"Kafkas Milena" hat wahrscheinlich jeder mal gehört, der sich mit diesem großartigen Schriftsteller und Vertreter der literarischen Moderne beschäftigt hat. Dass sich hinter dem schönen slawischen Vornamen ( mit der Bedeutung „freundlich, gnädig, gütig“ ) eine ausgesprochen agile Autorin, Journalistin und Widerständlerin verbirgt, die sich zu ihrer Zeit in den Kreisen der Avantgarde in Mitteleuropa bewegt hat und die dringend als ganz eigenständige Person wahrgenommen werden sollte, wissen nach wie vor die Wenigsten. Heute wäre ihr 121. Geburtstag.
Milena Jesenská wird am 10. August 1896 in Prag, damals noch zu Österreich-Ungarn gehörig, in eine wohlhabende, bürgerliche Familie geboren. Ihr Vater ist Dr. Jan Jesenský, Professor für Zahnmedizin an der Karlsuniversität, ihre Mutter Milena Hejzlarovà.
Der Vater stammt aus einer uralten Prager Familie und ist Nachkomme jenes Rektors der Karls-Universität, Jan Jesenius, Professor für Medizin, der nach der Katastrophe am Weißen Berg zusammen mit 26 anderen böhmischen Herren 1621 auf dem Altstädter Ring hingerichtet wurde, um die Autorität des Habsburger Königs Ferdinand II. den aufsässigen, meist protestantischen Bürgern der Stadt vor Augen zu führen. Sein konservativer tschechischer Nationalismus ist sicher darin begründet. Sein Engagement in der tschechischen Emanzipationsbewegung macht ihn für die Tochter durchaus zu einer politischen Vorbildfigur.
Milena wächst zwar in materieller Stabilität auf, doch ihre Jugend wird durch eine schwere Erkrankung der Mutter, der sie sich wohl herzlich verbunden fühlt, getrübt. Der Vater - eher egoistisch mit seinen Liebschaften beschäftigt - überlässt der Tochter die Pflege seiner todkranken Ehefrau. Als diese stirbt - wahrscheinlich ein Jahr vor Milenas Abitur 1915 - übernimmt die Tante Ruzena Jesenská, eine Schriftstellerin, die Rolle der Ersatzmutter. Die ist eine gebildete, gutmütige Frau, kommt aber gegen Milenas Temperament nicht an. Der Vater kümmert sich lange eher nicht.
In jener Zeit fühlt sich die Prager Jugend im Aufbruch. Und die Lehrerinnen, die Milena am Minerva-Gymnasium hat, hochgebildete Damen, Feministinnen, die in Prag den Ruf haben, verrückt zu sein, befördern diese Haltung...
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Das ohnehin sensible Mädchen entwickelt ein emphatisches Verhältnis zu Menschen, zeigt aber auch "ein prekäres Verhältnis zu einigen Normen, was weder für einen Vater, noch für die Gesellschaft irrelevant sein kann." ( Lucyna Darowska ) So gibt sie sein Geld aus ohne seine Zustimmung. Es gibt Betrugsversuche, Verhaftungen und Konflikte mit der Polizei.
Milena verkehrt in der deutsch-jüdischen Gesellschaft der Stadt, wo sie unter anderen auch Max Brod und Franz Werfel kennenlernt.
Im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch und einem Suizidversuch lässt der Vater sie schließlich mit Hilfe eines anderen Arztes 1917 ins Prager Krankenhaus in Veleslavin einweisen. Dort wird bei ihr Paranoia, Melancholie und "Moralischer Irrsinn" diagnostiziert. Andere Quellen sprechen von einer Morphinsucht.
Ernst Pollak |
Bis März 1918 bleibt Milena in der Anstalt. Es kommt zum Bruch mit dem Vater, denn sie empfindet sein Eingreifen als Gewalt, als Angriff auf ihre Selbstbestimmung. Letztendlich setzt sie aber trotz Psychiatrie und Isolation ihr Vorhaben durch, heiratet am 14. März Ernst Pollak und übersiedelt mit ihm nach Wien. Dort setzt dieser sein schon in Prag geführtes Bohèmeleben fort, verdient allerdings seinen Lebensunterhalt als Devisenhändler, weigert sich aber, seine Einkünfte mit seiner Frau zu teilen.
Milena kämpft also an vielen Fronten: Ihrer finanziellen Not versucht sie Herr zu werden, indem sie auf Wiener Bahnhöfen Koffer schleppt, Tschechisch-Unterricht gibt und sich schließlich als Journalistin versucht ( einen Beruf hat sie nicht, denn ihr Medizin- bzw. das anschließende Musikstudium hat sie abgebrochen ). Ihre psychische Not lässt sie um Unabhängigkeit und Anerkennung ringen.
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Außerdem übersetzt sie Texte vom Deutschen ins Tschechische. So bittet sie auch Franz Kafka, den sie seit Ende 1919 von einem Kaffeehausbesuch in Prag flüchtig kennt, einige seiner Texte ins Tschechische übersetzen zu dürfen. Den ersten Brief schreibt ihr Kafka im April 1920 aus Meran-Untermais, wo er zur Kur weilt.
Die erste Übersetzung eines seiner Werke stammt dann aus ihrer Feder: "Der Heizer" erscheint 1920 in einer tschechischen Literaturzeitschrift.
Alsbald setzt ein intensiver Briefwechsel zwischen den Beiden ein. In Milena findet Kafka das erste Mal eine Gesprächspartnerin, deren Jugend auch ein Vater-Kind-Konflikt geprägt hat wie ihn. Noch wichtiger ist allerdings, dass er mit ihr eine Frau gefunden hat, die ihn und seine literarischen Arbeiten wirklich versteht. So entwickelt sich aus dem Brief- auch ein Liebesverhältnis.
Die Briefe an Milena klingen sehr vertraut, doch scheinen sie eher gerichtet an eine Milena, die in Kafkas Phantasie existiert und mit der realen Frau nicht viel zu tun hat. Er wirkt vor ihr offener als vor jedem anderen Menschen zuvor. Und in dieser Zeit zählt nur noch sie für ihn, und die eigene Person wird ihm immer unwichtiger. An seinen Freund Max Brod schreibt er:
1921 und 1922 besucht Milena den Dichter noch öfter in Prag, der ihr als Zeichen seines Vertrauens sämtliche Tagebücher und das Manuskript des Romanfragments "Der Verschollene" übergibt. Dennoch ist es Kafka selbst, der die leidenschaftliche Beziehung abbricht: Die durch den beinahe täglichen Briefwechsel entstandene Vertrautheit ist zu tief, um in einer realen Beziehung überleben zu können. Kafka, schwer krank, leidet eher unter der Leidenschaft & Lebenstüchtigkeit Milenas, die seine ganze - und damit auch körperliche Liebe fordert. Davor schreckt er zurück.
Der letzte erhalten gebliebene Brief ist von Mitte Dezember 1923 ( also etwas mehr als ein halbes Jahr vor Kafkas Tod ).
Milena gerät in eine Krise, begeht einen Suizidversuch, trennt sich endgültig von Ernst Pollak und verlässt Wien.
Für ein Jahr bleibt sie bei einer Freundin, Alice Rühle - Gerstel, bei Dresden und kehrt erst 1926 nach Prag zurück, im Schlepptau den Grafen Xaver Schafgotsch, ein gewesener k. u. k. Offizier und Austro-Kommunist, was genug Anlass zu Klatsch in der Stadt bietet. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie an der Frauenseite der "Národní listy" (Nationalblätter), ist Mitglied einer Gruppe avantgardistischer linker Intellektueller, der "Devětsil" (Pestwurz) und schreibt Beiträge für die avantgardistischen Zeitung "Pestrý týden" (Bunte Woche).
1926 bringt Milena über den damals bedeutendsten Prager Verleger, Topic, unter dem Titel "Der Weg zur Einfachheit" Kurzgeschichten heraus. Gewidmet ist das Buch "meinem geliebten Vater"(!).
Milena heiratet 1927 den Avantgardearchiktekten und bekommt mit ihm gemeinsam eine Tochter, Jana, genannt Honza.
Doch kurze Zeit später erwachsen ihr große gesundheitliche Probleme: Eine schwerwiegende Gelenkentzündung fesselt sie fast ein Jahr ans Bett, ein steifes rechtes Knie wird für immer zurückbleiben. Die Folge ist der Verlust ihrer Arbeit, eine andere eine Morphinsucht.
Wie viele Architekten ( z.B. Grete Schütte- Lihotzky in diesem Post ) jener Jahre ist Krejcar als politischer Aktivist überzeugt, zum Aufbau der Sowjetunion beitragen zu können und geht nach Moskau. Die Ehe, die schon von Destruktivität gezeichnet ist, zerfällt darüber. 1934 wird sie endgültig geschieden.
Wieder einmal in großer finanzieller Not, entwurzelt, verlassen, leidend und dazu noch drogensüchtig klammert sie sich an eine neue Perspektive: Sie wird Mitglied der Kommunistischen Partei und propagiert in der Parteipresse die Losungen der Kommunistischen Internationale.
Doch mit der Zeit folgt auch hier die Ernüchterung: Der Dogmatismus der Partei lähmt zusehends ihre Phantasie und ihr journalistisches Interesse. Unter dem Eindruck des Spanischen Bürgerkriegs und der Moskauer Schauprozesse äußert sie sich kritisch und wird 1936 aus der Partei ausgeschlossen.
Beruflich und persönlich kommt sie wieder auf die Beine: Durch einen Kraftakt befreit sie sich von ihrer Morphiumsucht und stürzt sich in neue journalistische Aufgaben. Der Chefredakteur der liberal-demokratischen Wochenzeitschrift "Přítomnost", die mit Präsident Tomáš G. Masaryks finanzieller Hilfe gegründet wurde, engagiert sie, und sie wird zu einer anerkannten Kommentatorin des politischen Geschehens in jenen unruhigen Zeiten der Tschechoslowakei.
So fährt sie Ende Mai 1938 in die tschechischen Grenzgebiete, in die Sudeten, und beschreibt auf ihre besondere Weise in zwei langen Fortsetzungen die mehr als schwere Lage der Deutschen, die weiterhin auf Seiten der tschechischen Republik stehen wollen. Sie recherchiert in den Flüchtingslagern die Schicksale deutscher Emigranten, die in immer größerer Zahl der Naziherrschaft in die Tschechoslowakei entfliehen, ruft zur Solidarität mit allen Nazi -Gegnern auf und prangert die Sowjetunion an, die den Verfolgten das erhoffte Asyl verweigert. Sie schildert das Spitzelunwesen, die Bedrohung und Verfolgung von Demokraten und die Indoktrination der kleinen Kinder durch die Naziideologie ( davon kann ich aus ganz persönlichem Erleben ein Lied singen! ). Sie rügt die Fehler vergangener Tage, durch die alle Kämpfer gegen den Nationalsozialismus entzweit worden sind.
Eine freie Presse wird es alsbald nach der Zerschlagung der Rest-Tschechei nicht mehr geben. Deshalb nimmt Milena Kontakt zu einer Widerstandsgruppe auf, die eine illegale Zeitung herausbringt. Ihre Wohnung macht sie zum Treffpunkt und zur Zuflucht politisch Verfolgter, die von dort aus über die Grenze nach Polen gebracht werden, um im Ausland den Kampf gegen Hitler-Deutschland zu führen.
Ihren damaligen Lebensgefährten, Evžen Klinger, der als Jude besonders bedroht ist, verhilft sie zur Flucht aus dem Land. Sie selbst will bleiben, weil sie sich gebraucht fühlt und nicht noch einmal in der Fremde leben will.
Nach dem Verbot der "Přítomnost" und der Verhaftung ihres Chefredakteurs zieht die Gestapo ihr Netz um Milena:
Am 11. November 1939 wird sie verhaftet, immer wieder verhört, dann ins Prager Gefängnis und von dort in ein Lager gebracht. 1940 wird sie vom Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofs am Münchner Platz in Dresden aus Mangel an Beweisen freigesprochen, aber der Gestapo überstellt, die sie zur "Umerziehung" in das Frauen-KZ-Ravensbrück verschleppen. Unterernährt und an Rheumatismus leidend kommt Milena in das Lager, in dem zu diesem Zeitpunkt schon fast 5000 Frauen untergebracht sind, von denen viele an Typhus, Scharlach, Diphtherie, Hunger und Kälte sterben werden, und erhält dort die Nummer 4711.
Auch dort setzt sie ihren Widerstand weiter fort, gehört zu einem Helferinnen - Netzwerk aus Häftlingsärztinnen & Krankenschwestern, die mit Hilfe von gefälschten Fieberkurven & gestohlenen Medikamenten die am stärksten von der Vernichtung Bedrohten zu retten versuchen. Sie bewahrt ihre Würde & Haltung, auch wenn sie ihr durch die Behandlung der Nazis immer wieder genommen wird, indem sie zum Beispiel den Stock des Lagerarztes Sonntag zur Seite schlägt, wenn er sie damit berührt.
Auch ihre Lust an der journalistischen Recherche kann im Lager trotz ihrer Krankheit nicht genommen werden. Sie interessiert sich für die Schicksale ihrer Mit - Häftlinge und lernt dabei die ehemalige Kommunistin Margarete Buber-Neumann kennen, die man im sowjetischen Exil verhaftet, verurteilt und später an die Gestapo ausgeliefert hat. Diese legt später Zeugnis ab von Milenas Menschlichkeit, Empathie, ihrer politischen Überzeugung von einer gerechteren Welt und ihrer Liebe zum Leben.
Alsbald setzt ein intensiver Briefwechsel zwischen den Beiden ein. In Milena findet Kafka das erste Mal eine Gesprächspartnerin, deren Jugend auch ein Vater-Kind-Konflikt geprägt hat wie ihn. Noch wichtiger ist allerdings, dass er mit ihr eine Frau gefunden hat, die ihn und seine literarischen Arbeiten wirklich versteht. So entwickelt sich aus dem Brief- auch ein Liebesverhältnis.
Die Briefe an Milena klingen sehr vertraut, doch scheinen sie eher gerichtet an eine Milena, die in Kafkas Phantasie existiert und mit der realen Frau nicht viel zu tun hat. Er wirkt vor ihr offener als vor jedem anderen Menschen zuvor. Und in dieser Zeit zählt nur noch sie für ihn, und die eigene Person wird ihm immer unwichtiger. An seinen Freund Max Brod schreibt er:
"Sie ist ein lebendiges Feuer, wie ich es noch nie gesehen habe, ein Feuer übrigens, das trotz allem nur für ihn ( gemeint ist Pollak ) brennt."Auch Milena schätzt diese Vertrautheit mit Kafka, und Liebe ist für sie ohnehin der tiefste Ausdruck des Menschseins. Dennoch sieht sie sich in all ihrer Liebe nicht in der Lage, ihren Ehemann zu verlassen, obwohl es Kafkas Wunsch ist, sie möge sich aus ihrer längst zerrütteten Ehe vollends lösen und zu ihm nach Prag ziehen. Nach einer weiteren Zusammenkunft an der Grenze, in Gmünd, sehen sich die beiden ein ganzes Jahr nicht mehr.
1921 und 1922 besucht Milena den Dichter noch öfter in Prag, der ihr als Zeichen seines Vertrauens sämtliche Tagebücher und das Manuskript des Romanfragments "Der Verschollene" übergibt. Dennoch ist es Kafka selbst, der die leidenschaftliche Beziehung abbricht: Die durch den beinahe täglichen Briefwechsel entstandene Vertrautheit ist zu tief, um in einer realen Beziehung überleben zu können. Kafka, schwer krank, leidet eher unter der Leidenschaft & Lebenstüchtigkeit Milenas, die seine ganze - und damit auch körperliche Liebe fordert. Davor schreckt er zurück.
Der letzte erhalten gebliebene Brief ist von Mitte Dezember 1923 ( also etwas mehr als ein halbes Jahr vor Kafkas Tod ).
1925 (links) Source |
Für ein Jahr bleibt sie bei einer Freundin, Alice Rühle - Gerstel, bei Dresden und kehrt erst 1926 nach Prag zurück, im Schlepptau den Grafen Xaver Schafgotsch, ein gewesener k. u. k. Offizier und Austro-Kommunist, was genug Anlass zu Klatsch in der Stadt bietet. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie an der Frauenseite der "Národní listy" (Nationalblätter), ist Mitglied einer Gruppe avantgardistischer linker Intellektueller, der "Devětsil" (Pestwurz) und schreibt Beiträge für die avantgardistischen Zeitung "Pestrý týden" (Bunte Woche).
„Als der Architekt Jaromir Krejcar auftauchte, damals ein Avantgardist, der gute Kontakte zum deutschen Bauhaus hatte und mit den Pariser Bohemiens und Surrealisten eng verwandt war, hat Milena wohl den Grafen irgendwo abgestellt und vergessen. Der Aristokrat verschwand aus Prag, keiner wußte wohin, und es interessierte auch niemanden, am wenigsten Milena“, berichtet später ihre Journalistenkollegin Hana Sklibovä hier.
Jaromir Krejcar |
Mit Jana (1929) Source |
Milena heiratet 1927 den Avantgardearchiktekten und bekommt mit ihm gemeinsam eine Tochter, Jana, genannt Honza.
Doch kurze Zeit später erwachsen ihr große gesundheitliche Probleme: Eine schwerwiegende Gelenkentzündung fesselt sie fast ein Jahr ans Bett, ein steifes rechtes Knie wird für immer zurückbleiben. Die Folge ist der Verlust ihrer Arbeit, eine andere eine Morphinsucht.
Wie viele Architekten ( z.B. Grete Schütte- Lihotzky in diesem Post ) jener Jahre ist Krejcar als politischer Aktivist überzeugt, zum Aufbau der Sowjetunion beitragen zu können und geht nach Moskau. Die Ehe, die schon von Destruktivität gezeichnet ist, zerfällt darüber. 1934 wird sie endgültig geschieden.
Wieder einmal in großer finanzieller Not, entwurzelt, verlassen, leidend und dazu noch drogensüchtig klammert sie sich an eine neue Perspektive: Sie wird Mitglied der Kommunistischen Partei und propagiert in der Parteipresse die Losungen der Kommunistischen Internationale.
Doch mit der Zeit folgt auch hier die Ernüchterung: Der Dogmatismus der Partei lähmt zusehends ihre Phantasie und ihr journalistisches Interesse. Unter dem Eindruck des Spanischen Bürgerkriegs und der Moskauer Schauprozesse äußert sie sich kritisch und wird 1936 aus der Partei ausgeschlossen.
Beruflich und persönlich kommt sie wieder auf die Beine: Durch einen Kraftakt befreit sie sich von ihrer Morphiumsucht und stürzt sich in neue journalistische Aufgaben. Der Chefredakteur der liberal-demokratischen Wochenzeitschrift "Přítomnost", die mit Präsident Tomáš G. Masaryks finanzieller Hilfe gegründet wurde, engagiert sie, und sie wird zu einer anerkannten Kommentatorin des politischen Geschehens in jenen unruhigen Zeiten der Tschechoslowakei.
So fährt sie Ende Mai 1938 in die tschechischen Grenzgebiete, in die Sudeten, und beschreibt auf ihre besondere Weise in zwei langen Fortsetzungen die mehr als schwere Lage der Deutschen, die weiterhin auf Seiten der tschechischen Republik stehen wollen. Sie recherchiert in den Flüchtingslagern die Schicksale deutscher Emigranten, die in immer größerer Zahl der Naziherrschaft in die Tschechoslowakei entfliehen, ruft zur Solidarität mit allen Nazi -Gegnern auf und prangert die Sowjetunion an, die den Verfolgten das erhoffte Asyl verweigert. Sie schildert das Spitzelunwesen, die Bedrohung und Verfolgung von Demokraten und die Indoktrination der kleinen Kinder durch die Naziideologie ( davon kann ich aus ganz persönlichem Erleben ein Lied singen! ). Sie rügt die Fehler vergangener Tage, durch die alle Kämpfer gegen den Nationalsozialismus entzweit worden sind.
"Das Tageswerk des Reporters ähnelt häufig dem einer Hyäne. Mit dem Notizbuch in der Hand zieht er umher und notiert sich menschliches Elend, um in den Zeitungen davon zu berichten. Wenn er dies ohne ein Fünkchen Hoffnung tut, dass seine gedruckten Worte helfen können, ist er nicht einmal einen Händedruck wert", kommentiert die engagierte Journalistin ihre Arbeit.Enttäuscht, zornig und traurig ist sie nach der Abtretung des Sudetenlandes und dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag im Herbst 1938.
Eine freie Presse wird es alsbald nach der Zerschlagung der Rest-Tschechei nicht mehr geben. Deshalb nimmt Milena Kontakt zu einer Widerstandsgruppe auf, die eine illegale Zeitung herausbringt. Ihre Wohnung macht sie zum Treffpunkt und zur Zuflucht politisch Verfolgter, die von dort aus über die Grenze nach Polen gebracht werden, um im Ausland den Kampf gegen Hitler-Deutschland zu führen.
Ihren damaligen Lebensgefährten, Evžen Klinger, der als Jude besonders bedroht ist, verhilft sie zur Flucht aus dem Land. Sie selbst will bleiben, weil sie sich gebraucht fühlt und nicht noch einmal in der Fremde leben will.
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Am 11. November 1939 wird sie verhaftet, immer wieder verhört, dann ins Prager Gefängnis und von dort in ein Lager gebracht. 1940 wird sie vom Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofs am Münchner Platz in Dresden aus Mangel an Beweisen freigesprochen, aber der Gestapo überstellt, die sie zur "Umerziehung" in das Frauen-KZ-Ravensbrück verschleppen. Unterernährt und an Rheumatismus leidend kommt Milena in das Lager, in dem zu diesem Zeitpunkt schon fast 5000 Frauen untergebracht sind, von denen viele an Typhus, Scharlach, Diphtherie, Hunger und Kälte sterben werden, und erhält dort die Nummer 4711.
Auch dort setzt sie ihren Widerstand weiter fort, gehört zu einem Helferinnen - Netzwerk aus Häftlingsärztinnen & Krankenschwestern, die mit Hilfe von gefälschten Fieberkurven & gestohlenen Medikamenten die am stärksten von der Vernichtung Bedrohten zu retten versuchen. Sie bewahrt ihre Würde & Haltung, auch wenn sie ihr durch die Behandlung der Nazis immer wieder genommen wird, indem sie zum Beispiel den Stock des Lagerarztes Sonntag zur Seite schlägt, wenn er sie damit berührt.
Auch ihre Lust an der journalistischen Recherche kann im Lager trotz ihrer Krankheit nicht genommen werden. Sie interessiert sich für die Schicksale ihrer Mit - Häftlinge und lernt dabei die ehemalige Kommunistin Margarete Buber-Neumann kennen, die man im sowjetischen Exil verhaftet, verurteilt und später an die Gestapo ausgeliefert hat. Diese legt später Zeugnis ab von Milenas Menschlichkeit, Empathie, ihrer politischen Überzeugung von einer gerechteren Welt und ihrer Liebe zum Leben.
Milena Jesenská stirbt am 17. Mai 1944 in Ravensbrück an den Folgen einer Nierenoperation.
"Ich glaube, wenn ich einmal frei sein werde, ertrage ich die Freiheit gar nicht, " heißt es in einem ihrer Briefe aus dem Gefängnis, die sie an ihren Vater und ihre Tochter geschrieben hat und die 2012 zufällig entdeckt & später publiziert werden.
In ihrer tschechischen Heimat ist Milena Jesenská wegen ihrer politischen Ansichten über Jahrzehnte ein Tabu. Erst der Sturz des kommunistischen Regimes 1989 ermöglicht die Wiederentdeckung und die Würdigung ihrer Person und ihrer journalistischen Arbeit. Im Westen richtet sich das Interesse lange, lange nur auf die Beziehung zu Franz Kafka - für mich höchste Zeit, auch an diesem Ort zu einem differenzierten Bild dieser großartigen Frauenpersönlichkeit beizutragen.
Wow. Was für eine beeindruckende Frau. Und wie traurig sich deine Biographie bis fast zum Schluss liest. Aber ich glaube, gerade das berührt mich so. Dass diese Frau, die in ihrem Leben so oft verlassen und entwurzelt war, sich doch so mutig für das einsetzt, was ihr richtig erscheint und gerade auch im Lager dieses Engagement so fortsetzt - das ist wirklich krass. Danke für dieses Porträt!
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Sabrina
Immer wieder gehen mir diese Frauenschicksale sehr zu Herzen und ich bin ehrfürchtig, wie sie ihr Leben gemeistert haben. Deine Art, darüber zu schreiben, bringt mir jede einzelne von ihnen sehr nahe.
AntwortenLöschenIch hoffe, es geht Dir gut und Deine Genesung macht grosse Fortschritte.
Von Herzen
Susanne
Liebe Astrid, ein besonderes Porträt ist dir da wieder gelungen. 12 Mal war ich mit meinen Abiturienten in Prag, auf Kafkas Spuren. Dabei kam es immer wieder im Gespräch auch auf Milena. Die Hintergründe kannte ich nicht so genau und die Frage, was sie für ihn und umgekehrt gewesen sei. Danke dir! Herzlich, Sunni
AntwortenLöschenArme, große, tapfere Milena. Woher hat sie wohl die Kraft genommen immer und immer wieder sich aufzuraffen und auch noch an andere zu denken dabei? Vielleicht hat sie ihr das Schreiben gegeben?
AntwortenLöschenWieder mal ein aufrüttelndes Frauenschicksal, das nur über einen vermeintlich großen Mann und dadurch nur zu einem kleinen Teil bekannt wurde.
Du beschreibst es so anrührend und klar, dass es ihre wahre Größe zeigt.
Danke dafür sagt herzlichst, Sieglinde
Was für eine Persönlichkeit liebe Astrid. Auch mich berührt ihr Schicksal sehr. Wieder mal ganz lieben Dank dir für diese Mühe alles zu recherchieren!
AntwortenLöschenHoffe bei dir geht es weiterhin aufwärts <3 Drück dich
Christel
Danke für diese sehr berührende Biographie!
AntwortenLöschenIch freue mich immer wieder auf Deine spannenden Frauen-Portraits.
Liebe Grüße
Andrea
Irgendwann früher habe ich mal ein schmales Buch über sie gelesen, und schon da haben mich ihr Schicksal und ihre immer wieder neuen Anläufe in ein selbstbestimmtes Leben sehr berührt. Aber so faktenreich über ihre Verbindung zu Kafka hinaus war das Büchlein nicht, wie jetzt dein Beitrag über sie. Dankeschön, eine feine Teepause hast du mir da beschert ... 💛. Lieben Gruß Ghislana
AntwortenLöschenDanke, liebe Astrid, für die Schilderung des Lebensweges dieser mutigen Frau, deren Schicksal mich sehr berührt.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Edith
da hast du recht, das wurde wirklich zeit!! ich habe als junges mädchen mit meiner freundin für kafkas "briefe milena" geschwärmt. aber mehr wusste ich nicht über sie. schon gar nicht über ihren schweren lebensweg und ihre verschleppung nach ravensbrück. da sieht man mal wieder, wie männlich geprägt die literatur war und immer noch ist.danke, astrid, für dieses portrait!
AntwortenLöschenliebe grüße und ein hoffentlich gutes (letztes!) wochenende im bergischen!
mano
Wow, was für ein beeindruckender Lebenslauf!
AntwortenLöschenGanz liebe Grüße von Urte
Liebe Astrid,
AntwortenLöschendanke für dieses interessante Portrait. Wieder eine Person "kennengelernt", von der ich sonst nicht gehört hätte. Du schreibst den Satz:" Und Deutschsein wird damals mit Jüdischsein gleichgesetzt. " Darüber würde ich gern mehr lesen, finde aber nichts. Hast du dazu vielleicht eine Quellenangabe? Vielen Dank und lieben Gruß
Gabi
Seit den 1890er Jahren gab es im tschechischen Teil des Habsburger Reiches Kämpfe zwischen den deutschen & tschechischen Bevölkerungsgruppen. Das deutsche Bürgertum bzw. das Großbürgertum war teilweise jüdisch, stellte die Intelligenz dar und beherrschte lange das Beamtentum, gegen die sich die tschechische Intelligenz und zunehmend die Bauern, Arbeiter & das Kleinbürgertum zur Wehr setzten. Es gab z. B. einen erbitterten Streit darum, welche Sprache Amtsprache ist. Schriftsteller wie Kafka, Max Brod, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch u.a. sind jüdisch gewesen, haben aber in deutscher Sprache geschrieben. Man spricht hier von Prager deutscher Literatur im Zeitraum zwischen 1890 und 1939/45.
LöschenLG