Donnerstag, 22. Juni 2023

Great Women #341: Wibke Bruhns

Na klar habe ich mitbekommen, dass sie die erste Nachrichtensprecherin im bundesdeutschen Fernsehen gewesen ist, als sie am 12. Mai 1971 um 22.15 Uhr in der ZDF-Nachrichtensendung "heute" sprechen durfte. Mehr Eindruck hinterlassen hat bei mir aber ihr Buch "Meines Vaters Land", welches 2004 erschienen ist und in dem sie ihre Familiengeschichte rund um ihren als Hochverräter in Plötzensee im August 1944 hingerichteten Vater erzählt. Insgesamt ein beeindruckendes Leben, das Wibke Bruhns geführt hat, so dass ich es euch heute erzählen möchte.


Wibke Bruhns kommt als Wibke Gertrud Klamroth am 8. September 1938 in Halberstadt zur Welt. Sie ist das jüngste von fünf Kindern von Else Podeus, Fabrikantentochter aus Wismar, und ihres Mannes, dem Kaufmann Hans Georg Klamroth. Wibkes Geschwister - Barbara (*1923), Ursula (*1924), Jochen (*1925), Sabine (*1933) - sind also um einiges älter als das Nesthäkchen der Familie.

Die Klamroths, eine angesehene und wohlhabende Kaufmannssippe aus Halberstadt im Harzvorland, sind stolz auf eine lange Tradition. Die Firma handelt mit Saatgut und anderen Waren, zuletzt dann sehr erfolgreich mit Kunstdünger.

Wibkes Mutter hingegen hat etwas Weltstädtisches, so heißt es, kommt sie doch vom Meer, aus einer Hansestadt mit Verbindungen nach England. Sie ist nicht mondän, keine ausgesprochene Schönheit, aber voller Spontaneität, immer ein bisschen frech, aber mit tadellosen Manieren, mit Humor gesegnet und etlichem Selbstbewusstsein. "Sie bewegte sich auf jedem Parkett, als sei sie dort zu Hause", wird die Tochter später den Vater zitieren, der wohl sehr verliebt ist.

Der, nur ein Jahr älter als Else, ein Selbstzweifler, stellt sie hinter dem Rücken der beiden Elternpaare stolz als seine Braut vor. Doch erst einmal wird er von seinem Vater nach Südamerika verbannt, dann noch einmal in die USA, bevor die beiden am 15. September 1922 doch endlich heiraten können. Zunächst ziehen sie nach Bochum, wo Hans Georg Klamroth eine Stellung bei der Ammoniak-Vereinigung bekommen hat. Als Else zum ersten Mal schwanger ist, setzt er aber endlich die Teilhaberschaft in der väterlichen Firma in Halberstadt durch. Barbara, die Älteste, wird dann dort geboren.

Villa Klamroth in Halberstadt, heute ein Hotel



Interessant ist die politische Entwicklung des Vaters, der zunächst den Nationalsozialisten skeptisch gegenübersteht ( das beweisen seine Tagebucheintragungen ), dann aber nach der Machtergreifung langsam aber sicher einen anderen Ton anschlägt. "Die Crème de la Crème nicht nur der Halberstädter Gesellschaft reiht sich ein", so beschreibt es Wibke in ihrem Buch über den Vater. "Aber wenn schon dabei sein, dann besser frühzeitig, wird sich HG gedacht haben."... "Fürs Geschäft ist es auch nicht verkehrt." Hans Georg Klamroth tritt also sofort in die Partei ein, seine Frau dann 1937. 1933 stimmt er dafür, einen jüdischen Geschäftsmann aus dem Halberstädter Geschäftskreis auszuschließen. Es scheint kein vorübergehender Rausch gewesen zu sein, keine opportunistische Anwandlung, sondern eine tiefgehende Affinität, wird Wibke in ihrem Buch konstatieren. Solange dann später die deutsche Wehrmacht im Krieg Sieg auf Sieg erringt, ist alles in Ordnung.

Doch 1940 wird der Vater dann notieren: "Wir spürten die Änderung der Verhältnisse gegen die Zeit vor 1933 - ungeachtet aller Vorstellungen und Änderungsvorschlägen hielt die nationalsozialistische Führung an den von ihr als richtig erkannten Prinzipien unverändert und eisern fest."

Die Klamroths von links nach rechts:
Else mit Wibke auf dem Arm, Ursula, Hans Georg, dahinter Jochen, Sabine auf dem Schoß von Barbara
(1938/39)



Da ist er bereits im Krieg, in Dänemark. Er kann Dänisch und hat viele Freunde und Verwandte im Land ( seine Schwiegermutter ist Dänin ). Klamroth wird Offizier der Abwehr. Inzwischen hat sein Vetter zweiten Grades, Bernhard Klamroth, im Januar 1943 Wibkes Schwester Ursula geheiratet. Der ist ebenfalls Offizier und arbeitet im Oberkommando des Heeres in Mauerwald in Ostpreußen, unweit der Wolfschanze. Dieser Bernhard gehört zum Widerstand. Wahrscheinlich setzt bei Hans Georg Klamroth ein Umdenken nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad ein. 

Cousin Bernhard ist maßgeblich daran beteiligt, im Mai 1944 den Sprengstoff für das Attentat auf Hitler am 20. Juli zu besorgen. Wibkes Vater ist Mit-Wisser, doch kein Mit-Täter. Mit Else redet er nicht darüber.  Als das  Attentat scheitert und die Verschwörer nach und nach gefasst werden, werden auch Hans Georg & Bernhard Klamroth verhaftet, verurteilt und am 26. August 1944 hingerichtet. Wibkes Vater nur, weil er seinen Cousin & Schwiegersohn nicht verraten hat.

An all das erinnert sich das Kind Wibke, beim Tod des Vaters noch keine sechs Jahre alt, nicht wirklich. Es gibt eine "diffuse Familien-Übereinkunft des Nicht-Redens", der sie unterworfen wird und der sie sich auch selbst unterwirft: "Ich hielt ihn mir vom Hals. Ich wollte nichts über ihn wissen."

Die  Mutter und die Schwester Ursula werden aus der NSDAP und der NS-Frauenschaft ( deren Ortsgruppenführerin die Mutter gewesen ist ) ausgeschlossen, Barbara von der Uni Wien verwiesen und muss zwangsverpflichtet in einer chemischen Fabrik in Goslar arbeiten. Der einzige Sohn der Klamroths, Jochen, wird in Sippenhaft genommen und kommt zusammen mit gewöhnlichen Schwerverbrechern in die Strafdivision 999, die unter härtesten Bedingungen und großen Verlusten an der Ost- und Westfront kämpfen muss. Das Vermögen aller Mitglieder der Familie, auch das der Kinder, wird beschlagnahmt. Sie werden von der Schwester des Vaters alimentiert. Beim Großangriff auf Halberstadt einen Monat vor Kriegsende wird auch die Firma zerstört. 

Die letzte Zeit in Halberstadt ist wohl ein Alptraum. Woran sich das Kind Wibke noch erinnert, ist eine Ohrfeige, die sie von der Mutter erhalten hat auf die Frage hin, warum niemand mehr "Heil Hitler" sagt.

Im Sommer 1948 zieht die Mutter mit ihren beiden Jüngsten nach Braunschweig und versucht vom Grenzort Mattierzoll die Firma der Klamroths wieder zu beleben. Die Grenze ist da noch eine "grüne", Lastwagen der Firma bringen im Dunkel der Nacht Möbel & andere Habseligkeiten aus Halberstadt unter Getreidesäcken verborgen hinterher. Else versteht nichts vom Geschäft, müht sich und muss die beiden Mädchen viel allein lassen. Die sind extrem unterschiedlich und gehen ebenso unterschiedlich damit um, dass sie "im Strudel der bundesrepublikanischen Gründerjahre an den Rand gespült" worden waren. Wibke beschreibt sich selbst als ausgestattet mit einem dicken Fell, "dick wie Kreppsohlen" und "hart im Nehmen". Sie wird z.B. 1949 quer durchs Land alleine in ein Kinderheim der evangelischen Kirche am Bodensee geschickt. Das Heimweh dort lässt sie aber nach einem Vorwand suchen, wieder nach Hause zu kommen.

Geldsorgen plagen die Familie immerzu. Schließlich geht die Firma in Konkurs und Else, Sabine & Wibke müssen von Spenden des Hilfswerks 20. Juli leben. Durch Vermittlung von Eugen Gerstenmaier erhält  Else Klamroth 1949 eine Anstellung in der Botschaft in Stockholm. Wibke kann mit einem Stipendium des Hilfswerkes zunächst das evangelische Bugenhagen-Internat in Timmendorfer Strand besuchen, wird dann aber von der Mutter nach Stockholm geholt. Dort lebt sie sich nur langsam ein. Weil die Mutter für die Tochter ein deutsches Abitur will, kommt Wibke in ein Internat in Plön. Das muss sie 1955 wiederum verlassen, weil sie eine Beziehung zu Hau Möller, einem Mitschüler, hat. Nächste Station dann also Berlin, untergebracht bei Freunden. Die sechste Schule in dreizehn Schuljahren!

Immerhin kommt sie diesmal in eine Familie, und sie wird später sagen "Vater, Mutter und zwei Kinder blieb für mich auf Jahre hinaus die erstrebenswerte Lebensform". Im Februar 1957 legt sie das Abitur ab und geht für ein halbes Jahr nach London, wo die Mutter inzwischen tätig ist. 1957 wird auch Else nach jahrelangen Verhandlungen eine Entschädigung für die Verurteilung und Hinrichtung ihres Mannes zugesprochen, die minderjährigen Kinder bekommen ebenfalls eine Rente. Aber schon 1962 wird von der Entschädigungsbehörde eine Rückzahlung angeordnet. Alles wird zunächst bei einer Bank angelegt, bis vier Jahre später der Bundesgerichtshof im Interesse der Klamroths entscheidet.

Wibke besucht zunächst für ein Jahr eine Handelsschule, dann beginnt sie ein Studium in Hamburg, Geschichte und Politikwissenschaften, welches sie 1960 abbricht. "Ich war zu dumm, ich konnte Hegel nicht verstehen", so ihr Kommentar. Sie beginnt jetzt ein Volontariat bei der Bild-Zeitung, weil sie da so bezahlt wird, dass sie einigermaßen bescheidden davon leben kann. 1961 nach dem Mauerbau hört sie jedoch aus politischen Gründen auf, weil eine in ihren Augen unzulässige Verknüpfung mit 1933 publiziert wird. Sie wird aber immer betonen, sie habe beim Boulevardblatt viel gelernt. Anschließend verdingt sie sich als Produktionsassistentin beim NDR und darf bald eigene 3-Minuten-Filme machen. Auch hier lernt sie wieder gründlich ihr Handwerk. In dieser Zeit heiratet sie zum ersten Mal, den Werbekaufmann Peter Teichgräber, von dem sie sich aber schon nach einem Jahr scheiden lässt.

Mit ihrem Vorgesetzten aus der Redaktion "Mensch und Landschaft" beim NDR wechselt sie zum neu gegründeten ZDF. Im November 1962 wird sie bei dieser Sendeanstalt fest angestellt. Die ist aber noch nicht auf Sendung und sucht noch weiteres Personal. Die 23jährige begutachtet die Bewerbungsschreiben von Menschen, die qualifizierter sind als sie selbst, und hilft beim Aufbau des Hamburger Studios. Als das ZDF am 1. April 1963 auf Sendung geht, arbeitet Wibke für die Magazinsendung "Drehscheibe" und ist mit dem Ü-Wagen unterwegs.

1965 heiratet sie den zehn Jahre älteren Schauspieler Werner Bruhns. Mit ihm bekommt sie im Sommer 1966 die Tochter Annika, im April 1968 dann Meike. Zwei Kleinkinder bestimmen jetzt ihr Tempo, zumal ihr Mann im deutschsprachigen Raum von Hamburg bis Wien und Zürich Theater spielt und keine Stütze ist.

Als das ZDF spitz bekommt, dass die ARD mit einer Nachrichtensprecherin reüssieren will, meint der ZDF-Kollege & Nachrichtensprecher Hanns Joachim Friedrichs zur jungen Redakteurin: "Du machst das, oder?" Und so kam es zu dem eingangs erwähnten ersten Auftritt der Wibke Bruhns in der Sendung "Heute".




Natürlich gibt es Reaktionen: Während sich Männer gerne über ihren zu kleinen Busen auslassen, empören sich Frauen und verlangen in wütenden Briefen, sie solle sich gefälligst um Mann und Kinder kümmern. Kollegen wie der ARD-Sprecher Karl Heinz Köpcke finden, Frauen kämen für die Berichterstattung an vorderster Front nicht in Frage. Sie seien nicht gefasst genug und würden in Tränen ausbrechen, wenn in den Nachrichten von Krieg und Zerstörung die Rede sei. "Eine Frau hat doch Gefühle. Sonst wäre sie keine Frau.

Sie selbst hat nur Probleme damit, dass sie sich oft verspricht und beim Artikulieren bestimmter Wörter Schwierigkeiten hat, weshalb sie Sprechunterricht braucht. Nach 380 Sendungen hat sie dann aber auch genug davon, die immer nur von anderen formulierten Texte vorzulesen. Sie schmeißt den Job ( "der langweiligste, den ich hatte") 1972 hin und macht Wahlkampf für Willy Brandt. Die spießige Selbstgerechtigkeit der Deutschen in dieser Zeit geht ihr schon länger auf die Nerven. An Willy Brandt hingegen fasziniert sie seine ganz andere Biografie als Emigrant und sein Wille zum Ausbruch aus dem Adenauer-Mief. 

"Das gehört sich nicht für eine unabhängige Journalistin, natürlich nicht", bekennt sie in ihrem biografischen Buch. Günter Grass hat sie für die sozialdemokratische Wählerinitiative gewonnen, und Wibke tourt nun durchs Land. Sie kann mit großem Publikum umgehen und ist auf vielen Politikfeldern zu Hause. "Es ging um Sachlichkeit gegen Polemik, Aufklärung gegen Unterstellungen, individuelle Menschen gegen die Anonymität des großen Geldes." Wibke wird die Schlussveranstaltung zwei Tage vor der Wahl moderieren. Dort lernt sie Willy Brand persönlich kennen.

Das ZDF reagiert auf die heftige Kritik am Engagement ihrer Nachrichtensprecherin übrigens recht gelassen.

Anfang des Jahres 1973 steigt sie wieder ins Berufsleben ein, arbeitet nun für den WDR, bei dem sie unter anderem mit Beiträgen für das politische Magazin "Panorama" auf sich aufmerksam macht. Ab 1974 ist sie auch für den SWF tätig. Neben dieser Arbeit beginnt sie als freie Mitarbeiterin für den "Stern" zu schreiben. Ihre Kontakte innerhalb der SPD erleichtern ihr, Brandt auf seinen Auslandsreisen journalistisch zu begleiten, so nach Jugoslawien zu Tito, oder  dann im Juni 1973 nach Israel.

Dort ereignet sich das, was Wibke Bruhns nachhängen wird bis heute: Brandt nimmt sie nach einem Staatsempfang, als er sie in der Lobby des "King David"-Hotels in Jerusalem entdeckt, an der Hand - "Jetzt gehen wir einen trinken." - und sucht mit der 35jährigen sein Zimmer auf. 

"Er sprach und sprach", wird sie in ihrer Autobiografie schreiben. Über sein gespaltenes Verhältnis zu Israel, seine Verbundenheit mit den geschundenen Juden, seine Schwierigkeiten mit der israelischen Premierministerin Golda Meir, die sich mit Gott im Bunde fühle. "Nach anderthalb Stunden stand er auf, ich auch – er küsste mich väterlich auf die Wange. Ich war entlassen. Es war gegen zwei Uhr morgens. Die israelischen Sicherheitslümmels feixten, als ich aus der Tür kam."

Das Ehepaar Bruhns (rechts) wird von Willy Brandt auf dem Kanzlerfest im Palais Schaumburg begrüßt
(1973)
Ab zwei Uhr morgens ist der Klatsch von einer Affäre zwischen dem als Schürzenjäger geltenden SPD-Chef und der 25 Jahre jüngeren Journalistin in der Welt und bleibt in ihr, bis Brandts 3. Ehefrau Brigitte Seebacher 2004 preisgibt, dass die Affäre eine ganz andere Stern- Journalistin gewesen ist.

Im Juli des gleichen Jahres macht sie in einem Ferienhaus in Norwegen, ganz in der Nähe des Brandtschen Domizils, auf Vermittlung von Rut Brandt mit ihrer Familie Urlaub. Sie soll ein Porträt zum 60. Geburtstag des Kanzlers verfassen. Wieder redet er viel, aber nie über Privates.

Im Rahmen der Guillaume - Affäre wird die Jerusalemer Geschichte wieder hochgekocht. Sie steht auf einer Liste, mit der der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, Brandt nach der Enttarnung Guillaumes als Spion zum Rücktritt drängt. Einen verruchten Ton schlägt man an, indem von einem "Collier" die Rede ist, das Wibke angeblich damals im Hotelzimmer vergessen hat, als ob man es mit einer Kurtisane des 18. Jahrhunderts zu tun hätte! Am 7. Mai 1974 tritt Willy Brandt als Kanzler zurück

Wibkes Mann Werner Bruhns verübt am 16. Oktober 1977 in seiner Heimatstadt kurz nach seinem 49. Geburtstag Suizid. In ihrer Autobiografie kommentiert sie dieses tragische Ereignis mit "ich musste mein Leben umkrempeln, um damit zurechtzukommen", mehr nicht. So kann sie den Chefredakteur Henri Nannen überzeugen, dass der "Stern" einen Nahost-Korrespondenten bräuchte. 1979 ist es so weit und sie geht mit ihren Töchtern, vierzehn und zwölf Jahre alt, 1980 nach Israel. Die Mädchen gehen auf eine englische Schule, während ihre Mutter sich zwischen den Fronten der Nahostpolitik bewegt. Sie spricht mit Regierungschefs, Geheimdienstoffizieren, mit Jassir Arafat und findet israelische und palästinensische Freunde. Eine  politisch schwierige Zeit, die sie dennoch genießt ( mehr als die folgenden vier Jahre in Washington ). Sie schreibt das viel gelobte Buch "Mein Jerusalem", das 1982 erscheint. Irgendwann ist ihre Neugier aber erschöpft, die Glückstage können die täglichen Katastrophen nicht mehr aufwiegen. Also auf zu neuen Ufern.

Im Gespräch mit einem israelischen Geschäftsmann ( 1983 )
CC-BY-ND-NC



Zwischenzeitlich, 1983, ist sie in den Skandal um die gefälschten Hitler - Tagebücher beim "Stern" verwickelt, indem sie Teil der Kommission für die Neubesetzungen nach den Rücktritten der Chefredakteure wird. 

Von 1984 bis 1988 berichtet sie dann für das Hamburger Magazin aus Washington. Eine "Geo"-Reportage über das Vietnam-Denkmal in der US-Hauptstadt bringt ihr den renommierten Egon-Erwin-Kisch-Preis ein. "Die USA haben mich kein Herzblut gekostet wie Israel. Aber so richtig interessiert haben sie mich auch nicht."

Vierzehn Jahre ist sie beim "Stern" gewesen Jetzt zieht es sie wieder nach Europa, in eine Gegend, in der es sonniger ist als in Hamburg. Stadt muss es nicht mehr sein, die Töchter sind aus dem Haus. "Das schönste Haus der Welt" findet sie schließlich in Ingolsheim im Elsass. Die Arbeiten rund ums Haus sind für sie ein "Riesenspaß". Mit einer Festanstellung rechnet die mittlerweile Fünfzigjährige nicht. 

Vom Printmedium wechselt sie wieder zum Fernsehen. Für den WDR moderiert sie nun ab Oktober 1988 ( bis Ende 1992 ) zusammen mit Gisela Marx die politische Talkshow "Drei vor Mitternacht" ( auf Youtube ist eine Sendung zu verfolgen ). Mit der publizistischen Marke "Wibke Bruhns" lässt sich für die Journalistin gut Geld verdienen: Im WDR-Hörfunk moderiert sie das "Mittagsmagazin", ab 1993 die Nachrichten beim Privatsender VOX bis zur Pleite im Jahr darauf, sie filmt für die Deutsche Welle, Arte und den Südwestfunk, schreibt Kolumnen, Kommentare, Kritiken für verschiedene Printmedien, darunter auch immer wieder der "Stern"

So idyllisch das Leben im Elsass: "1998 konnte ich mich den Sirenenklängen der Hauptstadt nicht mehr entziehen. Ich zog aus dem Elsass nach Berlin." Seit 1995 ist sie schon Kulturchefin beim öffentlich-rechtlichen Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB, später RBB) in Potsdam - ein "deutsch-deutscher Intensivkurs"! Und sie kann mit den Recherchen für ihr Buch über den Vater anfangen, denn in dem trudelig-trubeligen Arbeitsalltag fehlt ihr ein echter Inhalt. Außerdem ist der neue Job ein Managementposten, und statt unterwegs zu sein, um Sendungen zu machen, sitzt sie über Kostenrechnungen.

2012
CC BY 2.0
Zweimal sieben Stunden Autofahrt an einem Wochenende zwischen dem Haus in Ingolsheim und Berlin sind für Wibke schließlich nicht mehr (er)tragbar, und sie verkauft das Haus schweren Herzens ohne in Berlin einen entsprechenden Ort zum Leben zu finden & zu haben. Ein letzter Job bei der Expo 2000 in Hannover als Sprecherin - Public Relations ist nicht ihr Ding, stellt sie fest. Eine Rückkehr zum Fernsehen lehnt sie ab: "Da sitzen zu viele Tattergreise.

Also überschlägt sie ihre Finanzlage und konzentriert sich nun voll & ganz auf das Buch über ihren Vater, obwohl sie davor auch Angst befällt.
"Die Resonanz ( auf das Buch; Erg. durch mich ) war unerwartet. Mein 'Nischenbuch' entpuppte sich als etwas, worauf Leser gewartet hatten. Dergleichen kannst du nicht steuern. Menschen erkannten ihre eigene Geschichte in dem Text", schreibt sie in ihrer Autobiografie "Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen."

Diese kommt 2012 heraus. Aufsehen erregt sie noch einmal 2013, als sie bei Günther Jauch zu Gast ist und sich zu Verharmlosungen in puncto Sexismus herablässt. Das gibt einen Shitstorm in den social media.

Über das weitere Leben der Wibke Bruhns als Rentnerin habe ich kaum etwas in Erfahrung bringen können. Von ihrer Wohnung mit Dachterrasse in Berlin-Charlottenburg aus hat sie wohl die weitere Berliner Politik aufmerksam verfolgt und gerne mit Verve in Interviews kommentiert. Am 20. Juni 2019 stirbt Wibke Bruhns, die sich selbst als "viel rauchende und viel trinkende" Reporterin beschrieben hat, im Alter von 80 Jahren in Berlin. Einen Monat später findet die durch ihre Mobilität und ihren ihren gegenwärtigen, wachen Geist beeindruckende Journalistin ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg. 

In Nachrufen wird Wibke Bruhns als "widerborstig", "kämpferisch", "unangepasst", "hartnäckig" & "leidenschaftlich" beschrieben, als eine, die vieles anderen Frauen voraus gehabt hat, weil sie Monopole durchbrochen hat, eine "Pionierin". Eine Mutmacherin in jenen Zeiten des Aufbruchs nach der Nachkriegszeit, durchaus auch für mich, und eine, die immer überdacht hat, was sie will und Veränderungen nicht gescheut hat. Ein role model meiner Generation quasi.


 

4 Kommentare:

  1. Wibke Bruns ist wohl vielen als Gesicht der Sendung "heute" bekannt, liebe Astrid...doch ihre Tätigkeitsfelder und sehr bewegtes Leben hast du mit diesem Post in meinen Fokus gerückt. Auch ihre Familiengeschichte ist nicht ohne. Mir ist sie in Bezug auf ihren Neffen Louis Klamroth, Sohn von Peter Lohmeyer, letztens nochmal begegnet.
    Lieben Gruß und bis morgen, Marita

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  2. Danke für das interessante Portrait. Ich hatte Wibke Bruns "nur" noch als Nachrichtensprecherin in der Erinnerung. Was für ein spannendes, bewegtes Leben.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. Eine besondere Familiengeschichte und ein interessantes Leben, mit viel "Elan" erzählt
    Liebe Grüße
    Nina

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  4. Ich wusste ja Vieles gar nicht von Wibke Bruhns. Auch nicht ihre Familiengeschichte. Das war alles schon sehr tragisch und dramatisch. Bewundernswert wie sie das verarbeitet hat und anscheinend noch daraus Stärke gezogen hat. Sehr beeindruckend!
    Danke für die toll recherchierte Biografie, liebe Astrid.

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

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