Donnerstag, 6. Januar 2022

Great Women #285: Alexandra Exter

Die Malerin, die ich heute vorstelle, ist in der Sammlung "Russische Avantgarde" des hiesigen Museum Ludwig dank Peter & Irene Ludwig gut vertreten, und ihre Bilder haben mir öfter als Inspiration gedient, als ich noch regelmäßig im Museumskurs "Faszination Farbe", immer dienstags spätnachmittags teilgenommen und dort gemalt habe. Ihr 140. Geburtstag heute war mir Anlass, sie in meinem Blog vorzustellen.

"Dieppe"
(1912-1913)
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Alexandra Exter erblickt als Alexandra Alexandrovna Grigorowitsch (Алекса́ндра Алекса́ндровна Эксте́р ) am 6. Januar 1882 ( nach dem gregorianischen Kalender am 18. Januar ) in Białystok im damaligen russischen Zarenreich ( seid 1945 zu Polen gehörend ) das Licht der Welt in einer wohlhabenden belarussischen Familie. Ihr Vater, Aleksandr Grigorovich, ist ein weissrussischer Geschäftsmann, ihre Mutter Griechin. 

Bald zieht die Familie nach Smela in der tscherkessischen Region, dann wieder nach Kiew um, da ist Asya, wie Alexandra genannt wird, drei Jahre alt. Dort besucht sie später das Kiewer Mädchen-Gymnasium der heiligen Olga, erhält eine ausgezeichnete Ausbildung und lernt Sprachen. Privat bekommt sie Zeichenunterricht. Anschließend studiert sie ab 1901 an der Kiewer Kunstschule, wo sie auf Alexander Bogomazov und Alexander Archipenko trifft. Ebenfalls am Kiewer Kunstinstitut lernt sie den gleichaltrigen Serge Férat ( eigentlich Graf Sergue Nikolaïevitch Jastrebzov ) kennen, der in ihrem Leben noch einmal eine gewichtige Rolle spielen wird. 
Die Kindheit und Jugend Alexandras spielt sich also im Wesentlichen in Kiew ab, damals eine für westliche Kontakte offene Kulturstadt, die sich an Krakau und Dresden ebenso wie an München, Wien und Paris orientiert. Jenseits der unverhältnismäßigen Ambitionen, die das Petersburger Klima jener Zeit vergiften, aber auch jenseits der harten Konkurrenz, wie sie in Moskau herrscht, welches sich immer mit Sankt Petersburg und Paris vergleicht, bietet Kiew mit seiner Provinzialität und seiner südlichen Mentalität jungen Künstlern eine gewisse Freiheit und setzt sie nicht dem Wettbewerb aus. 
Die kosmopolitische Bevölkerung mit moldavischen, jüdischen und vor allem polnischen Wurzeln begünstigt eine überparteiliche Assimilation und ist ausgesprochen europäisch orientiert. Bei Alexandra fördert das von frühester Jugend eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit anderen Sprachen und anderen Kulturen. 

1903 unterbricht die charmante & talentierte junge Frau ihr Studium wegen der Liebe zu ihrem Cousin Nikolai Evgenjewitsch Exter, einem erfolgreichen Kiewer Anwalt, den sie 1904 heiratet. Die Familie Exter gehört zur kulturellen und intellektuellen Elite Kiews. 

Mit ihrem Mann hat sie eindeutig Glück: Er ist ein mehr als moderner Mensch, der nicht der Versuchung erliegt, die 22jährige nach seinen Wünschen zu formen, sie in irgendetwas einzuschränken, auch nicht in der Suche nach sich selbst. In ihrem Verlangen, sich mit Kunst zu beschäftigen, bestärkt er Alexandra sogar. 1906-08 schreibt sie sich wieder im Kiewer Kunstinstitut ein. Zu dieser Zeit unterhält sie einen Salon mit Workshop in ihrem Haus, der zu einem Treffpunkt für die Kiewer Vertreter der Avantgarde-Kunst wird. 

Da sie gut situiert sind, kann sich das Ehepaar Exter leisten, viel zu reisen. Auf einer Reise nach Europa stellt der Ehemann Alexandra dem befreundeten Künstler Alexej Jawlensky vor, der ihr Talent erkennt und sie mit anderen befreundeten Künstlern bekannt macht, darunter Wassily Kandinsky – nicht schlecht für den Anfang! Mit ihrem Mann hält sie sich 1907 längere Zeit in Paris auf und besucht dort die  sogenannten Akademien ( freien Ateliers ) von Montparnasse, insbesondere die "Académie de la Grande Chaumière" von Carlo Delvall. 

1908 nimmt sie auch an mehreren Kiewer Ausstellungen teil, darunter die Avantgarde-Schau "Zveno", und schafft ihre ersten Buchillustrationen.

"View of Paris" (1912)


1910 mietet sie dann auf Dauer sogar ein Studio in der Rue Boissonade im Herzen von Montparnasse. Sie wird in Paris regelmäßige Besucherin des Salons von Elisabeth Epstein, einer russischen Malerin, Schülerin von Jawlensky, Freundin von Kandinsky und Delaunay und die wichtigste Bezugsperson der Maler des deutschen "Blauen Reiters" in Paris. Die Bekanntschaft mit den Delaunays, Robert und Sonia, eröffnet Alexandra weitere künstlerische und gesellschaftliche Kontakte bzw. Perspektiven: Durch sie lernt sie den Sammler und Kunsthistoriker Wilhelm Uhde und den Berliner Galeristen Herwarth Walden, einen glühenden Verehrer der Delaunays sowie aller neuen europäischen Malerei, kennen. Der will sie 1914 in seiner Berliner Galerie "Der Sturm" präsentieren - der Krieg kommt aber dazwischen.

Composition (Genoa)
(1914)
Noch für sie entscheidender ist der Salon, den ihr Studienfreund Serge Férat mit seiner Cousine Hélène d'Oettingen, ebenfalls Malerin sowie Schriftstellerin, die seit 1902 zusammen in Paris leben, unterhält. Dort wird Alexandra mit italienischen Künstlern bekannt, aber auch mit dem Dichter und Schirmherr dieser Treffen wie der Zeitschrift "Les Soirées de Paris", Guillaume Apollinaire.

Dort trifft Alexandra auch den futuristischen Kunstkritiker und Maler Ardengo Soffici, mit dem sie während der "Soirées de Paris"-Jahre eine Liebesbeziehung verbinden wird. Sie leben und schaffen gemeinsam in Alexandras Atelier, sie schreiben, reisen, besuchen italienische Städte ( Mailand, Venedig, Florenz, Neapel, Taormina ). Alexandras Ehemann reagiert auf die Liaison in keinster Weise, wofür sie ihm scheinbar dankbar gewesen ist.

Es ist Soffici, der ihr Umberto Boccioni vorstellt und der Alexandra mit seinem Simultanismus erobert. Sie trifft auch Filippo Tommaso Marinetti, den Begründer des Futurismus. Beide, Alexandra wie Soffici, sind hingerissen von der Idee einer Synthese von Kubismus und Futurismus.

Während Soffici mit Bildsynthesen experimentiert, nähert sich Alexandra der Idee mit Hilfe der Collage aus Zeitungsausschnitten. Aus diesen Jahren gibt es kubofuturistische Stillleben, dazu die Ansichten von Moskau und Paris. Die italienische Landschaft spiegelt sich auf Gemälden von Venedig, Genua und Florenz, in denen die Malerin kubistische Plastizität mit futuristischer Farbexplosion verbindet. Die Landschaften dieser Zeit sind oft  dynamisch gestaltet. Ihre Affinität zum zeitgenössischen Werk Sofficis wird in ihrer künstlerischen Bedeutung aber von eher oberflächlichen Kunstkritikern stark übertrieben, so wie auch der Künstler selbst in seinen späteren Memoiren das Verhältnis mehr romantisieren wird als angemessen. 

Während dieser Zeit nimmt Alexandra an allen möglichen Orten, nicht nur im Russischen Reich, sondern auch in Europa, an fast allen namhaften Avantgarde-Ausstellungen teil – so bei der von "Karo-Bube" ( "Bubnovyj valet" - siehe auch dieser Post ) bis zum französischen "Salon des Indépendants" - und macht sich einen Namen. Sie ist kosmopolitisch durch und durch, wie es auch ihre Pariser Wohnung reflektiert, die die Schauspielerin Alice Coonen vom Moskauer Kammertheater als eine auffällige, eigenartige Kombination der europäischen Kultur mit ukrainischem Leben beschreibt. An den Wänden zwischen Picasso- und Braque-Gemälden befänden sich ukrainische Stickereien, auf dem Boden läge ein ukrainischer Teppich, am Tisch serviert sie Knödel in Tontöpfen und auf bunten Majolikatellern. 

"Dynamique de couleurs"
(ca. 1915)
Die vielseitige Künstlerin schließt sich nicht nur kreativen Gruppen an, sie begründet auch welche wie die der Kubo-Futuristen. Auch Kasimir Malewitschs Suprematismus wendet sie sich zu und wird schließlich die einzige Person, die dieser in seine Werkstatt lässt, wo sie - wiederum von ihm angeregt - ihre ersten gegenstandslosen Malereien anfertigt. In Paris verbringt sie auch einige Zeit im Atelier von Constantin Brâncuși und beim Studienkollegen Archipenko und hilft dem jungen Kunstkritiker & Avantgardisten Ivan Aksionov, seinen bemerkenswerten Essay über den Kubismus Picassos zu schreiben.

"Elemente der 'Ismen' (Kubismus, Futurismus, später in Rußland Suprematismus und Konstruktivismus) fließen in ihren Malstil mit ein und werden von ihr zu etwas gänzlich Neuem umgeformt. Dabei spielt in ihrem Werk die Farbe eine überragende Rolle: Exter liebt lichtgesättigte Farben und experimentiert mit der Dynamik, dem Rhythmus, den Wesensmerkmalen von Farbtönen. Ihre Bilder leben durch das beziehungsreiche Verhältnis geometrischer Formen, Linien und Farbflächen", so beschreibt Adriane von Hoop auf "Fembio" die Kunst der Alexandra Exter.

Deren Autorität ist schließlich so groß, dass sie in einer Reihe von künstlerischen Konflikten als Schlichterin fungiert, wie bei der Vorbereitung der letzten futuristischen Ausstellung "0.10" Ende 1915 in Petrograd, die ohne ihre Diplomatie nach Ansicht vieler im Desaster geendet hätte. Ihr wird vertraut und dieses Vertrauen in sie wächst weiter.

Ihren Lebensschwerpunkt hat sie 1912/13 in St. Petersburg, 1913/14 dann wieder in Frankreich. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges vereitelt schließlich Alexandras weitere Pläne. Sie kann noch zusammen mit mehreren russischen Kollegen auf der Internationalen Ausstellung futuristischer Maler und Bildhauer in der Galerie Sprovieri in Rom ausstellen, dann ist ihre erfolgversprechende Karriere in Europa jäh zu Ende und sie kehrt nach Kiew zurück.

Kostümentwurf für "Famira Kifared"

Auf ihren Reisen durch Italien hat sich die Malerin für die monumentale Strenge der etruskischen Skulptur begeistert, die nun Einfluss auf ihre Theater- & Filmarbeit nehmen wird,  zuerst bei der Inszenierung von "Famira Kifared" von Innokenti Fjodorowitsch Annenski 1916 und der "Salomé" von Oscar Wilde 1917, wenige Monate vor der Revolution, zusammen mit Alexander Tairow, dem namhaften & erfolgreichen Regisseur  des "Kamernyj teatr". Es ist übrigens Natalia Gontscharowa gewesen, die Alexandra mit  ihm bekannt gemacht hat.

Erfolgreich ist die Künstlerin in jener Zeit auch als Lehrerin in ihrer eigenen Schule, die für zwei Jahre zum Zentrum der Avantgarde in Kiew wird. Namhafte Künstler arbeiten bei ihr im Studio, darunter El Lissitzky ( siehe auch dieser Post ).

Während Revolutionen scheint das Leben immer im Galopp zu rasen, und für Alexandra Exter gibt es da keine Ausnahme: 1918 stirbt nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihr Mann an Cholera, und ihr Schwiegervater, der die Bohémienne-Schwiegertochter ohnehin nicht leiden kann, wirft sie aus dem Haus und rückt ihr nicht einmal ihre Bilder heraus. Viele von ihnen bleiben spurlos verschwunden oder werden zerstört. Vor dem brutalen Bürgerkrieg in Kiew weicht Alexandra schließlich nach Odessa aus, auch in der Hoffnung, von dort aus aus dem Land den Rücken kehren zu können. Vergeblich. Sie bleibt bis 1920 am Schwarzen Meer und zieht dann nach Moskau.

 
Alexandra Exter "Georgij Nekrasov"

Zum Glück sind die Avantgardisten anfangs bei den Revolutionären gut angesehen & gefragt. Alexandra Exter öffnet ihre Werkstatt für dekorative Kunst, illustriert futuristische Bücher, entwirft Kleider, Kissen, Lampenschirme, sogar Uniformen für die Rote Armee, und für revolutionäre Feiertage schafft sie die Straßendekorationen, ja, sie gestaltet sogar Massenaufmärsche, Propagandaschiffe, Propagandazüge.

Vor allem aber produziert Alexandra in den nächsten Dekaden aber innovative und einflussreiche Bühnenbilder für Theaterstücke, Ballette und Experimentalfilme. Dabei verwandelt sie die bisherigen zweidimensional zu begreifenden Bühnenräume in dreidimensionale abstrakte Gebilde mit mehreren Spielflächen auf unterschiedlichen Ebenen. Sich kreuzende Strahlen von Licht sollen helfen, die Bühne in einen greifbaren Raum zu verwandeln. Das ist revolutionär und in der Theatergeschichte etwas grundlegend Neues.

Im August 1920 heiratet sie in Moskau den Schauspieler Georgij Nekrasov, den Erben einer Kaufmannsfamilie, und arbeitet am Theater des Volkshauses. In Moskau nimmt sie auch wieder ihre Zusammenarbeit mit Tairow auf. Für das Stück "Romeo und Julia" ( weitere Kostümentwürfe sind hier zu sehen ) kreiert sie Sets und einfach wunderbare Kostüme. Dennoch scheitert die Aufführung, nach Ansicht der Kritiker an Tairow, nicht an Alexandra Exter.  Der selbstbewusste, stolze Theatermann und seine Frau Alice Coonen nehmen das sehr übel und danach ist Schluss mit der gemeinsamen Arbeit. 

Außerdem arbeitet sie als Kostümbildnerin im Ballettstudio der Tänzerin Bronislava Nijinska.

Kostüme für "Romeo und Julia"
(1921)
Kostümentwurf für "Aelita"

Ein weiteres Projekt, das den Start eines neuen Genres des sowjetischen Kinos markiert, ist der Film "Aelita" ( deutsch: "Der Flug zum Mars)" von Jakov Protazanov. Alexandra schafft die Kulissen und Kostüme für das nach der berühmten Geschichte von Alexey Tolstoi gedrehten Werk. Der Film ist zweifelsfrei ein Erfolg: Die Vorführungen in einem Moskauer Kino sind lange Zeit ausverkauft. Aber die sowjetischen Kritiker mögen den Film nicht und beschuldigten die Filmemacher, den Interessen der Arbeiterklasse zuwiderzuhandeln. Es ist nicht einfach mit diesen Revolutionären! Filmhistorisch ist er bedeutend, beeinflusst er doch die Entwicklung des Genres "Science Fiction" in Theater und Film  nachhaltig.

Nicht verwunderlich, dass sie sich auch einen Namen als Modedesignerin macht. Sie experimentiert mit Transparenz, Bewegung und der Lebendigkeit von Stoffen und integriert auch Elemente der Geometrie und Struktur in ihre Entwürfe. Sie beschließ dann tatsächlich, ihr Kostümdesigns in den Alltag zu übertragen und beginnt 1921 eine Modekarriere. Ihre Entwürfe für die Massenproduktion sind tragbar und gleichzeitig dekorativ und innovativ. Sie gilt allerdings vielen als Haute-Couture-Designerin.

Filmset zu "Aelita"

Zudem bietet sie an der 1920 in Moskau gegründeten russischen staatliche Kunst- und Technikschule freie Workshops an, trägt zur Ersten Russischen Kunstausstellung in Berlin bei ( siehe auch dieser Post ) und ist aktiv beteiligt an einem der kühnsten Avantgarde-Unternehmen der Zeit, der konstruktivistischen Ausstellung "5×5=25" ( September 1921 ), die den Höhepunkt der radikalsten gegenstandslosen Malerei markiert. 

Als Mitglied des Designteams für den Iswestija- Pavillon auf der All-Union-Landwirtschaftsausstellung in Moskau ist sie auch dort gestalterisch tätig. Unglaublich, was diese gerade mal Vierzigjährige so alles auf die Beine stellt! Es ist, als ob ihr Tag mehr als vierundzwanzig Stunden hätte.

1924 wird sie in die Organisationsgruppe des sowjetischen Kunstpavillons auf der XIV. Internationalen Kunstbiennale in Venedig aufgenommen. Sie nimmt ihren Mann mit in die Lagunenstadt, erledigt alle Arbeiten, die für die Dekoration des Pavillons erforderlich sind -  und das ist es dann: Alexandra Exter kehrt nicht mehr in die Sowjetunion zurück.

Nach einer gewissen Zeit in Italien zieht das Ehepaar Exter - Nekrasov im Dezember 1924 nach Paris. Dort entwirft sie Kostüme für Boris Romanows "Russkij romantičeskij balet" (Russian Romantic Ballet) und für die Londoner Ballette von Bronislava Nijinska, inzwischen ebenfalls im Exil. 

( ca. 1925 )
Sie übernimmt vorerst die Professur an der Akademie der Moderne in Paris, von 1925-1930 erteilt Alexandra Exter dann Bühnenbildkurse an der "Académie d'Art Contemporain" des Fernand Léger. Sie gilt als brillante Lehrerin, ist aber oft genervt, weil niemand ihre Erinnerungen an die Ukraine teilt, da keiner das Land kennt. 

Auch jenseits der französischen Grenze ist man an ihr & ihrer Arbeit interessiert. Ausstellungen mit ihren Werken finden in Berlin (1927) und in London, in Paris und in New York ( "Cubism and Abstract Art", 1936 ) und an vielen anderen Orten statt, die letzten großen 1937 in Prag und im "Musée des Arts et Métiers" in Paris.

1930 lässt sie sich im Pariser Vorort Fontenay-aux-Roses nieder und wird ihn ihr restliches Leben lang nicht mehr verlassen. Im Laufe der Zeit verschiebt sich ihr Interesse von der Staffeleimalerei über Innenarchitektur, Keramikmalerei bis hin zu einer ganz eigentümlichen Buchgrafik. Diese Arbeiten werden die bedeutendsten Werke ihrer letzten Arbeitsphase werden. Sie arbeitet für das Verlagshaus Flammarion in Paris.  Einen besonderen Platz nehmen die Bücher von Marie Colmont ein, die sie illustriert: "Panorama des Flusses", "Panorama der Küste" und "Panorama der Berge" ( jetzt sind sie wertvolle Sammlungsobjekte ). Aber das ist nur eine spezielle, eher schmale Nische...

Allmählich verliert nämlich die europäische Kunstszene ihr Interesse an abstrakter Kunst, und Alexandra Exter findet immer weniger Arbeitsmöglichkeiten. Sie kommt dadurch in finanzielle Schwierigkeiten, die nur noch schlimmer werden, da sie auch einige gesundheitliche Probleme hat.

Man ist umso mehr überrascht, dass sie so fröhliche Dinge wie Bücher und Puppen schafft, als das Leben sie immer härter behandelt. Je mehr ihr Ruhm verblasst, sinken auch ihr Einkünfte. Ihr Mann unterstützt sie, so gut er kann, aber er kann eben nicht alles tun: In den Jahren der Besatzung durch die Deutschen ist das Leben für alle hart, da sind die Exters keine Ausnahme.

ca. 1935

Alexandra Leben wird nicht nur schwierig, sondern regelrecht gefährlich als Sowjetbürgerin in einer Stadt unter deutscher Besatzung. Aufgrund des politischen Klimas sorgt sie sich um das Schicksal ihrer Werke aus der russischen Zeit und versteckt sie letztendlich im benachbarten Atelier eines befreundeten Bildhauers. Nach ihrem Tod werden sich zahlreiche Personen aus seinem Umfeld an ihren Werken bereichern.

Ohne die Hilfe des Kalligraphen Guido Colucci hätte sie materiell kaum überlebt, der mit ihr seit 1932 Buchobjekte ( z.B. hier ist das um 1942 publizierte Buch "Le Lais" von François Villon mit einer Auflage von 20 geplanten Exemplaren zu sehen ) für einen kleinen Markt der feinen Buchsammler schafft.

Die Eheleute verhungern nicht, aber sie leiden unter ständiger Not, Alexandra zudem an angina pectoris. Dies geht aus Briefen an ihre Freunde hervor. Und als ihr Mann 1947 stirbt, wird ihr alles noch schwerer, wie für alle einsamen Menschen. Sie schreibt an Freunde: "Der kommende Winter wird sehr hart. Das ist der neunte Winter seit Kriegsbeginn und er wird der härteste für mich." Es ist, als ob sie Vorahnungen hat: Am 17. März 1949 stirbt Alexandra Exter in absoluter Armut in Fontenay-aux-Roses, 67 Jahre alt. Ein Engel, den sie in der schweren Zeit gestaltet hat, ziert ihr Grab.

Ihre Werke, 241 an der Zahl - darunter Gemälde, Gouachen, Aquarelle und Zeichnungen - hat sie zuvor 1948 testamentarisch ihrem Landsmann & ehemaligen Studenten Simon Lissim vermacht. Weitere 150 Gemälde aus allen ihren Stilepochen, Werke fürs Theater, ihr restliches Archiv und ihre Bibliothek, die rund 60 Kataloge, Zeitschriften und Bücher umfasst, bleiben beim Nachlassverwalter Ihno Ezratty. Der verkauft in den 1980er Jahren die meisten Werke – insbesondere Gemälde und Gouachen.

Lissim gelingt es erst im Mai/Juni 1972, eine Retrospektive in der Galerie Chauvelin in Paris zu installieren, die das erneute Interesse an Alexandra Exters Kunst weckt. Kurz vor seinem Tod 1981 überträgt er die Urheberrechte der Künstlerin an Andréi Nakov und vermacht dem Kunsthistoriker das Exter-Archiv sowie sein eigenes, um die weitere Veröffentlichung und Wertung von Exters Werk zu gewährleisten. Das Archiv umfasst zahlreiche persönliche Dokumente sowie Arbeitsdokumente wie Skizzenbücher, Collagenbücher, persönliche Notizbücher, eine umfangreiche persönliche und künstlerische Korrespondenz, die Palette der Künstlerin und die von ihr und Simon Lissim erstellten Werklisten. In den Folgejahren wird diese grundlegende Dokumentation durch weitere wichtige Elemente von Personen aus dem Umfeld der Künstlerin und von ihren Schülern bereichert. Seit Anfang 2008 arbeitet Nakov an einer Publikation zu Alexandra Exter und ihrem Werk, was wegen der besorgniserregenden Zahl apokrypher Werke, die seit einigen Jahren ständig auf dem Kunstmarkt erscheinen, von großer Wichtigkeit ist. Da in den letzten Jahrzehnten das Interesse an Alexandra Exter gewachsen ist, ist es zu einem dramatischen Preisanstieg bei ihren Kunstwerken gekommen und folglich sind noch mehr Fälschungen auf dem Markt aufgetaucht ( auch das Kölner Museum Ludwig ist davon betroffen ).

Und was ist mit Exters Gedächtnis in der Ukraine? Eine Reihe ihrer Werke sind im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine ausgestellt. Am Haus Bohdan Khmelnitsky 27/1, in dem sie gelebt hat, gibt es bis heute keine Gedenktafel. Nachvollziehbar, hat das Land doch eine Menge anderer Probleme. Aber vielleicht ist es mir gelungen, sie in meinen Kreisen ein wenig aus der Vergessenheit zu reißen...

Übrigens sind hier einige weitere Werke von Alexandra Exter zu sehen.





5 Kommentare:

  1. Was für ein faszinierendes Werk Alexandra Exter hinterlassen hat! Danke fürs Aufstossen eines neuen Fensters, denn ich kannte Namen und Werk bislang noch nicht.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  2. wow
    wieder so ein pralles künstlerisches Leben
    und wie wandlungsfähig sie war
    das ganze Spektum der zeitgenössischen Kunst hat sie abgedeckt
    eine beeindruckende Frau
    aber wieder so ein unrühmliches Ende :(
    nur gut dass man sich wieder an sie erinnert

    danke für die Vorstellung

    liebe Grüße
    Rosi

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  3. Ich bin so beeindruckt von ihrem Werk und ihrem Leben. Bisher hatte ich sie nie wahrgenommen. Man kennt fast immer nur die Männer-Namen, aber dass es dabei auch so hervorragende Künstlerinnen gab, ist unbekannt. Und was sie alles gemacht hat, wirklich beeindruckend!
    Gut, dass Du ihren Namen hier groß veröffentlicht hast und uns einen Einblick in ihr Leben und Werk gegeben hast. Sie hat es mehr als verdient.
    Herzlichst, Sieglinde

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  4. spannend!! zum ausführlichen lesen komme ich nochmal wieder!
    liebe grüße
    mano

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  5. ich habe deinen beitrag sehr gerne gelesen und finde es fast peinlich, dass ich nichts von ihr wusste, ich habe höchstens mal ihren namen gelesen. auch wenn ihre kunst mich nicht sehr anspricht, so hat sie auf jeden fall ihren platz in der kunstgeschichte verdient - und es ist dir gelungen sie für mich aus der vergessenheit zu reißen.
    liebe grüße
    mano

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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