Donnerstag, 10. August 2023

Great Women #346: Enid Blyton

Klar: Auch ich habe ihre Bücher gelesen. Allerdings nicht die bekannten Hanni-und-Nanni- oder Fünf-Freunde-Bücher. Was ich mir als Neunjährige aus der Pfarrbücherei ausgeliehen habe, war die Abenteuer - Reihe, und die komplett. Ich erinnere mich noch vage, welch Lesegenuss das war, besonders in den früher durchaus üblichen verregneten Sommerferien, in denen frau draußen nichts unternehmen konnte. Irgendwann habe ich dann noch mal von der Kontroverse mit einer ihrer Töchter gehört. Das war es dann aber auch schon, was ich über Enid Blyton bislang wusste.
©Macmillan Publishers International Ltd, 1944, 2022, 

"Kritik von Leuten über zwölf interessiert mich überhaupt nicht!"

Die britische Schriftstellerin Enid Mary Blyton wird am 11. August 1896, also morgen vor 127 Jahren,  über einem Laden in der Lordship Lane in East Dulwich, Süd-London, geboren. Für ihre Eltern Theresa Mary Harrison, 25 Jahre alt, und Thomas Carey Blyton, vier Jahre älter als sie, ist das Mädchen das erste Kind. Die Brüder Hanley folgen zwei bzw. Carey fünf Jahre später. Da ist die Familie bereits in ein Haus im Bauerndorf Beckenham in Kent gezogen. 

Der Vater scheint sein Geld als Handelsvertreter verdient zu haben ( es gibt mehrere Varianten ), gilt als Freigeist, ist naturverbunden und seiner Tochter wohl besonders zugetan. So hat er sie aufopfernd gepflegt, als Enid wenige Monate nach ihrer Geburt an Keuchhusten erkrankt ist. Dem Mädchen bringt er die Natur nahe, aber auch Kunst, Musik, Literatur und Theater. Später wird sie schreiben, dass für sie die gemeinsamen Tage mit dem Vater "sonnig und warm und der Himmel so blau wie die Kornblumen in meinen Garten" gewesen sind. Er lehrt das musikalisch begabte Mädchen außerdem, Klavier zu spielen, in der Hoffnung, sie werde eine genauso begabte Pianistin wie seine Schwester.

Zur Mutter, einer strengen, konventionellen Frau, hat Enid kein gutes Verhältnis. Die erwartet von einer Tochter die Mithilfe im Haushalt und die Betreuung der Brüder, denen sehr viel mehr Freiheiten zugestanden werden.

Zur Schule - u.a. die St. Christopher's School, eine Vorschule in Beckenham, und die St. Clare School - geht sie bis 1915. Enid gilt als gute Schülerin und zeigt schon im Englisch-Unterricht eine besondere Begabung für Aufsätze. Sie schreibt auch erste Gedichte und Kurzgeschichten und versucht,  diese zur Veröffentlichung zu bringen. Sie nennt ihre Geschichten "night stories". Die erzählt sie ihren jüngeren Brüdern vor dem Schlafengehen, um sie von den unzähligen Streitereien der Eltern abzulenken. Für die Mutter sind Enids literarische Versuche alles nur "Gekritzel" und "Zeitverschwendung". 1911, mit 14 Jahren, nimmt Enid an einem Kinderlyrik-Wettbewerb des Schriftstellers & Pädagogen Arthur Mee teil, der sie ermutigt & bestärkt. Auch die Tante ihrer Freundin Mary, Mabel Attenborough, hält viel von ihrem Können.

Als Enid gerade mal dreizehn geworden ist, verlässt der Vater die Familie und zieht mit seiner Geliebten zusammen - ein harter Schlag für die Heranwachsende. Die Mutter verweigert die Scheidung, vertuscht den Skandal ( offiziell ist Thomas Blyton gerade beruflich viel unterwegs ) und die Kinder haben zu schweigen und dürfen dem Vater nur einmal im Monat begegnen.

Ein Muster der Verdrängung wird da angelegt, das Enid später selbst perfektionieren wird. Und - so später einschlägige Psychologen - das Ereignis hält die Pubertierende in ihrer Kindheit gefangen, so dass die später so erfolgreiche Schriftstellerin nie wirklich erwachsen werden wird. "Sie war ein Kind, sie dachte wie ein Kind und schrieb wie ein Kind", wird es der Psychologe Michael Woods nach ihrem Tod formulieren. Die These wird unterstützt durch die Tatsache, dass bei Enid Blyton, nachdem ihr Wunsch nach Kindern in ihrer Ehe nicht in Erfüllung geht, eine "außergewöhnlich kleine Gebärmutter" etwa so groß "wie bei einem zwölf- oder dreizehnjährigen Mädchen" festgestellt wird. Erst nach einer hormonellen Behandlung wird sie ihre beiden Töchter bekommen.

Nachdem Enid ihre schulische Ausbildung abgeschlossen hat, zieht sie zu ihrer Freundin Mary und anschließend zu George und Emily Hunt, die in Seckford Hall in der Nähe von Woodbridge in Suffolk wohnen. Das Haus aus der Tudor-Zeit mit seinen verwunschenen Räumen und einem Geheimgang dürften Eingang in ihre späteren Bücher gefunden haben. 

In Woodbridge lernt die Achtzehnjährige auch Ida Hunt kennen, die an der Ipswich High School unterrichtet und die Enid dahingehend beeinflusst, besser als Lehrerin und Gouvernante zu arbeiten. Enid bricht also ihre Ausbildung zur Pianistin ab  und kann ihren Vater überzeugen, ihr die nötigen Papiere für einen Schulwechsel auszustellen bzw. zu unterschreiben. Am Ende des Jahres 1916 beginnt sie mit der dreijährigen pädagogischen Ausbildung zur Fröbellehrerin beim Froebel Institut in Ipswich. In ihrer Freizeit findet sie Muße fürs Schreiben, doch es gelingt ihr nicht, einen Verleger für ihre Geschichten zu finden, und mehrere Jahre lang werden ihre Arbeiten mit Ablehnung zurückgeschickt. Den Kontakt zu ihrer Familie hat sie zu diesem Zeitpunkt so gut wie abgebrochen ( sie wird später auch nicht an den jeweiligen Beerdigungen teilnehmen ).

Zunächst verdingt sich Enid als Kindergärtnerin und Privatlehrerin in Kent und Surrey, wo zeitweilig aus Ermangelung anderer pädagogischer Einrichtungen unter ihrer Aufsicht bei dem Architekten Horace Thompson eine Art von Schule entsteht.

Im Februar 1922 beginnt sie, Artikel für die Zeitschrift "Teachers' World" zu schreiben. Am Anfang erscheinen sie nur gelegentlich, aber seit 1929 verfasst sie wöchentlich die "Enid Blyton's Children's Page", welche normalerweise aus einem Brief, einem Gedicht und einer Geschichte besteht. Im Sommer 1922 wird dann auch endlich ihr erstes Buch "Child Whispers", eine 24seitige Gedicht-Sammlung, illustriert von einer Schulfreundin, veröffentlicht. Im Jahr darauf erscheint ein umfangreicherer zweiter Gedichtband. 1923 verkauft sie bereits 120 Texte für Kinder und verdient bald 300 Pfund im Jahr, damals ein Spitzeneinkommen.

Eheschließung mit Hugh Pollock
(1924)

1924 heiratet Enid den verantwortlichen Herausgeber der Buchabteilung im Verlag George Newnes, Hugh Pollock. Der ist als aktiver Offizier während des Ersten Weltkrieges tätig gewesen und von daher recht angesehen, bereits einmal verheiratet gewesen und Vater von zwei Söhnen. Von der emotional doch recht unreifen jungen Frau mit der kindlichen Naivität und Lebensfreude fühlt sich der wohl kriegstraumatisierte Soldat stark angezogen.

Zusammen zieht man dann bald in das Cottage "Old Thatch" in Borne End, Buckinghamshire, bekommt die Töchter Gillian Mary (1931) und Imogen Mary (1935), um sich 1938 in einem großen Haus in Beaconsfield in Buckinghamshire niederzulassen, das Blyton-Lesern bald als "Green Hedges" bekannt sein wird. Der Umzug nach "Green Hedges" läutet die arbeitsreichste Phase des Lebens der Autorin ein, die über zwanzig Jahre andauern wird.

Die Lebenslüge steht über dem Eingang des Landhauses: "Pax huic domui"(  "Friede walte in diesem Haus" ). "Es gibt nichts Beglückenderes als die Beschäftigung mit Tieren und Pflanzen", sagt Enid über das Leben mit Blumen, Quittenbäumen, Rotkehlchen, dem Cockerspaniel Topsy und der Katze Bimbo. Hugh Pollock erleidet, warum auch immer, bald einen Nervenzusammenbruch, verfällt dem Alkohol und beginnt eine Liaison mit der neunzehn Jahre jüngeren Autorin von Liebesromanen,  Ida Crowe.

Aber auch Enid ist in dieser Hinsicht kein Kind von Traurigkeit: Da sie das Stillen ablehnt, engagiert sie 1935 eine Kinderfrau namens Dorothy Richards, die zu ihrer besten Freundin werden wird. Spekulationen, die zwei hätten sogar eine lesbische Beziehung, sind beständig Thema in der Gerüchteküche. Immerhin gelingt es Enid, immer mal Affären während der zeitaufwändigen Schriftstellerei unterzubringen. Ihre freizügigen Geselligkeiten in ihrem Haus führen zu weiterem lokalen Klatsch & Tratsch, sind aber damals in dieser britischen Gesellschaftsschicht gang und gäbe. Dann, auf einer Reise 1941 mit Dorothy zu deren Schwester in Devon, macht Enid die Bekanntschaft des Arztes Kenneth Darrell-Waters, wohl eine Liebe auf den ersten Blick! Um sich ungestört treffen zu können, mietet Enid eine Wohnung im Londoner Stadtteil Knightsbridge an, und um ihre Spuren zu verwischen, nutzt sie Dorothys Namen.

Mit Ehemann Nr. 2 und den beiden Töchtern
Nach einem erbitterten Streit verlässt Hugh Pollock schließlich das gemeinsame Haus. 18 Monate lang verheimlicht Enid diese Tatsache vor den Töchtern und gibt dem Krieg die Schuld an der Abwesenheit ihres Vaters. Schließlich kann sie ihm noch abringen, im Falle der Scheidung die Schuld ganz auf sich zu nehmen. Als Gegenleistung bietet sie ihm den ungehinderten Kontakt zu den mittlerweile elf & sieben Jahre alten Töchtern an, hält sich aber nicht daran, sondern löscht anschließend gnadenlos alle Erinnerungen an ihn, wie bei einem zu bösen Entwurf für eine ihrer Romanfiguren. Nachdem sie geschieden worden sind und Enid Darrell - Waters im Oktober 1943 geheiratet hat, müssen die Mädchen den Namen ihres Stiefvaters tragen und werden ihren leiblichen Vater nie wieder sehen.

Von den Irrungen und Wirrungen in Enid Blytons Privatleben bekommt die Öffentlichkeit nichts mit. Die Autorin weiß offenbar ganz genau, dass ihr Ruf Schaden nehmen würde, wenn sie im England des Zweiten Weltkriegs einen Ehemann, der als Kriegsheld gilt, verlassen würde. 

Erstaunlicherweise leidet ihre literarische Produktivität nicht unter den privaten Wirren – im Gegenteil. 1942, im Jahr ihrer Scheidung, gelingt ihr mit dem Band "Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel" sogar der internationale Durchbruch. Mit diesem Buch hat die Jugendbuchautorin ihr persönliches Erfolgsrezept gefunden: Eine kleine Gruppe von Kinder stolpert über ein Geheimnis und übertölpelt mit Hilfe von Tieren, eigenem Mut und Cleverness jede Menge ( meist ausländische ) Bösewichte. 

Doch schon weit vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges ist ihre erste Bücher - Serie veröffentlicht worden und damit auch ihr erstes vollständiges Buch. "Adventures of the Wishing-Chair" ist 1937 gefolgt, "The Enchanted Wood", das erste Buch der vierbändigen Faraway Tree-Serie, 1939. Diese Geschichte von einem magischen Baum ist von der nordischen Mythologie inspiriert, die Enid schon als Kind fasziniert hat. 

Ihr erster Abenteuerroman in voller Länge, "The Secret Island", wird 1938 veröffentlicht, ein "Abenteuer im Robinson Crusoe -Stil auf einer Insel in einem englischen See".

Die vierbändige Zirkus - Reihe sowie die mit Amelia Jane starten ebenfalls im Jahr 1939. 

Während des Zweiten Weltkrieges gelingt Enid Blyton mit dem Vorschulbuch "Mary Mouse" der erste Bestseller. Für Jugendliche startet sie neben der oben erwähnten 5-Freunde-Reihe ( insgesamt 21 Bände! ) die Buchreihen "The Twins at St. Clare’s" (1941) und mit "The Island of Adventure" 1944 die achtbändige Abenteuer - Serie. Eine weitere erfolgreiche Reihe ist die Mystery-Serie ( "Geheimnis um..." ) mit fünfzehn Bänden ab 1943 (bis 1961), in der eine Gruppe von fünf Amateurdetektiven mit ihrem Hund Geheimnisse in und um ihren Ort Peterswood lösen.

Nicht nur schreibt Enid wie eine Maschine alle zwei Wochen ein neues Buch, im Sessel sitzend mit ihrer "Olympia"-Schreibmaschine auf den Knien und mit zwei Fingern bis zu zehntausend Wörter am Tag tippend, sie hat auch ein todsicheres Gespür für eine optimale Vermarktung ihrer Werke und fürs Merchandising. Spötter bezeichnen sie als "Ein-Frau-Literatur-Industrie". Durch die Erfindung von Serienhelden gelingt es Enid, die kindlichen Konsumenten zum Fortsetzungs-Kauf zu verführen.

Als im Zweiten Weltkrieg das Papier für die Buchproduktion nur noch begrenzt zur Verfügung steht, schafft sie es, für ihre Bücher hohe Zuteilungen auszuhandeln.

Die äußere Gestaltung ihrer Werke unterliegt einzig ihren Kriterien. So sucht sie selbst die Illustratoren aus, und dass ihre eigene Unterschrift auf ihren Büchern erscheint, ist ebenfalls ihre Idee. Damit das alles klappt, gründet sie mit ihrem zweiten Ehemann die Firma Darrell Waters Limited, die dann auch in den 1950er Jahren für die internationalen Lizenzausgaben in vierzig Sprachen zuständig sein wird ( in Deutschland ist der Erika Klopp Verlag der Begünstigte ).

In der Öffentlichkeit pflegt sie das Bild der hingebungsvollen Mutter, die sich liebevoll um ihre zwei Töchter kümmert und ihnen als erstes die neuen Geschichten frisch aus der Schreibmaschine vorliest, so ein Wochenschau - Film: "Wir sind alle sehr glücklich miteinander", schreibt sie in einem Buch über ihr Leben ( "The Story Of My Life", 1952, dt.:"Enid Blyton erzählt aus ihrem Leben. Für ihre Freunde, die Kinder" )

Die Realität sieht wohl anders aus: Ihre Töchter Gillian und Imogen wachsen in der Obhut von Kindermädchen auf und die Mutter reagiert gereizt, wenn sie etwas von ihr wollen. Später werden sie auf ein Internat – "Hanni und Nanni" lassen grüßen!- geschickt. Streng sei sie gewesen, "ohne jede Spur von Mutterinstinkt", wird die jüngere Imogen Jahre nach dem Tod der berühmten Mutter schreiben. Ihre Mutter sei "arrogant, unsicher, anmaßend" gewesen und "sehr geschickt darin, schwierige oder unerfreuliche Dinge zu verdrängen". Die ältere Gillian hält allerdings dagegen, sie habe die Mutter als "gerecht und liebevoll" erfahren.

Übrigens "Hanni und Nanni": Die Reihe heißt auf englisch "St. Clare’s Series", erscheint ab 1941 bis 1945, und nur sechs Bände stammen von Enid Blyton. In der deutschen Fassung werden im Anschluss an die Bände 1–4 nach der 2. Klasse weitere Geschichten eingefügt. Erst mit Band 11 und 13 werden dann wieder die letzten beiden Originalbände der Autorin aufgegriffen. Die restlichen deutschen Bände sind - bis auf zwei - deutschsprachige Auftragsarbeiten des Franz-Schneider-Verlags. Die Enid Blyton Limited autorisiert schließlich noch zwei weitere Bände, die von Pamela Cox geschrieben werden und 2000 erscheinen. Gerade in Deutschland gibt es genug "Schmarotzer", die vom Erfolg der Bücher profitieren (wollen). 

In der englischen Version heißen die Zwillinge übrigens Patricia und Isabel O’Sullivan... 

Zwischen Januar 1940 und Dezember 1949 veröffentlicht Enid über 200 Bücher, und in den 1950er Jahren sogar 300. 753 werden es dann insgesamt sein ( dazu noch zehntausend Kurzgeschichten ). Damit wird Enid Blyton zu der bis heute weltweit erfolgreichsten Kinderbuch-Autorin mit insgesamt über 650 Millionen Büchern. Zum Vergleich: die in Deutschland angesehenere Astrid Lindgren kommt nur auf 130 Millionen. ( Wen eine ausführliche Liste all der Blyton- Bücher interessiert, findet eine solche bei Wikipedia. ) In England zählt Enid Blyton noch im neuen Jahrtausend zu den jährlich ermittelten zehn beliebtesten Autoren, meist landet sie unter den ersten fünf und überflügelt schon mal Shakespeare und Charles Dickens wie im Jahr 2008.

Kritiker schimpfen - die BBC verbannt sie sogar aus ihrem Programm und Bibliotheken nehmen sie aus ihrem Repertoire -, Enid Blytons Geschichten seien sprachlich schlicht, beschränken sich auf Dialoge, konventionelle und gleichbleibende Attributierungen sowie knappe, schablonenhafte Charakterisierungen voller Klischees und zeugten von einer bestürzend simplen Weltsicht. Für die Mitglieder der von ihr erschaffenen Kindergruppen zählen nur eher männliche Werte wie Treue, Verschwiegenheit, Verlässlichkeit, Kameradschaft, Mut und Einsatzbereitschaft. Die in ihren Büchern vermittelten Normen seien ausgesprochen rigide, direkte Brutalität oder Gewalt komme aber nicht vor. Arg ist die Geringschätzung sozial niedrig stehender Erwachsener, noch ärger die rassistische Abwertung von "Schwarzen" oder "Zigeunern".

In einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" sagt die ebenso erfolgreiche Autorin J.K. Rowling später einmal: 

"Enid Blyton war keine gute Schriftstellerin, sie war einfach eine Lügnerin. Sie erlaubt den Fünf Freunden nie, erwachsen zu werden; diese 14-Jährigen verschwenden nie einen Gedanken an sexuelle Gefühle. Und Mutti steht bei ihr immer in der Küche und backt Kuchen, während Daddy das Auto repariert."
Die Schmöker funktionieren auch alle nach demselben Schema: Temporeich endet jedes Kapitel mit einer dramatisch zugespitzten Situation, und das Gute siegt immer. Und die Botschaft: Jedes Kind kann ein Held sein. Das begeistert junge Leser einfach

Ob sie Kinder wirklich geschätzt hat, fragen sich bis heute viele. Immerhin tut sie einiges für behinderte Kinder und initiiert sie über ihren Sunbeams Club einen Fond für blinde Säuglinge. Sie selbst ist in einigen Vereinen für die Förderung und Rehabilitation behinderter Kinder tätig, wie dem Committee Shaftsbury Society Children's Home in Beaconfield (Buckinghamshire), einem Heim für spastisch gelähmte Kinder. Von 1954 bis 1967 ist sie  dessen Vorsitzende. Von 1960 bis 1968 fungiert sie als Vizepräsidentin der Vereinigung Friends of the Cheyne Walk Centre in London, ebenfalls eine Rehabilitationseinrichtung für behinderter Kinder. Auch die zumeist jugendlichen Mitglieder ihres weltweiten Famous-Five-Clubs, der 1967 etwa 220.000 und 1972 noch 183.000 Anhänger zählt, bringt sie dazu, sich hauptsächlich in der finanziellen Unterstützung von Pflegeheimen für behinderte Kinder zu engagieren.

Enid Blyton scheint ein durch und durch widersprüchlicher Mensch gewesen zu sein, nicht unbedingt sympathisch, aber erstaunlich interessant. Interessant auch deshalb, weil sie ihr beruflichen Ziele entgegen der Wünsche ihrer Eltern durchgesetzt, was zu ihrer Zeit nicht üblich gewesen ist, und ihre Schriftstellerei zum Hauptgegenstand ihres Lebens gemacht  und was ihr ein materiell von einem Mann unabhängiges Leben beschert hat.

Schon 1957, da ist sie grade mal sechzig Jahre alt, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand, auch der ihres Mannes. 1961 wird bei ihr Alzheimer diagnostiziert. Ihr Denkvermögen, ihre Konzentrationsfähigkeit und ihr Gedächtnis lassen nach. Der Tod ihres Mannes, der bis dahin ihrer geschäftlichen Angelegenheiten betreut hat, im Jahre 1967 ist für sie ein großer Schock. Enid wird in einem Pflegeheim in Hampstead untergebracht. Als ihr Agent George Greenfield sie dort besucht und nach ihren Kindern fragt, soll sie auf ihre Bücher gezeigt und erklärt haben: "Das sind meine Kinder."

Am 28. November 1968 erliegt Enid Blyton im Alter von 71 Jahren einem Herzinfarkt. Sie wird im Golders Green Crematorium in London eingeäschert, und die Asche im dortigen Garden of Rest verstreut.

Im Laufe der Jahrzehnte nach ihrem Tod verändert sich der Blickwinkel auf Enid Blytons Werk immer wieder. Man weiß inzwischen auch "ihre Nähe zur Jugend und ihr Verständnis für deren Bedürfnisse" (Almut Prieger) zu schätzen, unterzieht aber auch ihre Werke nun immer wieder auch textlichen und inhaltlichen Überarbeitungen, sowohl im Original als auch in den übersetzten Versionen. Ebenso wird die Pädagogik aktuellen Ansichten angepasst: Lehrerinnen verteilen in den Geschichten keine Ohrfeigen mehr, sondern schimpfen stattdessen nur noch. Die Hausarbeit wird von Jungen und Mädchen gemeinsam erledigt usw.

Mittlerweile - der britischen Tugend der Selbstironie sei Dank - inspiriert Enid Blyton sogar ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod weiter: 

Parodien wie "Five on Brexit Island" (dt: "Fünf Freunde auf der Brexit-Insel") verkaufen sich in Hunderttausender -Auflagen. Die gute alte Zeit, ein imaginäres England, von dem Brexit-Befürworter träumen und das so nie existiert hat, hält die Engländer halt immer noch gefangen. Ein Empire mit Teestunde am Nachmittag, bevölkert von wohlerzogenen Kindern, Gouvernanten, überforderten Polizisten, und natürlich Schurken, wird mehr ersehnt, denn je. Weltflucht war schon immer ein Geschäft. Davon hat meine heutige Great Women mehr als Ahnung gehabt.






10 Kommentare:

  1. Ha! Ich habe es gestern geahnt, als Du bei mir kommentiert hast. Und Du könntest ja auch lesen, dass ich die Abenteuerreihe auch sehr geliebt habe. Allein wegen dem witzigen Kakadu
    Einiges über das doch sehr andere Leben von ihr hatte ich schon gelesen. Interessant, etwas genauer dahinter zu blicken. Und ja, sie fasziniert Kinder auch heute noch in Filmen und Comics nach ihren Büchern. Und auch die Bücher werden noch gelesen. Was wieder zeigt, dass Erwachsene nicht immer wissen, was Kindern gefällt, wenn sie es aus Bibliotheken verbannen ☺️ Wie Du gestern schriebst, es muss nicht alles literarisch hochwertig sein.
    Danke für eine interessantes Frauenportrait mit zwiespältigen Hintergründen
    Liebe Grüße
    Nina

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  2. Liebe Astrid,

    ich habe die 5-Freunde-Bücher in meiner Kindheit geliebt, ebenso habe ich Hanni und Nanni verschlungen.

    Ich fand es toll, wie die 5 Freunde ihre Ferien verbracht hatten, ohne Erwachsene um sich und immer einem Geheimnis auf der Spur.
    Toll fand ich auch ihre Geheimnis um.... Bücher.

    Das Internatsleben mit den Mitternachtsparties fand ich ebenso verlockend.

    Du siehst also, ich war total ihren Büchern erlegen.

    Danke für die Vorstellung der mir unbekannten Lebensgeschichte.

    Viele Grüße,
    Claudia

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  3. Hanni und Nanni durfte ich lesen. Das war auch schon alles. Bei uns daheim gab es kaum Bücher und daran gedacht, dass ich eine Bücherei gehen konnte, habe ich nicht. Erst viel später habe ich diese entdeckt und heute lese ich sehr gerne.

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  4. Liebe Astrid,
    vielen Dank für den unglaublich interessanten Blick hinter die Kulissen. Auch ich habe Hanni & Nanni, sowie die Fünf Freunde sehr gern gelesen.
    Ganz liebe Grüße aus dem kleinen Dorf zwischen den Meeren
    Lydia

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  5. Hanni und Nanni, 5 Freunde und auch die Dolly-Reihe habe ich geliebt und gesammelt, liebe Astrid und danke für das Porträt dieser Jugendbuchautorin meiner Zeit. Ich mochte Ihren Schreibstil und nicht immer wissen Erwachsene was Kinder mögen oder gut finden. Manchmal verkomplizieren Erwachsene mit ihrer Sichtweise vieles und den Kindern gefällts auch wenn die literarische Latte nicht so hoch liegt.
    Lieben Gruß von Marita

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  6. Heute habe ich Deinen Bericht verschlungen liebe Astrid.
    Was habe ich EB´s Bücher geliebt, verschlungen und gesammelt.
    Hanni und Nanni, Dolly, Die 5 Freunde, die Abenteuer Serie, ach, ich mochte sie alle.
    Sie haben für viel Lesevergnügen gesorgt.
    Über die Autorin habe ich mir nie Gedanken gemacht, daher danke für Deinen ausführlichen Bericht.
    Hab einen schönen Abend, lieben Gruß
    Nicole

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  7. Liebe Astrid,
    was für ein interessantes Posting!
    Die Bücher von Enid Blyton habe ich allesamt als Kind geliebt und die Abenteuer-, Geheimnis um- und 5 Freunde- Bücher später auch mit den Söhnen zusammen gelesen.
    Tatsächlich war mir bisher gar nichts über die Lebensumstände der Autorin bekannt und du hast mich desillosioniert. So schade, sie scheint wirklich keine sympatische Person gewesen zu sein.
    Danke für deine Recherche.
    Claudiagruß

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  8. Enid Blyton ist mir auch ein Begriff
    vor allem Hanny und Nanny und die 5 Freunde ;)
    über sie selber wusste ich auch nichts
    ein aussergewöhnliches aber erfolgreiches Leben
    dafür war sie aber in ihrem "Cocon" eingesponnen
    bei der Fülle von Schriften blieb ihr aber wohl auch keine Zeit sich um ihre eigenen Kinder zu kümmern .. das klingt schon etwas nach Besessenheit
    sie lebte selber in ihren Büchern habe ich den Eindruck
    danke für das Portrait
    Liebe Grüße
    Rosi

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  9. bin ja immer eine leidenschaftliche Biographieleserin gewesen liebe Astrid, Kinderbuchautorinnen waren aber bisher nicht so mein Ziel, aber wer kennt die Enid Blyton Büchereihen nicht als KInd, ebenso wie A.Lindgreen ist sie wohl einer der bekanntesten und beliebtesten.
    ihre Biographie ist außergewöhnlich, ebenso die Flut ihrer Bücher was kein Garant für Qualität bedeuten muss.
    es gibt sicher viele Nachwuchsschriftsteller die mehr Wert auf Masse statt Klasse legen und dennoch gelesen werden und beliebt sind.
    ich denke die Nachfrage schafft den Bekanntheitsgrad.
    als Kind habe ich viele Bücher von Anfang an verschlungen, weil uns unsere Mutter zum lesen angehalten hat. Woraus allerdings meineungebändigte Lust am Schreiben wuchs und sich verfestigt hat denke ich, kommt wohl ohne" große Förderung oder Unterstützung eher von großväterlicher Seite..
    es war sehr interessant auch von dieser Autorin so viel mehr zu lesen..
    vielen Dank....
    liebe Grüße angel

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  10. Was für eine interessante Biographie! Da schlägt sich doch viel aus Lebensverhältnissen in Kindheit und Jugend in späteren Leben nieder. Ich hab bestimmt so einige ihrer Bücher aus der Kinderbibliothek ausgeliehen.
    Liebe Grüße
    Andrea

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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