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Dienstag, 22. Oktober 2024

Lieben Sie Lyrik? {22}

Laura Ding-Edwards
The Mountain 

If the mountain seems too big today
then climb a hill instead
if the morning brings you sadness
it's ok to stay in bed
if the day ahead weighs heavy
and your plans feel like a curse
there's no shame in rearranging
don't make yourself feel worse
is a shower stings like needles
and a bath feels like you'll drown
if you haven't washed your hair for days
don't throw away your crown
a day is not a lifetime
a rest is not defeat
don't think of it as failure
just a quiet, kind retreat
it's ok to take a moment
from an anxious, fractured mind
thee world will not stop turning
while you get realigned
the mountain will still be there
when you want to try again
you can climb it in your own time
just love yourself till then





Wenn dir heute der Berg zu hoch ist
dann erklimme den Hügel an seiner Statt
wenn der Morgen dich betrübt 
abgemacht:  bleib im Bett  
wenn der nächste Tag zu schwer
und deine Pläne auf dir lasten wie ein Fluch 
ist es keine Schande, alles neu zu arrangieren
mach dir keine schlechten Gefühle
wenn ein Duschstrahl wie Nadeln sticht
wenn du im Bad dich dem Ertrinken nahe fühlst 
auch wenn die Haare tagelang nicht gewaschen sind
wirf deine Krone nicht weg
ein einzelner Tag ist kein ganzes Leben
eine Pause ist keine Niederlage
sieh es nicht als Misserfolg
sondern als ruhigen, freundlichen Rückzug
es ist in Ordnung, Abstand zu nehmen
von einem ängstlich gebrochenen Geist
deine Welt wird nicht aufhören, sich zu drehen
während du dich neu ausrichtest
der Berg wird immer noch da sein
und wenn du es noch einmal versuchen möchtest
du kannst ihn im eigenen Tempo ersteigen
bis dahin liebe dich einfach selbst
                                                                       ( Übertragung durch mich )


Und wieder ist mir ein Gedicht bei Instagram zugeflogen, genial vorgetragen von Steven Moore ( eigentlich ein bekannter Antiquitäten-Experte & Venedig-Liebhaber in Großbritannien ). Wie schön in der englischen Sprache simple Lebenserfahrungen klingen können! 

Das heutige Gedicht stammt von Laura Ding-Edwards, einer jungen Mutter, die eigentlich als Aquarellkünstlerin mit einem kleinen, eigenen Unternehmen gestartet ist. 2018 hat sie das Gedicht, im Auto sitzend, geschrieben & gepostet, und es erhielt schnell großen Zuspruch in den social media. So, sagt sie, wurde aus der Künstlerin eine Dichterin.

2019 brachte sie eine Sammlung ihrer Gedichte mit dem Titel "The Mountain" heraus, die bei Amazon die Nummer Eins der Neuerscheinungen in den Staaten & Großbritannien geworden ist. Ihr Fokus, so beschreibt sie es selbst, liegt auf dem offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen und darauf, die Fragilität wie die Stärke des Menschseins zu thematisieren. 

In ihrem Blog schreibt sie auch darüber, was die Mutterschaft mit ihr gemacht hat - ein Thema, das sicher vor allem junge Frauen anspricht. Sicher aber auch solche, die in meinem Alter sind und denen in diesem Lebensabschnitt noch einmal klar wird, wie wichtig die Verbindung mit anderen Frauen ist. Damals, um diese Lebensaufgabe "Mutterschaft" annähernd bewältigen zu können. ( Denn daran hat sich tatsächlich nicht viel geändert. Manchmal meine ich gar, ganz im Gegenteil. ) Und im Alter das Alleinsein. Sisterhood stärkt! So wie die Selbstliebe. 

                                                                               

Samstag, 5. Oktober 2024

Meine 40. Kalenderwoche 2024

"Die Scham muss die Seiten wechseln, 
vom Opfer zum Angeklagten."
Gisèle Pelicot, Opfer männlicher Gewalt

"Glaubt den Opfern beim ersten Mal. 
Es braucht ordentlich Mut, 
die Wahrheit zu sagen in einer Situation, 
in der man machtlos ist."
Cassie VenturaOpfer männlicher Gewalt

"Österreich ist eine kleine Welt, 
in der die große ihre Probe hält."
Friedrich Hebbel , 1813-1863

"Freedom is just another word 
for nothin' left to lose
Nothin' don't mean nothin', hon'
 if it ain't free"
Kris Kristofferson in memoriam



Das Wetter am letzten Samstag strafte den Wetterbericht mal wieder Lügen. Egal. Ich habe abends den Herbst gefeiert mit einer Porreetarte. Nachdem ich mal meine Rezeptsammlung auf dem Mac aufgeräumt hatte, gab es wieder genug Inspiration.

Nach langer Zeit gab es auch mal wieder Tränen der Erinnerung, als ich auf meinen Einkaufszettel für die Tarte "Munsterkäse" notiert habe. Das Munstertal in den Vogesen war der Endpunkt unserer "Flucht", damals ganz am Anfang unserer Liebesbeziehung. Ich habe die Tarte mit ganz besonderem Genuss verzehrt...



Am Sonntag hat mich die Schwägerin in die Eifel zu den Wahlverwandten mitgenommen.



Schon über acht Jahre war ich nicht mehr dort und habe die Veränderungen nach dem Hochwasser 2021, als die Talsperrenmauer zu brechen drohte und sich ein kleiner Fluss einen Weg über das Grundstück gebahnt hat, bisher nur auf Instagram-Fotos anschauen können.


Im Dorf selbst sieht es noch furchtbar aus - so viele Schäden! Ich krieg da 'nen dicken Hals angesichts der Augenverschließerei, was die Auswirkungen der Klimaveränderung anbelangt. So herzlos gegenüber denen, die ihr Zuhause und ihre Sicherheit & Vermögen verloren haben.

Schön aber, liebe Menschen wieder getroffen und dazu ein paar neue nette kennengelernt zu haben.




Nach dem Haareschneiden am Montag habe ich noch eine Runde durch unser Tälchen gedreht.




Im Kopf herum ging mir die Formulierung "Herbst des Lebens". Ich lebe hier jetzt seit über 47 Jahren und treffe auf solchen Spaziergängen auf Menschen, die ich ebenso lange kenne. Allerdings immer mehr mit (sichtbaren) Gebrechen und - schlimmer noch - solche, die einen nicht mehr erkennen und fragen, wer man sei. Das deprimiert mich schon mal...

Zum Glück liegt zu Hause dann ein solches Buch vom Glück hinter der Haustür ( als chromoholic und Promoterin großartiger Frauen konnte ich mir den Kauf nicht verkneifen )...




Apropos Bücher: 

Angeregt durch den Antiquar Klaus Willbrandt, der inzwischen quasi ein Instagram-Star mit 133.000 Followern geworden ist, habe ich unsere über Jahrzehnte gemeinsam ersammelte Bibliothek auch wieder einmal inspiziert und mir Literatur des 19. Jahrhunderts herausgesucht. 

Während mich Theodor Fontane so gar nicht zu faszinieren vermocht hat, begeistert mich der englische Humor von Georg Eliot, ebenfalls 1819 geboren. So viel gelacht wie bei dieser 1200 Seiten umfassenden Lektüre hab ich schon lange nicht mehr! Zutreffende, originelle Beschreibungen, ebensolche Vergleiche & Bilder! Und der Einblick in die sich wandelnde Gesellschaft im England um 1830 ist für mich nachvollziehbarer als beispielsweise in Fontanes "Stechlin". Die dreißig Minuten tägliche Buchlektüre, die ich mir bei meinem Gewohnheitstracker verordnet hatte, überschreite ich mittlerweile um das Vielfache, so spannend ist die Darstellung für mich gewesen. Mittlerweile ausgelesen.

Diese Woche habe ich mich auf die Einkaufsmeile Schildergasse begeben, aber ganz gezielt wegen eines Geschäftes. Anschließend habe ich mich in Seitengassen geschlagen. Im Perlengässchen habe ich die Reliefreste eines im Krieg zerstörten Hauses von 1890, eingelassen in die neue Fassade, entdeckt.


Im Dom war ich dann auch, bin aber bald zur U-Bahnhaltestelle, vorbei an den Resten des römischen Nordtores, aufgebrochen. Ich hab es vorgezogen, noch trocken nach Hause zu kommen und dort meine Kaffeepause zu zelebrieren.




Den Feiertag habe ich dann trotz zunächst anderer Pläne zu Hause mit Lesen & viel Musik verbracht. Nachdem ich meine Sammlung "überarbeitet" habe, finde ich auch wieder, was ich suche. Zum Beispiel alle CDs  des fabelhaften Paolo Conte...


Zur Feier des Tages habe ich mir frische Steinpilze gegönnt und mir zusammen mit Frühlingszwiebeln, Sahne und viel Petersilie ein Sößchen zu Tagliatelle zubereitet. Mmmh!




Am nächsten Tag habe ich meinen Standard "Γεμιστές πιπεριές" mal wieder aufgegriffen und gleich ein paar für die Nachbarn, die ehemaligen Floristen, mitproduziert. Ich hab einfach keine Lust mehr, mir ständig das Miteinander in unserer Gesellschaft madig machen zu lassen. Der Kölner Peter Brings bringt's hier auf den Punkt. Wir praktizieren das "Wir" hier, und das schafft Wohlbefinden miteinander, obwohl wir hier alle uns mit einigen ( kräftigen ) Schicksalsschlägen rumschlagen müssen.


Wo fängt frau an bei diesem Thema?
Dass frau sich vieles nicht mehr traut, hier im Blog...
Dass frau sich immer mehr einschränkt...

Diese hasserfüllten Kommentare, anonymen Briefe und Mails mit Bedrohungscharakter, die ich seit der Coronazeit inklusive der Wochen, in der mein Mann im Sterben lag, erhalten habe, haben mich stummer werden lassen. Vor allem bei Themen, die sich rund um Frauen & Mädchen drehen. Etwas, was mich sehr beschäftigt, ohne hier zur Sprache zu kommen. Kraft & Energie, mich mit diesen Kommentaren, diesen übelwollenden & übergriffigen Ergüssen mental zu beschäftigen, kommt mir langsam abhanden. Und ich bin mir einfach nicht mehr der Solidarität & Unterstützung durch andere in der Bloggerwelt sicher.

Doch diese Frau gibt mir wie wohl vielen anderen Frauen neuen Mut: Gisèle Pelicot. Eine Frau meines Alters, aus einem idyllischen Kleinstädtchen, das ich seit meinen Provence - Sommern gut kenne. Eine Frau, die sich in einer fürsorglichen Ehe geglaubt hat, aber fast zehn Jahre von ihrem Mann und mehr als siebzig Männern betäubt, vergewaltigt und dabei gefilmt worden ist. Seit Anfang September nimmt sie an jedem Verhandlungstag in Avignon an dem Prozess gegen ihre Vergewaltiger teil und vermittelt der Welt: Ich bin es nicht, die sich verstecken muss.

Muss sie auch nicht. Die ganze unsägliche, unerträgliche, widerliche Geschichte macht deutlich, wie viel Frauenverachtung auf männlicher Seite, welche Dominanz und Komplizenschaft von Vergewaltigern und Angreifern, welch hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen nach wie vor in angeblich so modernen Gesellschaften, wie es unsere sein sollen, an der Tagesordnung ist. Es ist ja nicht von Afghanistan die Rede, sondern von Frankreich.

Von Misogynie, Rachsucht, Überlegenheits- und Besitzdenken von etlichen Männern bei uns zeugt auch die Zahl von Femiziden - in diesem Jahr in Deutschland schon 68, in Österreich 21, also alle drei Tage in der BRD - und darüberhinaus andere Gewalttaten gegen Frauen, die, wie am letzten Wochenende in Essen, auch weitere Menschen in ihrer Körperlichkeit wie Seele schädigen. Hört mir auf mit dem alten Klassiker "Eifersuchtswahn" ( BILD )! Damit verbannt man einen solchen Mord nur in das Reich des Irrsinns, der Raserei aus ( enttäuschter ) Liebe. Auch hier gilt: Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert.

Diese Ereignisse verdeutlichen auch, dass nach wie vor der gefährlichste Raum für Frauen & Mädchen die häusliche Umgebung ist, nicht die Straße, wie es uns nationalistische Hetzer weiß machen wollen ( täglich werden etwa 700 Menschen zu Hause Opfer von Gewalt, drei von vier Tätern sind männlich ). Damit möchte ich nicht in Abrede stellen, dass Frauen & Mädchen vielen unerträglichen Situationen auf der Straße ausgesetzt sind, u.a. auch solchen, die heute unter dem Begriff "Cat-Calling" subsumiert werden. Mädchen machen im Durchschnitt mit 13,8 Jahren Erfahrung mit solchen verbalen Übergriffen:
"'Warum kannst du keinen BH tragen?', schrie mich ein Mann neulich vorwurfsvoll an, als ich auf die Straße trete. 'Ich kann deinetwegen auf der Straße nicht laufen!', sagt er und zeigt auf seinen erigierten Penis. Ob ich denn nicht verdammt noch mal einen BH hätte?", so beschreibt eine ganz junge Frau eines ihrer Erlebnisse von diesem Sommer.

Ich habe aus meiner eigenen Jugend noch viele solcher Vorkommnisse im Kopf, hatte aber gehofft, die blieben meiner Enkelin, derzeit in jenem Durchschnittsalter, erspart. Doch es hat sich nichts geändert in  manchen männlichen Köpfen und ihrem Anspruch. Und es wird sich auch nichts ändern, wenn der Gesetzgeber hierzulande nicht in die Puschen kommt und endlich gegenüber den 50,7 % seines Staatsvolkes in seiner Fürsorgepflicht nachkommt.

"Sie haben im Koalitionsvertrag angekündigt, ein Gesetz zu schaffen, das Betroffene besser vor Gewalt schützt. Jetzt drängt die Zeit! Ihre Regierung hat nur noch wenige Wochen um dieses Versprechen einzulösen. Als Mitglieder der Bundesregierung tragen Sie Verantwortung für das Leben und die Sicherheit von Frauen, Mädchen und queeren Menschen in unserem Land." 

So heißt es in einem Brandbrief bzw. einer Petition, die vom Deutschen Frauenrat, UN Women Deutschland e.V. gestartet worden ist und die hier unterzeichnet werden kann.

Neben unzureichender Rechtsprechung fehlt es hier bei uns an einem Verständnis für die Lebens­rea­li­täten von Frauen und echtem Willen, uns zu schützen. Ich bin der Meinung, verbale sexuelle Belästigungen sind auch schon eine Form von Anmaßung & Gewalt. Sie können auch der Anfang der Gewalt sein, die einer Gisèle Pelicot angetan worden ist und die letztendlich im Femizid gipfelt. 

Und zuletzt noch diese Bemerkung: Wenn frau diese Dinge anspricht, wird einem häufig unterstellt, frau habe ein persönliches Problem, von wegen häßlich, unbefriedigt, einsam und so - liebe Troll*innen von der Fraktion, die Feministinnen als feminine Egoistinnen abkanzeln, spart euch eure Tippseleien! Da zitiere ich gerne eines eurer Lieblings - Statements: Ihr tut mir einfach nur leid.

                                                           


Wie gewohnt verlinke ich diesen Post  mit dem Samstagsplausch bei Andrea Karminrot, mit "Niwibo sucht" - diesmal "Bunt" -, den Sonntagsschätzchen und dem Mosaic Monday.

Dienstag, 4. Januar 2022

Auf meinem Stehpult XIV

"KölnGold – das sind Ideen und Schätze 
aus Kunst, Kultur und Alltag 
aus 2000 Jahren Geschichte und Sammelleidenschaft." 

So bewirbt der Kölner Wienand - Verlag sein kiloschweres, über sechshundert Seiten umfassendes Buch, in dem sich mal wieder am besten schmökern lässt, wenn es auf dem Stehpult liegt: 

250 Gemälde, Skulpturen, Bauwerke, Handschriften und Alltagsgegenstände aus den Kölner "Schatzkammern" hat der Kunsthistoriker Matthias Hamann ausgewählt, darunter so mir wohl bekannte und geliebte wie das Diatretglas aus dem Römisch-Germanischen Museum, das Macke-Bild vom Thuner See ( "Dame in grüner Jacke", 1913 ), das ich am liebsten klauen würde, der Altar der Stadtpatrone im Dom, der Kornspeicher aus Indonesien im Rautenstrauch-Joest-Museum, Hokusais "Große Woge" im Museum für Ostasiatische Kunst, Manets "Spargelbündel" im Wallraf, der Woensam-Plan aus dem Stadtmuseum oder eben weniger berühmte wie die auf dem Foto zu sehenden gekrönten Märtyrer von Konrad Kuyn. 


Manches wird sehr kontrastreich präsentiert wie auf dieser Doppelseite: Roy Lichtensteins "Bildnis eines Mädchens" von 1965 und die Parlerbüste von 1390. Manches ist alltäglich wie ein Rimowa- Koffer aus jenen Zeiten des Unternehmens, als solche auch uns durch die Welt begleitet haben oder die Reissdorf- Kölsch -Werbung von 1968, die mich immer zum Schmunzeln gebracht hat, wenn ich am Rudolfplatz vorbeikam. Dass der Wälzer auf jegliche Chronologie pfeift und das Nebeneinander zeigt, das für Köln so bezeichnend ist, finde ich besonders herzerfrischend.

Ergänzt wird das üppige Bildprogramm mit Essays über je zwei Seiten in deutscher & englischer Sprache unter jeweils unterschiedlichen Schlagworten. So schreibt der Direktor der Philharmonie, der Niederländer Louwrens Langevoort, zu "Offenheit", der Bestattungsunternehmer und Festkomitee-Präsident des Kölner Karnevals Christoph Kuckelkorn zu "Lebensfreude", Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, zu "Macht", Konrad Adenauer, Enkel des früheren Kölner Oberbürgermeisters & ersten Bundeskanzlers, zu "Herkunft" oder Annette Imhoff aus der gleichnamigen Schokoladendynastie über "Geschäftssinn".


Ein Bilderbuch vom Feinsten!

Das dieser Prachtband mit seinen Abbildungen all dieser Schätze dann nur 45 Euronen kostet, liegt daran, dass Kölner Bürgerinnen & Bürger es ermöglicht haben, immer auch im Hinterkopf, dass auf diese Weise zu  Zuwendungen an die Kölner Museen animiert werden kann. Die reiche Kölner Museenlandschaft ist ja gerade aus Bürgersinn zustande gekommen, nicht durch Fürsten wie anderswo in deutschen Städten ( siehe mein Post von 2018 dazu ).

Das zweite Buch - ebenfalls ein Weihnachtsgeschenk der Tochterfamilie - ist hingegen so leicht, dass man es auf den Knien liegend zusammen mit den Enkeln anschauen kann: "Frauenleben im Lauf der Zeit" von Katarzyna Radziwiłł & Joanna Czaplewska ( Illustration).

"Frauenleben im Lauf der Zeit" bewahrt einen davor, für naturgegeben zu halten, was nur aus unserer heutigen Sicht so aussieht, als sei es immer so gewesen. Gegen solche Gedanken scheinen mir auch manchmal junge Frauen heutzutage nicht immer gefeit zu sein.

Andererseits macht dieses Buch deutlich, dass Frauen immer einen wesentlichen Beitrag zum Leben der Menschen beigetragen haben, der nicht immer spektakulär, aber substanziell ist, gestern wie heute, und der sich nicht verstecken muss, auch wenn er in den Enzyklopädien & Geschichtsbüchern meist unter den Tisch fällt ( meine Great-Women-Posts singen ein Lied davon ). Das Buch macht deutlich, dass die Ungleichheit der Geschlechter, auch was Eigentum anbelangt, kein Naturzustand ist, ergänzt hervorragend auf unterhaltsame Weise die Geschichte, wie sie in der Schule - immer noch - gelehrt wird.

Katarzyna Radziwiłł erzählt sehr nüchtern und ohne jede Angriffslust oder missionarischen Eifer. Da braucht sich auch kein junger Leser ( das Buch ist ab acht Jahren empfohlen )  bei der Lektüre vor den Kopf gestoßen fühlen. Leseempfehlung!

Zum Schluss noch einmal ein Dankeschön an meine Familie für diese tollen, unterhaltsamen Geschenke!

Sonntag, 8. März 2020

Weltfrauentag
































Seit mehr als fünf Jahren veröffentliche ich auf meinem Blog
donnerstags 
das Porträt einer Frau,
die ich bemerkenswert finde.
Über 212 Blogposts  sind schon zusammen gekommen
und wurden von mir veröffentlicht -
hier ist eine Übersicht zu finden.

Vielleicht bietet der heutige Tag 
Zeit & Gelegenheit
sich mit einer mehr oder weniger vergessenen
Frauenpersönlichkeit
bekannt zu machen?
Es lohnt sich!

Die "Hälfte des Himmels"
hat immer einen gleichwertigen Beitrag
zum menschlichen Zusammenleben
geleistet.
Nur gewürdigt wird das viel zu selten.
So ein Feiertag,
wie der heutige,
ist ehrlich gesagt, ein Witz...

                                                                    

Samstag, 25. Januar 2020

Meine 4. Kalenderwoche 2020

Am Sonntag wieder eine Tour mit der Bahn. Meine Güte, wie voll inzwischen die Nahverkehrszüge sind! Man merkt, wie die Menschen das Angebot annehmen und aufs Auto verzichten ( auch unsere Nachbarsfamilie war mit Kind & Kegel und einer befreundeten Familie mit dem Zug unterwegs ins Nachbarstädtchen zum Museum ).

Es ist schon mühseliger, für eine Strecke so lange zu brauchen wie früher für die Hin- & Rückfahrt mit dem Auto, um die Schwester sehen zu können. Gelohnt hat es sich dennoch, nicht nur wegen des leckeren Kuchens.
Als wir uns auf den Heimweg machten, konnte man vom ( verlegten ) Bahnsteig das Haus sehen, in dem ich als Studentin viel Zeit verbracht ( und Feste gefeiert ) habe, weil dort Freunde mit ihrer Wohngemeinschaft eine ganze Etage gemietet hatten. Verdamp lang her, verdamp lang, sang es wieder in meinem Hirn...






Den Montag habe ich für einen kleinen Konsum - Trip in die Innenstadt genutzt. Für ein Eis war es zu kalt ( 6°C Höchsttemperatur ).



Und immer noch bekam ich Post zu meinem neuen Lebensjahr wie diese hübsche Karte von der Zitronenfalterin. Danke Andrea! Sie passte richtig gut zum Tag.

In der Nacht zum Dienstag hat es bei uns zum ersten Mal in dieser Wintersaison Frost gegeben und Raureif hat Dächer, Autos, Pflanzen bedeckt. Bei diesem tollen Hochdruckwetter macht das Unterwegssein Spaß...

... und wenn es nur der gemeinsame Weg zum Sport bzw. Physiotherapie ist.






Am Mittwoch ist das klare, kalte Hochdruckwetter aber schon wieder einem nebelfeuchten Schmuddelwetter gewichen - gar nicht angenehm! Da mochte ich nach einem kleinen Spaziergang überhaupt nicht mehr aus dem Haus, spür ich dann doch alle in mir verbauten Metallteile.

Dafür habe ich im Karnevalsschrank nach Kostümen für den Wahlverwandten gesucht, der sie für eine Show in seiner Sportgruppe bzw. im Altersheim braucht. In vier Wochen ist schon Weiberfastnacht!




Auch am Donnerstag traf noch Geburtstagspost bei mir ein, schön lecker und farbenfroh von Magdalena/Farbmagie und nicht weniger farbig von Christa, einer Stillen Leserin. Vielen, vielen Dank auch euch Beiden!


In dieser Woche bin ich ja ganz tief in die Vergangenheit gestiegen, als ich mich mit Marija Gimbutas für meinen aktuellen Frauenpost beschäftigt habe. Vor allem die Kritik an ihren Erkenntnissen hat mir wieder mal ins Gedächtnis gerufen, welcher Platz Frauen doch immer wieder zugewiesen wird, da ändert sich wenig ( im Moment ist die Gegenwehr, auch die gewalttätige, ja wieder recht heftig: schon sechzehn Femizide in 24 Tagen! ).

Ein Erlebnis, von Mascha hier erzählt, hat mir mal wieder deutlich gemacht, wie schlicht und gar nicht ergreifend "Volkes Stimme" sich immer wieder Frauen herausgreift und denen die Schuld an allen möglichen Dingen anhängt, mit denen man unzufrieden ist, in diesem Fall trifft es Greta Thunberg, "die richtet uns alle noch zugrunde". 

Die andere Frau, der mal wieder angehängt wird, dass sie einen Mann, ja ein ganzes Königshaus, ins Verderben stürzt wie weiland Eva im Paradies, ist Meghan Markle. Zumindest hat das der Adelsexperte der B*ild-Zeitung erkannt, der im Zentralorgan von "Volkes Stimme" verkünden darf, dass sie eine gefährliche Person ist. Dafür kriegt er sogar eine Sondersendung! Und zeitgleich bastelt der englische Trump munter an seinen Vorhaben, die BBC empfindlich zu schwächen. Kümmert aber keinen, denn das uralte Märchen von der verführerischen Schlange vermag auch nach fünftausend Jahren immer noch in den Bann zu schlagen. Und viele Medien stoßen sofort ins gleiche Horn - Samira El Ouassil hat das bei "Übermedien" alles einmal zusammengetragen.

Margarete Stokowski sieht das genau so, bringt aber hier noch einen anderen Aspekt zur Sprache, nämlich dass da eine auf dieses Märchengedöns pfeift und nicht das Prinzessinnendasein vorzieht, in dem sie, von Steuergeldern finanziert, einen Lifestyle pflegen darf, "der im Grunde nur ein hochwertiges Dschungelcamp ist". Merke: "Jede Frau, die sich heute entscheidet, einen Ort zu verlassen, der ihr nicht guttut und an dem sie auch nichts Nennenswertes bewirken kann, ist die eigentliche Queen", so Stokowski.

Für die riesige Überzahl der Frauen dieser Welt ist ohnehin ein ganz andere Rolle vorgesehen, nämlich die, unbezahlte Pflege- und Fürsorgeaufgaben zu übernehmen. Oxfam hat rechtzeitig zum Davos - Gipfel auch in diesem Jahr wieder die Zahlen in einem Bericht präsentiert, und der stellt fest, dass Frauen und Mädchen unbezahlte Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit leisten, die unter Mindestlohnbedingungen einem Gegenwert von rund zehn Billionen Euro pro Jahr entsprechen. Da fühle ich mich auch zugehörig, wenn ich daran denke, was es für eine bürokratische Ochserei ist, die entsprechende Bezahlung meiner Care - Leistung rund um die Uhr endlich durch die Pflegeversicherung zu bekommen...

Zum Schluss aber noch einmal zu Greta: Natürlich wird überall ihre Rolle betont, die große Antipodin zum amerikanischen Präsidenten zu sein - ein hübsches Bild! Mehr dann aber nicht. Nicht einmal der oftmals geschätzten "Süddeutschen Zeitung" und seiner Korrespondentin Meike Schreiber fällt es ein, in ihrem Bericht zu Gretas Rede in Davos die Zahlen zu nennen, die zu veröffentlichen Greta die Medien in ihrer Rede anmahnt.

Auch die "ZEIT" tut es nicht, die "Frankfurter Rundschau" nicht, der "Tagesspiegel" nicht, und die "WELT" schon gar nicht. Eine Medien-Analyse hat ergeben, dass wohl kein einziger deutschsprachiger Artikel die Zahlen erwähnt hat. Es reicht wohl, dass man ihr Gesicht über einen Artikel setzt und dann mit den Hasstiraden von frustrierten Menschen und bezahlten Lobby-Trollen mit Fake-Accounts Klicks und Reichweite generiert...

Wer die Zahlen hören will, der schaue mal hier. Wer lieber die Kurzfassung lesen mag:

Nur noch acht Jahre! 
Nur noch 340 Gigatonnen CO2 für die Menschenheit übrig! 
Das ist der geschlossene Stand der Wissenschaft!

Muss man aber nicht glauben, sind doch nur Mädchen, die sich da ums (Über)Leben kümmern, das ist ja eh nichts wert:

© AP
Ich bin so was von stinkig in diesen Tagen gewesen...





Verlinkt mit dem Samstagplausch bei Andrea/ Karminrot

Donnerstag, 3. Januar 2019

Great Women # 166: Elise Ottesen-Jensen


In meiner Jugend in den 1960er Jahren habe ich noch erlebt, wie Mädchen von ihren Familien gedrängt wurden, eine ungeplante Schwangerschaft durch eine Ehe oder Adoption "in Ordnung" zu bringen. Zwecks Abschreckung wurde in meiner Schule der offene Umgang der Skandinavier, insbesondere der jungen Schweden, mit der Sexualität, immer wieder in schwärzesten Farben gemalt. Umso erstaunter war ich, als ich erfuhr, dass diese Offenheit auch dort noch ein sehr junge Errungenschaft war und vor dem Krieg ähnliche Anschauungen & Verhaltensweisen wie in der muffigen Bundesrepublik vorherrschten. ( Der Film "Astrid" über die Jugend meiner berühmten, geschätzten Namensvetterin greift übrigens diese historischen Tatsachen auf. ) Ich selbst war durch einen anderen Film zuvor auf eine Frau aufmerksam geworden, die maßgeblich für die fortschrittliche Entwicklung in Schweden verantwortlich war: Elise Ottesen- Jensen.



"Ich träume von dem Tag, 
an dem jedes neugeborene Kind willkommen ist, 
wenn Männer und Frauen gleich sind 
und wenn Sexualität Ausdruck 
von Intimität, Freude und Zärtlichkeit ist."
Elise Ottesen - Jensen

Elise Ottesen kommt am 2. Januar 1886 als 17. von insgesamt achtzehn Kindern des Pfarrers Immanuel Ottesen und seiner Ehefrau Karen Ursula Essendrop, Tochter eines anerkannten Bischofs in Tromsø, in der Gemeinde Høyland bei Stavanger in Norwegen zur Welt.

Von der großen Kinderschar der Ottensens werden nur elf das Kleinkindalter überleben. Über ihre Mutter wird Ottar, wie sie später genannt werden wird, schreiben: "Mutters Körper sah aus wie eine perforierte Landschaft. Sie hatte Risse am ganzen Körper nach ihren 18 Schwangerschaften. Nur einmal sah ich sie nackt und danach weinte ich."

Über ihre Kindheit an der westnorwegischen Küste wird sie später schwärmen, besonders von der Schönheit der Natur mit den von violetter Heide bedeckten Mooren. Elises Eltern gelten in jenen Tagen sogar als relativ liberal, weil sie ihre Kinder zu Tanzvergnügen gehen lassen, tendieren die Norweger doch generell dazu, solch unschuldige Vergnügungen als sündig anzusehen, so pietistisch und voller Schuldgefühl, wie sie damals sind. 

In der Pubertät beginnt das Mädchen, die religiösen Dogmen & Anschauungen des Vaters in Frage zu stellen und betrachtet sich nicht mehr als Christin. Es entwickelt sich bei ihr eine Einsicht, dass der rigide Moralismus der Religion und die konservative Lebensführung besonders hart den Frauen zusetzt und schadet. Ein dramatisches Ereignis in der eigenen Familie führt dem jungen Mädchen die Folgen fehlender Sexualaufklärung und die unmenschliche Unterdrückung der Frauen plakativ vor Augen:

Als ihre jüngere Schwester Magnhild schwanger wird, schickt der Vater diese, in der Hoffnung, die Schande der Familie vertuschen zu können, nach Dänemark. Dort soll sie bis zur Geburt bleiben und ihr Kind zurücklassen. Magnhild weiß nichts über Schwangerschaft und Geburt und fürchtet sich die ganze Zeit davor, dass ihr Bauch aufplatzen würde, denn sie hört die Schreie der anderen Frauen unter der Geburt, erfährt aber nicht, was da gerade abläuft. Bei ihrer Rückkehr nach Norwegen bleibt die gesellschaftliche Ächtung doch nicht aus, und der ­jungen Frau bleibt ihr Traum von einer Krankenschwesterausbildung verwehrt. Schließlich landet sie in einer Anstalt für psychisch Kranke. Dort verbringt sie ihre Zeit mit dem Nähen von Babykleidung und verwindet den Verlust ihres Babys niemals, bis sie sich 1934 als 44jährige das Leben nimmt.

Elise kann das ihrem Vater niemals vergeben, und das Schicksal ihrer Schwester wird in Zukunft eine mächtige Triebfeder für ihr Engagement für die Sache der Frauen sein.

Auch ihr Wunsch, Ärztin zu werden, scheitert, allerdings an den begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Familie. Und die Alternative - ein Studium der Zahnmedizin -  macht eine Explosion im Chemielabor ihrer Highschool zunichte, bei der sie drei ihrer Finger verletzt bzw. verliert. Der sonst so konservative Immanuel Ottesen drängt seine Tochter, sich trotz alledem einen ordentlichen Beruf zuzulegen und für sich einen Weg in eine selbständige Zukunft zu suchen, auch wenn er eine solche ohne Gott nicht akzeptieren kann.

Eine kurze Zeit arbeitet Elise als Stenografin im nationalen Parlament und ist Sekretärin bei einem Konsul in Trondheim. 

1910

Dort verfolgt sie vor Gericht einen Militärskandal, bei dem es um den Missbrauch öffentlicher Gelder für private Vergnügungen geht. Vor dem Gerichtssaal macht sie die Bekanntschaft mit Håkan Löken, Redakteur der sozialistischen Zeitung "Nidaros", der ihre Sympathien für sozialistische Ideen gewinnt ( denen sie dann ihr ganzes restliches Leben treu bleiben wird ) und der sie ermutigt, ihren Ärger aufzuschreiben und ihr einen Platz in seiner Zeitung anbietet. So wird Elise Journalistin.

Ihre Überzeugung wächst, je mehr sie die politischen Verhältnisse in ihrem Land beobachtet & analysiert, und sie kommt zu dem Schluss, dass ihre Nation dringend soziale und wirtschaftliche Reformen nötig hat. Denn im Gegensatz zu den Skandinaviern der späteren Generationen, die vorbildliche sozialstaatliche Programme genießen können, die die sozialen Bedürfnisse von der Wiege bis zur Bahre bedienen, sind diese Länder Anfang des 20. Jahrhunderts von Armut und Rückständigkeit geprägt: Allein zwischen 1815 und 1939 sind 1.250.000 Schweden und 850.000 Norweger in die Vereinigten Staaten emigriert. Sie nähert sich also immer stärker den Anschauungen der Arbeiterbewegung SAC an:
"Ich wollte Gerechtigkeit. Ich wollte nicht, dass es jemand schlecht geht, während andere auf ihre Kosten faul sind. (...)  Als Kind hatte ich bereits meine Gedankenfreiheit teuer bezahlt, aber ich zweifelte nicht daran, dass die internationale Arbeiterbewegung der einzige Weg zum Frieden war.
Schon 1912 hat sie unter dem Pseudonym "Ottar" über die Olympischen Sommerspiele in Stockholm berichtet. Ihre Artikel über die Notwendigkeit einer Reform der schwedischen Abtreibungsgesetze wird sie mit eben diesem Namen später unterzeichnen. Ihr Engagement für die Rechte der Frauen, einschließlich des Wahlrechts, macht sie bald bekannt. Mit dem Thema Sexualität befasst sie sich journalistisch zum ersten Mal, als in Stavanger ein Mann, der ein zweijähriges Mädchen missbraucht und mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert hat, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wird und in der Öffentlichkeit Forderung nach einer schwereren Bestrafung & Kastration erhoben werden. Elise schreibt in ihrer Zeitung, der "Arbeidet" in Bergen, solche Maßnahmen seien wirkungslos und der Staat solle besser eine Insel erwerben, auf der solche Sexualstraftäter isoliert in Landwirtschaft und Gartenbau für ihren Lebensunterhalt arbeiten sollen. Elise erntet dafür viel Spott und wird vielfach lächerlich gemacht.

Elise mit Albert Jensen
Source
1913 lernt Elise Albert Jensen kennen, einen bekannten schwedischen Syndikalisten aus Landskrona. Sie wird später über diese Beziehung sagen, dass es sowohl eine Liebesbeziehung als auch eine politische Schule gewesen ist.

Ein Jahr später verbringt sie mit ihm einen Urlaub in Dänemark in der Nähe der Schwester Magnhild und sie beschließen, zusammen zu wohnen, als der erste Weltkrieg ausbricht und Elise von ihrer Zeitung nach Bergen zurückgerufen wird.

Durch Albert kommt sie in Kontakt mit Hinke Bergegren, einem radikalen sozialdemokratischen Aktivisten, der sensibel genug für Frauenfragen ist, die freie Liebe propagiert und den Slogan "Love Without Babies" prägt. Die Realität in den Arbeiterfamilien jene Zeit ist nämlich gekennzeichnet von vielen Babys ohne jegliche elterliche Liebe...

1915 finden sie und Albert in Kopenhagen Zuflucht, nachdem dieser wegen "antimilitaristischer Agitation" von den norwegischen Behörden nach Schweden ausgewiesen worden ist, wo ihm aber auch die Vollstreckung einer Gefängnisstrafe droht. Im Oktober 1917 bekommt die 31jährige Elise dort selbst einen Sohn, der aber schon zwei Tage später stirbt. Da sie an Kindbettfieber über einen längeren Zeitraum erkrankt, kann sie anschließend keine weiteren Kinder mehr bekommen. 1919 werden sie aus Dänemark ausgewiesen und gehen gemeinsam nach Stockholm, wo sie für den Rest ihres Lebens zu Hause sein wird.

Mit Albert Jensen in der Redaktion von "Arbetaren" ( 1923 )
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In der Zeitung "Arbetaren" (Der Arbeiter) betreut sie die Ratgeber -Rubrik für Frauen. Zunächst befasst sie sich mit den Arbeiterfrauen und ihrem Kampf um das tägliche Brot, muss aber bald erkennen, dass Hausarbeit, Kinder und untreue, herumstreunende Männer das Leben der Frauen zu einer viel übleren Plage werden lassen - eine weitere Schlüsselerfahrung für ihre lebenslanges Engagement!

Die Frauen kommen nämlich immer mehr mit Problemen und Fragen zu ihr, die in erster Linie nicht mit dem sozialen Frieden oder gewerkschaftlicher Organisation zu tun haben, sondern mit ihren persönlichen, oft auch sexuellen Angelegenheiten. Elise versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden, darunter solche wie: "Muss ich immer, wenn mein Mann es will?", "Was kann ich tun, um eine Schwangerschaft zu vermeiden?". Gerade die Frauen, die besonders arm sind, leben in ständiger Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. Seit 1910 gibt es in Schweden aber ein Gesetz, dass schwere Strafen für die Abtreibungen vorsieht. Nach diesem Recht ist es auch illegal, Empfängnisverhütung und Informationen über Verhütung anzubieten, und die Verbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten ist strafbar. Selbst Ärzte dürfen über letztere keine Auskünfte geben. Frauen, die selber über die Zahl ihrer Kinder bestimmen wollen und sich über Verhütungsmöglichkeiten erkundigen, tritt also der Staat gegenüber und verbietet es ihnen - etwas, dass die Anarchistin in Elise schlecht akzeptieren kann.
"Die Sexualgesetze waren damals nicht nur typische Klassengesetze, sondern auch typische Sexualgesetze, die von den wohlhabenden Männern des Parlaments gegen die arbeitenden Frauen geschaffen wurden !", schreibt Elise 1965 hier.
Nach ihrer Ansicht sind ausreichende Informationen und Bildungsangebote der einzige Weg, die Lage der Frauen zu verändern. Da das Diaphragma und der Schwamm, von Marie Stopes in England eingeführt, nach dem Ersten Weltkrieg immer häufiger benutzt werden, sucht sie einen schwedischen Arzt, der bereit ist, mit ihr zusammenzuarbeiten, damit sie Frauen besser beraten & helfen kann.

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1923 veröffentlicht sie ihren ersten Artikel über das Bedürfnis von Eltern, auf ehrliche Art und Weise Fragen zu beantworten, die ihnen ihre Kinder zur Sexualität stellen. Später führt ihr tabuloser Umgang mit dem Thema Sexualität zu Konflikten mit dem männerdominierten Blatt "Arbetaren", und Elise gründet 1925 ihre eigene Zeitung "Vi kvinnor" ( "Wir Frauen" ). Von den rund 300 Artikeln, die sie in den 1920er Jahren verfasst, beschäftigen sich etwa 60 mit sexuellen Themen.

Viele ihrer Freunde in Stockholm - Ärzte, Krankenschwestern und Sozialarbeiter - sind wie sie überzeugt, dass die Familiengröße beschränkt gehört sowie von der Notwendigkeit, Sexualerziehung in der Schule anzubieten. Elise selbst beginnt ebenfalls zu unterrichten und alsbald landauf, landab Vorträge zu halten, für die mit im Voraus verschickten Plakaten geworben wird.

An vielen Orten führt sie getrennte Veranstaltungen für Frauen und Männer durch, um so sensible Themen besser ansprechen zu können, in Zelten, Waldhainen, auf Wiesen, in Dorfhallen oder in gemieteten Räumen vor provisorischen Stuhlreihen, auch zu großen Gruppen von Menschen:

Feld-, Wald- und Wiesen - Vortrag mit Elise (links)
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Sie informiert die Menschen über Diaphragmen, Kondome und Pessare und gibt ihnen die Möglichkeit, sie zu erwerben. Sie informiert über sexuell übertragbare Krankheiten und dem Schutz vor diesen, sie informiert über neu entwickelte Schwangerschaftstests und spricht offen über solch kritische Themen wie Vergewaltigung in der Ehe, Abtreibung und Homosexualität. Unermüdlich bringt sie ihre Botschaft besonders den Frauen im ländlichen Schweden und reist mit ihrem Ford quer durchs Land. Früher oder später ist sie praktisch in jeder schwedischen Stadt und jedem schwedischen Dorf gewesen. Viele dieser abgelegenen und verarmten Gebiete sind das, was man nach dem 2. Weltkrieg als "unterentwickelte Regionen" bezeichnen wird. Da Elise eine charismatische Rednerin ist, erreicht sie ihre Zuhörerschaft nachhaltig. Ihre Botschaft verbreitet sie auch über verständlich geschriebene Flugblättern, z.B. 1926 zum Thema "Unerwünschte Kinder".

Natürlich schlägt einer solchen Person mit einer solchen Mission Misstrauen, Widerstand und Kritik vonseiten der Kirchen und/oder der örtlichen Polizei entgegen, für die die Erörterung der Sexualität in der Öffentlichkeit nach wie vor ein Tabubruch sondersgleichen ist bzw. eine Gesetzesübertretung darstellen. Geburtenkontrolle gilt als "unmoralisch" und als "sündiges" Verhalten begünstigend. Hin und wieder geht die Kritik auch über verbale Angriffe hinaus: So wird Elise einmal in Bergen ( Norwegen ) in einer Straßenbahn tätlich angegriffen.

Ende der 1920er Jahre erweitert Elise ihren Wirkungsbereich über Skandinavien hinaus und begegnet vielen der führenden Verfechter der Geburtenkontrolle weltweit bei einem internationalen Kongress in Kopenhagen 1928. 1929 und 1930 trifft sie auf Konferenzen zur Geburtenkontrolle in London und Zürich die Pionierinnen auf diesem Gebiet, Margaret Sanger und Abraham & Hannah Stone - persönliche Kontakte, die sie in den nächsten Jahren vertiefen wird.

In den 1930er Jahren ist sie beschäftigt wie nie zuvor: 1933 gründet sie zusammen mit einer Reihe von Ärzten und Gewerkschaftsvertretern die Vereinigung für Sexualerziehung in Schweden (RFSU). Zu Beginn stößt deren Arbeit auf starken Widerstand, führt jedoch im Laufe der Zeit zur Einrichtung von Beratungsstellen, nachdem 1938 das Informationsverbot über Verhütung aufgehoben worden ist.

Am Abend vor den letzten freien Parlamentswahlen im Deutschland von 1933 spricht Elise auch in einem überfüllten Hamburger Volkshaus über Sexualerziehung, während draußen die Nazis randalieren und Auseinandersetzungen mit der Zuhörerschaft, alles Arbeiter & eher fortschrittliche Deutsche, provozieren wollen. Elise redet auf Aufforderung also weiter, um Konfrontationen auf der Straße zu verhindern, bis die Nazis aufgeben. Sie und ihr dänischer Freund Joyce Leunbach ( i.e. Jonathan Høegh von Leunbach ) reisen am nächsten Tag ab nach Kopenhagen und treffen im Zug auf Deutsche, die bereits auf der Flucht sind...

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In Elises Privatleben läuft es auch nicht mehr rund:

Obwohl sie und Albert 1931 schließlich geheiratet haben, nachdem sie fast zwei Jahrzehnte zusammen gelebt haben, gibt es in ihrer Beziehung zunehmend erhebliche Spannungen, auf die Elise mit Depressionen bis zu einem Selbstmordversuch reagiert. Als Elise im Frühjahr 1935 von einer Vortragsreise nach Hause kommt, findet sie ihren Mann im Bett mit einer jungen Frau. Noch trennen sie sich bis September 1937 nicht dauerhaft, aber die Ehe ist von da an zum Scheitern verurteilt und wird schließlich 1945 geschieden. Ihre intensive Arbeit hält die knapp Sechzigjährige dennoch auf Kurs, denn ein Jahrzehnt nach der Gründung der RFSU kann sie auf viele Erfolge zurückblicken und andere sind deutlich in Sichtweite:

Grundschulen beginnen, die Sexualerziehung in ihre Unterrichtspläne einzubauen. Das "Ottar House" öffnet seine Pforten für unverheiratete Mütter und ihre Kinder. Eine Journalistenkollegin schreibt über sie: "Elise ist eine der größten Sexualpädagogen Schwedens" und eine Frau mit einer starken Persönlichkeit "die das tut, was sie für richtig hält."Sie umgehe einfach Gesetze und Verordnungen, wenn sie ihr im Weg stehen - eine echte Anarcho -Syndikalistin!  1944 erlebt Elise dann auch die Entkriminalisierung der Homosexualität.

Während des Zweiten Weltkriegs unterstützt sie jüdische Flüchtlinge, die aus dem von den Nazis besetzten Norwegen und Dänemark fliehen müssen. Dem deutsch - jüdischen Arzt Rudolf Elkan vom "Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene" (RV) verhilft sie zur Flucht nach England, der russischstämmigen Berliner Ärztin Lida Tabaznik verschafft sie im Labor der RFSU Arbeit. Die deutsche Ärztin und Psychologin Lotte Bernstein kann bei den Kursaktivitäten der RFSU aktiv werden. Max Hodann, ein anderer bekannter Berliner Sexualerzieher und Arzt, 1933 aus Deutschland nach Oslo geflüchtet, wird von Elise in letzter Minute nach Schweden gebracht, wo auch er bis zu seinem Tod 1946 bei der RFSU arbeitet.

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Im Jahr 1945, nach dem Ende des Krieges, wird die Sexualerziehung im schwedischen Schulsystem verpflichtend. Im folgenden Jahr kann Elise eine internationale Konferenz in Stockholm einberufen, die zur provisorischen Gründung eines internationalen Komitees für geplante Elternschaft führen wird. Die Amerikanerin Margaret Sanger wird als erste Präsidentin dieser Organisation gewählt, die 1952 auf einer in Indien abgehaltenen Konferenz zur "International Planned Parenthood Federation" (IPPF) umgeformt werden wird.

1952 erlebt Elise auch, dass der Verkauf von Kondomen in Friseurläden, Apotheken und Geschäften mit Sondergenehmigungen erlaubt wird, 1964 folgt die Erlaubnis, die "Pille" als Mittel zur Empfängnisverhütung zu verwenden, 1970 wird sogar der Verkauf von Verhütungsmitteln ohne Sondergenehmigung in Schweden möglich. 1975 wird schließlich ein Gesetz verabschiedet, dass eine Abtreibung auf Verlangen bis zur 18. Schwangerschaftswoche zulässt.

1958 wird Elise Ottesen - Jensen die Ehrendoktorwürde der Universität Uppsala verliehen und im Jahr darauf wird sie zur zweiten Präsidentin des IPPF gewählt - ein Posten, denn sie bis 1963 inne hat. Ihre Vorstellungen sind inzwischen so erfolgreich, dass sie die schwedische Gesellschaft nachhaltig verändern, und Staat und Gemeinden viel von dem übernehmen, was bis dahin die RFSU wahrgenommen hat. Die RFSU selbst wird zunehmend zu einem helfenden Rädchen in der "Staatsmaschine".

1963
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Elise wird 1972 sogar für den Friedensnobelpreis nominiert, das Thema Sexualerziehung ist aber immer noch zu umstritten, als dass es auf diese Weise anerkannt werden darf. Manche von Elises Themen sind immer noch tabu, wie Homosexualität und Masturbation. Letzteres ist nach ihrer Meinung bei einem gesunden Jugendlichen eine normale Aktivität, die niemandem schadet. Und in puncto Homosexualität betont Elise immer wieder, dass dies ein biologisches Phänomen sei und damit kein Straftatbestand sein kann. Auch wehrt sie sich dagegen, vorehelichen Sex zu verurteilen, wie es Kirche & Konservative von ihr erwarten. Sie weist auf die dadurch entstehende psychologische Belastung für junge Menschen hin und auf die Stigmatisierung der Kinder, die unehelich geboren werden.

Schon mehrere Jahre an Gebärmutterkrebs erkrankt, stirbt Elise Ottesen-Jensen am 4. September 1973 in Stockholm im Alter von 87 Jahren und wird dort auf dem Skogskyrkogården bestattet. Postum werden ihr weitere Ehrungen zuteil, darunter eine Briefmarke, nach ihr benannte Studienkreise und eine öffentliche Statue. 2014 erinnert das Stadttheater in Malmö an ihre Lebensgeschichte.

Die Veränderungen, die Elise Ottesen - Jensen in Schweden auf den Weg gebracht hat, waren nicht etwas, das den Frauen in den sprichwörtlichen Schoß gefallen ist, sondern etwas, das Elises Leidenschaft, ihre glühende Überzeugung hervorgebracht hat. Wir sollten für den Kampf, den sie geführt hat, dankbar sein und uns immer wieder klar machen, dass eine solche Errungenschaft wieder rückgängig gemacht werden kann. Deshalb war es mir wichtig, ihre Geschichte hier zu erzählen...