Donnerstag, 20. August 2020

Great Women #231: Sophie von Hatzfeldt

Immer wenn ich etwas tiefer in die Historie eintauche, um mich mit den Frauen zu beschäftigen, bin ich überrascht, dass es doch immer wieder welche gab, die sich ganz schön ins Zeug gelegt haben, um für sich gleiche Rechte & Möglichkeiten wie die der Männer zu verschaffen und sich auf vielfältige & individuelle Weise ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Heute geht es um eine Frau, die immer wieder nur zusammen mit einem Mann Erwähnung findet, deren Geschichte aber auch ohne diese Verquickung bemerkenswert genug ist, um erzählt zu werden. Die Rede ist von Sophie von Hatzfeldt.
Schloss Trachenberg

"Mein Charakter war von jeher sehr weich...,
aber...  jahrelange Kämpfe,
wo ich den Mut und die Tragkraft eines Mannes 
entwickeln musste,
... haben mich hart gehämmert."

Sophie Josephine Ernestine Friederike Wilhelmine Gräfin von Hatzfeldt-Trachenberg erblickt am 10. August 1805 nicht in Trachenberg in Niederschlesien, dem heutigen Żmigród in Polen, ca. fünfzig Kilometer nördlich von Breslau, das Licht der Welt, wie in den meisten Quellen zu lesen ist, nein, ihr Geburtsort ist Berlin.

Ihr Vater ist der Fürst Franz Ludwig von Hatzfeldt - Schönstein zu Tra­chen­berg, ihre Mutter Friederike Karoline Gräfin von der Schulenburg, seit 1799 miteinander verheiratet und jedes Jahr mit einer neuen Tochter gesegnet - Sophie ist deren fünfte ( nach ihr werden noch zwei Brüder und zwei Schwestern geboren werden ). Zwei der vor ihr geborenen Schwestern überleben aber ihre Geburt bzw. das erste Lebensjahr nicht, so dass Sophie nur mit der fünf Jahre älteren Luise und der vier Jahre älteren Helene und den jüngeren Schwestern Clara und Herminie sowie den Brüdern Hermann Anton und Maximilian in, so wird immer wieder betont, behüteten Verhältnissen in Trachenberg, der rheinischen Besitzunge des Vaters, Schloss Allner bei Hennef an der Sieg, aber auch in ihrer Geburtsstadt Berlin aufwächst, denn der Va­ter ist in preu­ßi­schen Diens­ten tätig, zu­nächst als Mi­li­tär, dann "Guvernör" von Berlin zur Zeit der napoleonischen Kriegszüge, spä­ter Di­plo­mat und damit als Gesandter Preußens ab 1818 in Den Haag, ab1822 in Wien. Er ist einer der reichsten schlesisch-rheinischen Magnaten seiner Zeit.

Die Mut­ter stamm­t aus ei­ner be­kann­ten preu­ßi­schen Mi­li­tär- und Be­am­ten­fa­mi­lie. Sie ist eine Tochter des preußischen Generals & Freundes Friedrich des Großen, Graf Friedrich-Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert ( "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" ). Sie soll durch ihr cou­ra­gier­tes Auf­tre­ten wäh­rend ei­ner Au­di­enz bei Kai­ser Na­po­le­on 1806 ih­ren Ehe­mann vor der To­des­stra­fe be­wahrt ha­ben, und der "Fussfall" der hochschwangeren 27jährigen Fürstin Hatzfeldt kommt lange in den Anekdotensammlungen & Geschichtskalendern vor.

Sophie erhält mit ihren beiden älteren Schwestern eine standesgemäße Erziehung und verfügt aufgrund der unterschiedlichen Einsatzorte ihres Vaters - Berlin, Den Haag und zuletzt noch Wien  - über einen durchaus weiteren Horizont.  

Jugendbildnis Sophie von Hatzfeldts
Das Mädchen erblüht zu einer auffallenden Schönheit, was nahe legt, dass ihr sieben Jahre älterer Cousin Graf Edmund von Hatzfeldt-Wildenburg-Weisweiler aus der gräflichen Linie der Hatzfeldts, seines Zeichens königlich-preußischer Kammerherr, Sophie den Vorzug gegenüber ihren beiden älteren Schwestern gegeben hat.

Aus wirt­schaft­li­chen, aber vor allem fa­mi­li­en­po­li­ti­schen Grün­den sollen Streitigkeiten zwischen Mitgliedern der beiden Linien des uralten Adelshauses, also zwischen der gräflichen und der fürstlichen Linie, durch eine Ehe  befriedet werden und die Vermögensverhältnisse beider Familien gerettet. Es  geht um die Einnahmen von Trachenberg und Wildenburg Schönstein. Cousin Edmund ist Mitbesitzer dieser Standesherrschaft.

Böse Zungen behaupten, es sei aber  ein ganz anderer Grund gewesen, weshalb Edmund Sophie vor ihren Schwestern im heiratsfähigen Alter den Vorzug gegeben habe, nämlich seine Liaison mit der attraktiven, erfahrenen Gräfin Maria Luise von Nesselrode - Ehreshoven. Mit einer blutjungen, unerfahrenen und damit formbaren Ehefrau glaubt er das Verhältnis leichter und ohne Konflikte aufrechterhalten zu können. Sophie wird von ihren Geschwistern nämlich als "kindische, unentwickelte und damals allgemein für beschränkt geltende" Person beschrieben. Seine Geliebte hat der dreiste  Edmund sogar als vorgebliche Verwandte zu den Familienbesuch bei Sophies Eltern auf Schloss Allner mitgebracht ( und sich auch dort nicht gescheut, intimen Umgang mit ihr zu pflegen ), alleine, damit die Geliebte sich ein Bild von der möglichen Konkurrenz machen kann.

Dieser junge Graf, schon mit einem Jahr Halbwaise, ist bei seiner Mutter und Großmutter auf Schloss Kalkum bei Düsseldorf, dem Mit­tel­punkt der Be­sit­zun­gen der Fa­mi­lie von Hatz­feldt-Wil­den­burg, groß gezogen worden und ist als Kind von recht angegriffener Gesundheit ( er hat einen sogenannten Klumpfuß ) gewesen, so dass er wohl sehr verwöhnt worden ist. Als Erwachsener verfügt er über ein beachtliches Vermögen, ist einer der großen rheinischen Standesherren und Großgrundbesitzer - zeitweise gehört ihm auch die Herrschaft Muskau, die er dem hochverschuldeten Fürsten Pückler abgekauft hat - und er  gilt als "sardanapalischer Wüstling" ( Franz Mehring ).

Schloss Allner

Schenkt man also den Zeitzeugen Glauben, ist der künftige Bräutigam kein wirklich reizender Geselle, zumindest gibt er sich keinen Anschein, dass die für seinen Stand üblichen Verhaltenskodizes  für ihn gelten. Das ist auch seinem künftigen Schwiegervater klar, denn der lässt in den abzuschließenden Ehevertrag einen Passus hineinsetzen, in dem er Graf Edmund verpflichtet, seiner Gattin "lebenslänglich mit der reinsten zärtlichsten Liebe und Treue ehelich beyzuwohnen". Auch nimmt er dem künftigen Schwiegersohn ein "feierliches Ehrenwort" ab, sein Verhältnis zu besagter Gräfin aufzugeben.

Die zur Eheschließung notwendige Einwilligung legt Sophies Vater dann im Juli 1822 beim k.k. Haus-, Hof- und Staatskanzler in Wien ab. Am 9. August wird vor einem Notar in Hennef der Ehevertrag nur in Anwesenheit der Verlobten und Vertretern der Elternseiten geschlossen. Dieser hält fest, dass die Eltern der Braut 5000 preußische Taler in bar und weitere 1750 Taler in der Aussteuer bzw. als Brautschatz zahlen werden. Edmund verpflichtet sich, seiner künftigen Frau jährlich 1200 Berliner Taler als Nadelgeld zur Bestreitung kleinerer persönlicher Bedürfnisse zuzuwenden. Diese wiederum muss sich damit einverstanden erklären, alles, was sie erbt, geschenkt bekommt oder auf sonstige Art & Weise verdient, in die künftige Ehe einzubringen. Es wird Gütergemeinschaft für die Ehe vereinbart, aber alles vorher vorhandene Vermögen bleibt davon ausgeschlossen. 
All das geschieht "zur Vermehrung und noch größerer Emporbringung des uralten von Hatzfeldtschen Namens und Geschlechts und zur ewigen Festung der zwischen den beyden Familien bestehenden engen fried- und freundschaftlichen Verhältnisse", so steht es im Vertrag ( Quelle hier )
An ihrem 17. Geburtstags wird Sophie standesamtlich mit Edmund verheiratet, zwei Tage später erfolgt eine kirchliche Trauung mit anschließendem glanzvollen Fest im Kalkumer Schloss. "Das bildschöne Mädchen, das fast noch wie ein Kind aussah, neben dem älteren grundhässlichen Grafen (...) wurde wahrlich nicht vom ärmsten Manne beneidet", schreibt später Johannes von Trostorff in seinen Ausführungen über die rheinischen Adelsgeschlechter.
"Am Abend jenes 12. August 1822 spielten Düsseldorfer Musiker im Schloss zum Tanz auf, alles war festlich erleuchtet,  Böller wurden abgeschossen, so dass zahlreiche Fenster platzten und das Eingangstor durch den Pulverdampf geschwärzt wurde. Am 20. August war die gesamte Kalkumer Bevölkerung eingeladen, wieder spielte die Düsseldorfer Kapelle, zur allgemeinen Belustigung wurde ein großes Vogelschießen veranstaltet." ( Quelle hier )
Schloss Kalkum vor 1841
So  glanzvoll und blendend er das Fest inszenieren lässt, so garstig und abstoßend zeigt sich der Frischvermählte gleich in der Hochzeitsnacht. Demütigend für Sophie, gibt er auch da seiner Geliebten den Vorzug und macht der Braut klar, dass er nur die liebe und sie ihn seiner Wege gehen lassen möge. Sie könne auch die ihren gehen.

Der Honigmond der beiden sieht also so aus, dass Edmund seine junge Angetraute Tag und Nacht allein lässt. Die sitzt nun da in der Fremde wie ein aus dem Nest gefallener Vogel, ohne Eltern & Geschwister oder gar Freundinnen.

In dieser Zeit ereignet sich auch ein von der Düsseldorfer Öffentlichkeit registrierter Vorfall, wobei der Graf Sophie "drei derbe, heftige Stöße in die Seite" verpasst, weil sie der entgegen kommenden Nesselrode ausweichen & sie nicht begrüßen will. Im damals noch recht übersichtlichen Städtchen bietet alsbald die gräfliche Ehe unerschöpflichen Gesprächsstoff, und die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass das frisch vermählte Paar wie Hund und Katze auf dem Schloss lebe.

Der Umgang des Grafen mit seiner Ehefrau in folgenden vierundzwanzig Ehejahre lässt sich noch treffender mit dem Bild eines "auf das Familienleben übertragenen dreißigjährigen Krieges mit all seinen Qualen  und Grausamkeiten" ( Adolph Kohut ) charakterisieren. Edmund quält die junge Frau auf vielfältigste Weise, "in einer so unwürdigen Art", dass "die überspanntesten Romane nichts dergleichen erhalten", wird Ferdinand Lassalle später einer anderen Sophie schreiben. Der Graf fühlt sich dazu berechtigt, seine Frau so mit Niedertracht zu verfolgen, denn er sei "nur aus Rücksichten genöthigt gewesen (...), sie zu heirathen, habe jedoch weder sich selbst, noch sie in ihrer Freiheit beeinträchtigen wollen". 

Deshalb versucht er auch immer wieder, sie selbst zum Ehebruch zu bewegen und stiftet andere Männer dazu an, Sophie zu verführen, vor allem nachdem ihr im Dezember 1823 geborenes erstes Kind, Marie Antonie Anne - nach einer tagelang anhaltenden Geburt, schließlich mit der Zange geholt - gestorben ist ( während der Ehemann im Nebenraum mit der Nesselrode den Beischlaf vollzogen hat ). Jede andere wäre spätestens jetzt zu den Eltern geflohen. Doch Sophie fühlt sich an den Ehevertrag gebunden, sie ist der Preis für die Größe des Hatzfeldtschen Besitzes, dessen wird sie sich immer mehr bewusst.

Der Gräfin von Nesselrode wohnt bei ihren Aufenthalten auf Schloss Kalkum im Nachbargemach zum Ankleidezimmer des Grafen. Ihrer Nebenbuhlerin soll sich Sophie nach Anweisung ihres Mannes unterordnen, Geschenke an sie mit dieser teilen und sie bei Besuchen auf dem nesselrodschen  Anwesen expressis verbis zu sich nach Kalkum einladen.

Neun Jahre lang wird die Nesselrode Edmunds Favoritin bleiben und immer wieder längere Zeit in Kalkum wohnen bzw. er bei ihr. Dass er der Vater zweier ihrer Kinder ist - Alfred (*1824) und Anna (*1828) -, ist wohl ein offenes Geheimnis und wird nicht nur vom Dienstpersonal weitergetratscht. Selbst Beichtväter mischen sich ein. An den Ehemann der Nesselrode, Franz Bertram, zahlt Edmund Gelder für die "Preisgebung seiner Frau".

Im April 1825 bringt Sophie in Düsseldorf den gemeinsamen Sohn Alfred zur Welt, im Oktober 1828 die Tochter Melanie. Diese Kinder sind wohl nur dem Druck von Edmunds Großmutter Maria Anna Antonia, einer geborenen Freiin von Cortenbach, der einzigen von ihm anerkannten Autorität, zu verdanken, die auf eine gebührende Nachkommenschaft Wert legt. Doch auch die gemeinsamen Kinder ändern nichts an seinem Verhalten - im Gegenteil: Sophie hat eine sehr herzliche und liebevolle Beziehung zu ihren Kindern, die ihr Ehemann mit aller Macht und Energie versucht zu stören, um die Kinder ihrem Einfluss zu entziehen und sie ihr zu entfremden.

Im Jahr von Melanies Geburt nimmt er ein neues Liebesverhältnis zu einer Gräfin Hompesch auf und gibt der Nesselrode im Jahr darauf den Laufpass. Auch seine neue Geliebte wird schwanger von ihm, bringt das Kind 1834 in Italien zur Welt und lässt es von einer Dienerin aufziehen, alimentiert vom Grafen Edmund. Der versorgt, wie es urkundlich überliefert ist, jedes seiner unehelichen Kinder mit zwei Morgen Land - und deren hat er einige, denn auch den Mädchen unter seinem Hauspersonal stellt er gerne nach.

Wilhelm Camphausen: Jagdszene mit Edmund von Hatzfeldt
(1846)
Edmund betrügt seine Ehefrau also nicht nur "mit unzähligen Frauen jedweden Standes und Metiers",  er stellt sie auch gerne in der Familie, der Gesellschaft und der Dienerschaft bloß, verbietet ihr den Ausgang, Besuch oder Korrespondenz. Heutzutage würden wir das wohl als Gaslightning bezeichnen ( es sind aber auch körperliche Gewalttätigkeiten verbürgt ). Sophie gelingt es nach all den De­mü­ti­gun­gen immer noch, wann im­mer es mög­lich ist, durch Rei­sen und Kuraufenthalte zu entfliehen und Abstand zu gewinnen. Aber diese ihre Versuche, den Schikanen zu entgehen und ein eigenständiges Leben in Frieden zu leben, ahndet der Graf dann gerne mit Sperrung der ihr zugesagten finanziellen Mittel oder der Drohung, ihr ihre Kinder wegzunehmen. Das hält die ansonsten starke, temperamentvolle Frau immer wieder davon ab, eine endgültige Trennung vorzunehmen.

Doch auf Dauer mag sie, anders als bei vielen adligen Frauen üblich, auch nicht schweigen und stillhalten, ist sie doch auch - übrigens lebenslang - voller Groll auf ihre Eltern, die sie in diese Lage gebracht haben:
"Meine Eltern haben das größte Unrecht gegen mich begangen, sie haben mich als Kind von 16 Jahren des Vorteils wegen in eine Ehe verkauft, von der sie wussten, dass sie sehr unglücklich für mich sein musste."
Wappen der Fürsten von Hatzfeldt zu Trachenberg
1830 ist sie so weit, ihre Überlegungen bezüglich einer Scheidung ihrer Familie vorzustellen. Doch seit dem Tode ihres Vaters 1827 ist ihr Bruder Hermann das Familienoberhaupt und der fürchtet "vor allem die Öffentlichkeit für den stolzen Namen des gemeinsamen Geschlechts", dessen Hauptrepräsentant der widerwärtige Graf Edmund ist. Stattdessen versucht Hermann mit seinem Bruder Max auf den Grafen Einfluss zu nehmen und ihm Versprechen der Besserung abzuringen. Es werden Familienzusammenkünfte abgehalten und Vereinbarungen getroffen, denen Edmund zunächst immer zustimmt und die Abmachungen dazu unterschreibt, sie dann aber postwendend wieder bricht.

Zur Angst vor dem Skandal kommt die finanzielle Verwobenheit der beiden Familienzweige, weshalb Sophies Angehörige von einer Scheidung abraten. Dafür gibt es für die Schwester solch Gratis-Ratschläge wie die, sie solle "in aller Stille (..) leben" und sich einfach zurückziehen. Auch ihre eigene Familie ist sich für Erpressungen nicht zu schade und kündigt an, man werde ihr die ihr zustehenden Geldmittel verweigern und sich ganz von ihr lossagen, sollte sie ihr Vorhaben weiter betreiben.

Wie verraten und verkauft, einsam und verlassen muss sich die Frau da vorgekommen sein?

Im Oktober 1831 bringt Sophie dann noch einmal ein mit Edmund gemeinsames Kind zur Welt, Paul. Doch der hört nicht auf, sie zu kujonieren. Er kauft Männer, die sie verführen sollen bzw. lässt diese trotz Sophies Widerspruch weiterhin auf dem Schloss wohnen, wo sie sie fortlaufend bedrängen. Außerdem belegt er seine Ehefrau mit einem Reiseverbot. 1833 lässt Edmund dann Sophie "gewaltsam aus dem gemeinsamen Domizil entfernen" und  weigert sich, sie wieder aufzunehmen. Ab da wird sie dann hauptsächlich immer wieder Zuflucht in Berlin nehmen.

Sophies Clan drängt sie dennoch wiederholt zu Versöhnungsversuchen ( so verbürgt  für 1839, 1841, 1845, 1846 ). Ihr  Ehemann benutzt wiederum als Druckmittel die Kinder: So lässt er die siebenjährige Tochter Melanie ins Kloster der Salesianerinnen nach Wien bringen. 1838 stiftet er eine Entführung des siebenjährigen Pauls in Baden - Baden an, was Sophie trotz angeschlagener Gesundheit gerade noch vereiteln kann.

1839 kommt es dann in Straßburg tatsächlich noch einmal zu einer Aussöhnung zwischen den Ehepartnern. Im Jahr darauf erzwingen Sophies Brüder, dass ihre Schwester wieder auf Schloss Kalkum wohnen kann, wo sie allerdings wie eine Gefangene in einer Bedientenwohnung leben muss und selbst am Briefeschreiben an ihre Kinder gehindert wird. Die Kinder selbst trauen sich aus Angst vor dem Zorn des Vaters nicht, den Kontakt zur Mutter zu suchen. Ihr Ehemann nimmt derweil seinen Wohnsitz in Schönstein.

1841 kommt es zu einem Vertrag zwischen ihm und Sophies Brüdern, der ihm das Recht über die Erziehung seiner Kinder zuspricht, er im Gegenzug seiner Ehefrau einen standesgemäßen Lebensunterhalt von 8000 Talern jährlich zusichert, über die sie aber nur im Einvernehmen mit ihrem Bruder verfügen kann.

Die in Berlin lebende Gräfin macht dort die Bekanntschaft des Grafen Bassenheim, zu dem sie eine Liebesbeziehung entwickelt, die einzige, zu der sie sich bekennen wird, auch gegenüber dem König, den sie um Unterstützung bittet, um ihn heiraten zu können.

Auch ihr Bruder wendet sich in seiner Familienangelegenheit an den König, als der Graf seinen jüngsten Sohn aus Trachenberg, dem Wohnsitz von Sophies Bruder, "befreit" und ihn in die Potsdamer Kadettenanstalt gebracht hat. Fürst Hermann von Hatzfeldt-Trachenberg schreibt einen Brief an König Friedrich Wilhelm IV. und bittet ihn, seinen Schwager mittels Befehl zum Einlenken zu bringen, weil er befürchtet, dass seine Schwester sich durch dessen letzte Schritte zu einer Scheidung gezwungen sehen könnte:
"Hierdurch wird die ganze Familie zu Grunde gerichtet werden, und auch die Ehre und Ruhe mehrerer in dieser Angelegenheit verwickelter, sehr angesehener Familien wird dadurch gefährdet; das einzige Mittel, diesem namenlosen Unglück vorzubeugen, ist, daß der Graf von Hatzfeldt-Kinsweiler angehalten wird, seine Pflichten als Gatte zu erfüllen, die Ehe wirklich herzustellen und so die Ruhe der Familie zu sichern." 
Der König erlässt eine Kabinettsorder, die dem Grafen von Hatzfeldt - Wildenburg befiehlt, sein schändliches Betragen gegenüber der Gräfin zu ändern - doch der pfeift auch darauf.

Und Sophies Interessen, ihre Würde? Sophie braucht insgesamt 24 Jahre, bis sie, inzwischen wohl recht verzweifelt und zutiefst verletzt, endlich die Kraft findet, einen Schlussstrich unter ihr Martyrium zu ziehen. Was bleibt ihr noch anderes übrig als die Gerichte?

Denn das Einzige, was das Familienoberhaupt, ihren Bruder, interessiert ist, dass die sich nach wie vor standesgemäß verhält und den Moralvorstellungen des Adels nicht widerspricht, das bedeutet, dass sie nicht gegen ihre Ehe aufbegehrt. Ein Prozess - Gerichte sind ja öffentlich - würde das ganze Elend, die ganze Schande der Familie ans Licht bringen - das ist nicht mit ihrem aristokratischen Gehabe vereinbar.

Als Erstes kämpft Sophie um ihr Kind, ihren Lieblingssohn Paul, und muss ihn immer wieder in ihre Obhut bringen und sich dabei auch Polizei & Militär widersetzen. Dann bittet sie den Bankierssohn & Assessor Felix Alexander Oppenheim, der zum Freundeskreis von Ferdinand Lassalle gehört, um Rechtsbeistand. Das bedeutet einen ersten Bruch mit der Familie.

Zu Beginn des Jahres 1846 lernt die Gräfin im Salon des Grafen Keyserlingk in Berlin Ferdinand Lassalle persönlich kennen. Der ist zutiefst berührt von ihrem Schicksal und ist bereit, seine ganze Energie einzusetzen, um ihre Sache mit seinem Kampf gegen Despotismus zu vereinen. Nun nimmt der Widerstand gegen diese unwürdige Ehe an Fahrt auf, denn Lassalle erkennt im individuellen Schicksal der schönen Gräfin "alle Ungerechtigkeiten der alten Welt, alle Mißbräuche der Macht, der Gewalt und des Reichtums gegen die Schwachen, alle Unterdrückungen unserer Gesellschaftsordnung personifiziert." Es geht ihm allerdings auch darum, dass eine Frau genauso frei über ihren  Körper verfügen kann, wie es die Männer tun. Das wird er in einem langen Brief  an Sophie in den 1850er Jahren noch einmal ausführlich darlegen.
Jugendbildnis
Ferdinand Johann Gottlieb Lassal, geboren am 11. April 1825 in Breslau als Sohn des wohlhabenden jüdischen Seidenhändlers Heyman Lassal (auch Loslauer), zeigt schon als ganz junger Mensch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und eine kämpferische Grundeinstellung. Mit 15 Jahren beschreibt er Deutschland in seinem Tagebuch als einen "großen Kerker mit Menschen, deren Rechte von Tyrannen mit Füßen getreten werden". Nach dem Besuch eines Gymnasiums in Breslau und einer Handelsschule in Leipzig, die er nach einem Jahr abbricht, will er sich intellektuelleren Anforderungen stellen und nicht in die Fußstapfen seiner Ahnen treten, weshalb er 1843 das Abitur in Breslau  ablegt - gegen den Willen des Vaters. Mutter & Schwester müssen ihn deshalb  im Elternhaus verstecken. An der Universität Breslau bzw. später in Berlin an der Friedrich-Wilhelms-Universität schreibt er sich für die Fächer Geschichte, Archäologie, Philosophie und Philologie ein. Sein Studium philosophischer Texte führt zur Ausarbeitung seiner politischen Anschauungen, die er als Buch veröffentlicht. Unter dem Einfluss anderer zeitgenössischer Denker wendet er sich demokratischen und sozialistischen Ideen zu.  Er ist gerade einundzwanzig Jahre alt, als er Sophie von Hatzfeldt kennenlernt und er sich bereit erklärt, nach eingehenden Studien im Fachgebiet Rechtswissenschaften ihre Sache vor Gericht zu vertreten.
Und  so beginnt 1846 die acht Jah­re dau­ern­de ge­richt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung "Hatz­feldt ge­gen Hatz­feldt", die vor 38 ver­schie­de­nen rhei­ni­schen Ge­rich­ten ge­führt wer­den, einer der größten  breitenwirksamen Skandale des 19. Jahrhunderts sein und der große Teile des preußischen Hochadels in Atem halten wird. Daran hat auch der junge Lassalle seinen Anteil, lässt er doch Edmund von Hatzfeldt auf Schritt und Tritt beobachten und sorgt dafür, dass dessen sexuelle Eskapaden in aristokratischen Kreisen ruchbar werden:
"Das Hatzfeldtsche Eheelend, die leidenschaftlichen Fensterreden ihres Beistands und die wechselvollen Gerichtsentscheidungen werden en detail in Broschüren und Zeitungsartikeln vor einer besonders im Rheinland zunächst sehr wohlwollenden Öffentlichkeit ausgebreitet. Der junge Jude und die schöne Gräfin kämpfen mit allen Mitteln - von der Verleumdung bis zum Diebstahl", so Cora Stephan an dieser Stelle. Ihr Gegner, der Graf Edmund, steht ihnen in dieser Hinsicht aber in nichts nach. 
Ganz allein sind das vom Alter und der Herkunft her ungleiche Paar allerdings bei ihrem Kampf nicht: So gibt der konservative preußische Politiker & Parlamentarier Reichsgraf Clemens August von Westphalen nicht nur die finanziellen Mittel - immerhin 17.500 Taler, ein kleines Vermögen, und das ohne Sicherheiten oder Schuldscheine!-, sondern wird auch den König beeinflussen  ( im Hinterkopf, dadurch die Schwester der Sophie, Herminie, für sich zu gewinnen ). Neben dem schon erwähnten Rechtsanwalt Oppenheim und seinem Freund, dem Arzt Mendelssohn, ist auch der Pastor Johannes Fowinkel, der Sophie als Erster zu einem Düsseldorfer Rechtsbeistand gebracht hat, von der Partie und der Chefredakteur der "Neuen Rheinischen Zeitung", Karl Marx, sowie andere Demokraten. Und nicht zu vergessen: Sophies jüngster Sohn! Paul ist als Beistand ebenfalls von Bedeutung und widersteht mehrmals den väterlichen Versuchen, ihn mit Geld zu ködern ( das klappt bis 1850 ).

Das ist es dann aber auch schon, was die familiäre Unterstützung betrifft: Als die Mischpoke merkt, wohin der Hase ab da laufen wird, versucht man Sophie in bewährter Manier unter Druck zu setzen. U.a. schreibt Schwester Herminie im Herbst 1846:
Lassalle, Gräfin Hatzfeldt & Sohn Paul
( antisemitische Karikatur von ca. 1849 )
"Rufe Deinen Stolz zurück und zerreiße die Deiner unwürdigen Bande! Die früher so gefeierte schöne Gräfin Hatzfeldt wirft sich einer Judengesellschaft in die Arme!" Oder an anderer Stelle:"Wenn du den Prozeß beginnst, wirst du unsere gemeinschaftliche Feindin, wir werden uns alle gegen dich kehren!"
Natürlich wird auch wieder mit dem Einfrieren von Geldmitteln gedroht. Doch Sophie ist entschlossener denn je: "Ich möchte Frieden haben, doch kann ich nicht des Friedens Opfer sein", schreibt Sophie dem Bruder Hermann.

Als ersten Streich initiiert Lassalle schon im März 1846 eine gerichtliche Eintragung eines Protestes gegen den bevorstehenden Verkauf der Herrschaft Muskau, was zum Nachteil des Sohnes Paul gewesen wäre und dem Grafen Edmund zu einer Schmälerung seines Vermögens im Falle eines Falles verholfen hätte.

Der zweite Streich ist der unter dem Begriff "Calumniationsprozess" bekannt. Im September 1846 ist eine Verschwendungsklage gegen Graf Edmund ergangen, auf die er seine aktuellen Geliebten, die Schwestern Hohn, zu einer Verleumdungsklage - nichts anderes meint das Wort - gegen seine Ehefrau anstiftet. Sophie von Hatzfeldt wird infolgedessen im Januar 1847 zu einer zweimonatigen Haft- plus einer Geldstrafe  verurteilt, die aber erst einmal nicht vollzogen wird. Erst nach den Maiunruhen im Jahre 1849 in Düsseldorf erinnert man sich an die Gräfin und die Strafe, die sie anschließend im berüchtigten Kölner Frauengefängnis "Bleche Botz" absitzen muss - keine schöne Erfahrung für sie, aber es gibt auch keine eigene Äußerung von ihr dazu.

Die "Bleche Botz" an der Schildergasse
Der nächste Schachzug besteht darin, mittels des Grafen von Westphalen den König beim "Vereinigten Landtag" im Mai 1847 zu beeinflussen, um Sophies Ehemann, angesehen bei Hofe, mit Hilfe eines neu zu gestaltenden Bescholtenheitsgesetzes von öffentlichen Tätigkeiten auszuschließen. Zuvor hat Graf Edmund die Scheidungsklage gegen Sophie eingereicht. Erst im November des Jahres wird sie eine Gegenklage erheben.

"Kassettenprozess" heißt der nächste berühmte Vorfall, der allerdings auch wieder eher zuungunsten des "Teams Sophie" ausgeht:

Im Februar 1848 wird Lassalle ein halbes Jahr inhaftiert, weil er bezichtigt worden ist, er habe den Diebstahl einer Kassette der Baronin Sophie von Meyendorff -  Uexküll, der damaligen Geliebten des Grafen Edmund, mit wichtigen Dokumenten begünstigt ( man hat vermutet, in der Kassette sei der Leibrentenvertrag mit der Baronin inklusive Schuldverschreibung von Schloss Kalkum enthalten ).

Der weitere Ver­lauf der Pro­zes­se steht dann schon im Zu­sam­men­hang mit den politischen Er­eig­nis­sen rund um die März­re­vo­lu­ti­on in den folgenden beiden Jahren, ist deshalb auch von historischem Interesse und trägt zum Ruf Sophies als "rote Gräfin" bei. Schon im März 1847 hat Lassalle mit den unzufriedenen Pächtern der Herrschaft Wildenburg mit den Besitzungen Schönstein und Crottorf Kontakt aufgenommen und ihnen bei der Abfassung einer "Bedrückungsbeschwerde" beim Landtag geholfen.

Am 24. Juni 1847 kommt er zusammen mit Sophie, ihrem Sohn Paul und einem Sekretär nach Wildenburg, um Sophies Wohnrecht zu erzwingen. Begleitet werden sie von einem Trupp mit einschlägigem Werkzeug ausgestatteter Bauern. Als sie Schönstein erreichen, finden sie sich einem mit Gewehren aufgerüsteten Schützentrupp gegenüber.

Sophie gelingt es, sich und ihrem Sohn dennoch Einlass zu verschaffen. Lassalle muss sozusagen draußen bleiben, kehrt aber am nächsten Morgen zurück, und es kommt zu  einer tätlichen Auseinandersetzung mit Polizeisoldaten, Wachmännern und Knechten, als Sophie ihren Prozessgeneralbevollmächtigen ins Haus holen will.

Am nächsten Tag gehen die Auseinandersetzungen in Crottorf weiter. Als ein Friedensgericht drei Tage später Sophie ein Zugangsrecht in Schönstein zugesteht, kommt es zu einem weiteren Eklat. Auch der Landrat kann ihr nicht zu ihrem Recht verhelfen, denn Graf Edmund sichert das Schloss mit noch mehr Bewaffneten. Damit wird sein unrechtmäßiges Verhalten deutlich nachvollziehbar, und die Pächter mobilisieren sich gegen ihren Standesherrn und hören auf die Gräfin "wie Soldaten einem Feldherrn". Unter den einfacheren Menschen wird die "Nestbeschmutzerin" zur Heldin, die mit Hochachtung behandelt wird.

Der Düsseldorfer Polizeipräsident - dort lebt das Paar seit 1846 in Sophies Haus in der Friedrichstraße - beurteilt ihre Aktivitäten so: "Bekanntlich gehören die Gräfin von Hatzfeldt und der berüchtigte Literat Lassalle zu den tätigsten und gefährlichsten Leitern der Umsturzpartei in der Rheinprovinz."

Doch wieder zurück zu den privaten Scheidungsauseinandersetzungen: Im Februar 1850 erfolgt im Prozess ein Schuldurteil gegen Sophie, das im Juli 1851 rechtskräftig wird. Dem Gericht hat eine über siebzig Seiten eng beschriebene Klage von Edmund und eine 132seitige  Gegenklage von Sophie vorgelegen, dazu Zeugenlisten mit 358 Namen. Aus heutiger Sicht ist nicht mehr festzustellen, wer an dem Scheitern dieser Ehe die größere Schuld trägt. Wer Einblick in diese Schriften nimmt, dürfte die darin zum Ausdruck kommende Schlammschlacht kaum für möglich halten.

ca. 1860
Am 11. August 1854 wird endlich die letzte Prozessakte geschlossen: Zwischen den ehemaligen Eheleuten ist zuvor ein vermögensrechtlicher Vergleich, ein Trennungsabkommen zustande gekommen, welches ihr dreihunderttausend Taler zugesteht und die Gräfin damit finanziell unabhängig macht: Endlich ist sie frei!

Für eine Deutsche habe die Gräfin "viel Energie entwickelt in dem Duell mit ihrem Mann", zollt ihr Karl Marx schon 1847 seine Bewunderung.

Aus dem Rechtsbeistand Lassalle ist in der Zwischenzeit allerdings mehr und mehr ein Politiker geworden und einer der führenden Köpfe der revolutionären Bewegung seiner Zeit. Dass Sophie seine politischen Ansichten teilt, ist einer Aussage in einem Brief von 1851  an ihre Tochter Melanie zu entnehmen:
"Ich habe es nie geleugnet, und werde es nie leugnen, dass mein ganzes Herz sich empört, wenn ich die Not, das Elend, die Unterdrückung der unteren Klassen, den Übermut, die Hartherzigkeit, die Genusssucht der Reichen sehe, die sich alles ungestraft erlauben. Ich habe immer so gedacht und immer auch so gehandelt, und bereue es auch jetzt nicht; wenn ich auch viel und hart verfolgt bin, so folgen mir auch viele Segenswünsche." ( Quelle hier )
Hat sie in der ganzen Zeit ihres Zusammenlebens seine Aktivitäten unterstützt und/oder geteilt und ihr Düsseldorfer Haus für konspirative Treffen wäh­rend der März­re­vo­lu­ti­on geöffnet, so dass es zum An­lauf­punkt für Ver­fech­ter der de­mo­kra­ti­schen Sa­che und po­li­tisch Ver­folg­te wird ( zu den Be­su­chern haben un­ter an­de­rem Karl Marx und Fer­di­nand Frei­li­grath gehört ), hat sie hat Bespitzelungen, Dauerbeobachtung durch die Polizei ertragen und Hausdurchsuchungen mitgemacht, Lassalle und ihren Sohn Paul - der inzwischen 17jährige ist zum Kas­sie­rer des Düs­sel­dor­fer Volks­klubs ge­wählt wor­den - zu den ver­schie­de­nen Ver­samm­lun­gen begleitet ( nicht ohne Aufmerksamkeit zu erheischen: De­mons­tra­tiv kehrt sie zum Beispiel am 8. Oktober 1848 in ei­nem Wa­gen nach Düs­sel­dorf zu­rück, der vor­ne mit ei­ner ro­ten Fah­ne und an den Sei­ten schwarz-rot-gold ge­schmückt ist ) - nach dem erschöpfenden privaten Kampf ist bei ihr quasi die Luft raus: Sophie verfällt in eine veritable Depression, die sich auch physisch ausdrückt: "Mit meiner Gesundheit geht es dieses Jahr besonders schlecht. Ich bin auf einem Bein fast gelähmt, und ein Herzübel macht mir viel zu schaffen", schreibt sie an ihren Sohn. Im Sommer darauf muss sie sich einer Kur in Marienbad unterziehen.

Spannungen bleiben nach einer derart nervenzehrenden Zeit nicht aus: Während sie zur Kur ist, versucht Ferdinand Lassalle, nunmehr durch eine von ihr ausgezahlte jährliche Leibrente von 8000 Talern materiell versorgt, durch die Eingabe, seine wissenschaftliche Arbeit an der Schrift "Heraklit" endlich vollenden zu wollen, bei der Berliner Polizei eine Aufenthaltserlaubnis für die Stadt zu bekommen, was jedoch misslingt. Erst nach Fertigstellung des Werkes 1857 hat er durch die Notwendigkeit, das Buch in Berlin drucken zu lassen, die argumentativen Mittel in der Hand, um seinen Aufenthalt in Berlin durchsetzen zu können. Sophie wird diese nach wie vor verweigert: Eine solche Skandalnudel mag der preußische Adel nicht in der Nachbarschaft haben.

Nach Drucklegung seines Buches unternimmt Lassalle eine dreimonatige Orientreise, um der Krise in ihrem Zusammenleben entgegenzuwirken. Schließlich kommt das Paar zu dem Schluss, sein einvernehmliches  Verhältnis vor der Zermürbung des Alltags zu schützen, indem jeder in Zukunft eigenständiger lebt.

Berlin, Potsdamer Platz um 1850
Berlin ist für ihn der richtige Ort, denn dort pulsiert das politische und wissenschaftliche Leben. Auch Sophie hat gute Gründe, in die Hauptstadt zu ziehen, wo ihr Sohn Paul, seit Mai 1848 aus Düsseldorf ausgewiesen, lebt. Doch vorerst muss sie sich eine neue Bleibe in Düsseldorf suchen, bevor sie im Februar 1859 in Lassalles Berliner Wohnung in der Bellevuestraße 13 als Hausfrau auftreten kann. Sie, immer noch attraktiv in tief dekolletierter Robe und dabei unzählige Zigaretten und  Zigarren rauchend, steht seinem Salon vor, genießt die zwanglose Diskussion mit unkonventionellen Geistern wie dem Dirigenten & Komponisten Hans von Bülow, dem ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten von Pfuel, "Kladderadatsch"-Herausgeber Dohm und dem Verleger Franz Duncker.

Wichtig: die Zigarre!
Über das en­ge Ver­hält­nis des ungleichen Paares ist über die Jahrzehnte, ja  Jahrhunderte hinweg, viel spe­ku­liert wor­den:

Al­lein die Tat­sa­che, dass eine ad­li­ge Dame mit ei­nem zwanzig Jah­re jün­ge­ren bür­ger­li­chen Ju­den oh­ne Trau­schein zu­sam­men­leb­t, ist für die da­ma­li­ge Zeit mega - skan­da­lös. Auch, dass der junge Student seine wissenschaftliche Karriere aufgegeben hat, um sich in den Dienst der Gräfin zu stellen, kann man sich nur mit einer romantischen Sichtweise erklären. Schließlich ist Sophie mit 41 Jahren noch eine schöne, majestätisch auftretende und vor allem geistvolle und leidenschaftliche Frau gewesen. Es ist also verführerisch, eine heiße, glühende gegenseitige Liebe zu unterstellen. Und sein bewunderungswürdiger, zäher Einsatz und seine Ausdauer mag man gerne als ritterliche Attitüde auslegen - ein echter Kavalier muss zu damaligen Zeiten dann natürlich ein erotisches Verhältnis leugnen!

Wenn es tatsächlich ein solches Verhältnis gegeben hätte - Graf Edmund hätte es sicher für seine Zwecke ausgeschlachtet, hat er doch selbst Lassalles Diener bestochen!

Lassalle selbst hat sein junges Alter zum damaligen Zeitpunkt betont und ihr freundschaftliches & familiäres Verhältnis wie zwischen einer zärtlichen Mutter und einem ebenso zärtlichen Sohn beschrieben:
"...ich liebe sie wie eine treue Waffengefährtin, die mit mir zehn Jahre des Kampfes und der Gefahren geteilt hat (...) Und glauben sie mir, jeder Mann, der sie so leidend, ihre Leiden so edel und staunenswert tragen gesehen wie ich (...) würde sie ebenso lieben und verehren wie ich. (...) Sie hat ihr Schicksal in meine Hände gelegt: und zwar nicht heute, wo ich einen begründeten Ruf habe, sondern damals, als ich ein junger Mensch von zwanzig Jahren, zwar talentvoll, aber anscheinend machtlos und unbekannt in dieser Welt", schreibt er in seinem berühmten Brief von 1860 an Sophie von Sontzeff.
Auf einer gemeinsamen Reise im Sommer 1861 nach Italien zu Garibaldi und Mazzini lernen Sophie und Lassalle in der Schweiz den ehemaligen preußischen Artillerieoffizier und jetzigen Radikaldemokraten Wilhelm Rüstow kennen, der sich in die sechzehn Jahre ältere Gräfin verliebt und sie heiraten will. Lassalle, der seinerseits durchaus auch Liebesabenteuer unterhält, ist zutiefst verletzt und reist zurück nach Berlin. Fast ein Jahr lang bleibt das Verhältnis zwischen Sophie und Lassalle angespannt. Sie bleibt in Zürich bei Rüstow und reist mit ihm durch Süddeutschland.

Die Spannungen steigern sich, als Lassalle 1863 den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" (ADAV) gründet und eine intensive politische Aktivität entwickelt. Dabei tritt er wohl recht autoritär auf, ein Verhalten, das Rüstow mit seiner radikal demokratischen Einstellung nicht vereinbaren kann, Sophie hingegen aber gutheißt. Das bringt Rüstow in Rage, und die Beziehung der Gräfin zu ihm kühlt ab. Der ADAV wird ein neues, gemeinsames Anliegen zwischen Lasalle und ihr. ( "Unser Denken ist ein gleiches und identifiziertes geworden.") Doch dann kommt etwas anderes dazwischen:
"In der Schweiz lernte Lassalle die junge bayerische Diplomatentochter Helene von Dönniges kennen. Er stürzte sich in eine leidenschaftliche Affäre mit ihr und wollte sie heiraten, wurde aber von ihren Eltern abgewiesen. Daraufhin provozierte er ein Duell mit Helenes Verlobtem, einem rumänischen Bojaren, und wurde dabei am 28. August 1864 schwer verwundet. Die Gräfin eilte an sein Sterbebett, und sie war es, die dem Freund am 31. August die Augen schloß." ( Quelle hier )
Noch an sei­nem To­ten­bett nimmt Sophie sich vor, Ra­che zu neh­men, aber auch, die Ide­en La­sal­les in sei­nem Sin­ne wei­ter­zu­füh­ren.

Mit ihrem Sinn für beeindruckende Inszenierungen be­ab­sich­tig­t sie, den einbalsamierten  Leich­nam Las­sal­les in ei­nem Tri­umph­zug durch al­le Städ­te zu füh­ren, in de­nen Ab­le­ger des ADAV bestehen. In Frank­furt am Main und Mainz gelingen beeindruckende Totenfeiern, doch in Düs­sel­dor­f interveniert die Polizei auf Veranlassung von Lassalles Mutter, die ihn in Breslau bestattet sehen will. Dennoch hat Sophie damit einen weiteren Schritt zum Mythos, zu einem Lassalle - Kult in der deutschen Arbeiterbewegung geschafft, denn ab nun wird er von seinen Freunden und Anhängern abgöttisch verehrt, von seinen Gegnern aber gehaßt und verleumdet. Nur: Diese Anhänger wissen eigentlich nichts Genaues darüber, was sich da in der fernen Schweiz wirklich ereignet hat.

Um sein Lebenswerk zu bewahren, wandelt sich die inzwischen 59jährige zur aktiven Politikerin. Auch die Führer der Arbeiterbewegung halten sie zunächst für die geeignete Integrationsfigur, denn  so  schreibt Wilhelm Liebknecht, einer der Gründerväter der SPD,  an Karl Marx: "(...) die Sache (wird sich) durch die Gräfin (…) am besten durchsetzen lassen (...) " Später  wird er sie dann eine "alte Hexe" schimpfen - die Sozialdemokratie und  die Frauen!

Zwangsläufig entstehen daraus Konflikte: In vielen deutschen Ländern ist Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen verboten ( siehe auch dieser Post ). Sophie von Hatzfeldt kann deshalb auch nur aus dem Hintergrund agieren. Immer mehr Funktionäre finden, sie solle gehen.
"Warum? Weil ich eine Frau bin? Diesen Grund erkenne ich sogar im Allgemeinen nicht an, im Speziellen für mich gar nicht. (...) Sie scheinen mir einen großen Vorwurf daraus zu machen, dass ich es wage, in diesen Angelegenheiten eine eigene Meinung zu haben und dieselbe zu äußern. Ich finde, dass ich ein ebenso großes Recht dazu habe als irgend jemand."
Verstrickt in Flügelkämpfe gerät die Gräfin zunehmend unter Beschuss. "Altweibergeschwätz" heißt es zu ihren Ausführungen, man scheine sich "schließlich auch noch der Suprematie eines alten Weibes unterzuordnen" ( die zeitweiligen ADAV- Präsidenten Tölcke und Perl 1866 ). Ihre Verteidiger werden diffamiert als die, "die das ekle Speichelleckerthum vor einer gräflichen Krone mit der zynischen Unterwürfigkeit unter die Gelüste des Unterrocks verbindet" ( Bernhard Becker, Meininger  Mitbegründer des ADAV und ebenfalls zeitweiliger Präsident ).

Männer wie Marx & Engels, Julius Vahlteich oder Eduard Bernstein werfen Sophie von Hatzfeld Hinterlist, Herrschsucht und Borniertheit vor, als sie die Nachfolge im ADAV mitzuregeln versucht. Als 1869 die "Sozialdemokratische Arbeiterpartei" gegründet wird, verliert der Verein viele Mitglieder. Auch daran gibt man ihr die Schuld.

Eine kleine und bescheidene Rolle in der Historiographie des ADAV darf die rote Gräfin noch spielen: als Geldgeberin. Freilich schätzen sie die Geschichtsschreiber dann auch nicht anders ein als Marx, Engels & Liebknecht, als eine eher dubiose Figur, die mit viel Geld viel Verwirrung gestiftet habe, denn im Jahr 1867 gründet sie als Abspaltung vom ADAV den "Lassalleschen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" (LADAV), dessen Präsident der junge Fritz Mende wird, dem sie in ihrem Testament 24 000 Taler vermacht, um ihre Lebensgeschichte zu schreiben. Im Jahr 1873 gibt Mende seine Position im faktisch schon nicht mehr existenten LADAV auf. Etwa ein Jahr später zieht die Gräfin Hatzfeldt zusammen mit ihm in ein Haus in Heddernheim, einem Stadtteil von Frankfurt, um den inzwischen hochgradig morphiumsüchtigen Mende zu pflegen, der 36jährig 1879 Suizid begeht.

Da haben sich schon vier Jahre vorher, 1875, die Sozialdemokraten und der ADAV zur "Sozialistischen Arbeiterpartei" zusammengeschlossen. Nur einmal greift die "rote Gräfin"  noch einmal in die Politik ein: als Bismarcks Sozialistengesetz 1878 die Arbeiterpartei bedroht. Zwischen Bismarck und Lassalle hat es einstens geheime Verhandlungen gegeben. Die Informationen darüber spielt sie August Bebel zu, der sie in seiner  berühmten Verteidigungsrede als Enthüllungsmunition gegen jenes schändliche Gesetz verwendet.

Im Januar 1874 ist schon ihr geschiedener Mann in Düsseldorf in Sophies Beisein und dem ihrer gemeinsamen Kinder verstorben. Drei Jahre vor seinem Tod und fast zwanzig Jahre nach den Scheidungsprozessen hat Graf Edmund von Hatzfeldt bereits ein Schuldbekenntnis abgelegt, wahrscheinlich in bester katholischer Tradition aus Angst vor dem ewigen Höllenfeuer.:
"Vor Gott meinem Schöpfer und Erlöser bereue ich mein ganzes Leben, insbesondere mein unwürdiges Familienleben. Ich bitte Gott um Verzeihung und gleichzeitig meine Frau, an deren Unglück ich Hauptschuld trage, wie auch ich ihr von Herzen verzeihe."
Ihr Haus in Heddernheim kann die Gräfin finanziell auf Dauer nicht halten und sie zieht ins Hotel "Zum Adler" in Wiesbaden. Wiesbaden hat sie als letzten Zufluchtsort gewählt, weil dort im Stadtteil Frauenstein ihr Sohn Paul 1871 ein Hofgut erworben und zum schlossartigen Familienbesitz mit großem Park hat umbauen lassen. Die "rote Gräfin" ist jetzt glücklich, wenn sie dorthin eingeladen wird und Zeit mit ihren drei Enkelkindern verbringen kann.

Am 25. Januar 1881 stirbt Sophie von Hatzfeldt, von der Öffentlichkeit ganz unbemerkt, in ihrem Hotel an einer Lungenentzündung. Bei ihr sind ihre beiden Söhne. Bestattet wird sie vier Tage später in einem normalen Reihengrab auf dem Frauensteiner Friedhof.

Gehofft hat sie, "daß ne­ben sei­nem (Las­sal­les) gro­ßen Na­men der mei­ni­ge ei­nen be­schei­de­nen Platz be­hal­te als den sei­nes bes­ten und ein­zi­gen Freun­des", doch schon im Nekrolog des "Wiesbadener Kuriers" ist in mehr als der Hälfte des Textes von Lassalle die Rede und er lässt ihn ohne Fehl & Tadel erscheinen. Nichts von Sophies Einsatz bei den revolutionären Bewegungen der Jahrhundertmitte, nichts von der Fortsetzung des Lassalleanismus ohne Lasalle durch sie, nichts von ihrem Beitrag zu Bebels großer Verteidigungsrede gegen die bismarckschen Gesetze wird erwähnt.

Auf eine Biographie, die SIE als Person kenntlich werden lässt, warten wir bis heute, immer steht der berühmte Freund im Vordergrund. Ich hoffe, mir ist es trotz alledem ein wenig gelungen.







9 Kommentare:

  1. Sehr beeindruckend, liebe Astrid,
    es ist Dir mehr als nur "ein wenig" gelungen. Was für ein Schicksal und was für eine Stärke. Deine Schilderungen haben mich tief bewegt.
    Den Begriff Gaslightning kannte ich allerdings nicht.
    Ich wünsche Dir noch eine schöne Restwoche.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  2. Über die rote Gräfin wusste ich gar nichts. Welch bewegtes Leben und welches Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen! Gut, dass Du ihre Rolle ans Licht gebracht hast. Ohne Geld hätte die Gräfin allerdings keinen solch eigenen Status erwirken können. Und auch nicht die Sache Lasalles unterstützen. Gut für sie, dass sie welches hatte!
    Wieder einmal ein spannendes Portrait in Deiner Galerie, liebe Astrid.
    Danke sagt Sieglinde

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  3. Mein Gott, würde man das verfilmen, würde man es als übertrieben und unrealistisch ansehen.
    Danke für ein Portrai einer (wiedereinmal) unbekannten, starken Frau.
    Liebe Grüsse
    Nina

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  4. Was für ein Frauenschicksal! Leider nicht ungewöhnlich in jenen Zeiten, aber letztendlich hat sie sich wehren und befreien können. Ihre Rolle als rote Gräfin war mir gänzlich unbekannt. Sie sollte wirklich bekannter sein.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  5. Und wie dir das gelungen ist, liebe Astrid! Ich bedenke auch, welche Unmengen an Forschungsliteratur man für solch ein Portrait mit allen Blickwinkeln durchtstöbern muss. Beeindruckend. Ich hatte im Zusammenhang mit Lasalle kurz von ihr gehört, kannte aber den wahrlich erschreckenden Hintergrund nicht. Was für ein Leben! Danke für das informative und so plastisch wirkende Portrait! Herzlich, Sunni

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  6. obwohl ich mich mal während meines studiums mit dem vormärz beschäftigt habe, kannte ich nicht mal ihren namen. was ist das wieder für eine unglaubliche geschichte, die man ja als krimi verfilmen könnte. wieviel leid musste diese frau ihr ganzes leben ertragen und wurde nicht mal von den herren sozialdemokraten ernst genommen. ein trauerspiel!
    liebe grüße
    mano

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  7. Welch eine Kraft und Lebensmut muss sie besessen haben, beim Lesen deines Porträts haben mich die Umstände des Ehe- und Familienlebens sehr aufgewüht...Hut ab vor dieser Frau, die mir bislang unbekannt war. Danke, dass du sie mehr in den Fokus gerückt hast.
    Lieben Gruß, Marita

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  8. was für ein erbarmungswürdiges Leben
    da gehört schon viel Kraft dazu so etwas durch zu stehen
    wirklich bemerkenswert
    viele würden einen Bruchteil dessen nicht überstehen

    wieder sehr gut geschrieben
    liebe Grüße
    Rosi

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