Donnerstag, 20. Oktober 2022

Great Women #316: Grete Schickedanz

Mit dem Quelle - Katalog bin ich in der tiefsten deutschen Provinz quasi aufgewachsen. Er war Bilderbuch, Materialsammlung für eigene Collagen und Inspiration für eigene Modeentwürfe. Gedanken darüber, wer hinter dem Ganzen steckt, hab ich mir als Kind natürlich nicht gemacht. Erst später habe ich von ihr gehört: Grete Schickedanz.


Grete Schickedanz kommt am 20. Okober 1911 als Grete Lachner in Fürth in ärmlichen Verhältnissen als dritte Tochter auf die Welt. Mit dem Wochenlohn, den ihr Vater, Heinrich Lachner, als Flaschnergehilfe nach Hause bringt, kommt die siebenköpfige Familie - neben den Schwestern Maria & Betty  gehören die jüngeren Brüder Hans & Karl dazu - nicht aus, und Katharina Unger, die Mutter, verdingt sich ebenfalls als Tagelöhnerin, damit es für den mehr als bescheidenen Haushalt in der Flößaustraße in der Fürther Südstadt zum Notwendigsten reicht. Immerhin besitzt die Familie zwei Kühe.

Grete wird, während die Mutter arbeitet, bei der Großmutter untergebracht, die bei einem Onkel wohnt. Im Wirtshaus des Onkels verdient sich das unterernährte Kind manchmal ein paar Pfennig Taschengeld, an der Theke als Spülerin oder als Aushilfskellnerin. Das Geld liefert sie bei den Eltern ab. Sie ist so dünn, dass ihr ihre Lehrerin schon mal Milchpulver zusteckt. Später wird sie der Fürther Freimaurerloge Geld zukommen lassen, weil sie dort in ihrer Kindheit etwas zu essen bekommen hat.

Obwohl sie Klassenbeste ist, kommt für sie eine weiterführende Schule aus finanziellen Gründen einfach nicht infrage. Ihren Berufswunsch - Kindergärtnerin - muss sie ebenfalls aufgeben. Stattdessen tritt die Fünfzehnjährige auf Rat der Großmutter an die Frau Schickedanz heran und wird am 1. Januar 1927 als fünftes Lehrmädchen im Warenhaus des Gustav Schickedanz eingestellt. Eigentlich habe sie das nur widerwillig getan, wird sie später erzählen.

Am 7. Dezember 1922 hatte Gustav Schickedanz, 1895 in Fürth geboren und ein Selfmademan nach amerikanischem Vorbild, die gleichnamige "Kurzwaren en gros"-Handlung in der Fürther Moststraße 25 gegründet. Als offizielles Gründungsdatum gilt jedoch der 11. November 1927, an dem Schickedanz das Versandhaus Quelle separat in das Handelsregister eintragen ließ. Sitz ist zunächst die Königswarterstraße 10. Das Anfangssortiment besteht aus Wolle, Stoffen und kleinen Artikeln des täglichen Bedarfs, die - da ohne Zwischenhändler - zu einem günstigeren Preis direkt an den Endverbraucher gelangen. 

"Dukatenwolle" - die erste Hausmarke der Quelle

Als Lohn erhält Grete 21 Reichsmark, von denen sie 15 zu Hause abgibt. Die Arbeit fängt um sieben Uhr an und endet oft erst abends um neun oder zehn Uhr. Eine große Chance für die überaus tüchtige Grete ist die Gründung des Versandhandels bei Schickedanz, wo sie bereits nach kurzer Zeit für die Warenkontrolle, für das Zusammenstellen der Lieferungen zuständig ist, Pakete verschickt und die Buchhaltung der neuen Firma führt. Bald übernimmt sie sogar den gesamten Einkauf, bastelt aber auch mit den anderen Mitarbeiter*innen abends an Musterheften mit Wollproben für die Kundschaft. Sie ist auch eine, die vor dem Kauf fühlen muss, da versteht sie die Kundinnen.

Und bald gehört Grete gewissermaßen auch zur Familie: Mehrmals in der Woche kümmert sie sich um die Schickedanz-Kinder Leo und Louise und wird geschätzt von allen Familienmitgliedern, vor allem aber auch von Anna Schickedanz.

"Am Abend des 13. Juli 1929, kurz vor München an der Ingolstädter Landstraße, hatte ein Unfall fast eine ganze Familie ausgelöscht. In dem Wrack des Firmenwagens starben Gustav Schickedanz’ Ehefrau Anna, sein kleiner Sohn Leo und der 72-jährige Vater des Jungunternehmers. Nur Gustav Schickedanz hatte die Tragödie überlebt, schwerverletzt – und seine damals vier Jahre alte Tochter Louise. Und noch jemand war dem Tod wie durch ein Wunder entkommen: das damalige Lehrmädchen Grete Lachner, die Vertraute von Anna Schickedanz und in der aufstrebenden Firma längst unentbehrlich geworden", schreibt das Münchener Abendblatt über das für Grete schicksalhafte Ereignis.

Grete hätte auf der Fahrt nach München dabei sein sollen, aber Anna Schickedanz hat ihr für den Samstagabend eine Konzertkarte geschenkt... 

Das "Fräulein Grete"

Die Achtzehnjährige wird nun zur rechten Hand ihres Chefs, der die Klinik erst nach Wochen verlassen kann und lange depressiv ist ( währenddessen leitet seine Schwester das Geschäft ), begleitet ihn auf Geschäftsreisen. Sie kümmert sich auch um die kleine, unverletzte Tochter Louise. Außerhalb ihrer Arbeitszeit besucht  sie Kurse, um Sprachen zu lernen und ihren Horizont zu erweitern. Sie erspart sich sogar vom schmalen Taschengeld ein Klavier und den dazugehörigen Unterricht.

Es ist die Zeit der großen Wirtschaftskrise. Dennoch floriert das Geschäft: 1932 sind die "illustrierten Preislisten", Vorläufer des Quelle-Katalogs, bereits ein Bestseller mit einer Auflage von 150 000 Stück. Die Slogans: "Quelle-Waren sind staunend billig und überlegen." Oder: "Alle Stunden neue Kunden." 

Gretes Domäne in der Firma ist der Textileinkauf - und wird bis zu ihrem Tod bleiben - beweist sie auf diesem Gebiet doch ein gewisses Gespür. 

In den 1930er-Jahren kann sie sich ein Haus in Fürth in der Dambacher Parkstraße kaufen, das zum Treffpunkt ihrer Familie wird und wo auch Gustav Schickedanz öfter zu Gast ist. 

Inzwischen ist aus dem Verhältnis zwischen dem einstigen Lehrmädchen und dem Chef eine Liebe geworden. Wohl aus Rücksicht auf die Gefühle seiner Tochter Louise wartet Schickedanz mehr als ein Jahrzehnt, das Verhältnis zu legalisieren - bis die Tochter auf die Absurdität aufmerksam macht. Am 8. Juni 1942 heiraten Grete und Gustav endlich in der Kirche St. Paul in der Fürther Südstadt.

Grete mit Gustav Schickedanz 1936 in Berlin
Unterdessen ist die "Quelle" unter den Nationalsozialisten zum größten Wollversandhaus Deutschlands aufgestiegen. Bis 1936 steigt die Zahl der Quelle-Kunden bereits auf eine Million und die der Mitarbeiter verzehnfacht sich auf 500. Man wirbt mit dem Spruch "Kauft deutsche Waren in dieser deutschen Quelle", was durchaus eine Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Nazis beweist. Gustav Schickedanz ist seit 1932 NSDAP-Mitglied und wird 1935 zum Stadtrat berufen, mit der speziellen Aufgabenstellung der Arisierung jüdischer Betriebe. Bis 1939 kauft er rund zwei Dutzend Häuser, zwei Brauereien und dazu sechs Firmen - solche, wie das Textilversandunternehmen Mayer oder die Vereinigten Papierwerke Heroldsberg, die in jüdischem Besitz gewesen sind. In den Erinnerungen der Hauslehrerin Louises, Emilie Lottes, ist die Haltung Gustav Schickedanz' zum Nationalsozialismus pragmatisch, aber distanziert gewesen und in der Kriegszeit wird auch bei bei der Familie heimlich der "Feindsender" BBC gehört.

Heirat 1942
Welche Haltung Grete zu all diesen Machenschaften eingenommen und wie sie zum Nationalsozialismus gestanden hat, ist nicht herauszufinden. Grete hat sich, auch Vertrauten gegenüber, selten geäußert. Es sei alles "normal" gelaufen. Auf jeden Fall tritt sie bei den Zukäufen und Vergrößerungen des Konzerns nicht in Erscheinung.

Am 20. Oktober 1943 bringt Grete im Luftschutzbunker der Nürnberger Frauenklinik die gemeinsame Tochter ­Madeleine zur Welt. In dem Jahr fällt auch das Firmengebäude der "Quelle" in der Artilleriestraße, heute Sonnenstraße 48, den alliierten Bombenangriffen zum Opfer, und es ist aus mit dem Versandhandel. Er funktioniert nur noch im Notbetrieb. Die Schickedanz' ziehen mit dem Baby in die mittelfränkische Kleinstadt Hersbruck, wo sie ein Wochenendhaus haben.

Vielleicht wäre Grete nie ganz aus dem Schatten ihres Mannes herausgetreten und hätte sich als Frau in der Männerwelt der Wirtschaftsbosse Gehör und Achtung verschaffen können, wenn nicht die neuen politischen Gegebenheiten nach dem Krieg ihr diese Chance geboten hätten. Unter den amerikanischen Besatzern sind Gustav Schickedanz nämlich seine unternehmerischen Hände gebunden: Als ehemaliges NSDAP-Mitglied und nationalsozialistischer Stadtrat in Fürth erhält er Berufsverbot. Sein in weiten Teilen zerbombtes Firmenimperium wird bis auf weiteres beschlagnahmt, die noch vorhandenen Warenbestände werden geplündert.

Grete beschließt, von vorn anzufangen und eröffnet in Hersbruck bei Nürnberg, wo sie jetzt in einer Dreizimmerwohnung wohnen, weil ihre Immobilien von den Amerikanern genutzt werden,  ein kleines Textilgeschäft, das "Lädle", das sich später als Zellkern des Quelle-Konzerns erweisen wird. Vor dem Laden stehen die Menschen Schlange.

"Meine Mutter hat uns über Wasser gehalten", erinnert sich Louise Schickedanz später. "Wir hatten noch Stoff- und Wollreste, mit denen sie angefangen hat zu handeln. Die hat sie bei Bauern eingetauscht gegen Lebensmittel. Sie war immer die Bodenständige, während mein Vater wie gelähmt dasaß.

Gustav Schickedanz befindet sich in einer großen persönlichen Krise, während Grete Kontakt zu ihren früheren Lieferanten aufnimmt und mit einen klapprigen Fünftonner samt Chauffeur, den ihr der Flüchtlingskommissar auf ihr inständiges Drängen genehmigt hat, geht sie nun allein auf Geschäftsreisen. Unterwegs im kriegsversehrten Land sammelt sie alles an Waren ein, was sie finden kann. Sie stößt auf positive Resonanz, denn der Name Schickedanz hat nach wie vor einen guten Klang. Die ehemaligen Lieferanten, ebenfalls vor dem Nichts stehend, sind froh, wieder ins Geschäft zu kommen. 

"Grete macht jetzt, was sie am besten kann: prüfen, verhandeln, einkaufen. Der Verkauf läuft von allein – Hemden, Hosen, Unterwäsche werden dem "Engel von Hersbruck" von der ausgehungerten und heruntergekommenen Bevölkerung aus der Hand gerissen", schreibt Georg Etscheit an dieser Stelle. "Das schüchterne Lehrmädel ist zur durchsetzungsfreudigen Geschäftsfrau herangewachsen, die kein Hindernis scheut."

Als ihr Textilgeschäft einmal geschlossen werden soll, überredet sie den bayerischen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, ebenfalls ein Fürther, mit zur US-Militärregierung nach München zu kommen, um sich für sie einzusetzen. Es heißt, der Chef der zuständigen Property Control sei ihrem Charme erlegen, und eine Woche später ist Gretes "Lädle" wieder offen. So legt die junge Unternehmerin den Grundstein für den Neubeginn der "Quelle" und den Aufbau zum Weltkonzern.

Das erste Geschäftshaus in der Königswarter Straße
1949 wird Gustav Schickedanz entlastet und erhält sein Unternehmen aus der Treuhänderschaft zurück. Grete übergibt ihr Hersbrucker Geschäft den dortigen Mitarbeitern und kehrt ebenfalls zur "Quelle" zurück. Ihr zu verdanken ist es, dass sie die Verbindung zu den Lieferanten gehalten und den guten Namen der Schickedanz in der Textilbranche erhalten hat. 

Die Arbeitsteilung, die sich seit der "Stunde null" herausgebildet hat, bleibt erhalten. Der schöngeistige Gustav Schickedanz, der Rilke liebt und holländische Meister sammelt, ist Denker und Ideengeber. Grete, die tatkräftige, setzt die guten Ideen um. Sie widmet sich ihrer traditionellen Domäne, dem Einkauf, und den Preislisten, die nun unter dem Namen "Neueste Quelle Nachrichten" vertrieben werden. 

Auch in ihre Villa in Dambach kann die Familie zurückziehen. Dort wächst die Tochter mit Erzieherinnen auf. Grete scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, dass sie wegen ihrer Arbeit so wenig Zeit für ihr Kind hat. "Sie war für diese Rolle geboren. Das war von ihr bewußt gewählt", wird Madeleine später sagen.

Das "Traumpaar des Wirtschaftswunders" in den 1950er Jahren

Das Versandgeschäft boomt: 

1950 sind in der Kundenkartei 100 000 Adressen gespeichert und zwölf Millionen D-Mark in der Kasse. Schon bald stoßen die Versender an ihre Grenzen. Zwei Jahre lang erarbeitet ein Ex-General mit Ingenieuren ein völlig neues Transport- und Logistiksystem. 1956 wird die elektronische Anlage vom Bundeswirtschaftminister Ludwig Erhard feierlich in Betrieb genommen. Das Sortier- und Versandsystem kann täglich 100 000 Pakete bewältigen und die "Quelle" hat den Grundstock dafür gelegt, zu einem Wirtschaftsgiganten heranzuwachsen. Grete sucht nach neuen Artikeln, die in einen Wiederaufbauhaushalt gehören und nimmt diese ins Sortiment auf, darunter Fahrräder & Möbel. Unverständnis erntet sie für die Absicht, 1959 eine Nähmaschine anzubieten. Das Angebot läuft, entgegen der Meinung von Ehemann & Marketingfachleuten, sehr gut. Grete: "Männer verstehen zu wenig von der Hausarbeit." (  Meine erste Nähmaschine ist auch eine von Quelle gewesen, die mich bis Mitte der 1980er Jahre begleitet hat. )

1962 bricht Grete auf in die weite Welt: Sie reist nach Hongkong, um Millionenverträge abzuschließen mit Männern, die über eine Frau als Geschäftspartnerin mehr als erstaunt sind.

"Bei der Durchsicht der Waren ist sie flink wie ein Bankkassierer, der in Windeseile Geldscheine zählt und hinblättert. In Gedanken ist sie dabei bei ihrer engeren Umgebung - der Tochter, der Haushälterin- und überlegt, ob die Artikel ihnen passen könnten. Zu Hause hat sie stets ein Auge darauf, was ihre Umgebung trägt. [... ] Sie ist dicht an der Ware, das ist ihre Leidenschaft. Sie kann die Ware beurteilen und weiß deshalb, wieviel sie später im Katalog kosten darf. Sie hat ein Gefühl für den Versandhauskunden, dessen Geschmack - das ist nicht einfach, denn sie bekommt ihre Abnehmer fast nie zu Gesicht. ( Quelle hier )

Eingekauft wird auch in Europa. Handelskontakte werden auch zur DDR und den anderen Staaten des Ostens geknüpft. Was Fotoapparate anbelangt, weicht die "Quelle" auf Japan aus, weil die deutsche Fotoindustrie sich weigert, Versandhändler zu beliefern. Ende der 1960er Jahre nennt sich Foto-Quelle das größte Fotospezialhaus der Welt. 1962 wird auch eine Reiseprogramm aufgelegt. Grete Schickedanz verkörpert & betreibt die Globalisierung ihres Unternehmens.

Mit Heinz Oestergaard
Im Sommer 1967 holt sie den Haute-Couture-Modeschöpfer Heinz Oestergaard mit ins Boot. Der wird fortan beraten und eine eigene Kollektion im Katalog präsentieren und anbieten. Ein Paukenschlag! Oestergaard hat bis dahin die deutschen Stars der Nachkriegszeit eingekleidet. Grete ist getrieben von dem Wunsch, den Kunden im Katalog ein neues Einkaufserlebnis zu bieten. Und da zeigt sie sich flexibel und lässt alte ( Mode- )Strümpfe sausen. Oestergaard kann sie auch überzeugen, seine Mode in kleinen Schauen zu präsentieren. Konfliktfrei ist das Verhältnis nicht, aber stimulierend: Overalls mag Grete nicht, Oestergaard setzt sie durch, Extravagantes bleibt draußen, dafür gibt es den Mode-Mix, die "Coordinates". Bis 1985 dauert die Zusammenarbeit.

Manche der Einkäufer*innen hätten gerne etwas gewagtere Mode im Katalog gehabt, doch die Umsatzzahlen lassen solche Ideen wie ein Soufflée zusammenfallen. Bekleidung, die zu sexy ist, wird von den Kunden sofort per Brief kritisiert, also bleibt sie draußen. Später wird im Vergleich mit dem Hamburger Konkurrenten Otto deutlich:  die "Quelle" steht auf der konservativen Seite. 

Der dickleibige Quelle-Katalog - mit einer Auflage von zwei mal zwölf Millionen jährlich wohl der absolute Bestseller im Lande - werden maßgeblich von Grete gestaltet, aber auch betriebliche Verbesserungen für weibliche Mitarbeiter, einer Herabsetzung der Altersgrenze auf 60 Jahre lange vor der entsprechenden gesetzlichen Regelung, und ein Kindergarten und ein Altersheim gegründet.

1973 knirscht es etwas im riesigen Getriebe des Versandhauses: Der erste Ehemann von Tochter Madeleine, stellvertretendes Mitglied der Geschäftsleitung und Beirat des Versandhauses scheidet aus dem Unternehmen aus. Damit geht Grete ein potentieller Nachfolger verloren. Sie versucht noch Brücken zu bauen, aber als sie merkt, dass das nicht geht, akzeptiert sie die Wünsche der Tochter. Getroffen hat sie das alles sehr.

Am 27. März 1977 stirbt Gustav Schickedanz mit 81 Jahren drei Tage nach einem Herzanfall. Das 50. Firmenjubiläum erlebt er nicht mehr. Grete hat schon vorher die ersten Weichen neu gestellt. Sie übernimmt ein Haus mit acht Milliarden Mark Umsatz und 42 000 Mitarbeiter*innen und gründet die  Konzern-Holding und bewerkstelligt die Umstellung des Familienbetriebs auf modernes Management, stoppt aber allzu radikale Maßnahmen. Chef der Holding wird der Schwiegersohn Hans Dedi, Grete rückt an die Spitze des "Flaggschiffs". Obwohl sie die Fünfundsechzig erreicht hat, will sie sich nicht zur Ruhe setzen.

Nach Jahren stupenden Wachstums hat die "Quelle" ihren Zenit erreicht. 1981 beträgt der Umsatz zehn Milliarden Mark. Aber die Kunden in den großen Städten werden immer kritischer und die Umsätze gehen fortan zurück. Erste Krisenzeichen werden nicht ernst genommen, wohl auch von der Grande Dame des Versandhandels. In dem für seine soziale Verantwortung bislang so gerühmten Konzern kommt es zu Massenentlassungen, bei den Vereinigten Papierwerken müssen 800 Mitarbeiter gehen. In den zwei Jahren 1984 und 1985 macht die "Quelle" einen Verlust von rund 50 Millionen Mark. 

"Mitte der 80er Jahre häufen sich die Probleme wie nie zuvor, und es wird auch für die intuitive und stets agile Frau Schickedanz schwieriger, den richtigen Weg zu finden." ( Quelle hier )

Am 1. Februar 1987 übergibt Grete die Macht in die Hände von Klaus Zumwinkel

Im September 1986 hat die Unternehmerin in Spanien schon einen Herzinfarkt erlitten, doch ihre Vitalität scheint dadurch nicht gebrochen, und sie führt weiter die Regie bei der Quelle-Mode. Noch vor dem Fall der Mauer forciert sie den Einstieg in den russischen Markt und später - ihre letzte unternehmerische Entscheidung - den Ausbau eines "Quelle"- Versandzentrums in Leipzig. Geschätzte Investition: eine Milliarde Mark.

1993 legt sie ihre Führungsämter nieder, nachdem sie an Alzheimer erkrankt ist. Im darauffolgenden Jahr stirbt Grete Schickedanz am 23. Juli an einer Herz-Kreislauf-Schwäche. 82 Jahre alt ist sie geworden. In Fürth wehen die Fahnen auf Halbmast, als sie beerdigt wird.

Den Niedergang der "Quelle", die Insolvenz des späteren Mutterkonzerns Arcandor samt Tochterfirmen miterleben zu müssen, bleibt ihr erspart.




14 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,
    Dieser Great Woman Beitrag hat auch mich in meine Kindheit und Jugend zurück versetzt. Wie Du bin ich mit dem Quellekatalog, der Dukatenwolle und einer Nähmaschine von Quelle aufgewachsen. Meine Oma kam aus der Nürnberger Gegend und hat öfter von der Frau Schickedanz erzählt.
    Danke für diese Erinnerungen.
    Dorothée

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  2. So ein Foto mit den Tiger Babys haben wir auch noch;)

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  3. Was für eine Power Frau! Vielen Dank für für diesen tollen Great Women Post.
    Herzliche Grüße Doris

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  4. Liebe Astrid,

    was für eine starke Frau! Wie gut, dass ihr der Niedergang des Quelle-Imperiums erspart geblieben ist. Bewundernswert, wie sie sich in Krisenzeiten durchgekämpft hat.

    Quelle-Kataloge sind mir natürlich ein Begriff, genau wie Neckermann und Otto. Schön war es, in den Katalogen zu blättern und sie mussten oft herhalten für Kollagen im Kunstunterricht.

    Bei uns gab es auch ein Quelle-Kaufhaus, das immer besucht wurde, wenn wir in der Stadt waren.

    Viele Grüße,
    Claudia

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  5. Mit dem Namen war ich immer vertraut. Auch damit, dass in der DDR eine große Zahl an Produkten für Quelle produziert wurde, die es aber in der DDR nicht zu kaufen gab.Später gab es dann den berüchtigten Genexkatalog, aus dem BRD Bürger ihren Verwandten in der DDR Dinge schicken lassen konnten. So landetet dann so manche Waschmaschine, die erst in der DDR produziert war, wieder in der Rückabwicklung solcher Geschäfte am Ort ihres Entstehens. Nur musste man sehr vorsichtig sein, solche Geschenke anzunehmen. Der Direktor meines Gymnasiums stolperte über die Annahme eines Genexgeschenkes von seinem Bruder, der im Westen lebte. Alles Dinge, die bald niemand mehr wissen wird.Quelle beschickte auch den Genexkatalog, was natürlich eine besondere Verkaufsideologie darstellte. Wie sagt man so schön? Geld stinkt nicht...und die Zeiten ändern sich. Herzlich, Sunni

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  6. oh jaaa..
    mit Quelle bin ich auch groß geworden
    auch wenn meine Mutter das meiste selber genäht hat
    aber was man sonst so brauchte kam oft von Quelle ;)
    eine beindruckende Frau
    gut dass ihr das Erleben des "Untergangs" der Firma erspart blieb
    als das erste Quelle Kaufhaus in Mainz eröffnet wurde war ich dort
    und mir wurde aus der Manteltasche mein erstes verdientes Geld geklaut :(
    50 DM (von 100 ) ein herber Verlust
    liebe Grüße
    Rosi

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  7. Bei uns in Nürnberg war sie immer irgendwie präsent. Grete Schickedanz kannte jeder. Aber was alles dahinter steckt, habe ich erst heute hier bei Dir erfahren. Eine sehr spannende Geschichte.
    (Die ehemalige Rosenfelder Villa von Tempo /Vereinigte Papierwerke Heroldsberg ist übrigens direkt in meiner Nachbarschaft).
    Ich habe die Grete ja immer ein bisschen bewundert für Ihr Gespür und Ihre Bodenständigkeit. Sie war wirklich damals nah an ihren KundInnen.
    Und tatsächlich hat sie japanische Kameras verkaufen müssen, weil deutsche in falscher Arroganz nicht im Versandhandel verkauft werden durften. Das kenne ich sogar noch von vor ca. 10 Jahren bei meinem Online-Shop, dass Firmen sagten: Ne, online werden wir nicht verkauft. Aber Jahre später hatten sie dann selbst einen Web-Shop.
    Handel ist Wandel, das ist schon immer so gewesen. Und solange Du Avantgarde bist wie Grete, passt alles. Aber wenn die Zeichen der Zeit sich ändern und man merkt es nicht, fängt der Niedergang an. Und mit unfähigen und egozentrischen Managern...die Quelle am Schluß reichlich hatte und die alles kaputt gemacht haben.
    Otto gibt es heute noch...und bisschen Madeleine...
    Toller Post, liebe Astrid, Danke!

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  8. Natürlich bin ich auch mit dem Quelle Katalog und dem Quelle Kaufhaus aufgewachsen. Nur kannte ich die Familiengeschichte, insbesondere die von Grete Schickedanz nicht, obwohl mir ihr Name natürlich ein Begriff war. Danke für das Auffüllen der Wissenslücken! Wieder so spannend!
    Liebe Grüße
    Andrea

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  9. von Helga:

    Liebe Astrid,

    als gebürtige Nürnbergerin und nur 8 Gehminuten vom Quelle Turm entfernt wohnend, kann ich mich nur den Worten von Sieglinde anschließen.
    Wenn ich mich hier anschließen müßte an Deine Worte, würde ein eigener Post entstehen.
    Mit der Quelle bin ich aufgewachsen bis hin zu den Briefumschlägen für die entstandene Kundschaft und die Versandtaschen für die Kataloge, die der Mann meiner Mama, mein Stiefvater dort anlieferte. Briefumschlagfabrik Pflüger produzierte damals sogar mit Heimarbeiterinnen die Unmengen, die noch per Hand und Arm tagtäglich angeliefert die Treppen hinaufgeschleppt wurden. Der Quelleschein, wer dort arbeitete ging immer reihum bei den Anwohnern. Prozente war das Hauptwort.
    Wo das Quelle Areal letztendlich entstand war ein Großgrundstück an der Fürther Straße zur Nachbarstadt, wo das sogenannte Volksfest alle Jahre stattfand.
    Das etwas wilde Helgerle fand man immer auf dem Teufelsrad, die Krinoline war ihr zu brav. Luftballons in allen Farben, die es nie bis nach Hause schafften oder das Spiegelkabinett waren die Begehrlichkeiten. Die Kreuzerle waren schnell aufgebraucht.
    Plötzlich hieß es mal in einem Zeitungsbericht, das Volksfest zieht um an den Dutzendteich, dort wird gebaut...das war dann der Gustav. Anfang 1940 war das Volksfest noch auf der Pegnitzwiese, klein so wie ich, überschaubar und das, wie sagt man heute dazu, das Event oder Highlight des Jahres. Dankbar daß man bei einem Besuch Zuckerwatte und ein kleines Holzregenschirmchen ergatterte.
    Na ja, bis heute bin ich so genügsam geblieben und für alles hat es gereicht.
    An der Villa in Dambach fahre ich öfter vorbei, zu schauen gibt es nicht viel, eine Mauer versperrt die Sicht.. Max Grundig ist dort auch angesiedelt.
    Dank allen Great Womens die es schon immer schon gab, war auch die Gretel stets bei uns mit eingebunden, wie zur Familie gehörend.
    Danke, danke, es hat mich sehr berührt. Das Erinnern ist großartig aber ebenso schmerzhaft. Ein Stückchen Leben, gepaart mit Familie, Kriegs- und Schulzeiten kehrt mit Deinem Post in meine Seele zurück, einige Tränen rinnen auch um die Wette mit.
    Zum Glück gibt es Tempo, dort wo Sieglinde uns verriet, war auch das große Werk, im Volksmund die Camelia Werke 🤫
    Nun wird dort gebaut, der Quelle Turm bleibt uns erhalten. Gott sei Dank. 🙏
    Liebe Grüße schickt Dir Helga die der Meinung ist wir haben unser Land ausverkauft.

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  10. Klar bin auch ich mit dem Quelle und den anderen Katalogen groß geworden, obwohl meine Eltern nie etwas aus dem Katalog bestellt haben. Aber es war immer spannend darin zu blättern und sich vorzustellen wie man in den Klamotten aussehen und was man mit den Sachen machen würde.
    Camelia ist mir übrigens auch noch ein Begriff 😊
    LG Astrid rechtsrheinisch

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  11. Eine der beiden gleich weit entfernten Kleinstädte meiner Kindheit, wo man vom Dorf zum Einkaufen hin fuhr, war Hersbruck. Und natürlich ist man da zum Schickedanz. Vorne zum Markt hin das Haupthaus, hinten raus über den Parkplatz das Elektronikhaus. Mein erster mit 14 vom Taschengeld zusammengesparter Radiorecorder war vom Schickedanz, die Wolle für den gemeinsam mit der Freundin gestrickten Fledermauspullover auch. Meine erste Spiegelreflexkamera (die ich heute noch besitze, wenn auch nicht mehr verwende) war von der Quelle. Und die Grete Schickedanz und ihr Haus am Michelsberg war natürlich auch ein Begriff. Mehr aber auch nicht. Zumindest mir. Danke also für die Wissenserweiterung.
    LG heike

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  12. Schön Deine letzte Frauenmonografie fand ich herausragend (und habe wieder vergessen zu kommentieren, manchmal bin ich im ersten Moment nach dem Lesen ohne Worte)
    Quelle ist wohl gerade für Frauen DER Katalog gewesen. Sehr selten wurde bei uns daheim bestellt. Und meine Mutter bestellte dann bei einer Bekannten mit. Wenn die Füsse Mal wieder zu schnell wuchsen und sich die Tochter nichts sehnlicher wünschte, als Mal so Kleidung wie die anderen Mitschülerinnen :)
    Danke für eine besondere Zeitreise
    Liebe Grüße
    Nina

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  13. merci Astrid ! très beau portrait de Grete Schickedanz avec le rappel de ce catalogue Quelle qui faisait rêver ma mère et elle commandait par le biais de connaissances en Allemagne des habits à son goût.
    bon weekend !
    mo

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  14. Noch ein Kommentar von meiner Schwägerin samt Mutter die beide echte Fürtherinnen sind:

    Liebe Astrid,

    vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag. Ich habe als Kind Grete Schickedanz regelmäßig auf Veranstaltungen getroffen, weil ich bei der LAC Quelle ja trainiert und Wettkämpe bestritten habe. Sie hat immer die Ehrungen durchgeführt. Sie war eine große Förderin des Sports. Tolle Frau!

    Liebe Grüße

    Sandra

    P.S.: Das Familiengrab ist auch sehr beeindruckend ein riesiger Grabstein mit einem Schiff und einem Fährmann darauf und den Umrissen des Gustav Schickedanz und der Tochter von hinten die gefahren werden....

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

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