Die Malerin, die ich heute vorstelle, ist in der Sammlung "Russische Avantgarde" des hiesigen Museum Ludwig dank Peter & Irene Ludwig gut vertreten, und ihre Bilder haben mir öfter als Inspiration gedient, als ich noch regelmäßig im Museumskurs "Faszination Farbe", immer dienstags spätnachmittags teilgenommen und dort gemalt habe. Ihr 140. Geburtstag heute war mir Anlass, sie in meinem Blog vorzustellen.
"Dieppe" (1912-1913) Source |
Die Kindheit und Jugend Alexandras spielt sich also im Wesentlichen in Kiew ab, damals eine für westliche Kontakte offene Kulturstadt, die sich an Krakau und Dresden ebenso wie an München, Wien und Paris orientiert. Jenseits der unverhältnismäßigen Ambitionen, die das Petersburger Klima jener Zeit vergiften, aber auch jenseits der harten Konkurrenz, wie sie in Moskau herrscht, welches sich immer mit Sankt Petersburg und Paris vergleicht, bietet Kiew mit seiner Provinzialität und seiner südlichen Mentalität jungen Künstlern eine gewisse Freiheit und setzt sie nicht dem Wettbewerb aus.Die kosmopolitische Bevölkerung mit moldavischen, jüdischen und vor allem polnischen Wurzeln begünstigt eine überparteiliche Assimilation und ist ausgesprochen europäisch orientiert. Bei Alexandra fördert das von frühester Jugend eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit anderen Sprachen und anderen Kulturen.
1903 unterbricht die charmante & talentierte junge Frau ihr Studium wegen der Liebe zu ihrem Cousin Nikolai Evgenjewitsch Exter, einem erfolgreichen Kiewer Anwalt, den sie 1904 heiratet. Die Familie Exter gehört zur kulturellen und intellektuellen Elite Kiews.
Mit ihrem Mann hat sie eindeutig Glück: Er ist ein mehr als moderner Mensch, der nicht der Versuchung erliegt, die 22jährige nach seinen Wünschen zu formen, sie in irgendetwas einzuschränken, auch nicht in der Suche nach sich selbst. In ihrem Verlangen, sich mit Kunst zu beschäftigen, bestärkt er Alexandra sogar. 1906-08 schreibt sie sich wieder im Kiewer Kunstinstitut ein. Zu dieser Zeit unterhält sie einen Salon mit Workshop in ihrem Haus, der zu einem Treffpunkt für die Kiewer Vertreter der Avantgarde-Kunst wird.
Da sie gut situiert sind, kann sich das Ehepaar Exter leisten, viel zu reisen. Auf einer Reise nach Europa stellt der Ehemann Alexandra dem befreundeten Künstler Alexej Jawlensky vor, der ihr Talent erkennt und sie mit anderen befreundeten Künstlern bekannt macht, darunter Wassily Kandinsky – nicht schlecht für den Anfang! Mit ihrem Mann hält sie sich 1907 längere Zeit in Paris auf und besucht dort die sogenannten Akademien ( freien Ateliers ) von Montparnasse, insbesondere die "Académie de la Grande Chaumière" von Carlo Delvall.
Composition (Genoa) (1914) |
Dort trifft Alexandra auch den futuristischen Kunstkritiker und Maler Ardengo Soffici, mit dem sie während der "Soirées de Paris"-Jahre eine Liebesbeziehung verbinden wird. Sie leben und schaffen gemeinsam in Alexandras Atelier, sie schreiben, reisen, besuchen italienische Städte ( Mailand, Venedig, Florenz, Neapel, Taormina ). Alexandras Ehemann reagiert auf die Liaison in keinster Weise, wofür sie ihm scheinbar dankbar gewesen ist.
Es ist Soffici, der ihr Umberto Boccioni vorstellt und der Alexandra mit seinem Simultanismus erobert. Sie trifft auch Filippo Tommaso Marinetti, den Begründer des Futurismus. Beide, Alexandra wie Soffici, sind hingerissen von der Idee einer Synthese von Kubismus und Futurismus.
Während Soffici mit Bildsynthesen experimentiert, nähert sich Alexandra der Idee mit Hilfe der Collage aus Zeitungsausschnitten. Aus diesen Jahren gibt es kubofuturistische Stillleben, dazu die Ansichten von Moskau und Paris. Die italienische Landschaft spiegelt sich auf Gemälden von Venedig, Genua und Florenz, in denen die Malerin kubistische Plastizität mit futuristischer Farbexplosion verbindet. Die Landschaften dieser Zeit sind oft dynamisch gestaltet. Ihre Affinität zum zeitgenössischen Werk Sofficis wird in ihrer künstlerischen Bedeutung aber von eher oberflächlichen Kunstkritikern stark übertrieben, so wie auch der Künstler selbst in seinen späteren Memoiren das Verhältnis mehr romantisieren wird als angemessen.
Während dieser Zeit nimmt Alexandra an allen möglichen Orten, nicht nur im Russischen Reich, sondern auch in Europa, an fast allen namhaften Avantgarde-Ausstellungen teil – so bei der von "Karo-Bube" ( "Bubnovyj valet" - siehe auch dieser Post ) bis zum französischen "Salon des Indépendants" - und macht sich einen Namen. Sie ist kosmopolitisch durch und durch, wie es auch ihre Pariser Wohnung reflektiert, die die Schauspielerin Alice Coonen vom Moskauer Kammertheater als eine auffällige, eigenartige Kombination der europäischen Kultur mit ukrainischem Leben beschreibt. An den Wänden zwischen Picasso- und Braque-Gemälden befänden sich ukrainische Stickereien, auf dem Boden läge ein ukrainischer Teppich, am Tisch serviert sie Knödel in Tontöpfen und auf bunten Majolikatellern.
"Dynamique de couleurs" (ca. 1915) |
"Elemente der 'Ismen' (Kubismus, Futurismus, später in Rußland Suprematismus und Konstruktivismus) fließen in ihren Malstil mit ein und werden von ihr zu etwas gänzlich Neuem umgeformt. Dabei spielt in ihrem Werk die Farbe eine überragende Rolle: Exter liebt lichtgesättigte Farben und experimentiert mit der Dynamik, dem Rhythmus, den Wesensmerkmalen von Farbtönen. Ihre Bilder leben durch das beziehungsreiche Verhältnis geometrischer Formen, Linien und Farbflächen", so beschreibt Adriane von Hoop auf "Fembio" die Kunst der Alexandra Exter.
Deren Autorität ist schließlich so groß, dass sie in einer Reihe von künstlerischen Konflikten als Schlichterin fungiert, wie bei der Vorbereitung der letzten futuristischen Ausstellung "0.10" Ende 1915 in Petrograd, die ohne ihre Diplomatie nach Ansicht vieler im Desaster geendet hätte. Ihr wird vertraut und dieses Vertrauen in sie wächst weiter.
Ihren Lebensschwerpunkt hat sie 1912/13 in St. Petersburg, 1913/14 dann wieder in Frankreich. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges vereitelt schließlich Alexandras weitere Pläne. Sie kann noch zusammen mit mehreren russischen Kollegen auf der Internationalen Ausstellung futuristischer Maler und Bildhauer in der Galerie Sprovieri in Rom ausstellen, dann ist ihre erfolgversprechende Karriere in Europa jäh zu Ende und sie kehrt nach Kiew zurück.
Kostümentwurf für "Famira Kifared" |
Auf ihren Reisen durch Italien hat sich die Malerin für die monumentale Strenge der etruskischen Skulptur begeistert, die nun Einfluss auf ihre Theater- & Filmarbeit nehmen wird, zuerst bei der Inszenierung von "Famira Kifared" von Innokenti Fjodorowitsch Annenski 1916 und der "Salomé" von Oscar Wilde 1917, wenige Monate vor der Revolution, zusammen mit Alexander Tairow, dem namhaften & erfolgreichen Regisseur des "Kamernyj teatr". Es ist übrigens Natalia Gontscharowa gewesen, die Alexandra mit ihm bekannt gemacht hat.
Erfolgreich ist die Künstlerin in jener Zeit auch als Lehrerin in ihrer eigenen Schule, die für zwei Jahre zum Zentrum der Avantgarde in Kiew wird. Namhafte Künstler arbeiten bei ihr im Studio, darunter El Lissitzky ( siehe auch dieser Post ).
Während Revolutionen scheint das Leben immer im Galopp zu rasen, und für Alexandra Exter gibt es da keine Ausnahme: 1918 stirbt nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihr Mann an Cholera, und ihr Schwiegervater, der die Bohémienne-Schwiegertochter ohnehin nicht leiden kann, wirft sie aus dem Haus und rückt ihr nicht einmal ihre Bilder heraus. Viele von ihnen bleiben spurlos verschwunden oder werden zerstört. Vor dem brutalen Bürgerkrieg in Kiew weicht Alexandra schließlich nach Odessa aus, auch in der Hoffnung, von dort aus aus dem Land den Rücken kehren zu können. Vergeblich. Sie bleibt bis 1920 am Schwarzen Meer und zieht dann nach Moskau.Alexandra Exter "Georgij Nekrasov" |
Zum Glück sind die Avantgardisten anfangs bei den Revolutionären gut angesehen & gefragt. Alexandra Exter öffnet ihre Werkstatt für dekorative Kunst, illustriert futuristische Bücher, entwirft Kleider, Kissen, Lampenschirme, sogar Uniformen für die Rote Armee, und für revolutionäre Feiertage schafft sie die Straßendekorationen, ja, sie gestaltet sogar Massenaufmärsche, Propagandaschiffe, Propagandazüge.
Vor allem aber produziert Alexandra in den nächsten Dekaden aber innovative und einflussreiche Bühnenbilder für Theaterstücke, Ballette und Experimentalfilme. Dabei verwandelt sie die bisherigen zweidimensional zu begreifenden Bühnenräume in dreidimensionale abstrakte Gebilde mit mehreren Spielflächen auf unterschiedlichen Ebenen. Sich kreuzende Strahlen von Licht sollen helfen, die Bühne in einen greifbaren Raum zu verwandeln. Das ist revolutionär und in der Theatergeschichte etwas grundlegend Neues.
Im August 1920 heiratet sie in Moskau den Schauspieler Georgij Nekrasov, den Erben einer Kaufmannsfamilie, und arbeitet am Theater des Volkshauses. In Moskau nimmt sie auch wieder ihre Zusammenarbeit mit Tairow auf. Für das Stück "Romeo und Julia" ( weitere Kostümentwürfe sind hier zu sehen ) kreiert sie Sets und einfach wunderbare Kostüme. Dennoch scheitert die Aufführung, nach Ansicht der Kritiker an Tairow, nicht an Alexandra Exter. Der selbstbewusste, stolze Theatermann und seine Frau Alice Coonen nehmen das sehr übel und danach ist Schluss mit der gemeinsamen Arbeit.
Außerdem arbeitet sie als Kostümbildnerin im Ballettstudio der Tänzerin Bronislava Nijinska.
Kostüme für "Romeo und Julia" (1921) |
Kostümentwurf für "Aelita" |
Ein weiteres Projekt, das den Start eines neuen Genres des sowjetischen Kinos markiert, ist der Film "Aelita" ( deutsch: "Der Flug zum Mars)" von Jakov Protazanov. Alexandra schafft die Kulissen und Kostüme für das nach der berühmten Geschichte von Alexey Tolstoi gedrehten Werk. Der Film ist zweifelsfrei ein Erfolg: Die Vorführungen in einem Moskauer Kino sind lange Zeit ausverkauft. Aber die sowjetischen Kritiker mögen den Film nicht und beschuldigten die Filmemacher, den Interessen der Arbeiterklasse zuwiderzuhandeln. Es ist nicht einfach mit diesen Revolutionären! Filmhistorisch ist er bedeutend, beeinflusst er doch die Entwicklung des Genres "Science Fiction" in Theater und Film nachhaltig.
Nicht verwunderlich, dass sie sich auch einen Namen als Modedesignerin macht. Sie experimentiert mit Transparenz, Bewegung und der Lebendigkeit von Stoffen und integriert auch Elemente der Geometrie und Struktur in ihre Entwürfe. Sie beschließ dann tatsächlich, ihr Kostümdesigns in den Alltag zu übertragen und beginnt 1921 eine Modekarriere. Ihre Entwürfe für die Massenproduktion sind tragbar und gleichzeitig dekorativ und innovativ. Sie gilt allerdings vielen als Haute-Couture-Designerin.
Filmset zu "Aelita" |
Zudem bietet sie an der 1920 in Moskau gegründeten russischen staatliche Kunst- und Technikschule freie Workshops an, trägt zur Ersten Russischen Kunstausstellung in Berlin bei ( siehe auch dieser Post ) und ist aktiv beteiligt an einem der kühnsten Avantgarde-Unternehmen der Zeit, der konstruktivistischen Ausstellung "5×5=25" ( September 1921 ), die den Höhepunkt der radikalsten gegenstandslosen Malerei markiert.
Als Mitglied des Designteams für den Iswestija- Pavillon auf der All-Union-Landwirtschaftsausstellung in Moskau ist sie auch dort gestalterisch tätig. Unglaublich, was diese gerade mal Vierzigjährige so alles auf die Beine stellt! Es ist, als ob ihr Tag mehr als vierundzwanzig Stunden hätte.
1924 wird sie in die Organisationsgruppe des sowjetischen Kunstpavillons auf der XIV. Internationalen Kunstbiennale in Venedig aufgenommen. Sie nimmt ihren Mann mit in die Lagunenstadt, erledigt alle Arbeiten, die für die Dekoration des Pavillons erforderlich sind - und das ist es dann: Alexandra Exter kehrt nicht mehr in die Sowjetunion zurück.
Nach einer gewissen Zeit in Italien zieht das Ehepaar Exter - Nekrasov im Dezember 1924 nach Paris. Dort entwirft sie Kostüme für Boris Romanows "Russkij romantičeskij balet" (Russian Romantic Ballet) und für die Londoner Ballette von Bronislava Nijinska, inzwischen ebenfalls im Exil.
( ca. 1925 ) |
Auch jenseits der französischen Grenze ist man an ihr & ihrer Arbeit interessiert. Ausstellungen mit ihren Werken finden in Berlin (1927) und in London, in Paris und in New York ( "Cubism and Abstract Art", 1936 ) und an vielen anderen Orten statt, die letzten großen 1937 in Prag und im "Musée des Arts et Métiers" in Paris.
1930 lässt sie sich im Pariser Vorort Fontenay-aux-Roses nieder und wird ihn ihr restliches Leben lang nicht mehr verlassen. Im Laufe der Zeit verschiebt sich ihr Interesse von der Staffeleimalerei über Innenarchitektur, Keramikmalerei bis hin zu einer ganz eigentümlichen Buchgrafik. Diese Arbeiten werden die bedeutendsten Werke ihrer letzten Arbeitsphase werden. Sie arbeitet für das Verlagshaus Flammarion in Paris. Einen besonderen Platz nehmen die Bücher von Marie Colmont ein, die sie illustriert: "Panorama des Flusses", "Panorama der Küste" und "Panorama der Berge" ( jetzt sind sie wertvolle Sammlungsobjekte ). Aber das ist nur eine spezielle, eher schmale Nische...
Allmählich verliert nämlich die europäische Kunstszene ihr Interesse an abstrakter Kunst, und Alexandra Exter findet immer weniger Arbeitsmöglichkeiten. Sie kommt dadurch in finanzielle Schwierigkeiten, die nur noch schlimmer werden, da sie auch einige gesundheitliche Probleme hat.
Man ist umso mehr überrascht, dass sie so fröhliche Dinge wie Bücher und Puppen schafft, als das Leben sie immer härter behandelt. Je mehr ihr Ruhm verblasst, sinken auch ihr Einkünfte. Ihr Mann unterstützt sie, so gut er kann, aber er kann eben nicht alles tun: In den Jahren der Besatzung durch die Deutschen ist das Leben für alle hart, da sind die Exters keine Ausnahme.
ca. 1935 |
Alexandra Leben wird nicht nur schwierig, sondern regelrecht gefährlich als Sowjetbürgerin in einer Stadt unter deutscher Besatzung. Aufgrund des politischen Klimas sorgt sie sich um das Schicksal ihrer Werke aus der russischen Zeit und versteckt sie letztendlich im benachbarten Atelier eines befreundeten Bildhauers. Nach ihrem Tod werden sich zahlreiche Personen aus seinem Umfeld an ihren Werken bereichern.
Ohne die Hilfe des Kalligraphen Guido Colucci hätte sie materiell kaum überlebt, der mit ihr seit 1932 Buchobjekte ( z.B. hier ist das um 1942 publizierte Buch "Le Lais" von François Villon mit einer Auflage von 20 geplanten Exemplaren zu sehen ) für einen kleinen Markt der feinen Buchsammler schafft.
Übrigens sind hier einige weitere Werke von Alexandra Exter zu sehen.
Was für ein faszinierendes Werk Alexandra Exter hinterlassen hat! Danke fürs Aufstossen eines neuen Fensters, denn ich kannte Namen und Werk bislang noch nicht.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
wow
AntwortenLöschenwieder so ein pralles künstlerisches Leben
und wie wandlungsfähig sie war
das ganze Spektum der zeitgenössischen Kunst hat sie abgedeckt
eine beeindruckende Frau
aber wieder so ein unrühmliches Ende :(
nur gut dass man sich wieder an sie erinnert
danke für die Vorstellung
liebe Grüße
Rosi
Ich bin so beeindruckt von ihrem Werk und ihrem Leben. Bisher hatte ich sie nie wahrgenommen. Man kennt fast immer nur die Männer-Namen, aber dass es dabei auch so hervorragende Künstlerinnen gab, ist unbekannt. Und was sie alles gemacht hat, wirklich beeindruckend!
AntwortenLöschenGut, dass Du ihren Namen hier groß veröffentlicht hast und uns einen Einblick in ihr Leben und Werk gegeben hast. Sie hat es mehr als verdient.
Herzlichst, Sieglinde
spannend!! zum ausführlichen lesen komme ich nochmal wieder!
AntwortenLöschenliebe grüße
mano
ich habe deinen beitrag sehr gerne gelesen und finde es fast peinlich, dass ich nichts von ihr wusste, ich habe höchstens mal ihren namen gelesen. auch wenn ihre kunst mich nicht sehr anspricht, so hat sie auf jeden fall ihren platz in der kunstgeschichte verdient - und es ist dir gelungen sie für mich aus der vergessenheit zu reißen.
AntwortenLöschenliebe grüße
mano