In ihrem neuen Domizil macht sie es sich zur Gewohnheit, am 25. Dezember eine Party für Alleinstehende, Getrennte, Workaholics und Einzelgänger zu organisieren, die das Fest sonst alleine verbringen müssten. Mit der Zeit wird daraus eine Tradition, die weltlichste aller Mailänder Zusammenkünfte. An den Tischen sitzen alsbald Großeltern und Enkel, Freunde und Bekannte, Intellektuelle und Unternehmer, Künstler und Philosophen, Studenten und Professoren. Umberto Eco ( "Im Namen der Rose" ) und Ettore Sottsass und Vittorio Gregotti, namhafte Designer & Architekten ihrer Zeit, Maurizio Pollini und Ludovico Einaudi, Dirigent bzw. Komponist, Andrea De Carlo, der Schriftsteller, Emilio Tadini, ein Maler, und Stefano Boeri, der für seine begrünten Häuser bekannte Architekt. Niemand aus der italienischen Intellektuellen-Szene fehlt, denn Ihr Haus ist inzwischen zum place to be geworden. Sie ist darüberhinaus die erste nicht-regionale Architektin Italiens, in ihrem Selbstverständnis ist sie allerdings schon da international.

Palazzo Grassi, jetzt Fondation François Pinault
CC BY- NC 2.0

Der internationale Ruhm kommt tatsächlich mit der Renovierung des Palazzo Grassi in Venedig. Das Museum wird nach dreijähriger Umbauphase im Mai 1986 mit einer Ausstellung über Futurismus eröffnet. Weitere große Ausstellungen zwischen Kunst und Archäologie werden von ihr zwischen 1988 und 2001 ( die zu Balthus ) organisiert. Andere erfolgreiche Projekte im Ausstellungs-Museumsbereich - das letzte neun Jahre vor ihrem Tod - werde ich nicht aufzählen, denn das würde den Rahmen dieses Posts sprengen.

Ohne zu ahnen, dass dies vielleicht den wichtigsten Moment ihrer Karriere auslösen wird, liefert Gae schon im Mai 1980 in Paris die Zeichnungen für den vom "Etablissement public du Musée d'Orsay" ausgeschriebenen internationalen Designwettbewerb für die Renovierung und museografische Gestaltung des Gare d' Orsay, eines Pariser Bahnhofes, der anlässlich der Weltausstellung 1900 eingeweiht und 1950 nach einem fortschreitenden Verfall, der Ende der 1930er Jahre begonnen hat, stillgelegt worden ist.
"Man muss immer die Möglichkeiten entdecken, die sich in alten Gebäuden wie diesen verbergen. Man darf nicht das Vorhandene imitieren oder kopieren, sondern eine eigene Interpretation hineinsetzen. Man muss gegen den Ort arbeiten und ihn dennoch respektieren." ( Quelle hier )
Auf der Baustelle des Orsay mit Nina
(1984)
Sechs Jahre lang dauert die Arbeit am Musée d'Orsay, und Gae pendelt während dieser Zeit jede Woche zwischen Paris und Mailand hin und her. Die Eröffnung findet im Beisein zweier französischer Premierminister - Valéry Giscard d’Estaing und François Mitterrand - statt. Letztgenannter zeichnet sie aus diesem Anlass mit dem "Chevalier de la Légion d’Honneur" aus. Das ist nur ein Beispiel für die vielen Auszeichnungen, die sie im Verlaufe ihres Lebens erhalten hat.

1985, als das Musée d'Orsay kurz vor der Fertigstellung steht, nimmt Gae ein zweites großes Werk in Angriff: Die Renovierung des Palau nacional von Barcelona ( Hauptgebäude der 1929 auf dem Montjuïc-Hügel errichteten Weltausstellung, das seit den 1930er Jahren als Museum genutzt werden sollte) und die allgemeine Neuorganisation des Inneren des Nationalmuseums für katalanische Kunst (MNAC) im Auftrag des "Patronat del Museu nacional d'art de Catalunya" und des Kulturministeriums der katalanischen Region.

Das Museum, ein Bauwerk mit einer Gesamtfläche von 54.000 Quadratmetern, öffnet seine verschiedenen Bereiche ab 1992 bis 2004 ( dem Jahr in dem die letzten Eingriffe abgeschlossen werden ) schrittweise für die Öffentlichkeit.

Doch immer bleibt Gae auch eine Person außerhalb ihrer zahlreichen kreativen Tätigkeiten, wie das Foto mit ihrer Enkelin Nina Artioli ( die ebenfalls Architektin und Sachwalterin ihres Erbes werden wird ) beweist. Sie ist keine nonna im Sinne des Bilderbuches: Statt mit ihrer Enkelin den Spielplatz zu besuchen, nimmt sie das Kind beispielsweise 1991 mit nach Tokio, wo sie in Gegenwart des Kaisers mit dem "Imperial Prize for Architecture" der "Japan Art Association" ausgezeichnet wird. ( Dort geht das neue Kanzleigebäude der italienischen Botschaft und das italienische Kulturinstitut auf sie zurück, die 2004 bzw. 2005 eingeweiht werden. ) Typisch für "La Gae" ist eben auch, dass sie ihre menschlichen Beziehungen, ihre (Zu-)Neigungen in ihre Profession immer einbringt...

Abschließend noch ein paar Worte zu einem Aspekt der professionellen Seite der Gae Aulenti, der bisher in meiner Darstellung zu kurz gekommen ist: Ihre städtebaulichen Ambitionen, die oft nicht über das Stadium der Wettbewerbsentwürfe hinausgekommen sind. Das erste realisierte ist die Sanierung des Piazzale Cadorna in Mailand, einem wichtigen Infrastrukturknotenpunkt der lombardischen Metropole, dessen Straßenwege für Straßenbahn und Auto neu konzipiert, die Fassade des Gebäudes des nördlichen Mailänder Bahnhofs neu gestaltet und ein System geschaffen wird aus Notunterkünften mit kleinen Gewerbebetrieben im Bereich vor dem Bahnhof, ganz nah bei den U-Bahn-Ausgängen. Bekannt für den Platz ist heute aber eher die Skulptur "Nadel und Faden und Knoten" von Claes Oldenburg, die sich farbenfroh in der Mitte des Stadtraums abhebt. 

Da kommt dann auch das Rot ins Spiel - DIE Farbe der Gae Aulenti, die sie rote Strümpfe tragen lässt, aber in der sie auch architektonische Akzente setzt. ( "Ich kleide mich nicht gern alla moda. In dem Moment, wo Rot offiziell als Trendfarbe gepriesen wird, höre ich auf, es zu tragen, und bekomme Lust auf Grün." ) 

So beim San Francesco d'Assisi -Flughafen von Perugia in Umbrien, dessen Erweiterung sie bis 2011 noch beaufsichtigen wird, dessen acht Hallen aus Beton errichtetet, aber rot gestrichen sind. Das Dach besteht aus Kupfer, das oxidiert worden ist, damit es nicht auffällt und von der grünen Landschaft ablenkt. Der Parkplatz für bis zu 2.000 Fahrzeuge ist mit Olivenbäumen bepflanzt. Eröffnet wird der Flughafen mit einer Trauerfeier für die Architektin, zehn Tage nach ihrem Tod.

Zuvor, schon im Jahr 2005, hat diese den Staffelstab weiter gegeben, als sie eine assoziierte Firma mit ihren dienstältesten Mitarbeitern Marco Buffoni, Francesca Fenaroli und Vittoria Massa gegründet hat. Doch sie bleibt beruflich engagiert, ebenso ehrenamtlich wie politisch - mit ihren Freunden Umberto Eco, Enzo Biagi und Guido Rossi formiert sie 2002 die Bewegung "Libertà e Giustizia".

Am 31. Oktober 2012 schließt Gae Aulenti in ihrer Lieblingsstadt Mailand für immer ihre Augen und hinterlässt ein einzigartiges Erbe. Zwei Wochen zuvor hat sie sich bei der Verleihung der Goldmedaille für ihr Lebenswerk zum letzten Mal in der Öffentlichkeit gezeigt. Sie ist schon lange chronisch krank gewesen, sie habe sich aber, so gut es ging, dagegen gewehrt, so ihre Tochter. 

Ihr Hauptwerk, das Musée d’Orsay in Paris besuchen jährlich 3,8 Millionen Besucher. Erwähnt man ihren Namen im Zusammenhang mit dem des Museums, heißt es gerne: "Ach, die ist das?" Schade, dass dieses "kreative Universum" ( #VitraSchaudepot ) nicht bekannter ist. Was sagt Stefano Boeri, Präsident der Triennale Milano, über sie? 
"Gae Aulenti war eine besondere Figur im italienischen Kulturpanorama: ein kreatives Talent, das in verschiedenen Kontexten und Sprachen zum Ausdruck kam (vom Möbeldesign bis zur Szenografie, von der Architektur bis hin zur Innenarchitektur), deren Zeichen auch heute noch sichtbar und schöpferisch sind. Ihre Neugier und kreative Intelligenz haben der Designkultur neue Perspektiven eröffnet. Die Triennale beabsichtigt, eine große Retrospektive zu schaffen, die dem Publikum die Komplexität ihrer Figur näher bringt."

Diese Retrospektive läuft seit dem 22. Mai dieses Jahres bis zum 12. Januar 2025. Bei Mailand - Reisen sei auch ein Besuch des "Archivio Gae Aulenti" in ihrem alten Wohnhaus empfohlen. Die schon am 7. Dezember 2012 eingeweihte, neue große, kreisförmige Piazza Gae Aulenti im Zentrum des Unicredit Tower-Komplexes im Mailander Stadtteil Isola hingegen zeigt keine von ihr geschaffenen Werke.

                                                                           


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