Von der Frau, die ich heute kurz vorstelle, habe ich durch einen Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" aus Anlass des hundertsten Jahrestages ihrer Zulassung als Rechtsanwältin erfahren. Maria Otto war nämlich die erste Frau, der dies in Deutschland zugestanden worden ist.
Maria Margarete Otto kommt am 6. August 1892 in wirtschaftlich guten Verhältnissen in Weiden in der Oberpfalz zur Welt. Sie ist die älteste Tochter eines Kommerzienrates und Direktors der Porzellanfabrik Bauscher, die elf Jahre zuvor gegründet worden ist und sich auf Hotelporzellan spezialisiert hat.
Nach der Volksschule erhält Maria zwei Jahre Privatunterricht, um anschließend ein Mädcheninternat für Sprachenlehrerinnen in Regensburg und schließlich ein Mädchengymnasium in Nürnberg besuchen zu können. 1912 legt sie dort das Abitur ab und entscheidet sich, Jura zu studieren, was in Bayern schon seit neun Jahren möglich ist - ein hart erkämpftes Zugeständnis an die deutsche Frauenbewegung des späten 19. Jahrhunderts!
Gewissheit, einen Abschluss erreichen bzw. jemals in einem juristischen Beruf arbeiten zu können, hat Maria damals allerdings nicht. Deshalb absolviert sie während des Jura-Studiums ein weiteres Studium: 1920 besteht sie an der Handelshochschule München die kaufmännische Diplomprüfung. Laut der Jura- Prüfungsordnung ist für eine Frau nach dem ersten juristischen Staatsexamen nämlich in jedem Fall Schluss.
Maria studiert in München, Berlin, Leipzig und Würzburg. Dort an der Juristischen Fakultät der Universität beendet sie ihr Studium mit einer akademischen Universitätsabschlussprüfung am 10. Juli 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg. Zum juristischen Vorbereitungsdienst wird sie als Frau aber nicht zugelassen. Der Vorbereitungsdienst ist aber Voraussetzung für die Zulassung zur zweiten juristischen Staatsprüfung und damit zum Richteramt bzw. zur Tätigkeit als Rechtsanwältin. Was ihr allerdings zugestanden wird ist ein "informatorischer Vorbereitungsdienst", den Maria bis 1919 absolviert. Ihre jährlichen Anträge, das zweite juristische Staatsexamen ablegen zu dürfen, werden immer abgelehnt. Diesen Vorbereitungsdienst leistet sie übrigens auch ohne Bezahlung, quasi zum eigenen Vergnügen, ab.
1921 promoviert sie in Würzburg und schränkt ihren letzten Antrag so ein, dass sie ja keine Position im Staatsdienst anstrebe. Zwischenzeitlich hat auch Baden und Preußen die Zulassung von Frauen zum zweiten juristischen Staatsexamen beschlossen, so dass die Argumentation des Bayerischen Justizministerium auf immer dünnerem Eis beruht.
In Frankreich, Schweden, Holland und Italien gibt es hingegen schon um die Jahrhundertwende Anwältinnen, manchmal sogar Richterinnen. Die männlichen Kräfte der Beharrung in Deutschland führen aber nach wie vor ins Felde, dass die "besondere körperliche Konstitution" der Frau, "in der besten Zeit der Jahre von Zeit zu Zeit in einem anormalen Zustand sich befindet und an der pflichtgemäßen Ausübung des Berufs gehindert ist." Andere Gegner einer Öffnung der Justizberufe für Frauen stellen sich als Beschützer der "edlen und keuschen" Frau dar, die zu schade für den Richter und Anwaltsberuf sei, bei dem man vielen Scheußlichkeiten ausgesetzt sei, besonders bei Sittlichkeitsprozessen. Auf dem Richtertag 1921 herrscht wiederum weitgehend Konsens, dass es der Würde eines Mannes einfach nicht entspricht, von einer Frau verurteilt zu werden.
Ende 1921 wendet sich das Blatt ( vielleicht wollten die zuständigen Beamten nur endlich ihre Ruhe von dieser renitenten Antragstellerin haben ). Im Februar 1922 lassen sie das "Fräulein Kandidatin" ausnahmsweise und mit dem Hinweis zu, dass auch eine erfolgreiche Prüfung ihr weder die Fähigkeit zum Richteramt noch die für ein höheres Amt in der inneren Verwaltung oder des Finanzdienstes verleihe. Das ist sogar noch vor der Verabschiedung des "Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege"gewesen!
1922 CC BY-SA 4.0 |
Im Juni des Jahres besteht Dr. Maria Otto als erste Frau die Prüfung und landet in der Rangliste der 113 Teilnehmer im Mittelfeld auf Rang 63. Im Oktober bekommt sie die Urkunde ausgehändigt und darf den Titel "Assessor" führen. Und schließlich und endlich lässt das Bayrische Staatsministerium der Justiz im Dezember 1922 Dr. Maria Otto auf der Grundlage des Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11. Juli 1922 zur Rechtsanwaltschaft zu.
Mit dreißig Jahren kann sich Maria endlich als selbstständige Anwältin in der Nähe des Münchner Justizgebäudes niederlassen, witzigerweise in der Ottostr. 1. Der Zeitpunkt ist günstig, denn die bewegten Anfangsjahre der Weimarer Republik geraten nach der französischen Besetzung des Ruhrgebiets, dem Hitlerputsch, den kommunistischen Aufständen in Sachsen und Thüringen und dem Ende der Inflation und der damit verbundenen Wirtschaftkrise in ruhigere Fahrwasser.
Maria Otto etabliert sich auf Rechtsgebieten, die schon damals als "eher weiblich" gegolten haben, aber auch ihr Engagement für Frauenfragen offenbaren: Sie macht sich im Familienrecht einen Namen und vertritt Frauen bei Unterhaltsstreitigkeiten, engagiert sich in der Münchner Rechtsschutzstelle für Frauen mit, deren Vorsitzende sie zeitweilig sein wird, und vertritt Frauenvereinigungen wie den Verein "Arbeiterinnenheim" und den Künstlerinnenbund GEDOK.
Unter der Naziherrschaft darf die Rechtsanwältin weiter ihrem Beruf nachgehen. Ihre Haltung zum neuen Regime scheint wohl von dem Versuch geprägt zu sein, so unauffällig zu agieren, dass es nicht zur Konfrontation kommt. Sie wird nicht Mitglied der NSDAP, ist allerdings ab Februar 1934 im NS-Rechtswahrerbund. Später tritt sie noch dem Deutschen Frauenwerk, der NS-Volkswohlfahrt und dem Reichsluftschutzbund bei. Politische Funktionen übernimmt sie nicht und bekommt auch keine Auszeichnungen. 1937/38 fungiert Maria Otto als Sachverständige im Familienrechtsausschuss. Von der US-Militärregierung für Bayern wird sie nach Kriegsende umgehend als "nicht belastet" eingestuft, die Münchner Spruchkammer bestätigt ein Jahr später diese Bewertung.
Einen Wermutstropfen gibt es auch bei dieser Pioniergeschichte: Noch haben in der Weimarer Republik Heirat und die Gründung einer Familie für Frauen automatisch das Ende ihrer Karriere bedeutet, menschliche Bedürfnis nach Liebe und Sexualität haben diese Frauen in der Regel nicht befriedigen können. So auch Maria Otto.
Die wird von Zeitzeuginnen übrigens als "immer zurückhaltende Dame, immer dunkel gekleidet, hager in der Erscheinung, eigentlich unauffällig" beschrieben, eine, die sich nie in den Vordergrund drängt. Doch wenn es um die juristische Sache gegangen sei, so die Quelle, sei sie plötzlich präsent gewesen und habe mit einer Präzision argumentiert, der niemand etwas entgegen zu setzen vermochte. Maria Otto gilt zu ihrer Zeit als "eine Feministin im besten Sinne".
Es hat drei Jahre gedauert, bis das "Fräulein Otto" in Bayern eine Kollegin bekommen hat. 1933 gibt es im Freistaat dann acht Anwältinnen, im ganzen Reich nicht mal hundert. 1927 tritt Maria Johanna Hagemeyer ihr Amt als erste Richterin in Deutschland am Amts- und Landgericht Bonn an. Bayern bekommt gar erst 1946 seine erste Richterin. Maria Otto bleibt 55 Jahre in ihrem Beruf als Anwältin. Da ist sie 85 Jahre alt und stirbt am 20. Dezember 1977 in München.
Ihr zu Ehren hat der Deutsche Anwaltverein 2010 einen Anwältinnen-Preis ins Leben gerufen und nach ihr benannt. Im Jahr 2022 hat ihn Margarete Gräfin von Galen erhalten, Fachanwältin für Strafrecht. Sie streitet gegen die soziale Stigmatisierung von Prostituierten.
Eigentlich so etwas *ganz Normales* heute, Juristin zu werden. Das es so lange gedauert hat, dass man keine Angst mehr vor "hysterischen Frauen" (Periode und so) hatte und sie auch dieses Fach studiern und ausüben lassen...
AntwortenLöschenLiebe Grüsse
Nina
Liebe Astrid,
AntwortenLöscheneine interessante Frau, die sich gegen ihr Umfeld zur Wehr setzen konnte und es geschafft hat, ihren Weg zu gehen.
Mit welchen fadenscheinigen Argumenten ihr der Zugang zum Examen verweigert wurde?!
Immer mehr glaube ich, dass Männer Angst hatten (oder haben), dass Frauen ihnen in ihre Domänen reingrätschen wollen und vielleicht (oh Schreck) auch noch besser sind als sie.
Viele Grüße
Claudia
Der Rhein, so wenig Wasser wie momentan hat er schon lange nicht mehr gehabt. Ich gehe fast jeden Abend mal gucken, das ist schon sehr betrüblich.
Was für ein Durchhaltevermögen und Verzicht diese engagierte Frau auf sich genommen hat! Tja, das hat der Männerwelt noch nie gefallen, wenn Frauen solche Bereiche erobern und sich als gut und besser beweisen.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
mit Beharrlichkeit hat sie es geschafft Anwältin zu werden ;)
AntwortenLöschensteter Tropfen höhlt den Stein
vielleicht wollten sie sie wirklich loswerden .. hihi
die damaligen Vorstellungen der Männer klingen makaber
aber sind auch heute zum Teil noch präsent
liebe Grüße
Rosi