Donnerstag, 4. Mai 2023

Great Women #335: Jane Bowles

Einer meiner liebsten Filme ist "Der Himmel über der Wüste" von Bernardo Bertolucci nach einem Buch von Paul Bowles. Durch diesen Schriftsteller habe ich auch Kenntnis & Zugang zum Werk seiner Frau, Jane Bowles, gefunden, die ich hier & heute vorstellen möchte.
"Jane was so amusing, 
and I thought it would be great fun 
to be with her all the time." 
Paul Bowles

Jane Bowles wird am 22. Februar 1917 als Jane Stajer Auer in New York in eine durchaus gutsituierte jüdische Familie, aus Europa einstens immigriert, hineingeboren und ist von Anfang an von Andersartigkeit geprägt. Sie ist das einzige Kind ihrer Eltern - Clair Stajer, 28 Jahre alt, mit ungarischen Wurzeln und als Lehrerin ausgebildet, und der sechs Jahre ältere Sidney Auer deutschen Ursprungs, ein Hemdenproduzent. Die Familie zieht 1928 nach Woodmere auf Long Island. 1930, nach dem Tod des Vaters nach einem Schlaganfall, kehrt Jane dann wieder mit der Mutter nach Manhattan zurück und lebt dort mit ihr in wechselnden Hotelappartements.

Über Janes Kindheit ist nicht allzu viel bekannt. Doch gibt es Zeitzeugen, die unabhängig voneinander von einer Gehbehinderung des kleinen Mädchen berichten. Einige Mütter ihrer Freundinnen bezeichnen die kleine Jane als "schreckliches Kind", das beispielsweise mit einem anderen Mädchen Dutzende geparkter Autos in einem Anfall von Vandalismus traktiert hat. Ein anderes Mal habe sie versucht, die Perücke einer schlafenden Frau zu stehlen. 

Für ihre Mutter, eine lebhafte, extrovertierte Frau, ist Jane ihr "Million-dollar-baby", für das sie nur das Beste erstrebt. Nach einem halben Jahr auf einer gewöhnlichen Schule schickt sie Jane im Wintersemester 1931 auf ein exklusives Mädcheninternat. Bereits nach einem halben Jahr dort stürzt Jane vom Pferd und verletzt sich das rechte Knie. Mehrere Operationen bringen keine Besserung, da das Knie zum Überfluss auch noch von Tuberkulose befallen wird. Die Mutter fährt mit ihr nach Leysin in der Schweiz, einem Ort mit internationalen Ruf in puncto Behandlung von Tuberkulose, wo sie in den nächsten zwei Jahren kuriert werden soll. Unterrichtet wird sie von einem Privatlehrer.

Während dieses Aufenthaltes im Sanatorium liegt sie mit ihrem eingegipsten Bein in einem Streckverband, lernt Französisch, entwickelt eine Leidenschaft für französische Literatur und liest die Werke von André Gide, Marcel Proust und Louis-Ferdinand Céline. Letzteren lernt sie auf der Rückreise in die Vereinigten Staaten sogar kennen. Bei ihrer Heimkehr verkündet sie dann: "Ich bin Autorin und möchte schreiben." In ihrem Rückreisegepäck führt sie zusätzlich eine ebenso intensive Reihe von Obsessionen, Ängsten & Unsicherheiten mit sich.

Die junge Jane - zierlich, jungenhaft, mit katzenartigen Gesichtszügen und einem lockigen und widerspenstigen roten Haarschopf, üppigen, rot geschminkten Lippen und Zähnen, die zu groß für ihren Mund zu sein scheinen, einem steifem Bein und sehr, sehr lustig –  zieht nun durch die Salons von Greenwich Village, kubanische Zigarren rauchend. Der Komponist Virgil Thomson sagt einmal über sie: "Die Leute liebten sie. Aber was sie interessierte, wusste niemand." 

Obwohl: Ihre Schwärmereien für Frauen, ihre leidenschaftliche Romanzen mit diesen bleiben nicht unentdeckt, auch nicht in ihrer Familie, bestehend aus lauter temperamentvollen Tanten und der Mutter. Die hätten sie gerne verheiratet gewusst und stellen sich auch sonst die Frage, wie eine mögliche berufliche Zukunft aussehen könnte. Die Mutter meldet sie für einen Schauspielkurs an, den Jane nach wenigen Tagen abbricht. Genauso läuft es mit einem Schreibmaschinenkurs. Jane verfasst jedoch einen Roman in französischer Sprache mit dem Titel "Le Phaéton Hypocrite" ( bis heute ist das Manuskript nicht aufgetaucht ). Auf jeden Fall wird Jane modisch ausgestattet, um einen geeigneten Heiratskandidaten aufzutun.
"Mutter dächte nicht daran, sich meinem Glück in den Weg zu stellen -, und daß dieser lesbische Kram bloß eine jugendliche Phase sei (Jugend geht in unserer Familie von sieben bis dreiunddreißig) und daß ich, wenn ich nur nicht so analytisch veranlagt wäre, bestimmt damit aufhören würde -, und sollte ich wirklich lesbisch sein, würden sie Geld für mich auftreiben und mich in einem eigenen Privatbus zum Village verfrachten (…), aber das sei ich nun absolut nicht, darum dürften sie mich nicht ins Verderben rennen lassen! Tante Flo empfahl 130 Männer zusätzlich, um mich auf die rechte Bahn zu bringen – Tante Connie 135. Dasselbe Mittel scheint gut zu sein für dich und die Lesben -, wie ein magisches Wässerchen oder Aderlaß im Mittelalter."  ( Quelle hier )
Aufgrund ihrer Behinderung und ihrer sexuellen Neigung bezeichnet sich Jane selbst als "Crippie the Kike Dyke". Und Jane is wie ihre Heldinnen in "Zwei sehr ernsthafte Damen" von der Idee der Sünde besessen. "An mir ist nichts Originelles außer einer kleinen Erbsünde", schreibt sie 1929 an eine Freundin. Sie ist fasziniert von der Asketin Simone Weil ( siehe auch dieser Post ): Von Jugend an liest sie jeden Abend vor dem Einschlafen Weils "Waiting for God".

1937 lernte Jane Paul Bowles kennen, ein bissiger Typ, Komponist, sieben Jahre älter als sie und mit einem Namen in der New Yorker Szene. 
Paul Bowles, am 30.12. 1910 in New York geboren und auf Long Island aufgewachsen, ist der Sohn eines tyrannischen, antisemitischen und frustrierten Vaters, der lieber Geiger als Zahnarzt geworden wäre. Mütterlicherseits gibt es jüdische Wurzeln. Bereits als Teenager veröffentlicht Paul Gedichte im französischen Avantgarde-Magazin "transition". Er verlässt die University of Virginia nach einem Semester, lebt dann ab April 1929 immer wieder in Paris, studiert dort Komposition bei Aaron Copland und lernt Gertrude Stein ( siehe auch dieser Post ) und viele andere Schriftsteller kennen. Immer ein Nomade, reist er in seinen Zwanzigern viel durch Europa, Nordafrika und Mittelamerika und komponierte Konzertwerke, immer etwas hypnotisch wirkend, für Ballett, Theater und Film. Paul - blauäugig, schmächtig und elegant - legt normalerweise eine ungewöhnliche Distanziertheit und mangelnde Bereitschaft, sich emotional zu engagieren, an den Tag und wirkt immer etwas abwesend. 
Warum sie ihn gegenüber einem Bekannten nach der ersten Begegnung als ihren Feind bezeichnet, habe ich nicht herausgefunden. Aber folgende Aussage ihrerseits könnte das klären: "Paul und ich sind so unvereinbar, dass wir in einem Museum sein sollten." Offensichtlich gilt bei den beiden der Spruch von den sich anziehenden Gegensätzen:
 
Jane ist als Kind mehr als verwöhnt worden, Paul unterdrückt und misshandelt; sie ist kindlich, er väterlich. Sie  ist extravagant-großzügig, er geht vorsichtig mit Geld um. Jane zeigt ihre Gefühle und gerät öfter außer Kontrolle, er verbirgt sie und ist diszipliniert. Bleibt sie unbeständig und abhängig, zeigt er sich zurückhaltend und in sich geschlossen. Jane hat ständig Angst, Paul hingegen liebt schreckliche Situationen. Sie ist die Entertainerin, er Beobachter & das perfekte Publikum für ihre schrägen Darbietungen. Sie trinkt viel, hasst aber Drogen, er trinkt nicht, raucht aber ständig Haschisch und betrachtet die Verwendung desselben als unerlässlich für sein kreatives Schaffen. Jane lebt gerne an einem Ort, bewegt sich nur ungern und ist am glücklichsten in vertrauter Umgebung. Paul liebt unterdessen exotische Orte, ist rastlos und begierig darauf, zum nächsten Ort weiterzuziehen. Wird sie ständig von Selbstzweifeln gequält, bleibt er ruhig und selbstbewusst. Jane, faul und verantwortungslos, mag das Schreiben nicht; Paul, fleißig und gewissenhaft, gefällt es, und sie ärgert sich später über seinen Erfolg, als er sie überholt. Jane lebt gerne wild & sexuell promiskuitiv (die meisten ihrer Affären sind demütigende Katastrophen), Paul wiederum verhält sich übervorsichtig in Bezug auf sein Sexualleben. Unglücklich, hysterisch und eifersüchtig, das ist Jane, während er geduldig, ausgeglichen und normalerweise ziemlich tolerant ist. Jane wird aber diejenige sein, die es Paul in Zukunft ermöglichen wird, seine eigenen Emotionen freizusetzen, die er bis dahin immer unterdrückt hat. 

1944
Auf jeden Fall drängt sie sich alsbald, nachdem sie von seinem Vorhaben erfahren hat, mit einem niederländischen Paar nach Mexiko zu reisen, als Reisebegleitung auf. Beginnt die Fahrt zunächst ausgelassen, entwickelt sie sich schließlich zu einem reinen Desaster. Kaum in Mexiko angekommen, bekommt Jane heftigen Durchfall, fällt sie ihren Ängsten bezüglich der Berge, schwindelnder Abgründe, Gewitter u. ä. anheim, kauert sie sich in der hintersten Ecke des Busses zwischen indianische Bauersfrauen und ihren Hühnern auf dem Boden. In Mexico-City angekommen, gibt es in dem einzigen Hotel, dass für Jane annehmbar ist, kein freies Zimmer mehr. Kurzentschlossen setzt sie sich ins Flugzeug und fliegt zurück, ohne sich von ihren Reisegefährten zu verabschieden. Was sie von dieser Reise allerdings mitnimmt, ist die Gewissheit, dass sie sich zu dem sensiblen, aber distanzierten Paul hingezogen fühlt.

Am 21. Februar 1938 – ein Tag vor Janes 21. Geburtstag – heiraten die Beiden. Janes Mutter hat ihre eigenen Pläne bezüglich der Tochter aufgegeben und will sich endlich auf ihren eigenen Verlobten konzentrieren und heiraten und stimmt der Ehe zu. Pauls antisemitischer Vater dagegen ist wütend auf seinen Sohn, weil der eine verkrüppelte Jüdin ehelicht. 
"Wir haben 1938 geheiratet und es wäre uns nicht möglich gewesen, zusammen zu reisen, wenn wir nicht verheiratet gewesen wären. Sie war Jungfrau und konnte es sich nicht vorstellen, unverheiratet mit einem Mann zusammenzuleben", sagt Paul 1993 in "Conversationen".
Die Hochzeitsreise führt nach Panama und Costa Rica. Jane, die ja wie nun bekannt, nicht gerne reist, erlebt Abenteuer, die sie später in ihrem Roman verarbeiten wird. Von Mittelamerika reisen sie anschließend nach Paris, wo Jane ihren üblichen Exzessen frönt, was Paul missfällt, und er sich nach Südfrankreich absetzt. Nach einem halben Jahr fahren sie aber wieder gemeinsam nach New York, wo auf ihn Arbeit wartet.

Das "February House"-
Künstlerkommune während des 2. Weltkriegs
Sie leben jetzt sowohl zusammen als auch getrennt im Chelsea Hotel in der West Thirteenth Street und in einem Brownstone-Haus in Brooklyn Heights, dem sogenannten "February House", das sie mit zwei homosexuellen Dichtern (W. H. Auden und Chester Kallman), einem homosexuellen Komponisten und Sänger (Benjamin Britten und Peter Pears), einer alkoholabhängigen Schriftstellerin (Carson McCullers - siehe auch dieser Post ), dem zweiten Sohn des berühmten deutschen Autors Thomas Mann,  Golo, einem schwarzen Schriftsteller (Richard Wright) und seiner Familie und einer Burlesque-Tänzerin, die einen Roman schreibt (Gypsy Rose Lee), teilen. Auch Lotte Lenya ( siehe dieser Post ) und Kurt Weill schlüpfen eine Weile dort unter während ihres Exils. 

Für einen kurzen Moment während des Zweiten Weltkriegs wird das sonst unauffällige Haus in der Middagh Street 7 in einem etwas anrüchigen Block in Brooklyn Heights, in dem die Bowles leben, zu einem Epizentrum europäischer und amerikanischer Kultur. Jane übernimmt übrigens in dieser Zeit die Schreibarbeiten für W.H. Auden, den sie bewundert und von dem sie erhofft, für ihr eigenes Schreiben zu profitieren und mehr Schreib - Disziplin zu gewinnen.

Es besteht kein Zweifel, dass die Bowles eine extravagante Ehe führen. Es ist nicht nur Jane, die durch die Gewässer der sexuellen Ambiguität navigiert: Paul fühlt sich zu Männern hingezogen, obwohl er sich große Mühe gibt, es nicht explizit zu machen. Die sexuelle Natur ihrer Beziehung endet nach nur einem Jahr. Ab da pflegen Paul und Jane eine offene Ehe.

Im Sommer 1940 begleitet Jane ihren Mann wieder nach Mexiko. Dort lernt sie in Taxco die 45 Jahre alte Schweizerin Helvetia Perkins kennen, eine unkonventionelle Frau mit strengen Maßstäben, die sich sehr früh von ihrer gutbürgerlichen Herkunft gelöst und nach kurzer Ehe ihre Tochter allein erzogen hat. Diese "Rebellin" wird nun Janes Geliebte. Sie wohnen zeitweise in Vermont zusammen. Da Helvetia sehr dominant ist, bleibt auch in dieser Beziehung der Streit nicht aus. Jane verarbeitet ihre Erfahrungen in dem Puppenspiel "Ein streitendes Paar". 

Helvetia ist neben Paul und ihrer Mutter auch Janes erster, publizierter Roman "Two Serious Ladies" gewidmet, den sie 1941 fertigstellt, der aber erst zwei Jahre später veröffentlicht wird. Kurz vor der Veröffentlichung hat Jane nach einem Streit mit Helvetia versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Diesen Selbstmordversuch verschweigt sie Paul. 
Die zwei Damen, das sind die exzentrische, abenteuerlustige Christina Göring und die ängstliche, aber ebenso unternehmungslustige Mrs. Copperfield, die sich auf einer Party kennengelernt haben. Die Zwei, Mitte dreißig, streben nach Lebensglück und Selbstverwirklichung und wollen sich nicht länger durch Konventionen und Rollenerwartungen einschränken lassen. Also machen sie sich auf die Suche nach Erlösung & weiblicher Autonomie: Mrs. Copperfield besucht mit ihrem Mann Panama, wo sie letztendlich Trost bei einer Frau findet, die in einem  Bordell lebt und arbeitet, während Fräulein Göring sich mit verschiedenen Männern einlässt. Am Ende treffen sich die beiden Frauen wieder, jede durch ihre Erfahrung verändert. Sie konstatieren, dass ihr neues Leben auch keine Erfüllung ist. Mysteriös, tiefgründig, anarchisch und sehr lustig, sagen die einen zu dem Buch, Dieter Wunderlich findet, dass es ein bizarrer Frauenroman mit einer ganz eigenen Art von Humor ist.

Die Rezensionen des Buches sind auch bei seinem Erscheinen 1943 hauptsächlich negativ. Jedoch lässt sich Jane dadurch noch nicht entmutigen. Paul schickt das Buch an Tennessee Williams, der ein donnerndes Urteil fällt: "Mein Lieblingsbuch! Für mich gibt es keinen modernen Roman, der eher zum Klassiker wird." Inzwischen gilt das Werk als Ikone der lesbischen Literatur, eine Tatsache, die aber eher mit dem Leben der Autorin als mit dem Atem ihrer Texte zu tun hat. Die von Jane erschaffenen Frauen bilden jedenfalls den Auftakt zu der modernen Frau, die alsbald in die Nachkriegswelt einbrechen wird, Präfeministinnen, die von der Sinnlosigkeit ihres Daseins als richtige "Damen" gequält werden, dem Gewöhnlichen entfliehen, intensive Situationen erleben, aber auch die Absurdität ihres Tuns wahrnehmen.

Jane mit Truman Capote links von ihr und Paul Bowles rechts
( Tanger 1949 )

Ein paar Jahre nach der Veröffentlichung ihres Romans kehrt Jane mit einem kleinen Erzählband mit dem Titel "Simple Pleasures" in die Arena zurück, der einige unvergessliche Perlen enthält, wie "Camp Cataract", laut Truman Capote "die komische Darstellung eines katastrophalen Schicksals".

1947 greift Paul den Vorschlag von Gertrude Stein auf, sich in Tanger niederzulassen, jener Hafenstadt in Marokko, in der Künstler, Piraten, Picaros wie Spießer, Homosexuelle, ehemalige wie echte Aristokraten, und als Könige verkleidete Bettler seit Jahrhunderten Zuflucht gefunden haben und zu diesem Zeitpunkt bis zur marokkanischen Unabhängigkeit 1956 eine kosmopolitische, internationale Enklave, in der Drogen und Sex für wenig Geld zu haben sind, frei von all dem amerikanischen oder europäischen Puritanismus. 

Jane bleibt erst einmal ihrem Charakter treu und kann sich nicht aufraffen, sich Paul anzuschließen: "Ich bin sicher, das arabische Nachtleben würde mich nicht im Geringsten interessieren. Wie Sie wissen, halte ich diese Rennen in keiner Weise für üppig oder aufregend", schreibt sie in einem Brief zum damaligen Zeitpunkt. 

1948 folgt sie ihrem Mann dann doch zusammen mit ihrer aktuellen Geliebten Cory ( die nicht lange bleiben wird ) und erwirbt sich peu à peu den Ruf, eine Art ansässige literarische Muse zu sein. Tennessee Williams, der sie mehrmals besucht, bezeichnet sie als "die wichtigste Autorin von Prosa in der modernen amerikanischen Literatur“. Truman Capote bezeichnet sie als "diesen genialen Kobold, diesen lachenden, urkomischen, gequälten Elf". Gore Vidal wiederum äußert sich über das Ehepaar Bowles: "Sie waren berühmt unter denen, die berühmt waren.

Tanger avanciert in ddieser Zeit zum Hotspot der Beatniks, und obwohl anfangs so skeptisch, genießt Jane nun doch ihr neues Leben in Nordafrika. Sie ist jetzt auch darauf aus, in die unzugängliche Welt von Tanger einzudringen. 

Ganz rechts Truman Capote, links von ihm Paul Bowles
So geht sie schließlich eine fatale Beziehung zu einer Marokkanerin ein, die ihr Mann verabscheut, und die Jane nach Strich und Faden ausnutzt. Cherifa ist Getreideverkäuferin, Analphabetin, mit einem Aussehen wie eine Gorgona, knapp zwanzig Jahre alt.

Pauls Arbeit blüht hingegen in Tanger auf. Er verlässt den musikalischen Pfad, um nur noch zu schreiben. Seiner Meinung sei das persönlicher als seine Arbeit mit Musik. Sein erster Roman "The Sheltering Sky" von 1949 ist ein großer Erfolg. Er gibt allerdings auch zu, dass er den Zugang zur Schriftstellerei der Zusammenarbeit mit seiner Frau verdankt.

Jane hingegen verbraucht bald ihre ganze Energie, um zu kämpfen: gegen ihre Schreibhemmung ( 1949 verfasst sie ihre letzte Erzählung "Ein grüner Lutscher"), gegen das Gefühl der Sünde, gegen den Alltag, gegen die Furcht, schließlich gegen die Krankheit, gegen den Wahnsinn. Verzweifelt versucht sie, von einer Kultur akzeptiert zu werden, die weit von ihrer eigenen entfernt ist. Sie lernt ihrer Freundin zuliebe den schwierigen, gutturalen marokkanischen Dialekt des Arabischen,  um diese besser zu verstehen. Die Beziehung ist seltsam, kaum sexuell, es geht hauptsächlich um gegenseitige Bedürfnisse: Jane wünscht sich Akzeptanz, Cherifa Geld.

In Tanger findet nicht nur Jane eine neue Liebe, sondern auch Paul arabische Liebhaber, die ihre Gefühle voneinander weg und hin zu ihrem jeweilig neuesten Schwarm verlagern. Cherifa ist berüchtigt für ihre schwarze Magie und unersättliche Gier, ihre Liebe zu Alkohol und wilden Wutausbrüchen. Der sonst so sanftmütige Paul über sie: "Cherifa trägt immer ein Klappmesser, um jeden Mann zu kastrieren, der ihr guten Abend sagen könnte. Ich habe noch nie eine Frau gekannt, die Männer so heftig hasste. Und immer bin ich entsetzter über sie als zuvor." Sie leben in ihrer kleinen Wohnung in Tanger zusammen mit Cherifa und ihre beiden Dienstmädchen. Paul gelingt es nicht, Cherifa aus ihrem Haushalt zu vertreiben.

Sein zweiter Roman "Let It Come Down" von 1952 zeichnet indirekt ein äußerst negatives Porträt von Jane: Eunice Goode, eine berüchtigte Lesbe, humpelnd, grotesk und betrunken, die sich unverschämt benimmt und peinliche Szenen provoziert und dazu noch als Schriftstellerin "gelähmt" ist. Diese Eunice nimmt eine arabische Frau auf, die der bösartigen Cherifa sehr ähnlich ist und die von ihr rücksichtslos Geschenke und Geld erpresst. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht rein zufällig.
Irgendwann mal schreibt Jane: "Es ist mir völlig egal, wegen meines Geldes gemocht zu werden (...) Ich habe das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, absolut alles, aber vielleicht, egal, etwas Schönes passiert (…)." 
Anfang der fünfziger Jahre kehrt sie noch einmal für einige Monate nach New York zurück, um den Proben für ihr Theaterstück "In the Summer House" beizuwohnen. Der letzte Akt wird von ihr immer wieder umgeschrieben. Nach den Premieren in New York und Michigan sind die Kritiken schlecht.
 
Wieder in Tanger begleitet Jane 1954 Paul und seinen Freund, den marokkanischen Maler Ahmed Jacoubi, nach Ceylon, wo Paul eine kleine Insel gekauft hat. Aber Jane kommt mit dem Klima dort nicht klar und kehrt nach Marokko zurück.

Dort lebt sie wieder mit Cherifa, die offiziell als Hausangestellte in ihrem Haus wohnt. Janes Abhängigkeit vom Alkohol nimmt inzwischen besorgniserregende Züge an. Zudem hat sie einen sehr hohen Blutdruck und nimmt dagegen Medikamente. Die Tabletten in Kombination mit dem Alkohol lassen nichts Gutes erwarten. 



Rund um ihren vierzigsten Geburtstag erleidet Jane Bowles den brutalsten ihrer Abstürze: Ein Schlaganfall macht sie unfähig zu lesen und zu schreiben und beendet ihre literarische Karriere für immer. Es geht das Gerücht um, Cherifa habe einen bösen Zauber auf sie ausgeübt. Paul glaubt an eine Vergiftung mit irgendwelchen Drogen. Zurück bleibt eine Aphasie und eine Einengung des Gesichtsfeldes nach rechts, was sie mit ihrer lebenslangen Kurzsichtigkeit noch mehr beeinträchtigt. Außerdem hat sie immer wieder epileptische Anfälle. 

Ihr Mann wird aus Asien zurückgerufen und reist zweimal zur medizinischen Behandlung mit ihr nach England, wo sie in einer psychiatrischen Klinik in Northampton untergebracht wird. Dort wird sie einer Elektroschocktherapie unterzogen, die tatsächlich ihr Sprachvermögen verbessert und die epileptischen Anfälle reduziert. In Marokko bleiben sie anschließend wegen politischer Unruhen nicht lange und ziehen sich vorübergehend nach Madeira zurück. Auch reist Jane in die USA, wo ihr ihre Mutter eine weitere Behandlung in einer psychiatrischen Klinik für drei Monate verschafft.
1960 schreibt sie dann wieder aus Tanger an eine Freundin: "Meine Hauptsorge ist meine Arbeit, vor allem: Habe ich überhaupt eine? Kann ich je wieder eine haben? Ansonsten gibt es nichts Neues, außer dass ich nicht immer weiß, was Folge eines Schlaganfalls ist und was die Schreibblockade. Ich weiß, dass manches definitiv vom Schlaganfall herrührt, bei anderem bin ich mir nicht sicher."
1965 kommt noch einmal ein Buch mit Erzählungen von ihr heraus: "Plain Pleasures" ( aus Deutsch: "Kleine Freuden" 1985 ).

Ihrer geistigen Fähigkeiten beraubt, sind Janes letzte Jahre eine traurige Nachahmung jener Isolation, vor der sie sich immer gefürchtet hat. Sie hat Schwierigkeiten, Dinge zu sehen und sich vorzustellen. Das Einerlei ihres jetzigen Alltags bringt sie in eine depressive Stimmung. Sie trinkt wieder und verweigert das Essen und die Tabletteneinnahme, äußert den Wunsch zu sterben. Paul ist ihr Hauptpfleger und findet nicht einmal mehr Zeit, einen Brief zu schreiben geschweige denn so etwas wie eine normale Existenz zu führen. Dadurch werden die sechzehn Jahre nach dem ersten Schlaganfall sowohl für Jane als auch für Paul die reine Hölle. Unerträglich wird auch das Leben an der Seite von Cherifa, der Jane ihr Haus in Tanger vermacht hat. Hinzu kommt, dass Paul - begründet - Angst vor den marokkanischen Behörden hat: Nachdem Jane ihr Geld und ihre Kleidung verschenkt hat, stellt sie ungedeckte Schecks aus, was in Marokko als Verbrechen gilt. Das Konto läuft auf Pauls Namen...

Jane's Grab
Auf Dauer ist das alles nicht zu ertragen, und Paul bringt Jane 1967 in eine psychiatrische Klinik in Málaga. Dort bekommt sie wieder Elektroschocks. Immer wieder fleht Jane ihren Mann an, sie nach Hause zu holen. Nach vier Monaten in Tanger muss sie jedoch wieder zurück ins Krankenhaus, die Clinica de los Angeles bei Málaga. Dort konvertiert Jane zum katholischen Glauben und stirbt - inzwischen gelähmt und blind - nach einem dritten Schlaganfall am 4. Mai 1973, heute vor 50 Jahren. Sie wird auf dem Cementerio de San Miguel Málaga bestattet. 

Nach dem Tod Janes fehlt Paul Bowles der Anreiz, originelle Werke zu schaffen: "Ich muss nichts mehr machen, um ihr etwas zu zeigen, was ich tat, solange sie lebte." Und weiter: "Ihr Tod war ein furchtbarer Schlag für mich, ich verlor die Hälfte meiner selbst. Ich hatte auf nichts mehr Lust; ich hörte auf zu reisen." Sie ist seine Muse, Impulsgeberin und Zuhörerin gewesen, und tatsächlich wird er bis auf wenige Ausnahmen nur noch in Tanger bleiben bis zu seinem Tod 1999 mit achtundachtzig Jahren.

Jane Bowles Bücher sind keine Lektüre "so nebenbei" z.B. bei einer Bahnfahrt. Die Rezeption ihres ohnehin schmalen Werkes verlief in Deutschland in zwei Wellen mit einem Höhepunkt in den 1980er Jahren, dem zweiten zu Beginn der zweiten Dekade des neuen Jahrhunderts, als der Schöffling Verlag in Frankfurt eine Gesamtausgabe in neuer Übersetzung herausgibt. Millicent Dillons Biografie "Jane Bowles. Lauter kleine Sünden" ist dazwischen 1993 in Deutschland erschienen, nachdem durch die Verfilmung von "Der Himmel über der Wüste" das Interesse am Schriftsteller - Ehepaar Bowles geweckt worden war. Elke Heidenreich hat Janes "Zwei sehr ernsthafte Damen" in ihre Brigitte - Edition von 2006 als Band 7 aufgenommen.

"Was mich glücklich macht, scheine ich mit beiden Händen vom Himmel zu holen; Ich halte nur das, was ich liebe, denn das ist alles, was ich wirklich sehen kann", hat Jane Bowles ihren "Serious Ladies" in den Mund gelegt. Eine Einstellung, die mir im fortschreitendem Alter immer wichtiger wird.





3 Kommentare:

  1. Ein echt heftiges Leben einer sehr außergewöhnlichen Frau. Bislang kannt ich ihren Namen noch nicht. Danke für das tolle Portrait.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  2. Gänzlich unbekannt war sie mir. Solch ein aufregend-anstrengendes Leben kann nur kurz sein, denke ich. Da brennt die Kerze an beiden Enden und schnell herunter... Wen sie alles kannte und mit wem sie befreundet war und noch dazu, wo sie überall lebte, wirklich ein außergewöhnliches Leben, selbst in Künstlerkreisen.
    Dass sie solch vergiftete Beziehungen gelebt hat wie mit Cherifa, finde ich besonders tragisch.
    Auf jeden Fall eine fulminante Lektüre heute Dein Portrait von ihr!
    Danke sagt herzlich, Sieglinde

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  3. ein außergewöhnliches Leben ..
    ich sehe das wie Sieglinde..
    da hat die Kraft für länger nicht gereicht
    sie war wohl immer auf der Suche nach etwas
    und hat es nie gefunden
    ihr Schicksal berührt
    liebe Grüße
    Rosi

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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