Donnerstag, 5. Januar 2023

Great Women #323: Maeve Brennan

Von der Frau, die ich heute vorstellen möchte, habe ich irgendwann mal im letzten Jahr in einem Artikel von Maxim Biller gelesen, was mich neugierig gemacht hat. Und da ich für den Januar noch nichts geplant hatte, habe ich sie in meine Liste aufgenommen, denn am Dreikönigstag vor hundertundsechs Jahren kam sie zur Welt: Maeve Brennan. 

"Trotzdem konnte er nicht glauben, 
dass selbst ein so unfähiges menschliches Wesen wie sie
 aus dem Leben verschwinden konnte, 
ohne auch nur eine Spur von sich selbst zu hinterlassen."

Es ist in einem Geburtshaus in Dublin gewesen, wo Maeve Bridgid Clarke Brennan am Dreikönigstag des Jahres 1917 das Licht der Welt erstmals erblickt hat. Ihre Eltern sind Una Bolger & Robert Brennan, die im Sommer 1909 geheiratet, bereits im Jahr darauf ihre erste Tochter Emer bekommen haben sowie wenig später einen Sohn, der jedoch im Kindbett gestorben ist. 1918 wird noch eine dritte Tochter, Ita Deirdre, dazu kommen, 1928 der Bruder Robert Patrick.

Der Vater Maeves ist im Südosten der irischen Insel, in Wexford, in ärmlichen Verhältnissen - seine Mutter betreibt einen kleinen Gemischtwarenladen - aufgewachsen und hat sich als 17jähriger der "Wexford Gaelic League" angeschlossen, gibt Irisch-Unterricht, denn er engagiert sich für eine Renaissance der irischen Kultur. Doch schon bald politisiert sich der junge Mann auch und nähert sich den Ansichten der Sinn-Féin-Partei an. 

Wexford links, Enniscorthy rechts
Die Mutter wiederum, die eigentlich Anastasia getauft ist, für sich aber selbst den irischen Namen Una wählt, stammt aus der Nähe des Ortes Oylegate, auf halbem Weg zwischen den Städten Wexford und Enniscorthy gelegen. 

Una hat das Glück, dass ihr als ältester Tochter der Familie über die Volksschule hinaus ein Lernen in der Schule des Loreto - Konvents in Enniscorthy gestattet wird. Das Ziel soll allerdings sein, dass sie anschließend Nonne wird. Doch Una denkt überhaupt nicht daran. Eine sehr gute Schülerin, fühlt auch sie sich vom kulturellen Leben der irischen Nationalisten in Wexford angezogen, wo sie den sieben Jahre älteren Robert kennenlernt. Der wird kurz nach der Heirat arbeitslos, kann aber bald eine Stelle beim "Enniscorthy Echo" als Korrespondent für Wexford antreten. Una engagiert sich bei den "Töchtern Irlands" ( "Inghinidhe na hÉireann" ), eine nationalistische und feministische Vereinigung, von Maud Gonne 1900 gegründet. 

Seit 1908 ist Robert Mitglied des alten irischen Geheimbundes "Irische Republikanische Bruderschaft" ( kurz: IRB ) und setzt nach seiner Eheschließung durch, dass auch Una dort aufgenommen wird - als eine von nur zwei weiblichen Mitgliedern. Robert selbst steigt in dieser Organisation sowie der Sinn-Féin auf in leitende Positionen und arbeitet mit den wichtigsten Personen der irischen Unabhängigkeitsbewegung zusammen. Nach den großen Streiks 1913 tritt er den "Irish National Volunteer Corps" bei, dem Vorläufer der IRA. Una schließt sich einem Frauen-Bataillon an.

Als 1916 der Osteraufstand gegen die britischen Besatzer ausbricht, sind Una & Robert an der vordersten Front in Enniscorthy. Sie werden verhaftet. Robert entgeht der Todesstrafe, wird aber in Dartmoor inhaftiert. Una ist mit Maeve schwanger, als sie ihn vor seiner Verlegung dorthin in Dublin besucht. Robert wird seine zweite Tochter erst ein halbes Jahr später kennenlernen, als er durch eine Generalamnestie frei kommt. Alsbald wird er Leiter der Presseabteilung der Sinn-Féin-Partei in Dublin, wird aber immer wieder verhaftet, ist immer wieder auf der Flucht, und Una muss die Familie alleine als "Hausiererin" über Wasser halten. 

Maeve und ihre Schwestern verbringen ihre Kindheit vor allem bei den Verwandten in Wexford &  Coolnaboy, eine glückliche Zeit. Zuvor sind die kleinen Mädchen nämlich bei einer Hausdurchsuchung bei ihrer Mutter von dieser getrennt und verhört worden - ein verstörende Erfahrung! 

Ein klassisches Familienleben gibt es bei den Brennans ohnehin nicht. Zur Einschulung in die Klosterschule der Dominikanerinnen in der Nähe ihrer Dubliner Wohnung muss Maeve ganz alleine gehen und weint dabei bittere Tränen. Der Vater bleibt ein seltener Gast im Haus der Familie. Das Ende des Bürgerkrieges 1923 beendet glücklicherweise seine Rastlosigkeit. Das Land aber bleibt tief gespalten und die Menschen bettelarm. Maeve wird sich später immer wieder in ihren Kurzgeschichten, die im Land spielen, daran erinnern. 

Sie besucht jetzt mit ihrer kleinen Schwester die "St. Marys National School". Schon da empfindet sie die Enge bedrückend, die die frauenfeindliche Einstellung der irischen Gesellschaft & der katholische Fundamentalismus hervorbringen, und die immer weiter um sich greift und das Leben der Iren bestimmt. Gewettert wird gegen Jazz, kurze Röcke, vorehelichen Geschlechtsverkehr, Bücher kommen auf den Index. Noch schlimmer wird alles für das heranwachsende Mädchen, als sie mit der Schwester in ein Nonneninternat kommt. Jetzt kommt noch die Furcht vor den unberechenbaren, gewalttätigen Nonnen zu allem dazu ( wie ich das nachfühlen kann, aus eigener leidvoller Erfahrung! ). Schlimm ist auch, dass sie nichts zu lesen bekommt, denn die mickrige Schulbibliothek bleibt hinter Glastüren verschlossen.

Irgendwie rebellisch wie ihre Eltern, gründet sie einen Geheimbund der Gaelic League. Die Mitglieder beschaffen sich irische Bücher und bringen sich gegenseitig die Sprache bei. Als der Bund auffliegt, müssen einige Mädchen die Schule verlassen. Maeve ist nicht darunter, aber die Nonnen finden, dass sie "verdammt, verdammt, verdammt" sei und sie und ihre Mitstreiterinnen "Krückstöcke des Teufels".

Doch bald gibt es andere Gründe, die Schule zu verlassen: Ihr Vater, inzwischen Mitglied der Partei Fianna Fáil, die lange den irischen Ministerpräsidenten stellen wird, ist auch ein erfolgreicher Bühnenautor. Das Verhalten der Nonnen im Rahmen eines Premierenbesuches veranlasst die Eltern, ihre Töchter nun auf die Dubliner "Scoil Brighde" zu schicken, die Irisch als Unterrichtssprache führt.  

Im Irland nach der Unabhängigkeit wird Robert Brennan Teil des neuen Establishments. Schließlich wird er sogar Ende 1939 zum Legationsrat der irischen Gesandtschaft in Washington ernannt. Bevor die Familie Brennan in die Staaten aufbricht, hat die 16jährige in der "Irish Press" immerhin ihre erste Kurzgeschichte publizieren können.

Schon bei der Atlantiküberfahrt mit Mutter & Geschwistern auf der SS Manhattan ist sie mit einem nie gesehenen Luxus konfrontiert. Und so wird es auch zunächst in Washington bleiben, wo sie in einem Hotel der Luxusklasse untergebracht werden, dem Fairfax Hotel, dass in der Kennedy-Zeit zur Berühmtheit gelangen wird. Das in Folge gemietete Haus ist ebenfalls sehr großzügig bemessen. Maeve und ihre Schwester besuchen wieder eine Klosterschule.

Ihr fällt auf, wie viel gepflegter die Frauen in den Vereinigten Staaten sind, wie viel Wert auf Äußeres gelegt wird. Maeve "ist nicht gänzlich uninteressiert am neuen Frauenbild, das ihr hier begegnet", schreibt ihre Biografin Michaela Karl.

Nach dem High-School-Abschluss studiert Maeve an diversen Hochschulen englische Literatur & Bibliothekswesen. Zahlreiche Jahrbucheinträge künden davon, dass sie sich am Campusleben ihrer Universität beteiligt. 1937 ist sie auch an einer neu erscheinenden Campuszeitung beteiligt. Doch ihr Vater besteht auch darauf, dass die junge Frau selbst etwas zu ihrem Lebensunterhalt beiträgt. Und so arbeitet sie nebenher in einem Buchladen. Dennoch findet sie Zeit, Mitglied in diversen Clubs zu werden, so dem französischen wie dem deutschen.

1938
Sie wandelt sich rein äußerlich vom sittsamen und scheuen Mädchen mit Haarkranz um den Kopf zu einer eleganten Erscheinung im Jahr 1938. Da macht sie ihren Abschluss, und der Vater wird Gesandter der Irischen Botschaft mit neuen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Ein größeres Haus muss her, und Maeve gerät langsam in den Blick der Öffentlichkeit, was ihr durchaus zusagt. Das macht sich auch äußerlich bemerkbar: Sie trägt die Haare glatt zurückgesteckt, ganz anders als die jungen Amerikanerinnen, die Wellen à la Rita Hayworth bevorzugen. 

Es ist die auch die Zeit, als sie sich unsterblich verliebt in einen jüdischen Jungen aus der Nachbarschaft. Der bricht letztendlich die Beziehung ab, weil er unmöglich ein katholisches Mädchen heiraten kann. Maeve wiederum bricht das Herz, nicht zum ersten & letzten Mal in ihrem Leben. Bald läuft ihr der Theaterkritiker Walter Kerr über den Weg, den sie bis ins Alter als die Liebe ihres Lebens bezeichnen wird. Er ist Dozent an der Hochschule, an der Maeve nun studiert, immerhin katholisch und kann passables Buttercaramel herstellen. Doch als von Verlobung & Heirat die Rede ist,  ertappt sie ihn im vertraulichen Gespräch mit einer anderen...

Maeve flieht nun vor ihrer Uni, ihrer Familie und macht sich auf nach New York. Da ist sie ungefähr 23 Jahre alt. Sie verliebt sich in Greenwich Village, findet dort ihr erstes Appartement von neun Quadratmetern Größe. Ab da wird die Suche nach der perfekten Wohnung ihre Lebensaufgabe sein. Es heißt, die Tinte unter ihrem Mietvertrag sei noch nicht trocken gewesen, da habe sie schon den nächsten unterschrieben. Sie bevorzugt halt das Leben aus dem Koffer und bleibt eine Reisende in der Stadt, die sie trotzdem als ihre neue Heimat betrachtet. Sie gehört zu den Menschen, die Besitz als Belastung empfinden, und die einzige Konstante in ihrem Leben werden immer Tiere sein, besonders Katzen.

1941 tritt sie ihre erste Stella als Bibliothekarin an der "New York Public Library" am Bryant Park an. Eigentlich hat sie erreicht, was sie sich vorgenommen hat. Eigentlich... Heimlich beginnt sie aber zu schreiben, eine Geschichte, die zu kurz für einen Roman ist: "The Visitor" ( deutsch: "Die Besucherin" ). Sie spielt in Dublin. ( Hier ist ausführlich von der Erzählung die Rede. )
"Das Wort 'einsam' läutet wie eine einsame Glocke durch die Seiten von ‚The Visitor‘“, schreibt die irische Schriftstellerin Clare Boylan. „Brennan schreibt nicht nur über Einsamkeit. Sie bewohnt sie. Sie stellt sie aus. Sie erhebt sie zu einer Kunstform, wo sie unmöglich das Gleichgewicht halten können, aber eine einzigartige Aussicht haben."
Warum sie nicht veröffentlicht wird, bleibt im Dunkeln. Da sie aber in dem Buch offen die sexuellen Bedürfnisse unverheirateter Frauen anspricht, hat Maeve die besten Chancen gehabt, in Irland auf dem Index zu landen. Nach Ansicht von Literaturkenner*innen zeigt sich bereits in diesem Text ihre Fähigkeit in "eleganter, vornehm zurückhaltender Sprache eine Geschichte zu erzählen, in der es nahezu körperlich spürbar unter der Oberfläche brodelt."

Als 25jährige gerät sie zum ersten Mal in die Schlagzeilen der "Irish Times". Im Juni 1942 ist sie mit einem Strahlen übers ganze Gesicht mit einem Stapel Bücher in der Hand abgebildet. Aber das bewirkt nicht, dass sie als Schriftstellerin im Land wahrgenommen werden wird, geschweige denn gelesen.

1943 zieht ihre Schwester Deirdre mit ihren Kindern nach New York und weiß die Unterstützung durch ihre größere Schwester zu schätzen. Maeve ist tatsächlich eine begeisterte, verwöhnende Tante ihrer Nichten und Neffen. Als die Eltern zwei Jahre nach dem Krieg nach Irland zurückkehren, kommt es für die jungen Frauen der Brennan - Familie überhaupt nicht in Frage, mit ihnen die Staaten zu verlassen. Die rigide Religiosität & der beinharte Konservatismus in Irland stößt sie nämlich ab. Auch die strikten Rollenvorstellungen im Land ihrer Eltern - für Frauen zählen nur Kinder, Küche, Kirche -  sind besonders mit Maeves konkreten Lebensvorstellungen nicht vereinbar. Trotzdem wird sie lebenslang ein schlechtes Gewissen plagen, dass sie so lebt, wie sie lebt. In ihren Kurzgeschichten werden die irischen Hausfrauen & die irischen Dienstmädchen in den USA immer verbittert, bösartig, unglücklich und voller Hass & Neid auf das Glück der anderen sein. "Der Schmerz, den neidische Menschen empfinden, ist fürchterlich, er muss so sein", schreibt sie einmal. 

Auch an den Eltern arbeitet sie sich literarisch ab, obwohl sie auch für Geborgenheit & Vertrautheit in der Kindheit stehen. Doch der Vater ist der große Neider, hat er doch neben seiner politischen Arbeit immer geschrieben. Doch er wird nur halb so erfolgreich sein wie seine Tochter. Und diese Tatsache verleidet der jungen Frau Irland noch mehr. In ihrem Schreiben bleibt sie ihrer alten Heimat aber verhaftet. Nur ihrer neuen Heimat kann sie sich mit ihrem verschmitzten Humor & Augenzwinkern schreibend annehmen.

1941
Ein anderer Grund - neben der Freiheit, die sie empfindet - ist, dass sie 1943 als Werbetexterin für die High - End- Mode -Zeitschrift "Harper's Bazaar", dem größten Konkurrenten der "Vogue", arbeiten kann. Maeve wird angezogen von diesem medialen Produkt, bei dem Kunst, Kultur & Kommerz verschmolzen sind und die die urbane, berufstätige Single - Frau gefeiert wird, die für die darin vorgestellten Kleider allerdings ihr ganzes Monatsgehalt ausgeben müsste. Die Tätigkeit für das Magazin vergrößert noch mehr die Distanz zur Ursprungsheimat. 

Der 2. Weltkrieg bedingt auch beim "Harper's Bazaar" einen modischen Wechsel: Statt Pariser Mode tritt nun der "American Look" in den Vordergrund, für den die Schauspielerin Katherine Hepburn steht.  Die "Kriegsbraut" ist auch das Thema des ersten Artikels der Maeve Brennan, indem sie über die Schwierigkeiten des Briefwechsels zwischen den in Europa kämpfenden Männern & ihren Frauen schreibt.

Maeve mausert sich in dieser Zeit zu einem wahren Trendscout und nach Kriegsende widmet das "Life Magazine" der Trendsetterin einen Artikel. Die 1,50 Meter große Maeve hat da schon ihren eigenen Stil kultiviert: schwarzes Etuikleid, eine Blume am Revers, hohe Schuhe, eine Perlenkette und weiße Handschuhe, die Haare nach oben gesteckt und die Lippen immer rot geschminkt. Wer fühlt sich da nicht an Holly Golightly in dem Film "Breakfast at Tiffany's" erinnert? Truman Capote, der Autor der zugrundeliegenden Novelle, lernt Maeve als Bürojunge beim "New Yorker" kennen. 

Tatsächlich tragen die vielen Fotos von der stilsicheren Maeve zu dieser Inspiration bei ( heute würde man sie als Influencerin betrachten ). Ihr selbst verschafft ihr Gespür für kommende Trends den Job einer Redaktionsassistentin bei "Junior Bazaar", einer Neugründung von William Randolph Hearst, dem Eigner des Magazins, das bis 1948 erscheint und jüngere Leser gewinnen soll. 

Als Dior in Paris mit dem "New Look" einen neuen Stil forciert, bleibt Meave dem ihren treu. Davon zeugt das bekannte Foto des Karl Bissinger von Maeve am Kamin des irischen Theaterkritikers Thomas Quinn Curtiss, bekannt unter dem Namen Tomski als Geliebter von Klaus Mann: 

1948
1948 bekommt die 31jährige eine Kolumne bei der irischen Society - Zeitschrift "Social and Personal" und im Jahr darauf soll sie wieder zur "Harper's Bazaar" befördert werden. Doch kurz vorher erhält sie ein Angebot des "New Yorkers", das sie nicht ablehnen mag, denn es lockt ein Arbeitsplatz in einem Medium, das mit keinem anderen zu dieser Zeit vergleichbar ist: Für das progressive Politblatt schreibt die Crème de la Crème amerikanischer Autoren. Maeve ist eher eine Außenseiterin, eine stilvolle und schöne Irin in der Welt amerikanischer Männer. Wie es Roger Angell einmal ausdrückte: "Sie war keine von uns – sie war eine von ihr."

Meave zieht erst einmal um, in die Nähe der 9th Avenue, zieht aber auch wieder aus, als der Vermieter einen großen antiken Spiegel aus der Wohnung entfernen lässt und lässt sich sodann in der Nähe der 5th Avenue nieder.
 
Beim "New Yorker" ist sie zunächst für Buchrezensionen zuständig, die bei den Lesern sehr beliebt sind, sind sie doch boshaft, aber zugleich urkomisch. Zu ihrem Arbeitsplatz an der 25 West 43th Street im 20. Stock geht sie gerne zu Fuß. Und weil sie die winzigen Redaktionszimmerchen hasst, steht ihre Tür immer auf, sie stellt Topfpflanzen und Blumensträuße auf, lässt die Decke himmelblau streichen. Dort sitzt sie rauchend an ihrer Schreibmaschine und denkt über den menschlichen Charakter nach. Ihre Kollegen, so findet ihr Chef, lenkt sie mit ihren Notizzettelchen & Lachsalven von der Arbeit ab. Deshalb muss sie bald ans andere Ende des Büroflures ziehen. 

1950er Jahre
Auch ihre Attraktivität tut ein Übriges, und etliche Kollegen - bevorzugt verheiratete, denn das kommt Maeves Vorstellung von Freiheit wohl am ehesten entgegen - fallen der zum Opfer. Einen davon, den charmanten, talentierten Womanizer und Alkoholiker St. Clair McKelway, 12 Jahre älter als sie und Chefredakteur, heiratet sie schließlich 1954, wird aber nach fünf Jahren wieder von ihm geschieden. Mit ihm lebt sie in Sneden's Landing, einer Gemeinde nördlich der Stadt am Westufer des Hudson, die auch ihren Wiederhall in vielen ihrer Geschichten, die in einem besonders ironischen, spröden Ton formuliert sind wie im "Tanz der Dienstmädchen",  finden wird.

Meaves elegante Erscheinung kontrastiert allerdings mit ihrem Benehmen. Das ist das eines Droschkenkutschers: Sie flucht & schimpft auf gut irische Art und verschießt verbale Giftpfeile. Sie hat eine "Zunge, die eine Hecke schneiden konnte" bzw. "Sie war die Elfe, der durchaus auch ein herzhaftes 'Fuck you!' über die Lippen kam", so die Zeitgenossen.

Ihr loses Mundwerk wird noch loser, wenn sie getrunken hat. Den Ratschlag ihrer Chefin bei "Harper's Bazaar" - "Der beste Zeitpunkt, eine Party zu verlassen, ist der Moment, wenn sie gerade beginnt" - mag sie nicht beherzigen. Aber beim "New Yorker" toleriert man eh jegliches schräge Verhalten: Er ist ein Hort für die "geborenen Unbrauchbaren". Und der gibt all jenen eben Halt & Geborgenheit.

Zu Beginn ihrer Zeit bei dem Magazin verfasst Maeve noch raffinierte Betrachtungen über die New Yorker Modewelt. Ihren scharfen Blicken scheint nichts zu entgehen. Ihre Beiträge erscheinen allerdings zunächst ohne Namensnennung. Das ändert sich erst im Verlauf des Jahrzehnts. 

1950 ist ihre erste Kurzgeschichte noch im "Harper's Bazaar" gedruckt worden - mit Namen. Auch ihre zweite erscheint dort 1952 - eine von mehreren über das Ehepaar Hubert & Rose Derdon. Zehn Jahre später gibt es die nächste. Auch ihre Weihnachtsgeschichten - im Dezember 1952 startet sie im "New Yorker" mit dem "Spaßvogel" - finden Fortsetzungen. 

Das "Costello's" in den 1970er Jahren
Maeve feiert übrigens das Fest der Feste am liebsten in der Bar "Costello's" in der Third Avenue mit den Kollegen, dem "Square Table" in Abgrenzung zum "Round Table" der Dorothy Parker ( siehe dieser Post ). Für Maeve ist dieser New Yorker Mikrokosmos ein zweites Zuhause. Das "Costello's" wird zunehmend ein beliebter Ort zum Trinken und Essen für irische Schriftsteller und nach und nach auch für Schriftsteller aller Couleur.

Der Kontrast zwischen Maeves Leben und dem der Verwandten in Irland könnte nicht größer sein, wie sie bei Besuchen feststellt. Ihre Liebe zum Land ihrer "Väter" kühlt immer weiter ab.

Anfang 1954 darf Maeve Brennan für den "Talk of the Town" schreiben - eine Ehre unter all den männlichen Schreiberlingen! Ihre maliziösen Beiträge sind etikettiert mit dem Label "the long-winded lady" und finden eine begeisterte Leserschaft. Mehr als 15 Jahre lang verfasst sie diese in der Zeitschrift, aber erst 1969 wird sie als Autorin identifiziert, als sie einige ihrer Favoriten in Buchform veröffentlicht. In diesen Kolumnen schwelgt sie – meisterinnenhaft, so die Literaturnobelpreisträgerin ­Alice Munro - in der liberalen, voller Rätsel und menschlicher Wunder steckenden Metropole, ganz anders als in ihren in Irland verorteten Erzählungen von "Mr. und Mrs. Derdon" über das verhärmte Dubliner Ehepaar.

Scheinbar nimmermüde versorgt sie das Wochenmagazin bis Anfang der Siebziger mit Prosaskizzen, Essays, Kurzgeschichten, Buchkritiken und Reflexionen.

Erst nachdem sie sich im Winter 1959 einvernehmlich von St. Clair getrennt hat und wieder allein lebt, kehrt Maeve zu den Dublin-Geschichten zurück, an denen sie in den Jahren vor ihrer Heirat gearbeitet hat. Das einsame Leben fördert ihre Kreativität. Einzige Mitbewohnerin damals ist ihr schwarzer Labrador Retriever "Bluebell". Bluebell ist Teil der 1969 in Amerika unter dem Titel "In and Out of Never-Never-Land" erschienenen Storys. Die deutsche Ausgabe von 2013 trägt dann tatsächlich ihren Namen als Titel und versammelt Geschichten, die sich um Maeves Labradorhündin drehen.

In den frühen 1960er Jahren scheint sie geradezu pausenlos zu schreiben. Die Sommer verbringt sie in der Stadt, die Winter dann allein in East Hampton, später am Meer in Massachusetts, wo sie außerhalb der Saison Häuser in der Nähe der ihr ergebenen und fürsorglichen Freunde Sara und Gerald Murphy mietet. Sie schreibt über das Meer, die Küste, die Möwen und über Kinder. Sie schreibt mit der strahlenden Schlichtheit einer Colette ( siehe auch dieser Post ) über den Tagesablauf, gesehen mit den Augen ihrer Tiere ( neben Bluebell gehören dazu auch Katzen ). Alles, was sie braucht, ist ein Raum, in dem sie ihre Schreibmaschine platzieren kann, um loszulegen.

Maeve Brennans längste und kraftvollste Geschichte, "The springs of affection", durchläuft viele Korrekturen, bevor sie am 18. März 1972 im "New Yorker" publiziert wird. Alice Munro & William Maxwell halten sie für eine der besten Kurzgeschichten des Jahrhunderts. Sie spielt in der Grafschaft Wexford und basiert auf ihrer Familie, verursacht demzufolge vorhersehbare Verletzungen und entfremdet sie weiter von ihren Verwandten bis zum Bruch der Beziehungen. Da sie keinen irischen Verlag hat, bleiben Maeves Dublin-Geschichten in Irland, wo so viele von ihnen spielen, allerdings weitgehend unbemerkt. 

In den frühen 1970er Jahren beobachten Freunde schmerzhafte Veränderungen in ihrem Verhalten. Leidenschaften werden zu Besessenheit. Meave wird immer launischer, denn das Dunkle ihrer Literatur erreicht nun auch das echte Leben der mittlerweile in ihren späten Fünfzigern befindlichen Frau. So verlässt sie einmal ein gemietetes Haus, um woanders hinzuziehen, und lässt ihre Katzen unbetreut zurück, die daraufhin das Haus demolieren. Es häufen sich die Schreibblockaden, Erschöpfungsphasen, Krankenhausaufenthalte - ein erster 1972. Therapien und Medikamente helfen nur vorübergehend. 1975 versucht sie sich bei ihrem Bruder Patrick in Peoria, Illinois, zu erholen. Doch wie immer, wenn sie sich besser fühlt, lässt sie ihre Medikamente weg und wird von der Polizei aufgegriffen, als sie Dollarnoten wahllos an Passanten in einem Park verteilt. Ohne Abschied entfleucht sie nach New York.

Geplagt von einer Anhäufung von ( Steuer- )Schulden und verfolgt von ihren Gläubigern logiert sie in immer heruntergekommeneren Hotels. Sie ist durchgehend von Ort zu Ort gezogen, jetzt aber verändert sie ihr Lebensumfeld so schnell, wie es ihr Vater vor langer Zeit während der irischen Rebellion getan hat. Schließlich kampiert sie in einem kleinen Raum hinter den Toiletten im Büro des "New Yorker".  

Dann hat sie einen schweren Zusammenbruch und liegt einige Zeit im Krankenhaus. Infolgedessen zeigen sich psychische Krisen, möglicherweise eine Schizophrenie ( eine Krankenakte existiert nicht ). Es folgen Abstieg und Verstummen. Sie scheidet aus der Redaktion des "New Yorker" aus, und die einst unterkühlt und mondän auftretende junge Frau entwickelt sich in Richtung Wrack: Auf dem Kopf ein 12 Zentimeter hoher "Beehive", ein notdürftig überschminktes Make-up des Vortages, rissige und schmutzige Kleidung.

Im Hinterraum der Toilette wird sie geduldet, bis sie Leute zu belästigen und zu vandalisieren beginnt. Aber noch für viele Jahre bezieht sie ein Gehalt. Ihre letzte Kolumne "A blessing" erscheint am 5. Januar 1981, ihr Abschiedsgruß. Sie wird nie mehr eine Zeile schreiben.

Auf Ratschläge ihrer Freunde reagiert sie nur noch feindselig. Schließlich verschwindet sie in den Reihen der New Yorker Obdachlosen. Gelegentlich wird sie von ihren alten Kollegen noch mit ihnen am Rockefeller Center sitzend gesehen. Sie ist nun eindeutig eine Außenseiterin geworden, eine der Armen und Bedrängten, zu denen sie schon immer die Visionäre gezählt hat.

Das Management des "New Yorkers" vermittelt ihr 1990 noch einen Pflegeheimplatz im "Lawrence Nursing Home" in Arverne ( Queens ), gibt aber keine Informationen über ihren Aufenthaltsort an Dritte außerhalb der Organisation weiter, so dass Familie und Freunde den Kontakt zu ihr völlig verlieren. Dort stirbt Maeve Brennan am 1. November 1993 mit 76 Jahren an Herzversagen. Eine Gedenkfeier für sie findet in Midtown Manhattan statt. Von der Familie in Irland reist niemand  dazu an. Ihre Asche wird über dem Meer verstreut. Den Nachruf im "New Yorker" verfasst selbstredend der treue Freund, der Schriftsteller William Maxwell, einstiger Büronachbar Maeves in ihren Anfangszeiten beim Magazin: "Bei ihr zu sein bedeutete mitzuerleben, wie Stil erfunden wurde."

Der namhafte Herausgeber Christopher Carduff hat bereits damals damit begonnen, alle Geschichten von Maeve Brennan zu lesen, sie auszuwählen und in wirkungsvollen Sequenzen zu ordnen. Für den ersten von zwei Bänden, die 1997 und 2000 erscheinen, gibt er bei dem ( auch von mir geschätzten ) William Maxwell eine berührende Einführung in Auftrag und produziert 1998 eine neue, erweiterte Ausgabe von "The longwinded lady". Im Jahr 2000 entdeckt er "The Visitor" in einem Universitätsarchiv und redigiert es für eine Veröffentlichung im gleichen Jahr. 2004 erscheint ein biografischer Abriss von Angela Bourke - "Homesick" - im "New Yorker".

Durch die Neuentdeckung von "The Visitor" gestärkt, festigt sich Maeves Ruf 2017, als ihr hundertjähriger Geburtstag neue irische Ausgaben ihres Werks mit Einführungen von Anne Enright und Belinda McKeon hervorbringt sowie zahlreiche Veranstaltungen und Veröffentlichungen zu ihren Ehren veranstaltet werden.

Was Meaves bedrückendes Ende anbelangt: Die Armutsforscherin Irene Götz  konstatiert einmal, dass niemand so ein hohes Risiko trägt, im Alter zu vereinsamen und zu verarmen, wie alleinstehende Städterinnen. Maeve Brennan hat es selbst einmal zynisch zum Ausdruck gebracht: 
"Allein zu sein heißt, dass niemand etwas für dich tut, wenn du ihn nicht dafür bezahlst.

Die nun wiederentdeckte Schriftstellerin ist nie explizit eine Anhängerin oder gar Aktivistin der Frauenbewegung gewesen. Und doch ist sie als Feministin zu betrachten, die mit der Waffe "Kurzgeschichten" dafür gekämpft hat, dass Frauen ein eigenständiges Leben führen können, statt in patriarchalischen Eheverhältnissen seelisch zu verkrüppeln. Feminismus hat viele Formen, muss ich immer wieder feststellen.



8 Kommentare:

  1. Was für ein Leben! Toll, wie du das Portrait erarbeitet hast. Ich kannte zwar einiges von ihr,aber den Hintergrund nicht. Herzliche Grüße, Sunni

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  2. Was für eine schöne, stilsichere Frau. Und so einsam, dass selbst ihr Abstieg sie nicht zu mehr echtem sozialem Leben anregen konnte. Eine Bar kann eben nicht alles erfüllen.
    Traurig, dass sie so enden musste.
    Du hast ihre Geschichte sehr spannend erzählt. Danke.
    Herzlichst, Sieglinde

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  3. ohhh
    eine schöne Frau war sie
    und ihr Leben so bewegt und wechselhaft
    ihr Ende ist wirklich traurig
    es ist schlimm wenn man am Ende niemanden mehr hat der einem
    Halt und Wärme gibt
    du hast es wieder großartig geschrieben
    danke
    Rosi

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  4. Liebe Astrid,

    ein so interessante Frau, die sich ihren Weg gebahnt hat, vielleicht ohne Rücksicht auf Verluste. Um dann im Alter allein zu sein. Ich denke, jemand wie sie hätte kein anderes Leben führen können und wollen.

    Auch wenn das Ende und der Abstieg traurig sind, so hatte sie doch wohl viele Jahre, in denen sie ihr Leben ihrem Wunsch gemäß leben konnte.

    Eine überaus interessante Frau, die mir komplett unbekannt war. Durch deine Beschreibung kann ich sie mir hervorragend in den USA der 50er Jahre vorstellen.

    Liebe Grüße,
    Claudia

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  5. Mir war Maeve Brennan bislang kein Begriff. Ein sehr berührendes und bewegendes Portrait einer Ruhelosen. Ich sollte mal was von ihr lesen.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Was für ein irgendwie chaotisches Leben. Und doch "was für ein Leben"!
    Ich hatte von ihr als Stilikone und Autorin gehört, aber leider nicht mehr. Danke Dir, eine würdige starke Frau zu Beginn des neuen Jahres.
    Liebe Grüße
    Nina

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  7. Spannend, dieses Portrait einer außergewöhnlichen Frau, von der ich bisher noch nichts gehört oder gelesen habe. Holly Golightly ging mir dann aber dann doch sofort durch den Kopf, als ich deinen Bericht zum ersten Mal durchscrollte.
    Alleinstehende Frau in einer Stadt zu sein, ... braucht neben einem funktionierendem Netzwerk vor allem einen gefüllten Geldbeutel. Dem kann ich beipflichten.
    Viele liebe Grüße,
    Karin

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  8. Ich erlebe hier bei Dir immer wieder aufsehenerregende Frauen!
    Diesmal eine sehr schmerzhaft anmutende Biografie, als Ausgangspunkt Irland, ein Land und seine gesellschaftlichen Umstände, das immer wieder auch in meinen Fokus gerät. Derzeit lese ich ein biografisches Buch von Paul David Hewson, besser bekannt als Bono, Sänger von U2. Da werden natürlich auch gesellschaftliche Themen beleuchtet.
    Wieder einmal geht mir durch den Kopf, wie tragisch es sich auswirken kann, wenn Menschen psychisch erkranken!
    Eine talentierte Frau, die letztlich tief abgestürzt ist - Gänsehaut erzeugend!
    Liebe Grüße,
    C Stern

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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