Und auch diese Woche habe ich den Geburtstagskalender entscheiden lassen, mit welcher Frau ich mich näher beschäftige. Und wieder bin ich im 19. Jahrhundert und wieder in London gelandet. Auch einen prominenten Namen trägt sie: Eleanor Marx.
Die ist heute vor 170 Jahren, also am 16. Januar 1855, in der räumlich beengten Wohnung der Familie in der Dean Street 28 in Soho/London zur Welt gekommen. Sie ist die jüngste Tochter von Jenny von Westphalen und Karl Marx, die, seit 1843 verheiratet, schon vorher die Kinder Jenny Caroline (*1844), Jenny Laura (*1845), Charles Louis Henri Edgar (*1847), Henry Edward Guy (*1849) und Jenny Eveline Francis "Franziska" (1851) bekommen haben. Die Familie Marx ist nach London ins Exil gekommen, nachdem der Vater 1849 ein zweites Mal aus Paris ausgewiesen worden ist.
Karl & Jenny Marx (1860er Jahre ) |
Am Tag nach Eleanors Geburt schreibt ihr Vater an den Freund Friedrich Engels, er habe etwas nicht schreiben können, "weil gestern zwischen sechs und sieben meine Frau von einer bona fide traveller - leider of the 'sex' par excellence - genesen ist. Wäre es ein männliches Wesen, so ginge die Sache schon eher." Eine "Weltbürgerin" sei geboren worden, teilt er an Ferdinand Lassalle ( siehe auch dieser Post ) mit.
Eleanor, schwarzäugig, hübsch, klug, leidenschaftlich und von unerschöpflicher Energie, wächst dennoch zum Liebling ihres "Dear Dada" heran. Und da ihre Brüder Edward und Edgar schon mit einem bzw. acht Jahren gestorben sind ( Franziska stirbt ebenfalls im Kleinkindalter ), entwickelt sich das Mädchen zum "Kumpel" ihres Vaters, wie der selbst sie gerne bezeichnet, heran.
Von ihrer Familie wird sie "Tussy" genannt, analog zu Pussy, der Hauskatze der Familie Marx. Der Vater findet: "Jenny ist mir am ähnlichsten, aber Tussy ist wie ich." Zu den Tieren im Marxschen Haushalt hat das Mädchen übrigens ein ganz fürsorgliches Verhältnis.
Ihre Schulbildung, so die Quellen, ist lückenhaft. Eleanor mag ihre Schule, das South Hampstead College so gar nicht, verabscheut sie doch deren patriarchalischen Ansatz, dass Mädchen & Frauen anständig und gehorsam sein müssen. Dennoch ist das Mädchen eine Art Wunderkind und spricht mehrere Sprachen fließend.
Schon mit acht Jahren ist sie eine leidenschaftliche Unterstützerin "dieser tapferen kleinen Kerle", der polnischen Rebellen. In ihren Kindheitsbriefen an den niederländischen Onkel ihres Vaters, Lion Philips, befasst sie sich mit der nationalen Unterdrückung der Polen. Mit neun korrespondiert sie mit Abraham Lincoln: "Ich war absolut überzeugt", schreibt sie später, "dass er meinen Rat dringend brauchte." Mit dreizehn ist sie Fenianerin. Die Hinrichtung der "Manchester Martyrs" - irische Nationalisten - hat sie entsetzt und prägt ihre lebenslange Sympathie für die irische Sache ( sie flicht sogar grüne Bänder in ihr Haar, um ihre Unterstützung zu zeigen ). Nach den Worten ihrer Mutter ist sie von Kindesbeinen an "eine Politikerin von oben bis unten."Was Eleanor an materiellem Wohlstand fehlt, gewinnt sie durch die intellektuelle Kultur ihres Zuhauses. Die Eltern wecken ihr Interesse an Literatur und schon im Alter von drei Jahren kann sie Passagen von William Shakespeare rezitieren. In ihren Teenagerjahren führt diese Liebe zu Shakespeare zur Gründung des "Dogberry Clubs", in dem sie, ihre Familie und die Familie der Freundin Clara Collet Shakespeare rezitieren, während Vater Marx zusieht. Als Schülerin will sie wie ihre Schwester Jenny auf die Bühne, doch ihr Vater verbietet ihr, Schauspielerin zu werden. Friedrich Engels wiederum, dieser engelhafte Unterstützer der Familie, bringt den Marx‘ Töchtern die antike Literatur von der nordischen bis zur griechischen Sprache nahe, die die Mädchen lieben. Eleanor hat aber auch eine abenteuerlustige Seite, die durch die Lektüre der Romane von James Fenimore Cooper und der Seefahrergeschichten von Captain Marryat, ihr Lieblingsprosaautor, angesprochen wird.
1870 |
Eleanor schätzt auch die ausgelassenen Sonntagsnachmittagstreffen, die nach dem Umzug in die Modena Villas in der Maitland Park Road in Hampstead mit allerlei Revolutionären im Exil bei der Familie Marx stattfinden - "with fighting talk in a Babel of languages and hearty stews". Lizzy Burns, Angehörige der irischen republikanischen Bewegung und Gefährtin von Friedrich Engels, vermittelt Eleanor gar eine praktische Ausbildung in Geschichte und Politik. Sie ist also immer eingebunden in die revolutionären Strömungen ihrer Zeit. Im September 1872 begleitet Eleanor auch ihren Vater zum Kongress der Internationalen nach Den Haag.
Schon als Kind hat sie in des Vaters Arbeitszimmer gespielt, während dieser sein Hauptwerk "Das Kapital" verfasst. Nachdem sie mit knapp sechzehn Jahren die Schule abgebrochen hat, dient sie ihm vorübergehend als Sekretärin, unternimmt allerdings auch einen erfolglosen Versuch, sich abzunabeln:
Sie tritt 1873 in Brighton eine Stelle als Lehrerin in einem Mädchenpensionat an und hält diese trotz großer gesundheitlicher Probleme ein halbes Jahr durch. Für eine junge Frau ohne Geld und Schulbildung ist das keine leichte Entscheidung gewesen. Sie klagt immer wieder in ihren Briefen darüber, daß ihr geistig und beruflich nicht genügend Ausbildung gewährt worden ist. Marx hat sich immer dagegen ausgesprochen, dass seine Töchter berufstätig sind. Jenny hat sogar nur hinter dem Rücken des Vaters als Gouvernante arbeiten können.
Als diese, ihre älteste Schwester, vor der Geburt ihres ersten Kindes steht, wird Eleanor nach Hause beordert. Sie kann sich einfach nicht den Ansprüchen der Familie, besonders des Vaters, entziehen.
Zu diesem Zeitpunkt hat Eleanor schon eine romantische Beziehung zu Hippolyte Prosper-Olivier Lissagaray, einem doppelt so alten Journalisten und Teilnehmer der Pariser Kommune, der nach der Niederschlagung derselben nach London geflohen ist. Obwohl Karl Marx den Mann politisch und als Mensch schätzt, missbilligt er die Beziehung. Seine beiden anderen Töchter haben bereits französische Revolutionäre ohne stabile Karriereaussichten geheiratet ( Jenny Charles Longuet, Laura Paul Lafargue); Marx will nicht, dass dies ein drittes Mal passiert.
Eleanor lebt nun weiter zwischen Familienarbeit und der Teilnahme an den revolutionären Bewegungen, sucht nach Stellen, um sich selbst ernähren zu können, hilft Lissagaray, seine Geschichte der Pariser Kommune zu redigieren und ins Englische zu übersetzen und tritt immer wieder als Schauspielerin auf Liebhaberbühnen in Erscheinung. Ab 1880 erledigt sie Korrespondenz ihres Vaters, ordnet seine Bücher und Manuskripte, übersetzt seine Texte ins Englische und dolmetscht für ihn - was für ein Pensum!
1880 ändert der Vater seine Ansicht über Eleanors Liebesbeziehung und erlaubt ihr die Heirat. Zu diesem Zeitpunkt hat diese jedoch selbst schon Bedenken und beendet das Verhältnis 1882.
Offenbar ist Eleanor zu jener Zeit hochgradig magersüchtig, jedenfalls ist in ihren Briefen von Ohnmachtsanfällen und Schwindel die Rede, ist dazu depressiv und verbittert, Kettenraucherin. Ihr wird eine "Nervenzerrüttung" diagnostiziert, und sie lässt sich wegen Schlaflosigkeit behandeln. Der Vater zeigt ihren Krankheitssymptomen gegenüber wenig Geduld und Verständnis, sie sei "hysterisch", so äußert er sich abfällig.
Grace Black "Eleanor Marx" (1881) |
Er selbst ist erst einmal zufrieden mit der Situation, seine Lieblingssekretärin an seiner Seite zu haben, die allerdings unter seiner herrschsüchtigen Besitzgier leidet. Zudem muss sie jetzt noch die Mutter pflegen, die an Krebs erkrankt ist und schließlich im Alter von 67 Jahren nach langem Leiden im Dezember 1881 stirbt.
Zeitlebens leidet auch Marx an zahlreichen Krankheiten, die seinen Körper immer wieder quälen und vom Arbeiten abhalten, verursacht auch durch sein exzessives Rauchen. Schließlich wird sein Gesundheitszustand immer schlechter: Er leidet an einer nicht heilen wollenden Furunkulose, unter einer Leberkrankheit, zudem an chronischem Luftröhrenkatarrh. Dazu kommt aufgrund des Todes seiner Ehefrau eine tiefe Schwermut, die Marx' Produktivität erlöschen lässt.
Aber auch seiner Tochter geht es nach wie vor nicht gut: Sie schreibt dazu von einer Erholungsreise mit dem Vater auf die Isle of Wight:
"Was weder Papa noch die Ärzte noch sonst jemand verstehen will, ist, daß ich hauptsächlich seelischen Kummer habe … Sie können und wollen nicht sehen, daß seelische Bedrängnis genauso eine Krankheit ist, wie körperliche Beschwerden es wären."
Eleanor sorgt nicht nur aufopfernd für den Vater, sondern pflegt derweil auch auch mehrere Monate ihren jungen Neffen Jean Longue. Dessen Mutter Jenny stirbt 1883 an Blasenkrebs im Alter von 38 Jahren. Sie selbst schilt sich unter diesen Anforderungen immer wieder als selbstsüchtig...
Nur zwei Monate später, im März 1883, erliegt dann auch Karl Marx, 64 Jahre alt, einer Bronchitis und Rippenfellentzündung. Seine Jüngste könnte jetzt endlich mit 28 Jahren frei sein, ihr eigene "Linie" zu verfolgen. Doch bis Friedrich Engels stirbt und ihr genug von seinem Vermögen hinterlässt, um finanziell unabhängig zu sein, bleibt Eleanor ein literarisches "Arbeitstier".
Zunächst hat ihr der Vater die Aufgabe hinterlassen, einige unvollendete Manuskripte und die englische Version des Kapitals zu veröffentlichen. Unter ihrer Arbeiten an den zahlreichen Schriften und Zeitungsbeiträgen ihres Vaters taucht sie oftmals nur in einer untergeordneten Rolle als Rechercheurin, Übersetzerin, Lektorin oder gar als Schreibkraft für die Werke anderer Autoren auf. In England wird sie allerdings auch einmal als "eine englisch-deutsche George Sand" bezeichnet. Ihre publizistische Tätigkeit trägt viel dazu bei, die Ideen von Karl Marx in Großbritannien zu verbreiten.
Immerhin kann sie nach dem Tod der Eltern vermehrt als politische Aktivistin in Erscheinung treten. Sie schließt sich der Sozialdemokratischen Föderation ( "Social Democratic Federation", SDF) an, der ersten sozialistischen Partei, die 1881 gegründet worden ist. 1885 löst sie sich aber wieder von ihr, um die radikalere und internationalere "Socialist League" zu gründen. Als sozialistische, auch im Ausland Vorträge haltende Agitatorin, spielt Eleanor bei den Vorbereitungen zur 1889 in Paris erfolgten Gründung der Zweiten Internationale und in der englischen Gewerkschaftsbewegung eine wichtige Rolle. Sie hilft beim Aufbau der englischen Trade-Unions-Bewegung Ende der 1880er Jahre.
Die junge Frau ist eine sehr energische und wirkungsvolle Rednerin. Einmal, nachdem sie in drei Monaten vierzig Reden gehalten hat, klagt sie über Halsschmerzen. Aber in kürzester Zeit steht sie wieder am Podium, stellt sich feindseligen Demonstranten entgegen und trotzt der Aggression der Polizei.
Edward Aveling (1886) Eleanor ( ohne Jahr ) |
Im Lesesaal des "British Museum", einem Treffpunkt für sozialistische Intellektuelle und Freidenker, darunter frühe Mitglieder der "Fabian Society" wie Beatrice Webb und George Bernard Shaw, lernt Eleanor dann 1884 Edward Aveling kennen.
Der 35jährige Naturwissenschaftsdozent und Säkularist macht damals die Ideen und den Atheismus von Charles Darwin populär. Seine naturwissenschaftlichen Bücher finden großen Anklang. Da er auch ein Gespür für Poesie und Drama hat, gefällt er der 29jährigen. Schon bald stellen sie sich ihren Freunden als Mann und Frau vor, obwohl sie nie rechtskräftig verheiratet sein werden. Das ist auch gar nicht möglich, den Aveling ist noch verheiratet. Einer Freundin schreibt sie:
"Also gut, das ist es – ich werde als seine Frau mit Edward Aveling zusammenleben. Du weißt, dass er verheiratet ist und dass ich rechtlich nicht seine Frau sein kann, aber für mich wird es eine wahre Ehe sein – genauso, als ob ein Dutzend Standesbeamte die Trauung durchgeführt hätten..."
Den Genossen Eleanors ist sein dubioser Lebenswandel ist ein Dorn im Auge. Bei ihren Freunden und ihrer Familie - mit Ausnahme von Friedrich Engels - ist Aveling ebenfalls unbeliebt, unter anderem weil er ständig Schulden macht und bei der jungen Frau schmarotzt. George Bernard Shaw beschreibt ihn, er habe "das Gesicht und die Augen einer Eidechse und eine Stimme wie ein Euphonium." In seinem Stück "The Doctor's Dilemma" gibt Eleanors Liebhaber die Vorlage ab für den skrupellosen Frauenhelden Louis Dubedat. Andere Zeitgenossen schildern ihn als "Grobian" oder schimpfen ihn einen "elenden Hund".
Aveling bittet Eleanor zunächst, eine kurze Biographie ihres Vaters für seine Zeitschrift "The Progress" zu verfassen; gemeinsam schreiben sie dann "The Woman Question", was sie 1886 veröffentlichen.Sie argumentieren in der Schrift dahingehend, dass das Patriarchat und die Ausbeutung von Frauen dem Kapitalismus inhärent seien, dass die Befreiung der Frau eine Ausgangsbedingung für den Sozialismus sei und dass dieser nur durch die gemeinsame Arbeit von Männern und Frauen erreicht werden kann. Ihrer Analyse zufolge ist die Frau der Mittelschicht in ihrem eigenen Zuhause zur Proletarierin geworden, die nach ihrem Ehemann an zweiter Stelle steht. Der Feminismus der Mittelschicht sei allerdings mehr daran interessiert, mit Männern zu konkurrieren, als die Arbeiterklasse vom Kapitalismus zu befreien. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern kann aber nicht aus der Struktur des Kapitalismus entfernt werden, denn sie macht ihn gerade möglich. Arbeitgeber nutzen die Unterschiede zwischen Männern, Frauen und Kindern aus, um die Löhne niedrig und die Gewinne hoch zu halten. Mit anderen Worten: Kapitalisten bieten den materiellen Anreiz, patriarchalisch und sexistisch zu sein. Deshalb muss der Kampf mit vereinten Kräften von Männern & Frauen aufgenommen werden.
Aveling räumt später ein ein, dass die meisten Ideen & Argumente des Buches von ihr stammen, aber sie ist nicht selbstbewusst genug, um die alleinige Ehre für sich zu beanspruchen...
Eleanor mit Aveling (rechts) und Wilhelm Liebknecht (links) während ihrer Vortragsreise in den Vereinigten Staaten (1886) |
Ihr ausgeprägtes Gespür für Literatur ist während dieser Zeit nicht eingeschlafen: Sie ist überzeugt davon, dass durch das Theater neue Modelle von Familie, Liebe und Gesellschaft gezeigt werden können und organisiert Lesungen von Romanen und Gedichten sowie Theateraufführungen, die allen offen stehen. Sie denkt auch wieder darüber nach, Schauspielerin zu werden. Besonders liebt sie die Werke von Henrik Ibsen und versucht, Norwegisch zu lernen, um sie übersetzen zu können. In einem Brief an George Bernard Shaw macht sie sich schon Gedanken über die Besetzungsauswahl für diese Ibsen-Stücke:
"Wir wollen versuchen, May Morris zu bekommen, obwohl ich fürchte, sie wird keine Zeit haben. Sie war gestern hier und sah so süß und schön aus wie die Blume, nach der sie benannt ist."
Eleanor Marx ist auch verantwortlich für die erste Übersetzung der "Madame Bovary" von Gustave Flaubert ins Englische. Die amerikanische Ausgabe weist sie als Eleanor Marse Aveling aus.
Mit Edward Aveling hat sie zunächst viel gemeinsam gehabt: ihre Liebe zum Theater und ihr Engagement für den Sozialismus sowie das Konzept der "freien Liebe". Er treibt im Laufe der Jahre diese Vorstellung auf die Spitze und leistet sich hinter ihrem Rücken eine ganze Reihe romantischer Eskapaden, während sie das Paar finanziell versorgt, indem sie unermüdlich Artikel & Pamphlete schreibt. Seine egalitären Vorstellungen erstrecken sich nicht auf ihr Privatleben.
Die Werte, die beiden öffentlich vertreten, werden so zur Farce. Das geringe Selbstwertgefühl hat die kluge, aktive Frau offensichtlich zu einer leichten Beute für einen rücksichtslosen, selbstsüchtigen Mann werden lassen. Dabei ist sie von Zeitgenossen als moderne Frau und alles andere als ein Heimchen wahrgenommen worden, sie hat mit den Männern diskutiert, in der Öffentlichkeit geraucht, überall Anerkennung gefunden.
Nachdem sie sich um Aveling während der Genesungsphase nach einer Operation gekümmert hat, entdeckt sie irgendwann zwischen dem 27. und 31. März 1898, dass dieser nach dem Tod seiner Ehefrau (1892) unter falschem Namen seine Geliebte, eine junge Schauspielerin namens Eva Frye, geheiratet hat. Wir wissen nicht, wie es zu dieser Enthüllung gekommen ist, aber es muss für sie ein ordentlicher Schlag gewesen sein. Am Morgen des 31. März wird Eleanor, gekleidet in ein weißes Gewand - manchmal wird von einem Brautkleid fantasiert - tot in ihrem Zimmer aufgefunden, nachdem sie eine Ampulle Blausäure geschluckt hat. Die hat ihr Dienstmädchen bei einem Apotheker beschafft. 43 Jahre ist sie nur geworden.
Ihr Abschiedsbrief an Aveling: "Mein letztes Wort für Dich ist das gleiche wie in den langen, traurigen Jahren - Liebe." In einem Brief an ihren Halbbruder Freddy Demuth hat sie dereinst schon einmal das französische Sprichwort "Verstehen heißt verzeihen" zitiert und bekannt: "Ich habe viel gelitten, um zu verstehen, muss also nicht mehr verzeihen. Ich kann nur lieben."
Obwohl die genauen Umstände ihres Ablebens unklar bleiben, macht die sozialistische Gemeinschaft im Allgemeinen Aveling für Eleanors Tod verantwortlich. Die Zeitungen stürzen sich auf die Geschichte und nehmen sie als Anlass, um die sozialistischen Bewegung zu diskreditieren.
Heutzutage wird auch vermutet, dass Eleanor den Schock nie überwunden hat, dass der von ihr so über die Maßen geliebte Vater, den sie idealisiert und dem sie ihr Leben gewidmet hat, von erschreckende Doppelmoral gewesen ist: Sein Kind mit dem Hausmädchen Helene Demuth - besagter Halbbruder Freddy - ist als Baby damals sofort nach seiner Geburt aus dem Haus gegeben worden und unter erbärmlichen Bedingungen ausgewachsen, ja durfte das Marxsche Haus niemals betreten. Friedrich Engels hat sich damals zu der Vaterschaft bekannt, ist aber am Ende seines seines Lebens nicht mehr bereit gewesen, als gefühlloser Schuft angesehen zu werden und eröffnet Eleanor deshalb die wahren Verhältnisse. Ihr ins Wanken geratenes Bild des Vaters mag dazu beigetragen haben, dass sie schließlich auch die doppelte Moral ihres Lebensgefährten Aveling nicht mehr zu ertragen vermocht hat. Zu sehr verletzt ist sie letztendlich von den vielen Lügen...
Nach der amtliche Leichenschau am 2. April wird der Körper der Eleanor Marx kremiert. Ihre Asche wird zunächst von der Social Democratic Federation aufbewahrt, dann im Hauptquartier der British Communist Party und schließlich 1956 auf dem Highgate Cemetery in London, in der Nähe der Gräber ihrer Eltern, beigesetzt.
Jennifer Stoller und Lee Mongague als Eleanor & Karl Marx (1977) |
"Ich werde nie so gut und selbstlos sein wie er. Ich bin nicht gut – werde es nie sein, obwohl ich es versuche, mehr als Sie sich vorstellen können. Es steckt zu viel Teufel in mir", bekennt Eleanor in einem Brief gegenüber dem englischen Sexualforscher & Sozialreformer Havelock Ellis, ebenfalls ein Fabianer. Ein von den Vorstellungen der Männer unabhängiges Selbstverständnis aufzubauen, ist offenbar auch den Mädchen & Frauen der Männer nicht möglich gewesen, die sich den Fortschritt der Menschheit auf die Fahnen geschrieben hatten, und hat offensichtlich desaströse Bindungen begünstigt.
Lange ist auch Eleanor Marx' sehr eigenständiges Wirken in der Arbeiterbewegung, ihre Überlegungen zur Emanzipation, ihr Einsatz für die Verbreitung der marxistischen Ideen immer nur "als Randglosse in den Büchern über Marx und Engels" erzählt worden, so ihre Biografin Eva Weissmüller. Inzwischen hat es die lange aufs Tochtersein reduzierte immerhin mittels Film & Fernsehen zu einer Wahrnehmung als eigenständige Person gebracht, so schon 1977 in einem dreiteiligen Fernsehdrama der BBC oder zuletzt in dem Biennale - Film von Susanna Nicchiarelli:
Gerade habe ich im WDR auch den Geburtstags Podcasts gehört. Danke Dir für eine ausführlicheres Portrait
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Nina