Ausschlaggebend für meine heutige Wahl für ein neues Frauenporträt war der Geburtstag. Heute vor 171 Jahren ist Jennie Churchill nämlich auf die Welt gekommen. Der berühmte Namen hat mich neugierig gemacht...
Die Familie Jerome sind Hugenotten von der Isle of Wight, die 1710 nach Amerika ausgewandert sind. Leonard Jerome hat in seinem Leben, spezialisiert auf "Leerverkäufe", im Zuge des amerikanischen Bürgerkriegs mehrere Vermögen gemacht und wieder verloren. Die Familie gehört also nicht zu den sagenumwobenen vierhundert New Yorkern mit altem Geld, die angeblich in Mrs. Astors Ballsaal gepasst haben. Die Überlieferung der Familie Hall besagt wiederum, dass die Großmutter mütterlicherseits irokesische Vorfahren gehabt hat ( es gibt jedoch keine Beweise, die dies bestätigen ). Es ist eine Familie von Landbesitzern. Die Großeltern Ambrose Hall und Clara Willcox sind ein sehr prominentes Paar in Rochester, New York gewesen.
Jennie und ihre Schwestern haben ein Kindermädchen und eine Gouvernante und erhalten Privatunterricht, wobei der Schwerpunkt auf den vornehmen Künsten liegt – Musik, Klavier, Zeichnen sowie Französisch und Deutsch. Ihr Vater besitzt Rennpferde, und Jennie und ihre Schwestern können reiten wie der Wind.
Jennies Erziehung und Ausbildung ist darauf ausgerichtet, dass damals für Mädchen vorgesehene Schicksal zu erfüllen. Unabhängigkeit gehört nicht dazu. Ist man von gesellschaftlichem Rang, heißt das: eine gute Ehe, vorzugsweise mit einem britischen Aristokraten.
Das junge Mädchen ist eine talentierte Pianistin. Ihr Lehrer, der Chopin-Freund Stephen Heller, glaubt sogar, sie könne durch harte Arbeit "Konzertniveau" erreichen. Doch eine solche Fähigkeit wird in ihrer Umgebung nicht als Möglichkeit gesehen, selbst den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Jennie ist auch äußerst belesen und blitzgescheit. Sie ist geradezu umwerfend schön - einer ihrer Bewunderer meint, ihr Aussehen habe "mehr von einem Panther als von einer Frau". Nach Meinung ihrer Mutter ist ihre Tochter prädestiniert dafür, in Zukunft an der Spitze der Gesellschaft zu stehen, indem sie Reichtum gegen einen Titel tauscht.
Jennie außen rechts mit Mutter Clara und den Schwestern Clarita & Leonie ( ohne Jahr ) |
1867 kommt Jennie mit Mutter und Schwestern nach Paris, nachdem ihr Vater und seine zahlreichen Mätressen - alles junge Sängerinnen, die er fördert und die im Haus der Familie ein- & ausgehen - einen Skandal heraufbeschworen und die Mutter das alles satt hat. In der französischen Hauptstadt wird nicht nur der Gebrauch der Landessprache perfektioniert, sondern Jennie wird auch beigebracht, sich mit der Diskretion einer echten Pariserin zu benehmen, eine Mischung von Eigenschaften, die damals nur wenige junge englische Mädchen beherrscht haben.
1870 soll sie in die höfische Gesellschaft eingeführt werden, in der ihre Mutter und ihre älteste Schwester bereits seit längerem unterwegs sind. Der Sturz der französischen Monarchie als Folge des Deutsch-Französischen Krieges macht diesen Plan dann aber zunichte. Das Jerome-Quartett zieht folglich weiter nach London. Dort werden die Schwestern die erste Welle amerikanischer Schönheiten anführen, die in die britische Aristokratie einheiraten, quasi die Vorhut einer Flut von sogenannten "Dollarprinzessinnen":
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerieten die großen britischen Adelsfamilien in Schwierigkeiten. Einige von ihnen verschwanden, ruiniert durch ihren kostspieligen Lebensstil und die Depression in der Landwirtschaft – der Lebensader eines jeden Anwesens –, während andere um ihr Leben kämpften. Für einige hundert Familien geschah das Wunder in Form einer amerikanischen Erbin, also jenen 'Dollarprinzessinnen'. Bis 1895, als neun von ihnen zu Damen, Gräfinnen, Marquisen und Herzoginnen wurden, hatte sich das System dahingehend entwickelt, dass Mütter und Töchter für die Dauer der gesellschaftlichen Saison ( April bis August ) London besuchten. Bis in den 1930er Jahren heirateten etwa 350 US-Erbinnen in die britische Aristokratie ein. Schätzungen zufolge brachten sie eine Milliarde Pfund mit.
Jennie gilt mit ihren schwarzen Locken als die attraktivste, kontaktfreudigste und freimütigste der Jerome- Schwestern, dazu glamourös und modebewusst. Bei einem Regattaempfang im August 1873 auf der Isle of Wight lernt die damals 19-jährige Jennie den 24-jährigen Lord Randolph Churchill kennen, gerade neu gewählt als Mitglied des englischen Unterhauses der Tory-Partei für den Wahlkreis Woodstock. Sie beginnen sofort eine stürmische Romanze, und nach nur drei Tagen verlobt sich das Paar. John Winston Spencer-Churchill, 7. Duke of Marlborough und Vater des jungen Mannes, seines dritten Sohnes, ist alles andere als begeistert und schreibt ihm, dass er gehört habe, dass der Vater seiner Zukünftigen zwar "ein sportlicher und, wie ich finde, vulgärer Mann" sei.
Frisch verehelicht (1974) |
Nach Überwindung einigen Widerstandes der Eltern heiraten die beiden jungen Menschen schließlich am 15. April 1874 in der britischen Botschaft in Paris. Dadurch erwirbt Jennie die Anrede "Lady Randolph Churchill". Geld bzw. der Mangel daran bestimmt von Anbeginn diese Ehe, die erst geschlossen werden kann, nachdem Vater Jerome einer Kapitalsumme mit einem heutigem Wert in Höhe von 4,3 Millionen Pfund zugestimmt und diese als Mitgift an die Churchills überwiesen hat. Dieses Kapital wird in Zukunft ungefähr 2.000 Pfund jährlich einbringen, von denen Jennie die eine Hälfte als "Taschengeld" behalten darf und Randolph die andere. Ohne das Geld hätte es also keine Hochzeit gegeben...
Schon ein halbes Jahr später, am 30. November 1874, bringt Jennie in Woodstock, Oxfordshire, England, ihren ersten Sohn Winston zur Welt ( ich kenne das, bin ich doch auch so eine "Frühgeburt". Winston Churchill, einmal dazu befragt, äußerte sich so: "Obwohl ich bei der Geburt anwesend war, kann ich mich an die Ereignisse, die dazu geführt haben, nicht genau erinnern." ). In Woodstock, auf dem Wohnsitz der Churchills, Blenheim Palace, muss Jennie erst einmal viel Zeit mit ihrer Schwiegermutter Frances verbringen, bis Randolphs Vater ihnen ein Haus im schicken Londoner Stadtteil Mayfair kauft.
Obschon ihr Mann bereits bei der Verlobung geäußert hat, er würde "ein friedliches Leben ohne besondere Beschäftigung genießen", legt Jennie da bereits einen gewissen Ehrgeiz an den Tag und antwortet ihm: "Ich möchte, dass Sie ebenso ehrgeizig wie klug sind … und ich bin sicher, Sie würden Großes erreichen." ( Quelle hier ) Jennie wird in Zukunft also bestrebt sein, die Karriere ihres Mannes voranzutreiben. Aber sie will sich auch selbst einen Namen machen.
1880 |
Zwischendurch wird sie Mutter eines zweiten Sohnes, denn John Strange, genannt Jack, kommt am 4. Februar 1880 in Dublin zur Welt. Dorthin ist die Familie für ein paar Jahre ausgewichen, weil Jennies Mann im Zuge der Aylesford-Affäre 1876 den englischen Thronfolger Eduard, Prince of Wales, zu erpressen versucht hat, um seinen älteren Bruder zu begünstigen. Nachdem der Prinz Randolph zu einer Entschuldigung bzw. einem Duell aufgefordert hat, entschuldigt sich dieser nur widerstrebend und verlässt daraufhin erst einmal England.
Wie es in ihrer Gesellschaftsschicht damals üblich ist, spielt Lady Randolph bei der Erziehung ihrer Söhne nur eine begrenzte Rolle und verlässt sich weitgehend auf Kindermädchen. In seinen Memoiren stellt Winston Churchill es so dar, dass er als Kind von seinen Eltern weitgehend vernachlässigt worden ist: Der Vater sei auf seine Karriere fixiert, die Mutter durch regen Anteil am gesellschaftlichen Leben abwesend gewesen. So bleiben die Söhne vor allem Elizabeth Everest anvertraut. ( Aussagen einer Enkelin von Bruder Jack relativieren diese Beteuerungen allerdings später. )
Mit acht Jahren kommt Jennies Ältester schon in ein Internat. Trotzdem bewundert er seine Mutter. In seinen Memoiren wird er schreiben: "Sie leuchtete für mich wie der Abendstern. Ich liebte sie innig, aber aus der Ferne."
Jennie genießt ein hohes Ansehen in den höchsten gesellschaftlichen und politischen Kreisen Englands und ist einflussreich. Sie hat immer einen witzigen Spruch auf den Lippen, lacht zudem gern und ihre Augen funkeln vor Lebensfreude. Sie ist keinesfalls ein intellektuelles Leichtgewicht, sondern eine gut informierte Leserin und eine begeisterte Verfechterin jeder Neuheit, so dass selbst Alexandra, die Princess of Wales, Ehefrau des gleichnamigen Prinzen und späteren König Edward VII., ihre Gesellschaft genießt und mit ihr gemeinsam Klavier spielt. Und das, obwohl Jennie eine Affäre mit ihrem Ehemann, dem der Ruf des "Dirty Bertie" vorauseilt, hat ( Alexandra weiß wohl davon )!
Solche Kontakte ihrerseits, aber auch ihre weiteren außerehelichen Liebesbeziehungen kommen der frühen Karriere ihres Mannes enorm zugute. Bekannte Persönlichkeiten wie eben jener Prince of Wales und spätere König Edward VII., ersuchen die junge Ehefrau um Rat und schätzen ihre Gesellschaft, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Während des Wahlkampfes ihres Mannes als inzwischen unabhängiger Konservativer und Kritiker der alten Garde der Tories hält Jennie Reden und gibt Interviews, in denen sie die Politik ihres Mannes vertritt. 1883 wird sie gar eine der Hauptorganisatorinnen der Primrose League, von ihrem Mann gegründet, um neue konservative Wählerschichten über soziale Grenzen hinweg für die Partei zu gewinnen, und geht von Tür zu Tür, um die Rolle der Primrose Dames zu betonen. Als 1895 wegen der ungeklärten Grenze zwischen Venezuela und Britisch-Guayana ein Krieg mit Amerika droht, nutzt Jennie und andere amerikanische Frauen, darunter die Frau des Kolonialministers Joseph Chamberlain, ihren Einfluss in Politik und Presse, um dem Hurrapatriotismus und der Kriegsbegeisterung Grenzen zu setzen.
Mit ihren Söhnen (ca.1888) |
"Indien und alles Indische nahm in diesem Winter einen großen Platz in meinen Augen ein, und ich erwarb mehr Wissen über das Land und seine Geschichte als je zuvor. Ich wurde gebeten, Lady Dufferin bei der Stiftung zu helfen, die sie zugunsten der Frauen Indiens auflegte. Dies verschaffte nicht nur vielen englischen Ärztinnen Arbeit, sondern eröffnete auch einheimischen Frauen eine Karriere und linderte das schreckliche Leid anderer."
Königin Victoria überreicht ihr dafür persönlich die Insignien des Ordens der Krone von Indien.
(1888) |
Jetzt erst gelingt es Jennie, eine eigene Beziehung zu ihrem Ältesten zu entwickeln, nachdem sie bis dahin gegen ihre Neigung nur die restriktiven Diktate des Vaters an ihn weitergeleitet hat. Ihr Verhältnis gestaltet sich nun rundum positiv, und der Sohn wird später dazu schreiben:
"Meine Mutter war stets mit Rat und Hilfe zur Hand, aber … sie dachte nie daran, elterliche Kontrolle über mich auszuüben. Ja, sie wurde mir bald eine eifrige Verbündete, sie förderte meine Pläne und wahrte mein Interesse mit all ihrem Einfluß und ihrer nie ermüdenden Energie … Wir arbeiteten Hand in Hand als zwei Gleichstehende, mehr wie Bruder und Schwester denn wie Mutter und Sohn. … Und so blieb es bis zum Ende." ( Quelle hier )
Nach dem Tod ihres Mannes packt sie eine Reihe kühner Projekte an, aber Winston wird Jennies größtes. Die zentrale Rolle, die sie dabei gespielt hat, ihrem Sohn das Selbstvertrauen zu vermitteln, welches ihn später zum größten britischen Premierminister und Retter der Nation vor Nazideutschland gemacht hat, weiß man inzwischen wohl zu schätzen. Obwohl das erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod sein wird: Ihr unerschütterlicher Glaube an seine Bestimmung hat seinen Zweck in der Krise nicht verfehlt.
Nach dem Tod ihres Ehemannes tut sie also alles, um ihrem Sohn den Erfolg zu ermöglichen, den sie sich einst für Lord Randolph erhofft hat: "Alle meine Ambitionen konzentrieren sich auf dich", schreibt sie ihm 1895. Ihrem Einfluss ist es geschuldet, dass sich Winston in Richtung "politische Führungsrolle" aufmacht. Sie ermutigt ihn, Reden zu halten, die die Aufmerksamkeit eines ganzen Raumes fesseln können. Sie schickt ihm ständig Bücher als seine inoffizielle Literaturagentin, lehrt ihn, Kunst und Humor zu schätzen.
Als Theodosia verkleidet für einen Kostümball (ca. 1898) |
Winston, einstens vom Traum beseelt, an der Seite seines Vaters ins Unterhaus einzuziehen, kann das erst mit seiner Mutter realisieren, die ihm bei seinen Kampagnen zur Seite steht, ihm finanzielle Unterstützung verschafft, Interviews mit der Presse vermittelt, hilft, seinen Ruf als junger Politiker aufzubauen und anschließend seine Position zu festigen. Und dafür nutzt sie als geschickte Netzwerkerin jede ihrer politischen und gesellschaftlichen Verbindungen, auch die romantischen.
So vermittelt sie ihm beispielsweise den Kontakt zu William Bourke Cockran, einem ehemaligen Liebhaber, bei einem Zwischenstopp in New York. Cockran, ein in Irland geborener Demokrat, wird für Winston zu einer lebenslangen Inspiration, einem Mentor und einer Vaterfigur, die ihn wie den Sohn behandelt. Das Studium seiner Reden verhilft dem Jungpolitiker dazu, ebenfalls ein begnadeter Redner zu werden – ein entscheidender Teil seines Erfolgs während des 2. Weltkrieges!
All das geschieht allerdings wohl zum Nachteil ihres Jüngsten...
Mit ihrem verwundeten Sohn Jack, der am 13. Februar 1900 an Bord der "Maine"gebracht worden ist |
Für dieses Unterfangen unterbricht sie sogar ihre Karriere als Verlegerin des Luxusmagazines "Anglo-American Review", einer Literaturzeitschrift, die sie mit ihrem Sohn begründet hat und bei der namhafte Schriftsteller, Journalisten und Politiker publizieren, in der ersten Ausgabe beispielsweise der bekannte Romanautor Henry James.
Es bleibt ihr trotz alledem noch Zeit für Liebesdinge: Bei einer Wochenendparty im Juli 1898 hat Jennie George Cornwallis-West kennengelernt, einen Captain der Scots Guards, der nur 16 Tage älter als ihr eigener Sohn ist. Am 28. Juli 1900 heiratet sie ihn in der St. Paul's Church in Knightsbridge. Doch das geht nicht lange gut:
Da ist einmal ihr Umgang mit dem ( immer knappen ) Geld, der den frischgebackenen Ehemann stört: "Der Wert des Geldes bedeutete ihr nichts: Was für sie zählte, waren die Dinge, die sie für ihr Geld bekam, nicht der Betrag, den sie dafür bezahlen musste", schreibt er einmal.
Und dann führt ein weiterer Versuch Jennies, solches Geld zu verdienen, indem sie sich durch das Schreiben eines Theaterstückes in eine neue Liga zu heben versucht, zu einem folgenreichen ehelichen Zwist:
Für das Theaterstück wird die Schauspielerin Mrs. Patrick Campbell engagiert, elf Jahre jünger als Jennie, schön und geistreich und mit dem Talent gesegnet, komplexe und faszinierende Frauen zu spielen. "His Borrowed Plumes" – oder wie es manche aus der Besetzung nannten "His Sorrowful Blooms" – ist ein stark autobiografisches Stück im Stück und hält sich, trotz großem Interesse der Aristokraten und Prominenten Englands, nur zwei Wochen auf der Bühne. Mrs. Patrick Campbell hat sich hingegen dauerhaft im Herz des Ehemannes eingenistet. Jennie trennt sich 1912 von George und lässt sich im April 1914 scheiden. Der heiratet daraufhin die Schauspielerin, und Jennie nimmt per Urkunde wieder den Namen Lady Randolph Churchill an.
Mit ihrem Sohn Winston (1911) |
Schon 1910 versucht Jennie rund um die Inthronisation George V. nach dem Tod von Edward VII. ein großartiges öffentliches Spektakel auf die Beine zu stellen, das sich auf die englische Geschichte und Literatur beruft - ein Beweis für ihren enormen persönlichen Mut und ihre Liebe zu ihrem Wahlland.
Finanziell wird es, obwohl wieder anders gedacht, ein spektakulärer Misserfolg. Es soll ein Shakespeare - Ball stattfinden. Sie sammelt dabei Geld für ein Nationaltheater. Mit Unterstützung von Edwin Lutyens ( siehe auch dieser Post ) verwandelt sie die Albert Hall in einen bezaubernden elisabethanisch-italienischen Garten, in dem etwa 600 Gäste in Shakespeare-Kostümen bis zum Morgengrauen tanzen können. Der neue König und seine Königin können von Jennie überredet werden, zwei Tag vor der Krönungsfeier, daran teilzunehmen. Der Abend ist ein dramatischer Erfolg.
Aber es bleibt nur dieser eine Abend. Auch ihre weiteren Anstrengungen rund um die englische Dichterlegende und seine Würdigung durch ein Denkmal oder Theater oder Ausstellungen und Turniere bringen ihr viel Lob, aber keine Belohnung ein. Dafür gelingt ihr ein weiterer humanitärer Einsatz, eine Spendensammlung für ein Krankenhaus in Paignton, in Devon, während des 1. Weltkrieges. Mit den gesammelten Geldern können auch Krankenwagen für die Front, Kleidung für Flüchtlinge, Arbeitsplätze für Frauen und Hungerhilfe für Belgien finanziert werden. Jennie sieht in dem Beitrag der Frauen während des Krieges durchaus eine Möglichkeit der Verbesserung der Stellung der Frauen in der Gesellschaft.
Nach ihrer Scheidung mit sechzig Jahren ist sie immer noch bezaubernd. Ihre nächste Eroberung sorgt für mehr Aufsehen denn je: Um 1918 lernt sie den britischen Kolonialoffizier Montagu Porch kennen, der einen Großteil seiner Dienstzeit in Afrika verbracht hat. Der ist ganze drei Jahre jünger als Jennies Ältester, der inzwischen auf dem besten Weg ist, ein wichtiges Parlamentsmitglied zu werden. Am 1. Juni 1918 heiratet seine Mutter ein drittes Mal. Reaktion ihres Jüngsten: "Was für eine Überraschung! Immer wenn ich in den Krieg ziehe, machst du diese Dinge!" Winston gewinnt im selben Monat seinen ersten Parlamentssitz in Oldham.
Jennie findet eine letzte Methode, Geld zu verdienen, die funktioniert: Sie nutzt ihren guten Geschmack und Stil und betätigt sich als das, was man heute als Innenarchitektin bezeichnet. Viele ihrer Ratschläge gibt sie kostenlos an Freunde weiter, während sie weiterhin versucht, als Schriftstellerin Geld zu verdienen. Schließlich kauft sie im Februar 1921 ein Haus am Berkeley Square, um es für 35.000 Pfund zu verkaufen: "... ein klarer Gewinn von 15.000 Pfund", meint Winston dazu.
Während ihr Ehemann in Nigeria herauszufinden sucht, wie man dort investieren kann, macht sie sich auf den Weg nach Rom, um den Gewinn aus dem Verkauf des Hauses auszugeben. Sie wohnt bei ihrer alten Freundin Vittoria Colonna, Herzogin von Sermoneta, in Rom. Deren Palazzo Caetani wird gerade renoviert, und Jennie gibt ihrer Freundin Ratschläge zur Inneneinrichtung. Zusammen durchsuchen sie alle Antiquitätenläden.
1921 |
Unter den Sachen, die Jennie in Rom kauft, sind zierliche Absatzschuhe von den besten römischen Schuhmachern – sie ist immer sehr stolz auf ihre schmalen Knöchel gewesen und trug gerne ihre Röcke kurz genug, um sie zu zeigen.
Als sie ihre Freundin Lady Katharine Horner in Mells in Somerset besucht, trägt sie ein Paar der neuen Schuhe. Sie stürzt eine Treppe hinunter, weil sie befürchtet, zu spät zum Dinner zu kommen. Was mit einem verstauchten Knöchel beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Wundbrand, der eine Amputation am 10. Juni notwendig macht.
Am 28. Juni platzt plötzlich ohne Vorwarnung ein Hauptschlagader, sie fällt ins Koma. Am 29. Juni 1921 stirbt Jennie Churchill im Alter von 67 Jahren. Wie alles, was sie in ihrem Leben getan hat, ist auch dieses Ende höchst aufgeladen und dramatisch. Bis zuletzt ist sie unvorbereitet auf den Tod und hinterlässt kein Testament.
Reaktion ihres berühmten Sohnes: "I do not feel a sense of tragedy but only loss. Her life was a full one. The wind was in her veins."
Ihre letzte Ruhe findet Jennie im Familiengrab der Churchills auf dem St. Martins Friedhof in Bladon Oxfordshire neben ihrem ersten Ehemann. Weniger ruhig bleibt es um ihren Ruf: Lange wird sie als die mit den zweihundert Liebhabern und dem Ouroboros - Tattoo um ihren Unterarm ( was nicht bestätigt ist ) und die desinteressierte, schlechte Mutter gesehen ( zu einer Zeit, als von Müttern ihrer Klasse erwartet worden ist, dass sie Kinder anderen Menschen überlassen ).
Wie ein Tagebuch aus dem Jahr 1882 zeigt, das inzwischen im Besitz des Churchill College Archives ist, hat sie sich viel aktiver bei der Ausbildung ihres kleinen Sohnes engagiert. Die hinterlassenen Briefe beweisen, dass sie sich ständig mit Winston brieflich verständigt hat, sie sich gegenseitig Ratschläge erteilt, ermutig und unterstützt haben. Die beiden sind tief und emotional in das Leben des anderen eingebunden gewesen, selbst in Zeiten nationaler Krisen. In einer anderen Ära hätte sich diese Frau mit ganz breit gefächerten Interessen, darunter auch politische Fähigkeiten, höchstwahrscheinlich auf eine ganz andere, vermutlich auch berufliche Karriere konzentrieren können. Zum Glück verändert sich die Perspektive auf Jennie Churchill über hundert Jahre nach ihrem Tod aufgrund genauen Quellenstudiums...
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