Die Weihnachtsferien 1976 verbrachte ich auf Texel mit einer großen Freundesgruppe in einem Ferienhaus. Da es ein sehr kalter Nordseewinter war und ohnehin immer früh dunkel, wurde die Zeit mit "Schafkopf" vertrieben. Alle hatten ihren Spaß daran, nur ich nicht, denn ich spiele keine Karten. Blieben mir als einzige Gesellschaft Bücher und die Freundinnenkatze. Dann entdeckte ich in Den Burg hinter Scheiben mit Eisblumen, ( es war das letzte Mal, dass ich die in meinem Leben gesehen habe ) in einem kleinen Handarbeitsladen das hier:
Eine Stickpackung für einen "Letterlap" nach einer Vorlage von Kate Greenaway. So machte ich die Bekanntschaft der "ungekrönten Königin des goldenen Zeitalters der Kinderbuchillustration". ( Der "Letterlap" hängt übrigens heute noch in meinem Gästezimmer... )
Geboren am 17. März 1846 im Londoner East - End -Stadtteil Hoxton, zweites Kind ( von vieren ) der Elizabeth Jones, einer Näherin und Putzmacherin, und John Greenaways, seines Zeichens Holzschnitzkünstler für so bekannte Zeitschriften wie "Punch" und "The Illustrated London News", kommt Catherine Greenaway, so ihr Taufname, in eine Welt, die nicht wirklich so idyllisch ist, wie man es aufgrund ihrer gezeichneten Kinderwelten gerne annimmt:
Die Eltern sind zwar wild entschlossen, ihren Kindern eine bessere Kindheit zu ermöglichen als ihre eigene. Das ist aber ein Vorhaben, das große Anstrengungen von Beiden verlangt, denn ihre Lebensumstände sind nicht immer einfach und man zieht oft von Ort zu Ort, als Kate klein ist.
"I had such a very happy time when I was a child, and curiously, was so very much happier than my brother and sister, with exactly the same surroundings. I suppose my imaginary life made me one long continuous joy—filled everything with a strange wonder and beauty", wird sie später dazu sagen.
John Greenaway |
Kate, ein ängstliches Kind, das gerne zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt hin und her schwankt, kann in Rolleston eine Atempause vom anstrengenden Familienleben einlegen und gewinnt schließlich einen Zufluchtsort für sich, der ihre Erinnerungen für immer bestimmen wird.
Stabilität kommt wieder ins Leben der Familie Greenaway, als die Mutter 1850 ein Modegeschäft im schicken Islington im Londoner Norden eröffnet. Die Familie zieht in die Wohnung über den Geschäftsräumen, und Kate findet im Garten hinter dem Haus ihr Refugium, das ihre Vorstellung eines idealen Gartens prägen wird.
Rolleston, Nottinghamshire um 1800 |
Sie ist noch keine zwölf Jahre alt, als Kate der Einfachheit halber in der "Finsbury School of Art" eingeschrieben wird, denn so kann sie sich mit ihrem älteren Cousin auf den Schulweg machen. Endlich scheint das Kind von Schule begeistert zu sein, und so unterstützen die Eltern ihre weiteren Ambitionen. Kate lernt künstlerische wie kunsthandwerkliche Techniken, darunter das Entwerfen von Porzellan-, Stoff- und architektonischen Mustern und Ornamenten.
Als sie mit neunzehn die Schule abschließt, um die "Central School" in South Kensington zwecks Fortsetzung ihrer Ausbildung zu besuchen, muss Kate feststellen, dass sie als Frau vom Aktzeichnen ausgeschlossen ist. Sie ist nicht bereit, diese Diskriminierung auf Dauer zu akzeptieren und wechselt an die "Slade School of Art", als diese bei ihrer Eröffnung 1871 die gleichen Ausbildungmöglichkeiten für Frauen wie Männer verspricht. Dazu besucht sie noch die abendliche Zeichenklasse an der "Heatherley’s School of Art".
ca.1867 |
Die Bekanntschaft mit diesem weiß Kate für sich fruchtbar zu nutzen, um einen Fuß in die Tür zur gerade aufkeimenden Postkartenindustrie zu bekommen. Ihre erste Karte zum Valentinstag wird gleich fünfundzwanzigtausendmal verkauft. Neben den Karten schafft sie auf Kommission Entwürfe für Bücher.
Ein Grund für den Erfolg ihrer Postkarten ist, dass Kate Frauenfiguren in Kleidung des Regency zeichnet, die von einer großen Kenntnis & Sicherheit im Umgang mit Mode zeugen - kein Wunder, hat sie doch im Geschäft der Mutter mit Stoffen & Kostümen Erfahrungen sammeln können. ( "Liberty of London", das berühmte britische Kaufhaus, adaptiert später Kates "looks" für eine Kindermodelinie. )
1876 beginnt das in England populäre Kindermagazin "Little Folks" erstmals mit dem Abdruck von Kate- Greenaway - Zeichnungen, das amerikanische Magazin "St. Nicholas" folgt im Jahr darauf.
In jenen Tagen hat ihr Vater auch seinen einstigen Kollegen Edmund Evans eingeladen, ihre Arbeiten zu begutachten. Der ist Eigentümer einer sehr erfolgreichen Farbdruckerei mit einem Laden für Farbdrucke in der Fleet Street. Er gibt der jungen Frau tatsächlich eine Chance, denn ihr Farbschema - "green - yallery" - ist dank William Morris gerade sehr en vogue. Auch ihre körperfernen Flatterkleidchen - dank Dante Gabriel Rossetti - und die Gartenhintergründe im japanischen Stil entsprechen dem Zeitgeschmack. Nur ihre Verse findet Evans grauenvoll. Kate weigert sich zunächst, einer bloßen Veröffentlichung nur der Zeichnungen zuzustimmen. Ein Kompromiss - es soll jemand angestellt werden, der Kates literarische Ergüsse überarbeitet - macht dann doch die Veröffentlichung ihres ersten Buches "Under the Window" möglich und bringt ihr 1879 den Durchbruch.
Auch im Privaten entwickelt sich eine Freundschaft zur Evansschen Familie, was Kate die Bekanntschaft mit anderen erfolgreichen Illustratoren ihrer Zeit und dem Poeten Frederick Locker-Lampson, verheiratet mit der Kinderbuch-Autorin Hannah Jane Lampson, einbringt, der ihren Versen auf die Sprünge helfen und eine wichtige Person in Kates Leben werden wird. Locker - Lampson, durch seine erste Ehe in der englischen Society sehr gut vernetzt, ist auch hilfreich, Kate einen wohlhabenden Kundenkreis zu vermitteln.
Bekanntschaft macht sie bei den Evans auch mit der Schriftstellerin George Eliot ( die ich hier porträtiert habe ), die die Zeichnungen Kates bezaubernd findet, allerdings den Vorschlag des Druckers ablehnt, eine Kindergeschichte zu schreiben, die von Kate illustriert sein sollte.
Von ihrem ersten gemeinsamen Buch hat er anfangs 20.000 Exemplare drucken lassen - zu wenig! Schon bald werden die Bücher zum fast doppelten Preis weiterverkauft, so dass eine zweite Auflage zu 70.000 Exemplaren veranlasst wird, insgesamt werden es später dann 150.000 sein. Auch französische & deutsche Ausgaben folgen.
1880 |
Ab den 1880er Jahren führt Kate nun ein völlig anderes Leben als bisher: Sie wird zu Abendessen & Parties eingeladen, zu Veranstaltungen der High Society wie Musicals & Theaterabenden. Doch - obwohl in Begleitung ihres Mentors Locker-Lampson - fühlt sie sich immer befangen, wie eine "crow amongst beautiful birds."
Ihren Unsicherheiten zum Trotz kommt sie in Kontakt zur führenden Society - Gastgeberin, Lady Mary Jeune, die auch ihre Schirmherrin wird. Und auch diese Beziehung wird sich als als sinnvolle und nützliche Freundschaft erweisen.
"Mother Goose" |
Es folgen viele Aufträge wohlhabender Eltern, ihre Kinder zu porträtieren. Es folgt eine Einladung zu einer Ausstellung der Königlichen Akademie. Und es folgt, was scheinbar folgen muss, wenn man das Level erreicht, das Kate Greenaway nun erreicht hat: Hohn, Spott, Kritik, vor allem von ihren männlichen "counterparts". Immerhin erreicht ihr Freund Locker - Lampson, dass sie bezahlt wird wie ihre männlichen Konkurrenten!
"Mother Goose" |
Schon seit 1880 korrespondiert Kate mit dem 27 Jahre älteren Oxford - Professor John Ruskin, der Kunstgeschichte lehrt und der "Arts and Crafts"- Bewegung angehört.
Drei Jahre später begegnen sie sich in realitas, und Ruskin, der Kate bewundert wegen ihres "profound sentiment of love for children", nimmt nach und nach immer mehr Einfluss auf die jüngere Frau, die das als Werben auffasst. Ruskin, dessen umstrittenen Beziehungen zu sehr viel jüngeren Mädchen bekannt sind, ist hingegen an einer erneuten ehelichen Beziehung nicht interessiert. Vielmehr fordert er sie auf, ihre kindlichen Modelle nackt zu zeichnen und diese Zeichnungen ihm zu übereignen - das geht Kate nun doch zu weit.
Auch versucht er, sie ganz vom Illustrieren abzubringen und zu "höhenwertiger" künstlerischer Betätigung ( Aquarelle oder Ölgemälde ) zu animieren. Ihr langjähriger Freund & Ratgeber Locker - Lampson wird nun durch Ruskin ersetzt - zu Kates Schaden: Immer mehr macht sich dessen Kritik in ihrem Gemüt breit, und sie verliert das Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Alles was Ruskin sagt, gilt ihr als heilig, im Gegensatz zu den Kommentaren von Evans und Locker - Lampson zu ihren Werken. Diese, ihre Fehlentscheidung führt dazu, dass sich ihr Glück sozusagen über Nacht verabschiedet...
Edmund Evans - Frederick Locker-Lampson - John Ruskin |
Evans kann Kate zu einem Aufenthalt bei seiner Familie in Surrey überreden, wo er mit ihr über neue Buchideen sprechen will. Sein Plan geht auf, und Kate beginnt mit Illustrationen für ein neues Buch, "The Language of Flowers". Das wird bei seinem Erscheinen 1984 von der Kritik begrüßt, aber nicht von Ruskin:
"You are working at present wholly in vain. There is no joy and very, very little interest in any of these Flower book subjects, and they look as if you had nothing to paint them with but starch and camomile tea." ( Quelle hier )
"Dame Wiggins of Lee and her Seven Wonderful Cats" |
1885 bezieht sie mit ihren Eltern das von Richard Norman Shaw für sie entworfene Haus im "Arts and Crafts style" in Frognal, London.
Ein weiteres Buch, "Marigold Garden", kommt auch in diesem Jahr heraus, erreicht aber nicht mehr die gewohnte Auflagenhöhe. Es ist, als habe Ruskins negativer Einfluss einen Großteil von Kates Selbstvertrauen in ihre zeichnerischen Fähigkeiten zerstört, denn sie benötigt sehr viel länger, um ihre Illustrationen & Verse anzufertigen. In den darauf folgenden Jahren illustriert sie noch zwei Bücher fremder Autoren und "Kate Greenaway’s Book of Games", wendet sich aber vorrangig der Aquarellmalerei zu, die allerdings nie ihre Stärke sein wird. Sie stellt diese auch mehrmals in der "Fine Arts Society"aus, ohne den Erfolg zu haben, den sie sich versprochen hat.
1890 stirbt überraschend ihr Vater, vier Jahre später ihre Mutter - Ereignisse, die Kate empfindlich treffen. Ihre Vorstellung von immerwährender Kindheit hat sie bis dahin bewahren können, nun muss sie das Erwachsensein endgültig akzeptieren. Sie versucht, mit ihrer Schwester Fanny ein Unternehmen zu gründen, was nicht klappt, sie versucht sich an Lyrik und einer Autobiografie - alles mit wenig Erfolg.
"The April Baby’s Book of Tunes" |
1900 stirbt John Ruskin, dem sie sich bis zuletzt verbunden fühlt trotz "his ill temper, his fits of madness and his eventual senility". Auch dieses Ereignis lässt sie am Boden zerstört zurück, obwohl er ihr schon länger nicht mehr auf ihre Briefe geantwortet hat. Ihre eigene Erkrankung verschweigt sie, schiebt Erkältungen und Rheumatismus vor. Obwohl sie abscheuliche Schmerzen erleidet, denn der Krebs hat ihre Lungen angegriffen und macht das Atmen fast unmöglich, ist sie nicht bereit, Hilfe zu suchen und anzunehmen.
An einem stillen, nebligen 6. Novemberabend 1901 stirbt sie in ihrem Haus. Ganz privat und mit minimalem Aufwand wird sie im Grab ihrer Eltern in Hampstead beigesetzt. Ihren Grabstein schmückt der Spruch:
"Heaven’s blue skies may shine above my head,Unter den wenigen Künstlern, die wegen Kinderbuchillustrationen berühmt wurden, ist Kate Greenaway eine der einflussreichsten ihres Zeitalters gewesen. Ihre typischen Designs bestimmten noch länger die Art & Weise der Kinderkleidung und gingen als "Greenawisme" in die Kostümgeschichte ein. Seit 1955 wird ihr zu Ehren die "Kate Greenaway Medal" verliehen für herausragende Illustrationen von Kinder- und Jugendbüchern.
While you stand there – and say that I am dead!"
toller bericht, den werde ich noch einmal in ruhe lesen!!! danke! gesa
AntwortenLöschenLiebe Astrid, wieder vielen Dank für das Porträt. Ich hatte als Kind ein Buch, welches ähnliche Illustrationen enthielt. Der Titel war: "Maria und ihre Schwälbchen". Gerade hast du mich so nett an dieses Buch erinnert. Es gibt es nicht mehr, denn die Geschwister, die nach mir darin geblättert und gelesen haben haben es halt "verbraucht". Danke für die Erinnerung und beste Grüße von Rela
AntwortenLöschenSo bezaubernde Zeichnungen hat sie gefertigt und so merkwürdig war ihr Leben. Ewige Kindheit, ja das strahlen die Zeichnungen aus...
AntwortenLöschenWie ausgerechnet ein John Ruskin da rein passt? Aber wahrscheinlich gerade deshalb, er ist ja ein totaler Kontrapunkt.
Dass sie auch Elizabeth von Arnim schätzte, freut mich besonders.
Am Freitag stelle ich Deine wunderbare Reihe "Great Women" in meinem da sempre Blog zum Internationalen Frauentag vor und da ist die Begegnung mit ihr gleich eine Bereicherung für meine LeserInnen.
Danke fürs Vorstellen dieser Ausnahme-Illustratorin und Danke für Deine Genehmigung fürs Vorstellen Deiner "Great Women" Reihe, sagt sehr herzlich
Sieglinde
Was für ein feines Portrait, ich kannte Kate Greenaway bislang noch gar nicht bzw. konnte diese Illustrationen niemandem konkret zuordnen. Irgendwie kommt immer ein männlicher Störfaktor dazwischen...
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
ein weitergeleiteter Kommentar von meiner Mama:
AntwortenLöschenLiebe Astrid,
wieder freute ich mich über die Vorstellung einer besonderen Frau. So wunderbare Illustrationen habe ich kennenlernen dürfen, danke dafür. Orientieren kann ich mich wiedermal an meiner Großmutter ( Oma Post), deren Zeit dies war, fragen ob sie Bücher von ihr hatte, kann ich sie leider nicht mehr. Vielleicht hatten ihre beiden Kriegsjungs ja welche?
Liebste Grüße von der Helga
Guten Morgen liebe Astrid,
AntwortenLöschendanke für diesen aufschluszreichen Post.
Als Kind hatte ich ein zerknülltes Stück Einwickelpapier (vom Westen!) mit Greenaway-Motiven, sehr geliebt und gehütet, von meiner Mutter als Kitsch bezeichnet... doch ich habe mich später irgendwie nie wirklich mit ihr beschäftigt - da gab es immer andere Künstler und Namen.
Zufälligerwseise stöberte ich das zweisprachige Büchlein der Dame Wiggins of Lee mit ihren Katzen neulich antiquarisch auf und nahm es für 99 cent gerne mit. Farbbilder, die der Zeichnung sehr ähneln, aber wohl doch von jemand anderem sind (es gab 4 zeitgen. Illustrations-Fassungen)...
Bin gerade wieder am Aufwachen mit einer hochdosierten Antibiotika-Behandlung, die mein Problem in der Nase&Nebenhöhle allerdings auch nicht wirklich beseitigt hat, aber immerhin etwas eingedämmt und kein Fieber/Krankheitsgefühl mehr... deswegen länger nicht im Bloggerland gewesen...musz nun wieder auswärtigen HNO konsultieren, hier am Ort offenbar keine wirkliche Hilfe oder wenigstens Untersuchung möglich -
Himmelsblaugrüsze mit der Moregenröte
Mascha
Oh, so toll!
AntwortenLöschenIhre Illus hab ich schon immer sehr geliebt.
Genau wie die von Beatrix Potter :-)
Liebe Grüße von Urte
Eigentlich wollte ich nur kurz nach Deinen heutigen Blümchen schauen, blieb dann aber erst einmal an diesem Post hängen.
AntwortenLöschenSchon wegen Deiner interessanten Portraits sollte ich wieder öfter im Bloggerland unterwegs sein.
Lieben Gruß und ein schönes Wochenende
Katala
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenklasse, dass Du das Stickbild noch hast, ich weiß wieviel Arbeit darin gesteckt hat. Ich mag übrigens auch keine Kartenspiele, da war bei meinen Söhnen der Vater dran.
Wie schade, dass Kate Greenaway sich von John Ruskin so beeinflussen lies.
viele Grüße Margot
ihre Illustationen sind mir sicher schon begegnet
AntwortenLöschenaber den Namen kannte ich nicht
auch eine Frau die sich durchsetzen musste
sich dann allerdings von Männern beeinflussen ließ
vielleich eine Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe die sie allerdings nicht findet
danke für das Portrait
liebe Grüße
Rosi