Ich bin immer wieder fasziniert von Frauen aus anderen Jahrhunderten, die den Rahmen gesprengt haben, der einem "Frauenzimmer" vorgegeben war. Dazu gehören auch die sogennannten Göttinger Universitätsmamsellen, deren eine - Caroline Schlegel - Schelling - ich schon in meinem Blog vorgestellt habe. Heute kommt das Porträt einer weiteren dazu: Dorothea von Rodde - Schlözer.
1782 (Büste von Alexander Trippel) |
Dorothea von Rodde - Schlözer kommt am 10. August 1770 in Göttingen zur Welt. Der Vater, August Ludwig Schlözer, zum Zeitpunkt von Dorotheas Geburt 35 Jahre alt, hat sich im Jahr zuvor durch Fleiß und Disziplin hochgearbeitet und eine Professur für Staatsrecht und Geschichte in Göttingen erlangt. Eigentlich kommt er aus dem Hohenlohischen, wo er unter den kargen Bedingungen eines Pfarrerhaushaltes aufgewachsen ist. Nun, mit einer achtbaren Stellung ausgestattet, kann er im selben Jahr heiraten und eine Familie gründen. Die achtzehnjährige Caroline Friederike Roederer, Tochter eines Anatomen, die er schon seit zehn Jahren kennt, ist die Auserwählte.
Caroline& August Ludwig Schlözer |
Solche Altersunterschiede sind damals nichts Ungewöhnliches: Ein Mann aus kleinen Verhältnissen muss sich erst eine Stellung erarbeiten, bevor er heiraten kann...
"... und damit war die Jugendfrische für ihn dahin. Für eine sechzehnjährige junge Frau dürfte das erotische Interesse an einem für sie alten Mann nicht gerade die Lebenserfüllung gewesen sein, und Caroline Friederike unterzog sich der Folge von acht Geburten mit drei toten Kindern in den Jahren 1770 bis 1791 anscheinend klaglos; man war es gewöhnt, dass Frauen unentwegt schwanger waren, einen Großteil ihrer Kinder durch den Tod verloren und am Ende selber bei einer Geburt starben. Man war es auch gewöhnt, dass alte Väter, die in der Welt herumgekommen waren und stets nur auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten hatten, in der Familie zu Tyrannen mutierten. Auch Schlözer bildete keine Ausnahme, und in seinem Haus geschah nichts ohne seinen despotischen Willen", schreibt Annette Otterstedt dazu auf "Fembio".
Die Mutter Caroline wird sich zu einer angesehenen Meisterin im bildnerischen Gestalten entwickeln: Sticken, Modellieren in Wachs (ein Wachsportrait Martin Luthers von ihr ist im Städtischen Museum in Göttingen ) zählen u.a. zu den von ihr beherrschten Techniken. 1806 wird sie gar als Ehrenmitglied in die Preußische Akademie der Bildenden Künste aufgenommen.
Dorothea ist ihr ältestes Kind. Es folgen noch Christian (*1774), Ludwig (*1776), Karl (*1780) und Elisabeth (*1783).
Die Familie Schlözer, Dorothea links mit dem Globus |
"Mir fünfzehn Monaten, 87 Wörter und 192 Ideen."... Mit achtzehn Monaten: "Mein Dortchen spricht nun alles und lernt das ABC nach einer neuen Methode."... Mit zwei Jahren: "Dortchen geht manchmal mit mir auf dem Wall spazieren. Es sieht schnackisch aus, ein Kind von 25 Monaten, klein wie eins von 15 Monaten, diskutierend als wäre sie sechs Jahre alt."
"Was Schlözer anscheinend ein Dorn im Auge war, waren Basedows spielerischer Zugang, seine Auffassungen von Religion und Moral und vor allem die Vernachlässigung wissenschaftlichen Trainings", meint Annette Otterstedt.
Auch Basedow lässt sich auf diese Kontroverse ein - Vatereitelkeit und Gelehrtenrechthaberei gibt es auf beiden Seiten - und auch Basedows Erstgeborene muss als Beweis für die Erziehungstheorie ihres Erzeugers herhalten.
Ihr Vater hält Dorothea zu nicht nachlassendem Fleiß an. "Mit Schaufeln wurde die Gelehrsamkeit aufgeschüttet", mokiert sich Jahre später die Salonnière Ida Boy - Ed über das pädagogische Vorgehen Schlözers, der zulässt, dass "so gewaltige Wissensmengen über sie herfielen gleich Geröllmassen eines Bergsturzes, der alles liebliche Blühen niederdrückt."
Mit drei Jahren beginnt das kleine Mädchen mit Plattdeutsch, Englisch, Schwedisch, Niederländisch, Französisch und Italienisch. Mit vier Jahren kann sie lesen. Mit fünf Jahren kommt die Mathematik - den Satz des Pythagoras wendet sie mit sieben an - und Mineralogie, später Religion und Geschichte hinzu, mit zehn Latein, mit fünfzehn Griechisch. Belletristik und Poesie sind aus dem Unterricht allerdings verbannt.
Mit gleicher Leichtigkeit lernt sie von der Mutter Kochen, Nähen & Sticken. Daneben spielt sie Klavier und tanzt. Talent und unablässiger Drill wirken bei Dorothea Schlözer wohl gut zusammen...
1782 |
"Er giebt sich mehr mit dem bürgerlichen Menschen ab, als der Natur. Leben, Fülle und Wärme der Empfindung, die Blume der Schönheit sind ihm Nebensachen; das Gefühl derselben der Geschmack daran kömmt ihm als etwas eitles bestandleeres vor; die zauberischen Schöpfungen göttlicher Phantasieen sind ihm unnütze Künste."
Dem Vater missfällt das irgendwann:
"Dem Statüenbegücken bin ich gram geworden; es ist soviel Unzüchtiges dabei. Auch Dortchen gewöhnt sich die Kunstsprache an: sie schwatzt von weichem Fleisch an marmornen Statüen."
Dorothea erregt viel Aufmerksamkeit in Italien, spricht sie doch besser Italienisch als der Vater. Ganz Rom spräche von ihrem Dortchen, schreibt der nach Hause. In Rom kann sich das Mädchen zu einem auffallend hübschen und schlagfertigen Teenager entfalten, der vielerorts eingeladen wird - zu dessen Ärger sogar meist ohne den Vater. In Göttingen wiederum löst diese Reise in den bürgerlichen Kreisen Klatsch & Tratsch hervor. Nicht nur der Schlözersche Erziehungsstil wird verrissen, auch die für jene Zeit gefährliche Reise sorgt für ausreichend Gesprächsstoff.
Wieder zu Hause werden die Studienanstrengungen weiter voran getrieben: Im Rahmen der mineralogischen Studien unternimmt Dorothea dann 1887 ganz alleine eine Reise in den Harz – für ein Mädchen damals mehr als ungewöhnlich! Sie besucht Bergwerke und steigt dabei auch in die Gruben hinab. Die Bergleute sind begeistert.
Michaelishaus in Göttingen |
Einen Monat später, zum 50jährigen Bestehen der Universität, findet mit hohen Gästen aus aller Welt, den Honoratioren der Stadt & den Studenten ein Festumzug statt. Dorothea darf nicht daran teilnehmen, auch nicht an der Promotionsfeier. Der wohnt sie nur bei, weil sie auf dem Dachboden durch ein zerbrochenes Fenster in das Innere des Festsaals schauen darf. Die Urkunde nimmt ihr Vater für sie entgegen, für ihn ein Triumph.
"Was tun mit dieser hochqualifizierten Tochter? Für einen Sohn wäre die akademische Karriere selbstverständlich gewesen. Bei einer Tochter dachte niemand daran", so Annette Otterstedt.
Es gibt Anzeichen, dass Dorothea sich nach Eigenständigkeit, wie sie es in Italien und auf ihrer Harzreise ausgekostet hat, nach selbständigem Denken und persönlicher Weiterentwicklung sehnt. Vom Vater wird es ihr verwehrt: "Mein stiller Plan, den ich seit jeher mit ihr hatte, nicht einen Gelehrten aus ihr zu machen, sondern durch eine etwas mehr als gewöhnliche literarische Ausbildung einen ihren Wünschen angemessene Heirat zu machen." Schlözer ist kein Revolutionär: Sein Frauenbild entspricht vollkommen dem seiner Zeit. Er hat Dorothea zwar hinter die Mauern der Universität sehen lassen, doch die Türen bleiben ihr für immer verschlossen.
Anfangs geht das Kalkül des Vaters auch auf, als sich 1791 auf einer gemeinsamen Reise mit dem Vater nach Hamburg und Lübeck in dem wohlhabenden Lübecker Patrizier Mattheus Rodde ein passender Heiratskandidat auftut. Ein Jahr später heiraten sie.
Rodde, ein 37jähriger Witwer mit drei Kindern, sucht eine Frau, mit der er prunken kann, denn er ist versessen auf Ansehen, Pracht und Repräsentation ( was er sich mit seinem Vermögen leisten kann ). Doch es fehlt ihm noch ein i-Tüpfelchen: eine schöne Frau mit einem Doktortitel, das wär's! Nach Reichtum und Repräsentation streben auch die Schlözers. Von Liebe auch bei Dorothea keine Spur, eher ein kühles Abwägen der Vor- und Nachteile. Sie unterschreibt anschließend mit Rodde-Schlözer und kann sich damit als Erfinderin des deutschen Doppelnamens betrachten.
Gabriel Lemonnier: Dorothea Schlözer ( 1801 ) |
Friedrich Carl Gröger: Charles de Villiers (1809) |
Alexis Poitevin: Dorothea von Rodde-Schlözer (1806) |
Gedenktafel am letzten Wohnsitz in Göttingen |
Da kann ich deinem abschließenden Resümee nur beipflichten. Danke für dieses wieder so spannende Portrait!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
Wahrlich eine Vergeudung. Da wird sie in ihrer Kindheit drangsaliert und vollgestopft mit Wissen, das sie dann nicht anwenden darf. Traurig ist das.
AntwortenLöschenLiebe Grüße, heike
Was für eine Lebensgeschichte! Übrigens gibt es das Philantropinum in Dessau noch immer. Mein Mann hat dort 1957 Abitur gemacht. Da galt es noch immer als eine besondere Schule im Gegensatz zu der 2. zum Abitur führenden. Und die Gründungsgeschichte ist eng mit unserer Familiengeschichte verbunden. So schließen sich doch immer wieder Kreise im Leben. Ein wunderbares Portrait ist dir da wieder gelungen, liebe Astrid! Herzlich, Sunni
AntwortenLöschenPatriarchat vom Feinsten! Zuerst für den Vater als Objekt seines Stolzes missbraucht und dann fallen gelassen aus dem männlichen Olymp des Wissens in die wahre Bestimmung einer Frau als Hausfrau und Mutter.
AntwortenLöschenNein, eine Weinlese gab es für sie nicht. Zwischendurch mal ein paar gute Trauben, aber der Rest war reichlich sauer.
Der französische Philosoph dazwischen allerdings ist interessant...
Was für eine Geschichte!
Danke fürs Erzählen sagt herzlichst,
Sieglinde
Was für eine Verschwendung von Ressourcen zum einen und was für eine Verschwendung von Lebensglück zum anderen.
AntwortenLöschenDas müsste unter Strafe gestellt werden.
Danke für die Vorstellung der bemitleidenswerten Dorothea.
Viele Grüße
Claudia