Wer mit Eltern aufgewachsen ist, die den Krieg mitgemacht haben, der ist um "Lili Marleen" und seine Interpretin nicht herumgekommen, erfreute sie sich doch auch noch großer Beliebtheit im Fernsehen der Wirtschaftswunderjahre: Lale Andersen, die vor 53 Jahren im August gestorben ist.
"Was geht Euch denn mein Leben an?
Da hängt viel Freud und Tränen dran."
Lale Andersen kommt am 23. März 1905 als Liese-Lotte Helene Berta Bunnenberg in Lehe zur Welt, damals ein Marktflecken der Provinz Hannover, heute zu Bremerhaven gehörig. Unübertroffen bleibt das Durcheinander, das sie später durch ihre diversen Altersangaben verursachen wird: Da ist von 1900 bis 1915 alles dabei. Per Geburtseintrag in Lehe ist das Jahr 1905 amtlich verbrieft, dank auch der Anzeige der Hebamme Luise Olthaver fünf Tage nach der Geburt des Mädchens.
Ihre Mutter ist Berta Adelheid Czerwinski, 32 Jahre alt und aus dem preußischen Kreis Marienwerder stammend, ihr Vater der Schiffssteward Adolf Georg Bunnenberg, vier Jahre älter als seine Frau, Sohn eines Glasermeisters im nahen Kreis Geestemünde. Lale ist ihre zweite Tochter: Thekla Berta Auguste ist schon 1897 geboren.
Der Vater fährt für den Norddeutschen Lloyd zur See, während seine Frau mit den beiden Mädchen in der Lutherstraße 3 in einem durchaus stattlichen Gründerzeithaus, gleich um die Ecke zur Hafenstraße, in einer Wohnung mit Stube, zwei Kammern, Küche und Toilette wohnt. Die Mutter muss also weitgehend alleine Haushaltsführung & Kindererziehung verantworten. Mit 35 Jahren bekommt sie schließlich noch einen Sohn namens Helmuth Hinrich Adolf Georg.
Wenig ist über das Aufwachsen des Mädchens im kleinbürgerlichen Milieu bekannt. Sie selbst wird sich später als "friedliches, fröhliches kleines Mädchen und meiner Umgebung in keiner Weise verdächtig" beschreiben ( Quelle hier ).
In ihrem späteren Selbstporträt wird sie auch berichten, dass sie ab ihrem 13. Lebensjahr die Lektüre von Schiller & Shakespeare der der Bücher Johanna Spyris vorgezogen und sie sich vom Bremerhavener Buchhändler Lyrikbändchen von Reclam zu Rilke, Goethe und Edgar Allen Poe gewünscht habe. Musikliebend wie sie ist, bedingt sie sich zu einem späteren Weihnachtsfest eine Kirchenorgel aus, erhält allerdings sein altes Schifferklavier, mit dem sich der Vater zu Volksliedern & Shanties selbst begleitet hat.
Eingeschult wird Lale 1911 in die Kaiserin-Auguste-Victoria-Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zur elterlichen Wohnung, eine höhere Töchterschule. Das Klassenfoto aus jenen Tagen zeigt ein anmutiges Kind, schlicht gekleidet, ganz ohne Rüschen & Schleifen.
In ihrem ersten Schuljahr zieht die Familie um in die Uferstraße 1 in Bremerhaven, direkt an der Geeste, 1913 geht es wieder zurück nach Lehe in eine Seitenstraße der Hafenstraße - jedes Mal wird eine politische Grenze überschritten, von Preußen ins bremische Bremerhaven und zurück. Für Lale ist das auch immer mit einem Schulwechsel verbunden. In Bremerhaven ist das das Wode - Lyzeum, an dem 1913 die ersten Mädchen in Deutschland das Abitur ablegen können, also ein fortschrittliches Institut.
Lale verlässt die Schule allerdings schon mit fünfzehn Jahren vorzeitig. In der Meldekartei von Lehe ist sie ab da als Kunstgewerbe-Schülerin verzeichnet, findet sich aber nicht in der Kartei der Kunstgewerbeschule Bremen. Wahrscheinlich hat sie Privatunterricht genommen.
Im 1921 lernt sie beim "Bürgern" auf der Bremerhavener Hauptstraße den Kunstmaler Paul Ernst Wilke, elf Jahre älter als der Teenager, kennen, den sie im März 1922 heiratet, höchstwahrscheinlich auch, um dem gestrengen Regime der Mutter zu entfliehen.
Wilke hingegen kommt aus einer ihr unbekannten, faszinierenden Welt, geprägt durch Wander- & Studienjahre, die ihn bis nach Düsseldorf an die Kunstakademie geführt haben. Dem Ersten Weltkrieg verdankt er einen gelähmten linken Arm, aber auch Studienmöglichkeiten in Berlin und eine Studienreise nach Italien. In Bremerhaven verdient er seinen Lebensunterhalt vor allem mit impressionistischen Landschaften. Gleichzeitig umgibt ihn ein Hauch von Weltgewandtheit, und Lale sieht in ihm die Chance, ihre Kleinbürgerwelt hinter sich lassen und in die Bohème aufsteigen zu können.
Der Vater unterstützt die Heiratsabsichten seiner 17jährigen Tochter und finanziert die Hochzeitsreise nach Mainfranken & den Taubergrund. Später kann das junge Paar in das Haus des verstorbenen Künstlerkollegen Wilhelm Wittland in der Poststraße in Bremerhaven einziehen.
Für ihn beginnt eine produktive Zeit, sie wird erst einmal Mutter: Im März 1924 kommt der Sohn Björn zur Welt. Lale begleitet ihren Mann jedoch auch auf seinen Studienreisen, sekundiert von ihrer Schwester Thekla. 1927 im August bringt sie die Tochter Carmen - Litta, fast genau zwei Jahre später den Sohn Michael zur Welt. Die kinderlose Thekla wohnt in Bremen, wohin es alsbald auch Lale zieht, denn sie sucht deren Unterstützung, die Großstadtatmosphäre und die Welt des Theaters, während ihr Mann lieber Licht & Landschaft am Meer schätzt. Durch seine vielen Studienreisen hat er ohnehin viel mehr Abwechslung, Lale hingegen teilt das Schicksal ihrer Mutter Berta, muss sie doch auch immer wieder auf die Heimkehr ihres Künstlergatten warten. Theaterbesuche können sie nur bedingt über diese Ehesituation hinwegtrösten, denn sie will eigentlich selber auf der Bühne stehen.
Ihr jüngstes Kind ist gerade sechs Wochen alt, da bricht die 24jährige auf nach Berlin. Ihre Motive liegen im Dunkeln. Ihr Mann wird ihr in einem späteren Brief zugestehen, dass man sich mit einer Berufung zum Künstler halt abfinden müsse. Die Kinder wachsen ab da getrennt voneinander auf, Björn zunächst beim Vater, Litta bei Tante Thekla und Michael kommt zu Großmutter Berta und später, ab 1931, in ein Schweizer Kinderheim.
Lale geht mit durchaus gemischten Gefühlen in die damals drittgrößte Stadt der Welt, glücklicherweise ist sie wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Berlin wird für sie wie für viele andere junge Frauen das Sprungbrett aus der Anonymität. Sie studiert Rollen aus Texten von Ringelnatz, Tucholsky und Bert Brecht, besucht Kabaretts, Varietés, Kinos & Theater und das Romanische Café, holt im Sommer aber auch ihre Kinder zu sich und verbringt mit diesen die Zeit an den Berliner Seen.
Willi Schaeffers, u.a. Kabarettist, bietet ihr die Möglichkeit im Studio des "Kabaretts der Komiker" aufzutreten, wo er als Conférencier agiert. Das Studio ist quasi ein Talentschuppen, doch Schaeffers findet Lale zunächst nicht wirklich begabt, im Gegensatz zu den Rezensenten, die die Anfängerin als besonders - "mit eigener Note"-, eigenwillig, "norddeutsch-vernünftig" beschreiben. Auch als Interpretin "Brechtscher Stilart" erheischt sie Anerkennung. 1931 tritt sie im Kabarett "Ping-Pong", gerne im Matrosenanzug, auf, wo man sie sogar als "mitreißend" erlebt. Einmal wird ihr sogar Reinhardtsche Bühnen-Schulung unterstellt ( was wohl nicht Fakt ist ).
An ihrem 26. Geburtstag wird ihr das Scheidungsurteil zugestellt, noch heißt sie Lieselott Wilke, verdient ihr Geld mit Chansons im Radio, macht aber auch tolle Bekanntschaften, z.B. mit Lotte Lenya & Kurt Weill, Friedrich Hollaender, Blandine Ebinger,Ernst Toller, Erich Kästner, Walter Mehring, Hans Albers und Heinz Rühmann.
Sie geht mit einem explizit politischen Programm auf Gastspielreise, und ihre "schlichte, durch stereotype Gesten proletarisch betonte Vortragsweise" wird selbst in Zürich gerühmt, wo sie im "Cabaret Mascotte" auftritt. Auch als Schauspielerin reüssiert sie in der Hauptrolle in der Komödie "Der Strich durchs Zimmer". Drei Monate bleibt sie in der Schweiz, tritt in einem weiteren Schwank auf und kehrt erst nach einem Urlaub an der Côte d'Azur nach Berlin zurück, wo sie u.a. für "Mahagonny" engagiert wird - immer noch als Lieselott Wilke, immer noch "Nachwuchs, wie er gebraucht und gesucht wird." ( so ein Artikel in "Das Organ" ) Die Rolle ist recht bescheiden, aber sie singt mit ihren fünf Mitspielerinnen und Lotte Lenya den bis heute berühmten "Alabama-Song".
Während sie immer erfolgreicher wird, wird der Vater ihrer Kinder gepfändet, kann keine Alimente mehr zahlen und der älteste Sohn kommt ebenfalls in ein Kinderheim. Litta ist mit der inzwischen in der Schweiz verheirateten Tante Thekla zu deren gut situiertem Ehemann gezogen. Michael, vorübergehend bei seiner Mutter in Berlin lebend, wird ebenfalls wieder in einem Heim untergebracht. Nun liegt die ganze Last, für den Lebensunterhalt aufzukommen, auf der jungen Künstlerin.
Von links nach rechts: Norbert Schultze, Hans Leip, Rolf Liebermann (1957)
In Berlin lernt Lale den Pianisten Frank Norbert kennen - bürgerlicher Name: Norbert Schultze - der später als Komponist der erfolgreichen musikalischen Variante von "Lili Marleen" in die Geschichte eingehen wird. Er verehrt Lale ein kleines Chanson zu Walter Mehrings "Die kleine Stadt". Sie ist wohl seine erste Liebe, die ihn aber "sehr enttäuscht".
Meist tourt das "schmalhüftige Friesenmädchen" mit einer Mischung aus Großstadtlyrik und Matrosenliedern über Kleinkunstbühnen und findet damit großen Anklang.
Noch 1933 erhält sie ein Engagement am Schauspielhaus Zürich in der Revue "Höchste Eisenbahn" von Friedrich Hollaender, anschließend gastiert sie mit ihrem ersten eigenen Programm "Chansons 1933". Sie lernt in der Schweiz den Komponisten und späteren Hamburger Intendanten Rolf Liebermann, Schweizer Bürger, Neffe des berühmten Berliner Malers, Jude, fünf Jahre älter als sie, kennen. Liebermann vertont für sie Texte von Brecht, Ringelnatz, Kästner und anderen Autoren. Gemeinsam touren die beiden durch Schweizer Städte, Liebermann begleitet ihren Gesang am Klavier.
Erste Hälfte der 1930er Jahre
Er wird ihre große Liebe, aber sie kann sich nicht zu einer Entscheidung für ein Leben als Ehefrau an seiner Seite durchringen. An die Aufgabe ihres Berufes kann sie schon allein aus finanziellen Gründen nicht denken, Geldnot hat sie genug erfahren. Und einzig mit Auftritten auf Schweizer Bühnen kann sie die materiellen Bedürfnisse ihrer Familie nicht stemmen.
Inzwischen haben die Nationalsozialisten ja ihr judenfeindliches, undemokratisches Regime in Deutschland errichtet. Eine Entscheidung für eine Ehe & ein Bleiben in der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird ihr schließlich die Schweizer Fremdenpolizei 1935 abnehmen, die sie als "zügellose Person" einstufen, die "in sittlicher Hinsicht kein einwandfreies Leben führt", und eine erneute Einreise ablehnen, auch, weil sie Mietschulden für ihre Wohnung in Zürich angesammelt hat.
Bis dahin können Lale & Liebermann, wie Liebespaare der Weltliteratur, nicht immer einfach zueinander finden. Im Sommer 1933 taucht Lale erst einmal ab, da keine Bühnenverpflichtungen: Mit Liebermann geht sie auf eine Reise nach Spanien, bevor sie im November wieder auf Schweizer Bühnen gefragt ist. Nach dem späteren Einreiseverbot können sie sich nur noch Briefe schreiben und stehen sich erst 1945 an der Grenze am Bodensee wieder gegenüber. Doch die Zeit kann man nicht ungeschehen machen.
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten muss Lale, dem Frauenbild der Nazis entsprechend, den Matrosenanzug öfter mit einer Art Norwegerkleid vertauschen und ihre Haare "fraulich" ondulieren sowie ihre Textauswahl entschärfen.
Die "Maid von der Waterkant", so einer ihrer Kosenamen, nennt sich ab 1934 Lale Andersen und wird immer mehr auf das Fach der Seemannsbraut festgelegt. Veranstalter kündigen sie sogar als "Die Nordsee persönlich" an. Zunächst ergattert sie aber noch kleinere Rollen als Schauspielerin am Züricher Schauspielhaus und in den Münchner Kammerspielen ( "Ihr erster Mann", ein Schwank mit Heinz Rühmann ).
Zweite Hälfte der 1930er Jahre
Mit dem Singen hat sie allerdings mehr Erfolg: 1935 beginnt die "glückliche Simpl-Zeit" im Münchner Kabarett "Simplicissimus" des Theo Prosel in der Türkenstraße.
Die Auftritte der Dreißigjährigen bleiben aber weniger zahlreich als in den Jahren zuvor. Im Berliner Wintergarten kann sie noch mal im Matrosenanzug das Publikum als "Nordseekrabbe" begeistern. Immer häufiger ist sie im Radio zu hören. Doch optisch wird aus der kessen jungen Künstlerin eine brave, weiblich - mütterliche Sängerin, ganz im Geiste der herrschenden Ideologie.
Im "Simplicissmus" trägt sie auch zum ersten Mal 1937/38 die "Lili Marleen" vor, noch in der Vertonung von Rudolf Zink.
Ob sie der Nazi-Ideologie anhängt oder nur dem Druck des Geldverdienens nachgibt, ist schwer herauszubekommen. Sie selbst wird über sich später urteilen, dass sie "eine erschreckende Beziehungslosigkeit zum Zeitgeschehen" gehabt habe. Antisemitin ist sie sicher nicht, ist sie doch befreundet mit vielen jüdischen Menschen in Deutschland wie der Schweiz und hat vor der Machtergreifung eine Vorliebe für linke, oftmals jüdische Schriftsteller & Komponisten an den Tag gelegt. Über ihren Umgang mit der täglichen Ausgrenzung & Verfolgung wissen wir nichts. Aufgrund ihrer eigenen Lebensumstände kann sie dem nazistischen Frauenideal eigentlich nicht gerecht werden.
1938 CC BY 3.0 DE
Sie singt also weiter vom "Jungen an der Reeling", "Liebeslied am Hafen", "Backbord ist links", "Der kleine Seemann", aber auch "Einmal noch nach Bombay" und weitere Songs des Duos Leip/ Schultze, außerdem isländische, schwedische oder dänische Volksweisen, alles "fades Zeug", so Lale. Mit einem solchen Programm bestreitet sie Veranstaltungen der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der NSG "Kraft durch Freude", auch bei einem Empfang des Reichsorganisationsleiters der NSDAP bzw. NSG & der Arbeitsfront, Robert Ley. 1939 kommt bei Electrola das "Lied eines jungen Wachpostens/ Lili Marleen" in der Vertonung von Schultze als Schallplatte heraus - ohne große Resonanz! Lale selbst kann keinen rechten Gefallen an der ihr ungewohnten und ihrer Meinung nach unpassenden Melodie finden.
Bei ihren Auftritten wie im alltäglichen Leben begleitet sie zu dieser Zeit der gleichaltrige Pianist Carl Friedrich "Fritz" Pasche, mit dem sie mit ihren Kindern einen letzten kriegsfreien Sommer auf Norderney verbringt.
Für Lale wie Pasche beginnt 1940 die Zeit der sogenannten Fronttourneen, in ihrem Falle in Dänemark. Nach einer kleinen Unterbrechung im Berliner "Kabarett der Komiker" tritt sie 1941 dann auch vor deutschen Besatzungssoldaten in Bordeaux auf. Die kennen sie bereits aus dem Radio: Lale ist nämlich bekannt als eine Frau, die ein sehr sentimentales Liebeslied singt:
Am 19. April des Jahres, nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee, ist der Soldatensender Belgrad auf Sendung gegangen. Ab August spielt er immer um 22 Uhr das "Lied eines jungen Wachtpostens/Lili Marleen". Bis dahin sind von diesem Titel lediglich 700 Platten verkauft gewesen - ein Ladenhüter! Eine davon befindet sich unter den ausgemusterten Platten aus Wien, mit denen der nur sechzig Platten umfassende Grundbestand des Radiosenders Belgrad aufgefrischt worden ist. Als dessen Leiter, ein junger Oberleutnant aus Wilhelmshaven namens Reintgen, den Titel absetzt, erntet er so was, was wir heute Shitstorm nennen. Daraufhin nimmt man den Titel wieder auf. Am Ende der Sendung "Wir grüßen unsere Hörer" erklingt jetzt immer die "Lili Marleen" und wird DAS Verbindungsglied zwischen Heimat & Front.
Der Sender wird überflutet mit bis zu zwölfeinhalbtausend Zuschriften pro Tag von Soldaten an allen Fronten, die ihre Liebsten zu Hause grüßen lassen wollen. Angeblich verstummen die Waffen, wenn Lales Stimme erklingt. Und das nicht nur bei den deutschen, sondern auch britischen Soldaten. Jeder singt das Lied in seiner Heimatsprache:
"Eine makabre Verbrüderung" wird der Sohn von Norbert Schultze später schreiben. "Hier zerschießen, verbrennen und vernichten sich gegenseitig und singen gleichzeitig dasselbe Lied."
Lale selbst bekommt erst einmal nicht mit, wie das Lied zur "Internationale" der Soldaten des Zweiten Weltkrieges wird, denn sie ist im Einsatz in Norwegen & Frankreich. Zurück in Berlin meint sie nur: "Kann der Wind erklären, warum er zum Sturm wird?" Der Preis für sie: Nun ein Weltstar, rückt sie gleichzeitig allerdings ganz in die Nähe des verbrecherischen Regimes in Deutschland.
John Steinbeck, amerikanischer Kriegsberichterstatter & späterer Nobelpreisträger, erklärt den Erfolg des Liedes so:
"Die Wirkung der Lili Marleen liegt in der Dreieinigkeit von Stimme, Text und Musik, sie ruft - wie ein modernes Mysterium - diese weltweite Massenpsychose hervor." (Quelle hier)
1942
"Lili Marleen" wird der erste deutsche Millionenseller und erscheint in über fünfzig Sprachen auf Platte. Bloß mit den Tantiemen für Leip und Schultze wird es nicht so dolle: Als "Feindvermögen" sind sie im Ausland eingefroren. Lale selbst kann sich eine großzügige Wohnung am Kurfürstendamm 92 leisten und mit ihren Söhnen zusammen wohnen, von Fotografen & Journalisten belagert, mit Auftrittsanfragen aus ganz Europa überschüttet.
Doch dann verstummt Lale Andersens Stimme:
Im April 1942 ist sie zur "Berliner Künstlerfahrt" in die "Ostdeutschen Protektorate", auch zum Besuch des Warschauer Ghettos, abkommandiert, vom Vizepräsidenten der Reichskulturkammer Hans Hinkel organisiert. Der drangsaliert wohl die Sängerin, die ihn ohrfeigt und sich in den Zug nach Hause setzt ( "Entfernung von der Truppe"! ).
Dort kann sie noch einen "Lazarett-Einsatz" in Italien bei der zuständigen Behörde durchsetzen. Im Oktober 1942 wird sie am Brenner, aus Italien heimkehrend, festgenommen. Sie darf, so Anweisung von Hinkel, nicht mehr künstlerisch tätig sein. Vorgeworfen werden ihr ihre brieflichen Kontakte zu jüdischen Emigranten in der Schweiz, die "politisch unwürdig & pornographischen Inhalts" sind. Gleichzeitig wird eine Pass- & Ausreisesperre verhängt. Die Presse wird angewiesen, sie nicht mehr zu erwähnen und keine Fotos mehr von ihr zu zeigen. Goebbels, eben noch hingerissen von dem Lied, verunglimpft "Lili Marleen" nun als "Schnulze mit Totentanzgeruch".
Ihrer Lebensgrundlage beraubt und voller Angst vor der Gestapo und dem Konzentrationslager, versucht sie sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Ihre Wirtschafterin findet sie, Pasche bringt sie ins Krankenhaus und ihr wird dort der Magen ausgepumpt. Nichts geht mehr, da strahlt die BBC einen Beitrag aus, unterlegt mit "Lili Marleen":
"Ist es ihnen aufgefallen, dass sie dieses Lied schon lange nicht mehr gehört haben? Warum wohl? Vielleicht deshalb, weil Lale Andersen im Konzentrationslager ist?"
Das Propagandaministerium dementiert prompt und beschuldigt die BBC der "Fakenews". Am 15. Mai 1943 genehmigt selbiger Herr Hinkel Lales künstlerische Betätigung unter bestimmten Bedingungen, darunter das Singen des Liedes und den Kontakt zu Radio Belgrad zu unterlassen sowie Auftritte im Rundfunk oder vor Soldaten & staatlichen Veranstaltungen.
Langeoog - Luftbild der Briten
Schon einen Monat später steht Lale in Dresden wieder auf der Bühne. Mit Pasche tourt sie durch Deutschland - Hamburg, Jena, Baden-Baden Frankfurt/Main und mehr. 1944 kommt es zum Zerwürfnis mit Pasche. Auch sonst wird es schwer aufzutreten; der Krieg fordert Opfer unter den Musikern & den Veranstaltungsräumen, Bahnhöfe & Eisenbahnlinien sind nicht mehr nutzbar. Schließlich bringt die Sängerin sich mit ihrem jüngsten Sohn auf Langeoog in Sicherheit, wo sie in einer Wehrmachtsbaracke in den Dünen wohnt.
Die englischen Eroberer finden es aufregend, "the Original Singer of Lili Marleen" auf der Insel anzutreffen. Im Juni gibt es dort dann auch schon ein Konzert für deutsche & kanadische Verwundete. Dann kommt Lale in Hamburg bei einer Freundin unter und nimmt ihre Bühnenauftritte zunächst in der britischen Besatzungszone wieder auf. 1947 darf sie ihre Tätigkeit auch auf die amerikanische Zone ausweiten.
Zollikon 1949
Der Schlager als Stimmungsaufheller & Verdrängungsinstrument ist gefragter denn je. Aber es gibt keine funktionierenden Produktionsstätten für Schallplatten mehr. Deshalb reist Lale wieder in die Schweiz, um für die Decca zwei Titel aufzunehmen. Dort lernt sie 1948 den zehn Jahre jüngeren Schweizer Komponisten Artur "Turi" Beul kennen. Während der Plattensession darf sie "das mittlere Zimmer im oberen Stock" seines Hauses in Zollikon bewohnen.
Schon am 15. Juni 1949 heiraten sie. Für den in der Schweiz als Komponist für lokale Musikgrößen bekannten Musiker ergibt sich die Möglichkeit, als solcher über sein Heimatland hinaus bekannt zu werden, indem er auch Lieder für Lale schreibt, darunter "In unserem Garten blühen Rosen" oder "Wenn Kornblumen blühn".
Diese Ehe "schließt eine Aufwertung für beide Seiten mit ein", so Gisela Lehrke, und sie wird auf dem Papier bis zu ihrem Lebensende bestehen bleiben. Lale erhält die Schweizer Staatsbürgerschaft und wirtschaftliche Sicherheit dank günstiger Steuerbedingungen. Die Musikaufnahmen findet Gisela Lehrke eher "peinlich", wenn man sie mit Lales Vorkriegsauftritten vergleicht.
Sie ist ja eine Ausnahmeerscheinung unter den Schlagerstars des Wirtschaftswunders, da mit "Lili Marleen" international bekannt, allerdings auch unwiederbringlich festgelegt. Auch ist sie schon recht alt ( 47 ), als sie mit "Blaue Nacht am Hafen" ein Comeback feiern kann. Ihre Kolleginnen sind hingegen um die Zwanzig, Conny Froboess gar keine zehn Jahre alt
1958 versucht Lale an der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision de la Chanson ( ESC ) teilzunehmen - ohne Erfolg. Das ändert sich erst 1961, nachdem sie mit der deutschen Coverversion des Schlagers "Ta pedia tou Pirea/ Ein Schiff wird kommen" - von Manos Hadjidakis aus dem Kinofilm "Sonntags… nie!" mit Melina Mercouri -in der deutschen Hitparade bis auf Platz 1 vorrücken kann und mit dem "Silbernen Löwen" von Radio Luxemburgausgezeichnet wird. Sie nimmt abermals - nun mit dem Lied "Einmal sehen wir uns wieder" - in der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix teil, gewinnt und vertritt Deutschland im Wettbewerb in Cannes. Dort bleibt ihr Platz 13 unter 16 Teilnehmern...
Neben Tourneen & Reisen, auch über den großen Teich, hat sie inzwischen mit ihren Liedern und Schlagerneine feste Heimat in zahlreichen Fernsehsendungen und -shows, darunter in der beliebten "Haifischbar", der Unterhaltungssendung des NDR bis 1979, in der Lale neun Mal zu Gast ist. Ein allerletzter Auftritt ist hier ab Minute 3:45 zu sehen.
Der Regisseur Truck Branss dreht mit ihr 1964 ein Porträt in Musik. 1970 wird er ein weiteres musikalisches Porträt ihrer Wahlheimat Langeoog mit ihr aufnehmen, in dem sie plattdeutsche Lieder vorträgt. 1968 spielt die Sängerin im Fernsehkrimi "Einer fehlt beim Kurkonzert" ( Regie: Jürgen Roland) die mutmaßliche Täterin. 1971 wirkt Lale in Peter Zadeks "Der Pott" nach dem Theaterstück "Der Preispokal" von Sean O'Casey mit, indem sie ein eigenwilliges Antikriegslied singt: "Tragt sie sanft (Die Kugel)".
Sie scheint fast hyperaktiv, auch noch bei ihrer Abschiedstournee 1966/67 durch alle Großstädte und viele kleine Städte Deutschlands. Was keiner weiß: Dass sie schwer krank ist. Nicht einmal der Tochter oder guten Freunden gegenüber gibt sie es zu: Sie schreibt von Leberentzündung und einer der Gallenwege. Strengste Diäten sowie zahlreiche Klinik- & Kuraufenthalte und Blutübertragungen sind notwendig. Und obwohl die Abstände zwischen den lebensrettenden Infusionen immer kürzer werden, schont Lale sich wenig und bewältigt weiter ein großes Pensum: Bühnengastspiele, Schallplattenaufnahmen, Fernsehauftritte. Dafür wird sie stark geschminkt, damit die gelbe Gesichtsfarbe nicht durchscheint, oder die Kameras bleiben dezent auf Abstand, um ihr schlimmes Aussehen nicht zu offenbaren.
Buchvorstellung (1972)
Sie selbst macht sich keine Illusionen. Sie macht sich ans Schreiben ihrer Erinnerungen - das beschäftigt sie mehr als alles andere, denn sie will das Buch "Der Himmel hat viele Farben" um jeden Preis abschließen. Als sich ihr Leben dem Ende zuneigt, sagt sie gegenüber ihrer Freundin Ilse Werner: "Ich komme mir wie ein Schwimmer vor, der das andere Ufer vor sich sieht. Ich muß es noch schaffen, ich muß es erreichen."
Das Buch erscheint 1972 und wird in Bremerhaven vorgestellt – nur ein paar Wochen vor ihrem Tod. Am 29. August 1972 stirbt Lale Andersen im Alter von 67 Jahren während einer Lesereise in einer Privatklinik in Wien an den Folgen ihrer Leberkrebserkrankung.
Vorher hat Rolf Liebermann der Schwerkranken noch nach Wien geschrieben: "Ich hab Dich schon wahnsinnig geliebt. Ich spür's jetzt wieder." Zwei Jahre zuvor, zu seinem 60. Geburtstag, hat sie ihn und ihre gemeinsame Zeit in einer Festschrift der Hamburger Staatsoper noch einmal gewürdigt.
In Wien wird sie kremiert, ihre Asche Ende September 1972 nach Langeoog überführt mit dem Schiff "Lili Marlen", das sie noch im Mai getauft hat. Sie hat verfügt, dass das Lied, welches Millionen von Menschen Trost verschafft hat, nicht gespielt wird. Dem wird freilich nicht entsprochen: "Die Kirche war voll und dann fing der Organist an und spielte: Lili Marleen", erinnert sich ihr Sohn Michael.
1981 verfilmt Rainer Werner Fassbinder Lales Biografie recht frei unter dem Titel "Lili Marleen" mit Hanna Schygulla in der Hauptrolle und Giancarlo Giannini als "Mendelsson" ( Liebermann ). Der Spiegel schreibt: "ein Film, der aussieht, als hätte ihn Zarah Leander erdacht und Hermann Göring ausgestattet."
Heute erinnert eine Straßenlaterne an der Lutherstraße in Bremerhaven, die von der Bundesmarine in Eigenarbeit restauriert worden ist, an Lale Andersen und ihren Welterfolg, in dem es heißt: "Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht eine Laterne...". Wer kann diese Zeilen und diese Bremerhavenerin vergessen?
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