Als meine Tochter vor knapp sieben Wochen auf einer Reise nach Pilsen bei einer Stadtführung war, schickte sie mir eine Nachricht: "Du, ich hab da ne Frau für dich entdeckt: Lina Loos." So kam es zum heutigen Beitrag. Denn am heutigen Tag vor 143 Jahren kam sie auf die Welt.
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Das Haus mit dem Café |
Der Vater, ein Handelsmann, stammt aus der Wiener Neustadt, die Mutter aus einer wohlhabenden Bauernfamilie in Sieghartskirchen im niederösterreichischen Bezirk Tulln. Die theaterbegeisterten, vermögenden Großeltern haben in Wien den "Adlerhof" gekauft und sind so zu Stadtbürgern geworden. Das ist für die damalige Bevölkerungsentwicklung Wiens typisch, dieser Zuzug aus der Provinz.
Bei der Eheschließung 1873 erhält Caroline Ockermüller als Mitgift das damals angeblich größte Delikatessengeschäft Wiens, den Salzer am Lichtensteig. Schon 1874 haben das Ehepaar einen Sohn, den künftigen Schauspieler Karl Forest, sowie 1875 eine Tochter, die spätere Schriftstellerin Helene Dülberg, bekommen.
Zunächst wachsen die Kinder im Wohlstand mit Gouvernanten auf. Warum die Familie anschließend verarmt und umziehen muss, ist nicht herauszufinden.
Die Mutter wird Teilhaberin einer Essigfabrik, der Vater wird über diverse Zwischenstationen in der Gastronomiebranche Mitglied der Wiener Kaffeesiedergenossenschaft und erwirbt 1897 das "Grand Café Casa Piccola" in der Mariahilfer Straße, wo sich Künstler, Bohémiens und Literaten zum regen Austausch treffen. Ab 1904 befindet sich über dem Café der Modesalon "Schwester Flöge" der Klimt-Freundin Emilie Flöge ( siehe dieser Post ). Die Bohème wird zur selbstverständlichen Umgebung des jungen Mädchens.
Die wieder wirtschaftlich stabile Situation der Familie - die Ehe der Eltern Obertimpfler ist wohl eine rechte Hölle - macht es ihr möglich, die Anregungen des Kulturlebens aufzunehmen und zu ihren Bedürfnissen zu machen. Lina besucht das Konservatorium, nimmt dort am Schauspielunterricht teil und ist schon in sehr jungen Jahren eine stadtbekannte Schönheit, entspricht sie doch einem bestimmten Frauenbild der Wiener Intellektuellenszene, der Kindfrau oder femme enfant, dem süßen "Wiener Mädel"."Weibliche Entdeckungen" vom Theater werden in jenen Tagen bei "Herrenrunden" wie dem Stammtisch des Schriftstellers Peter Altenberg trophäenartig herumgereicht und begutachtet. Im schlimmsten Fall werden sie, da in der Gesellschaft, ähnlich wie Tänzerinnen, als "unsittlich" gebrandmarkt, in der Männerwelt als Gelegenheit für außereheliche Beziehungen missbraucht ( siehe auch dieser Post ). Die diese Zeit prägende Frauenverachtung eines Otto Weiningers ( "Das Weib besitzt kein Ich, das Weib ist das Nichts" ) wird nur vordergründig übertüncht durch die Schwärmereien eines Altenbergs oder die farbenprächtigen Darstellungen des Malers Gustav Klimt.![]() |
Mit Peter Altenberg (1900) |
Lina wird von ihrer Schwester Helene beim Stammtisch Altenbergs im "Löwenbräu" in der Teinfaltstraße hinterm Burgtheater eingeführt. Peter Altenberg, der Prototyp des Wiener Kaffeehausliteraten, schwärmt ausgiebig von Linas "wunderbare[n] aschblonden Haaren, ihre[n] hechtgrauen Augen, ihre[r] ambrafarbige[n] Haut" ( Quelle hier ), stilisiert Lina hinauf zu einem unerreichbaren Göttinnenwesen. Bei ihm heißt sie immer "die silberne Dame", "Heldenreizerin" und ist die "Ljuba" seiner Prosagedichte .
Doch Lina entspricht dem allem nur eingeschränkt. Schon ihre Großmutter ist eine eigenständige, resolute Persönlichkeit gewesen, und Linas selbstbewusste Mutter, eine "leidenschaftliche Geschäftsfrau" und von "ureigenstem Urteil", unterstützt die Tochter in deren Unabhängigkeitsdrang. Die trägt die modernen, weit flatternden Reformkleider und geht – für Frauen unerhört - allein ins Kaffeehaus, lebt sie doch durch das väterliche Café am Puls der legendären "Wiener Moderne".
Wenn frau Peter Altenberg trifft, dann muss frau zwangsläufig Adolf Loos, seinen 31jährigen Freund, aus dem mährischen Brünn stammend, Architekt, Wegbereiter der Moderne und Ornamentverweigerer, begegnen. Abgesehen von seinen Verdiensten um die Architektur ist Loos ein mehr als merkwürdiger Mensch. So ist er z.B. der Meinung, dass die Kaisersemmel dem Wiener deshalb so gut schmeckt, weil der rohe Teig sieben bis acht Mal mit der schweißnassen Hand berührt werden muss.
Wichtig ist Loos zum einen die Möglichkeit, der blutjungen Frau als ihr zwölf Jahre älterer Mann fortan zu erklären, wie sie die Welt, ihre Zukunft, aber auch die Vergangenheit zu sehen hat, und suggeriert auf diese Weise, ihr Leben beginne erst jetzt mit seinem Erscheinen. Loos zweite Ehefrau wird ihn & seine Anschauungen später so zitieren:
"Wenn die Braut nicht als Jungfrau ins Brautbett steigt, kann sie vielleicht herausfinden, daß ihr Mann gar nichts Besonderes ist, aber die Jungfrau hat keine Vergleichsmöglichkeit, denn sie kennt nichts anderes. Das ist der springende Punkt."
Loos behandelt sie entsprechend. Dass Lina eine Schauspielschule besucht, wertet er ab: "Die ganze Schul war ja nur zum Zeit ausfüllen." "Du wolltest dich selbst erweitern in mir", wird sie ihm in ihrem späteren Schauspielstück "Wie man wird was man ist" ( erst posthum 1994 veröffentlicht ) sagen...
Wichtig ist ihm aber auch auch das bürgerliche, wohlsituierte Gastronomenmilieu, in das der Architekt nun einheiratet, denn das junge Ehepaar wird von den Brauteltern finanziell stark unterstützt. Loos betreibt einen äußerst aufwendigen Lebensstil, es geht ihm aber sowohl gesundheitlich wie finanziell nicht gut. Er leidet an den Nachwehen einer Syphiliserkrankung und ist außerdem von seiner Mutter enterbt worden. Er hat keine eigene Wohnung mehr und lebt vorwiegend in diversen Hotels.
Dank Lina kann er sich häuslich niederlassen. Die bis heute bekannte Wohnung liegt in der gegenwärtigen Bösendorferstraße, wird von den Schwiegereltern gezahlt und von Loos ganz in seinem Sinne ausgestattet ( die Einrichtung befindet sich heute im Wien Museum ).In dieser Wohnung verfestigt er quasi seinen charakteristischen, architektonischen Stil. Berühmt- berüchtigt ist das sterile weiße Schlafzimmer mit weißen Kaninchenfellen auf dem Boden (sogleich veröffentlicht in Altenbergs Zeitschrift "Kunst" ). Doch das ist kein Garant fürs Eheglück.
Der Auserwählte für eine Affäre ist ein 18jähriger Maturant des Akademischen Gymnasiums, Heinz Lang, Sohn der in den progressiven Kreisen Wiens bekannten Frauenrechtlerin Marie Lang, in denen auch das Ehepaar Loos verkehrt, Bruder von Erwin Lang, der an einem Nacktporträt Linas malt. Heinz Lang nimmt die Affäre wohl leider viel ernster als die 20-jährige Ehefrau und hofft, sie würde mit Adolf Schluss machen und zu ihm reisen, als er nach bestandener Matura nach England geht.
Als Adolf Loos Langs Liebesbriefe entdeckt, beendet Lina das Verhältnis und zieht sich auf Empfehlung von Adolf Loos nach Tirol bzw. an den Genfer See und zur Kur in Vevey zurück. Heinz Lang bittet fatalerweise Altenberg um Rat, der ihm – nach den Aufzeichnungen Hugo von Hofmannsthals – antwortet: "Was Sie tun sollten? Sich erschießen. Was sie tun werden? Weiterleben. Weil sie so feig sind wie ich, so feig wie die ganze Generation, innerlich ausgehöhlt, ein Lügner wie ich." Der junge Mann, dessen Lebenszeit zu kurz gewesen ist, um mit Sinn für Ironie ausgestattet zu sein, nimmt den ersten Teil des Rates an und erschießt sich im August 1904.
Wien hat wieder mal seinen Skandal, Arthur Schnitzler macht daraus ein Stück und viele geben Lina Loos die Schuld an diesem Suizid.
"Es waren jedoch eher die Rituale einer sich überlebt habenden Gesellschaft, die weithin herrschende Doppelmoral und die potemkinschen Scheinwelten, an denen viele Menschen, auch die an sich fortschrittlich denkende Lina Loos, weiterhin festhielten, die zu diesem Unglück geführt hatten", urteilt Michaela Lindinger ( Quelle )
Lina entflieht der Aufregung im Januar 1905 zur Theatertruppe von Heinrich Conried in die Vereinigten Staaten, wo sie unter dem Namen Cary Lind die Luise Miller in Schillers "Kabale und Liebe" in New Haven spielt. Sie kehrt aber schon im Mai nach Europa zurück. Die "Trennung von Tisch und Bett" von Adolf Loos erfolgt dann gleich im Juni. Die heute übliche zivilrechtliche Scheidung ist in der Monarchie und auch lange danach juristisch nicht vorgesehen. Legal ist, basierend auf der damaligen Rechtslage, die noch bis 1978 Bestand haben wird, dass jegliches Eigentum der Frau mit der Eheschließung in das Eigentum des Mannes übergeht, so dass Lina ihre Wohnung in der Bösendorferstraße verlassen muss. Sie kommentiert den Sachverhalt im Nachhinein:
"Wir werden darauf bestehen, daß Frauen, welche Möbel und Wohnung mitbringen, wenn sie heiraten, eine solche Wohnung auf ihren Namen schreiben lassen, sodaß sie bei einer eventuellen Scheidung nicht einfach vor die Tür gesetzt werden können."
Ihre kurze Ehe trägt ihr fortan das Prädikat "die Frau von" ein. Doch sie ist kein Zubehör:
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1911 |
Bald nach der Scheidung bezieht sie eine ruhige, von grünen Weinhängen umgebene Wohnung in der Sieveringer Straße 107. Diese Wohnung, die zunächst nur als Sommerwohnung gedacht ist und noch von Loos gestaltet, wird ihr neuer Lebensmittelpunkt. Die sachlich-bescheidene Ausstattung entspricht allerdings ganz ihren Bedürfnissen.
Es bildet sich später auch eine Art Salon um diesen Ort, wo sie sich mit ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zum regelmäßigen Austausch trifft.
1906 schreibt Peter Altenberg in einem Brief an sie: "In diesem Blick liegt die Unabhängigkeit von der Mann-Sklaverei!... für mich sind Sie das Opfer allerschamlosen Sexualität des Mannes, dem nichts heilig und künstlerisch ist..."
1907 muss Lina wegen eines Lungenleidens mehrere Monate in einem Sanatorium im Schwarzwald verbringen, 1914 noch einmal in Davos.
Dafür, das sie von sich sagt: "Ich möchte lieber gar nichts arbeiten", ist sie eine recht umtriebige Frau. Irrwitzigerweise ist es Alfred Loos gewesen, der Lina den Weg zu Publikationen im Feuilleton gewiesen hat, als er 1904 einen ihrer Briefe im "Neuen Wiener Tagblatt" veröffentlicht hat. Darin hat sie nämlich die Schwäche der Zeitgenossen, Kirchen stilbrechend zu renovieren, kritisiert - ganz im Sinne ihres Mannes.
Weiteren Zeitungsveröffentlichungen nach der Trennung folgt ein weiteres Theaterengagement in Amerika, als Lina Lind gastiert sie 1906 in St. Petersburg, 1907 als Linda Vetter wieder in Wien. Ihr ist für ihre Selbstbestimmtheit elementar, auf eigenen Beinen zu stehen. Schauspielerei und feuilletonistische Schriftstellerei sind zu dieser Zeit die typischen Berufsbilder für kreativer Frauen. Es gibt Belege, dass Lina diese Tätigkeiten aber nicht aus Berufung & Leidenschaft betreibt, sondern sie ihr Mittel zum Zweck des finanziellen Überlebens sind:
"... nachdem ich aber leider einen Beruf ausüben muß, so bin ich am liebsten beim Theater. In den meisten weiblichen Berufen versäumt man nur acht Stunden des Tages 'Leben'! Im Theater fühlt man die Zeit noch intensiver, ja man erlebt noch unerlebtes Leben dazu. Für Menschen, die nicht gern etwas versäumen, ist es ein guter Beruf, auch wenn man nicht zu den ‚Berufenen‘ gehört."
Gänzlich finanziell auf sich allein gestellt wird sie aber erst nach Ende des 1. Weltkrieges sein, als ihre Eltern die "Casa piccola" aufgrund ihrer ökonomisch prekären Lage verkaufen müssen und ihre Tochter nicht mehr unterstützen können. Der Vater hat sein gesamtes Vermögen in Kriegsanleihen angelegt und verloren. Er ist danach aber immer noch im Kaffeehaus tätig, bis er im Februar 1927 stirbt. DieMutter lebt schon seit 1921 nicht mehr.
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Von links nach rechts: Franz Theodor Csokor, Adolf Loos, Egon Friedell |
Die "Kunst der Lina Loos", besteht also darin, dass "sie Alltagsthemen auf eine pointierte, zugängliche Art und Weise zu vermitteln vermag, ohne obsolet oder trivial zu sein. Ihre Worte wirken zunächst beinahe „naiv“, üben aber auf leichtfüßige Manier Gesellschaftskritik, demaskieren subtil doppelmoralische Geschlechterstandards oder andere soziale Disparitäten", urteilt an dieser Stelle Anja Krobath.
Ab 1927 werden ihre Feuilletons fixer Bestandteil der Wochenausgabe des "Neuen Wiener Tagblatts", eine der auflagenstärksten Zeitungen Österreichs. Im Feuilleton veröffentlicht sie auch Aphorismen, deren Zynismus bis heute kaum an Biss verloren hat. Peter Altenberg scheint ihr ein stilistisches Vorbild zu sein. Sie wird heute als die als die "weibliche und durchaus feministische Seite der Wiener Kaffeehausliteratur" angesehen (Gürtler und Schmid-Bortenschlager). Männer & die Ehe kommen bei ihr nicht gut weg:
"Aber ich kann meine Schadenfreude nicht verhehlen, wenn ich lese und sehe, was die Männer mit ihrer Gescheitheit aus der Welt gemacht haben - schlechter hätten wir Frauen es auch nicht machen können. Vielleicht auch nicht besser, denn die seinerzeit gelieferte Männerrippe scheint nicht erstklassig gewesen zu sein." ( Quelle hier )
Schauspielernd ist sie auch in Berlin, Leipzig, Frankfurt/Main und München anzutreffen, daneben als Diseuse auch in Kabaretts wie dem "Nachtlicht" und unter ihrem Künstlernamen Lina Vetter in der Folgeeinrichtung "Fledermaus", der Heimstätte des klassischen Wiener Kabaretts in der Kärntner Straße. Bei der Eröffnung des Etablissements darf sie den Prolog sprechen. "Hauspoet" ist Peter Altenberg und ab 1908 Egon Friedell, der Lina ebenfalls wie so viele andere berühmte Zeitgenossen zeitlebens verehren wird: Er betrachtet sie als sein "Lebensmensch", "seine Madonna". Seinen Heiratsantrag lehnt sie ab. Auch seine Muse mag sie nicht sein. "Ich suche einen Mann der mich liebt - als Lina Loos." Für sie bleibt er ein wichtiger Freund, eben nur nie Liebhaber. Stattdessen verlobt sie sich mit einem Dr. Herbert Fries aus einer Familie, der die Inzersdorfer Nervenheilstätte gehört, in der auch Peter Altenberg & Josef Weinheber Hilfe gesucht haben. Fries wird allerdings in den ersten Kriegstagen in Russland fallen.
In Friedells berühmten "Goethe" - Sketch in der "Fledermaus" tritt sie als Freundin des Abiturienten Friedell auf. Theater und Leben zeigen wechselseitige Beziehungen. Das Stückerl geht mehrere Hundert Mal über die Bühne und wird noch heute gelegentlich von Gymnasiasten aufgeführt. Lina wird als "anmutige und reizende Diseuse" beschrieben, die aber nur "Belanglosigkeiten" zu bieten hat.
"Sie sind eine Rahmabschöpferin des Lebens", meint Altenberg, der 1918 stirbt, zu ihr. Und Lina entgegnet:"Und das bin ich, weil ich schon früh erkannt habe - obenauf schwimmt die Sehnsucht!"
1921 spielt Lina am Raimundtheater und wird 1924 Mitglied - beide Theater werden vom avantgardistischen Rudolf Beer, einem Theaterenthusiasten von unerschöpflicher Vitalität geleitet - des Deutschen Volkstheaters in Wien, an dem zuvor schon ihr Bruder Karl Forest gespielt hat; hier wird im gleichen Jahr ihr Einakter "Mutter" zum 10. Jubiläum des internationalen Frauentags uraufgeführt.
Am 16. März 1938 springt Egon Friedell - Lina: "Wir waren vierzig Jahre befreundet!" -aus einem Fenster seiner im 3. Stock gelegenen Wohnung, während die Haushälterin mit den Gestapo-Männern spricht. Nach einer Verhaftung und schweren Misshandlung durch die Nationalsozialisten nimmt sich Rudolf Beer am 9. Mai 1938 das Leben. Franz Theodor Csokor kann noch nach dem "Anschluss" nach Polen emigrieren, bis er über Bukarest & Belgrad weiter nach Korcula flüchten muss. Alfred Polgar ist mit seiner Frau gerade in Zürich, darf ohne Arbeitserlaubnis nicht bleiben und flieht weiter nach Paris. Dr. Ilse Friedmann, eine Cousine Friedells, und ihre Lebensgefährtin Margarete "Gretl" Gerngross, Tochter eines ehemaligen Warenhausbesitzers von der Mariahilferstraße, beide aus dem engeren Kreis um Lina, begehen Anfang September 1939 gemeinsam Selbstmord.
Ihr selbst blieb nichts anderes übrig als "im Reich des Antichristen" ( Friedell ) zu verbleiben. Da soll frau sich nicht zurückziehen? So wirklich tut Lina Loos das eben doch nicht: Am 9. November 1938 in der Progromnacht sucht sie die Stätten der Ausschreitungen und Verwüstungen auf und sagt immer wieder laut und deutlich die Worte: "Ich bin Zeuge!" - "Ich bin Zeuge". Glücklicherweise wird sie nicht verhaftet.
Lina kämpft jetzt, da spielunfähig, um eine Invaliditätspension und bekommt schließlich eine Rente von 81,90 Reichsmark zugesprochen. Obwohl selbst gesundheitlich beeinträchtigt, kümmert sie sich noch um ihren kranken und mittellosen Bruder. Karl Forest wird letztendlich im Rahmen der "Euthanasie" im Wiener Altenheim Lainz am letzten Maitag 1944 durch eine Luftinjektion ermordet werden.
1947 kommt ihr einziges Buch heraus, bezeichnenderweise "Das Buch ohne Titel" geheißen, illustriert von Leopoldine Rüther. Es enthält eine Sammlung von autofiktionalen Geschichten und feuilletonistisch-erheiternden Anekdoten – fast alle bereits in verschiedenen Zeitungen publiziert, also aus der Welt von gestern. Von der Presse wird es als Werk eines "weiblichen Altenbergs" gepriesen. Sie selbst scheint nicht eine so hohe Meinung von sich zuhaben:
"Ich habe eine berühmte Namensvetterin – Anita Loos -, die ein Buch geschrieben hat, ‚Blondinen bevorzugt‘, das ich nicht kenne. Es scheint aber ausgezeichnet zu sein, da niemand auch nur im Traum eingefallen ist, mich für die Autorin zu halten."
Am 6. Juni 1950 stirbt Lina Loos qualvoll im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an den Folgen eines "bösartigen Bauchfellgewächses". Ihren Körper gibt sie zur Obduktion frei. Ihr "Testament":
"Ich bin mir nicht einmal immer klar darüber geworden, was eine große Idee ist. Heute weiß ich es: Sich einsetzen, zu kämpfen, wenn nötig zu sterben für das Wohl aller Menschen."
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