Donnerstag, 8. Mai 2025

Great Women #416: Elisabeth Erdmann - Macke

Ihr Mann ist mein Lieblingsexpressionist und der, der mich zu dem einzigen Kinderbuch, das ich je verfasst habe, inspiriert hat. Meine späte Kindheit und Jugend habe ich am anderen Ende der Bonner Verkehrsschneise verbracht, an der sie gelebt hat. Richtig wahrgenommen habe ich das Haus als ehemalige Heimstatt des von mir so verehrten Malers - und somit auch meine heutige Protagonistin - aber erst, als dort zu Beginn der 1990er Jahre das museale August-Macke-Hauses  eingerichtet und für die Öffentlichkeit zugänglich geworden ist. Die Rede ist heute also von Elisabeth Erdmann - Macke.
CC BY-SA 4.0

Das Licht der Welt erblickt Elisabeth Erdmann - Macke am 11. Mai 1888 in Bonn als Elisabeth Gertrud Sophie Gerhardt, Tochter der 23jährigen Erfurterin Sophie Koehler und des Carl Heinrich Gerhardt, achtzehn Jahre älter als seine Frau und seines Zeichens Fabrikant pharmazeutischer Geräte in den dem Wohnhaus in der Bornheimer Straße angegliederten Betriebsgebäuden. 1886 hat das Paar schon einen Sohn, Walter, bekommen.

Über Elisabeths Kindheit ist so gut wie nichts herauszubekommen. Es ist, als ob ihr Leben erst als "Backfisch", wie man junge Mädchen damals um die Jahrhundertwende genannt hat, begonnen hätte. Zumindest legen alle Veröffentlichungen, auch ihre eigenen Erinnerungen, das nahe und beschränken damit das schöne, vielseitig interessierte & gebildete Mädchen auf die Rolle einer Künstler - Muse. 

1906
Man schreibt das Jahr 1903, als die damals Fünfzehnjährige auf ihrem Schulweg über die Bonner Meckenheimer Straße ( heute: Thomas-Mann-Straße ) den des ein Jahr älteren August Macke tangiert, dessen strahlende, sie verfolgende Augen, so ihre späteren Erinnerungen, sie teils verärgert, teils entzückt registriert. Eine Weile nimmt man einander aus der Ferne wahr, "ohne dass wir etwas Näheres voneinander wussten", notiert Elisabeth, die "von dem Tage unseres ersten Kennens" an aufschreibt, wie sich ihre Begegnung mit dem künstlerisch ambitionierten Jüngling entwickelt..

Im Frühjahr 1903 geht Elisabeth zur Konfirmation. August, so heißt es, steht am Fenster der Wohnung, die er mit seinen Eltern und älteren Schwester bewohnt, hinter der Gardine und beobachtet das Mädchen in seinem Feststaat, ein Mädchen, dass wohl eine unnachahmliche Ausstrahlung hat und ein gewinnendes, unbekümmertes Wesen voller Ernsthaftigkeit & Aufgeschlossenheit. 

Unter dem Vorwand, seinen Mitschüler am Realgymnasium in der Doetschstraße & Bruder Elisabeths, Walter, wegen seines interessanten Gesichtes porträtieren zu wollen, verschafft sich August den Zutritt zur Familie Gerhardt. Endlich wird ihr ihr Schwarm persönlich vorgestellt, was den jungen Leuten aus Schicklichkeitsgründen schließlich erlaubt, sich auch auf der Straße täglich zu begrüßen. Aus einem Italienurlaub mit Mutter & Bruder und dem verwandten Maler Heinrich Brüne schickt Elisabeth August regelmäßig Grüße. Es wird sogar eine Porträtsitzung mit Elisabeth auf Vermittlung eines gemeinsamen älteren Freundes von Walter & August möglich - natürlich unter Aufsicht der Mutter Sophie. 

1903
Mit der Kohlezeichnung geht es allerdings nicht wirklich voran, denn die beiden jungen Menschen sind bald in intensivste Gespräche verwickelt, was ihnen ihre große Übereinstimmung in Denken & Erleben vor Augen führt  - "wie ein Sonnengleißen über dem Wasser." Dem langjährigen Jugendfreund aus Kölner Zeiten, Hans Thuar ( siehe auch dieser Post ), schwärmt August von der Schönheit des Mädchens mit seinen schwarzen Haaren ( "seine kleine Carmen" wird er sie heißen ) vor.
"Es war, als seien wir Marionetten, und das Schicksal führe uns in zufällig scheinenden und doch so unvermeidlichem Spiel immer wieder zueinander." ( Quelle hier )
Ab da begleiten sie sich auf gemeinsamen Wegen oder verabreden gar heimliche Treffen zu Spaziergängen in den umliegenden Dörfern Endenich, Dransdorf, Tannenbusch und wie die kleinen Ortschaften alle heißen, die heute Stadtteile Bonns sind, von denen sie ausführlich schwärmt. Und das passiert teilweise sogar während der morgendlichen Schulstunden! Elisabeth besucht die Selekta, die oberste freiwillige Klasse in ihrer Schule, und darf ohne elterliche Entschuldigung dem Unterricht fern bleiben. Es habe nie jemand etwas gemerkt, wird sie später versichern. Vielleicht aus deshalb, "weil ich innerlich so beglückt war und außer ihm für mich bald nichts mehr existierte."

Besonders schätzen sie das abgeschiedene Meßdorf, im Frühling ein Blütenmeer, da ein Obstbaugebiet. Dort sitzt Elisabeth am Bach und liest, während August sie immer wieder skizziert. Beide lieben die heimatliche Landschaft ( die auch mir in diesem Alter so vertraut gewesen ist und mit ersten Verliebtheiten verknüpft ). 

Zu Beginn des Jahres 1904 hat August bereits sein Debüt als Künstler im Bonner Kunstsalon Friedrich Cohen gegeben, was Elisabeth sehr beeindruckt hat. Der junge Mann beeindruckt aber nicht nur Elisabeth: Von Zeitgenossen wird August als ausgesprochen lebensbejahender, Glück verbreitender, strahlender Jüngling beschrieben, der voller Selbstvertrauen, gebildet, frankophil und bürgerlich zwar, aber auch so unabhängig im Denken ist, dass er sich über Konventionen und zeittypische Forderungen hinwegzusetzen vermag. Elisabeth lernt allerdings auch seine andere Seite kennen, seine Melancholie & Empathie: "Ihn ergriff das alles im Innersten, und er litt darunter", beschreibt sie später seine Reaktionen auf das harte Dahinleben vieler Mitmenschen.
August Robert Ludwig Macke, ist 
August Macke
(1904)
am 3. Januar 1887 in Meschede, Sauerland, als Nachkömmling & sechstes Kind eines Tiefbauingenieurs im Eisenbahnbau 
geboren. Bald nach seiner Geburt zieht die Familie nach Köln, schließlich 1900 nach Bonn, weil der Vater nach dem Tod seines Kompagnons aus wirtschaftlichen Gründen das gemeinsame Bauunternehmen aufgeben muss. Friedrich August Macke ist mehr eine Künstlernatur denn ein Geschäftsmann. In Bonn wird der Lebensunterhalt durch das Vermögen der Mutter, Florentine Adolph, und die Organisation einer Fremdenpension durch sie gesichert. Dadurch macht der Junge sehr viele interessante, inspirierende Bekanntschaften. Während der Schulzeit zeigt sich bei dem jungen August eine Begabung im Zeichnen und Malen und ein lebhaftes Kunstinteresse. Da der Vater zwischenzeitlich schwer erkrankt ist, ist er von den Zukunftsaussichten eines Künstlers wenig begeistert, gibt schließlich nach, nachdem er vom Talent seines Sohnes überzeugt worden ist.

Gegen den Willen seines Vaters also bricht August Macke Ostern 1904 den Gymnasialbesuch ab, um nach diesem schönen Sommer mit Elisabeth auf Empfehlung des Bonner Kunsthistorikers Paul Clemen und mit finanzieller Unterstützung des Kölner Unternehmers Alfred Heinrich Schütte an der Düsseldorfer Kunstakademie ein Studium der Figurenmalerei aufzunehmen. Das bedeutet für die Liebenden, dass man sich nicht mehr so oft sehen kann, und August trägt schwer an der bevorstehenden Trennung. Sie vereinbaren sogar - so "vernünftig" sind sie - sich nur alle vier Wochen am Sonntagmorgen zu treffen und sich nicht zu schreiben. Augusts Start in Düsseldorf wird durch den Tod des Vaters überschattet und durch die akademisch verknöcherte Unterrichtsweise getrübt.

"Ich war die erste, die das Gebot übertrat... Ich nahm eine ganz kleine Karte, damit möglichst wenig daraufginge, aber einmal angefangen, schrieb ich und schrieb ich, und am Ende waren es sechzehn Seiten."

"Da stiegen die alten Liebesgötter mit langen Flügeln in das Atelierfenster hinein und streiften mit ihren Schwingen ein heißes Gesicht...", antwortet er.

Elisabeth, die in der Zwischenzeit ihre Schule beendet hat, ist im Frühling 1905 in München bei ihrem Onkel Heinrich Brüne, der sie malen soll, und sie genießt die ungezwungene Atmosphäre, die damals in der Stadt herrscht. Sie genießt es auch, allein wie ein junges Paar mit August, der einen Zwischenstopp auf der Reise nach Italien mit ihrem Bruder eingelegt hat, in der schönen fremden Stadt herumzustreifen und die Museen zu besuchen ( beide lieben den Maler Arnold Böcklin ). 

August Macke:
"Porträtstudie Elisabeth Gerhardt
(aus dem Gedächtnis)"
(1907)
Hat Elisabeth in den Jahren 1904-06 Märchen, Geschichten und Gedichte geschrieben ( eines wird von dem befreundeten Wilhelm Schmidtbonn gar für eine Veröffentlichung vorgesehen ) und sieht sich als künftige Literatin, kommt sie in München auf die Idee, Gesang zu studieren. 

Im Mai 1905 reist Elisabeth nach Bern, um im Haus der "Frau Oberst" Mathilde Moilliet, die französische Sprache und Haushaltsführung zu lernen. Zusammen mit ihr lernt sie auch Italienisch, verbessert ihre Englischkenntnisse & ihre Klavierkünste und hört kunstgeschichtliche Vorlesungen.

Ein halbes Jahr bleibt sie dort und führt mit ihrem Liebsten eine intensive Korrespondenz. Dort in Bern lernt sie den Sohn der Gastfamilie kennen, jenen späteren Reisegenossen Augusts auf der legendären Tunisreise, Louis Moilliet. Ein Schlaganfall ihres Vaters zu Hause in Bonn zwingt die  17jährige, ihren Aufenthalt in der Schweiz abzubrechen. 

Der Vater hat insgeheim gehofft, dass dieser Aufenthalt zum Ende der Beziehung seiner Tochter mit dem Künstler ( "Ich möchte unter keinen Umständen, daß das eine Liebelei wird mit dem Macke." ) führt. Auf die Vorbehalte soll jener mit dem Ausspruch reagiert haben: "... gegen das Geld bin ich phlegmatisch." Man sieht sich allerdings weiterhin. 

An ihrem 18. Geburtstag im Jahr darauf sucht sie August zum ersten Mal in seinem Atelier in Düsseldorf - Oberkassel auf, ohne die Mutter ganz klar ins Bild zu setzen. Sie ist & bleibt felsenfest überzeugt von der künstlerischen Potenz ihres Liebsten, der unterdessen auch sehr erfolgreich als Bühnenbildner ist. Er gibt schließlich das Studium an der Kunstakademie auf, verbleibt aber an der Kunstgewerbeschule.

August Macke:
"Bildnisstudie Bernhard Koehler"
(1913)
Elisabeth gewinnt unterdessen ihren Onkel, den Berliner Unternehmer Bernhard Koehler, als Mäzen, der August einen Parisaufenthalt finanziert, ohne dass er den jungen Mann kennt. Das Aufeinandertreffen findet dann im Sommer 1907 in Bonn statt. Zu dieser Zeit kümmert sich Koehler auch um die etwas verwaisten Geschäfte des Vaters und deckt Unterschlagungen des Buchhalters auf.

August Macke entscheidet sich zu diesem Zeitpunkt, dass er seine Studien in Berlin fortsetzen will. Wenige Tage nach seiner Abreise stirbt Elisabeths Vater mit 61 Jahren. Berlin lässt den jungen Mann die gemeinsame Zeit in den Meßdorfer Feldern und die gemeinsame Gedankenwelt missen, kommt er doch mit der robusten Art des Lovis Corinth ( siehe auch dieser Post ), bei dem er im Atelier arbeitet, nicht unbedingt zurecht. Eine positive Erfahrung ist hingegen, dass er dem Onkel Koehler, der sich nie für Kunst interessiert hat, begeistern kann, so dass der auf Augusts Anraten zeitgenössische Kunst kauft und sich zum veritablen Sammler entwickelt.

Und Elisabeth? Zu Beginn des Jahres 1908 reist die mit ihrer Mutter nach Berlin, weil diese sich bei einem anderen Bruder von den Strapazen der letzten Wochen erholen muss. Sie kann ihren Freund nun täglich sehen, mit ihm Museen besuchen und sogar eine gemeinsame Reise nach Dresden unternehmen, wo sie ihren kulturellen Vorlieben nachgehen können. Zurück in Bonn, schlägt die Mutter dem Paar eine gemeinsame Italienreise mit Elisabeths Bruder & dessen Freund vor. Alle touristischen Glanzpunkte des Landes werden besichtigt. Im Juli begleiten sie dann den Onkel Koehler auf eine Einkaufstour nach Paris. August wird in einer gewissen Distanz zu Elisabeths Zimmer im Hotel untergebracht. Doch sie finden "trotz allem Mittel und Wege, beisammen zu sein."

Elisabeth & August
(1908)
Während eines freiwilligen Einjährigendienst bei einem Infanterie-Regiment in Bonn, das August absolviert, verloben sich die jungen Leute an Weihnachten 1908. Sophie Gerhardt akzeptiert den Künstler als Partner ihrer Tochter und entwickelt ein überaus herzliches Verhältnis zu ihm.

Es tritt ein, was sich für eine Tochter aus gutbürgerlichem Hause einfach nicht schickt: Elisabeth wird schwanger. Versuche, die "Unregelmäßigkeit" mit den üblichen Hausmittelchen zu beenden, schlagen fehl. Einer der Ärzte, die sie aufsucht, rät ihr, es wie andere unverheiratete Künstlerpaare zu halten und aufs Land bei München zu gehen, um ebenda zu leben. Niemand fände dort etwas Anstößiges dabei.

Zunächst wird die Mutter nicht instruiert, kann sich aber bald einen Reim darauf machen, da die Beiden in einem Zimmer schlafen. Erst einmal fassungslos, will sie sich aus dem Fenster stürzen und gibt August die Schuld. Doch der will sich einfach nicht schuldig fühlen: "Wir sind zusammengewachsen zu einem. Wir waren nicht fähig, es zu hindern. Wir haben darüber geweint, aber es war stärker als wir. Wir mußten zusammen." Als Alternative beschreibt er nur einen gemeinsamen Tod in den Wellen. Aber für ihn ist es so "recht und gut."

Bei einem gemeinsamen Eifelurlaub kaufen sie sich entschlossen Eheringe. Und alsbald lenkt auch die Mutter ein, bestellt die Aussteuer und legt den Hochzeitstermin auf den 5. Oktober fest. Die Beiden sind jetzt 21 bzw. 22 Jahre alt. Es wird eine schlichte Angelegenheit: Elisabeth verzichtet auf Kranz & Schleier. Im Standesamt sind nur die engsten Verwandten zugegen. Ein Pastor vollzieht im festlich geschmückten Elternhaus die kirchliche Trauung, nachdem Elisabeth selbst den Satz einer Beethoven - Sonate intoniert hat. Im Garten pflanzen sie auf Anregung des Hausgärtners anschließend gemeinsam eine Eiche, um dann zum Bahnhof zu fahren. Ziel der Hochzeitsreise: Frankfurt am Main.

August Macke: "Porträt mit Äpfeln"
(1909)
Elisabeth hat sich wohl nie Gedanken gemacht um die materielle Lage ihrer Familie: 
"Wir konnten sorglos sein, da unser Leben auch äußerlich gesichert war. Aus meinem Anteil an dem väterlichen Vermögen hatten wir ein Fixum von 400 M. monatlich. Diese Summe bekamen wir von meiner Mutter regelmäßig geschickt." Und: "Nicht ohne Grund konnte August sich erst nach unserer Heirat voll entfalten und kam erst jetzt zu intensiverem und konzentriertem Schaffen."
August Macke:  "Porträt der Frau des Künstlers mit Hut"
(1909)

Doch zurück zur Hochzeitsreise: von Frankfurt ging es nach Bern zur Familie Moilliet. Der Malerkollege Louis Moilliet überredet das Paar zu einer spontanen Reise nach Paris. Offensichtlich ist das alles für Elisabeth zu anstrengend und sie erleidet so schwere Blutungen, dass sie in eine Klinik eingewiesen wird. Das "Hochzeitsgeld" der Mutter von tausend Mark ist auf diese Weise schnell ausgegeben, und der Bruder muss kommen, um die Familienkasse aufzufüllen. Es gibt Überlegungen, ganz in Paris zu bleiben, angestoßen durch die Bekanntschaft mit dem Maler Karl Hofer, der ganz malerisch in einem Atelierhaus, einer Welt für sich, lebt. 

Elisabeth richtet sich allmählich mit dem Gedanken ein, als ein Brief von Wilhelm Schmidtbonn eintrifft, der sie an den Tegernsee einlädt. Dort hat er sogar schon eine (Sommer-) Wohnung in der "Villa Brand", in der er selbst lebt, für das junge Paar angemietet. Am 27. Oktober 1909 kommen sie dort an und genießen "zum ersten Mal eine eigene Häuslichkeit." Die kalte Jahreszeit ist streng, und die junge Frau aufgrund ihrer Schwangerschaft weniger flexibel. So dient sie ihrem Mann häufig als Modell, was dieser liebt. ( Die beiden oben gezeigten Bilder sind in dieser Zeit entstanden. ) 

Helmuth Macke:
"Selbstporträt mit Palette"
(1910)

Später stößt noch Augusts Cousin Helmuth Macke zu ihnen, der Hausrat wird durch ein Klavier und allerlei anderes aus Bonn ergänzt, und zu Weihnachten trudeln der Bruder Walter und ihr gemeinsamer Cousin Bernhard Koehler jun. ein. Das Fest verläuft wohl zu stürmisch & ausgelassen, denn ein "Zorngewitter" des recht sensiblen Freundes Schmidtbonn - immerhin gut zehn Jahre älter als die Mackesche Gesellschaft -  bricht unerwartet über die jungen Leute herein, die wie vor den Kopf gestoßen sind.

Elisabeth & August sind so verstört, dass sie sich schleunigst nach einer neuen Wohnung umsehen. Die finden sie alsbald in einem alten Bauernhaus des Schreiners Staudacher. Elisabeth ist sehr angetan von der Ausstattung mit alten Kirschbaummöbeln und den sympathischen Wirtsleuten, August von den Möglichkeiten eines Ateliers in der leeren Werkstatt des Schreiners. Er ist in jener Zeit höchst produktiv, arbeitet aber dennoch am liebsten im Freien auf dem Balkon. 

August Macke: "Unser Wohnzimmer in Tegernsee" und "Staudacher Haus am Tegernsee"
(1910)
"Es war ein reiches Leben, das wir miteinander führten", so Elisabeth in ihren Erinnerungen. "Unser Klavier wurde eifrig und ungestört benutzt, und August sang mit seiner schönen Stimme manchen Abend Brahmslieder, die er besonders liebte."

Nach dem langen Winter folgt ihr "schönster Frühling", so Elisabeth. Sophie Gerhardt reist aus Bonn an. Am 13. April 1910 kommt Walter Carl August Macke zur Welt:

"Ich habe die schönste Erinnerung an diese erste Geburt, ich habe das alles so jung und stark erlebt und fühlte mich selbst wie ein junger Baum, der vom Sturm geschüttelt wird, aber es war nie so, daß ich es nicht aushalten konnte..."

Elisabeth verbringt das Wochenbett wohl umsorgt von ihrer Mutter und der Hebamme unter Anteilnahme der Familie Staudacher. Später besorgen August und sie den Haushalt mit dem Säugling allein, bis sie eine liebenswürdige Haushaltshilfe finden, die acht Jahre bis zu ihrer Verheiratung in Bonn bei Elisabeth bleiben wird. In ihren Erinnerungen zeichnet die junge Mutter eine ländliche Idylle, bevölkert mit den einfachen Menschen ihrer Umgebung, aber auch Künstlerfreunden, darunter u.a. auch der frisch gewonnene Franz Marc mit seiner Freundin Maria Franck

Doch auf Dauer zieht es ihren Mann zurück nach Bonn: "Der Grund liegt darin, daß die vielgepriesenen Berge einem auf die Dauer zu vier Wänden werden." Ende des Jahres 1910 richtet Sophie Gerhardt in einem Nebengebäude ihres Wohnhauses eines mit Atelier für die junge Familie ein ( das heutige Macke-Haus ) und wird ihnen so  ab März 1911 ein relativ sorgenfreies Leben in ihrer Nähe ermöglichen. Mit auf den Umzug geht ein, von August entworfenes, vom Schreinermeister Staudacher getischlertes Schlafzimmer sowie zweihundert in diesem Jahr am Tegernsee geschaffene Bilder.

August Macke:
"Walter, drei Tage alt"
"Im Garten Elisabeth und Walterchen mit Wolf",
"Elisabeth und Walterchen"
(1910-1912)



Elisabeth betrachtet die Rückkehr in die rheinische Heimat anscheinend mit gemischten Gefühlen: Der laue, regnerische Winter, die schwere Luft, die Rücksicht, die man aufeinander nehmen muss in all der Bürgerlichkeit, aber auch der Familie, das Stadtgetriebe. Wie unbekümmert hat sie in den Bergen leben können! Und das, während ihr Mann den Blick aus seinen Atelierfenstern auf Industrieviertel, Vorstadthäuser, "Irrenanstalt" als äußerst anregend für seine Kunst erlebt. Er ist auch umtriebiger, erweitert seinen Bekanntenkreis in der Bonner Kultur- & Geschäftswelt stetig, engagiert sich beim Sammlungsaufbau des Onkels Koehler, trifft Künstlerkollegen zur Vorbereitung der Sonderbund- Ausstellung.

Im Sommer, bei einem Aufenthalt am Thunersee bei Louis Moilliet, erleidet Elisabeth eine Fehlgeburt. Dort lernt sie auch den Maler Paul Klee kennen, der künftig Dritte im Bunde der Tunisreise. Bei einer Einladung Franz Marcs nach Oberbayern im Oktober trifft Elisabeth auf Wassily Kandinsky & Gabriele Münter, die am Almanach "Blauer Reiter" arbeiten. Ihren Mann unterstützt sie geduldig bei der Formulierung seines Aufsatzes "Masken". Als "seltsames Milieu" hingegen erlebt sie das Paar Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky, das sie anschließend in München besuchen, und die ebenfalls zum "Blauen Reiter" zählen.

1912
Das Bonner Haus, von Elisabeth engagiert geführt, entwickelt sich zum Treffpunkt der jungen rheinischen Kunstszene und ist Ausgangspunkt für Mackes unentwegte kunstpolitische Aktivitäten, die ihn zu einem der wichtigsten Protagonisten des Expressionismus werden lassen. 

Sie erweist sich als gewiefte Organisatorin seines Künstlerdaseins. Daneben  setzt sie zusammen mit Mutter und Großmutter Augusts Entwürfe in Stickereien um ( das wird sie auch lange, lange noch beibehalten ). Es entstehen Kissen, großformatige Wandteppiche, aber auch modische Accessoires wie Bluseneinsätze, ja sogar ganze Reformkleider sowie Schmuckstücke, immer von August skizziert. Auch zeichnet oder entwirft sie Hinterglasbilder. An einem Wandbehang "Jünglinge und badende Mädchen", einer erotischen Idylle wird sie über 25 Jahre immer wieder arbeiten.

Die Familie Macke im Sommer
1913
Wegen einer weiteren Schwangerschaft kann sie ihren Mann nicht auf eine Paris-Reise begleiten. Der ausgelassene Gegenbesuch der Künstler Robert Delaunay und Guillaume Appollinaire Ende Januar 1913 wird als Ursache für die etwas verfrühte Geburt des zweiten Sohnes Wolfgang am 8. Februar betrachtet. 

Der Künstler-Vater scheint gar vor lauter Freude über die glückliche Geburt genau über dem Wochenbettzimmer aus einem Holzblock eine Skulptur zu schlagen. Dazu Elisabeth: "Ich freute mich ja im stillen zu sehr mit ihm und seiner jungenhaften Unbeschwertheit." 

Sie unterstützt auch in den nächsten Monaten seine feucht-fröhlichen Künstlertreffen in der Graurheindorfer Villa Plüskow, von Elisabeths Bruder di­rekt am Rhein ge­mie­tet, bei denen die Idee zur Aus­stel­lung "Rhei­ni­scher Ex­pres­sio­nis­ten ge­bo­ren wird, die Au­gust Ma­cke ziel­stre­big um­setz­t.

Sie selbst richtet sich mit ihren Sehnsüchten völlig auf einen geplanten Aufenthalt in Hilterfingen am Thunersee aus, in jener Landschaft, die auch mir immer bei meinen Aufenthalten dort wie ein Abbild des Paradieses auf Erden vorgekommen ist. Am 30. September 1913 bricht Familie Macke ins Berner Oberland auf. 
"Es war wohl die harmonischste, glücklichste Zeit, die wir miteinander verlebten und die uns so innig nahebrachte, daß wir es oft nicht fassen konnten, wie unaussprechlich reich wir waren; dazu die lieben Kinder, und nicht weit die guten Freunde, die wir fast täglich sahen."

Weihnachten 1913
Das vermutlich letzte gemeinsame Familienfoto entsteht dort an Weihnachten. Im Januar 1914 begeht man den 27. Geburtstag von August, u.a. mit dem Besuch von Paul Klee & Ehefrau. 

Anfang April des Jahres brechen die Malerfreunde Macke, Moilliet und Klee zu ihrer berühmten Tunisreise auf, gesponsert u.a. von Onkel Koehler. Ende des Monats kehrt August mit 37 Aquarellen und noch mehr Zeichnungen sowie Schmuck für Elisabeth zurück, auch mit dem Vorsatz, dass die nächste Reise nur noch mit seiner Frau stattfinden wird.

Es folgt die Taufe der kleinen Söhne in Hilterfingen, im Juni dann die Heimreise nach Bonn, durchaus von trüberen Gedanken & Vorahnungen begleitet. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni erschüttert den Maler zutiefst: Innerhalb weniger Wochen malt er 36 Bilder, ein letztes in - bei ihm ungewohnten - düsteren Farben. "Abschied 'Mobilmachung'" wird bis 1925 auf der Staffelei in seinem Atelier stehen bleiben. Am 1. August wird August Macke eingezogen. 

"Wir beide wußten, daß das Ende unseres gemeinsamen Lebens gekommen war. Ich konnte und konnte keine Hoffnung aufbringen, daß August wiederkommen würde." 

Am Vorabend des endgültigen Abschieds am 8. August hat man noch mit dem guten Freund Lothar Erdmann zusammen gesessen, und August hat zu Elisabeths Entsetzen gesagt: "Also, ich vermache dir die Lisbeth, die Kinder und alles."

In einer seiner letzten Feldpostkarten an Elisabeth schreibt er u.a.: 

"... aber Ihr seid so vernünftig und werdet mit der Welt und ihren natürlichen Grausamkeiten fertig. Wir haben ja auch immer ein so schönes Leben geführt alle zusammen.... wenn ich an die Kinder denke, dann packt mich eine wilde Verzweiflung, daß ich die nicht wiedersehen sollte." 

Seine letzte Feldpostkarte datiert vom 24. September.

Als ihre Briefe an ihn schon bald mit dem Vermerk "Verwundet, Lazarett unbekannt" oder "Vermisst" zurückkommen, holt Elisabeth in der Vermisstenzentrale Informationen ein: 

"Es war ein fruchtbarer Zustand mit dieser Gewißheit, - als ob ein Todesurteil ausgesprochen ist und man nur wartet, bis es vollstreckt wird."

Am 16. Oktober dann ein Telegramm  mit der Nachricht von Augusts Tod am 26. September. Aber erst im Februar 1915 erfolgt die endgültige Bestätigung von der zuständigen Stelle des Kriegsministeriums. Da hat die 26jährige bereits begonnen, ein Verzeichnis von allen Bildern und Aquarellen ihres Mannes anzufertigen und die geschäftlichen Angelegenheiten umsichtig zu regeln und nichts zum Sonderpreis zu verhökern.

Wie sie sich gefühlt hat - das geht aus ihren Erinnerungen nicht hervor. Wie untröstlich sie ist, legt ein Brief, adressiert an Franz Marc, nahe. Erdmann, der kurz vor Weihnachten in den Krieg ziehen muss, sagt sie nichts vom Status ihres Mannes, erst bei einem Wiedersehen Ende 1915.

Von links nach rechts:
Elisabeths Bruder Walter, Wolfgang,
Helmuth Macke,
Walter Macke, Lothar Erdmann, Elisabeth
(1918)
Im Herbst 1916 lässt sich Elisabeth mit Lothar Erdmann kriegstrauen, bevor dieser zurück an die Front in Flandern muss. Tagebucheintragungen zeigen, dass nicht der Ausspruch Mackes der Grund dafür gewesen ist, sondern dass der 28jährige, seit seiner Zeit in London von Bernard Shaw geprägte Schriftsteller, die junge Frau durchaus erotisch angezogen hat, vor allem aufgrund seiner sprachlichen Fähigkeiten. Sie hegt wohl auch die Illusion, dass er als Dichter so Glanzvolles leisten wird wie August als Maler. 

Erdmann bleibt nach der Heirat weiter an der Front. Ein schwerer Nervenzusammenbruch beendet zwar seinen Fronteinsatz und er wird stattdessen zum Wolff’schen Telegraphenbüro abkommandiert, für das er in Amsterdam als Übersetzer arbeitet – für ihn der Einstieg in den Journalismus-, getrennt bleiben sie immer noch. Am 20. Juli 1917 bringt Elisabeth in Bonn den gemeinsamen Sohn Dietrich zur Welt, der später  Komponist und Autor werden wird.

Als Lothar Erdmann Ende 1918 wieder deutschen Boden betritt, der Krieg vorbei und das Reich eine Republik ist, befasst er sich mit Parteipolitik und wird Mitglied der SPD. National und bürgerlich durch seine Herkunftsfamilie geprägt, ist er auch von sozialistischen Ideen begeistert.

Elisabeth lebt mit den Söhnen im Bonner Atelierhaus. Die erinnern sich an ihr Organisationstalent und ihre Fähigkeit, gut zu kochen. Ihren Interessen außerhalb der familiären Verpflichtungen wie Kunst, Musik, Theater geht sie auch jetzt wieder nach und ist offen gegenüber Neuem, auch gegenüber neuen Menschen. Dabei pflegt sie auch keine Standesdünkel. Lothar Erdmann leidet immer wieder unter schweren Depressionen, fühlt sich als Versager, weil er lange nicht in der Lage ist, die Familie zu ernähren. Er arbeitet als Redakteur der "Rheinischen Zeitung" in Köln, unterstützt Elisabeth aber auch beim Aufarbeiten des künstlerischen Nachlasses August Mackes.

Die Beziehung dürfte wegen der gefühlten Dauerpräsenz des ersten Ehemanns nicht ganz einfach gewesen sein. Elisabeth schreibt allerdings von einem reichen, glücklichen gemeinsamen Leben und dass sie in ihm einen gütigen Vater für ihre Kinder und einen selbstlosen, uneitlen Freund gefunden hat, der auch mit viel Kraft & Zeit dem Werk Mackes nach dem 1. Weltkrieg Präsenz verschafft hat. Sie selbst setzt alles daran, dass die Kunst ihres Mannes nicht in Vergessenheit gerät.

Am 14. Juli 1921 wird dem Paar noch eine Tochter, Constanze, geboren.

1923 wird Erdmann für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin tätig – als Redakteur des eigens von ihm 1924 gegründeten Theorieorgans "Arbeit". Diese Tätigkeit führt schließlich dazu, dass die ganze Familie 1925 nach Berlin umzieht - in die Gartenstadt Neu-Tempelhof an den Adolf-Scheidt-Platz 3. Bis auf das Atelier wird das Bonner Haus vermietet. ( In den 1930er Jahren wird darin zeitweilig Wolfgang Macke während seines Biologie - Studiums wohnen. )

Walter Macke
1927 bleibt der inzwischen 39jährigen ein weiterer Schicksalsschlag nicht erspart: 

Ihr mittlerweile fast siebzehn Jahre alter Sohn Walter, seinem Vater ähnlich und ebenso talentiert, wird am 10. März Opfer einer Scharlachepidemie in der Hauptstadt. Im Jahr darauf, am 18. September, bekommt Elisabeth noch einen weiteren Sohn, Klaus, der nach dem Krieg Töpfermeister in Höhr-Grenzhausen werden wird.

In ihrem politischen Urteil über die immer mächtiger werdenden Nationalsozialisten stimmt das Ehepaar nicht überein. Elisabeth verabscheut deren Verunglimpfung Andersdenkender und den Antisemitismus, Erdmann hingegen lässt sich vom angestrebten Wiedererstarken deutscher Größe blenden. Wie viele intellektuelle Zeitgenossen tut er die faschistischen Maßnahmen als Kinderkrankheiten ab. Er beschwört auch nach der Machtergreifung noch "die nationale Organisation der Arbeit" und tritt bis Mai 1933 als Gewerkschaftsvertreter für eine Verständigung mit den Nationalsozialisten ein. Als dezidiert "nationaler Sozialist" auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie gibt er sich trotz vorheriger Kontroversen länger noch Illusionen hin.

Doch schon bald verliert er seine Arbeit aufgrund der Auflösung der Gewerkschaften. Klar, erhält er keine Arbeitslosenunterstützung, und die Familie steht nun mittellos da. Wieder greift Elisabeths Fähigkeit, mit geringen Mitteln zu wirtschaften. Unterstützung erhält sie von ihrer Mutter und anderen Verwandten. Gelegentliche Bildverkäufe und Buchbesprechungen Erdmanns lindern die Finanznöte, ebenso geisteswissenschaftliche Arbeiten für die "Hilfe" von Theodor Heuß ( siehe auch dieser Post ), die "Deutsche Zukunft" unter der Leitung Paul Fechters und mit Artikeln für noch liberale Tageszeitungen wie die "Vossische Zeitung" und die "Allgemeine Deutsche Zeitung". Den Kontakt zu Widerstandsgruppen sucht Lothar Erdmann nicht. Für die Nazis bleibt dennoch bestimmend, dass er an der Spitze der Arbeiterbewegung aus Sozialdemokratie und Gewerkschaften mitgewirkt hat. Deshalb wird er mehrfach verhaftet.

Mit Kriegsbeginn im September 1939 wird Lothar Erdmann dann zusammen mit über hundert Funktionären der Arbeiterbewegung im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg interniert. Elisabeths Sohn Wolfgang Macke wird sofort eingezogen, Dietrich Erdmann ist schon im Jahr zuvor zur Wehrmacht einberufen worden. Constanze ist zu diesem Zeitpunkt achtzehn Jahre alt, Klaus elf,  Elisabeth selbst einundfünfzig.

In Sachsenhausen wird Lothar Erdmann bei jeder sich bietenden Gelegenheit von der SS geschlagen und gefoltert und stirbt schließlich am 18. September, dem Geburtstag seines Jüngsten. Ein Telegramm teilt der nun zum zweiten Mal verwitweten Frau mit, er sei einer Herzmuskelschwäche erlegen. Erst nach dem Ende des 2. Weltkrieges wird die Familie die grausame Wahrheit erfahren.

Elisabeth macht sich sofort nach Erhalt der Nachricht mit ihrer Tochter auf ins Konzentrationslager und erreicht letztendlich, dass sie den Toten, bis zum Hals zugedeckt, unter Aufsicht sehen, aber nicht berühren können. Sie schafft es auch, dass Lothar Erdmann eine Woche später unter großer Anteilnahme auf dem Tempelhofer Friedhof bestattet werden kann. Bewundernswert die Kraft dieser eher zarten Frau, mit dem erneuten Schicksalsschlag umzugehen und ihn zu ertragen!

Maria Marc
(1950)
Als der Krieg sich verschärft, ist zum wiederholten Mal ihr Organisationstalent gefordert: Sie lagert das Werk August Mackes aus ihrem Berliner Haus aus und bringt es bei Freunden und Verwandten unter. Von Mackes Briefen lässt sie Kopien anfertigen. Zum Glück: 1943 wird dieses Haus durch eine Luftmine aufs Schwerste beschädigt, und die mit den Löscharbeiten beauftragte Hitlerjugend vernichtet die Originale.

Mit ihrem jüngsten Sohn findet Elisabet zunächst Unterschlupf bei Maria, der Witwe von Franz Marc, in Ried am Kochel, 1944 dann in Kandern bei August Mackes Verwandten im Schwarzwald. Mit dem inzwischen sechzehnjährigen Klaus, der dem Kriegsdienst entronnen ist, erlebt sie die Kapitulation in Bodman am Bodensee. Über das Schicksal der in Berlin mit dem Maler & Lyriker Jürgen Eggert verheirateten Tochter samt Enkelkind bleibt Elisabeth lange im Ungewissen. Der Schwiegersohn gilt da schon als verschollen. Anhand ihrer Tagebücher lassen sich ihre tiefen Sorgen und Ängste nachvollziehen, die sie plagen, bevor sie nach Berlin zurück kann.

ca. 1960
Als im August 1947 ihre Mutter Sophie mit 82 Jahren stirbt, kehrt sie nach Bonn in das ererbte Haus in der Bornheimer Straße 96 zurück. Sie lebt dort in dem nun zu einer winzigen Wohnung umgebauten ehemaligen Atelier. 

Ihr Sohn Wolfgang, inzwischen promovierter Biologe, hat unterdessen den Betrieb der Gerhards übernommen und kümmert sich außerdem sorgsam um den Nachlass seines Vaters. Er ist es, der die ausgelagerten Werke nach und nach zurückholt und archiviert. 

Durch die Nähe zu diesem Sohn und den vier Enkelkindern fühlt sie sich geborgen. Sie genießt es aber auch, an den nun zahlreichen Ausstellungen des wiederentdeckten Werkes ihres ersten Mannes im Mittelpunkt zu stehen. In den 1950er Jahren vollendet sie ihre Erinnerungen an die Zeit mit August Macke, die nach ihrer Veröffentlichung 1962 Zuspruch & Interesse finden.

Als Wolfgang Macke 1975 an Krebs stirbt, kehrt Elisabeth nach Berlin zurück, wo sie zunächst bei ihrem Sohn Dietrich, später in einem Seniorenheim in der Nähe ihrer Tochter Constanze wohnt. Dort erleidet sie am 17. März 1978 unmittelbar nach dem Frühstück und ihren Tagebucheintragungen einen Lungeninfarkt und stirbt schließlich mit fast neunzig Jahren im Berliner Theodor-Wenzel- Krankenhaus.

Ihre Urne wird zunächst auf dem Friedhof in Wannsee bestattet, später in das Ehrengrab für August Macke auf dem Alten Friedhof in Bonn überführt. Nach ihrem Tod  wird das Bonner Haus verkauft und das Wandbild von Macke und Marc im Atelier des Malers ins LWL-Museum für Kunst und Kultur nach Münster verbracht. 1989 wird der Verein gegründet, der sich um die Einrichtung des Hauses als biografisches Museum und Forschungsstätte zum "Rheinischen Expressionismus" bemühen wird.

Angesichts von über zweihundert Bildnissen dürfte Elisabeth Macke - Erdmann die am häufigsten dargestellte Ehefrau der Kunst jener Zeit bzw. Kunstepoche gewesen sein. Als große Liebhaberin der Malerei August Mackes erfreuen mich all diese Bilder über die Maßen. Aber was mich nach der Recherche bzw. Arbeit an diesem Post dann noch mehr beeindruckt hat, ist Elisabeths Resilienz, diese ihre Fähigkeit, krisenhafte Lebensumstände ohne allzu große gesundheitliche Einbußen physischer oder psychischer Art zu bewältigen. Beim nächsten Besuch im Macke-Haus werden meine Augen ganz anders auf all das dort schauen...

                                                            


Noch mehr solcher beeindruckender Frauen,
über die ich bereits geschrieben und
die in dieser Woche einen Gedenktag haben,
sind unter diesen Verlinkungen zu finden:

4 Kommentare:

  1. Eine Frau, die ich schon länger bewundere (August Macke zählt auch zu meinen Lieblingsmalern) und Dank ihr Wissen wir noch, wie viele Bilder, welche mutwillig zerstört wurden, aussehen. Ihre Liebesgeschichte ist ganz besonders. Jetzt habe ich auch mehr über ihr späteres Leben.
    Danke und liebe Grüße
    Nina

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  2. Was für eine Frau und was für eine Resilienz! Wie Du schon schreibst. Es ist unglaublich, was sie alles erlebt und erlitten hat und wie die wahre Kunst ihres Mannes ihr geholfen hat in allen Zeiten.
    Ich bin zutiefst beeindruckt von soviel Lebensgröße und -Kunst.
    In Bodman werde ich nächste Woche auch sein., da war sie ja heute vor 80 Jahren. Da werde ich ganz besonders an sie denken.
    Ein ganz wunderbares Portrait einer Frau, die mir bisher nur im Schatten ihres Mannes bekannt war. Wie gut, dass Du sie ans Licht geholt hast.
    Herzlichst
    Sieglinde

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  3. Da muss ich dir beipflichten: wie tapfer und fest sie all diese Schicksalsschläge getragen hat. Bislang kannte ich nur die Bilder ihres Mannes und wusste von seinem frühen Tod. Danke für dieses wunderbare Portrait.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  4. eine berührende Lebes und Lebensgeschichte
    sie hat sich immer dem gestellt was getan werden musste
    ohne viel nachzudenken oder zu grollen
    sie waren eine Einheit
    das sieht man auch an den vielen Bildern die ihr Mann von ihr gemalt hat
    tragisch der Verlust
    tapfer hat sie versucht sein Erbe zu bewahren
    es war ja auch Teil ihrer Geschichte
    auch den zweiten Mann musste sie hergeben ebenso wie den Sohn
    das sind Schicksalsschläge
    sie hat sie gemeistert
    eine starke Frau
    liebe Grüße
    Rosi

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