Donnerstag, 9. August 2018

Great Women # 150: Emmy Hennings - Ball

Bärbel Reetz Biografie "Emmy Ball-Hennings - Leben im Vielleicht" hatte ich schon bald nach ihrem Erscheinen mit großem Interesse gelesen und unserer Biblothek einverleibt. An die schillernde weibliche Figur im Kreise der Dadaisten und ihr ungewöhnliches Leben wurde ich dann bei einem Bummel durch Zürich mit meinen Enkelinnen im Februar 2016 erinnert, als wir an der Spiegelgasse vorbeikamen und die Frage aufkam: "Was ist eigentlich Dada?" Ich erinnerte mich an Emmy und all die anderen und setzte sie auf meine Liste. Weil sie morgen vor siebzig Jahren gestorben ist, widme ich ihr mein heutiges Porträt:

Emmy Hennings - Ball kommt als Emma Maria Cordsen, Tochter von Anna Dorothea Lund, einer Kapitänswitwe, und Ernst Friedrich Mathias Cordsen, sie Wäscherin, er Schiffstakler auf einer Flensburger Werft, am 17. Januar 1885 in  der Stadt an der Förde zur Welt. Ihre Eltern sind beide zum zweiten Mal verheiratet und haben in ihrem Alter von 48 bzw. 43 Jahren eigentlich nicht mehr mit Nachwuchs gerechnet. Die kleine Nachzüglerin, die den Spitznamen Emmy bekommt, wächst in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, die sie später aber durchaus als glückselig empfindet, wird sie doch behütet von "Engeln ohne Flügel", wie sie später ihre Kindergärtnerin nennen wird. 
Emmy mit ihrer Halbschwester
(1886)*

Emmy scheint ein fantasievolles Kind zu sein, das den Eltern eher seltsam vorkommt und sie ängstigt, wenn sie mit grossen Gesten erzählend umher schreitet und ihrer Freude an der Sprache Ausdruck verleiht. Später wird sie darüber klagen, dass sie in ihrer Umgebung "nicht die Spur von geistigem Leben entdecken konnte."

Noch bevor sie mit vierzehn die Volksschule verlässt, verdient sie sich Geld für Besuche im Stadttheater, indem sie ihrem Lehrer im Haushalt hilft oder Hasenfelle verkauft. Schillers Dramen lernt sie kennen, aber besonders beeindruckt ist sie von "Hanneles Himmelfahrt" von Gerhard Hauptmann. Von seinem Drama "Die versunkene Glocke" beschafft sie sich sogar den Text und führt es für ihre Nachbarinnen auf, alle Rollen und Aufgaben bewältigt sie in Personalunion.

Sie arbeitet als Haushalts- und Küchenhilfe und als Kopiererin und Schriftenmalerin in einem Photoatelier, denn ihre Eltern wollen von der Schauspielerei nichts wissen. Mit achtzehn beschließt Emmy aber, dem Dienstmädchenleben ein Ende zu setzen und mit dem Schriftsetzer & Laienschauspieler Joseph Hennings ein Lebensmittelgeschäft zu betreiben. Bald wird sie schwanger, heiratet Hennings 1904 und bekommt einen Sohn. Eine Wanderbühne reaktiviert die Theaterleidenschaft der Beiden, Emmy bringt den Sohn bei der Mutter in Flensburg unter, und beide schließen sich der Truppe an. Emmys Vagabundenleben beginnt ( und wird später von ihrer Tochter mit "Weglaufsucht" etikettiert ). 

In der nächsten Zeit singt und spielt Emmy alles: Chansons, Volkslieder, Operette, Oper, Kabarett, Schauspiel. Ihr Ehemann verschwindet alsbald, der kleine Sohn Joseph stirbt, die Schauspieltruppe löst sich auf. Da ist Emmy schon wieder schwanger, von Wilhelm Vio, einem weiteren Kollegen. Sie hangelt sich von Engagement zu Engagement und steht auch schon mal ohne da.

Auch die 1906 geborene Tochter Annemarie wird bei der Großmutter aufwachsen, und Emmy lässt sich 1907 offiziell von Hennings scheiden. Sie tingelt nun als ziemlich leichtes Mädchen durch die Welt ( die Rede ist auch von Odessa, Moskau, Budapest ), ist mal Schauspielerin, mal Animiermädchen, Gelegenheitsprostituierte, Hausiererin von Toilettenartikeln wie in Köln - arm ist sie immer. Über diese harten, frühen Lehrjahre auf der Straße wird sie 1920 in "Das Brandmal" schreiben.

1908 gerät sie nach Berlin, wo sie im "Neopathetischen Cabaret" des "Neuen Clubs" den Journalisten und Schriftsteller Ferdinand Hardekopf kennenlernt, mit dem sie 1910 eine Reise durch Frankreich unternimmt. Kurz darauf trennt sich Emmy aber von ihm, der sie zeitweilig auf den Strich geschickt hat. Wie ein gerupfter Vogel fühlt sie sich angesichts der Oberflächlichkeit, der Lieblosigkeit, die sie erfährt. Manchmal komme ihr die Tätigkeit auf der Strasse sauberer vor, als das, was sie auf der Bühne tue, wird sie einmal schreiben. 

1909*
In Berlin tritt sie auch mit der gleichaltrigen Claire Waldoff auf, beginnt Gedichte zu schreiben und taumelt drogensüchtig und haltlos zwischen der Münchner und Berliner Bohème hin und her. 

Diese Mixtur aus Unschuld, Hysterie und Verruchtheit, die Emmy ausstrahlt, fasziniert vor allem ihre männlichen Zeitgenossen - Erich Mühsam, der Anarchist und ebenfalls einer von Emmys Liebhabern, nennt sie gar ein "erotisches Genie". Und er muss schlichten in einem Konflikt mit der Dichterin Else Lasker-Schüler, die Emmy als "geiles kleines Nähmädchen" beschimpft hat, in deren Mund ihr "erlauchter" Name nichts zu suchen habe...

Avantgardistische Dichter wie Johannes R. Becher, Jakob van Hoddis oder Georg Heym rivalisieren ebenfalls um die Gunst der Künstlerin, die immer weiter in eine Spirale der Selbstzerstörung durch ihren Drogenkonsum gerät. Die Gefahr eines existenziellen Absturzes scheint Emmy durchaus zu sehen und sie sucht einen Halt im Katholizismus. 1910, nach den kräftezehrenden Jahren als Wanderschauspielerin, erkrankt sie an Typhus und begegnet ihrem "Todesengel" zum ersten Mal. 1911 lässt sie sich taufen. 

Sie tritt im Berliner "Café des Westens" als Diseuse auf und in München im "Simpl" der Kathi Kobus. Dort lernt sie 1912 - manche Quellen sprechen von den Jahren 1913/14 -  den Dichter Hugo Ball kennen.
Hugo Ball ( 1916)*
Geboren am 22. Februar 1886 in Pirmasens, Sohn eines gut situierten Schufabrikanten, hat Hugo Ball nach einem abgebrochenem Studium in München und Heidelberg die Schauspielschule des Max Reinhardt in Berlin besucht und ist seit Juli 1912 Ensemblemitglied im Münchner Lustspielhaus, den späteren Münchner Kammerspielen. Als er Emmy kennenlernt, arbeitet er als Dramaturg für die Bühne. 
Hugo Ball ist für Emmy zunächst nur einer unter unzähligen Bewunderern, und es dauert seine Zeit, bis sie sich auf ihn einlässt. Immerhin ist er erste Mann, der hinter der erotisch attraktiven Frau auch die Dichterin sieht und ihr auf Augenhöhe gegenübertritt. 1913 hat sie im Verlag von Kurt Wolff, immerhin gefördert von Franz Werfel, zu der Zeit Lektor des Verlages, unter dem Titel "Die letzte Freude" ihren ersten Gedichtband veröffentlicht. 

Sie arbeitet auch für den "Simplicissimus", das berühmte Münchner Satireblatt. Doch denen ist sie bald zu freigeistig und zu wenig patriotisch, als das Blatt mit Kriegsbeginn sein Fähnchen peu à peu in den nationalistischen Wind zu hängen beginnt, und ihr wird 1914 gekündigt. 

Auch ihr Engagement an den Münchner Kammerspielen, an die sie Hugo Ball geholt hat, endet, weil das Theater geschlossen wird. Sie kommt wegen Diebstahls und Verdachtes auf Hilfe zur Fahnenflucht bei der Desertion des Anarchisten Franz Jung für sechs Wochen ins Gefängnis - diese "militärische Schutzhaft" bewirkt eine traumatische Erfahrung für die 29jährige.

Nach ihrer Entlassung 1915 kehrt Emmy noch einmal nach Berlin zurück, bevor sie mit Hugo Ball vor der wachsenden Kriegsbegeisterung und dem kulturellen Kahlschlag im Kaiserreich flieht und im Mai in der Schweiz Zuflucht sucht, in Zürich, damals "Brennpunkt kritischer Energien, ein Zentrum revolutionärer Temperamente". Nun gelten sie als fest verbundenes Paar - im Jargon der Zürcher Polizei als "Concubinatspaar", finanziell zunächst unterstützt vom Schweizer Arbeiterarzt & libertären Sozialisten Dr. Fritz Brupbacher, und stehen unter polizeilicher Beobachtung. Beide verdingen sich diversen Varieté-Ensembles  ( Hugo Ball als Klavierspieler ) und tingeln schließlich durch Schweizer Bodensee - Städte. Ansonsten hungern sie sich wieder mal durch und sind als gefährliche Ausländer immer wieder von Ausweisung bedroht. Zu ihnen stößt dann auch noch die neunjährige Tochter, nachdem Emmys Mutter in Flensburg verstorben ist. 

Emmy ist bald des Tingelns müde. In all den Jahren hat sie aber auch genügend Überlebensstrategien erprobt: Nun gründet sie zusammen mit Hugo ( Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara und Marcel Janco stoßen erst später dazu ) im Februar 1916 an der Spiegelgasse 1 in Zürich das "Cabaret Voltaire", auch als ein pazifistisches Künstlerforum, und sie bringen so die dadaistische Bewegung auf den Weg.
"Dada – das Wort stammt von mir. Ich habs in einer Spielerei oft Hugo gesagt, wenn ich spazieren gehen wollte. Alle Kinder sagen zuerst: Dada", reklamiert Emmy die Begriffsfindung in ihrem Buch "Rebellen und Bekenner" 1929 für sich.
Ideengeber ist aber meist Hugo Ball. Emmys Beitrag besteht darin, dass sie als Einzige mit Kabarett-Erfahrung singen, tanzen und damit Menschen mitreißen kann. Denn unter den Besuchern sind nicht nur Intellektuelle, politische und künstlerische Emigranten, sondern auch ganz normale Schweizer Bürger, die unterhalten werden wollen und meutern, wenn sie geistig überfordert sind. Dann wirft Emmy die Beine in die Luft, singt Couplets und wird so zum Publikumsmagneten und eigentlichen Star des Cabarets, was heutzutage auch zweifelsfrei anerkannt ist.

Dada ist aber auch eine Bewegung, die den Krieg verabscheut. Und so trägt Emmy nicht nur eigene Gedichte vor, gelungene Dokumente ihrer Selbsterforschung, sondern auch Antikriegslieder, wie z. B. dieses mit dem Text ihres Partners:
"So sterben wir, so sterben wir, / So sterben wir alle Tage. / Weil es so gemütlich sich sterben lässt […] Die Schlacht ist unser Freudenhaus / Von Blut ist unsre Sonne […] So morden wir, so morden wir / Und morden alle Tage […]."
Auch die kleine Annemarie ist beteiligt am Projekt "Dada", wie sie später ihrem Enkel erzählen wird, stellt sie doch in der im Frühjahr 1917 in der Zürcher Bahnhofsstraße dazu gekommenen "Galerie Dada" zwischen all den Picassos und Werken anderer Künstler ihre Zeichnungen aus und verkauft sie erfolgreich.

Collage mit Emmy Hennings im Zentrum, Hugo Ball rechts unten
Source


Hugo Ball hingegen tritt im Cabaret als Laurentius Tenderenda, bizarr kostümiert mit einem "Schamanenhut" als "Ritter aus Glanzpapier" auf. 

Schon nach wenigen Monaten flieht er, vom Spektakel ausgebrannt, ins Tessin. Dort erfindet er sich neu als asketischer "Kirchenpoet" und schreibt an Heiligengeschichten. Tenderenda ist sein "alter ego", der zwischen christlichen, dadaistischen und anarchistischen Energiepolen hin und her schwankt & schwingt. Ausgerechnet den "Tenderenda" - Roman wird Emmy später als "Dokument des Übergangs" abqualifizieren, weil sie befürchtet, dass die spätere Katholizität ihres Gefährten nicht ernst genommen wird. Das Experiment Dada ist für die Beiden nämlich nach einem Jahr beendet:
"Ich habe eine Aversion gegen den Dadaismus gehabt. Es waren mir zu viele Leute entzückt davon", erklärt sie später. "Keiner von den Dadaisten hat auch nur eine Bibliothek verbrannt. Niemand hat eine Maschine zertrümmert. Alle Autos sind heil geblieben, und unsere Soiréen waren gut besucht von Fünf-Uhr-Tee-Leuten." ( "Rebellen und Bekenner" )
1917 zieht das Paar zusammen mit Annemarie ganz ins Tessin. Dort ist ihr Nachbar Hermann Hesse, der alsbald ihr Freund wird und dafür sorgt, dass die materielle Existenz der immer weltfremder werdenden mittellosen "Aussteiger" gesichert ist. Statt Dadaismus werden ihnen nun Mystik und Religion zur Heimat ( 1922 kehrt auch Hugo Ball zum katholischen Glauben zurück ).

Emmy schreibt nun immer mehr und gibt ein weiteres literarisches Debüt mit dem 1919 erschienenen Buch "Gefängnis". Darin erzählt sie von ihrem Gefängnisaufenthalt 1912, als sie wegen "Beischlafdiebstahls" inhaftiert gewesen ist. Das Echo in den Medien ist groß und überwiegend wohlwollend, beschreibt doch erstmals eine Frau ihre derartigen Erfahrungen und das auch noch mit literarischem Anspruch, subjektiv & radikal. Dennoch ist dem Buch kein großer Erfolg beschieden und wird gänzlich aus dem Repertoire verschwinden, gemeinsam mit dem Verlag, der 1936 von den Nationalsozialisten aufgelöst werden wird ( eine Neuveröffentlichung gibt es aus Anlass des Dadajubiläums dann erst wieder 2016 ).

Immer schreibt sie auch Gedichte.  Aber die zeigen, dass Emmy, poetisch betrachtet, keine Dadaistin, sondern eine Spätromantikerin ist. Ihre Lyrik strotzt vor Selbstverneinung und Selbstbezichtigungen, weil sie ihr Alltagsverhalten als ausgesprochen sündhaft empfindet und eigentlich als Katholikin nicht billigen kann ( auch nach ihrer Konversion hat sie sich nämlich immer mal prostituiert, um mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter überleben zu können ). Emmy bleibt zeitlebens ein "tiefe Schuld sühnendes Kind", so ihre spätere Biografin Bärbel Reetz. Und trotz aller guten Vorsätze ist sie unfähig zur Monogamie, auch als sie im Februar 1920 Hugo Ball heiratet. "Wir wollen nicht vorausdenken", schreibt sie in ihrem Tagebuch. "Wir wollen nicht nach Flitterwochen, sondern nach Flitteraugenblicken denken."
1920*

Hugo Ball findet sich oft in der Rolle des väterlichen Beschützers, ist aber auch zu gewaltigen Eifersuchtsszenen fähig und auch diese Künstlerehe ist, wie so oft, argen "Fliehkräften" ausgesetzt.
"Wie so häufig in dieser Beziehung ist das Getrenntsein für das Paar ein besseres Bindemittel als das Zusammenleben, erlaubt die gegenseitigen Projektionen, aus denen ihre Beziehung lebt", so Bärbel Reetz in ihrem zweiten Buch über das Paar Hennings - Ball.
Also reist Emmy umher, allein oder mit ihrer Tochter. Und er kämpft immer wieder um Zeit für sich, um seine Bücher zu schreiben. So sitzt er einmal im Winter bibbernd vor der Schreibmaschine, um die Heizkosten zu sparen. Als Emmy ihre Tochter aus Italien, wo die beiden sich den Winter über aufhalten, vorab nach Hause schicken möchte, sieht er aber seine "eiskalte fragile Gelehrteneinsamkeit" gefährdet, denn er müsste wegen des Kindes heizen und sich um Essen kümmern. Dabei müsse er doch sein Buch "Kritik der deutschen Intelligenz" überarbeiten! Dennoch gibt er nach, denn er ist ein dem Mädchen zugeneigter "Vater".
"Hugo Ball litt. Er litt an Deutschland, das in seinen Augen schuld hatte am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, er litt am deutschen Geist, der in die Katastrophe geführt habe. Er war ein strenger und hellwacher Beobachter der akuten intellektuellen Strömungen und ein akribischer Deuter der intellektuellen Traditionen, ein Deuter, der seine Ansichten anhand der Quellen beweisen und nicht nur behaupten wollte." ( Quelle hier )
Die Familie Hennings-Ball 1925*
Auf Dauer sind die aufreibenden Lebensumstände des Paares schwer durchzustehen. Hugo Ball bleibt ein erfolgloser Schriftsteller: "Vom unerledigten Heiligen auf Erden mochten damals die wenigsten etwas wissen (... ) Er war ein einsamer Intellektueller im Weinberg des Herrn."

Und immer wieder muss er mit offenen Armen die immer getriebene, unbändige Emmy, die so gerne eigentlich die Augen zur Mutter Gottes erhebt, in Empfang nehmen.

Unter den freundschaftlichen Beziehungen dieser Jahre ist die zu Hermann Hesse herausragend. Hesse bleibt trotz mancher Schwankungen ein enger Freund sowohl Hugos, als auch Emmys. Er setzt sich bei seinen Förderern immer wieder für die Beiden ein und sorgt schließlich auch dafür, dass Hugo Ball die erste Hesse-Biografie verfassen kann.

Für Außenstehende ist die nahezu bigotte Frömmigkeit der beiden Künstler kaum nachzuvollziehen, auch nicht für Hesse. Der meint denn auch zu Emmys 1926 erscheinendem Buch "Der Gang zur Liebe": "Liebe Emmy, ich blicke in die liebe Heiligen- und Glaubenswelt Ihres Buches hinüber wie ein verhungerter Arbeitsloser am Silvesterabend in das Schaufenster eines eleganten Blumenladens blickt."

Schließlich erkrankt Hugo Ball an Magenkrebs, wird zunächst in Zürich operiert, stirbt dann aber am 14. September 1927 im Tessin. Emmy trauert und in ihren ersten Büchern nach seinem Tod verklärt sie ihre Beziehung völlig ( erst in ihrem letzten Erinnerungsbuch lässt sie die Risse aufscheinen ). Hermann Hesse setzt dem Freund in der Erzählung "Narziß und Goldmund" ein Denkmal.

Sie nimmt ihr unstetes Leben wieder auf, das wieder von extremer Armut und Krankheit gezeichnet ist. Sie selbst bezeichnet ihre Reisen als "Zickzackfahrten ins Blaue" und gibt ihnen den Anstrich von Leichtigkeit, die sie sicher nicht haben.

Auch wenn Emmy vielen Zeitgenossen religiös entrückt scheint, ist sie politisch wach angesichts der Veränderungen im Nazideutschland und besorgt um viele ihrer Freunde. 1934 reist sie nach Berlin, um dem ehemaligen Geliebten Erich Mühsam zu einer Entlassung aus dem KZ Oranienburg zu verhelfen ( Hermann Hesse hat ihr da die Unterstützung verweigert, was ihr Verhältnis sehr belastet hat ). Ob sie ihn noch einmal angetroffen hat, ist nicht belegt. Mühsam wird 1934 von den Nazis hingerichtet ( siehe auch diesen Post ).
1942*

Sie schreibt neben ( auto ) - biographischen Werken, Erzählungen, Märchen und Legenden und Gedichte und bringt ab 1926  - mit einer größeren Pause zwischen 1933 & 1937 - neun Bücher heraus und macht sich verdient um den Nachlass und die Herausgabe der Werke ihres Mannes.

Ihr Leben spielt sich aber immer am Rande des Existenzminimums ab, und 1942 muss sie auch noch wegen Besitzerwechsels das geliebte Haus an der Piazzetta Roncorino in Agnuzzo am Luganersee verlassen. Um ihre spärlichen Einkünfte aus dem Verkauf der Bücher, von Zeitungsartikeln und Geschenken ihrer Freunde aufzubessern, hat sie im Haus überm See, ihrem "Paradies", Zimmer vermietet & während des Krieges Soldaten aufgenommen.

In ihrem Tagebuch reflektiert sie ihr Leben:
"Es kam mir einmal vor, als könne es nichts Interessanteres auf der Welt geben als mich und mein Schicksal. Welch eine Einbildung! Aber man braucht sie wenn man jung ist. Es fragt sich nur, wieviel Umwelt man in sein Schicksal hineinsieht. Die Zeit. Wenn man alt wird verliert man das Interesse an sich selbst..." ( Quelle hier )
Kurz vor ihrem Lebensende arbeitet Emmy noch in einer Tabakfabrik und als Besenbinderin. Sie stirbt am 10. August 1948 nach vielen Klinikaufenthalten an einer Lungenentzündung in Sorengo bei Lugano, 63jährig. Zuvor hat sie in einem Gedicht ihrer Todesahnung noch Ausdruck gegeben:
"Mir ist, als ob ich schon gezeichnet wäre / Und auf der Totenliste stünde. / Es hält mich ab von mancher Sünde, / Wie langsam ich am Leben zehre! // Und ängstlich sind oft meine Schritte, / Mein Herz hat einen kranken Schlag / Und schwächer wird's mit jedem Tag. / Ein Todesengel steht in meines Zimmers Mitte. // Doch tanz ich bis zur Atemnot. / Bald werde ich im Grabe liegen, / Und niemand wird sich an mich schmiegen. / Ach, küssen will ich bis zum Tod."
An der Seite ihres Mannes wird sie auf dem "Hesse - Friedhof" Sant’Abbondio in Gentilino beigesetzt.

Lange Zeit wird Emmy Hennings - Ball nur als reizende, literarisch begabte Amateurin betrachtet und ihre Tagebücher, ihre Gedichte und ihre Prosawerke werden in der Literaturgeschichte der Nachkriegszeit höchstens in einer Fußnote zum Dadaismus aufgeführt. Dabei sind ihr einige der schönsten Liebesgedichte in deutscher Sprache geglückt. Ihr Zeitgenosse, väterlicher Freund und Förderer Hermann Hesse hat ihren künstlerischen Rang bereits 1922 anerkannt.

Inzwischen kann man Emmy Hennings - Ball in all ihren literarischen Facetten kennenlernen, seit Christa Baumberger und Nicola Behrmann die erste kommentierte Studienausgabe ihrer Werke, die meist verstreut in Zeitschriften und Anthologien erschienen sind und die als Bücher lange Zeit vergriffen waren, im Wallstein Verlag auf den Weg gebracht haben.








* Die Fotos in diesem Post veröffentliche ich mit Erlaubnis des Schweizerisches Literaturarchivs (SLA), Bern. Nachlass Ball-Hennings.


8 Kommentare:

  1. Wieder mal eine mir völlig unbekannte Künstlerin, die Du heute so lebhaft vorstellst. Eine echte Über-Lebenskünstlerin noch dazu. Was für ein Durcheinander in diesem Leben und was für ein Kampf ums Überleben im Alltag. Ich kann mich immer nur wundern, wo solche Frauen die Kraft hergenommen haben.
    Gut, dass Du sie hier vorgestellt hast. Sie hat diese Anerkennung Ihres künstlerischen Werkes und Ihres kraftraubenden Frauenlebens voll verdient.
    GlG Sieglinde

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Astrid,
    meine Bibliothek ist ja nicht gerade klein und die Bücher stehen darin auch nicht, weil sie attraktiv sind, aber die Hennings ist mir irgendwie bisher entwischt. Jetzt nicht mehr! Danke und einen feinen Tag
    Elisabeth

    AntwortenLöschen
  3. Sehr spannend... ich kannte einige Texte von Hugo Ball, Erich Mühsam ist mir ein Begriff und Stefan Heym ja, mein favorisierter Hans Eckhardt Wenzel hat einige der Texte verwendet. Emmy Hennings-Ball kannte ich bisher nicht. Es war wohl, noch ,mehr als heute, eine schwierige Zeit für " Außenseiterinnen ". Und es lohnt sich sicher, da einmal nachzulesen. Mal sehen, vielleicht werde ich in der Bücherei fündig. Danke und LG Gitta

    AntwortenLöschen
  4. Es wäre interessant zu forschen, was in der Kindheit ihr die Welt des Theaters und der Literatur geöffnet hat oder den Boden bereitete. Auf jeden Fall scheint sie wahrlich in den Wogen der Kunst eine Überlebens"künstlerin" und manchmal fast eine Getriebene gewesen zu sein.
    Danke für die spannende Biographie!
    Liebe Grüße
    Andrea

    AntwortenLöschen
  5. Was für eine bewegende Lebensgeschichte!
    Dada/Dadaismus hat mich zum Ende meiner Realschulzeit sehr interessiert. Entsprechend fiel meine Wahl zum erreichten Buchpreis aus. In diesem Buch blätternd, das ich noch habe, fand ich Hugo Ball, aber nicht Emmy. Schade!
    Doch eins fiel mir beim Blättern dieses alten Bildbands auf: Stände er heute irgendwo zum Mitnehmen, er wäre flugs in meiner Tasche!
    Viele Grüße,
    Karin

    AntwortenLöschen
  6. was für eine lebensgeschichte - mir ist ja beim lesen ganz schwindelig geworden! ich kannte die namen, aber nicht die hintergründe und schon gar nicht diese details, die ich wirklich ziemlich grausam finde. armut und krankheit scheinen ihre hauptbegleiter gewesen zu sein. gut, dass sie durch die herausgabe der studienausgabe und der biographie nachträglich gewürdigt wurde!
    liebe grüße
    mano

    AntwortenLöschen
  7. Ich glaube, sie war mir noch nie über den Weg gelaufen, ebensowenig ihr Mann. So ein spannendes Schicksal wieder, so ein schweres Leben, so viel Hin und Her... Liebe Grüße Ghislana

    AntwortenLöschen
  8. Und wieder hast du mir eine so interessante Frau mit ihrem bewegten Leben näher gebracht! Dass sie den Begriff dada geprägt hat... auch das hatte ich noch nie gelesen.
    LG Ulrike

    AntwortenLöschen

Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass dieser und die personenbezogenen Daten, die mit ihm verbunden sind (z.B. User- oder Klarname, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.