Donnerstag, 11. September 2025

Great Women #430: Ana Mendieta



"She turned trauma into art" hieß es in einem Instagram-Post im Juni und erinnerte mich an die kubanische Künstlerin, deren Werk mich immer wieder verstört & gefesselt hat. Jetzt ist sie endlich dran in meiner Great-Women-Reihe: Ana Mendieta 


"My art is grounded 
on the belief in one universal energy
which runs through all being and matter, 
all space and time."

Ana Maria Mendieta wird am 18. November 1948 in Havanna, Kuba in eine tonangebende, katholische  Familie der kubanischen Politik und Gesellschaft hineingeboren. Ihr Vater Ignacio Alberto Mendieta de Lizáur ist Rechtsanwalt und ein Neffe von Carlos Mendieta, der von Fulgencio Batista - zu diesem Zeitpunkt noch Armeechef, ab 1952 diktatorisch regierender Staatspräsidenten Kubas - für knapp zwei Jahre von 1934 - 35 als Präsident des Inselstaates eingesetzt worden war. 

Ihre Mutter Raquel Oti de Rojas hingegen ist die Enkelin von Carlos Maria de Rojas, einem Zuckermühlenbesitzer in Matanzas, der eine maßgebliche Rolle im Kampf gegen Spanien um die kubanische Unabhängigkeit gespielt und als General die Aufständischen angeführt hat. Als die von den spanischen Truppen kontrollierten Zuckerfabriken niedergebrannt worden sind, hat auch er seine eigene Fabrik angezündet und all seinen Reichtum vernichtet, um sein Land zu retten. In Anas Familie gibt es viele Helden! An patriotischen Feiertagen marschiert das Mädchen also in der Parade nach Puerto Rojas, einer Festung, die nach ihrem Urgroßvater Carlos Maria de Rojas benannt ist, mit.
Ana unten links
(1952)
©The Estate of Ana Mendieta Collection LLC
and Galerie Lelong & Co.

Annas Mutter selbst ist Chemikerin & Forscherin. Ana wächst erst einmal sehr behütet zusammen mit ihrer 3 Jahre älteren Schwester Raquelin und ihrem jüngeren Bruder Ignacio auf und besucht eine katholische Privatschule.

Anas Vater unterstützt zunächst die kubanische Revolution unter Fidel Castro Ende 1958 und ist an der Schweinebucht-Invasion beteiligt, entwickelt sich aber zu einem Gegner, auch weil er sich gezwungen sieht, seine Religion aufzugeben. 

Er und seine Frau sehen 1961 eine Chance, ihre Töchter der Einflussnahme der Regierung im Rahmen eines Gemeinschaftsprogramms der US-Regierung und des "Catholic Welfare Bureau" des Paters Bryan O. Walsh zu entziehen. 

Die "Operación Pedro Pan" basiert auf Gerüchten bzw. Flugblättern aus den Staaten, dass Fidel Castro und die Kommunistische Partei nicht nur planen, den Privatbesitz der kubanischen Bourgeoisie zu enteignen, sondern auch den Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder zu nehmen und die Minderjährigen in "kommunistische Indoktrinationszentren" stecken zu wollen. Heute weiß man, dass diese Mission ein Versuch der Vereinigten Staaten gewesen ist, Kubas gesellschaftliche Struktur zu destabilisieren, indem man sich auf das konzentriert hat, was jeder Familie am wichtigsten ist: der Nachwuchs. Geplant ist zunächst nur ein Aufenthalt von einem halben Jahr, bis sich die politischen Spannungen in Kuba gelegt hätten.

Die zwölfjährige Ana und ihre Schwester werden ( wie 14 000 kubanische Kinder insgesamt ) am 11. September 1961 nach Miami geflogen, mit dem endgültigen Ziel eines Aufnahmezentrums in Dubuque in Iowa. Im Gegensatz zur älteren Schwester, die nicht weg will und am Flughafen weint, ist Ana aufgeregt & neugierig. "Sie hatte dieses Bild von all den Teenagerfilmen im Kopf, die damals angesagt waren. Die Partys, die Teenager in Cabrios, die an den Strand fahren und Spaß haben", so Raquelin an dieser Stelle.

Die Eltern haben mit einer entsprechenden Vollmacht noch erreichen können, dass die Mädchen nicht voneinander getrennt werden. In der Folgezeit werden sie in verschiedenen Internaten und Pflegefamilien untergebracht - in einem Jahr ziehen sie achtmal um -, darunter auch eine Einrichtung, die bei uns als "Besserungsanstalt" firmiert, weil ein Gericht eine Einweisung in eine staatliche Einrichtung vermeiden will. Fluchen, Schlagen, Gewalt gehören zur täglichen Erfahrung der Mädchen, der Rassismus gegenüber Hispanos ebenso.

Die Beiden können kaum Englisch und sind deshalb sehr aufeinander bezogen. Sie entdecken, dass künstlerischer Ausdruck ihnen helfen kann, mit der Härte des neuen Alltags und dem Schmerz, aus ihrer Herkunftsfamilie gerissen worden zu sein, klarzukommen. 1965 kann Ana die High School abschließen, während ihr Vater im gleichen Jahr in Havanna wegen Kooperation mit dem CIA in Haft genommen wird. Erst im Jahr darauf wird ihre Mutter zusammen mit dem Bruder zu den Schwestern stoßen. 

Ana studiert zunächst Französisch im Hauptfach und Kunst und Kultur indigener Völker im Nebenfach am  Briar Cliff College in Sioux City, Iowa. Doch als sie an die University of Iowa wechselt, an der schon ihre Schwester Raquelin studiert, wird sie nach und nach von der Avantgarde-Community dort inspiriert. 1972 schließt sie ihr Studium mit einem Bachelor of Arts ab. 
"Der Wendepunkt in der Kunst kam 1972, als mir klar wurde, dass meine Bilder nicht real genug waren für das, was ich mit dem Bild ausdrücken wollte. Und mit real meine ich, dass meine Bilder Kraft und Magie haben sollten," so wird sie später ihre Umorientierung begründen und 1977 nicht nur einen Master in Malerei ablegen, sondern auch einen Master of Fine Arts im Studiengang Intermedia. 
Hinter dem Intermedia-Programm der University of Iowa versteckt sich ein kreatives Labor, in dem Künstler*innen, Studierende und Wissenschaftler*innen verschiedener Fachbereiche miteinander kommunizieren & experimentieren und bewusst die Grenzen der bis dahin geltenden Kunstgattungen – Malerei, Plastik, Grafik - überschreiten. Angeleitet wird das von dem renommierten, aus Herford stammenden Künstler Hans Dieter Breder. Dieses Studium ist performanceorientiert, und Video ein wesentlicher Aspekt. Obwohl die Technik zunächst nur dokumentarisch eingesetzt wird, wird sie sofort zu einem integralen Bestandteil vieler studentischer Performances und bald ein eigenständiges Medium.

Mit dem 13 Jahre älteren Breder verbindet Ana in der Folge eine professionelle wie romantische Beziehung bis in den Sommer 1980. Breder hat in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf die junge Künstlerin. Er macht sie auf das spannende Potenzial interdisziplinärer Kunst aufmerksam und nutzt sie als Muse & Model, insbesondere für "La Ventosa" (1971), wo Ana nackt mit einem Spiegel in der Hand am Strand liegt und von Wellen überrollt wird. 

Doch noch einmal zurück in die Zeit ihres Zweitstudiums, während dessen die junge Frau  beginnt, sich mit Blut und Gewalt gegen Frauen zu beschäftigen und ihr Interesse an Spiritualität, Religion und primitiven Ritualen zu entwickeln. Sie entwickelt ihre ganz eigene, außergewöhnliche Vision basierend auf ihrer persönlichen Geschichte des erzwungenen Exodus.

Schon im Sommer 1971 ist sie nach Mexiko gereist und hat sich dort mit den schmerzhaften Auswirkungen dieser, ihrer kulturellen Vertreibung aus Kuba beschäftigt. Später wird sie die Reise als "Rückkehr zum Ursprung" bezeichnen. Diese Reise gibt auch auch den Anstoß zu Anas Interesse an einem "Dialog zwischen Landschaft und weiblichem Körper". Die Beziehung zwischen Künstlerin und Erde lässt sie den Schmerz über ihre frühen Trennung von Mutter und Heimat lindern bzw. in universeller Hinsicht wie die vom Mutterleib.

In diesen jungen Jahren unterrichtet Ana auch Kunst an der Henry Sabin Elementary School in Iowa City. Während dieser Zeit schafft sie gemeinsam mit ihren Schülern Kunstwerke und filmt die gemeinsamen Aktionen.
1972

Eine der bis heute wohl bekanntesten Arbeiten aus jener Zeit ist "Untitled (Facial Hair Transplant)" der damals 24 Jahre alten Künstlerin. Ein Kommilitone der Iowa University hilft ihr bei der Erstellung, indem er seinen Bart stutzt. Diese Haare klebt sie dann sorgfältig auf ihr eigenes Gesicht. Den Vorgang dokumentiert sie vollständig mit vielen Fotos. Ihr subversives Selbstporträt verzerrt unsere gewohnten Vorstellungen von Schönheit und stellt Geschlechterkonstrukte in Frage - in diesen Tagen ungeheuer provokant.

Immer wieder mit Diskriminierung als weibliche Studierende - ihre Schwester wird aufgefordert, als sie noch als Studentin heiratet, nach Hause zu gehen und ihr Geschirr abzuspülen! - und blutiger Gewalt konfrontiert, wendet sie sich immer wieder solchen Themen zu: 

Zum ersten Mal verwendet sie Blut während einer Performance im Jahr 1972, als sie "Untitled (Death of a Chicken)" präsentiert. Dabei steht sie nackt vor einer weißen Wand und hält ein frisch geköpftes Huhn an den Füßen. Im Todeskampf befleckt sich das Huhn das blütenweiße Gefieder und bespritzt den Körper der Darstellerin. Das dabei in einem Raum der in einem Raum der University of Iowa gedrehte Video dauert sechs Minuten.

Nachdem die Studentin Sarah Ann Ottens auf dem Campus vergewaltigt und ermordet worden ist, lädt Ana 1973 zu der Performance "Rape Scene" in ihre Wohnung in der Moffit Street ein, bei der sie die von der Hüfte abwärts nackt, blutverschmiert, vornübergebeugt und an einen Tisch gefesselt ist. Sie hat die Tat, wie sie von der Polizei berichtet worden ist, sorgfältig nachgestellt.

Später erinnert sie sich, dass sich ihr Publikum aus Studenten & Professoren "alle hinsetzten und anfingen, darüber zu reden. Ich bewegte mich nicht. Ich blieb etwa eine Stunde lang in dieser Position. Das hat sie wirklich erschüttert." Diese Interaktion zwischen den Leuten, die ihr Werk beobachten und darüber reden sowie ihr Körper als Subjekt und Objekt der Arbeit selbst ist das Mittel gewesen, das eigentliche Verbrechen zu verarbeiten, das an der Universität von Iowa stattgefunden hat.

Die Dokumentation dieses Werks ist schockierend. Es kann als Initialzündung für Anas weiteres künstlerisches Vorgehen betrachtet werden, indem sie die Macht ihres eigenen Körpers als Subjekt und Objekt in ihren Kunstwerken nutzt, um sexuellen Missbrauch und Gewalt auf eindringliche Weise anzuprangern.

In einer Diaserie mit dem Titel "People Looking at Blood Moffitt", auch "Moffitt Building Piece", im gleichen Jahr hält sie fest, wie die Passanten reagiert haben, nachdem sie Blut und Lumpen auf einen Bürgersteig gelegt hat. Ein scheinbar endlosen Strom von Menschen geht vorbei ohne anzuhalten. Nur der Mann aus dem Geschäft mit dem Schaufenster "HF Moffitt" wischt alles auf. Ana offenbart auf diese Weise unsere Bereitschaft, alltägliche Anzeichen von Gewalt zu ignorieren. Das wird sich ab da wie ein roter Faden durch ihr Werk ziehen... 

Sowohl die aufrührerische Wut dieses Stücks als auch seine subtilen Manipulationen – was erwartet sie denn schon von den Leuten mit einem Haufen blutiger Lumpen? – sind typisch für Anas explosives Pathos.
"Das war Teil ihrer Persönlichkeit. Nichts, was sie tat, überraschte mich jemals. Sie war schon als Kind immer sehr dramatisch – und liebte es, Grenzen auszuloten, die Leute zu erschrecken, sie ein wenig zu schockieren. Das war ihre Art, und sie genoss es sehr. Und manchmal lachte sie darüber, wenn die Leute ausflippten", so ihre Schwester später an dieser Stelle.
Während weiterer Reisen nach Mexiko in der ersten Hälfte der 1970er Jahre kreiert Ana u.a., die "Siluetas", Arbeiten, bei denen ihr Körper einen Abdruck im Boden hinterlässt, den sie dann mit Steinen, Blättern, Blumen und Hölzern dekoriert und manchmal mit roter Farbe füllt. Sie schreibt dazu:
"Meine Kunst basiert auf dem Glauben, dass es eine universelle Energie gibt, die alles durchläuft, vom Insekt zum Menschen, vom Menschen zur Seele, von der Seele zur Pflanze, von der Pflanze zur Galaxie."
"Untitled (from the Silueta Series)"
(1976)
©Ana Mendieta FairUse

Anas Werk wirkt auf verblüffende Weise zugleich radikal fortschrittlich und uralt und vibriert vor einer weiblichen Kraft, die bis in die frühesten menschlichen Riten zurückreicht. Eines ihrer bekanntesten Werke aus dieser Reihe mit dem Titel "Imagen de Yagul" ( siehe ganz, ganz oben ) zeigt die Künstlerin in einem zapotekischen Grab liegend, ihr nackter Körper mit weißen Blumen bedeckt. Das Laub, das ihr Gesicht verdeckt und aus ihrem Körper zu wachsen scheint, verwandelt ihre unbekleidete Gestalt zugleich in einen leblosen Körper und einen Ort großer Fruchtbarkeit. 

Ansonsten hinterlässt sie Abdrücke ihres nackten Körpers auf der Erde an Orten, die ihr besonders am Herzen liegen, wie Kuba, Mexiko und Iowa. Anschließend markiert sie die so entstandenen Umrisse oder Silhouetten mit bestimmten Farben oder Materialien, die diese Orte aufgrund ihrer persönlichen Identifikation nahelegen. Auf diese Art & Weise vermag sie ihre Beziehung zur Erde und zu ihrer Weiblichkeit sichtbar & erfahrbar zu machen.

"Untitled (Blood and Feathers #2)"
© The Estate of Ana Mendieta Collection

1974 entsteht "Untitled (Blood and Feathers #2)", ein dreieinhalbminütiger Super-8-Film, der eine Performance der Künstlerin während ihres Studiums festhält. Er zeigt die junge Frau nackt vor einem fließenden Bach  ( der  Old Man's Creek, Sharon Center, Iowa City ), den Blick direkt in die Kamera gerichtet, während sie Blut aus einer Flasche an ihrer Vorderseite herunterfließen lässt. Dann gießt sie das restliche Blut über den Rücken, wirft den leeren Behälter beiseite und lässt sich in einen Haufen weißer Federn fallen. In denen wälzt sie sich und die Federn bleiben an ihrem Körper haften. Dann steht sie aufsteht und breitet die Arme wie Flügel aus. angewinkelt – eine Position, die sie bis zum Schluss des Films beibehält.

Sie versucht so die Idee zu vermitteln, dass aus dem Opfer eines Lebens ein anderes, reineres Leben entstehen kann bzw. dass die physischen Grenzen des Körpers überwunden werden können und eine spirituellere Existenz erreicht wird. Sie knüpft damit an Vorstellungen an, die in religiöse Rituale der katholischen Kirche wie der Santeria einfließen. 

Ana Mendieta steht dem Katholizismus sehr kritisch gegenüber, weil die Religion den indigenen Völkern Amerikas aufgezwungen worden ist. Ihr Interesse an der Santería ist aus ihrer Verbindung zu Kuba zu erklären. Der gehäufte "rituelle Gebrauch von Blut" ( bei der Santeria immer Hühnerblut ) sowie die Verwendung von Schießpulver, Erde und Steine durch die Künstlerin ist auch auf diese Traditionen zurückzuführen. Ihre Schwester wird Ana als geradezu besessen von diesem religiösen Wissen charakterisieren.

Auch andere primitive Rituale aus Mesoamerika, den Mayas und Azteken faszinieren die junge Frau. Ihre Betonung einer Mutterfigur könnte auf die Maya-Gottheit Ix Chel, die Mutter der Götter, zurückzuführen sein. Viele Kunstkritiker haben Anas wiederkehrende Verwendung einer Mutterfigur und ihrer eigenen weiblichen Silhouette als feministische Kunst interpretiert. Da ihr Werk sich aus vielen Ideen speist - darunter Leben, Tod, Identität und Ort gleichzeitig -, lässt eine derartige Beschränkung eher nicht zu. Land und Erde sind bei Ana Mendieta eine Metapher für Familie, Liebe und Kultur, die Sehnsucht nach dem, was sie als Kind verloren hat.

Ihr Interesse an indigenen religiösen Praktiken wie Menschenopfern zeigt sich auch in einem Werk ohne Titel von 1976: In einer steinerne Nische ( in den Mauern eines mexikanischen Kloster Cuilapan de Guerrero ) steht die in ein weißes Laken gehüllte Künstlerin. Die Vorderseite weist blutrote Abdrücke ihres Körpers auf dem Stoff auf. 
"Für mich ist es entscheidend, Teil all meiner Kunstwerke zu sein. Durch meine Teilnahme wird meine Vision Wirklichkeit und Teil meiner Erfahrungen."
1981
1978 geht Ana nach New York. Sie freundet sich mit den feministischen Künstlerinnen jener Zeit an, darunter Nancy Spero und Carolee Schneemann, und wird Teil der "Artists in Residence Inc (A.I.R. Gallery)", der ersten amerikanischen Kunstgalerie, die ausschließlich Frauen gewidmet ist. 

In dieser Galerie lernt sie den minimalistischen Bildhauer Carl Andre, sechs Jahre älter als sie, kennen, als der an einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Wie hat die künstlerische Praxis von Frauen die gesellschaftliche Einstellung männlicher Künstler beeinflusst?" teilnimmt. Die beiden Künstler verlieben sich, obwohl zwei vollkommen gegensätzlichen Persönlichkeiten in künstlerischer Hinsicht. Liliana Porter, eine argentinische Videokünstlerin, mit ihnen befreundet:
"Carl war in seinem täglichen Leben sehr methodisch, er folgte den Routinen, Ana war das Gegenteil. Sie mochte ihre starke Persönlichkeit [...] und irgendwie brauchte sie auch einen reiferen und konstanteren Bezugspunkt."

Bekannt ist Andre vor allem durch seine auf dem Boden ausgelegten Metallplatten. Er hat seit Mitte der 1960er Jahre einen raschen Aufstieg in der Kunstwelt genommen. Obwohl also "Hoherpriester der Minimal Art", gibt sich der große, massige Mann äußerlich wie ein gewöhnlicher Arbeiter, der auch 1970 einen Streik von Künstlern, Schriftstellern, Galeristen & Museumsmitarbeitern organisiert hat im Rahmen der Protestbewegungen gegen den Vietnamkrieg.

Ana - zierlich, energisch, offen, gesellig, großzügig & belastbar - wird von ihrer New Yorker Umgebung als optimistisch, auffallend vital und dem Leben zugewandt erlebt, mit einem sehr guten Netzwerk aus vielen Freunden und dem gemeinsamen Feiern nicht abgeneigt - das gerät aufgrund ihres Werkes manchmal aus dem Blickfeld! Auch mit Andre widmet sie sich dem kulturellen & gesellschaftlichen Leben der Stadt, sie sind Gäste auf vielen Partys. 

Mit Carl Andre
Obwohl Anas Arbeiten größtenteils feministischer Natur sind, sind sie tendenziell inklusiver und lebensbejahender, als es innerhalb des Kollektivs sonst üblich ist. Sie sieht durchaus die Möglichkeit, Männer als Verbündete für die feministische Perspektive zu gewinnen. So kommt es 1982  zu einem Ende ihrer Zusammenarbeit mit A.I.R., als es über ein Gemeinschaftswerk mit Andre, das der Galerie vorgelegt worden ist, ein Streit entbrennt. Sie verabschiedet sich mit den Worten: "Der amerikanische Feminismus, wie er jetzt ist, ist ausschließlich den Weißen der Mittelklasse vorbehalten.

Von da an stellt sie die von der Gesellschaft festgelegten Grenzen generell in Frage. Sie tritt für die Überwindung des Eurozentrismus in der Kunst ein, kritisiert den Ausschluss nicht westlicher Künstler aus dem internationalen Kunstbetrieb und betont ihre eigene transkulturelle Identität. Sie entzieht ihre Werke dem konventionellen Kunstraum und der gängigen Kunstpraxis, die Kunstobjekte über Generationen hinweg in Museen zu verwahren, aber auch zu kommerzialisieren über Galerien.

Schon 1980 ist sie zum ersten Mal seit ihrer Emigration als Kind nach Kuba zurückgekehrt und wird das in den folgenden Jahren noch sechs Mal wiederholen. In Hügeln und Höhlen von Jaruco außerhalb der Stadt Havanna wird sie viele Werke hinterlassen, ganz der Erosion und dem Verfall ausgesetzt. So hat sie sich das vorgestellt.

Sie wird auch als Reiseführerin im kubanischen Kulturkreis arbeiten. Ihre Sehnsucht nach ihrem Ursprungsland kommt nicht nur in ihrer bildenden Kunst zum Ausdruck, sondern auch literarisch. Sie wird später viele Bücher und Seiten mit Notizen und Gedichten hinterlassen.

"Sandwoman"
(1983/84)
© The Estate of Ana Mendieta Collection
1983 wird sie mit dem Rom-Preis der renommierten American Academy  ausgezeichnet, verbunden mit einem einjährigen Studienaufenthalt ab Oktober des gleichen Jahres in der "Ewigen Stadt". Dort wendet sie sich endgültig von der Performancekunst ab und beginnt, Skulpturen und Zeichnungen aus natürlichen Elementen zu schaffen. Später entsteht noch die Totem- Serie aus Holz.

Die Beziehung zwischen ihr und Andre verschlechtert sich in dieser Zeit. Doch im Januar 1985 überraschen sie ihre Freunde und die Familie mit der Nachricht von einer privaten Hochzeitszeremonie in Rom.

Einige Monate nach ihrer Rückkehr nach New York vertraut Ana einer Freundin gegenüber ihren Verdacht an, dass Carl Andre, der während ihres Aufenthaltes in Rom in Berlin beschäftigt gewesen ist, eine andere Liebesbeziehung unterhält.

Am Abend des 8. September 1985 beschließt das Paar nicht auszugehen und bestellt zu einer Flasche Champagner chinesisches Essen. Man habe sich noch im Nachtprogramm einen alten Katherine-Hepburn-Film angeschaut, so Andre später. Ana sei vor dem Ende des Films ins Schlafzimmer gegangen. Dort stürzt die 36jährige aus dem geöffneten Fenster der gemeinsamen Wohnung, 33 Stockwerke tief auf das Dach eines Feinkostladens. Kurz vor ihrem Tod haben Nachbarn das Paar heftig streiten und ein "Nein!" schreien gehört. Ein Portier aus der Nachbarschaft, der sich einen Kaffee holen will, hört ebensolche Schreie. Andre selbst hat überall im Gesicht Kratzer, als zwei Polizisten an der Wohnungstür eintreffen. Er selbst hat zuvor noch einen Notruf abgesetzt: 
"Meine Frau ist Künstlerin, und ich bin Künstler, und wir hatten einen Streit darüber, dass ich stärker im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehe als sie. Sie ging ins Schlafzimmer, und ich ging ihr nach, und sie sprang aus dem Fenster."
In der Folge macht Andre widersprüchliche Aussagen zum Hergang. Anas Tod spaltet unterdessen die Kunstwelt:

Viele prominente Künstler bieten Andre, der einen Nimbus ohnegleichen in der Kunstszene hat, Unterstützung an gegen die sogenannte "feministischen Kabale". Obwohl eine Tragödie, sind viele der Meinung, der Vorfall dürfe nicht "Andres brillante Karriere" beschädigen. Aus dieser menschenverachtenden Perspektive ist der Verlust einer hispanischen Frau es also nicht wert, den Namen eines weißen Künstlers zu beschmutzen. Auf der anderen Seite sind Künstler*innen wie Carolee Schneemann und die gerade gegründete feministische Aktivistinnengruppe "Guerrilla Girls" sowohl über das Ereignis als auch über den darauffolgenden Umgang damit entsetzt: "Wir waren alle fassungslos über ihren gewaltsamen Tod. Wir wurden Zeugen, wie sich die Kunstwelt um Andre schloss, um ihn abzuschirmen", heißt es in einem Zeitungsinterview.

Während des dreijährigen Gerichtsverfahrens bezeichnet Andres Anwalt Ana Mendietas Tod als möglichen Unfall oder Selbstmord. Nach diesem Verfahren ohne Geschworene wird der Künstler im Februar 1988 vom Vorwurf des vorsätzlichen Mordes freigesprochen. Dieser Freispruch ist bis heute umstritten. Zum 25. Jahrestag ihres Todes wird 2010 in New York ein Symposium mit dem Titel "Wo ist Ana Mendieta?" veranstaltet werden. Weitere Aktionen gibt es 2014, 2015, 2017.

Anas Schwester hat schon bald nach dem Tod mit einigen Freunden das "Ana Mendieta Committee" gegründet, das sich zum Ziel genommen hat, einen Ort für eine posthume Einzelausstellung ihrer Werke zu finden. Schon 1987 geht der Wunsch in Erfüllung, als für Ana im New Museum in New York eine Einzelretrospektive eingerichtet wird.

Erst 2018 veröffentlicht die "New York Times" einen verspäteten Nachruf auf die Künstlerin, der mit den Worten beginnt: 
"Mendietas Kunst, manchmal gewalttätig, oft unverblümt feministisch und meist roh, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck, bevor ihr Leben ein jähes Ende fand."
Nach ihrem vielbeachteten Tod wird Ana Mendieta zu einer mythischen, romantischen und tragischen Figur in der Kunstwelt. Diese Sehweisen überlagern lange Zeit jegliche Aufmerksamkeit auf ihr überaus wichtiges Werk bzw. es wird allzu oft nur rückwirkend im Kontext ihres Todes betrachtet & interpretiert. Dabei wird völlig außer acht gelassen, dass sie eine lebhafte, furchtlose, konfrontative junge Frau gewesen ist, die sich von nichts und niemandem aufhalten ließ und die ihren Körper zu ihrer Sprache gemacht hat: Roh, verletzlich und trotzig. Erst in jüngerer Zeit, ab Mitte der 1990er Jahre, hat sich der Blickwinkel dahingehend geändert. Anfang der 2000er-Jahre beginnen dann auch ihre Familie und die Galerie Lelong mit der Restaurierung der filmischen Arbeiten, die sie hinterlassen hat.

Anas Geschichte zwingt uns, genauer hinzusehen: Auf die Macht, auf die Erinnerung und auf das, was wir vergessen.
                                                                              

Wer über noch mehr interessante Frauen erfahren möchte,
der sei auf diese Posts in meinem Blog verwiesen:

3 Kommentare:

  1. ich hatte schon von ihr gehört
    ihre Aktionen fand ich schon sehr heftig
    und fand auch keinen Bezug dazu
    deine Biograrhie läßt es mich besser verstehen
    das sie so einen tragischen Tod erleiden musste wußte ich auch nicht
    liebe Grüße
    Rosi

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  2. Ihr Schicksal ist in allen Teilen sehr schwer zu verkraften. Ein guter Zeitpunkt, um sich wieder an ihr Werk zu erinnern, da hast du ganz recht.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. Tatsächlich hatte ich Ana Mendieta auch völlig vergessen. Und ihren tragischen und ungelösten Tod auch.
    Dabei war sie so eine wichtige Künstlerin und so direkt und doch so mystisch.
    Auch in der Tradition der Großen Mutter scheinen mir viele ihrer Werke.
    Du hast ihr Leben und ihr Werk ausgezeichnet beschrieben und ihre Wirkung auch. Danke!
    Herzlichst
    Sieglinde

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