Samstag, 5. Oktober 2024

Meine 40. Kalenderwoche 2024

"Die Scham muss die Seiten wechseln, 
vom Opfer zum Angeklagten."
Gisèle Pelicot, Opfer männlicher Gewalt

"Glaubt den Opfern beim ersten Mal. 
Es braucht ordentlich Mut, 
die Wahrheit zu sagen in einer Situation, 
in der man machtlos ist."
Cassie VenturaOpfer männlicher Gewalt

"Österreich ist eine kleine Welt, 
in der die große ihre Probe hält."
Friedrich Hebbel , 1813-1863

"Freedom’s just another word
 for nothin’ left to lose/
Nothin’ ain’t worth nothin’ but it’s free"
Kris Kristofferson in memoriam



Das Wetter am letzten Samstag strafte den Wetterbericht mal wieder Lügen. Egal. Ich habe abends den Herbst gefeiert mit einer Porreetarte. Nachdem ich mal meine Rezeptsammlung auf dem Mac aufgeräumt hatte, gab es wieder genug Inspiration.

Nach langer Zeit gab es auch mal wieder Tränen der Erinnerung, als ich auf meinen Einkaufszettel für die Tarte "Munsterkäse" notiert habe. Das Munstertal in den Vogesen war der Endpunkt unserer "Flucht", damals ganz am Anfang unserer Liebesbeziehung. Ich habe die Tarte mit ganz besonderem Genuss verzehrt...



Am Sonntag hat mich die Schwägerin in die Eifel zu den Wahlverwandten mitgenommen.



Schon über acht Jahre war ich nicht mehr dort und habe die Veränderungen nach dem Hochwasser 2021, als die Talsperrenmauer zu brechen drohte und sich ein kleiner Fluss einen Weg über das Grundstück gebahnt hat, bisher nur auf Instagram-Fotos anschauen können.


Im Dorf selbst sieht es noch furchtbar aus - so viele Schäden! Ich krieg da 'nen dicken Hals angesichts der Augenverschließerei, was die Auswirkungen der Klimaveränderung anbelangt. So herzlos gegenüber denen, die ihr Zuhause und ihre Sicherheit & Vermögen verloren haben.

Schön aber, liebe Menschen wieder getroffen und dazu ein paar neue nette kennengelernt zu haben.




Nach dem Haareschneiden am Montag habe ich noch eine Runde durch unser Tälchen gedreht.




Im Kopf herum ging mir die Formulierung "Herbst des Lebens". Ich lebe hier jetzt seit über 47 Jahren und treffe auf solchen Spaziergängen auf Menschen, die ich ebenso lange kenne. Allerdings immer mehr mit (sichtbaren) Gebrechen und - schlimmer noch - solche, die einen nicht mehr erkennen und fragen, wer man sei. Das deprimiert mich schon mal...

Zum Glück liegt zu Hause dann ein solches Buch vom Glück hinter der Haustür ( als chromoholic und Promoterin großartiger Frauen konnte ich mir den Kauf nicht verkneifen )...




Apropos Bücher: 

Angeregt durch den Antiquar Klaus Willbrandt, der inzwischen quasi ein Instagram-Star mit 133.000 Followern geworden ist, habe ich unsere über Jahrzehnte gemeinsam ersammelte Bibliothek auch wieder einmal inspiziert und mir Literatur des 19. Jahrhunderts herausgesucht. 

Während mich Theodor Fontane so gar nicht zu faszinieren vermocht hat, begeistert mich der englische Humor von Georg Eliot, ebenfalls 1819 geboren. So viel gelacht wie bei dieser 1200 Seiten umfassenden Lektüre hab ich schon lange nicht mehr! Zutreffende, originelle Beschreibungen, ebensolche Vergleiche & Bilder! Und der Einblick in die sich wandelnde Gesellschaft im England um 1830 ist für mich nachvollziehbarer als beispielsweise in Fontanes "Stechlin". Die dreißig Minuten tägliche Buchlektüre, die ich mir bei meinem Gewohnheitstracker verordnet hatte, überschreite ich mittlerweile um das Vielfache, so spannend ist die Darstellung für mich gewesen. Mittlerweile ausgelesen.

Diese Woche habe ich mich auf die Einkaufsmeile Schildergasse begeben, aber ganz gezielt wegen eines Geschäftes. Anschließend habe ich mich in Seitengassen geschlagen. Im Perlengässchen habe ich die Reliefreste eines im Krieg zerstörten Hauses von 1890, eingelassen in die neue Fassade, entdeckt.


Im Dom war ich dann auch, bin aber bald zur U-Bahnhaltestelle, vorbei an den Resten des römischen Nordtores, aufgebrochen. Ich hab es vorgezogen, noch trocken nach Hause zu kommen und dort meine Kaffeepause zu zelebrieren.




Den Feiertag habe ich dann trotz zunächst anderer Pläne zu Hause mit Lesen & viel Musik verbracht. Nachdem ich meine Sammlung "überarbeitet" habe, finde ich auch wieder, was ich suche. Zum Beispiel alle CDs  des fabelhaften Paolo Conte...


Zur Feier des Tages habe ich mir frische Steinpilze gegönnt und mir zusammen mit Frühlingszwiebeln, Sahne und viel Petersilie ein Sößchen zu Tagliatelle zubereitet. Mmmh!




Am nächsten Tag habe ich meinen Standard "Γεμιστές πιπεριές" mal wieder aufgegriffen und gleich ein paar für die Nachbarn, die ehemaligen Floristen, mitproduziert. Ich hab einfach keine Lust mehr, mir ständig das Miteinander in unserer Gesellschaft madig machen zu lassen. Der Kölner Peter Brings bringt's hier auf den Punkt. Wir praktizieren das "Wir" hier, und das schafft Wohlbefinden miteinander, obwohl wir hier alle uns mit einigen ( kräftigen ) Schicksalsschlägen rumschlagen müssen.


Wo fängt frau an bei diesem Thema?
Dass frau sich vieles nicht mehr traut, hier im Blog...
Dass frau sich immer mehr einschränkt...

Diese hasserfüllten Kommentare, anonymen Briefe und Mails mit Bedrohungscharakter, die ich seit der Coronazeit inklusive der Wochen, in der mein Mann im Sterben lag, erhalten habe, haben mich stummer werden lassen. Vor allem bei Themen, die sich rund um Frauen & Mädchen drehen. Etwas, was mich sehr beschäftigt, ohne hier zur Sprache zu kommen. Kraft & Energie, mich mit diesen Kommentaren, diesen übelwollenden & übergriffigen Ergüssen mental zu beschäftigen, kommt mir langsam abhanden. Und ich bin mir einfach nicht mehr der Solidarität & Unterstützung durch andere in der Bloggerwelt sicher.

Doch diese Frau gibt mir wie wohl vielen anderen Frauen neuen Mut: Gisèle Pelicot. Eine Frau meines Alters, aus einem idyllischen Kleinstädtchen, das ich seit meinen Provence - Sommern gut kenne. Eine Frau, die sich in einer fürsorglichen Ehe geglaubt hat, aber fast zehn Jahre von ihrem Mann und mehr als siebzig Männern betäubt, vergewaltigt und dabei gefilmt worden ist. Seit Anfang September nimmt sie an jedem Verhandlungstag in Avignon an dem Prozess gegen ihre Vergewaltiger teil und vermittelt der Welt: Ich bin es nicht, die sich verstecken muss.

Muss sie auch nicht. Die ganze unsägliche, unerträgliche, widerliche Geschichte macht deutlich, wie viel Frauenverachtung auf männlicher Seite, welche Dominanz und Komplizenschaft von Vergewaltigern und Angreifern, welch hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen nach wie vor in angeblich so modernen Gesellschaften, wie es unsere sein sollen, an der Tagesordnung ist. Es ist ja nicht von Afghanistan die Rede, sondern von Frankreich.

Von Misogynie, Rachsucht, Überlegenheits- und Besitzdenken von etlichen Männern bei uns zeugt auch die Zahl von Femiziden - in diesem Jahr in Deutschland schon 68, in Österreich 21, also alle drei Tage in der BRD - und darüberhinaus andere Gewalttaten gegen Frauen, die, wie am letzten Wochenende in Essen, auch weitere Menschen in ihrer Körperlichkeit wie Seele schädigen. Hört mir auf mit dem alten Klassiker "Eifersuchtswahn" ( BILD )! Damit verbannt man einen solchen Mord nur in das Reich des Irrsinns, der Raserei aus ( enttäuschter ) Liebe. Auch hier gilt: Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert.

Diese Ereignisse verdeutlichen auch, dass nach wie vor der gefährlichste Raum für Frauen & Mädchen die häusliche Umgebung ist, nicht die Straße, wie es uns nationalistische Hetzer weiß machen wollen ( täglich werden etwa 700 Menschen zu Hause Opfer von Gewalt, drei von vier Tätern sind männlich ). Damit möchte ich nicht in Abrede stellen, dass Frauen & Mädchen vielen unerträglichen Situationen auf der Straße ausgesetzt sind, u.a. auch solchen, die heute unter dem Begriff "Cat-Calling" subsumiert werden. Mädchen machen im Durchschnitt mit 13,8 Jahren Erfahrung mit solchen verbalen Übergriffen:
"'Warum kannst du keinen BH tragen?', schrie mich ein Mann neulich vorwurfsvoll an, als ich auf die Straße trete. 'Ich kann deinetwegen auf der Straße nicht laufen!', sagt er und zeigt auf seinen erigierten Penis. Ob ich denn nicht verdammt noch mal einen BH hätte?", so beschreibt eine ganz junge Frau eines ihrer Erlebnisse von diesem Sommer.

Ich habe aus meiner eigenen Jugend noch viele solcher Vorkommnisse im Kopf, hatte aber gehofft, die blieben meiner Enkelin, derzeit in jenem Durchschnittsalter, erspart. Doch es hat sich nichts geändert in  manchen männlichen Köpfen und ihrem Anspruch. Und es wird sich auch nichts ändern, wenn der Gesetzgeber hierzulande nicht in die Puschen kommt und endlich gegenüber den 50,7 % seines Staatsvolkes in seiner Fürsorgepflicht nachkommt.

"Sie haben im Koalitionsvertrag angekündigt, ein Gesetz zu schaffen, das Betroffene besser vor Gewalt schützt. Jetzt drängt die Zeit! Ihre Regierung hat nur noch wenige Wochen um dieses Versprechen einzulösen. Als Mitglieder der Bundesregierung tragen Sie Verantwortung für das Leben und die Sicherheit von Frauen, Mädchen und queeren Menschen in unserem Land." 

So heißt es in einem Brandbrief bzw. einer Petition, die vom Deutschen Frauenrat, UN Women Deutschland e.V. gestartet worden ist und die hier unterzeichnet werden kann.

Neben unzureichender Rechtsprechung fehlt es hier bei uns an einem Verständnis für die Lebens­rea­li­täten von Frauen und echtem Willen, uns zu schützen. Ich bin der Meinung, verbale sexuelle Belästigungen sind auch schon eine Form von Anmaßung & Gewalt. Sie können auch der Anfang der Gewalt sein, die einer Gisèle Pelicot angetan worden ist und die letztendlich im Femizid gipfelt. 

Und zuletzt noch diese Bemerkung: Wenn frau diese Dinge anspricht, wird einem häufig unterstellt, frau habe ein persönliches Problem, von wegen häßlich, unbefriedigt, einsam und so - liebe Troll*innen von der Fraktion, die Feministinnen als feminine Egoistinnen abkanzeln, spart euch eure Tippseleien! Da zitiere ich gerne eines eurer Lieblings - Statements: Ihr tut mir einfach nur leid.

                                                           


Wie gewohnt verlinke ich diesen Post  mit dem Samstagsplausch bei Andrea Karminrot, mit "Niwibo sucht" - diesmal "Bunt" -, den Sonntagsschätzchen und dem Mosaic Monday.

2 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,

    dein Blog soll gehört und gelesen werden! Du bist für mich eine so vielseitig interessierte, denkende, kritische Frau, die viel zu sagen hat.

    Gerade letzte Woche war schlimm, da konnte man schon anfangen, den Mut zu verlieren. Gerade deshalb ist es so schön, wenn Frauen wie du sich nicht den Mund von den Hatern verbieten lassen.

    Deinem schönen wechselvollen Beitrag ist nichts mehr hinzuzufügen.

    Kris Kristofferson's Tod hat mich auch traurig gestimmt. Wieder jemand, mit dem man eine ganze Zeit auf diesem Planeten geteilt hat.

    Und wieder was gelernt. Ich dachte immer, Janis Joplin hätte Me and BobbyMcGee geschrieben. Ich kenne nur ihre Version.

    Liebe Grüße,
    Claudia

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  2. Deine Eingangszitate machen mehr als nachdenklich. Die Berichte über das mutige und konsequente Handeln von Madame Pelicot helfen hoffentlich anderen Opfern aktiv zu werden. Gleichzeitig wünsche ich mir weiterhin, dass Mädchen und Frauen unterstützt werdern angstfrei leben zu können ohne allein durch ihr Frausein sofort eine Mitschuld unterstellt zu bekommen.

    Schöne Bilder und dein Pilzsößchen inspiriert!
    Schönes Wochenende, mit vielen lieben Grüßen
    Karin

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Es wäre schön, wenn ein Name am Ende des Kommentars stehen würde.

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