Donnerstag, 10. Oktober 2024

Great Women #393: Aloha Wanderwell

Sie faszinieren mich ja schon, solche Abenteurerinnen wie Clärenore StinnesNellie Bly, Gertrude Bell oder Isabelle Eberhardt. Doch in meinem jetzigen Alter macht mir das alles eher Angst. Dafür muss frau wohl so jung sein wie meine heutige Protagonistin mit dem klingenden Namen Aloha Wanderwell...

"I don’t know which was worse, 
the angry elephants or the snakes."

Aloha Wanderwell erblickt das Licht der Welt, die sie später "erobern" wird, am 13. Oktober 1906 in Winnipeg, Manitoba, Kanada. Da heißt sie noch Idris Galcia Welsh und ist das Kind von Margaret Jane Hedley, die einige Jahre zuvor aus Durham in England nach Kanada gekommen ist, und Robert Welsh. Sie wächst zunächst auf in der Stadt Salmon Arm in British Columbia. 

Der Vater stirbt schon zwei Jahre nach ihrer Geburt und ihre 31jährige Mutter heiratet 1909 ein weiteres Mal und zwar den britischen Armeereservisten Herbert Cecil Victor Hall, neun Jahre jünger als sie, der mit einem nicht unerheblichen Erbe aufgrund seiner Zugehörigkeit zum englischen Landadel in Yorkshire ebenfalls nach Kanada gekommen und nun als Rancher, Bauunternehmer & Grundstücksspekulant in North Vancouver sein Glück gemacht hat. Den wird das Mädchen lange für seinen leiblichen Vater halten.  

Als Achtjährige mit Schwester und Stiefvater
in Qualicum Beach
(1914)

Aloha verbringt ihre Kinderzeit in Qualicum Beach an der Ostküste von Vancouver Island, wo der Vater vierzig Hektar Uferland gekauft hat. Später wird sie in einem Internat in Victoria untergebracht.

Es wird erzählt, die Reisegeschichtensammlung ihres Vaters habe wohl das Interesse des Mädchens an unbekannten Winkeln der Erde geweckt. Idris, ein sogenannter tomboy, liebt es auch, zu Schallplattenaufnahmen Hula zu tanzen und die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu ziehen. Das bringt ihr den Spitznamen "Aloha" ein.

Der Erste Weltkrieg macht jeglichen Gedanken an ein normales Familienleben an der Westküste von British Columbia zunichte. Herbert Hall, der unbedingt seinen Teil zum Kriegserfolg beitragen will, schließt sich der "Canadian Overseas Expeditionary Force" an und reist im Sommer 1915 auf einem Truppenschiff nach England. Dort wird er der "Durham Light Infantry" zugeteilt. 

Wie es mit Aloha, ihrer Mutter & Schwester weitergegangen ist - darüber gibt es unterschiedliche Versionen: Es heißt, dass Margaret mit ihren Töchtern nach London zieht, um dort auf das Kriegsende zu warten. Es heißt auch, dass sie Aloha auf eine Mädchenschule auf Vancouver Island zurückschickt, als klar ist, dass aus der kurzen Übung, "den Bosch zu besiegen", nichts werden würde. Es wird ebenso erzählt, dass die Mutter die Zwölfjährige alleine ohne Begleitung mit der Bahn und einem Ozeandampfer aus ihrem Internat in Kanada nach England habe kommen lassen, nachdem Herbert Hall seit der letzten Schlacht bei Ypern in Belgien 1917 vermisst wird. Was Fakt zu sein scheint:

(ohne Jahr )
Die untröstliche Margaret Hall kann nicht glauben, dass ihr Mann wirklich gestorben ist. Und so nimmt sie ihre Töchter nach Kriegsende mit nach Belgien, wo sie Militärakten studiert und Schlachtfelder nach Hinweisen auf sein Schicksal durchforstet. Die beiden bringt sie derweil bei den Benediktinerinnen in der Klosterschule "Soeurs du Saint-Sacrement" in Kortrijk unter. 

Aloha geht der streng religiösen Obrigkeit dort ziemlich auf die Nerven. ( Heute hätte man einen wohlwollenderen Blick auf ein Kind, dessen Vater gerade gefallen ist. ) Das Mädchen hat einfach auch andere Vorstellungen, als sich zu einer bürgerlichen Debütantin mit guten Manieren schulen zu lassen. Wahrscheinlich brodelt da schon in ihr auch der unstillbare Durst nach Abenteuern, besonders angeregt durch ihren Lieblingsautor Jack London, aber auch von W. H. G. Kingston, Rudyard Kipling, Edgar Rice Burroughs. Sie sehnt sich "mit den Winden des Himmels um den Kopf zu schlafen und zieht das Sternenzelt und den Mond des Mittelmeers den staubfangenden, luftabweisenden Vorhängen der Schulmöblierung vor".  Das schreibt sie in Ihr Tagebuch in Nizza, ihrer nächsten Station.

Ihr ruheloser Geist wird dafür verantwortlich gemacht, dass sie auch dort mit ihren Erzieherinnen im Chateau Neuf ständig im Clinch liegt. Das ist eine Privatschule, die von zwei älteren Damen mit, wie Aloha sie später beschreiben wird, "glühenden royalistischen Ansichten" geleitet wird. Das mittlerweile 1,82 Meter große Mädchen, das sich später selbst als „Wildfang" beschreiben wird, erträgt die harte, charakterbildende Disziplin dort kaum. 

Immerhin lernt sie in Nizza bei einem schneidigen alten Kriegshelden das Autofahren. In ihren Memoiren "The Driving Passion" erinnert sie sich später an diese Zeit in seinem kirschroten Peugeot und an das Gefühl, "wie die Enge eines Autos, sein beruhigendes Schnurren und seine Bewegung ein außergewöhnliches Gefühl der Isolation und Intimität erzeugen."

Im Jahr 1922, als sie 16 Jahre alt ist, fällt ihr die Riviera-Ausgabe des "Paris Herald" in die Hände und darin eine Anzeige ins Auge, die maßgeschneidert für sie zu sein scheint:

"Brains, Beauty & Breeches – World Tour Offer For Lucky Young Woman… Wanted to join an expedition… Asia, Africa…"

Aufgegeben hat diese Annonce ein gewisser Walter "Cap" Wanderwell.

Walter Wanderwell selbst ist das Produkt einer Autopoiesis (Selbstschöpfung): Ursprünglich als Valerian Johannes Piecynski am 27.11.1897 in Toruń ( Polen ) geboren, hat er einen neuen Namen angenommen und eine passende, gekaufte Militäruniform angezogen, nachdem er seinen Liegeplatz auf einem Dampfschiff bei der Ankunft in Baltimore verlassen hat, um sich auf eine Wanderreise durch die Vereinigten Staaten zu begeben. Während des Ersten Weltkriegs ist er als mutmaßlicher deutscher Spion in einem US-Bundesgefängnis inhaftiert.  
1918 gründen er und seine Frau den "Work Around the World Educational Club" (WAWEC), der als hehrer Versuch angepriesen wird, den Weltfrieden, den neu gegründeten Völkerbund zu fördern und den Militarismus unter Kontrolle zu bringen - immer unter Ausnutzung des neuen Mediums "Film". Anfang der 20er Jahre macht er mit einer Million-Dollar-Wette Schlagzeilen – einem von Ford gesponserten Autorennen rund um die Welt. 1922, nach der Scheidung von seiner Frau, kommt der Glücksspieler & außergewöhnliche Promoter mit missionarischen Ambitionen  zur Vorführung seines neuesten Reisefilms nach Nizza. Dort sucht er sowohl ein weibliches Gesicht für seine neueste Expedition als auch jemanden, der fließend Französisch sprechen kann, dazu Autofahren, Sekretärsarbeiten sowie das Filmen übernimmt.

1922
Mit ihren blonden Locken, den Lippen einer Kewpie Doll und ihrer stattlichen Größe könnte Aloha selbst ein Geschöpf Hollywoods sein ( sie ist eine begeisterte Leserin von "Screenland", einem seit 1920 monatlich erscheinenden amerikanischen Filmmagazin ). Besonders ihr Publicity-Foto, auf dem sie frech und selbstbewusst an einem Ford Model T lehnt, scheint ihren Träumen vom Berühmtwerden entsprungen zu sein. Natürlich beißt sie sofort an, als sie die Anzeige liest. Doch sie ist gerade mal sechzehn Jahre alt, und ihre Mutter noch ihr Vormund. Mit einem Anflug jugendlicher Rebellion, vor allem ihrer immer schon virulenten Abenteuerlust, setzt sie diese schachmatt.

Als Wanderwell, auch ein Meister der Manipulation und des Spektakels, sich bereit erklärt, gesetzlicher Vormund des Mädchens zu werden und ihr ein Rückflugticket nach Hause zu besorgen, falls sie eines braucht, willigt Margaret Hall ein, ihre Tochter an der Expedition teilnehmen zu lassen. Wanderwell macht aus Idris Hall auch Aloha Wanderwell, und sie wird bald - eingekleidet in eine Militärjacke, Reithosen mit Sam Browne-Ledergürteln und Reitstiefel, um Professionalität zu vermitteln - zum optischen Aufhänger, zum Star seiner neuen Unternehmung.

1922 führt auch Walter Wanderwells Ex-Frau Nell Miller ein konkurrierendes 4-köpfiges Team zwecks weltumspannender Expedition in einem Ford Modell T an. Solche Expeditionen werden durch den Verkauf von Flugblättern und Souvenirkarten, bezahlte Vorträge und die Vorführung von Filmen finanziert, die  unterwegs gedreht und entwickelt werden. Die noch erhaltene Korrespondenz deutet darauf hin, dass das Team erhebliche finanzielle und logistische Unterstützung durch Henry Ford, die Vacuum Oil Company ( später Mobil Oil, Teil der Standard Oil-Gruppe ) und anderen Agenturen erhalten hat, die das Werbepotenzial der Expeditionen ausnutzen.

Von "Cap" lernt Aloha alsbald, was zu tun ist, wie es zu tun ist, was zu sagen ist und wie es zu sagen ist: Sie wird also in den Bereichen Sponsoring und Verkauf von ihm geschult, sie erhält Schulungen in Bühnenpräsenz und im Vortragen von Kommentaren für die Filme, die zunächst er unterwegs dreht und der Öffentlichkeit vorführt. Und schließlich lernt auch sie, wie man eine Filmkamera bedient inklusive Schnitttechnik und mit der Mechanik eines Autos umgeht. So wird der Teenager bald auch ein wichtiges Rädchen in der Maschinerie des Wanderwell-Zirkus.

Unter ihrem neuen Namen und in der offiziellen Uniform der Expedition bricht Aloha am 29. Dezember 1922 von Frankreich aus zu ihrer ersten Autoreise auf, die erst im Januar 1927 enden wird. Vorher hat schon eine andere Frau, Harriet White Fisher, in den Jahren 1909–1910 eine solche Reise unternommen, aber sie hat einen Chauffeur gehabt und ist nicht selbst gefahren. Bis Dezember 1923 wird die Wanderwell Expedition in ihren, den eigenen Bedürfnissen angepassten Automobilen vom Typ "Modell T" Europa, speziell Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland, Polen durchqueren.

Eine grobe Karte der Wanderwell-Expedition, 1922-1927






Die Ford-Parade reist anschließend 1924 durch den Nahen Osten, Ägypten, Pakistan, Indien - Aloha ist die erste Frau, die Indien mit dem Auto durchquert -, Kambodscha, wo sie Ankor Wat bestaunen, und weiter nach Singapur, Hongkong und Shanghai. Sie fahren durch Tientsin ( heute Tianjin ), Peiping ( Peking ) und Mukden ( Shenyang ) in China, bevor sie Visa für die Reise nach Sibirien bekommen, wo Aloha als "erste Demoiselle, die ein Auto nach Sibirien steuerte" bezeichnet und Ehrenoberst der Sowjetarmee wird. Nach Russland besuchen sie Japan, und dann segelt die Wanderwell-Expedition nach Nordamerika. 

1924 kreuzen sich ihre Wege sogar mit fünf amerikanischen Fliegern, die versuchen, als erste die Welt zu umrunden, und Aloha filmt ihr Treffen. 1926 reisen die Wanderwells durch Kuba, Kanada und den Nordosten der Vereinigten Staaten, bevor sie nach Südafrika segeln, wo Aloha ihre Mutter und ihre Schwester trifft. 

43 Länder werden es zum Schluss sein, und Aloha die erste Frau, die, selbst am Steuer, die Welt in einem Automobil umrundet hat, ein Status, der von der Organisation "Guinness-Buch der Rekorde" unterstützt wird.

Alohas Mut und Entschlossenheit stehen außer Zweifel. Sie trotzt nicht nur den Elementen, sondern auch den gesellschaftlichen Erwartungen: Hier ist eine junge Frau, die sich den Zwängen ihrer Zeit widersetzt und die Geschichte der Entdeckungsreise neu schreibt. 

Doch die Kehrseite gibt es auch. Technische Schwierigkeiten sind da wohl das geringere Übel:  Aloha muss zerdrückte Bananen einsetzen, um das Differential zu schmieren, Elefantenfett als Motoröl und Kerosin als Benzin zum Beispiel. 1923 leidet die psychische Gesundheit Walter Wanderwells, und es erfolgt eine Einweisung in eine Anstalt in Genf. Während der Durchquerung der Sahara ist Aloha und ihr Team mindestens in ein Feuergefecht mit arabischen Freischärlern verwickelt. 

Links: mit Schauspieler Maurice Chevalier 1924 in Ägypten, rechts: 1927


Die US-Behörden treten wegen möglicher Verstöße gegen den "Mann Act" ( der Transport von Frauen über Staatsgrenzen zu unmoralischen Zwecken) in Erscheinung, und Walter droht eine Inhaftierung. Dem entgeht er, indem sie am 7. April 1925  Aloha in Los Angeles heiraten. Tochter Valri wird schon im gleichen Jahr in Miami, dem Zentrum der WAWEC, geboren. Und 1926 verschwindet Aloha aus der Expedition während der Tour durch Massachusetts. Sie taucht einige Tage später in Miami wieder auf und behauptet, sie habe Walter eine Nachricht hinterlassen, um ihr Verschwinden zu erklären. Es könnte mit einer weiteren Schwangerschaft zusammenhängen, denn Sohn Nile kommt 1927 in Kapstadt zur Welt. Den übernimmt Alohas Mutter im Alter von drei Wochen, damit seine Eltern durch Simbabwe, Mosambik, Tansania, Uganda und Kenia reisen können, wo Aloha am 13. Oktober 1927 in Nairobi ihren 21. Geburtstag feiert. Das Cross-Dressing mit einer Militäruniform wird durch die Schwangerschaften offensichtlich zum Problem: Aloha trägt bei ihren Auftritten Korsetts, um "ihren Zustand" zu verbergen. 

Die junge Frau ist eine meisterhafte Geschichtenerzählerin. Das gilt nicht nur für ihre Expeditionsberichte, sondern auch für die Schilderung ihres Lebens. Sie wird ihre eigene Geschichte überarbeiten, Fakten über ihr Privatleben manipulieren und Tagebucheinträge, z.B. über die Genf-Episode, später verschwinden lassen.

Der Film, der all diese Reisen dokumentiert - "Mit Auto und Kamera um die Welt" - hat 1929 Premiere. Auf der Leinwand strahlt Aloha Starqualitäten aus und begeistert ihr Publikum mit ihren Geschichten von unterwegs.

Im Jahr 1930 reisen "Cap" und Aloha nach Brasilien - Aloha hat inzwischen gelernt, ein Wasserflugzeug der Marke "Junker" zu fliegen - und besuchen die Region Mato Grosso, um nach dem verschollenen britischen Entdecker Percy Fawcett zu suchen. Auf einem Flug von ihrem Standquartier ins Innere des Amazonas-Regenwalds muss ihr Flugzeug wegen Treibstoffmangels eine Notlandung auf dem Paraguay-Fluss machen. Das Paar muss sich trennen. Aloha bleibt im Gebiet des Bororo-Stammes. 

Im Laufe der nächsten sechs Wochen, die sie festsitzt, freundet sie sich mit den Menschen an und filmt deren Kultur und ihr tägliches Leben. Es werden die ersten Filmaufnahmen von diesem Stamm. Das Filmmaterial zeigt Bororo, die Kanus bauen, jagen, kochen, tanzen und sogar von bösen Geistern besessen sind und in Raserei verfallen. Alohas "Erzählung" mag für heutige Zuhörer unsensibel klingen, aber sie schlägt sich auch auf ihre Seite, als die Bororo ins Landesinnere fliehen, um der Sklaverei auf den Kautschukplantagen zu entkommen.

Nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten schneidet sie aus ihrem Material einen 32-minütigen Stummfilm "The Last of the Bororos", der bis heute Teil der anthropologischen Filmbibliothek der "Smithsonian Institution" ist. Ein weiterer Film über diese Reise - "The River of Death" wird in der "Library of Congress" aufbewahrt. Spuren der vermissten Expedition findet sie nicht, aber die Filme begründen Aloha Wanderwells Ruf als eigenständige Dokumentarfilmerin.  

Nach der Brasilien-Expedition kehrt das Paar nach Los Angeles zurück, hat sich jedoch ehemäßig einander entfremdet. Aloha lebt und arbeitet in der Stadt an ihrem Film, "Cap", ein lebenslanger philanderer (Schürzenjäger) und während der Prohibition mutmaßlicher Alkoholschmuggler, auf einem Schoner namens Carma, 28 Meilen südlich in Long Beach. Er hofft, das ersteigerte Schiff reparieren und anschließend mit Aloha nach Tahiti segeln zu können.

"Man sollte meinen, dass jemand, der 380.000 Meilen zurückgelegt, sechs Kontinente durchquert und über 50 Länder bereist hat, genug Drama in seinem Leben erlebt hätte", meint Sandy Levins an dieser Stelle. Doch es geht immer noch mehr:

In der Nacht des 5. Dezember 1932, als die "Carma" im Hafen von Long Beach vor Anker liegt mit den beiden Kindern an Bord, während Aloha in Hollywood in letzter Minute noch Filmverträge abschließt, schleicht sich jemand in grauem Mantel auf den Schoner und schießt dem Karten studierenden Walter Wanderwell in den Rücken. "Globe-Girdling Husband of Winnipeg Woman Found Dead" lautet die Schlagzeile in den Medien von Alohas Heimatstadt.

"Die Liste möglicher Mörder mit einem Motiv hätte Agatha Christie den Kopf verdreht", meint Randolph Eustace-Walden, der später einen Dokumentarfilm & ein Buch über Aloha veröffentlichen wird. "Dazu hätten Ehemänner, Freunde, sitzengelassene Frauen, sitzengelassene Geschäftspartner, ein Agent einer ausländischen Macht, Schurkenpolizisten und Aloha selbst gehören können."

Bei Gericht
(1933)
Zwei Personen werden festgenommen: Edward Eugene Fernando Montagu, Geldtransferunternehmer und zweiter Sohn des Herzogs von Manchester, und William James Guy, ein walisischer Glücksritter, der später für Kaiser Haile Selassie gegen die Italiener in den Krieg ziehen wird. Der ist Teilnehmer an der letzten Expedition der Wanderwells gewesen, angeblich um sein Geld betrogen worden und ein Techtelmechtel mit Aloha betrieben haben und damit die Ehe ruiniert. 

Die soll während des Prozesses etwas zu freundlich ihm gegenüber aufgetreten sein, ist er doch des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt. Gerüchte - in dieser Szene sowieso reichlich blühend - werden dadurch weiter befeuert. Der Prozess löst also einen Medienrummel aus. 

Schließlich wird Guy von der Jury freigesprochen. Beide verdächtigten Männer geraten unter die genaue Beobachtung von J. Edgar Hoover und seinem FBI, und Guy wird später abgeschoben. Der Ruf von Walter Wanderwell als zwielichtiger Betrüger bleibt nachhaltig erhalten. 

Aber auch Alohas in den Zwanziger Jahren aufgebautes Star - Renommee ist hin, zumal sie alsbald, am 26. Dezember 1933, in einer einfachen Zeremonie in Gretna ( Louisiana ) Walter Baker heiratet, einen ehemaligen Tankwart, acht Jahre jünger als sie, den sie bei einem ihrer Vorträge in Laramie ( Wyoming ) kennengelernt hat. 

Heirat mit Walter Baker
(1933)

Ihrem Film "The River of Death" verschafft das alles die nötige Publicity. Das hat die gerade mal 27jährige von ihrem Meister gelernt, diese sensationelle Publizität rund um seine Ermordung umgehend für die Veröffentlichung und Werbung zu nutzen. Geld hat sie nötig, hat er ihr doch nur 1.500 Dollar hinterlassen – nicht annähernd das, was eine frisch verwitwete Mutter von zwei Kindern braucht, um eine Familie zu ernähren.

Mit Walter Baker wird sie ab da im Verlaufe ihrer über 60 Jahre dauernden Ehe u.a. Neuseeland, Australien, Hawaii, die Philipinen, Indien, Kambodscha und Indochina bereisen und weitere Filme produzieren, zunächst "To See the World by Car" (1937), ein stilistisch ausgefeilter Film, der jedoch einige Aufnahmen, die während Alohas früherer Expedition gemacht worden sind, recycelt. Ihre Kinder bleiben währenddessen bei ihrer Mutter, in Foster-Heimen bzw. später bei ihrer Tante Miki.

Aber die Politik im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs entwickelt sich mehr und mehr zu einem ernsthaften Abschreckungsmittel für filmerische Expeditionen. Aloha verfasst deshalb 1939 erst einmal ihre Memoiren "Call to Adventure!" und lässt sich mit ihrer Familie in Cincinnati ( Ohio ) nieder, wo sie im Radio- und Printjournalismus Fuß fasst. Sie hält weiter Vorträge, immer in voller Expeditionsausrüstung, einen ledernen Fliegerhelm lässig über eine zusammengerollte Decke geworfen. Und sie weiß ihre Zuhörer zu faszinieren, während hinter ihr körnige, stumme Reiseberichte in Schwarzweiß laufen. 

"Australia Now" ( 1940-44)  und "India Now" ( 1942-44 ) entstehen dann in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen und Unternehmen und nutzen das Filmmaterial dieser Institutionen. "Victory in the Pacific" (1945), "My Hawaii" (1949) und "Magic of Mexico" (1950) werden unter ähnlichen Bedingungen produziert.

Auf Lido Isle
(1949)

In der Nachkriegszeit drehen Aloha und Walter Baker "Explorers of the Purple Sage" (1945), der die Flora und Fauna von Wyoming mit Szenen von Rancharbeit, Reiten und einem Wildpferdeauftrieb zeigt. Der Technicolor-Film nutzt die neueste Technologie und enthält das einzig bekannte Filmmaterial von "Desert Dust", einem legendären wilden Palomino-Hengst, der bis dahin nicht gefangen werden kann. 

1947 ziehen sich Aloha und ihr zweiter Ehemann in die Gemeinde Lido Isle in Newport Beach, Kalifornien, zurück, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Sie konzentriert sich nun nach dem Abschluss ihrer letzten Filmarbeiten auf die Bewahrung und Förderung ihres Erbes. Bereits 1931 haben Aloha und Walter Wanderwell ihre persönliche Geschichte in Hollywood präsentiert, in der Hoffnung, dass sie als Spielfilm aufgegriffen würde - leider ein Flop.

Aloha rechts
(1983)
Aloha weiß dennoch um die Bedeutung ihres Platzes in der Geschichte, vor allem aber auch um die historische Bedeutung dessen, was sie auf Film festgehalten hat, bevor der Tourismus kommerzialisiert worden ist. Der Anblick der Automobile ihrer Expeditionen, die Dschungelstraßen entlang rasen oder an den Pyramiden Ägyptens vorbei oder sich langsam eine Rampe zur Chinesischen Mauer hinaufarbeiten, wirken geheimnisvoll & faszinierend. Aloha sorgt dafür, dass diese, ihre umfangreiche Sammlung von Filmen, Fotografien, Tagebüchern, Briefen und Artefakten in einer Reihe von Museen und Archiven in den Vereinigten Staaten verteilt wird.

1982 tritt sie ein letztes Mal im Natural History Museum in Los Angeles vor ein Publikum, bestehend insgesamt 150 Familienmitgliedern, Gästen und Kuratoren. Sie fragt die Zuschauer, wie sie reisen. Nachdem die geantwortet haben "Mit dem Auto und mit dem Flugzeug", reagiert sie mit "Oh, dann seht euch das an!“ und präsentiert die Aufnahmen ihrer Autoreisen, bevor es Autobahnen gegeben hat und kommerzielle Fluggesellschaften noch in den Kinderschuhen gesteckt haben.

Am 3. Juni 1996, nur ein Jahr nach ihrem Ehemann, stirbt Aloha Wanderwell, "das meistgereiste Mädchen der Welt", fast 90jährig, in ihrem Zuhause in Newport Beach, am Ende in relativer Unbekanntheit.

"Wenn man 'erste Frau, die um die Welt fuhr' googelte, fand man ihren Namen nicht", sagt Christian Fink-Jensen aus Victoria, der mit Randolph Eustace-Walden aus Vancouver 2016 das Buch "Aloha Wanderwell: The Border-Smashing, Record-Setting Life of the World’s Youngest Explorer" veröffentlicht. 

Eustace-Walden hat die bizarre Geschichte der Aloha Wanderwell im Oktober 1998 zufällig für sich entdeckt, als er für einen Dokumentarfilm recherchiert, den er über eine Autoreise um die Welt drehen möchte. Als er für die letzte Etappe dieser Reise verschiedene Fluggesellschaften mit Sitz in Hawaii sucht, liefern die Google-Suchbegriffe "Aloha Airlines" und "round the world“ unzählige Ergebnisse, darunter auch "Aloha Wanderwell"

Unterdessen hat auch Richard Diamond, Alohas Enkel, eine umfassende Website über seine Großmutter zusammengestellt und ihre Autobiografie 2013 neu auflegen lassen und bereitet nun ihre gesamte Sammlung von Fotos, Drehbüchern, Tagebüchern, Sammelalben und Texterinnerungsstücken auf, um sie der "Margaret Herrick Library", der umfangreichsten Filmbibliothek in Beverly Hills, zur Verfügung zu stellen zu können. 

Alohas Leben und ihre Karriere bleiben also sichtbar als bemerkenswertes, komplexes Beispiel für die Kraft einer Frau, die sich den Beschränkungen ihrer Zeit widersetzt hat. Inzwischen ist von ihr gar von der "Amelia Earhart der offenen Straße" oder dem weiblichen "Indiana Jones" die Rede. Ein Fall für Netflix? Egal! Für mich ein erneutes Bespiel dafür, wie das Licht der Frauen gerne unter den Scheffel gestellt worden ist...

                                                                  

Ein neunminütiger Film mit vielen Impressionen ihrer Reisen ist bei YouTube zu finden.



6 Kommentare:

  1. So spannend! Vielen lieben Dank - habe ich sehr gerne gelesen :) Herzliche Grüße, Sabine

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  2. Vielen Dank für dieses Porträt einer Frau, von der ich nie zuvor hörte!

    Meine älteste Tante hat sich für die frühen Reisenden wir Alexandra David-Néel oder Nellie Bly interessiert und mir einiges an Büchern hinterlassen, je mehr ich lese und recherchiere, desto mehr erkenne ich, wieviele Frauen auch in dieser Hinsicht (Reisen) ins Vergessen geraten sind (wurden).

    Danke für dein stetes Erinnern und deine Denkanstöße,

    Brigitte aus dem Münsterland

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  3. Was für eine abenteuerliche Geschichte! So manche Geschichte über Pionierinnen und Abenteuerinnen die per Fahrrad, Auto oder Flugzeug unterwegs waren, habe ich gelesen, aber diese bemerkenswerte Frau kannte ich noch nicht
    Liebe Grüße
    Nina

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  4. wow
    was für eine umtriebige Frau
    sie hat in Zeiten in denen andere Frauen hinter dem Kochtopf standen
    die Welt bereist
    und zwar aktiv .. alle Schwierigkeiten gemeistert
    und das waren sicher nicht wenige
    hat es aber auch verstanden sich zu vermarkten
    ein umtriebiges Leben
    danke für das Portrait
    Liebe Grüße
    Rosi

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  5. Wow, was für eine Frau! Ich kannte sie überhaupt nicht. So schade, dass sie nicht mehr in Erinnerung war. Gut, dass Du sie uns vorgestellt hast.
    Solch ein Leben muss frau erstmal führen! Sie muss wirklich außergewöhnlich gewesen sein auch im Hinblick auf technisches Knowhow, sogar Wasserflugzeug konnte sie fliegen. Ich bin sehr beeindruckt!
    Danke und herzliche Grüße!
    Sieglinde

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  6. Ganz schön abenteuerlustig! Gut, dass ihr Name jetzt wieder bekannter wird. Und, ja, absolut filmreif.
    Liebe Grüße
    Andrea

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

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