Die Frau, über die ich euch heute berichten werde, ist auf den Tag genau 36 Jahre tot und lange nicht mehr so präsent, wie sie es in meinen jungen Jahren gewesen ist. Auch bin ich ihr immer wieder bei den Recherchen bzw. beim Schreiben meiner Frauenporträts begegnet: Margarete Buber - Neumann
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| Der Brauhausberg |
Das Licht der Welt hat sie hingegen am 21. Oktober 1901 als Anna Margarethe Thüring erblickt, in Potsdam in der Teltower Vorstadt am Brauhausberg, in einer Familie, die gut betucht ist. Ihr Vater Heinrich Thüring, 35 Jahre alt, leitet in der Residenzstadt eine Brauerei und ist mit seiner Frau Else Merten, fünf Jahre jünger, seit 1897 verheiratet. Das Paar hat insgesamt fünf Kinder, von denen Babette, die später auch sehr bekannt werden wird, drei Jahre älter ist als "Grete" und in den Augen der Jüngeren wunderschön, Gertrud "Trude" ist jünger, ebenso Heinrich und Hans schließlich als Nesthäkchen der Familie.
Der Vater, ein ehrgeiziger und autoritärer Mann aus einer oberfränkischen Bauernfamilie gebürtig, hat es durch Entschlossenheit zu einer Führungsposition als Direktor einer bedeutenden Brauerei gebracht. Von der fränkischen Mentalität hat er so gar nichts an sich, stattdessen gnadenlos preußische Tugenden, hart gegen sich selbst, aber auch gegenüber seinen Arbeitern und seiner eigenen Familie.
Die Mutter, aus Schmergow im preußischen Brandenburg stammend, ist allerdings in Potsdam bei einem fast zwei Jahrzehnte älteren Bruder aufgewachsen als jüngstes von zwölf Kindern, von denen nur insgesamt sechs Infektionen wie Diphtherie überlebt haben. Dieser Bruder ist gegenüber sozialistischen Ideen aufgeschlossen, was Else prägen wird. Wie er lehnt sie die monarchischen, autoritären und militaristischen Ideale Preußens ab. Auch nach ihrer Heirat mit Heinrich legt Else nie ihre nonkonformistische Lebensauffassung ab, sondern gibt sie an ihre Kinder weiter. Während einer Truppenparade zum 1. Mai soll sie beispielsweise bemerkt haben, das aufwendige Ritual sei ein "komisches Theater" und den Kaiser "größenwahnsinnigen Säbelrassler" genannt haben.
So gerne sich Margarete an die Mutter und deren Großzügigkeit erinnert, umso weniger mag sie an ihren Vater denken. Nur eine kleine Episode soll die Gründe versinnbildlichen: Als sie mit drei Jahren einen Nachbarn aufsucht, der einen Affen hält, ist sie so von dem Tier begeistert und rennt nach Hause, um ihrer Familie von ihrer faszinierenden Begegnung zu erzählen. Statt sich von der Freude des kleinen Mädchens berühren zu lassen, schlägt er sie, weil es sich unerlaubt aus dem Haus begeben hat. Obwohl die Mutter immer wieder versucht, die Wogen zu glätten, ist das häusliche Leben häufig ein Spießrutenlauf für Margarete und die vier Geschwister. Mit ihren Kinderängsten fühlt sie sich oft ganz allein.
Kein Wunder, dass vom Elternpaar auch der Ausbruch des 1. Weltkrieges widersprüchlich aufgenommen wird. Der Vater ist dankbar "eine große Zeit miterleben zu dürfen", die Mutter - und damit Margarete - befällt "ein Schauder vor dem nationalistischen Rausch". Und sie wird später schreiben, dass ihr die "Weltuntergangsstimmung" bleiben wird. Ihre leidenschaftliche Tierliebe trägt sie durch die wenig erfolgreiche Schulzeit während des Krieges. Das ist doppelt hart, ist doch die älteste Schwester nicht nur schön, sondern auch noch eine Musterschülerin. Das nationalistische Feuer bei einigen ihrer Lehrer führt bei Margarete zu einem "dumpfen Widerstand gegen eine solche Art von Hurrapatriotismus".
Angezogen fühlt sie sich hingegen von den Jungen & Mädchen, die sich an einem Dezembertag am Fuße des Brauhausberges versammeln, zur Gitarre singen und ungewöhnlich gekleidet sind. Schlussendlich traut sie sich, ein Mädchen anzusprechen, das ihr von der Wintersonnenwende erzählt, die man im Potsdamer Wald feiern wolle, und sie einlädt mitzukommen. Auf diese Weise schließt sie sich der Ortsgruppe des "Alt Wandervogels" an, gegründet bereits 1904 und derjenige Wandervogelbund, der die größte Ausbreitung im Deutschen Reich erreicht.
Auch die beiden Schwester stoßen irgendwann dazu, was den Vater alles andere als begeistert. Margarete zieht aus den Kämpfen mit dem Vater überraschenderweise Bestätigung, denn Kämpfen gehört zu den Aufgaben der Wandervögel. Als "gemischte Fahrten" gegen Ende des Krieges aufkommen, gilt es auch, für eine fortschrittliche Sexualmoral zu kämpfen und der "verlogenen bürgerlichen Gesellschaft" auf diesem Gebiet die Stirn zu bieten. Ein Teilnehmer an der Sommersonnenwendfeier 1918 lässt der Sechzehnjährigen August Bebels "Die Frau und der Sozialismus" zukommen. Der Teenager kommt dadurch zu erregenden neuen Erkenntnissen und zu einer ersten Liebe.
Als nach Kriegsende im Sommer 1919 die Freideutsche Jugend sich zu ihrem Bundestag auf der Burg Lauenstein sammelt, zeigt sich, wie politisch die Bewegung unterdessen geworden ist und in Lager aufgespalten. Margarete hat ihr Ethos verinnerlicht, dass nur die Wahl eines sozialen Berufes in Frage kommt. Also beginnt sie im gleichen Sommer noch mit einer Ausbildung zur Kindergärtnerin im Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin - Schöneberg. Im Rahmen dieser Ausbildung arbeitet sie in einem städtischen Kinderhort und wird konfrontiert mit der Lebenswirklichkeit von jugendlichen Halbwaisen, deren Mütter täglich um den Lebensunterhalt ringen müssen. Das gibt ihr zu denken, und sie befasst sich nun mit der "ungesunden Gesellschaftsordnung". Zudem nimmt sie die Kluft zwischen dem vergnügungssüchtigen "Berlin Babylon" und dem furchtbaren Elend in den von ihr betreuten Haushalten wahr:
"Ich war noch sehr jung und ich sah diese Schicksale Tag für Tag. Es war ganz natürlich, dass ich für diese Kinder tiefes Mitleid empfand [...]. Mein Mitleid verwandelte sich in tiefes soziales Schuldbewußtsein. Das war der Beginn meiner Hinwendung zum Sozialismus", wird sie in diesem Buch später schreiben.
Der Zusammenbruch der deutschen Monarchie und die Kriegsniederlage haben zwar eine chaotische, aber auch eine Zeit kreativ-künstlerischer und intellektueller Unruhe ausgelöst, die die junge Frau inspiriert. Sie widmet sich der expressionistischen Kunst und besucht Vorlesungen über freie Liebe, Marxismus und Weltrevolution.
Über zwei Mädchen in ihrer Klasse macht sie Bekanntschaft mit der "Aktivistischen Jugend Schönebergs":
"Aus ihren Worten klang immer wieder der feste Glaube, daß die Entwicklung der Menschheit zu einer strahlenden Zukunft einfach nicht aufzuhalten" ist.
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| Demonstration nach dem Kapp-Putsch |
Im März 1920 wird sie Zeugin des Kapp-Putsches, eines gescheiterten Staatsstreichs extremer Rechter, die die neue Deutsche Republik stürzen wollen. Sie kommt deshalb zu spät nach Hause, wo der kleine Bruder wartet, dass sie mit ihm Hausaufgaben macht. Selbstermächtigend schreibt sie seinem Lehrer einen Brief, indem sie das Fehlen der Aufgaben begründet.
Das bringt das häusliche Fass zum Überlaufen und der Vater wütet, wie sie es bis dato nicht gekannt hat und schilt sie Kommunistin. Margarete hält dagegen und packt schließlich ihre Habseligkeiten, ohne zu wissen, wo sie unterkommen kann. Trude Müller, die sie von der "Aktivistischen Jugend" kennt, nimmt sie auf & mit auf eine geplante "große Fahrt" in den Sommerferien. Danach kann Margarete auf Vermittlung ihres Freundes Fritz auf dem Lindenhof - einst Zwangserziehungsanstalt Berlin-Lichtenberg - des Reformpädagogen Karl Wilker unterkommen. Als dieser wegen andauernden Mobbings schließlich sein Amt im November 1920 niederlegt, kann sie sich in einem Heim für junge Mädchen ein Zimmer mieten, nachdem sie beim Vater vorgesprochen und eine "wahrhaft jämmerlich kleine monatliche Summe" zur Lebenshaltung erwirkt hat.
In dieser Zeit intensiviert sie ihre Beziehung zu Trude Marcell, einer Lehrerin an ihrer Ausbildungsstätte. In deren Wohnung begegnet sie erstmals Mitgliedern der jüdischen Wandervogelorganisation "Blau-Weiß". Einer davon wird nur als "Sohn Martin Bubers" vorgestellt - die junge Frau hat allerdings keinen blassen Schimmer, wer dieser Martin Buber sein soll. Der zwanzigjährige Rafael Buber leidet darunter, dass er nicht als seiner Selbst wahrgenommen wird, ist immer latent aggressiv und von imponierender Eloquenz. Die junge Frau verliebt sich in ihn und zieht mit ihm nach Abschluss ihrer Ausbildung nach Heidelberg, wo er studieren will.
Dort lernen sie alsbald ein Paar kennen, Frieda Schiff & Karl Sothmann, Pädagoge und später Bildungspolitiker in der DDR, das sie beeindruckt. Die sind Leiter des "Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands" ( KJVD ) und nehmen die jungen Berliner in ihren Verband auf. Margarete hat das Gefühl, zum ersten Mal in ihrem Leben eine echte politische Entscheidung getroffen zu haben. Die Gruppe kommt ihr radikaler vor als die "Aktivistische Jugend", hat aber noch viel Ähnlichkeiten mit der ihr bekannten freideutschen Jugendbewegung, nur ohne das "Zurück zur Natur". Das Paar fühlt sich wohlwollend aufgenommen in eine große Familie, denn man wohnt nah beieinander und pflegt ähnliche, tägliche Gewohnheiten. Die schöne alte Stadt mit ihrer Buntsandsteinarchitektur bezaubert zudem die Zwanzigjährige und bald ist sie auch schwanger. Eine Heirat lehnen die Beiden aus ideologischen Gründen allerdings ab.
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| Ohne Jahr |
Weil Rafael Buber jedoch beim Verteilen kommunistischer Flugblätter erwischt wird, wird er der Universität verwiesen. Ihre nächste Station wird Jena, wo sich Buber an der Landwirtschaftlichen Hochschule einschreibt. Aber nur das, ist er der Überzeugung, er könne sich auch so die Fachliteratur aneignen. Es wird auch Zeit gebraucht, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Margarete fühlt sich einsam, denn sie haben kaum Verbindung zur dortigen kommunistischen Bewegung. Tochter Barbara kommt in einer privaten Entbindungsklinik unter einem großzügigen leitenden Arzt zur Welt, der ihnen die Kosten erlässt. 1922 heiraten sie dann doch auf dem Jenaer Standesamt, mit einem führenden Kommunisten, Karl Korsch, als Trauzeugen. Dessen kritische Anmerkungen zu Lenin und zu Trotzki ( "der wahre Kopf der Revolution" ) verwirren die junge Frau ( Korsch wird 1926 aus der Partei ausgeschlossen werden ).
Die Zeit in Jena wird von der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage des jungen Ehepaares überschattet. Und tatsächlich kehrt Margarete mit dem Kind in ihr Elternhaus zurück, wo sich ihr Vater als besonders zärtlicher Großvater entpuppt. Buber hält sich derweil bei seinen Eltern in Heppenheim an der Bergstraße auf. Die laden ihre Schwiegertochter schließlich zu sich ein, und Margarete wird bis 1925 im schwiegerelterlichen Haus bleiben. Dort kommt auch im Juni 1924 ihre zweite Tochter Judith zur Welt. Der Beziehung der Bubers tut der Aufenthalt in einer Atmosphäre von behäbiger Bürgerlichkeit nicht gut, und so kehrt Margarete mit ihren Töchtern nach Potsdam zurück. Geschieden wird sie 1929.
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| Von rechts nach links: Babette Groß, Willi Münzenberg, Margarete (1931) |
Margaretes Schwester Babette, schon seit 1920 in der KPD, zwischenzeitlich verheiratet mit Fritz Groß, nun Lebensgefährtin von Willi Münzenberg - beide Männer Kommunisten -, dessen Verlag sie ab 1925 leitet, lädt sie 1927 zu einem Kongress "Kampf dem Imperialismus" ein. Dort macht sie Bekanntschaft mit internationalen, späteren Größen der Bewegung und sie wird im Büro der Liga gegen den Imperialismus arbeiten bzw. ab 1928 in der Redaktion der "Internationalen Presse-Korrespondenz" ( Inprekorr ), der deutschsprachigen Publikation der Komintern.
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| Heinz Neumann (1930) |
Schon ab Sommer 1928 hat sie ohne ihre Töchter gelebt, denn ihre Schwiegermutter hat mittels eines Gerichtsverfahrens mit u.a. der Geltendmachung von "weltanschaulichen Differenzen" - Rafael Buber ist aus der KPD ausgetreten gewesen - erreicht, dass die kleinen Mädchen bei ihr leben sollen. ( Für die wird sich das als Glücksfall erweisen: Ihre Auswanderung aus Nazi-Deutschland nach Palästina mit ihren jüdischen Großeltern im Jahr 1938 wird ihnen das Leben retten. )
Margarete erlebt Neumann als einen Menschen voller Widersprüche: einerseits in Wort & Benehmen selbstsicher, andererseits in seiner Körpersprache Schüchternheit signalisierend. Sie ist einer Wechseldusche an Empfindungen ausgesetzt, die auch ihre Schwester nur teilweise eindämmen kann, kritisiert doch diese Neumanns Umgang mit Frauen, was aber wohl ihrer Meinung typisch für die Männer der KPD sei.
Der kein Jahr Ältere ist wohl schon von Kind an einer, der sich mit nichts zufrieden gibt & einen unstillbaren Drang nach Aktivität hat. Zum Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft hat er als Berufsrevolutionär schon diverse Höhepunkte wie Abstürze in seiner Laufbahn aufzuweisen. Noch zweifelt er aber zu diesem Zeitpunkt nicht an der Komintern, und sein Vertrauen in Stalin ist noch nicht angekratzt. Dass er Abgeordneter wird, nimmt er als Gegner des Parlamentarismus mit amüsierter Verachtung hin. Für viele einfache Parteimitglieder verkörpert er das alte revolutionäre Ideal, während er von elitäreren Mitgenossen & Widersachern als Einpeitscher der ( antirevolutionären ) Politik Stalins wahrgenommen wird. Seine ausgesprochene Farbigkeit und die Energie in allem, was er tut und sagt, beeindruckt und er springt dadurch so sehr ins Auge, dass man ihm häufig Dinge zuschreibt, mit denen er in Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun hat.
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| 1930 |
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| In Moskau (1930er J.) |
"Erst im Laufe des Zusammenlebens mit Heinz wurde mir klar, daß gegen Ende der zwanziger Jahre die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der KPD weitgehend durch die fraktionellen Kämpfe in Sowjetrußland ausgelöst wurden, gewissermaßen nur deren Abbild waren."
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| Hotel "Lux" |
In Moskau - zunächst als Übersetzer für einen Komintern-Verlag für die Übersetzung der Protokolle der Schauprozesse zuständig, sie als seine Sekretärin - fällt "die Nacht über sie herein", indem auch Neumann Opfer der Stalinistischen Säuberung wird: In der Nacht zum 27. April 1937 wird er vom NKWD verhaftet, am 26. November zum Tode verurteilt und hingerichtet. Margarete bemüht sich, Informationen über seinen Verbleib zu erhalten, bleibt jedoch lange über sein Schicksal im Unklaren, ahnt aber, dass er ermordet worden ist ( erst 1959 erhält sie die Gewissheit durch ein Schreiben des Roten Kreuzes ).
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| Frauenbaracke in den 1950er Jahren |
Ihre Erlebnisse wird sie später im zweiten Teil ihrer Biografie "Als Gefangene bei Stalin und Hitler" ausführlich beschreiben ( hier ein Auszug ), z. B. von der Frauenbaracke, einem durchgehenden grossen Raum mit primitive Holzpritschen voller Bettwanzen und einer Temperatur von zehn bis zwölf °C. Die mitgebrachten Habseligkeiten werden gestohlen von Dieben, die dort ebenfalls in Gefangenschaft sind: "... in kurzer Zeit [ besaß ich ]nur noch die Sachen, die ich am Leibe trug." Arbeiten kann sie als Statistiker-Lehrling in einem Büro, wo sie eine Statistik über die täglich geleistete Arbeit der Traktoren (!) zu führen hat. Manchmal wird sie auch zur Frühjahrsbestellung herangezogen: Unkraut entfernen auf den Sonnenblumenfeldern wird mit 600 g Brot entlohnt. Widerspruch führt zur Umsetzung in den sogenannten Strafblock, extrem schmutzig & stinkend, voller Schikanen.
"Die NKWD ist zugleich eine grosse Sklavenhalterin, die das Menschenmaterial in die verschiedenen Gebiete Sibiriens dirigiert: zur Holzbeschaffung nach Zentralsibirien und Karelien, zur Schwerindustrie in den Ural, zur Kultivierung der Steppe nach Kasakstan, zur Goldgewinnung nach Kolyma im Polargebiet, zum Städtebau nach dem Fernen Osten usw. usw.", wird sie es später formulieren.
Im Januar 1940 wird Margarete wieder nach Moskau ins Butirki - Gefängnis transportiert, wo sie auf Zenzl Mühsam, Carola Neher u.a. trifft, die ebenfalls aus den Lagern & Zuchthäusern geholt worden sind. Keiner weiß, was das soll. Schließlich erfährt sie von einem NKDW - Beamten, dass ihr Urteil aufgehoben und sie sofort das Territorium der Sowjetunion zu verlassen habe. Was sie nicht weiß: Im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts hat die Sowjetunion eine Auslieferung an das nationalsozialistische Deutschland ausgemacht. Zusammen mit einer Gruppe von circa 30 Personen wird Margarete auf einer Brücke bei Brest-Litowsk von SS-Männern in Empfang genommen. In Lublin wird sie dann in die Hände der Gestapo weitergegeben, verhört und schließlich Anfang März 1940 in ein Polizeigefängnis nach Berlin verlegt.
Dort geht es in eine Zelle, in der über hundert Frauen auf ihren Abtransport ins Konzentrationslager Ravensbrück warten: Politische nach 5-6 Jahren Zuchthaus, jüdische Frauen, "Bibelforscherinnen", "Rassenschänderinnen", "Polenliebchen" oder "Bettpolitische", wie man sie damals auch genannt hat, "Asoziale", teils Prostituierte, teils "Arbeitsverweigerer" und Kriminelle, die nach verbüsster Straftat oft in "Sicherheitsverwahrung" im KZ genommen werden. Der Raum ist voller Gerüchte über das Leben dort. Angstvoll erzählen die Frauen von Schlägen, von den Polizeihunden, vom stundenlangen Zählappell. Margarete schreibt:
"Nach Aushändigung des Schutzhaftscheines waren meine Kräfte am Versagen. Wieder Konzentrationslager! Eben dem sicheren Tod in Sibirien entronnen und nun in eine neue Hölle! Es ist so viel einfacher, in ein unbekanntes Schicksal zu gehen, aber ich wusste doch nur zu gut, was Konzentrationslager bedeutet." ( Quelle hier )
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| Ravensbrück: Frauen bewachen Frauen |
In ihrem Buch wird sie einige Frauenschicksale beschreiben, über die Einrichtung der entsetzlichen Lager-Bordelle berichten, über die Prügelstrafe durch Mithäftlinge aus der Gruppe der "Kriminellen" und vieles mehr. Alles in einem nüchternen Ton, was ihr auch öfter zum Vorwurf gemacht werden wird.
Eines Tages kommt es zu der ersten der berühmten Begegnungen zwischen Margarete Buber- Neumann und der tschechischen Journalistin & Widerstandskäpferin Milena Jesenská. Als deren - kommunistische - Mithäftlinge Magarete als Trotzkistin labeln und Milena vor die Alternative stellen: tschechische oder deutsche Gemeinschaft im Lager, entscheidet sich Milena für die Deutsche, denn sie ist ein russlandkritischer Geist:
"Sie hörte nicht auf, gegen das verlogene Gewäsch von Kollektivismus, proletarischer Demokratie, sozialistischer Freiheit usw. mit der ihr eigenen Schärfe zu polemisieren. Und das verzieh man ihr nicht."Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen.
Unterdessen füllt sich das Lager immer mehr - 70 000 Frauen sind es z.B. 1944 -, Hinrichtungen finden statt, und Anfang 1942 werden die ersten Frauen nach Auschwitz deportiert. Margarete beginnt zunächst für Siemens den Briefwechsel mit der Konzentrationslagerleitung zu erledigen und kommt schließlich als Sekretärin zur Oberaufseherin. Weil sie ihre Position zugunsten von Häftlingen nutzt, kommt sie sie in die besonders grausame Dunkelhaft.
In dieser Lage erfährt sie die Fürsorge von Milena. Der geht es im Winter 1943/44 - der schlimmste, so Margarete - gesundheitlich immer schlechter, und ihre Widerstandskraft bricht. Der Grund ist eine vereiterte Niere, und sie entscheidet sich für eine Operation, die sie nicht überstehen wird. Margarete Buber - Neumann wird ihr 1963 ein Denkmal setzen mit ihrem Buch "Milena, Kafkas Freundin", das sie dem gängigen Bild notwendige Ergänzungen hinzufügen soll.
Immerhin hat die nunmehr 43jährige Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen können, die sie mit Briefen & Paketen versorgt, die auch Botschaften zum Stand des Krieges enthalten. Im Januar 1945 überlebt sie eine Blutvergiftung nur, weil eine weitere tschechische Freundin die Medikamente stiehlt, die ihr das Leben zu retten vermögen.
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| Gekennzeichnete, freigelassene Ravensbrück-Häftlinge |
Nach schwierigen Monaten einer Existenzsicherung im Westen Deutschlands kann sie 1946 mit Unterstützung einer internationalen Flüchtlingsorganisation einen längeren Erholungsaufenthalt in Schweden antreten, den sie zur Niederschrift ihres tragischen Schicksals nutzt. Nachdem sie erfahren hat, dass ihre beiden Töchter in Israel leben, knüpft sie Kontakte zu den inzwischen gut über zwanzigjährigen jungen Frauen. 1948 heiratet sie sogar noch einmal, Helmuth Faust, Cheflektor im Verlag "Frankfurter Hefte". Die Ehe wird jedoch einige Jahre später wieder geschieden.
1949 tritt Margarete Buber-Neumann in der Öffentlichkeit in Erscheinung, als sie zum einen in einem Prozess gegen den Kommandanten des Konzentrationslagers Ravensbrück, Fritz Suhren, in Rastatt in der französischen Besatzungszone als Zeugin aussagt und maßgeblich zu dessen Verurteilung und Hinrichtung wegen Kriegsverbrechen beiträgt. Zum anderen wird sie in Paris beim sogenannten Krawchenko-Prozess als Zeugin befragt. Viktor Krawchenko, der eine Autobiografie über seine Erfahrungen mit dem Stalinistischen Terror veröffentlicht hat, ist in der französischen kommunistischen Zeitschrift "Les Lettres françaises" als Lügner bezeichnet worden und hat daraufhin die Zeitung verklagt.
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| Krawchenko-Prozess in Paris 1949 |
"Seit ich diese deutsche Frau gehört habe, glaube ich! Ich glaube, dass Krawchenko in allem die Wahrheit sagt."
Die Zentralität dieses Aspekts belegen auch die Reaktionen der Presse nach ihrer Zeugenaussage sowohl in Frankreich wie in Deutschland. So versuchen sie kommunistische Zeitungen zu diskreditieren, indem sie auf den vermeintlich fragwürdigen moralischen Lebensstil der Fünfzigjährigen verweisen ( zwei Ehen! ). Es ist ein - auch heute wieder hochaktuelles - Beispiel dafür, wie eine mächtige Gegenpartei eine einzelne Person zum Schweigen zu bringen versucht und eine Destabilisierung im Zusammenleben betreibt, indem alle möglichen Mittel ergriffen werden. Der Krawchenko - Prozess ist aus heutiger Sicht auch ein politischer Prozess gegen den sowjetischen Totalitarismus gewesen, zu einem Zeitpunkt, als Stalin im Westen lediglich als der große Sieger über den Nationalsozialismus geachtet wird, die ersten Anzeichen des Kalten Krieges erst langsam aufkommen.
Wenig später kommt Margaretes Buch "Als Gefangene bei Stalin und Hitler" erstmals in Schweden heraus und wird in aller Welt rezipiert, da in mehrere Sprachen übersetzt. Ihr Bericht wirkt in der Nachkriegszeit allerdings stark polarisierend. Wie zu erwarten gewesen ist, wird er von der kommunistischen & linken Seite sehr kritisch aufgenommen – bis hin zu Drohungen gegen die Autorin. Die KPD lässt z.B. ihre Lesungen stören, verbreitet Verleumdungen als "Trotzkistin" und "CIA-Agentin". In der DDR findet ihr Bericht lediglich illegal in der Reihe der "Roten Weißbücher" 1952 Verbreitung, als dort ideologiekritische Werke nur als Tarnausgaben publiziert werden können.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1950 lässt sich Margarete Buber-Neumann in Frankfurt am Main nieder. 1951 und 1952 leitet sie das "Institut für politische Erziehung", wird Redakteurin einer politischen Zeitschrift namens "Aktion" und prangert den sowjetischen Kommunismus entschieden an. Kommunistische Kreise, namentlich in Deutschland, bleiben daher unversöhnlich. Für sie ist Margarete Buber-Neumann die Feindin par excellence, beschädigt sie doch ihr Idol.
Die Auseinandersetzungen um ihr Buch führen bei ihr zu heftigen Gegenreaktionen gegen alle "linken" Strömungen in der Bundesrepublik. Unterstützt wird sie dabei von der amerikanischen Besatzungsmacht und von den konservativen Parteien. Sie hält unzählige Vorträge aggressiven, aber auch aufklärenden Charakters. In den kältesten Tagen des Kalten Krieges erinnert sie die Deutschen daran, dass nicht der sozialistische Humanismus, sondern die stalinistische Unterdrückung das Herzstück ihrer sowjetischen Erfahrung gebildet hat. Obwohl inzwischen Mitglied der SPD greift sie auch die Entspannungspolitik Willy Brandts heftig an. 1973 wird sie Mitglied der kurzlebigen SPD-Abspaltung "Bund Freies Deutschland" (BFD) und ab 1975 dann der CDU. In der Sicht der Öffentlichkeit bleibt sie immer die "Kalte Kriegerin". 1980 verleiht man ihr das Bundesverdienstkreuz.
In seinem Nachruf für die TAZ schreibt Gerhard Zwerenz:
"Für die bundesdeutsche Linke blieb Buber-Neumann lebenslänglich indiskutabel. Dafür war ihr Lebenslauf zu fundamental-kontrovers: geboren als Unternehmertochter in Potsdam, als Studentin Mitglied einer sozialistischen Jugendgruppe, mit 25 Jahren KPD-Eintritt und elf Jahre lang gläubige Genossin, eingeschlossen das Opfer des Intellekts. 1931 sah sie als Delegierte die triste Wirklichkeit Moskaus und schönte danach, zurückgekehrt, ihre Eindrücke, was sie lebenslang bitter bereute. [... ] Margarete wurde auch rechts nicht heimisch. Keiner der Ehemaligen wurde das,[... ], denn die Quelle der Unruhe versiegte nie. [... ] In diesem doppelten Schisma lebend, verurteilten sie sich zur doppelten Isolation."
Doch auch das gehört zur historischen Erfahrung unseres Landes. Und das fand ich erinnerungswürdig.
Weitere Frauenporträts auf meinem Blog:

















Was für ein kompliziertes Leben! Und doch hat sie immer versucht, sich treu zu bleiben.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Nina