Donnerstag, 16. Dezember 2021

Great Women #283: Käthe Augenstein

Die heutige Great Women habe ich selbst vor ungefähr sechzig Jahren kennengelernt. Ich muss allerdings gestehen, dass mich das Haus, in dem sie ihr Atelier hatte, sehr viel mehr fasziniert hat, und zwar auf Dauer, denn es lag ganz am Anfang unserer Straße, direkt an den Gleisanlagen der Bahn. Ihre Fotos von mir besitze ich noch, hinten drauf mit ihrem Stempel. Heute geht es also um die Fotografin Käthe Augenstein, deren Geburtstag sich in vier Tagen zum 122. Male jährt.



"Man sollte nicht in seine Heimatstadt zurückgehen."

Käthe Augenstein kommt am 20. Dezember 1899 als Katharina Christine Augenstein in Kessenich, ab 1904 ein Stadtteil von Bonn, in einer gutbürgerlichen Familie zur Welt. Sie ist das jüngste Kind von  Helene Augenstein, 29 Jahre alt, und ihrem ein Jahr älteren Ehemann Joseph Augenstein, einem Bierhändler, seit 1895 verheiratet und schon vorher mit zwei Töchtern gesegnet, Maria (*1896) und Josefine Helene (*1898).

Die Augensteins sind vor Käthes Geburt von Koblenz nach Bonn gezogen, damals eine der vier reichsten Städte Preußens. Zunächst wohnt die Familie noch sehr beengt in Kessenich zur Miete, kann aber schon bald nach Bonn-Poppelsdorf ziehen und einen Bierhandel dort etablieren. 1902 beginnt der Vater mit dem Bau eines repräsentativen Wohn- und Geschäftshaus in der Argelanderstraße 95, heute noch im Besitz der Familie. Dort wächst Käthe ab 1903 auf und besucht nach der Volksschule das Bonner Mädchen - Lyzeum, die spätere Clara-Schumann-Schule. Sie ist allem Musischen gegenüber aufgeschlossen, auch angeregt durch die Schwester Josefine, die als großes künstlerisches Talent gilt, liest gerne und begeistert sich fürs Kino. Die Eltern unterstützen die Interessen ihrer beiden Töchter. Schon als junges Mädchen interessiert Käthe sich auch für Fotografie und bekommt eine eigene Plattenkamera. Im Anschluss an ihre Schulausbildung absolviert sie eine fotografische Grundausbildung in einem Bonner Fotoatelier.

Der 1. Weltkrieg greift auch in das Leben der Augensteins ein, doch kann der Vater sein Unternehmen durch die wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten bringen. Käthe verlässt mit 18 Jahren das Elternhaus, um an der Front zu Frankreich freiwillig beim Postüberwachungsdienst mitzumachen - wahrscheinlich eine kleine Flucht aus den einengenden gutbürgerlichen Verhältnissen als höhere Tochter. Dort lernt sie ihre lebenslange Freundin Tiny Frey kennen, der späteren Ehefrau des Bonner Malers Will Wanzer. Während dieser Zeit setzt sich Käthe intensiv mit ihren fotografischen Arbeitsergebnissen auseinander, fotografiert vor allem die Menschen um sich herum, eine Präferenz für Porträtaufnahmen zeigt sich also damals schon. Von ihrem Einsatzort verschickt sie  Postkarten mit selbstfotografierten Motiven.  

Kurz nach dem Luftangriff auf Bonn am 31. Oktober 1918 kehrt sie ins Elternhaus zurück. Die bald einsetzenden gesellschaftlichen Umwälzungen werden auch die junge Fotografin nicht unberührt lassen. Wie selbstverständlich bewegt sie sich bald in der recht intimen Bonner Künstlerszene. Künstlerisch-ästhetisch beeinflusst sie am meisten der  expressionistische Maler Hans Thuar, elf Jahre älter als Käthe. 

Hans Thuar: Selbstporträt
(1903)
Thu­ar ist geprägt von einem Unfall mit elf Jahren am Kölner Habs­bur­ger­ring, bei dem er bei­de Bei­ne verloren hat. Wäh­rend der fast ein­jäh­ri­gen Ge­ne­sungs­pha­se ist es sein Freund August Ma­cke gewesen, der durch sei­ne fast täg­li­chen Be­su­che im Kran­ken­haus in dem de­pres­si­ven Jun­gen neu­en Le­bens­wil­len zu we­cken ver­moch­t hat. Ma­cke ist es auch, der Thu­ars Werk in die Kunst­sze­ne in­te­grier­t hat, eine Ausbildung als Maler bei Lo­vis Corinth ( siehe auch dieser Post ) hat der 1908 abgebrochen. Nach dem 1. Weltkrieg bewohnt Thuar mit seiner Familie die so­ge­nann­te Wil­helms­burg, einen alten Hof in in Schwarz­rhein­dorf ( heu­te zu Bonn gehörig ), der sich schnell zum Treff­punkt entwickelt für Freun­de aus Kunst und Wis­sen­schaft, die den Künst­ler und sein Werk fi­nan­zi­ell durch Auf­trags­ar­bei­ten unterstützen.

Durch Thuar kommt die bis dahin noch weitgehend dem Ideal der höheren Tochter entsprechende Käthe Augenstein in Kontakt mit einer "Welt fernab provinzieller Bürgerlichkeit" ( Sabine Krell ). "Sie findet Aufnahme in dessen Zirkel und verkehrt von nun an mit Menschen außerhalb des gewohnten konservativen Umfeldes der väterlichen Biergroßhandlung. Hier werden ihre philosophischen, künstlerischen und kreativen Ansichten neu ausgerichtet und ein Interesse für Politik und Psychologie geweckt." ( Quelle hier ) Unter ihren Freunden befinden sich auch der Cousin von August Macke, Helmuth Macke, der zweite Ehemann von Mackes Witwe Elisabeth, der Journalist Lothar Erdmann, Maler wie Will Wanzer, Matthias Profitlich, Pit Müller, aber auch Wissenschaftler wie Karl Wurm oder Felix Weissenfeld, ein Psychiater. Die Psychologie wird sie ihr Lebtag faszinieren. Thuar fertigt 1923 auch ein - verschollenes - Porträt seiner Freundin nach einer fotografischen Vorlage von ihr.

Die junge Fotografin findet alsbald in Bonn keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr, da die dort ansässigen Fotografen sich rein auf den handwerklichen Atelierbetrieb beschränken. Die künstlerischen Impulse ihrer Freunde lassen in ihr den Wunsch wachsen, nach Berlin zu gehen. Letztendlich eine gute Entscheidung, setzt doch die Metropole in der 27jährigen enorme kreative Kräfte frei. Berlin ist zu jenem Zeitpunkt ein Zentrum des Fotojournalismus und das Kultur- & Geistesleben teilweise sehr avantgardistisch. Die materielle Situation der Familie Augenstein ermöglicht Käthe trotz der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Weimarer Republik in der Hauptstadt eine "vergleichsweise angenehme Lebenssituation".

Sie wohnt zur Untermiete unweit des Nollendorfplatzes, ganz in der Nähe des Lette - Vereins, in dessen Photographischer Lehranstalt sie von 1927-29 eine Ausbildung absolviert. Diese ist die älteste, für Frauen zugängliche Fachschule für Fotografie. Käthe besucht dort die Meisterklasse und Spezialkurse. Sie beschäftigt sich mit der Bildreportage, Foto - Montage, Werbefotografie und Kinematographie. 

Auch in Berlin sucht sie den regem Austausch mit der progressiven Künstlerszene und sie findet Gelegenheiten, um sich zu "entspießen". Rein äußerlich entspricht sie nun dem androgynen & emanzipierten "Flapper" ( siehe dieses Foto ) jener Tage wie ihn auch die Bildhauerin René Sintenis verkörpert, die sie porträtiert. In den Künstlerkreisen lernt sie ihren Lebensgefährten, den expressionistischen Maler Werner Scholz, kennen.
Scholz, am 23. Oktober 1898 in Berlin geboren, wird kunsthistorisch der zweiten Generation des deutschen Expressionismus neben George Grosz, Otto Dix und Max Beckmann zugerechnet. Nach einem Studium der Malerei an der Berliner Hochschule für bildende Künste ist er als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg gezogen. An seinem 19. Geburtstag 1917 wird er in Frankreich so schwer verletzt, dass er seinen linken Unterarm infolge verliert, sein Studium ab 1919 aber fortsetzt und nach seinem Abschluss 1920 ein Atelier am Nollendorfplatz unterhält und im Stil des Expressiven Realismus malt. Emil Nolde verhilft ihm zu einer ersten Ausstellung im Märkischen Museum Witten. 1930 erwerben die Nationalgalerie Berlin und das Wallraf-Richartz Museum in Köln Arbeiten des Künstlers

Doch sind, neben Werner Scholz, auch die mit ihr an der Lette-Schule studierenden Frauen wie Frieda RiessMarianne Breslauer, Suse BykLiselotte StrelowElsbeth Heddenhausen - von der später noch die Rede sein wird - und andere wichtig & bestimmend für Käthes Entwicklung, fotografisch wie gesellschaftlich. Außerdem findet sie Kontakt zu Kunstkritikern, der Psychonalytikerin Elisabeth Naef, Musiker*innen, Malern. Werner Scholz unterstützt Käthe bei seinen Ausstellungen, reproduziert seine Gemälde für Ausstellungskatalog & Verkaufszwecke ( nur so sind viele von Scholz am Ende des 2. Weltkrieges verschollenen Werke dokumentiert ). Durch ihn kommt wiederum die bürgerliche Bonnerin in Kontakt zur linken künstlerischen Avantgarde und ihren einflussreichen Galeristen wie den Gebrüdern Karl & Josef Nierendorf, ursprünglich auch aus dem Rheinland stammend.

Drei Jahre nach ihrem Weggang aus Bonn gelingt Käthe Augenstein der Zugang zur Pressefotografie, in der Frauen zur damaligen Zeit kaum anzutreffen gewesen sind. Die Fotografinnen jener Tage sind vor allem bei der Werbung, Mode & Theater und im Porträt zu finden. Am 9. März 1930 notiert Lothar Erdmann, der Mann Elisabeth Mackes, in seinem Tagebuch: "Sie ist Pressefotografin, Freundin von Hans Thuar... Sie erzählte mir von ihrem Beruf."

Berlin ist gegen Ende der Weimarer Republik ein Zentrum des deutschen & internationalen Fotojournalismus. Es erscheinen in der Stadt eine Vielzahl von Illustrierten & Tageszeitungen, so viele, wie nie mehr in der Folgezeit. Die Fotoreportage und das Foto- Essay entwickeln sich zu einem ganz eigenen Genre.

Käthe Augenstein arbeitet ab 1930 als einzige Frau für die Agentur Dephot - Deutscher Photodienst - des Simon Guttmann, ein polyglotter, gut vernetzter Wiener, Mitbegründer der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands 1920 und auch sonst sehr rührig.  Neben Käthe sind dort solche Fotografen wie Robert Capa ( eigentlich Endre Ernő Friedmann, bekannt wegen seiner Fotos vom spanischen Bürgerkrieg ), Umbo, Felix H. Man und Lux Feininger für die Agentur engagiert, die vor allem Bilder an die Redaktionen von Illustrierten liefern, insbesondere die des Berliner Ullstein-Verlages.

Käthe dokumentiert nun wichtige Ereignisse der Zeitgeschichte wie den Gotteslästerungsprozess 1931 gegen Georg Grosz und Wieland Herzfelde. Sie gibt aber auch recht persönliche Einblicke in das Leben der ihr bekannten Künstler. So hat sie das Vertrauen des über 80jährigen Max Liebermann gewonnen, den sie in seinem Atelier am Pariser Platz fotografiert und dabei beweist, dass sie ein Gespür für Menschen hat. Liebermann zeigt sie in der Reportage "Die Altersschönheit des Genialen Menschen. Besuch bei Max Liebermann"- fast schon klischeehaft - als Künstler mit dunklem Gesichtsausdruck, als gebildeten Mann, während sie anderen Künstlern mit modernerem Blick mit dem Fotoapparat begegnet wie bei ihrem Foto von Otto Dix, dessen markante Physiognomie sie aus einer schwarzen Bildecke herauswachsen lässt.  Die Bildhauerin Renée Sintenis fotografiert sie in ihrer androgynen Anmut im Arbeitskittel. Hans Albers verewigt sie mit dem Dramatiker Franz Molnár bei Proben zu "Liliom".Viele Porträts sind leicht unscharf, denn Käthe kommt es auf ein psychologisches Moment an.

Mit dem Fotografen Kurt Hübschmann, ebenfalls bei Dephot, arbeitet sie auch für die Agentur Mauritius und nimmt in dem kleinen Atelier in ihrer Wohnung auch Werbeaufträge wahr. Gegen Ende des Jahres 1932 kommt die Dephot zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass Käthe ein Zubrot gebrauchen kann.

Mit der Machtübernahme durch die Nazis ist es mit der freien Pressearbeit schrittweise vorbei. Auch die Dephot wird erst umbenamt, dann im Oktober 1933 geschlossen und die in der Agentur vorhandenen Fotos beschlagnahmt.

Bundesarchiv
CC-BY-SA 3.0
Viele Freunde und Bekannte Käthes müssen das Land verlassen, darunter auch Guttmann und die Dephot-Kollegen Felix H. Mann und Kurt Hübschmann. Käthe kann noch als freiberufliche Fotografin agieren. Harald Lerchenperg, ein weiterer ehemaliger Dephot - Bildreporter, wird 1937 Chefredakteur der "Berliner Illustrirten Zeitung". Da er Käthes Arbeit schätzt, versucht er sie im Ullstein Verlag, zu dem die Illustrierte gehört, unterzubringen. Im Juni 1937 wird sie dann bei Ullstein als Fotografin eingestellt. Die Tätigkeit garantiert der nunmehr 37jährigen bis Kriegsende ein festes monatliches Einkommen und abwechslungsreiche Aufträge, wenn auch "völkische Borniertheit und provinzielle Brauchtumspflege" eher an der Tagesordnung sind.

Immerhin wird sie vom Verlag - ab 1938 "Deutscher Verlag" - auf Auslandsreisen geschickt, nach Norwegen und Österreich oder zur Unterzeichnung des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts in Moskau, wo sie den Handschlag zwischen Josef Stalin und Joachim von Ribbentrop fotografiert.

Im von Elsbeth Heddenhausen geführten Atelier des Verlages führt Käthe Sachaufnahmen durch, im eigenen Atelier entstehen Porträt- & Werbeaufnahmen, ferner fotografiert sie Architektur & im Theater und nach wie vor Bildreportagen. Im Verlauf des Krieges muss sie die Entwicklung von Farbnegativen übernehmen, da sie als einzige das Verfahren sicher beherrscht. 

Persönlich sind diese Jahre voller Härten: 

Die psychisch kranke Schwester Josefine, untergebracht in der Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen bei Langenfeld ( an der auch der Freund Weissenfeld arbeitet ), wird dort zwangssterilisiert und schließlich in den Rheingau, in die Anstalt Eichberg bei Eltville, verbracht, wo sie im Rahmen der sogenannten wilden Euthanasie Ende Juli 1943 entweder durch Medikamentengabe bzw. Verhungern stirbt, offiziell an Herz-Kreislaufversagen. Der Schwager Emil Feldmann, Ehemann der ältesten Schwester, wird aus dem Polizeidienst entlassen. Und schließlich ist da noch Werner Scholz, dessen Kunst als "entartet" diffamiert und aus öffentlichen Sammlungen entfernt wird, 1937 Ausstellungsverbot erhält und der mit einem Werk in der Schau "Entartete Kunst" in München 1938 vertreten ist. Scholz geht anschließend in die innere Emigration und zieht sich in das Bergdorf Alpbach in Tirol zurück.

Ihre langjährige Freundin Liselotte Kalbitzer kommt wegen der Unterstützung jüdischer Freunde ins Konzentrationslager, ebenso Lothar Erdmann, der Ehemann einer weiteren Freundin, Elisabeth Macke, der in Sachsenhausen 1938 zu Tode gequält wird. 1940 stirbt die Mutter, 1943 der Vater.

In den letzten Tages des 2. Weltkrieges verliert Käthe bei einem Bombenangriff ihren gesamten Besitz, einschließlich Kameras, ihr Archiv und ihre Geschäftspapiere. Ein Großteil der Fotografien ihrer fast 20-jährigen Berliner Karriere sind unwiederbringlich verloren, einen Teil hat sie allerdings schon 1932 zu den Eltern ausgelagert, auch wegen der politischen Brisanz. Ihre "Leica" hat sie retten können, da sie zu diesem Zeitpunkt in Süddeutschland unterwegs gewesen ist. 

Sie übersiedelt nach Bonn, wo ihre Schwester Maria Feldmann im Elternhaus lebt, und kehrt nach Kriegsende nicht mehr nach Berlin zurück und versucht einen privaten wie beruflichen Neuanfang in ihrer Heimatstadt. Wie es ihr persönlich geht, was sie empfindet, wie sie das Erlebte beurteilt - darüber hätte ich gerne etwas erfahren!

Sie scheint allerdings nach wie vor eine gute Netzwerkerin zu sein, denn sie hat alsbald wieder Kontakt zur Bonner Kunstszene und engagiert sich in einer Initiative, zu deren Zielen die Wiederbelebung der bei den Nazis verunglimpften abstrakten Kunst gehört, die Donnerstag - Gesellschaft, die sich im Schloss Alfter trifft. 

Zur Donnerstags - Gesellschaft gehören Hubert Berke, Hann Trier und Joseph Fassbender, lauter rheinische Künstler, deren Arbeiten auch bei uns Zuhause einen Platz haben, aber auch Politiker & Juristen wie der spätere Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, Willi Weber, August Adenauer, Theo Burauen, Wissenschaftler wie der in Bonn bekannte Kunsthistoriker Heinrich Lützeler,  sowie Kunstsammler und -händler, wie die in Köln bekannten Josef Haubrich, Peter Ludwig und Hans Carl Scheibler oder Hildebrand Gurlitt. Von Februar 1947 bis April 1950 werden 34 Veranstaltungen durchgeführt mit bis zu 200 Gästen, darunter viele Schauspieler*innen und Schriftsteller*innen wie Elisabeth Langgässer oder Rudolf Hagelstange. 

Diese Kontakte beleben die Fotografin zunächst, die neben Atelierfotografie auch wieder Pressefotografien für den Ullstein - Verlag anfertigt. Ihr Schwerpunkt liegt nun allerdings auf der Atelierarbeit, die ihre finanzielle Grundlage bildet und für die sie nun auch Lehrlinge ausbildet. Diese Arbeit verschafft ihr den Freiraum für Reisen im In- & Ausland. Doch die Konkurrenz ist groß in der nun Bundeshauptstadt, und Käthe tut sich schwer mit der Fotografen - Innung und ihren Strukturen.

Dennoch ist die Phase bis 1960 eine zweite wichtige Periode in ihrem fotografischen Schaffen. Besonders beliebt ist die Serie aus dem sogenannten "Bonner Studentenbunker" von 1949. Im Stadtteil Poppelsdorf ist nach Kriegsende ein ehemaliger Luftschutzbunker in ein Studentenwohnheim umgewandelt worden. Trotz fensterloser Räume und einer Gebäudetemperatur, die der eines modernen Kühlschranks entspricht, ist der Bunker unter Studenten beliebt, denn er bietet mehr Freiheiten als die untervermieteten Studentenbuden mit rigiden Wirtinnen. Käthe Augenstein hält sowohl die einfachen Wohnverhältnisse, aber auch das gesellige Zusammensein fest.

Es gelingt ihr auch, sich mit ihrem besonderen Stil als Porträtistin zu etablieren, besonders in dem durch den Haupstadtstatus neu geschaffenen Kundenkreis an Politikern und anderen Persönlichkeiten in Wissenschaft und Kultur. Sie porträtiert politische Größen wie Carlo Schmid und den Nobelpreisträger Max Planck. Auch erhält sie offizielle Aufträge vom parlamentarischen Rat, dem Düsseldorfer Landtag und verschiedenen Ministerien. 
"Ihr starkes Interesse an Psychologie führte dazu, dass sie sich in ihrer Freizeit eingehend mit diesem Themengebiet beschäftigte. Die Einsichten, die sie dabei über die Grundzüge des menschlichen Verhaltens und Empfindens gewann, konnte sie sich bei ihrer Porträtfotografie im Umgang mit dem jeweiligen fotografischen Modell zunutze machen. Dabei war es ihr wichtig, individuelle Charakterstudien zu erarbeiten. Den Fokus legte sie dabei wesentlich auf die Augen, denen besondere Ausdruckskraft sie einzufangen bemüht war. Andere Porträtaufnahmen waren dadurch gekennzeichnet, dass sie die Umgebung der zu fotografierenden Person in das Bild integrierte. Auf diese Weise wollte sie eine ausdrucksstarke Atmosphäre schaffen, die den Charakter der darzustellenden Person in ihrem alltäglichen oder beruflichen Umfeld hervorhob." ( Quelle hier )
Doch so richtig Kapital zu schlagen aus ihren Talenten, das will ihr nicht so recht gelingen. Gegen Ende der 1950er Jahre hat sie eine Krise, denn an ihre Berliner Fotografinnenzeit kann sie nicht mehr anknüpfen und die Routinearbeit im Atelier liegt ihr gar nicht. Neuanfang und Aufbruch finden nur noch vereinzelt, wie beispielsweise mit dem Porträt von Maximilian Schell von 1955 oder dem der "Argentinierin" von 1957, einen künstleri­schen Ausdruck.

Bonn ist ihr nach eigener Aussage ein Alpdruck, den Beruf als Handwerk erlebt sie als Fessel der eigenen Kreativität. Trotzdem bleibt sie bis zu ihrem 72. Lebensjahr berufstätig, allerdings auch, weil sie wie viele Fotograf*innen geringe Rentenanwartschaften aufzuweisen hat.

Schließlich zwingt sie ein Augenleiden zur Aufgabe. Ihre weiteren Lebensjahre verbringt sie bei verschlechternder Gesundheit im Elternhaus in der Argelanderstraße, ab 1980 dann in einem Altersheim. Dort stirbt sie am 29. Dezember 1981, wenige Tage nach ihrem 82. Geburtstag.

2011 stellt das Bonner Stadtarchiv, in dem ihr Nachlass verwahrt wird, erstmals ihre Werke in einer Einzelschau aus und veröffentlicht ein Buch über die Fotografin. 2013 folgt eine Schau im "Verborgenen Museum" in Berlin. Aufsehen erregt dann aber die Ausstellung in der Liebermann-Villa 2017, die die Fotografin wieder ins Scheinwerferlicht rückt. Aus heutiger Sicht lassen sich Käthe Augensteins Fotografien, vor allem mit ihren Porträts, wie ein Bildatlas der deutschen Geschichte vor und nach dem 2. Weltkrieg „lesen“.

All das war mir als Zehnjährige ( natürlich ) nicht bekannt. Und so hat der heutige Post auch meinen Horizont nicht unerheblich erweitert, weit über die Ecke Endenicher Straße/Herwarthstraße hinaus. Leider ist es - wie bei vielen Fotograf*innen - nicht kostenfrei möglich, hier im Blog Bilder zu zeigen. Eine ganze Reihe Fotos sind hier zu betrachten, für all die, die ich neugierig gemacht habe.








11 Kommentare:

  1. Total interessant, diese Biografie. Sie kannte ja alle!
    Ich kannte sie hingegen überhaupt nicht. Ihre Portraits sind großartig, die wirken bis heute. Was sie für Zeiten erlebt und auch mit der Kamera festgehalten hat, ist wirklich beeindruckend. So schade, dass viele ihrer Fotografien verloren sind.
    Aber, dass Du sogar eine persönliche Beziehung zu ihrem (Eltern-)haus hast, macht alles nochmals interessanter.
    Ich freue mich, sie heute hier kennengelernt zu haben.
    Herzlichst, Sieglinde

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    1. Es ist die Villa, in der sie ihr Fotoatelier hatte, oben auf dem Foto, wo sie mich 1962 mehrmals fotografiert hat, zum Eintritt ins Gymnasium und zur Kommunion. Ich hab die Fotos hier nicht eingestellt, weil mir die rechtlichen Grundlagen nicht eindeutig klar sind. Es gibt ja das Recht am eigenen Bild. Aber das Bonner Stadtarchiv hätte am liebsten auch noch von mir die Aufnahmen, technisch auch noch mit gewissen Ansprüchen. Das war mir dann doch ein bisschen zu viel.
      GLG

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  2. Und wieder ein interessanter und bewegender Lebenslauf, den du uns aufbereitet hast. Ich kannte den Namen gar nicht. Damit war er noch interessanter für mich. Was für ein spannendes Leben, da hätte man sie gern berichten hören. Und dazu deine eigene Erinnerung, was für ein Schatz. Herzlich, Sunni

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  3. Hallo Astrid,

    wieder mal ein extrem interessantes Frauenportrait von dir aus einer vergangenen Epoche, zumindest was ihre Hauptberuftätigkeit ausmacht.

    Wieviel Schmerz und Leid sie erfahren musste. Und wie sie trotzdem weitergemacht hat. Das ist für mich immer mit das Größte, dass Menschen, die solche Schrecken wie die Naziherrschaft miterlebt haben, dennoch nicht zerbrechen. Es hat auch so viele gegeben, die dies nicht geschafft haben.

    Schade, dass du deine Fotos nicht zeigen darfst. Sie gehören doch dir und man muss dennoch erst Genehmigungen einholen? Kann natürlich gut sein, dass derjenige, der die Negative besitzt, das Recht der Fotos hat. Dann behalte sie für dich gut in Verwahrung. :-) Das ist schon was besonderes.

    Liebe Grüße
    Claudia

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  4. ein sehr interessantes Portrait..
    und ein Anknüpfpunkt durch die eigene Bekanntschaft ..
    manchmal denke ich diese frauen sind trotz allen Schwierigkeiten zu beneiden
    hatte sie doch jede Menge KOntakt zu geistig hochstehenden und künstlerischen Menschen
    daran kann man wachsen

    ein schönes Porttrait wieder

    liebe Grüße
    Rosi

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  5. Wir haben noch einen Zahnarzt in Koblenz, der Augenstein heißt.
    Ob der mit der Familie irgendwie verwandt ist?
    Ein interessantes Porträt, allerdings habe ich von dieser Frau vorher noch nie gehört.
    Wieder was dazu gelernt.
    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Der Name ist nicht selten, kann schon sein, dass das ein Verwandter ist. Auch in BW ist er häufiger anzutreffen.
      GLG

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  6. So spannend, dass du diese bemerkenswerte Frau noch persönlich kennenlernen durftest. Und sogar noch eigene Fotos besitzt.
    Was sie alles erlebt und durchgestanden hat!
    Liebe Grüße
    Andrea

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    1. Meine Eltern hatten in der Hinsicht einen Knall: Für Fotos wurde Geld ausgegeben, obwohl Schmalhans Küchenmeister war. Von ihnen selbst gibt es auch Fotos von Bonner Promi-Fotografen, die all die Politikerporträts in ihren Schaufenstern hatten. Ich überlege ja grade auch, ob ich zu meinem 70. mal nen Profi ranlasse...
      GLG

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  7. käthe augensteins portraits finde ich absolut faszinierend!! ich habe gleich mal nach dem buch über sie geschaut. leider vergriffen und nirgends mehr verfügbar. schade. aber ich bleibe dran!
    danke für deinen beitrag über sie - ich bin begeistert von ihren arbeiten.
    liebe grüße
    mano

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  8. Ich kann nur immer wieder bewundern, was du alles ausgräbst. Solltest du mal Fotos von Orten in Berlin brauchen, ich mache mich gerne auf den Weg! Immer wieder landen "deine" Frauen in Berlin. Hier schien der Bär zu steppen.
    Frau Augstein ist mir auch wieder eine sympathische Person. Schade, dass ich nicht in der Ausstellung war.
    Lieben Gruß
    Andrea

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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