Mohammad Tawhidi, ein bekannter Imam aus Australien, hat sich eine besondere Aktion ersonnen, um sich für den saudischen Blogger Raif Badawi einzusetzen:
Vergangenen Mittwoch wandte sich der Imam mit iranischen Wurzeln in einer Nachricht bei Twitter an das saudische Justizministerium. Darin erklärte er, dass er stellvertretend für den inhaftierten Blogger Raif Badawi 200 Peitschenhiebe erhalten will. Der Tweet des selbsternannten "Imam des Friedens" wurde hundertfach auf Twitter geteilt – unter anderem von Badawis Frau Ensaf Haidar. Viele erklärten sich danach ebenfalls bereit, stellvertretend für den saudischen Blogger bestraft zu werden.
Dass die saudische Regierung auf das Angebot eingeht, ist unwahrscheinlich. Denn die saudische Justiz sieht keine Möglichkeit einer stellvertretenden Bestrafung vor.
Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger/VDZ zeichnet in diesem Jahr Ensaf Haidar mit der "Goldenen Victoria 2017" für Pressefreiheit aus.
Seit 2013 tritt sie als Buchautorin, Stiftungsleiterin und Verteidigerin der Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit in Saudi-Arabien weltweit auf. Durch ihre bewunderungswürdige Aktivität hat sie die erschreckende Situation der Menschenrechte in diesem Land in den Blick der westlichen Welt gerückt und viele zu einem größeren Engagement in puncto Meinungs- & Religionsfreiheit animiert. Unermüdlich setzt sie sich für die Freilassung ihres Mannes ein.
Von Kanada aus ist sie mit der von ihr gegründeten "Raif Badawi Foundation for Freedom" aktiv. In Deutschland hat Ensaf Haidar gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung den "Raif Badawi Award" initiiert, der mutige Journalisten aus überwiegend islamisch geprägten Ländern auszeichnet und in diesem Jahr schon zum dritten Mal vergeben wird.
Die "Goldene Victoria 2017 – Pressefreiheit" wird Ensaf Haidar am Abend des 6. November auf der "VDZ Publishers' Night" in Berlin überreicht. Die Laudatio wird der im Vorjahr ausgezeichnete, ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, halten. Ensaf Haidar steht durch ihre Auszeichnung in einer Reihe mit weiteren Persönlichkeiten, die mit außergewöhnlichem Mut und Einsatz für die Sache der freien Presse kämpfen.
Ich bewundere nach wie vor den Elan so vieler Menschen, die sich immer wieder neue Aktionen überlegen oder einfach nicht nachlassen in ihren Bemühungen ( wie die österreichischen Grünen, die heute in Wien ihre 144. Mahnwache abgehalten haben ), um die Aufmerksamkeit der Welt in Bezug auf das Schicksal des saudi - arabischen Bloggers aufrechtzuerhalten, damit dem Blogger endlich Gerechtigkeit widerfährt und ihm die Freiheit wiedergegeben wird.
Man muss die Sache am Kochen halten und für ständige Aufmerksamkeit sorgen, nur so kann man Raif Badawi am besten schützen - das habe ich in diesem Blogpost schon einmal zitiert. Bewundernswert finde ich, wie viel Menschen einfällt, die sich als Mitglied einer allumfassenden Gemeinschaft empfinden, um einem Einzelnen zu helfen.
Übrigens: Saudi-Arabien wird nicht politisch freier, nur weil Frauen Auto fahren dürfen. Da sollte man sich nicht blenden lassen. Im Post der letzten Woche habe ich versucht darzustellen, wie der Kronprinz zweigleisig fährt...
die am Mittwochabend
im Alter von 72 Jahren verstorben ist.
Davon abgesehen,
dass sie eine ganz, ganz tolle "schwarze" Sängerin war,
eine Musikrichtung,
die sie in den amerikanischen Clubs
(wie ich damals )
kennengelernt hat -
bei ihr konnte ich
ohne innere Zensur
den Dialekt der Kindertage
genießen:
Danke dafür, liebe Erna Maria Paula Raad !
Und weil sie es sich 2015 selbst so gewünscht hat,
hier die Musik,
die bei ihrer Beerdigung gespielt werden soll:
( Und wer den Mannheimer Dialekt nicht so ganz versteht, findet hier eine Übersetzung. )
Sabines/Acht Stunden sind kein Tag gestriger Post zum Thema "Die schönen Seiten des Älterwerdens" habe ich noch vor neun Uhr im Bett mit Freude & Wohlwollen gelesen.
Als ich nach dem Frühstück mich weiter mit der Lektüre über die großartige Frau beschäftigte, mit der ich zur Zeit befasst bin, ist mir beim Simulieren über diesem Bild aufgegangen, was mir am besten gefällt an meinem derzeitigen, fortgeschrittenen Lebensalter:
Anna Dorothea Therbusch: Selbstporträt ( 1777 ) Source
Ich habe mir seinerzeit eine Reproduktion dieses Gemäldes auf Postkarte nach meinem Besuch der Berliner Gemäldegalerie gekauft, weil das Abbild der 55jährigen Malerin für mich eine Perspektive fürs Altsein aufgezeigt hat.
Anna Dorothea Therbusch malte sich selbstbewusst, mit ungezwungenem Blick den Betrachter anschauend, Einglas vor dem Auge - Verweis auf die nachlassende Sehschärfe, aber auch den geschärften Blick nach so viel Lebenserfahrung - und Buch in der Hand. Weibliche Bescheidenheit und Unterwürfigkeit spiegelt dieses Bild nicht ( und legt zusätzlich noch Zeugnis ab von ihrem Können als Malerin ). Und das alles in einer Zeit, in der solche Frauen ( in unserem begrenzten historischen Verständnis ) eigentlich ein Unding waren.
Dieses Bild spricht für mich über die ungeheure Freiheit, die eine aktive Frau im Herbst ihres Lebens hat, eine Freiheit von Rollenvorstellungen, von Schönheitsnormen und Modediktat, eine Freiheit für die Dinge, die tatsächlich interessieren, die Freiheit, über die eigene Zeit zu verfügen, zu bestimmen, auch wohin ich will oder auch nicht. Selbstbestimmter habe ich in den vergangenen 65 Jahren nie gelebt. Das lässt mich momentan auch noch alle physischen Beeinträchtigungen leicht ertragen, denn meine Seele ist nicht geknickt.
Die Karte hängt neben meinem ehemaligen Schreibtisch. Der Post über Anna Dorothea erscheint Anfang November auf meinem Blog. Die Linkparty zum heutigen Thema veranstaltet Ines/Meyrose.
Beim Gang durchs Kunibertsviertel meinte der Herr K., nachdem er eine Weile hinter mir her gegangen ist: "Du läufst schon besser als in den vergangenen zwei Jahren. Es sieht locker und leicht aus."
Zwei Monate ist der Eingriff an meiner Hüfte nun her. Zu schaffen macht mir aber immer noch der Musculus iliopsoas ( Hüftbeuger ). Der bedarf also weiterhin krankengymnastischer Zuwendung und Training meinerseits.
Auf dem Weg dorthin ( und wieder zurück nach Hause )...
... sind die Spuren des nahenden Herbstes inzwischen unübersehbar.
Am Freitag um 22.02 Uhr war es in Köln dann so weit: Herbstanfang! Tag-und-Nacht-Gleiche! Ab jetzt wandert also die Sonne über den Äquator hinaus in Richtung Südhalbkugel und uns stehen dunkle Zeiten bevor. ( Die fürchte ich in anderer Hinsicht noch mehr, wenn ich solche Sachen lese. Wer bestimmt die Regeln in unserem Land? Die Blauen? )
Ein Stadtbummel nach monatelanger Abstinenz musste in dieser Woche sein. Ausgangspunkt: Der Dom!
Ein Eiskaffee gehört auch dazu...
... und ein Besuch im liebsten Kleiderladen wie...
... beim niederländischen "Spezialisten": Sinterklaas was er al ( zumindest seine Schokobuchstaben ). Und im Supermarkt im Veedel steht er auch schon, der Weihnachtsmann, dieses Jahr im modischen Violett. Na ja.
Was ich an dieser Jahreszeit mag: Nach dem Abendbrot noch eine Runde um den Block drehen und in die beleuchteten Fenster gucken!
Das war wieder eine Woche, da hätte ich den ganzen Tag mich nur mit den kleinen & großen Katastrophen dieser Welt beschäftigen können ( was ich ja auch gerne stellvertretend für all die, die im Alltag mehr eingespannt sind als ich. Aber die Heinzelmännchen von Köln erledigen meinen Haushalt leider auch nicht mehr ).
Einiges habe ich ja schon hier oder hier angesprochen in meinen Blogposts. Anderes Bedenkenswertes versammle ich hier & heute wieder am Ende meines Kalenderwochenposts:
Gelogen wurde schon immer, nicht erst seit es den Begriff "Fakenews" gibt. Über die Manipulationen von Forschungsberichten durch die Tabakindustrie hatte mich seinerzeit schon mein Bruder als Medizinstudent aufgeklärt. Damit sind wir ja auch irgendwie durch, und die Zigarettenpackungen entsprechend gekennzeichnet. Für die Zuckerindustrie gilt das noch lange nicht. Und deren Lobbyisten streuen unseren Politikern wie den Verbrauchern nach wie vor ordentlich Zucker in die Augen.
So hatten doch deren Vertreter gegenüber dem Ernährungsausschusses des Bundestages behauptet: "Tatsächlich nehmen die Deutschen heute nicht mehr, sondern eher weniger Kalorien auf als früher." Aber komischerweise sieht das die Uni Gießen und ein weiteres staatliches Forschungsinstitut, auf das man sich berufen hat, ganz anders. Eine Lüge, die verschleiern soll, welche Folgen der Zuckerkonsum auf unsere Gesundheit hat. Wer sich der Kampagne von Foodwatch anschließen will, kann das hier tun.
"Tomaten und Trillerpfeifen sind im demokratischen Diskurs aus meiner Sicht kein Mittel zu höherer Erkenntnis, und Ohrenschmerzen kein Ausweis einer wirklich geglückten Kontroverse." Hinter diese Aussage des Bundespräsidenten stelle ich mich voll und ganz, auch das was er an anderer Stelle bei seiner Rede am vergangenen Dienstag gesagt hat, sehe ich ähnlich: "Gerade wer zornig und anderer Meinung ist, sollte selbst das Wort ergreifen, statt andere zum Schweigen bringen zu wollen." Anders als jene glauben machen wollen, gebe es in Deutschland "kein Redeverbot" und niemand komme für seine Meinung ins Gefängnis. Es schade aber auch nicht, anderen zuzuhören.
Ehrlich gesagt hat mich der Wutbürger, der in diesem Beitrag in der "Zeit" zu Wort kommt, auch nicht wirklich von seiner Motivation, den Ursachen für seine "Hilfeschreie" überzeugen können. Eher davon, dass das Krawallmachen an sich, das andere "aus der Fassung bringen" für ihn eine spezielle Befriedigung ausmacht. Dieser Beitrag war da schon erkenntniserhellender. Aufschlussreich & spannend war für mich auch dieses Gesprächsprotokoll in der "Süddeutschen Zeitung" einer Diskussion zwischen zwanzig Menschen aus Politik, Kultur und anderen gesellschaftlich relevanten Institutionen.
Was mir an diesem Wahlkampf so missfallen hat, wie wenig Raum sozialen Fragen eingeräumt worden ist. Wie notwendig das ist, hat mir diese kleine Begebenheit wieder einmal deutlich gemacht: Eine 76jährige Rentnerin ist in München zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie im Hauptbahnhof leere Pfandflaschen eingesammelt hat. Das Hausrecht erlaubt der Deutschen Bahn ein solches Vorgehen. Mir stellt sich da zum einen die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Und dann die der sozialen & juristischen Gerechtigkeit, wenn Betrüger in Chefetagen dank teurer Anwälte verhältnismäßig billig davon kommen. Hier kann man eine Petition zur Aufhebung der Strafe unterzeichnen.
Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), scheint auch ein klares, populistisches Feindbild zu haben: Beim Kongress seines Verbandes in Stuttgart griff er zu einem Vergleich, den ich völlig daneben finde: Für ihn sind nämlich unsere öffentlich - rechtlichen Medien "nach dem Geschmack von Nordkorea." Eine solche Wortwahl bestätigt Populisten, Verschwörungstheoretiker und ihre willigen Claqueure, wird der tatsächlichen Leistung der Sender nicht gerecht:
In einem Interview am Tag darauf in WDR 5 mit der neuen Managerin der Bigband des Senders, Friederike Darius, die über dreißig Jahre in den Niederlanden gelebt & gearbeitet hat, berichtete diese über den - politisch gewollten - Kahlschlag in der niederländischen Kultur vor zwanzig Jahren. Eine der Auswirkungen, die sie beobachtet hat, ist die ungeheure Verflachung in den Sendungen der öffentlichen Medien. Statt ausführlicher Reportagen gibt es nur noch oberflächliche zweiminütige Informationen zu einem Thema. Ihrer Meinung nach sollten wir stolz darauf sein, dass die öffentlich - rechtlichen Medien bei uns Themen immer noch ausgiebig vertiefen. Dem kann ich nur begeistert zustimmen: Täglich bekomme ich vielfältige Informationen in den diversen Radiosendungen und damit Anregungen, um mich mit Diesem und Jenem ausgiebig zu beschäftigen. Mich hält das geistig in Schwung und ermöglicht mir eine differenzierte Meinungsbildung.
You may say that I'm a dreamer, but I'm not the only one:
Der Wetterbericht sagt uns hier einen schönen ersten Herbstsonntag voraus. Den möchte ich in jeder Hinsicht für mich und den Herrn K. nutzen, nicht nur um zur Wahl zu gehen. Euch wünsche ich das auch.
"Du zitterst ja wie Espenlaub", ist eine Redensart, die jedem geläufig ist ( auf englisch heißt das:"You tremble like an aspen leaf") - die Espe selbst kennt hingegen kaum einer, eine Zitterpappel schon eher. Dabei handelt es sich um den gleichen Baum. Dieses typische Zittern des Laubes bei feinster Luftbewegung ( Luther beschrieb es einst als „pampeln und schweben“ ) habe ich versucht an einem sehr warmen, windstillen Sommertag einzufangen:
Die Zitterpappel, auch Espe oder Aspe genannt ( botanischer Name: populus tremula L. ) gehört zur Familie der Weidengewächse ( Salicaceae ). Von den 35 Arten der Gattung Populus ist die Zitterpappel die in Europa weitest verbreitete.
In unseren Breiten gibt es keinen Baum, der schneller wächst als Pappeln. Mit 60 Jahren sind die Bäume ausgewachsen, wobei ihr Durchschnittsalter bei hundert Jahren liegt. Der Baum ist in ganz Europa - mit Ausnahme von Südspanien, Portugal und Sizilien - anzutreffen sowie in Sibirien und Kleinasien.
Als Lichtholzart kann sich die Zitterpappel in ihrem eigenen Schatten nicht mehr "verjüngen", deshalb verbreitet sie ihre Samen weit weg durch den Wind. Neue Pappeln wachsen im Nieder- und Mittelwaldbetrieb, oft in Gruppen von dicht zusammenstehenden Stämmen:
Der Stamm wächst gerade oder nur leicht geneigt. In der Jugendphase ist die Rinde sehr glatt, gelbbraun und mit großen, rautenförmigen Korkwarzen versehen, im Alter dunkelgrau und weist Längsrisse auf.
Locker und licht ist die Krone anfangs, später eher kegelförmig, um im Alter mehrteilig und breit-rundlich bis unregelmäßig zu werden ( mir macht es das schwer, die Zitterpappel auf Distanz sicher zu erkennen ). Sie hat primär eine Pfahlwurzel und bildet später kräftige Hauptseitenwurzeln aus.
Die Blätter der Zitterpappel sind rundlich bis herzförmig, grün-glänzend an der Oberfläche, hellgrün-matt an der Unterseite und 3-10 cm lang. Ihr Rand ist unregelmäßig & stumpf gezähnt. Das Besondere: Der Blattstiel ist sehr lang (4-6 cm), weshalb sich die Blätter schon im leisesten Windhauch bewegen.
Warum das so ist?
Die Steifigkeit der Blattflächen ist sehr groß im Vergleich zu den Stielen, die lang, gekrümmt und von elliptischem Querschnitt sind. Die Blätter schwingen sowohl quer zu ihrer Längsachse ( Translation ) als auch um die Stielachse ( Rotation ). Der Vorteil für den Baum besteht darin, dass beim Querflattern mit stark angestellten Blättern die Luftbewegung um ein Vielfaches größer als die Windgeschwindigkeit ist. So wird die Abgabe von Wasserdampf und die Aufnahme von Kohlendioxyd pro Blatt erheblich verbessert, so dass die Zitterpappel mit weniger Blattmasse auskommt als andere Bäume ( den Trick beherrscht sonst noch die Birke und, weniger stark, der Ahorn ). In Folge kann der Baum schneller wachsen als andere Arten.
Die frischen Austriebe der Zitterpappel sind kupferbraun und bis Ende Mai rötlich getönt. Im Herbst färbt sich das Laub rein goldgelb.
Die Zitterpappel ist zweihäusig, es gibt also männliche und weibliche Bäume. Mit 20-25 Jahren erscheinen die Blütenstände im März/April. Die männlichen Kätzchen sind 5-10 cm lang, bis 2 cm dick und weißlich-grau. Die weiblichen Kätzchen sind grünlich und weniger auffällig, 4 cm lang. Der Fruchtknoten hat einen kurzen Stiel, ist grün und hat zwei purpurrote Narben. Diese Früchte entwickeln sich bis Ende Mai und enthalten grünlichbraune schlanke Kapseln, die kleine gelbe runde, mit einem Haarschopf versehene Samen enthalten. Aufgrund dieser Beschaffenheit kann sie der Wind sehr weit tragen.
Das Holz der Zitterpappel ist sehr weich und leicht und wird zu Sperrholzplatten, Zündhölzern, Trögen und Papier verarbeitet. Die Blätter und Rinde enthalten Verbindungen von Salicylsäure, die schmerzlindernd, entzündungshemmend und fiebersenkend wirken und deshalb in der Naturheilkunde angewendet werden.
Die Zitterpappel oder Espe ist eine der wichtigsten Futterpflanzen unserer attraktivsten und am stärksten gefährdeten heimischen Tagfalter wie der Große Eisvogel, der Große Fuchs, der Kleine Schillerfalter oder das Rote Ordensband. Deren Raupen leben am liebsten an den noch strauchförmigen Jungbäumen am Weges- oder Waldrand.
Mythologisch spielt die Zitterpappel keine so große Rolle. Haine mit diesen Bäumen, deren Blätter sich so emsig bewegen, galten als Sinnbild der fleißigen Spinner- & Weberinnen und waren der Göttin Pallas Athene geweiht. In der christlichen Mythologie wird erzählt, dass die Espe als einziger Baum sich nicht vor dem auf Erden wandelnden Christus verbeugt hat und deshalb mit ewiger Unruhe gestraft wurde. Die Schotten erzählten sich eine andere Variante, nämlich die, dass das Kreuz aus dem Holz dieser Pappel hergestellt worden war, und der Baum zur Strafe niemals ruhen darf. Was physikalisch & biologisch erklärbare Phänomene für Geschichten hervorbringen können!
Weitere Baumfreunde sind wieder bei Ghislana/Jahreszeitenbriefe ab Sonntag zu finden. Und das Grün geht zu Maschas Weekend Green.
Alle Baumfreundinnen & - freunde möchte ich auf die Aktion "Rettet die Kastanie" hinweisen, die zu einem bundesweiten Freiwilligen - Aktionstag am 11. November aufruft. Jeder/jede, die mit offenen Augen durch Stadt & Land geht, ist sicher aufgefallen, wie sehr die wunderschönen Bäume unter dem durch die Klimaveränderung feucht - milden Wetter leiden. Miniermotten, Bakterien, Pilze setzen den Bäumen zu. Die Miniermotte überwintert im abgeworfenen Laub. Deshalb soll am Aktionstag das Laub aufgesammelt, der Kommune übergeben und verbrannt werden.
Eigentlich wollte ich hier & heute einmal über einen anderen Konflikt auf dieser Erde schreiben, dessen Folgen erschüttern und dem - wieder einmal - auch religiöse Motive unterlegt sind. Es geht um das brutale Vorgehen radikaler Angehöriger der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung Myanmars und des burmesischen Militärs gegenüber den muslimischen Rohingya, einer rechtlosen ethnischen Minderheit in dem südostasiatischen Land ( hier ein aufschlussreicher, differenzierender Artikel - Leseempfehlung! ) Doch neueste Entwicklungen in Saudi - Arabien haben mich dann davon abgebracht...
... denn ich frage mich, was die Neuigkeiten, erfahren über Amnesty International, für Auswirkungen auf den inhaftierten Blogger Raif Badawi haben werden.
Aber von vorne: Der 32jährige saudische KronprinzMohammed bin Salman scheint immer stärker die Alleinherrschaft durchzusetzen, seine Machtübernahme abzusichern und seinen greisen Vater, den König, auszuschalten. Im Rekordtempo hat er sich bereits die Macht über eine Vielzahl bedeutender staatlicher Institutionen gesichert. Den im Juni abgesetzten Kronprinzen Mohammed bin Nayef hat er unter Hausarrest gestellt. Das scheint auch für eine Reihe von anderen Prinzen zu gelten, darunter ein Bruder des Königs.
Nun lässt er seit vergangenem Samstag quer durch die saudische Gesellschaft einflussreiche Akademiker wie konservative Prediger, Journalisten und Bürgerrechtler, Unternehmer und Kritiker der Wirtschaftsagenda 2030 ( siehe hier ) durch die Sicherheitskräfte verhaften. Mindestens 30 Personen sind es inzwischen, Amnesty befürchtet aber eine viel höhere Dunkelziffer.
Offensichtlich ist das Ziel, Andersdenkende mundtot zu machen und zu demonstrieren, dass die freie Meinungsäußerung unerwünscht ist. Bei den Verhafteten soll es sich auch um Kleriker und Loyalisten gegenüber der Saud - Familie handeln, die nicht gegen Katar und die Muslimbruderschaft gehetzt haben.
Zur gleichen Zeit versucht Mohammed bin Salman durch populistische Aktionen vor allem die Jüngeren unter den 20 Millionen Saudis für sich zu gewinnen, indem er Konzerte im Land endlich erlaubt ( siehe hier ) und kostenlose Tickets für Sportveranstaltungen, wie für das Fußballqualifikationsspiel gegen Japan, verteilt. Gesellschaftliche Liberalisierung und Wirtschaftsreformen mit gleichzeitig härterer politischer Repression durchzusetzen - ein fragwürdiges Konzept...
"Wir gehen durch eine große wirtschaftliche Transformation, die von den Menschen unterstützt wird, einer Umwandlung, die uns von der totalen Abhängigkeit von Öl befreien und eine Kultur der Arbeit und Produktion wiederherstellen soll", so der saudische Journalist und Kritiker des Einflusses der Religionsgelehrten im Land Dschemal Kashoggi in diesem Artikel der "Washington Post". Seiner Ansicht nach könne das aber nur durch Förderung konstruktiver, vielfältiger Meinungen gelingen.
Stattdessen werden solche Leute verhaftet oder ins Exil getrieben, wie Kashoggi selbst, der, nachdem er die "kritiklose Umarmung des amerikanischen Präsidenten Donald Trumps" durch das Königshaus in seiner Zeitung aufgespießt hatte, kalt gestellt wurde und inzwischen das Land verlassen hat.
Nach den Verhaftungen ließ der Kronprinz Mohammed bin Salman übrigens erklären, man überwache die Spionageaktivitäten "einer Gruppe von Leuten zugunsten ausländischer Kräfte und zum Nachteil der Sicherheit des Königreiches". Vor allem Katar wirft er vor, eine Verschwörung zu finanzieren. Tatsache ist allerdings, dass auch al-Kaida zum Sturz des Regimes der Familie Saud aufruft. Die islamistische Gruppe fragte öffentlich: "Wie konnten die Enkel des Propheten und dessen Gefährten Sklaven der Saud-Familie und deren dummköpfigen Tyrannen werden?"
Meine Timeline hat leider bisher noch keine Informationen oder Stellungnahmen zum Geschehen in Bezug auf Raif Badawi ausgespuckt. Wieder eine neue, weitere Ungewissheit...
Seine Frau Ensaf Haidar hat am vergangenen Dienstag das erste Mal die Gelegenheit nutzen können, beim UN-Menschenrechtsrat im Beisein des Vertreter Saudi-Arabiens, Abdulaziz Al-Wasil, zum Fall ihres Mannes Stellung nehmen zu können, und erneut an den (noch) amtierenden König appelliert, ihren Mann frei zu lassen.
Über die Reaktion der anwesenden Saudis ist mir nichts bekannt...
Der Fotograf & Turner - Preisträger Wolfgang Tillmanns hat eine Reihe von Plakaten entwickelt, die jeder, der sich dazu berufen fühlt, in seinen sozialen Medien veröffentlichen kann. Warum er das tut, begründet er auf seiner Website so:
" (...) es besteht die reale Gefahr, dass viele Menschen am 24. September zu Hause bleiben, weil sie glauben, das Wahlergebnis bereits zu kennen.
Die Mitte der Gesellschaft wähnt sich in Sicherheit, während die AfD für die letzten Tage des Wahlkampfes eine massive Internetkampagne plant. Dabei nutzt sie die Dienste der amerikanischen Agentur Harris Media, die bereits im vergangenen Jahr geholfen hat Brexit und Trump durchzusetzen. Sie wird eine für Deutschland bisher ungekannte Polemik einsetzen." Und weiter: "Es gibt keinen Grund entspannt zu sein und zu glauben, die neuen rechtsnationalistischen Bewegungen würden an Deutschland vorüberziehen."
Da ich seine Beobachtungen ( und Befürchtungen ) teile, habe ich mich entschlossen, mich seiner Aktion anzuschließen und euch, liebe Fans meiner Freitagsblümchen, auch noch einmal anzusprechen, sozusagen durch die Blume...
Zum Glück bin ich nicht allein: Magdalena/Farbmagie zum Beispiel hat sich schon hier & hier ähnlich geäußert. Meine Blumen zu diesem Freitag sehen so aus:
Lilien, Gladiolen und Anthurien
in Rosa - Purpur - Tönen ...
und als Fußvolk fuchsienfarbene Gerbera
Auch wenn andere die Anthurien künstlich finden -
mich faszinieren sie wie alle Aronstabgewächse
mit ihrem Spadix in der Mitte und dem einzelnen Hochblatt.
Lilien waren lange, lange meine absoluten Lieblingsblumen,
sind aber im Laufe der Jahre ins Hintertreffen geraten.
Der tiefe Purpurton der Gladiolen ist
bei den derzeitigen Lichtverhältnissen nicht naturnah fotografisch wiederzugeben.
Zuletzt wieder, wie von Helga gewünscht, die Gesamtschau
Sie erfand die erfolgreichsten deutschen Comic-Figuren. Und dennoch dürfte sie nur ausgesprochenen Comicliebhabern in unserem Land ein Begriff sein, denn in ihrer erfolgreichsten Zeit galt es, im Hintergrund zu bleiben. Die Rede ist von Lona Rietschel, der Erfinderin der Abrafaxe, mit denen die ganze DDR einstmals ins Ausland "reisen" konnte. Heute kann sie ihren 84. Geburtstag feiern.
Ilona "Lona" Rietschel kommt am 21. September 1933 in Reppen, dem heutigen Rzepin, zwanzig Kilometer von Frankfurt an der Oder entfernt, zur Welt.
Schon als Kind zeichnet sie gerne Fortsetzungsbildergeschichten mit ihrem Teddy als Helden. Als Vorbild & Anregung dienen ihr kleine gezeichnete Werbeheftchen diverser Spielzeughersteller mit kleinen Geschichten, die es damals wohl kostenlos gab.
All diese frühen Zeichenwerke muss sie zurücklassen - ebenso wie ihre neuen Schulbücher für die Mittelschule, die sie besuchen soll, was sie noch später sehr bedauert -, als sie mit ihrer Mutter & Großmutter Hals über Kopf ihr Zuhause vor den heranrückenden russischen Truppen in Richtung Berlin verlassen muss. In den letzten Kriegswochen erreichen sie am Bahnhof Gesundbrunnen die völlig zerbombte Stadt, geraten in das Chaos der Fliegeralarme und kommen schließlich in der Wohnung einer Cousine unter. Auch als Kind ist Lona völlig eingebunden in die Sorge um das Allernötigste zum Leben im Nachkriegsdeutschland.
Mode gibt es in dieser Zeit des Aufbaus gar nicht, höchstens Kleider aus Zellwollstoff, die "wenn man sie wusch, nur noch halb so groß waren. (... ) Und da kommt eine und möchte 'Modezeichnerin' werden", erinnert sie sich an ihren Besuch bei der Berufsberatungstelle.
Die schicken sie zur "Fachschule für Textil und Mode" in Berlin - Friedrichshain, wo Lona 1949 die Aufnahmeprüfungen erfolgreich ablegt, ein Stipendium von 125 Mark erhält und in die Modegrafikklasse aufgenommen wird. Die Ausbildung ist sehr umfassend & fundiert, hat künstlerische Schwerpunkte wie perspektivisches & Aktzeichnen sowie Farblehre, beinhaltet Kunstgeschichte & Kostümkunde sowie Fremdsprachen und darüberhinaus Schneidern, von der Schnitterstellung bis zum Nähen.
Doch Lona will lieber "Lustiges, Bewegtes und Karikiertes" zeichnen und wechselt nach drei Jahren an die Westberliner "Meisterschule für das Kunsthandwerk" in die Klasse für Zeichentrick. Sie ist begeistert von den Zeichentrickfilmen Walt Disneys, die sie in West-Berlin sehen kann, und von den Micky-Maus-Heften, die ab 1952 in Deutschland erhältlich sind und die sie sich alle kauft, auch wenn 75 Westpfennig für sie sehr viel Geld sind.
Weniger begeistert ist Lona vom Unterricht an der Schule, an der der zuständige Lehrer nur einmal pro Woche nach seinen Schülern schaut und ein Kommilitone, der Filmvorführer am British Council ist, den Studierenden das Meiste beibringt. 1954 hat sie die Nase voll und geht nicht mehr hin. Stattdessen nimmt sie Kontakt mit der Trickfilmabteilung der DEFA in Babelsberg auf. Doch als die nach Dresden übersiedelt, mag Lona ihre Mutter nicht alleine lassen und bleibt in Berlin. Auch die Tatsache, dass sie in Kurt Rietschel, damals DEFA - Zeichner, einen Partner gefunden hat, der als Tierzeichner in Berlin gute Aufträge bekommt, hält sie in der Stadt.
Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Ausstellungsaufsicht, in einer Drogerie und schließlich als Modellschneiderin an der "Hochschule für Bildende Künste" in Berlin - bis ihr zufällig über ihren Mann Kurt die Telefonnummer des Zeichenateliers der Bilderzeitschrift "MOSAIK" in die Hände fällt...
Source
Als sie dort anruft, fordert Johannes Hegenbarth ( Hannes Hegen ), der Erfinder der "Digedags", sie auf, mit ihrer Mappe in Karlshorst in der Waldowallee vorbeizukommen. Hegenbarth scheint erstaunt zu sein über die Zeichenkünste der jungen Frau, hat aber vorerst keinen Platz für sie in seinem Kollektiv.
"Für die Gründung seines „Mosaik“ hatte Hegenbarth unbewusst das richtige Zeitfenster gewählt: Der „Neue Kurs“, der nach dem Aufstand des 17. Juni und dem Tod Stalins 1953 eine politische und wirtschaftliche Liberalisierung in der DDR versprach, eröffnete für kurze Zeit auch Kunst- und Kulturschaffenden neue Spielräume. In diesen Freiraum hinein wurden die Digedags geboren. " (... ) "Bereits im Frühjahr 1955 war mit „Atze“ die erste Comic-Zeitschrift der DDR erschienen. Trotzdem musste auch Hegenbarth mit seiner Idee für das „Mosaik“ anfangs gegen öffentlichen Widerstand kämpfen." ( Quelle hier )
"Johannes Hegenbarth war seiner Geisteshaltung nach eher ein Vertreter des 19. Jahrhunderts und keineswegs ein Anhänger der Moderne. Mit amerikanischen Superman- Comics konnte auch er wenig anfangen. Insofern kamen hier das ideologische Anliegen der DDR und sein Interesse an zeichnerisch wie textlich niveauvollen Comic-Geschichten zusammen", so Verleger und Comic-Liebhaber Mark Lehmstedt an dieser Stelle.
Was die künstlerische Freiheit anbelangt, wird sich Lona Jahrzehnte später so äußern:
"Wir hatten einen Chefredakteur, der aufzupassen hatte. Wir haben schon so gearbeitet, dass uns keiner am Zeug flicken konnte. Wir wussten doch, wo wir leben. Unser Kniff war, dass wir unsere Geschichten nicht in der Gegenwart spielen ließen, wir haben auf vergangene Zeiten zurückgegriffen. Der Zentralrat der FDJ hatte Hegenbarth erklärt: Wir sollen Wissen vermitteln. Kulturgeschichte als Comic aufzuarbeiten, das war der Weg, nicht irgendwie Quatsch zeichnen." ( Quelle hier )
Aber erst als Nikol Dimitriadis vor dem Mauerbau in den Westen gegangen ist, bekommt Lona ihre Chance: Am 1. Mai 1960 fängt sie bei "Mosaik" an, zunächst als Coloristin, dann zeichnet sie Figuren, die Edith Hegenbarth entwickelt hat, nach und macht die Urlaubsvertretung (zusammen mit "Opa" Hegenbarth ), während das ganze Kollektiv verreist ist.
Das Mosaik - Kollektiv in Karlshorst, ganz links Lona
Lona fühlt sich in dem Kollektiv wohl. "Ich fand es reizvoll, mich in die Figuren hineinzuarbeiten und ihnen Mimik und Charakter zu geben." Und es dauert nicht lange, und sie darf die ersten Figuren auf die von Hegenbarth locker skizzierten Bilder zeichnen & ausarbeiten ( Hegenbarth und der Textautor Lothar Dräger sind für die Geschichten verantwortlich ).
"Wir waren ja bloß vier. Hegenbarth selbst gab die Gestaltung der Seiten vor, dann gab es die Spezialisten für die Architektur, die Hintergründe und die Menschen. Ich war immer für die großen Figuren zuständig."
Für Lona beginnt eine schöne Zeit: "Das hat sehr viel Spaß gemacht, im Karlshorster Kollektiv zu arbeiten. Wir haben uns alle gut verstanden. Waren wie eine große Familie."
Und zu einem sozialistischen Kollektiv gehören auch immer Bildungsreisen: Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei, die große Sowjetunion lernt die junge Zeichnerin so kennen.
Wie in jeder guten Familie gibt es allerdings auch Zwist: Obwohl das Heft im Kollektiv entsteht, ziert den Titel lange Jahre nur der Name des künstlerischen Leiters: "Mosaik von Hannes Hegen". Ab 1961 steht dann im Impressum "Gestaltet im Mosaik-Kollektiv". So ist auch nachvollziehbar, dass sich langsam Unzufriedenheiten aufbauen...
Über den Privatmenschen Lona Rietschel ist aus jener Zeit wenig in Erfahrung zu bringen, außer dass sie mit ihrem Mann Kurt, der als Grafiker für den Berliner Tierpark arbeitet, ab 1964 die Dekorationen für die beiden jährlichen Tierparkbälle in der Cafeteria des Zoos ( die zwecks "fundraising" veranstaltet werden ) anfertigt. Für den Winterball gestalten sie Jahr für Jahr ein anderes Biotop unserer Erde, im Sommer lassen sie Elefanten tanzen usw. - alles Arbeiten, die neben ihrem Hauptberuf abends & am Wochenende erledigt werden.
Und dann fertigt die private Lona Rietschel in einem wöchentlichen Kunsthandwerkszirkel wunderschönen Emailleschmuck in Cloisonné - Technik nach eigenen Entwürfen, der sich mit dem mir aus dem Jugendstil & Art Deco bekannten Schmuckstücken durchaus messen kann...
Ende 1973 bittet Hegenbarth "aus persönlichen Gründen" zum 1. Juli 1975 seinen Vertrag mit dem Verlag "Junge Welt" zu kündigen. Nach 18 Jahren möchte er künstlerisch kürzer treten und jährlich nur noch sechs Hefte zeichnen. Unter ökonomischem Gesichtspunkten kann der Verlag dem nicht entsprechen. Als die SED noch verlangt, die Comics politischer zu gestalten, kommt es zum Bruch. Der Verlag bietet zwar noch bis zu einer Million DDR-Mark für die Rechte an den Digedags an ( und baut auch sonst goldene Brücken ), doch Hegenbarth stellt das Heft komplett ein und zieht sich völlig enttäuscht, auch von seinen Mitarbeitern, zurück.
Denn schon vor dem endgültigen Aus hat es Sondierungen des Verlages unter den Mitarbeitern des Kollektivs in Bezug auf eine Neugestaltung des Heftes gegeben - schließlich sind ja alle anderen seit 1957 Angestellte der "Jungen Welt", werden von ihr bezahlt und ihre Existenzgrundlage basiert auf dem monatlichen Erscheinen des Heftes. Lona bedauert den Bruch allerdings bis heute, verdankt sie Johannes Hegenbarth doch sehr viel.
Das Mosaik - Zeichnerkollektiv verlässt also 1975 die Karlshorster Villa, zieht ins Verlagsgebäude an der Mauerstraße und entwickelt dort ein neues Konzept für ein neues Mosaik-Heft. Im Januar 1976 kommt dieses erste Heft mit den Abrafaxen als Haupthelden auf den Markt. Hegenbarth empfindet das als unverzeihlichen Verrat.
Er reagiert darauf, indem er urheberrechtliche Ansprüche geltend macht. Ein Gutachten zur presse- und urheberrechtlichen Situation kommt allerdings zu dem Schluss, dass er zwar die Verwendung der von ihm erfundenen Figuren, aber nicht die Weiterführung des "Mosaik" in neuer Form verbieten kann.
Entwürfe von Lona für die neuen Figuren (1975) Source
Lona gebührt der Ehrentitel, an der Wiege der neuen Helden der bis heute erfolgreichsten monatlich erscheinenden Comic-Serie gestanden zu haben:
Sie entwickelt die Kobolde Abrax, Babrax und Califax, die sie zusammen mit Lothar Dräger ersonnen hat, zeichnerisch ganz alleine. Durch ihren schwungvollen und zugleich liebenswerten Strich wird sie nun zur stilprägenden Zeichnerin für die Comiczeitschrift.
Für die Zeichnerin ist das Mosaik - Heft übriges mehr als ein Comic. Sie findet den Begriff "Bildergeschichte" zutreffender, denn die im Mittelpunkt der Hefte stehenden Figuren übernehmen die Vermittlung von Wissen und Kulturgeschichte an die Heranwachsenden in dem Maße, wie es im Westen Asterix oder Timm und Struppi tun. Die Leser sind begeistert, vor allem, weil die historischen Geschichten nicht politisch-ideologisch durchtränkt sind. Trotz Millionenauflage sind die Hefte oft schon kurz nach Erscheinen ausverkauft.
Die ersten Jahre läuft es noch gut mit dem neuen Heft, doch nachdem der Chefredakteur Wolfgang Altenburger das Kollektiv verlässt, verschwindet auch die bis dahin gepflegte Kultur des sorgfältigen Einarbeitens neuer Mitarbeiter in den Stil des Heftes. Auch die politischen Umwälzungen künden sich langsam an. Nach der Wende wird der Verlag "Junge Welt" als staatliche Verlag der Liquidation unterzogen. Die Angestellten werden als "parteinah" abgestempelt. Bis heute verletzt die Zeichnerin diese pauschale Diskreditierung, denn sie ist nie Mitglied der SED gewesen...
Die Anwältin, die mit der Auflösung des Verlages beauftragt ist, ist selber großer Abrafax - Fan und sucht deshalb nach neuen Überlebensmöglichkeiten:
Wolfgang Altenburger, der ehemalige Chefredakteur des Heftes, bekommt schließlich Kontakt zum Westberliner Werbefachmann Klaus D. Schleiter. Und der zeigt sich interessiert, sichert sich die Rechte an den Abrafaxen und übernimmt den 1991 durch die Treuhand gegründeten "Mosaik Steinchen für Steinchen Verlag". Ein neues Domizil im Berliner Westend wird von ihm auch gefunden. Die Mosaik-Hefte sind also eines der wenigen Kulturgüter, die den Transfer aus dem Realsozialismus in die kapitalistische Marktwirtschaft überlebt haben, so das Goethe - Institut!
Kurt Rietschel
Auch Lona Rietschels Arbeit bleibt die, die sie immer gewesen ist: Von neun bis 18 Uhr sitzt sie an ihrem Schreibtisch, hört über Kopfhörer Radio und zeichnet. Unterstützt wird sie von fünf Kollegen.
"Das sind alles Ostler, die mit "Mosaik" und den Abrafaxen groß geworden sind." Was sich für sie ändert, ist die Fan - Kultur: "Heute muss man den Kontakt mit den Lesern pflegen. Das gab es früher nicht. Da musste ich im Hintergrund bleiben."
Nach der Wende nutzt sie die Möglichkeiten, zusammen mit ihrem Mann weltweit zu reisen, nach Tunesien, Kenia & Tansania, was sie weiter inspiriert.
1999 geht sie in den Ruhestand. Doch vorher hat sie noch eine Mission zu erfüllen: Den jungen Zeichnern den Weg zu weisen, einerseits die Abrafaxe in ihren Eigenheiten zu bewahren und sich doch einem neuen Publikum zu öffnen. So baut sie den damals 21-jährigen Sascha Wüstefeld ab 1997 persönlich als ihren Nachfolger für das "Mosaik" auf.
Ihr letztes Titelbild entwirft sie im Dezember 2000 für das damals 300. Mosaik - Heft. Die Cover der Sammelbände als auch die Motive des Kalenders für 2006 stammen ebenfalls noch aus ihrer Hand. Und als im 500. Heft die Abrafaxe erstmals den Digedags begegnen und sich im Mosaik-Team die Frage stellt, wer die Veteranen zeichnen soll, fällt die Wahl natürlich auf Lona Rietschel.
2013 - das Jahr, in dem sie Witwe wird - bringt ihr beim Comicfestival in München einen Preis für ihr Lebenswerk ein: den PENG!-Preis.
"Ich muss sagen, ich hatte einen wunderschönen Job. Ich hatte das große Glück, dass ich mein Hobby bzw. mein Talent zu meinem Beruf machen konnte und so ziemlich jeden Tag gern zur Arbeit ging. Das war aber nicht von Anfang an so voraussehbar. (... ) Reich bin ich zwar nicht geworden, aber glücklich und zufrieden in dem Gedanken, für eine gute Sache gute Arbeit geleistet zu haben."