Ihren Fotos zu Beginn dieses Jahrtausends unter dem Label "AP" aus den Krisenherden der Erde, in denen sie den Alltag mitten im Chaos von Krieg und Zerstörung dokumentiert hat, sind sicher bekannt. Ich wurde irgendwann neugierig, mehr über die Fotografin Anja Niedringhaus, die gestern 57 Jahre alt geworden wäre, zu erfahren.
Anja in den Jahren beim "Göttinger Tageblatt" Source |
"Anders als die meisten anderen hatte sie immer eine Kamera dabei und wollte nicht nur ihre Berichte ins Blatt bringen, sondern auch ihre Fotos.[... ] Oft war sie am Wochenende im Einsatz, was bedeutete, dass die gesamte Bandbreite der lokalen Berichterstattung ihr Thema war", berichtet später die Lokalredakteurin Angela Brünjes an dieser Stelle.
Sie ist auch dabei, als nach dem Tod eines Antifa-Mitglied am Iduna-Zentrum, der 24 Jahre alten Kornelia Wessmann, die auf der Flucht vor Polizisten von einem Auto erfasst worden und gestorben ist, eine Woche später 25 000 zu einer Demo in der Stadt zusammenkommen. Die Demo endet im Chaos und es kommt zu Straßenschlachten, in die auch Anja gerät und sich dabei eine Kopfverletzung zuzieht. Die Deutsche Presse-Agentur kauft ihr die Bilder ab und verbreitet sie bundesweit. In dieser Zeit kann sie auch ihre Fotos vom Mauerfall über Nachrichtenagenturen absetzen.
Das "Göttinger Tageblatt" wird Anjas Sprungbrett zu einer Anstellung bei der Europäischen Presseagentur (EPA) in Frankfurt am Main. Die 25jährige ist damit deren jüngstes Mitglied und die erste Frau. Zwei Jahre betreibt sie Sport- und Gesellschaftsfotografie. Hartnäckig liegt sie ihrem Chefredakteur so lange in den Ohren, bis er sie zur Berichterstattung über den Balkan-Krieg nach Sarajevo schickt. Sie berichtet unter anderem auch aus den anderen Landesteilen des ehemaligen Jugoslawien wie Slowenien, Kroatien, Bosnien, Mazedonien und dem Kosovo.
Schon bei ihrem ersten Einsatz in Sarajevo wird sie von Heckenschützen unter Feuer genommen und getroffen. Anja überlebt dank einer kugelsicheren Weste. 1997 erleidet sie bei einem Unfall mit einem Polizeifahrzeug in Belgrad mehrere Fußfrakturen, und im Kosovo wird ihr Wagen im Jahr darauf von einer Granate getroffen und sie von Granatsplittern verletzt. 1999 dann wird sie mit einer Gruppe von Journalisten bei einem Grenzübergang zwischen Albanien und dem Kosovo irrtümlich von NATO-Flugzeugen bombardiert. Ein bekanntes Foto aus dieser Zeit ist hier zu sehen.
1997 wird sie Chef - Fotografin der Agentur. Sie ist bei den Olympischen Spielen in Sydney dabei und 2001 fotografiert auch die Folgen der Terroranschläge am 11. September in New York.
2002 schließlich der Wechsel zu Associated Press: Jetzt ist sie ganz oben auf der Karriereleiter als Fotojournalistin angelangt.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Libyen verbringt Anja zehn Jahre in Pakistan und Afghanistan. Das Land wird ihre "große Liebe" werden. Nach ersten Aufenthalten 2001/2002 kehrt die Fotografin ab 2008/2009 regelmäßig nach Afghanistan zurück.
Doch bleiben wir bei einer zeitlichen Abfolge: Erst einmal gehört Anja Niedringhaus 2003/2004 zu den ca. 600 Kriegsreportern, die "embedded" ( d.h. innerhalb der US-Armee ) bei der Schlacht um Falludscha im Irak anwesend sind. Sie ist bei der ersten Angriffswelle dabei, als 60 Prozent der Soldaten der Einheit, die sie begleitet, fallen. Eines ihrer bekanntesten Fotos aus dieser Zeit ist allerdings das des lachenden George W. Bush, als er bei einem Überraschungsbesuch in Bagdad bei den US-Truppen im November 2003 zu Thanksgiving den Soldaten einen knusprigen Truthahn serviert ( Bild 19 hier ) oder das eines jungen Marines, der sich den in den USA beliebten GI Joe als Glücksbringer auf seinen Tornister geschnallt hat ( Bild 32 hier ). Ihr Name wird zu dieser Zeit bei den Bildveröffentlichungen aber meist noch nicht erwähnt.
Für die Fotoberichterstattung aus dem Irak – als erste deutsche Frau – wird ihr zusammen mit neun AP-Kollegen der Pulitzerpreis, der "Oskar" für Journalisten, 2005 verliehen. Im selben Jahr erhält Anja auch einen Preis für ihren Mut, den "Courage in Journalism Award" der International Women’s Media Foundation (IWMF).
"Die Bilder von Anja Niedringhaus sind scharf, exakt und strahlen eine starke Präsenz aus. Damit erfüllt sie genau die Anforderungen des aktuellen Fotojournalismus. Jedes Bild zieht den Betrachter sofort in den Bann und gibt ihm oder ihr das Gefühl, mit in der fotografierten Szene zu sein", charakterisiert Bettina Köster an dieser Stelle die Arbeiten der Fotografin.
Nach einem akademischen Jahr in 2007 mit einem Nieman-Fellowship-Stipendium an der Harvard University ( die für Stipendiaten fällige Studiengebühr übernimmt Warren Buffett ), beginnt die intensive Beschäftigung der Fotografin mit Afghanistan. Mein liebstes Foto ist das mit dem Kind, das einen Drachen steigen lässt. Die Fotografin Ursula Meissner beschreibt es hier so:
"Das Foto von dem Drachenläufer: Ihr ist es gelungen, dass sie ein springendes Kind in der Luft, das nach dem Drachen greifen will, das hat sie so toll eingefangen, so authentisch, und da sieht man wirklich, dass es nicht nur Staub und Krieg gibt, sondern eben auch, dass da Menschen normal leben."
Bei den meisten ihrer Fotos ist es nicht so einfach, sich mit den Geschehnissen auf den Bildern abzufinden. "Es geht mir nicht um die Militärmaschinerie, sondern was danach passiert, nachdem geschossen wird. Deswegen ist die Frontlinie für mich der uninteressanteste Punkt", sagt Anja einmal in einem Interview. "Mein Anliegen ist es, die Menschen zu zeigen." Sie sagt auch, sie hätte nie etwas anderes machen wollen als in weltweiten Krisengebieten zu fotografieren. Ihre Bilder sollen eine Aufforderung sein, den Krieg zu stoppen.
2010 wird sie nach einem Handgranaten-Angriff auf eine Soldatenpatrouille in einem afghanischen Dorf verletzt ausgeflogen.
Als krasser Gegenpol zu diesem Leben dient das nordhessische Kaufungen. Dort hat sie mit ihrer Schwester Gide das ehemalige Forstamt gekauft und umgebaut und sich ein Zuhause geschaffen ( das zweite ist in Genf ). In einem parkähnlichen Garten voller Blumen, frei laufender Hofhunde, Katzen, Hühner, einem Pferdestall liegend, lebt sie im Haus zeitweilig mit der Familie der Schwester, zu der auch Kinder gehören, eng zusammen und tankt auf. Von dem, was sie an den Fronten erlebt hat, erzählt sie nicht viel. "Wenn ich dieses Zuhause nicht hätte, dann wäre es ganz unmöglich, mein Leben so zu gestalten, wie ich es tue", antwortet sie einmal auf die Frage, wie sie das alles "verdauen" könne, was sie bei den Kriegseinsätzen erlebe. In Kaufungen baut Anja auch ihr umfangreiches Archiv auf."Ich bleibe eigentlich immer bei der Geschichte, bis sie zu Ende ist. Und selbst wenn die Truppen abziehen, ist die Geschichte nicht zu Ende. Das ist mein Leben, ich kann gar nichts anderes. Ich glaube, ich würde das machen, bis ich nicht mehr laufen kann."
Guten Morgen liebe Astrid,
AntwortenLöschendas stimmt, viele Fotos von Anja Niedringhaus kommen mir bekannt vor. Ich habe mich nie so damit beschäftigt, wer genau hinter Fotos steht, es sei denn, es geht groß durch die Presse, weil das Foto einen Preis gewonnen hat oder eben der*die Fotograf*in ums Leben gekommen ist. Was mich bei Deinem Post nun bewegt zu schreiben: Anja ist mein Jahrgang. Welch eine Leidenschaft für den Fotojournalismus und welch trauriges frühes Ende. Vielen Dank für Deinen Bericht. Für Dich eine angenehme restliche Woche.
Martina
guten Morgen liebe Astrid, - welch ein Wahnsinns - Leben, ein wahnsinig spannendes erfülltes kurzes Leben einer Fotojournalistin die frühzeitig durch einen Attentäter ums Leben kam ist tragisch, gleichzeitig traurig weil es die Folgen des Krieges beweist, auch ihren unglaublichen Mut zeigt sich dem auszusetzen muss Leidenschaft für den Beruf, ja fast eine Berufung sein.
AntwortenLöschenIch kenne einige ihrer Bilder, kannte auch ihren Namen , - wusste aber nicht dass, - und wie sie ums Leben kam.
ihr den Platz der besonderen Persönlichkeiten die herausragend sind bei dir in deinem Archiv mit diesem Bericht zu geben finde ich phantastisch....
herzlichen Dank... er hat mich sehr beeindruckt
angelface
So ein intensives engagiertes Leben, leidenschaftlich .Hochbegabt ! den nam kann ich, aber mir war nicht mehr bewußt wie ihr Leben endete. Die Tat läßt mannigfaltige Interpretationen zu, es ist so bittertraurig.Ein wichtiger Beitrag in deiner Reihe. Danke.
AntwortenLöschenVG Karen
Sie hat wirklich gebrannt für ihre Berufung und ihre Überzeugung. Über ihren grausamen Tod wusste ich nichts. Ja, manche ihrer Bilder kenne ich. Und viele erinnern mich an jene Bilder, die uns gerade aus der Ukraine erreichen.
AntwortenLöschenDanke für dieses sehr besondere und bewegende Portrait.
Liebe Grüße
Andrea
oh ja..
AntwortenLöschenich kann mich noch erinnern an die Meldung ihres Todes
über ihr Leben wußte ich allerdings wenig
doch die Bilder und Berichte haben eine Macht
denn anders ist es nicht zu verstehen dass so viele Journalisten
ermordet werden
es sind so sinnlose Taten
danke für das Portrait
liebe Grüße
Rosi
Eine junge Frau aus der deutschen Provinz. Ich kannte sie überhaupt nicht, geschweige denn ihr grausames Ende.
AntwortenLöschenEs überrascht mich immer wieder wie Menschen ihre Berufung finden und alles dafür tun, egal wie gefährlich das ist und wo auf der Welt das ist.
Und dann aber auch, so wie sie, eine Heimat in der deutschen Provinz hüten und von dort immer wieder neu starten in diese so ganz anderen Welten.
Wer solch eine Sicht der Dinge hat, kann sie auch fotografisch ganz anders darstellen. Das zeigen ihre Fotos. Einige kannte ich ohne sie selbst zu kennen.
Danke für dieses eindringliche Portrait einer sehr mutigen Frau.
Herzlichst, Sieglinde
ich bin wirklich regelrecht erschöpft von deinem beitrag und weiß nicht, ob ich ihr engagement mutig oder selbstmörderisch finden soll. schon immer habe ich mich gefragt, was menschen dazu treibt, sich in die vordersten reihen eines krieges zu begeben um fotos davon zu machen. wie verkraftet man so etwas auf dauer? gut, dass sie in dem forsthaus ihrer schwesterfamilie zumindest zeitweise zur ruhe kommen konnte. aber so traurig ihr schreckliches ende.
AntwortenLöschenliebe grüße
mano