Donnerstag, 8. Februar 2024

Great Women #366: Eva Strittmatter

Über die Frau, die ich euch heute nahebringen möchte, habe ich relativ wenig in meinen jüngeren Jahren gewusst, obwohl mir Schriftstellerinnen der DDR auch vor der "Wende" nicht fremd gewesen sind ( über Anna Seghers, Irmtraud Morgner, Helga Königsdorf und Maxi Wander habe ich in diesem Blog schon gepostet ). Auch Lyrikerinnen wie Sarah Kirsch habe ich gelesen. Eva Strittmatter, um die es in diesem Post geht, blieb bei mir immer im Schatten ihres in der DDR angesehenen Mannes. Zeit, das zu ändern.
Neuruppin

"Ich schreibe von der einfachen Sache:/ 
Geburt und Tod und der Zwischenzeit"
.....
"Mit den Jahren verstand ich, 
was die Konstante meines Lebens ist: 
das Verhältnis zur Natur, 
die Rührung über ihre Erscheinungen." 

Eva Strittmatter kommt am 8. Februar 1930 - heute vor 94 Jahren also - als Eva Braun in Neuruppin, der "Fontanestadt" in Brandenburg zur Welt, in der oberen Etage des Schlossgartens, einem noch heute existenten Gebäude. Zu diesem Zeitpunkt haben die Nationalsozialisten schon viele Anhänger in der Stadt gewonnen und werden von einem Drittel der Wahlberechtigten gewählt.

Evas Vater, der 28jährige Friedrich "Fritz" Braun, ist gelernter Bankkaufmann und arbeitet in der Stadtverwaltung Neuruppins, genauer in der Hauptkasse, ihre Mutter Hedwig Berner, zwei Jahre jünger als ihr Mann, sichert lange die Existenz der Familie mit Näharbeiten. "Wir lebten sozusagen auf ihre Knochen. Denn mein Vater war ein Luftikus, ein Trinker und Schuldenmacher." Geborgenheit erfährt das Mädchen bei den mütterlichen Großeltern.

Bereits nach kurzer Zeit zieht die Familie - dazu gehören noch der ältere Bruder Wolfgang und ein jüngerer, Udo, kommt 1939 noch dazu - in die heutige Robert-Koch-Straße 2. Die Verhältnisse, in denen die Familie lebt, sind recht dürftig - "angefressen durch das Trinken meines Vaters" -, den Eva trotz allem sehr liebt. Ihr erster Vers entsteht sozusagen an seiner Hand, als sie mit ihm an der Straße entlang hüpft: "Fräulein Tongtong hat ein Pong-pong, geht sie weg, liegt er im Dreck." Des Vaters Begeisterung wird sie nicht vergessen."Viele leuchtende Episoden gibt es, an die ich mich erinnere", wird Eva später Irmtraud Gutschke erzählen.

Die Mutter hingegen erfährt das kleine, etwas dickliche Mädchen ( die "dicke Braun" ) als angespannt, ja geradezu verbiestert: "Da war kein Überfluss an Liebe, da gab es keine Fülle und Üppigkeit." Mitgefühl ist eher selten. Stattdessen gibt es allerhand Schulden, die der Vater dann durch zusätzliche Arbeit abstottert, so dass die Familie 1939 "aus dem Gröbsten raus" ist. Die sozialen Unterschiede spürt das Kind in Alltäglichem, z.B. dass sie nicht mit Messer und Gabel umgehen kann wie die Nachbarskinder, weil "ihr noch nie so ein Besteck hingelegt" worden ist.

In einem solchen Haushalt gibt es dann eher auch keine Bücher, nicht mal eine Bibel. Die sieht Eva bei Besuchen bei den Tanten väterlicherseits, die ihr deshalb gebildet vorkommen, und später in der Schulbibliothek. Ein weiterer Onkel in Berlin, tuberkulosekrank und Kommunist, schickt später zu Weihnachten ein Paket mit Büchern aus seiner Jugend. "David Copperfield" von Charles Dickens wird von Eva als "Erweckung" erlebt.

1. Kirchentag der deutschen Christen
1933
Eingeschult wird Eva 1936. Die Schule hat viel Einfluss auf sie, auch auf ihren Umgang mit den Phänomenen der "neuen Zeit" unter dem Nationalsozialismus. Auf ihr Betreiben hin wird z.B. in der Familie schließlich eine kleine Hakenkreuz-Fahne angeschafft, und sie erklärt ihren Mitschülerinnen bei Ausbruch des Krieges, "dass nur der verlorene erste Weltkrieg wieder wettgemacht werden müsse, weil damals die sogenannte Heimatfront in den Rücken gefallen sei." Bedrückt sei sie lange nicht gewesen.

Als Klassenbeste - Erwin Strittmatter wird sie später sein "Wunderkind" nennen - wäre sie eigentlich ein Fall für die zum Abitur führende Fontane-Oberschule für Mädchen. Ihr Vater ist allerdings nicht bereit, das Schulgeld in Höhe von zwanzig Mark monatlich zu bezahlen oder sie für ein Stipendium anzumelden, das ihr aufgrund ihrer guten Leistungen zugestanden hätte. Evas Klassenlehrerin schafft schließlich Tatsachen, indem sie die Anmeldung einfach vornimmt. Später bekommt Eva eine sogenannte Freistelle.

Fritz Braun tritt auf Anraten seines Chefs, der ihn sonst seiner Meinung nach nicht weiter für unabkömmlich erklären kann, in die NSDAP ein. Doch das bewirkt gar nichts: Im Februar 1942 wird er dennoch eingezogen, und es fällt ihm schwer, die Familie zurückzulassen. Beim Vormarsch der Alliierten in Frankreich zwei Jahre später wird er von Granatsplittern am Kopf verletzt, stirbt und wird in Frankreich begraben. Ein gut gekleideter Fremder begleitet Eva von der Schule nach Hause und überbringt die Nachricht. Eva erinnert sich an ihre Mutter, die schrie und schrie und die sie beruhigen sollte. Da ist sie vierzehn. "Von da an war immer Angst in uns."

Schizophren findet Eva im Nachhinein, dass die Zeit der Naziherrschaft die einzige Zeit in ihrem Leben gewesen sei, in der sie sich in Harmonie gefühlt hat, im Einverständnis mit ihrer Umwelt. "Ich entsinne mich, was ich für hohe Gefühle ich da hatte. Solche Empfindungen habe ich immer wieder gesucht." Und an anderer Stelle: "Behaustheit, Geborgenheit unter den Bäumen." Sie schreibt eine Art rhythmischer Prosa und trägt ihren Mitschülerinnen ihre Gedichte vor.

Zu dieser Zeit hat das Mädchen auch ihren ersten Freund - "wirklich eine große Liebe" -, mit dem sie in einem Zirkel für Literatur verkehrt, dort Gedichte liest und Lessings "Nathan, der Weise". Als sie von der Tochter eines NSDAP-Funktionärs erfährt, dass dieser gesagt hat, ihr Freund drücke sich doch nur vor dem Fronteinsatz, hinterträgt sie ihm das, maßlos verärgert. Daraufhin meldet sich Hansi Deichmann freiwillig zum Kriegseinsatz. Auch er erleidet eine Kopfverletzung und stirbt auf einem Privatgrundstück in Spandau, in der Tasche "Nathan, der Weise". Eva wird sein Grab besuchen, als sie zum ersten Mal nach Berlin kommt.

Nach Kriegsende nimmt die Schule wieder ihren Betrieb auf, Eva überspringt zwei Klassen und legt 1947 die Abiturprüfung ab. Es sei ausgemacht gewesen, dass sie studieren soll. Aber wie organisieren? Sie  bekommt wohlwollende Tipps, bei wem sie in Berlin vorzusprechen habe und landet schließlich, entgegen ihren Wünschen, in einem pädagogischen Studiengang, der über sechs Semester gehen soll, natürlich an der Humboldt Universität und nicht an der Freien Universität in West-Berlin. 
Eva Strittmatter : "Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass ein Staat gegründet wurde. Es war eine Zeit, in der ich am meisten getändelt habe mit jungen Männern, die mir nachliefen."

Schließlich entscheidet sie sich für Marko Wernitz, künftiger Lehrer, fünf Jahre älter als sie, heiratet ihn damals noch mit mütterlicher Zustimmung, denn Eheschließungen sind erst mit 21 Jahren erlaubt.  Immerhin ermöglicht ihr die Heirat, den anrüchigen Namen Eva Braun abzulegen. 

Am 1. Juli 1951 bringt sie ihren gemeinsamen Sohn Ilja zur Welt und verlängert das Studium um ein Jahr. Das Staatsexamen absolviert sie nur halb, sie muss Geld verdienen. Das Baby übernimmt ihre Mutter, der sie hundert Mark monatlich als Unterhalt verspricht.

Sie arbeitet als freiberufliche Lektorin beim Deutschen Schriftstellerverband der DDR, verfasst Gutachten, sichtet Manuskripte von jungen Autorinnen und Autoren und veröffentlicht literaturkritische Beiträge in Zeitschriften wie der "Neuen Dt. Literatur"( NDL; siehe auch dieser Post )

Eva Wernitz begegnet vierzehn Tage nach ihrem 22. Geburtstag in Potsdam bei einer Faschingsfeier nach einer Autoren-Tagung dem 39-jährigen Erwin Strittmatter. Ein schicksalhaftes Aufeinandertreffen: Beide sind zu diesem Zeitpunkt unglücklich verheiratet. Erwin lebt schon in einer zweiten Ehe und hat mit den beiden Ehefrauen insgesamt vier Söhne, die ihm eher fremd bleiben. 

Mit Erwin Strittmatter bei der Faschingsfeier
im Kulturbundklub Potsdam
(1952)
Erwin Strittmatter, am 14. August 1912 in Spremberg in der Niederlausitz in eine kinderreiche Bäckerfamilie geboren, ist sorbischer/wendischer Herkunft. Nach dem nicht abgeschlossenen Besuch eines Realgymnasiums nimmt er eine Bäckerlehre im elterlichen Betrieb auf, arbeitet aber auch als Tierpfleger in Dinslaken, als Kellner und Hilfsarbeiter und auf dem Hof zweier Schwestern in Thüringen. Später bereitet er Pferde auf ihren Einsatz beim Militär vor, heiratet zum 1. Mal und wird Vater, von zwei Söhnen, bevor er sich als Chemiefacharbeiter verdingt. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wird er gemustert, aber erst 1941 in eine Schutzpolizei-Nachrichtenschule berufen. Seine weitere Verwendung im Rahmen der nationalsozialistischen Überwachungs- & Militärorganisationen wird später Gegenstand von Kontroversen, ist Erwin doch in die Partisanenbekämpfung auf dem Balkan & Griechenland eingesetzt. Er desertiert nach eigenen Angaben und lebt ab Frühjahr 1945 illegal in Böhmen. 1947 tritt er der SED bei, besucht die Kreisparteischule in Hoyerswerda und wird Lokalredakteur der "Märkischen Volksstimme"  sowie "Neusiedler" in Bohsdorf im Landkreis Spree-Neiße. Durch seinen Debütroman "Ochsenkutscher"(1950), den die "Märkische Volksstimme" nach einem Vorabdruck auch als Buch herausgebracht hat, gilt er als durchgesetztes literarisches Talent. Seit 1951 ist er freischaffender Schriftsteller und später auch Assistent am Berliner Ensemble bei Bertolt Brecht.

Zunächst leben sie noch getrennt, dann in einer gemeinsamen Wohnung am Strausberger Platz in Berlin. Evas Ehe wird 1952 geschieden, Erwins zweite Ehe 1954. Strittmatter verschweigt der jungen, attraktiven Frau nichts, er liefert sozusagen einen privaten Beipackzettel mit, so.z.B. dass er ein Mensch sei, "mit dem es sich schlecht leben" lasse.  "Jeder schöpferische Mensch ist irgendwo in einer Herzkammer ein krasser Egoist um seines Werkes willen", schreibt er schon in einer seiner ersten von 112 erhaltenen Liebesdepeschen an die junge Frau. "Ein ausgesprochenes Talent, meine Umgebung unglücklich zu machen, nenne ich mein eigen.“ Eva sieht darüber hinweg. Sie will ihn von seiner "Traurigkeit" erlösen, er "war zum Jauchzen bereit. Allen Menschen hätte ich Liebes sagen können."

"Ich schätze Deine Begeisterungsfähigkeit in der Richtung DDR und Partei oder besser umgekehrt", befindet Erwin noch 1952. "Es ist wahr, daß ich Dich nicht lieben könnte, daß uns Welten trennen würden, wenn Du diese Liebe zum Ganzen nicht in Dir trügest." Und er will "uns aneinander erhöhen, um unser Bestmöglichstes für die Gesellschaft und ihre Zukunft zu geben." ( Das erinnert mich schon ein wenig an das Paar, das ich im letzten Post vorgestellt habe, diese gemeinsamen, hehren Ziele.) 

Arbeitet Eva noch von 1953 bis 1954 beim Kinderbuchverlag der DDR als Lektorin und ist Mitglied des Redaktionsbeirates der NDL, wird auch sie 1954 freie Schriftstellerin. Die Liebe geht hier nicht durch den Magen, sondern durch die Literatur. Eva liest seine Gedichte und Erzählungen, versucht, "die Stärke des Erlebens auch meiner Arbeit zuzuleiten". Das Schreiben soll ihre Liebe über alle Katastrophen hinweg haltbar machen. 

Im Juni 1953 kommt der gemeinsame Sohn Erwin in Berlin zur Welt. Bei dieser ersten Schwangerschaft hat er auf Abtreibung - die misslingt - gepocht, um das "gemeinsame Werk" zu schützen. Eva, die sich Leben in der Großstadt an der Seite eines angesehenen Schriftstellers erträumt hat, gibt schließlich nach und zieht 1954 mit Strittmatter in das von ihm erworbene Bauernhaus in Schulzenhof bei Rheinsberg mit um. Vorher hat sie ihn noch beschwichtigt: 
"Ich werde mein Leben mit den Kindern selbständig führen: meine Pläne werde ich machen ohne sie nach unseren Beziehungen zu richten... Du wirst Dein Leben einrichten, wie es Dir passt, ohne einen moralischen Zwang von meiner Seite."
1958
Schulzenhof ist ein kleines Vorwerk des Ortes Dollgow inmitten von Seen und Wiesen und tiefen Wäldern. Erwin Strittmatter will unbedingt zurück in die Idylle seiner Kindheit. Neben dem Schreiben will sich Evas Gefährte auf dem Hof dem Züchten von Tauben, Angorakaninchen und vor allem Pferden widmen, wie er es früher schon getan hat.

Als er 1953 den ersten Nationalpreis der DDR erhalten hat, setzt er seinen Traum um und erwirbt vom Preisgeld dort ein Grundstück inmitten der Natur. Die Vorbesitzer lassen ihm Hühner & Ziege da. Und so hat er ein Argument gegenüber Eva, dass man die Tiere doch nicht im Stich lassen könne. Nichts mit Sommerhaus und dem Beibehalten der Berliner Wohnung! Erschrocken sei seine Mutter zunächst gewesen, so wird der jüngste Sohn später erzählen.
"In Berlin hatte sie einen intellektuellen Schreiber kennengelernt, und hier kam plötzlich der Bauer zum Vorschein und der hat also einen gewissen Terror verbreitet. Weil sofort das Obst verwertet werden musste, eingeweckt werden musste und so weiter. Ein völlig, völlig anderer – das hat sie ein bisschen befremdet", so Jakob Strittmatter laut dieser Quelle.

Von links nach rechts: Matthis, Erwin, Ilja mit Eva
(1962)
Bald setzt der Schriftsteller durch, dass die Söhne - dazu gehört auch zeitweilig sein Zweitältester Knut aus der ersten Ehe - nicht bei ihren Eltern auf dem Gehöft, sondern bei der 40 Kilometer entfernt lebenden Großmutter Braun wohnen sollen. 

Nachts bei einem kranken Pferd zu wachen, ist dem renommierten Autor nicht zu viel. Das gleiche bei den Kindern zu tun, ist ihm zu sehr Ablenkung & Arbeit. "Da war jedes Schnauben, jedes Scharren von den Tieren ihm wichtig, aber die Kinder waren die kleinen Krachmacher", schreibt  Annette Leo in ihrer Biographie

Noch vor Jakob, der 1963 zur Welt kommen wird, hat Eva 1958 Matthis „Matti" geboren. 1956 haben Eva & Strittmatter geheiratet.

Neben den Aufgaben in Familie, Haus & Hof ist Eva allerdings immer auch erste Leserin und ehrenamtliche Lektorin ihres Mannes.  Sie ist "bezaubert und vergnügt" von seiner literarischen Existenz. Er, der Nationalpreisträger, der gefeierte Autor von "Katzgraben", "Tinko", "Der Wundertäter"  ( und später der berühmten "Laden"-Trilogie ) stellt sie allerdings in den Schatten. Sie übernimmt seine Korrespondenzen & pflegt Kontakte & Freundschaften, auch für ihn. 1977, 1990, 1995 entstehen daraus die bekannten "Briefe aus Schulzenhof". Eva bedient damit das Bedürfnis der Leser, mehr über das Schriftsteller-Ehepaar zu erfahren. 

1968, 1972 und 1974 unternimmt die Schriftstellerin Reisen in die Sowjetunion, u.a. auf das ehemalige Landgut der Familie Puschkin, die sie in "Hochspannung" und "Begeisterung" versetzen. Sie wird von einem mitreisenden Autor gewürdigt - "You touched my heart" -, der Gedichte von ihr in einer russischen Literaturzeitschrift gelesen hat. "Dann kam ich nach Hause, und es stürzte wieder alles auf mich ein." Ihr Alltag ist Eva plötzlich fremd: "... diesen Kokon musste ich sprengen."

"Ich kann mich nur befreien durch Sprache, nur durch Worte kann ich mich befreien. Nur so kann ich mich ins Gleichgewicht bringen, dieses Gefühl von Unglücklichsein, von Spannung abwerfen. Durch das Spiel der Worte."

Eva ist dreiundvierzig, als sie mit dem Gedichtband "Ich mach ein Lied aus Stille" im Aufbau-Verlag herauskommt. Sie erobert die Herzen und Köpfe einer rasch wachsenden Fangemeinde, zunächst vor allem natürlich deren weiblichen und ostdeutschen Teil, ( inzwischen aber ist sie eine der meistgelesenen Lyrikerinnen in Gesamt-Deutschland ). Für Eva selbst ist das Dichten ein "Außer-sich-Sein, wenn ich mich sozusagen in meine Geheimwelt versetze."

Nach außen geraten die Konflikte, einmal in Eva selbst, dann aber auch die im Zusammenleben der Schriftstellerpaares, zunächst nicht. Die Strittmatters gelten als das schreibende Vorzeige-Paar der DDR, die sich mit dem Leben der einfachen Bevölkerung auseinandersetzen und den Arbeitsalltag auf dem Land zum Inhalt ihrer Literatur machen. Gerade Erwin Strittmatter wird als Arbeiter- und Bauernschriftsteller hofiert. 

Seine Biographin Annette Leo: "Auf alle Fälle war er ein Patriarch, der sich selbst alle Freiheiten herausnahm, die seiner Frau aber nicht zugestand, der ganz selbstverständlich davon ausging, dass sich alles um ihn dreht." Eva: "Wenn ich für Erwin angenehm sein sollte, musste ich so sein, wie er es wollte."

Wie Alva Myrdal in meinem letzten Post befindet sich Eva in ihrer Ehe zeitlebens in einem Zwiespalt, dass sie ihrem Mann gerecht wird und auch ihren Kindern, daran kann auch die schöne Natur um den Hof, die sie inspiriert, nichts ändern. Schuldgefühle plagen sie. Eva sieht aber auch:

Das Ehepaar mit den Söhnen Jakob & Matthis
(1974)

"Immer wieder habe ich den Druck verwünscht [...] Ich wollte frei sein, leben in Leichtigkeit. Doch in Wirklichkeit verdanke ich dieser Existenzform unter diesem Druck die wesentlichen Gedichte, ja wohl überhaupt die Tatsache, dass es wesentliche Gedichte sind. Das hat erst mal nichts mit Stadt oder Land zu tun, sondern mit den Lebensumständen, an denen ich mich gerieben habe. Was ich vor Erwin verschweigen musste. Sonst hätte er getobt oder er wäre in Verzweiflung gefallen."

Erstaunlich wie sie dennoch alles bewältigt hat: Sie habe manchmal für zwölf Leute gekocht, die bei ihr am Tisch gesessen haben, und die Kinder betreut. Und im Hinterkopf habe sie ein Gedicht gehabt, an dem sie "baute".

Gegen Ende ihres Lebens bekennt sie aber auch, dass der andere immer ein Geheimnis gewesen sei, "ich habe ihn so groß gesehen, mein Leben lang. Er hatte für mich eine solche Größe, dass ich ihn mir vorangestellt habe und oft genug zurückgetreten bin."

Ihre Gedichte finden allerdings seine Anerkennung, und er selbst gibt das Verfassen lyrischer Werke auf. Auch ihre nächsten Gedichtbände "Mondschein liegt über den Wiesen" (1975), "Die Rose überwältigt alles" (1977), "Zwiegespräche" (1980), "Beweis des Glücks" (1983), "Heliotrop" (1983) und "Atem" (1988) sind in der DDR begehrte "Bückware" für ausgesuchte Kunden der Buchläden. 

Mit ihrem Erscheinen wächst Evas Selbstbewusstsein an der Seite des bekannten Schriftstellers. Es entwickeln sich rasch Verbindungen zu Leser*innen, Kolleg*innen und bildenden Künstler*innen, zu Freund*innen im In- und Ausland. Unbekannte schreiben ihr und hoffen auf Antwort und Zuspruch in ihrer Lebensmisere. Sie vermag es, Worte über "Geburt und Tod und die Zwischenzeit" in Verse zu kleiden, in denen viele Menschen Halt finden. Ihre Gedichtbände erklimmen eine Auflagenhöhe von mehr als zwei Millionen Exemplaren.

Natürlich könnte ich
Auch komplizierter schreiben
...
Ich will aber einfach bleiben
Und nah am alltäglichen Wort
Und will so deutlich schreiben,
Dass die Leute an meinem Ort
Meine Gedichte lesen
Und meine Gedanken verstehn
Und sagen: so ist es gewesen,
Und das haben auch wir schon gesehn.

So alltäglich-menschlich die Themen sind, die Eva Strittmater bearbeitet, sie stehen nicht im Gegensatz zu ihrer Virtuosität und ihrer Fähigkeit, ihre Dichtung durchzukomponieren. Ihre Gedichte zeichnen sich aus durch einen hohen Maßstab an formalem Können und moderne Poetologie. Als die DDR "untergeht" ist sie eine Bestseller-Autorin.

In Prosatexten - neben den "Briefen",  ist das "Mai in Pieštany" und "Poesie und andere Nebendinge" -  begleitet Eva ihr lyrisches Werk kommentierend und macht geltend, dass der deutsche Wortschatz mit seinem "Alltagsmaterial" und der "deutsche Reimfonds" ihr genug Bausteine für eine kreative neue Lyrik liefern, die keinesfalls im Alltäglichen, Banalen oder Sentimentalen enden müsse. Insbesondere die Ächtung des Reimes als trivial lehnt die Dichterin zeitlebens ab. "Ich verwarf die Furcht, sentimental zu wirken", meint sie 1980.

Anfang der achtziger Jahre schreibt die Autorin in einem der "Briefe aus Schulzenhof", dass sie und ihr Mann nie das Land DDR verlassen würden, weil es zu ihnen gehöre und sie zu ihm. Und 1991: "Die Westdeutschen haben die DDR verschlungen, Stadt und Land, keine Arbeit, keine Perspektive." Klar, hat das Paar Privilegien gehabt in der DDR: So erhalten sie in den fünfziger Jahren ein Telefon, dürfen regelmäßig in den Westen und zur Kur reisen, werden im Regierungskrankenhaus behandelt. Die Beziehungen zur SED-Führung sind gut gewesen, so Eva, aber auch manchmal atmosphärisch getrübt, wenn ihr Mann Kritisches in seinen Romanen angemerkt hat.

In seinen Tagebüchern, posthum veröffentlicht, zeigt sich bei ihrem Mann allerdings früh die rigorose Einsicht: "Das sozialistische System ist nicht reparabel. Das ist das falsche Modell. Das kann nicht funktionieren. Er hat mit keiner Träne der DDR nachgeweint. Die war für ihn erledigt", so sein Sohn Erwin hier. Der meint auch, seine Eltern haben Existenzängste geplagt, das Unternehmen "Schulzenhof" habe ja Geld gekostet. "Wie lange konnten sie noch ihre Angestellten bezahlen? Damals war ja nicht mal klar, wie lange der Aufbau-Verlag noch existieren würde."

2009
CC-BY-SA-4.0
1992 - Erwin ist jetzt achtzig Jahre alt und kämpft mit einer Krebserkrankung –  will damals nur noch "mit Sturheit und großer Kraft" seinen "Laden", Band III, zu Ende schreiben. Drei Jahre vor seinem Tod ist auch bei Sohn Matthis eine Herzerkrankung diagnostiziert worden, die nur durch eine Transplantation hätte behoben werden können. Matthis stirbt am 6. Januar 1994, Erwin dreieinhalb Wochen später. Beider letzte Ruhestätte ist auf dem Hof.

Einer Zugehfrau hat Erwin prophezeit: "Wenn ich tot bin, ist meine Frau gleich hier weg. Die jrault sich so." Sie grault sich wirklich, bleibt aber. "Die ganze Zeit habe ich im Fieber gelebt, in meinem Gefühl und meinem Verstand gespalten." Dann bricht sie zusammen. Als sie seinen Schreibtisch aufräumt, findet sie Briefe an eine andere Frau, eine letzte Liebe... 1996 begegnet auch ihr noch ein Mann, der ihr gefällt, über den sie ihr Gedicht "Der SCHÖNE hat mir sein Bild gesandt" schreibt. "Der Winter nach der schlimmen Liebe" kommt 2005 heraus. Gedichte aus vier Jahrzehnten versammelt ihr letzter, 2009 veröffentlichter Band "Wildbirnenbaum".

Verfassen wird sie Ihr letztes Gedicht schon im Juni 1998, als sie ein Bandscheibenvorfall ins Krankenhaus zwingt. Sie ist schon länger tablettenabhängig, weil sie "die häusliche Sicherheit nicht gefährden" wollte durch ihre Erkrankungen. Es folgen Beinbrüche - ein erster 2007 - entsprechende Therapien. Letztendlich kommt sie nur noch mit einem Rollstuhl in die geliebte Natur.

CC-BY-SA-3.0
Dann muss sie von Schulzenhof fort, liegt in verschiedenen Krankhäusern, erleidet Operationen, künstliches Koma, Reha-Kur und dann, etwas stabilisiert, kommt sie in Berlin in einem Pflegeheim unter. Als Eva Strittmatter am 3. Januar 2011 - kurz vor ihrem 81. Geburtstag - stirbt, liegt sie wieder im Krankenhaus. Sie wird neben Mann & Sohn begraben. 

Ihre Bibliothek gelangt in die Akademie der Künste Berlin. Ihr Sohn Erwin, der Schauspieler, schildert in seinem Buch "Erinnerungen an Schulzenhof" (2016) seine Kindheit dort, nicht unkritisch oder verklärend. Erwin und sein Bruder Jakob veranlassen als Nachlassverwalter die Herausgabe von Strittmatters Tagebüchern: "Nachrichten aus meinem Leben: Aus den Tagebüchern 1954-1973" bzw. "Der Zustand meiner Welt – Aus den Tagebüchern 1974–1994" nach dem Tod ihrer Mutter, und ermöglichen der Biographin Annette Leo 2012 die Militärvergangenheit ihres Vaters - der heikle Punkte im Leben des Dichters - zum Kernstück ihrer Biografie zu machen, indem sie ihr seine Briefe zugänglich machen.

Ist das ein Frauenleben, das in einem historisch wichtigen Zeitraum gelebt worden ist! Mich hat aber dann sehr viel mehr gefangen genommen, wie dieses berühmte Paar ihr Zusammenleben gestaltet hat. Immer wieder ging mir auch diesmal - wie in der letzten Woche - durch den Kopf: "Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen". Und das hat zu einer ausgiebigen Reflexion meines eigenen (Ehe-)Lebens geführt, das vor 17 Monaten zu Ende gegangen ist...


4 Kommentare:

  1. So viele Männer, denen starke Frauen den Rücken stärken, so wie hier auch.
    Liebe Grüsse
    Nina

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  2. Liebe liebe Astrid, --- du ahnst ja nicht w e l c h e s riesengroßes Geschenk du mir mit dieser Biographie gemacht hast!
    ich sitze hier und heule wie ein Schlosshund dicke Tränen, so dass ich mich kaum noch äußern kann.
    Eva Strittmatter gehört zu meinem Leben wie ein Arm oder ein Bein...
    mir läuft eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken während ich beim lesen ihr Leben und das ihres Mannes nachvollziehe, das ist das einzigste was mir noch zu ihr fehlte...
    sämtliche Gedichtbände von ihr haben einen Ehrenplatz in meinen Bücherschränken und oft - in bestimmten - nicht nur schwierigen Stunden und scheinbar unauswegbaren Situationen stärkt sich mein Geist an ihren Zeilen und Gedanken, in Liebesbriefen früherer Jahre befinden sich - mit Widmung von ihr - viele, viele Gedichte, die mir ein Herzensfreund schickte und die heute zu meinem Erbe gehören. Ob das je einmal für andere schätzenswert ist, - steht weit in den Sternen wenn ich meine Augen schließe und zu den Sternen und meinen Freunden da oben - wandere.
    ich bin aufgewühlt und zutiefst ergriffen...
    und danke dir aus ganzem Herzen - es ist ein wirkliches Geschenk diese Biographie über ihr Leben nachzulesen...
    so ein Leben - ich wusste vieles von ihr und über Sie und ihr Leben /ihren Werdegang......weil sie oft Gesprächstoff mit meiner Tochter nach dem Lesen ihrer Gedichte bei mir war, das prägt und verbindet...

    allerherzlichst angel - ich danke dir...

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  3. Mich hat sie ein Leben lang begleitet. Ihre Bücher waren Bück-dich-Ware, das sagt schon alles. LG Sunni

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  4. Ach wieder so eine traurige Geschichte über eine begabte und sensible Frau, die im Schatten ihres Mannes steht. Noch dazu so ein unangenehmer Schatten...
    Zum Glück hat sie ihn überlebt und konnte noch ein wenig aus dem Schatten treten.
    Ihre Geschichte kannte ich gar nicht und ihre Gedichte kenne ich kaum. Aber ich werde mal aufmerksamer nach ihnen sehen.
    Herzlichst,
    Sieglinde

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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