In meiner Zeit als junge Frau kannte es jeder in meinem Umkreis, alle hatten es gelesen, quer durch die Generationen würde ich fast sagen. Die Rede ist von dem Buch "Guten Morgen, du Schöne" der Maxie Wander, das in den späten 1970er Jahren zum Kultbuch im Osten wie im Westen Deutschlands aufstieg.
"Unterwegs sein ist alles.
Je fremder die Menschenum dich herum,
um so näher kommst du dir selbst.
Man findet sich nicht selbst,
ehe man andere Menschen gefunden hat!"
"Man muß nicht alles bis ins Letzte verstehen,
man muß lieben."
"Man muß nicht alles bis ins Letzte verstehen,
man muß lieben."
Maxie Wander kommt als Elfriede Brunner am 3. Januar 1933 im 17. Wiener Bezirk zur Welt, dem "roten" Hernals, seit dem 19. Jahrhundert - damals noch Vorstadtbezirk - von armen Ziegelarbeitern aus der Slowakei und Böhmen, den "Ziegelböhm", bewohnt. Maxies Vater Alois Brunner stammt allerdings aus einer großen, armen Landarbeiterfamilie aus dem niederöstereichischen Tullnerfeld, hat erst mit 22 Jahren Lesen und Schreiben gelernt und arbeitet mal als Hilfsarbeiter oder Spitalsdiener, mal als Maschinist auf einem Donaudampfer. Ihre Mutter Käthe hingegen ist eine geborene Wienerin, bei den "Barmherzigen Schwestern" erzogen worden und verdingt sich als Weißnäherin.
Beide Eltern sind 1932 der Kommunistischen Partei Österreichs beigetreten. Alois wird im Jahr nach Maxies Geburt in Folge der Februarkämpfe festgenommen und verhört.
Maxie, als Kind "Fritzi" geheißen, wächst also in materiell überaus bescheidenen Verhältnissen in einem Gemeindebau auf, zu einer Zeit, als die Nationalsozialisten Österreich "heim ins Reich" geholt haben.
Nicht einfach für das Mädchen, das lernen muss, in der Volksschule die kommunistischen Ansichten des Elternhauses zu verbergen, will es die Familie nicht gefährden, die sich mit ihrer politischen Arbeit in die Illegalität begeben muss. Ein Onkel wird 1938 nach dem Anschluß Österreichs ins Konzentrationslager deportiert und ihre zwei Cousinen Rosl & Liesl leben als aktive Jungkommunistinnen äußerst gefährlich: Cousine Rosl Großmann, von der noch die Rede sein wird, wird zum ersten Mal mit vierzehn verhaftet & eingesperrt. Auch Maxies Vater begibt sich auf lange "Dienstreisen", wenn er wieder einmal untertauchen muss.
Maxie beginnt zu stottern - und in der Sekundärliteratur wird darüber spekuliert, ob die gesellschaftlich schizophrene Situation sie überfordert hat oder die Geburt eines kleinen Bruders, als sie sieben Jahre alt ist und sie sich plötzlich von den Eltern unbeachtet fühlt. Der Sprachfehler wird sie übrigens ihr ganzes Leben lang begleiten und ihrem Selbstbewusstsein zusetzen, aber auch dafür verantwortlich sein, dass sie schon früh beginnt, ihre Gedanken zu Papier zu bringen.
Nach dem Krieg wird ihr Vater Alois Brunner im April von der sowjetischen Militärverwaltung als erster Bezirksvorsteher von Hernals eingesetzt, ein Amt, dass er bis zum Frühjahr 1946 bekleidet. Auf Wunsch der Eltern soll Maxie als erste in der Familie die Matura machen und eine vernünftige Ausbildung im Verwaltungswesen erhalten. Den damit verbundenen Druck erträgt das junge, lebenslustige Mädchen nicht. Sie besucht die Schule bis zur elften Klasse und springt 1949 ab und probiert Einiges aus, so sie selbst: "Ausbildung gab’s keine damals und ich habe jedenfalls keine gemacht. War dann am Kommunistischen Theater in Wien als Kartenverkäuferin, als Lohnverrechnerin. Dann war ich im Friedensrat als Sekretärin, das hat mir großen Spaß gemacht."
Sie macht früh sexuelle Erfahrungen, wird ungewollt schwanger, lässt eine Abtreibung vornehmen und scheint von einen gewissen Lebenshunger getrieben zu sein. Sie wird viel anfangen, aber nur wenig zu Ende bringen - dieses Lebensmuster bahnt sich damals an...
Mit ihrer Cousine Rosl, die es ohne Studium zur Journalistin und zur Chefredakteurin der "Stimme der Frau" gebracht hat, der Frauenbeilage des KP-Parteiblatts "Volksstimme", geht sie im Dezember 1952 zur Abschlussveranstaltung des Völkerkongresses für den Frieden. Dort lernt Maxie den sechzehn Jahre älteren, verheirateten Fred Wander kennen, einer von Rosls fleißigsten freien Mitarbeitern.
Die kleine Tochter bleibt erst einmal bei den Großeltern in Wien.
Weil in der DDR die Bücher des Fred Wander gedruckt werden und er Aufträge bekommt, können sie ein kleines Siedlungshaus in Kleinmachnow direkt an der Grenze zu Westberlin beziehen und die Tochter zu sich holen.
Maxie ist ihrem Schriftsteller - Ehemann die ideale Partnerin, wenn er an seinen Büchern schreibt. 1962/1963, bei mehrwöchigen Aufenthalten in Paris, fotografiert sie sogar neben der Arbeit am Manuskript für seine Reisebücher. So erscheint sie den Nachbarn und auch einigen Freunden lediglich als charmante Ehefrau und Sekretärin ihres Mannes, als eine Mitgereiste und Hausfrau. Das Buch "Doppeltes Antlitz. Pariser Impressionen" kommt 1966 im Berliner Verlag Volk und Welt heraus.
Wie soll sie aber auch unter diesen Umständen ihren eigenen schriftstellerischen Ambitionen nachkommen? Die Familie, der Haushalt, außerdem arbeitet sie in verschiedenen Betrieben, engagiert sich gesellschaftlich, will Veränderungen vorantreiben und mitmachen:
Bürgerkrieg in Österreich 1934 |
Maxie, als Kind "Fritzi" geheißen, wächst also in materiell überaus bescheidenen Verhältnissen in einem Gemeindebau auf, zu einer Zeit, als die Nationalsozialisten Österreich "heim ins Reich" geholt haben.
Nicht einfach für das Mädchen, das lernen muss, in der Volksschule die kommunistischen Ansichten des Elternhauses zu verbergen, will es die Familie nicht gefährden, die sich mit ihrer politischen Arbeit in die Illegalität begeben muss. Ein Onkel wird 1938 nach dem Anschluß Österreichs ins Konzentrationslager deportiert und ihre zwei Cousinen Rosl & Liesl leben als aktive Jungkommunistinnen äußerst gefährlich: Cousine Rosl Großmann, von der noch die Rede sein wird, wird zum ersten Mal mit vierzehn verhaftet & eingesperrt. Auch Maxies Vater begibt sich auf lange "Dienstreisen", wenn er wieder einmal untertauchen muss.
Maxie beginnt zu stottern - und in der Sekundärliteratur wird darüber spekuliert, ob die gesellschaftlich schizophrene Situation sie überfordert hat oder die Geburt eines kleinen Bruders, als sie sieben Jahre alt ist und sie sich plötzlich von den Eltern unbeachtet fühlt. Der Sprachfehler wird sie übrigens ihr ganzes Leben lang begleiten und ihrem Selbstbewusstsein zusetzen, aber auch dafür verantwortlich sein, dass sie schon früh beginnt, ihre Gedanken zu Papier zu bringen.
Nach dem Krieg wird ihr Vater Alois Brunner im April von der sowjetischen Militärverwaltung als erster Bezirksvorsteher von Hernals eingesetzt, ein Amt, dass er bis zum Frühjahr 1946 bekleidet. Auf Wunsch der Eltern soll Maxie als erste in der Familie die Matura machen und eine vernünftige Ausbildung im Verwaltungswesen erhalten. Den damit verbundenen Druck erträgt das junge, lebenslustige Mädchen nicht. Sie besucht die Schule bis zur elften Klasse und springt 1949 ab und probiert Einiges aus, so sie selbst: "Ausbildung gab’s keine damals und ich habe jedenfalls keine gemacht. War dann am Kommunistischen Theater in Wien als Kartenverkäuferin, als Lohnverrechnerin. Dann war ich im Friedensrat als Sekretärin, das hat mir großen Spaß gemacht."
Sie macht früh sexuelle Erfahrungen, wird ungewollt schwanger, lässt eine Abtreibung vornehmen und scheint von einen gewissen Lebenshunger getrieben zu sein. Sie wird viel anfangen, aber nur wenig zu Ende bringen - dieses Lebensmuster bahnt sich damals an...
Mit ihrer Cousine Rosl, die es ohne Studium zur Journalistin und zur Chefredakteurin der "Stimme der Frau" gebracht hat, der Frauenbeilage des KP-Parteiblatts "Volksstimme", geht sie im Dezember 1952 zur Abschlussveranstaltung des Völkerkongresses für den Frieden. Dort lernt Maxie den sechzehn Jahre älteren, verheirateten Fred Wander kennen, einer von Rosls fleißigsten freien Mitarbeitern.
Fred Wander - eigentlich Fritz Rosenblatt - Sohn galizischer Juden, die meist Viehhändler und Handwerker waren, ist 1917 in Wien geboren. Nach der Volksschule hat er von Gelegenheitsarbeiten gelebt, ist ein richtiger Gassenjunge, aber begeistert von Büchern eifriger Nutzer der Städtischen Leihbüchereien. 1938 flieht er vor den Nazis über die Schweiz nach Frankreich, wird aber von dort nach Auschwitz und schließlich Buchenwald deportiert - KZ - Höllen, die er überleben konnte. Im Sommer 1945 ist er nach Österreich zurückgekehrt, arbeitet als Zeichner, Fotograf und Journalist in Wien und tritt 1947 der KPÖ bei. 1950 nennt er sich Fred Wander ( weil er sich als ewiger Wanderer versteht & er erkennen muss, dass die antisemitische Mentalität der Österreicher beim Hören seines Nachnamens wieder voll auf der Höhe ist ). 1955 nimmt er mit Erich Loest, Ralph Giordano u. a. am ersten Studiengang des "Instituts für Literatur 'Johannes R. Becher' " in Leipzig teil.Die 21jährige findet Gefallen an ihm, denn Fred ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und Maxie eine aufmerksame Zuhörerin. Auch dem frisch gebackenen Vater gefällt die attraktive & temperamentvolle junge Maxie - diesen neuen Vornamen legt sie sich zu dieser Zeit zu - und er trennt sich von seiner Ehefrau.
"Maxie gehörte zu jenen seltenen Menschen, die, wenn sie hereinkommen, das Licht verändern und eine Atmosphäre des naiven Staunens und der Freude verbreiten, ohne sich dessen bewußt zu sein." ( Quelle hier )Am 13. Juli 1956 heiraten sie, im Oktober 1957 wird die gemeinsame Tochter Kathrin "Kitty" geboren. Im März 1958 übersiedeln sie gemeinsam in die DDR, denn dort gibt es neben der Möglichkeit für Fred, als Schriftsteller zu arbeiten, genug Menschen, die nach einer der schlimmsten Katastrophen der Menschheit einen grundsätzlichen Neuanfang nicht nur wagen, sondern auch mitgestalten wollen und bereit sind, dafür grundsätzliche Entscheidungen für ihr eigenes Leben zu treffen. Österreich hingegen ist - wenn man es noch positiv ausdrücken will - stockkonservativ und hat sich kaum aus dem braunen Sumpf befreit.
Pariser Straßenszene - am rechten Rand Maxie |
Weil in der DDR die Bücher des Fred Wander gedruckt werden und er Aufträge bekommt, können sie ein kleines Siedlungshaus in Kleinmachnow direkt an der Grenze zu Westberlin beziehen und die Tochter zu sich holen.
Maxie ist ihrem Schriftsteller - Ehemann die ideale Partnerin, wenn er an seinen Büchern schreibt. 1962/1963, bei mehrwöchigen Aufenthalten in Paris, fotografiert sie sogar neben der Arbeit am Manuskript für seine Reisebücher. So erscheint sie den Nachbarn und auch einigen Freunden lediglich als charmante Ehefrau und Sekretärin ihres Mannes, als eine Mitgereiste und Hausfrau. Das Buch "Doppeltes Antlitz. Pariser Impressionen" kommt 1966 im Berliner Verlag Volk und Welt heraus.
Wie soll sie aber auch unter diesen Umständen ihren eigenen schriftstellerischen Ambitionen nachkommen? Die Familie, der Haushalt, außerdem arbeitet sie in verschiedenen Betrieben, engagiert sich gesellschaftlich, will Veränderungen vorantreiben und mitmachen:
"Ich hab dann begonnen in der "Milchader", da wurde ein Jugendobjekt gebaut, das sollte das Rhin-Havelluch ent- und bewässern. Das war am Beginn der sechziger Jahre und wir waren zwei Leute, die da rumreisten, mit Jugendlichen sprachen und ne Zeitung machten – eine selbständige Zeitung."Sie führt also das in der DDR für Frauen durchaus übliche Doppelleben als Hausfrau und Mutter plus eigenständiger, allerdings immer wieder wechselnder Erwerbstätigkeit. Beides genug für ein hinreichend ausgefülltes Leben. Doch in Maxie steckt nach wie vor eine Suchende, die sich danach sehnt, selber schöpferisch zu sein ( und es scheint immer etwas Angst dabei zu sein, die eigene Lebenszeit zu vergeuden ).
Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten um gute Schreibbedingungen oder um Kurzaufenthalte für Beide in den DDR-Schriftstellerheimen Petzow, Wiepersdorf, Ahrenshoop und Geltow bleiben nicht aus. Außerdem beginnt Maxie angesichts der politischen Entwicklungen an ihrem Leben in der DDR, die sie zunehmend als "grauen Moloch" empfindet, zu zweifeln. In ihren Tagebuchaufzeichnungen ab 1968 finden sich immer mehr kritische Äußerungen gegen das Sich-Ducken gegenüber der Partei, Appelle für Phantasie und Mut zur Veränderung & Verbesserung. Besonders die Haltung der DDR - Oberen zur Berufstätigkeit der Frau, die diese gutheißen, aber betonen, die Familie dürfe nicht darunter leiden, bringen Maxie auf die Palme. Das Verhältnis zur "Gastheimat" wird ab jetzt immer widersprüchlich bleiben.
1963 haben die Wanders das Heimkind Roberto, genannt Berty, adoptiert und im Januar 1966 Daniel bekommen. Später macht Maxie anderthalb Jahre eine Journalistenausbildung in Berlin - Grünau und betreut neben bei die Bibliothek der DDR-Rundfunkschule dort. Sie wird freie Mitarbeiterin der "Märkischen Volksstimme" und DEFA-Drehbuchautorin.
Im Mai 1968 dann ein Drama: Maxies zehnjährige Tochter Kitty stürzt in eine Baugrube, die aufgrund der Grenznähe nicht abgesperrt worden ist ( die Staatsgrenze quert fast den Garten der Wanders ). Das Mädchen wird verschüttet und kann nicht mehr gerettet werden.
Maxie verliert ein großes Stück ihres Lebensmutes und eine schmerzende Wunde wird ihr bis an ihr Ende bleiben. In den nächsten Jahren wird sie quälen, dass sie sich vor dem Unfall, so im Tagebuch notiert, beklagt hat, wie unglücklich sie darüber sei, dass Hausarbeit und Kinder ihr keine Zeit für eine kreative Tätigkeit lassen. Sie hat sogar einen Plan entworfen, der ihr mehr Zeit und Kraft fürs Schreiben & Lesen bringen soll. Den Tod der Tochter empfindet sie im ersten Schock wie eine Bestrafung für all diese Optionen.
"Man kann traurig sein und sogar verzweifelt und kann in der gleichen Stunde essen, trinken, mit Leuten reden und sogar lachen! [...] Ich bin ein Ungeheuer. [...] Mein Kind ist tot, und die Menschen denken, es geht vorbei." (Quelle hier)
Es folgen Schwächeanfälle, Gleichgewichtsstörungen und cholerische Ausbrüche. Unter ihrem Jähzorn und ihrer Gewalt leidet vor allem das Adoptivkind Berty, aber auch sie selbst, denn sie geht bis zur Selbstzerfleischung. Sie fühlt sich außerdem heimatlos, ein Gefühl, das sie früher verleugnet hat. Einige Male versucht sie noch - erfolglos -, ein weiteres Kind zu bekommen, sozusagen eine Wiedergeburt der verlorenen Tochter. Die Familie zieht schließlich nach der Tragödie aus dem Haus und bezieht ein anderes an der Ernst-Thälmann-Straße in Kleinmachnow.
Beharrlich arbeitet die junge Frau weiterhin daran, nicht nur die Gefährtin eines Schriftstellers, der zudem als Verfolgter des Naziregimnes und Heinrich-Mann-Preisträger einen besonderen Status in der DDR genießt, und die Freundin vieler Künstler zu sein und ist ständig um ihre persönliche Weiterentwicklung bemüht.
Sie verfasst Texte, darunter einen sehr heiteren und kritischen Text über die "Häuslebauer" in der DDR, und entschließt sich - vier Jahre nach dem Tod der Tochter und einer Gruppentherapie - andere Frauen über ihr Leben zu befragen und scheinbar dokumentarisch deren Antworten als Lebensprotokolle festzuhalten. Als sie eine große Anzahl von Interviews mit Frauen allen Alters - die jüngsten etwa Jahrgang 1960, die älteste schon vor 1900 geboren - aus allen Gesellschaftsschichten der DDR zusammen hat, beendet sie 1975 diese Sammlung, in der die Frauen Auskunft über sich, ihr Leben und ihre Geschichte, geben und sich und ihre Ansichten erklären.
Maxie, die keinen Auftrag und keinen Leitfaden hat, sagt zu dieser Arbeit ( so auch im Vorwort ): "Vielleicht ist dieses Buch nur zustande gekommen, weil ich zuhören wollte." Und das ist sie: "... eine feinsinnige, unaufdringliche und geduldige Zuhörerin, die Berichte der Frauen in den Aufzeichnungen sind schonungslos offen." ( Quelle hier )
1975 editiert sie die Protokolle - sie werden, so ein Hinweis von Christa Wolf, natürlich von Maxie arrangiert, gekürzt, umgeschrieben, akzentuiert, bis es ihr passt -, und 1977 kommen neunzehn von ihnen im Buchverlag "Der Morgen" unter dem Titel "Guten Morgen, du Schöne" ( Untertitel: "Protokolle nach Tonband" ) heraus. In der DDR gelangt das Buch in kürzester Zeit auf die Bestsellerlisten. Überall wird über es geredet, Frauen wie Männer kennen es, man liest es sich gegenseitig vor.
Nie vorher haben Frauen in der DDR so offen über sich selbst geredet, fern der sonst verbreiteten Klischees der Propaganda: Sie reden über Männer und Frauen, Freundinnen, Sex und die Arbeit, Emanzipation und Abhängigkeit, Kinderkrippen, Ansprüche und Anpassung, über den Sozialismus, die deutsche Geschichte und den DDR-Alltag, das Westfernsehen, Alkohol. Endlich werden einmal Dinge beim Namen genannt, die auch viele Leserinnen ( und Leser ) betreffen. "Es ist eines dieser Bücher, die man verschlingt und bei jeder zweiten Seite 'Oh ja' oder 'Genau!' rufen möchte. Es berührt im Inneren, und es fühlt sich an, als säße man den Frauen, die über ihr Leben erzählen, direkt gegenüber", schreibt das Online-Rezensionsmagazin kritisch-lesen.de hier.
Maxie ist schon schwer krank, als sie die Korrekturfahnen für das Buch zu lesen bekommt:
Im September 1976 ist sie bereits in eine Frauenklinik eingewiesen worden mit dem Befund: Knoten in der linken Brust, Verdacht auf Krebs. Den Erfolg ihres Buches kann sie also nur begrenzt genießen. Sie schreibt damals den vielzitierten Satz: "Leben wäre ein prima Alternative."
Am 14. September wird ihr an der Berliner Charité die rechte Brust abgenommen, sieben Wochen später erfolgt eine weitere Operation, bei der ihr die Eierstöcke entfernt werden. Danach beginnt die Prozedur der Bestrahlung. Maxie schreibt Tagebuch und Briefe an Freunde und Verwandte, in denen sie über ihre Erlebnisse mit den anderen Patientinnen und den Ärzten berichtet, aber auch über ihre Schuldgefühle ( "...was mit mir passiert, ist der Preis – wofür? Für Übermut und Anmaßung? Oder?" ) und ihr Ausgeliefertsein ( "Die letzte Nacht war das Schlimmste, was ich an Angst und Schmerzen erlebt habe." ). Und sie schildert den mangelnden Respekt der Ärzte vor der Patientin:
"Und dann fällt mir ein (und warum, warum arbeitet mein Hirn unaufhörlich), fällt mir ein, daß ich im Frühjahr einige Nebennierenhormonspritzen bekommen habe, gegen Heuschnupfen, die auch auf meinen Tumor gewirkt haben konnten, zusammen mit den anderen Hormonspritzen im Winter, als die Regel ausblieb und meine Brust so groß wurde. Ob sich die Ärzte es reiflich überlegen, wann sie einer Patientin Hormone spritzen?" ( Quelle hier )Sie schreibt verzweifelt gegen die Schmerzen an, macht immer wieder Pläne, die von jedem neuen Ausbruch der Krankheit umgestoßen werden. So plant sie schon zwei weitere Bücher und sammelt für das eine Tonbandgespräche mit Männern, das andere sollen Kindergeschichten sein. Auch ihr Mann beginnt erst langsam zu begreifen, wie ernst die Bedrohung für Maxies Leben ist.
Da ist ihr Buch schon längst Kult, sie erhält zahlreiche Briefe von Frauen ( bis zu 50 Briefe täglich! ) und wird zu Kultursendungen eingeladen. Vor solchen öffentlichen Auftritten hat sie allerdings Angst: Die "öffentliche Blamage hat mir der Doktor nun wirklich nicht verschrieben."
Leicht zeitversetzt erscheint das Buch im Westen unter seinem Originaltitel. Fred Wander hat der Luchterhand-Lektorin Ingrid Krüger, die gut vernetzt mit der Ostberliner Literaturszene ist, auf einem Parkplatz ein Manuskript seiner Frau übergeben, nachdem Krüger sich mit dem Ostberliner Verlag über eine westdeutsche Lizenzausgabe verständigt hat und mit einem Tagesvisum nach Ostberlin gereist ist. Auf dem Bauch schmuggelt die Lektorin die Blätter in den Westen. Es wird eines der erfolgreichsten DDR-Bücher in der Bundesrepublik, die erste Auflage von 10 000 Exemplaren ist sofort vergriffen ( die übrigens nicht völlig identisch mit der Originalausgabe gewesen ist ). Zwei Jahre später kommt eine Taschenbuchausgabe heraus.
Wahrscheinlich ist Maxie Wander damit die publikumswirksamste Autorin der DDR, die aber nie zum Literaturbetrieb des Landes gehört hat...
"Dass dieses Buch erscheinen konnte, verdankt sich wohl allein dem Umstand, dass es zwar die patriarchal-gesellschaftlichen, aber nicht die herrschaftlich-staatlichen Strukturen in Frage stellt; das Buch ist DDR-treu. Was nichts an dem Umstand ändert, dass es wie kaum ein zweites an die Grenzen des öffentlich Mitteilbaren ging", schreibt Christian Eger vierzig Jahre später dazu in der "Mitteldeutschen Zeitung"Am 11. November 1977 fragt Maxie Wander in ihrem letzten Brief lakonisch: "Was soll ich mit dieser Krankheit machen?" Genau vierzehn Monate nach ihrer Krankenhauseinweisung stirbt sie in der Nacht zum 21. November 1977 in Potsdam. Metastasen haben zum Schluß auch ihre Lunge befallen. Sie wird auf dem Waldfriedhof in Kleinmachnow bestattet.
Zwei Jahre nach ihrem Tod erscheinen ihre "Tagebücher und Briefe", die Chronik ihres Kampfes gegen den Krebs, veröffentlicht von ihrem Witwer. Das Buch wird wieder ein Bestseller. "Wir wissen nicht, was wir haben, erst wenn die Wände zittern und der Boden unter unseren Füßen wankt, wenn diese Welt einzustürzen droht, ahnen wir, was Leben bedeutet", ist darin zu lesen. Diese Texte werden später nochmal unter dem Titel "Leben wär eine prima Alternative" herauskommen. 1996 wird weiteres Material unter dem Titel "Ein Leben ist nicht genug" veröffentlicht, das Maxie Wanders Aufzeichnungen aus den Jahren 1964 bis 1968 enthält.
An eine Biografie seiner Frau wagt sich Fred Wander nicht, gibt der Nachwelt nur Anhaltspunkte durch diese Veröffentlichungen der Originaltexte. Als dieser, fast neunzigjährig, 2006 in Wien stirbt, kommt seiner und Maxie Wanders Nachlass in das Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin.
"Nun haben wir, zu unserem Glück, ihr Buch. Wir sehen es, manchmal ganz zerlesen, in den Händen ihrer Leser, besonders ihrer Leserinnen," schreibt Christa Wolf auf die Frage "Was bleibt?" in ihrem Nachruf für die Freundin. Und es hat mich bei meinen Recherchen mehr als erstaunt, wie wirksam, wie oft gelesen, wie bewundert es bis heute geblieben ist.
Liebe Astrid ! Dir auch ein gutes, liebevolles Jahr mit Schönem und Leichtem, mit Tiefsinn und Engagement...! So wie bisher.
AntwortenLöschenJa. Die Maxie Wander, die steht auch bei mir im Bücherregal ( hat alle Ausmistaktionen überstanden). Die haben wir gern und mehrfach gelesen. Schön, daß Du daran erinnerst. LG Gitta
Ach, "Guten Morgen, du Schöne" und Maxie Wander, heiß gehandelt als "Bück-dich-Ware" unter dem Ladentisch und nur mit sehr guten Buchhändlerbeziehungen zu bekommen, danach unter Freunden weiter gegeben! Was haben wir es gelesen, geliebt und vor allem verstanden, denn wir lebten ja diese Leben! Danke für das Erinnern, liebe Astrid!
AntwortenLöschenleider kenne ich auch diese Autorin nicht
AntwortenLöschenalso wieder etwas dazu gelernt ;)
danke für die Vorstellung
liebe Grüße
Rosi
Natürlich damals auch gelesen! Allein schon der Titel!?
AntwortenLöschenDass sie so krank war, hat mich damals auch erschüttert. Ihre Texte waren so voller Leben und so klug hintersinnig, ich konnte nicht glauben, dass so jemand bald sterben sollte...ich war Mitte 20 und sie Mitte 40.
Danke fürs Erinnern an Maxie Wander, die uns Frauen viel gegeben hat.
GlG Sieglinde
Doch, Maxie Wander und die beiden Buchtitel waren mir durchaus ein Begriff. Ich habe mir die beiden Bücher damals von meiner Freundin geliehen, das weiß ich noch. Danke, dass Du ihre Geschichte wieder in die Erinnerung gerufen hast. Dass sie in Kleinmachnow gelebt hatte, wusste ich nicht. Ich muss in jenen Jahren beim Besuch meines Onkels ziemlich nahe dran gewesen sein...
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
Liebe Astrid, wie begehrt das von dir zitierte Buch in der DDR war zeigt der Umstand, dass ich es in der Bibliothek ausleihen wollte und die Dame dort sagte, dass das einzige Exemplar leider gestohlen wurde. Einige Zeit später steckte ein Zettel in meinem Briefkasten, sie hätten wieder ein Exemplar, ich könne kommen. Ich habe es mit Freude gelesen und mir später selbst eins kaufen können. Das habe ich mal verborgt und nie wieder bekommen. Leider ist mir das mit Büchern oft so gegangen, bis ich schlau wurde. Schade dass sie nicht mehr schreiben konnte. Beste Grüße von Rela
AntwortenLöschenOh ja, wie ich das noch kenne: Biblio als einzige Möglichkeit, an ein Buch heranzukommen... und dann gab es das dort auch nicht, weil geklaut worden! Auch das war DDR-Alltag...
LöschenLG Mascha
Auch mich fasziniert Maxi Wander, seit mir in den 80ern ihr Buch „Guten Morgen du Schöne“ in die Hände fiel. Nach der Lektüre von „Leben wär eine prima Alternative“ und einer dicken Biografie, besuchten mein Mann und ich während eines Berlin Aufenthalts ihr Grab und „ihre“ Straße in Kleinmachnow. Was mich mit ihr verbindet? Das Österreichische und der Zufall, dass meine Großmutter zur selben Zeit an Brustkrebs erkrankte und starb. Und ich bewundere ihre Courage und unangepasst sein. Liebe Grüße Christa
AntwortenLöschenDieses Buch ging damals in unserem Bekanntenkreis herum wie ein Lauffeuer. Solche Authentizität! Soviel Ehrlichkeit! Und das in der DDR!
AntwortenLöschenIch selbst habe damals sporadisch Tagebuch geführt, mit dem Ziel, irgendwann einen Roman zu schreiben. Das gelang mir erst viele Jahre später, aber Autorinnen wie Maxie Wander oder Brigitte Reimann haben dazu Anregungen gegeben und als Vorbild gedient. Danke für dieses schöne Portrait!
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenauch ich reihe mich ein in die Reihe der "Wanderleser/innen" ...zu damaligen zeiten haben mich die Bücher "Guten Morgen, du Schöne"und "Leben wär eine prima Alternative" sehr beeindruckt...wie es wohl wäre, wenn ich sie jetzt wieder zur Hand nähme?...
Liebe Grüße
Augusta
Schön, dass Du sie wieder ein wenig ins Licht holst. Es zeigt mir wieder, wie die Zeit rast.
AntwortenLöschenLG
Magdalena
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenich lese jedes Mal Deine Artikel über die great women. Oft kannte ich diese Frauen bisher nicht und merke dann, wie unwissend ich bin... Bei Maxie Wander ist das anders. Ich bin zum Bücherregal gegangen und habe ihre "Tagebücher und Briefe" heraus genommen, auch ganz zerlesen. Was für eine Zeit! Sie war es unter wenigen anderen, die mich gelehrt haben, Dinge zu sagen, die man eigentlich nicht sagt in der Öffentlichkeit.... Ich habe sie bewundert und geliebt.
Vielen Dank für diese wunderbare Erinnerung an eine großartige Frau!
Elke
Ja, mir wird bewusst, die beiden schmalen Büchlein von ihr würden auch bei mir alle Regal-Ausdünnungen überleben. Und sie sind mir noch immer nahe, ihre Texte, was mir nur selten mit Gelesenem passiert ist. Danke dir, liebe Astrid, für dieses Porträt. Liebe Grüße Ghislana
AntwortenLöschenguten morgen du schöne, ja, das hatte ich auch und nicht viel gewusst vom leben der autorin. dank dafür, liebe astrid, so viel erinnerungen an eine bemerkenswerte frau! liebe grüße, eva
AntwortenLöschenGuten Morgen Du Schöne,
AntwortenLöschendanke für diewses Porträt.
Ich musz gestehen, dasz ich den Hype um dieses Bucht (Hype sagte damals noch keiner hier!) nie verstehen konnte - ich konnte wenig damit anfangen und habs nie bis zum Ende geschafft. Im Nachhinein sage ich: es hat mir erstmals meine eigene Andersartigkeit bewuszt gemacht, meine völlig andere Denk-und Lebensweise...
Asperger-Diagnose kam ja erst sehr viel später, die endlich eine Erklärung war für mein Leben im falschen Film... ansonsten gab es natürlich andere solcher Bücher nicht, wo Menschen von sich selbst erzählten. Identifizieren konnte ich mich einfach mit niemandem - - -
Bin nach einiger I-Net-Astinenz heut mal wieder online, morgen Mutters 93. Geburtsatag musz nun auch noch gewuppt werden, dann kommt hoffentl. wieder normaler Alltag.
Ein vielfarbiges gesundes Neues Jahr wünscht Dir
Mascha
Beim Frühjahrsputz (Bücher entstauben und ausmisten) hoffe, das Buch zu finden. Dann werde ich es wieder lesen.
AntwortenLöschenLiebe Grüße und Danke für den Artikel
Uta
Vielen Dank das Du die Great Women weiter veröffentlichst. So bekomme ich ungesucht ganz neue Gedanken und Inspirationen. Auch lese ich regelmäßig Deinen schönen Blog, bitte mache so weiter.
AntwortenLöschenAlles Gute für 2020, eine "stille" Leserin.