Donnerstag, 18. Juli 2019

Great Women # 187: Rosalind Franklin

Brenda Maddox Biografie über Nora Joyce habe ich 1990 verschlungen. Als ich nach weiteren Büchern von ihr gesucht habe, bin ich auf ihre Biografie der von mir heute porträtierten Frau gestoßen - Rosalind Franklin - und war sofort Feuer & Flamme.


"Science and 
everyday life 
cannot and 
should not be separated."

Rosalind Elsie Franklin wird am 25. Juli 1920 in eine angesehene, gut vernetzte und wohlhabende britisch - jüdische Familie in London hineingeboren. Sie ist das zweite von fünf Kindern ihrer Eltern Muriel Frances Waley und Ellis Franklin, einem Banker. 
ca. 1923

Der Vater stammt aus einer arrivierten jüdischen Familie, die ursprünglich bis Mitte des 18. Jahrhundert in Breslau ansässig gewesen ist und auf den Namen Fraenkel gehört hat. 

Sein Onkel ist der Viscount Herbert Samuel, der 1916 als erster praktizierender Jude ins britische Kabinett zum Innenminister berufen worden ist und zum Zeitpunkt von Rosalinds Geburt zum Hochkommissar von Palästina. 

Seine älteste Schwester Alice Franklin ist Sozialistin, Suffragette und Sekretärin des Jüdischen Bunds für Frauenwahlrecht, eine andere Schwester, Helen Caroline Franklin ( "Mamie Bentwich" ), hingegen ist Gewerkschafterin, Labourpolitikerin und Philanthropin, später verheiratet mit dem Juristen & Zionisten Norman de Mattos Bentwich, zeitweise Generalstaatsanwalt im britischen Völkerbundsmandat für Palästina. Ein Bruder, Hugh Franklin, ist Suffragist und gehört zu den wenigen Männern, die wegen ihres Kampfes um Frauenrechte inhaftiert worden sind. 

Vater Ellis selbst hat ein Physikstudium nicht wie gewünscht in Oxford aufnehmen können, weil er zu Beginn des Ersten Weltkriegs zur Armee einberufen worden ist. Muriel Waley hat er 1917 geheiratet und er akzeptiert nach der Entlassung aus der Armee den Beschluss der Familie, in der von ihr geführten Handelsbank Keyser & Co die Arbeit als Banker aufzunehmen und den Lebensunterhalt für die bald wachsende Familie - der erste Sohn David wird 1919 geboren,  - zu garantieren. Doch für den Rest seines Lebens wird ihn die Naturwissenschaft beschäftigen, und er wird Physik an einem "Working Men's College" unterrichten, einer Wohlfahrtseinrichtung, von christlichen Sozialisten gegründet und von den Franklins auch finanziell unterstützt.

Die Familie der Mutter besteht aus lauter Intellektuellen und Akademikern, die schon früher als die Franklins in England ansässig geworden sind. Muriels Vater ist allerdings ein eher glückloser Rechtsanwalt, der seiner Tochter, anders als ihrem Bruder, den Schul- und anschließenden Universitätsbesuch nicht ermöglicht hat, was die hochintelligente Muriel sehr bedauert. Sie ist sich mit ihrem Ehemann darin einig, dass auch ihre beiden Töchter entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert werden ( und das, obwohl Ellis sonst in seiner Bank keine Frauen duldet, nicht mal als Telefonistinnen oder Sekretärinnen ).

Noch als kleines Kind besucht Rosalind  eine Privatschule in der Nähe ihres Zuhauses am Pembridge Place 5 in London W2, in der - für die Zeit ungewöhnlich - Jungen und Mädchen bis zum Alter von elf Jahren unterrichtet werden. Dieser Schule verdankt Rosalind, dass sie schon mit sechs Jahren sehr geschickt in Arithmetik ist, und "Mamie Bentwich" sie als "erschreckend schlau" bezeichnet. Das kleine Mädchen hat aber auch sehr viel Spaß an Sport, der in ihrer Schule ebenfalls koedukativ erteilt wird.

Die Familie ist zwar gut situiert, lebt aber nicht auf großem Fuß wie der Großvater Franklin mit seinem Stadt- und Landhaus, Chauffeur und Pipapo. Dafür geht man gerne auf Reisen, und Rosalind kommt schon in frühen Jahren in den Genuss von Auslandsaufenthalten. Die Familienurlaube bestehen oft aus Spaziergängen und Wanderungen, und Reisen & Wandern wird auch zu einer lebenslangen Leidenschaft Rosalinds werden...

Das Behütetsein in der Familie nimmt für Rosalie ein Ende, als 1929 ein fünftes Kind geboren wird, die Schwester Jennifer, und sie in die "Lindores School for Ladies", ein Internat in Bexhill an der Kanalküste gelegen, geschickt wird, auch, um in einer gesünderen Umgebung weniger krank zu sein. Briefe Rosalinds zeigen, dass sie sich nach zu Hause sehnt. Aber sie schickt sich in die Gegebenheiten und entwickelt ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, was sowohl den Geist anbelangt wie handwerkliches Geschick, um ihre Emotionen in Schach zu halten. Dort keimt auch ihr dauerhaftes Interesse für die Naturwissenschaften auf. Dennoch zählt sie jeden Tag, bis sie wieder nach Hause fahren kann.

Mit ihren Geschwistern 1932

Zwei Jahre später, mit elf Jahren, wechselt Rosalind dann auf die "St. Paul's Girls School", eine Tagesschule in London, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Mädchen auf einen beruflichen Werdegang vorzubereiten. Für ehrgeizige Mädchen ist eine solche Schule die erste Wahl.

Sie ist aber auch ein Ort, an der Rosalind viele Freundschaften schließt. Diese freundschaftlichen Beziehungen, von den Eltern gefördert, bringen aber auch immer wieder die "schwierige" Seite der Heranwachsenden zum Vorschein, so dass die Eltern befürchten, ihre Tochter könne ähnlich rebellisch werden wie Onkel Hugh oder Tante Alice.

Als "Paulina" - so werden die Schülerinnen genannt - zeichnet Rosalind sich wieder in den Naturwissenschaften, Latein und Sport aus. Zu dieser Zeit war St. Paul's eine der wenigen Schulen in London, an denen auch Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet werden. "Ihr ganzes Leben lang", so die Mutter später, "wusste Rosalind genau, wohin sie wollte, und mit sechzehn Jahren entschied sie sich für die Naturwissenschaften als ihr Fachgebiet." 

Die letzten Jahre in "St. Paul's", die der Vorbereitung aufs College dienen sollen, werden überschattet durch die Folgen der politischen Entwicklung in Nazideutschland, besonders 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Der Zustrom jüdischer Flüchtlinge wird zu einer wahren Flut, und Vater Franklin reduziert seine Arbeit als Banker und am College, um im Innenministerium bei der Visazuteilung zu helfen. Er und Tante Mamie kümmern sich auch um verwaiste  & obdachlose deutsch- jüdische Kinder - zwei davon finden auch im Haus der Franklins Unterschlupf - und die Schulleiterin von "St.Paul's" befreit die Schülerinnen immer wieder vom Unterricht, damit sie bei der Flüchtlingsarbeit helfen.


 CC BY-SA 2.0
Rosalind hat von der Schule eigentlich genug und fährt nach Cambridge, um bei den Zulassungsprüfungen in Physik & Chemie mitzumachen. Sie besteht trotz gewisser Zweifel ihrerseits und bekommt von beiden Frauencolleges ein Angebot. Sie entscheidet sich für das Newnham College und gegen ein weiteres Jahr auf ihrer Schule, was ihr die große Freiheit bringt, sich ab da mit Dingen zu beschäftigen, die auf keinem Lehrplan stehen wie z.B. die Teilnahme an Bezirksratsversammlungen oder einer Luftschutzübung. In Frankreich poliert sie zudem ihre Sprachkenntnisse auf, bevor sie, ausgestattet mit einer Auszeichnung ihrer Schule in Höhe von jährlich 30 Pfund, im Oktober 1938 in Cambridge das Studium im Hauptfach Physikalische Chemie aufnimmt ( worauf ihr Vater - entgegen anderen Verlautbarungen in der Literatur - sehr stolz ist ).

Norwegen 1939
Die junge Frau schätzt die anregende Atmosphäre der neuen universitären Umgebung und scheint geradezu begierig alles Wissen, alle Techniken in sich aufzusaugen. Sie lernt den "Vater der Röntgenkristallographie", den Nobelpreisträger William Lawrence Bragg kennen und spezialisiert sich auf die Kristallographie und die physikalische Chemie, und John Desmond Bernal, ein früher Pionier auf diesem Gebiet und der Molekularbiologie, wird ihr Lehrer, ebenso der Spektroskopiker W.C. Price.

Bei ihren Prüfungen in Chemie, Mathematik und Physik glänzt Rosalind, formuliert in Briefen aber immer wieder ihre Selbstzweifel. 1939 belegt sie insgesamt einen zweiten Platz und kann ins Auge fassen, das Studium in zwei Jahren abzuschließen. Neunzehn Jahre alt wird sie in jenem Sommer und ist ihrer Familie nach wie vor sehr verbunden. Gemeinsam unternimmt man mit allen Mitgliedern eine Reise nach Norwegen zu einer Klettertour, kehrt aber rechtzeitig mit dem vorletzten Schiff nach England zurück, als ein Krieg immer wahrscheinlicher wird.

Als der dann ausbricht, versucht ihr Vater sie zu überreden, das Studium abzubrechen und Kriegsdienst zu leisten. Doch ihre Mutter und Tante Alice intervenieren. Rosalind ist der Meinung, dass nicht weniger Wissenschaft zu meistern sei, nur weil jetzt Krieg sei. Sie teilt nicht die Zuversicht des Vaters, dass die Vernunft und die allgemeinen Grundrechte in diesem Krieg triumphieren werden. Wie so oft, ist sie mal wieder pessimistisch, auch was ihre sommerlichen Prüfungen anbelangt. Doch bei denen gewinnt sie wieder einmal ein Stipendium für ihr letztes Jahr in Cambridge.

De facto hat sie jetzt schon einen akademischen Grad, und der Vater schlägt ihr nun eine Arbeit auf dem Land vor. Sie sei "ganz außerordentlich schlecht" in allem, was nicht Wissenschaft sei, befindet Rosalind. Reaktion des Vaters: Sie habe die Naturwissenschaften quasi zu ihrer Religion gemacht. Daraufhin schreibt sie ihm einen vierseitigen Brief, der ihre Vorstellungen wiedergibt:
"... Wissenschaft und Alltagsleben können und sollten nicht getrennt werden. Wissenschaft erklärt, zumindest für mich, teilweise das Leben. Soweit wie sie greift, basiert sie auf Tatsachen, Erfahrungen und Experimenten. Deine Theorien sind die, die du und viele andere Menschen für glaubwürdig und bequem halten... Ich stimme dir zu, dass Glauben und Zuversicht wesentlich sind für den Erfolg im Leben (...), aber ich akzeptiere deine Definition von Glauben nicht, d.h. den Glaubens an ein Leben nach dem Tod. Meiner Ansicht ist alles, was für den Glauben nötig ist, die Zuversicht, dass wir, indem wir unser Bestes geben, dem Erfolg näher kommen und dass unsere Ziele (die Verbesserung der ganzen der Menschheit in der Gegenwart und Zukunft) es wert sind erlangt zu werden. Jeder, der an das glaubt, was die Religion beinhaltet, verspürt natürlich eine solche Zuversicht, aber ich. behaupte, dass Zuversicht in dieser Welt durchaus möglich ist, ohne an eine andere Welt zu glauben." ( Quelle hier )
Damit bricht sie mit dem jüdischen Glauben, allerdings nicht mit dem, was Jüdischsein auch beinhaltet: die unerschütterliche Loyalität gegenüber der Familie.

Ihr drittes Jahr in Cambridge startet gleichzeitig mit den Luftangriffen der deutschen Wehrmacht auf London. Wissenschaftler und andere männliche Mitglieder des Lehrkörpers wenden sich nun der Kriegsforschung zu, was für Rosalind bedeutet, dass sie sich einen neuen Doktorvater suchen muss. Wichtiger wird Rosalind eine andere Begegnung, nämlich die mit Adrienne Weill, einer lebenslustigen französisch - jüdischen Physikerin, verwitwet, Mutter und dem Aufruf De Gaulles, nach England zu gehen, gefolgt. Sie ist tief beeindruckt von dieser einstigen Schülerin Marie Curies, die auch über ein paar Ecken mit Rosalinds Familie verbunden ist.

Piccadilly (Mai 1941)
Anfang 1941 forcieren die Nazis die Luftangriffe auf London und damit auch Rosalinds Ängste. Sie habe sich "in Schwermut gestürzt". Ihr Doktorvater wendet sich inoffiziell an die Collegeleitung mit Zweifeln, dass sie ihr Abschlussexamen excellent genug schaffen würde. Nicht, weil sie nicht klug und fleißig genug wäre, aber sie sei unflexibel und könne ihre Zeit nicht richtig einschätzen. Die Befürchtungen treffen nicht ganz ein, obwohl Rosalind während der Prüfungen wegen einer schlimmen Erkältung mit Medikamenten "zugedröhnt" ist: Ihr Ergebnis ist eine gute Zwei. In der physikalischen Chemie schneidet sie dennoch als Beste ab und bekommt durch Einsatz eben dieses skeptischen Doktorvaters doch noch ein 15-Pfund- Stipendium, so dass sie in Cambridge bleiben kann.

Sie hätte sich gewünscht, jetzt etwas zu erforschen, was zur Niederschlagung Hitlerdeutschlands beigetragen hätte - stattdessen wird sie in das physikalisch - chemische Laboratorium gesteckt, um unter einem schlecht gelaunten Alkoholiker, dem späteren Nobelpreisträger Ronald Norrish, zur Polymerisation von Methansäure & Acetaldehyd zu forschen. Immerhin entgeht sie so dem Militärdienst und kann an der Universität bleiben. Aber bisweilen fühlt sie sich nicht wirklich geschätzt dort. Und als sie einen grundlegenden Fehler in Norrishs Projekt findet, kommt es Anfang 1942 zum Eklat, ja, zu einer regelrechten Kraftprobe. Ihre Beharrlichkeit führt letztendlich dazu, dass sie ein neues Projekt übernehmen kann, doch wirklich zufrieden ist sie nicht. Marianne, die Tochter Adrienne Weills, ebenfalls in Cambridge studierend, äußert sich so über Rosalind: "Sie war ausgesprochen nett, gut und ernsthaft; man hat sie nicht oft lächeln sehen." Hinzu kommen Konflikte mit dem Vater, der ihr Festhalten am akademischen Leben nicht akzeptieren mag, während seine Söhne an der Front sind.

Licht am Horizont ist erst wieder zu sehen, als Rosalind am südwestlichen Stadtrand von London ein Labor findet und für die "British Coal Utilization Research Association" (BCURA) über die molekulare Struktur von Kohlen und Kohlenstoffen forschen kann - immerhin trägt sie so zu den Kriegsanstrengungen ihres Landes bei! Außerdem bildet sie mit ihrer Cousine Irene Franklin und einer Freundin eine Wohngemeinschaft in einem kleinen Haus in Putney Common und findet Freude an der Hausarbeit. Das und die neue Forschungsarbeit - sie versucht herauszubekommen, welche Kohle gegen das Eindringen von Gas oder Wasser unempfindlicher ist, relevant auch für Gasmasken! - lassen Rosalind erst einmal ihren Seelenfrieden finden...

Doch Ende 1943 zieht sie wieder ins elterliche Haus, nachdem sie das Idyll in Putney durch eine Eifersuchtsattacke - ihre Cousine hat geheiratet und ist nun schwanger - zerstört hat. Dort übersteht sie die letzten üblen Luftangriffe und erlebt schließlich das Kriegsende am 8. Mai 1945. Alsbald macht sie sich wieder auf nach Cambridge, um dort ihre Doktorarbeit, die auf ihren Forschungen für die BCURA basiert, abzuschließen.

Eine Reihe glücklicher Zufälle führen Rosalind im Sommer 1946 nach Paris. Dort besucht sie natürlich Adrienne Weill, bevor sie mit einer Freundin zu einem Wanderurlaub in den Alpen aufbricht. An ihre Mutter schreibt sie: 

In Paris
"Ich bin sicher, ich könnte ewig in Frankreich wandern und glücklich dabei sein. Ich liebe die Menschen, das Land und das Essen."

Dazu kommt dann noch das Angebot ihrer Träume ( vermittelt durch Adrienne Weill ): Sie kann am "Laboratoire Central des Services Chimiques de L’Etat" forschen, auf ihrem Spezialgebiet!

Unter Leitung von Jacques Mering, den Rosalind sehr sympathisch findet ( und in den sie wohl etwas verliebt ist, aber auf Abstand geht, weil er verheiratet und zudem eine Affäre mit einer Kollegin hat ), lernt sie, Röntgenstrahlung zur Analyse der inneren Struktur von Holzkohle und Kohle einzusetzen. Das Betriebsklima in diesem Institut ist sehr stimmig, ganz anders als in Cambridge, und sie kann sich durch zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften zu einer international anerkannten Wissenschaftlerin auf ihrem Fachgebiet mausern.

Die private Rosalind Franklin scheint in Paris die glücklichste Zeit ihres Lebens zu verbringen: In den Briefen an ihre Familie berichtet sie sehr viel mehr von ihren Ferien, ihren Freunden oder den Lebensbedingungen im Paris der Nachkriegszeit als von ihrer Arbeit. Sie hat viel Zeit für das Reisen und Wandern, ist mit Freunden zum Wochenende mit dem Fahrrad unterwegs, geht mit ihren französischen Kollegen zum Tanzen oder Baden, unternimmt längere Reisen nach Italien oder in die Alpen, deren großartige Landschaften sie beeindrucken, und entwickelt sich zu einer versierten Kletterin. Als Pariser Anlaufstelle für zahlreiche Freunde und Verwandte aus England glänzt sie als Gastgeberin und bekocht alle mit Begeisterung französisch. Die Familie zeigt sich auch verwundert über ihre modische Eleganz. Kurz: Es ist eine so ganz andere Rosalind, als der später so gern  beschworene Blaustrumpf...

Doch die Familie drängt, zur Rückkehr: Schließlich kommt sie 1950 zurück nach London, um unter Leitung von John Turton Randall am Londoner "King’s College" zu forschen. Ein dreijähriges Stipendium bildet die materielle Grundlage ihrer Forschungsarbeiten. 

Am "King’s College" gibt es bald Schwierigkeiten: Ein anderer Forscher dort, Maurice Wilkins, ist vom Leiter des Laboratoriums im Unklaren gelassen worden, dass Rosalind nicht als seine Assistentin fungiert, sondern eine ihm weitgehend gleichgestellte Kollegin ist. Auch ein klärendes Gespräch 1951 und eine striktere Trennung der Aufgabengebiete der Beiden kann die Situation nur bedingt entschärfen. Generell werden an diesem sehr traditionellen College Wissenschaftlerinnen als nicht ebenbürtig betrachtet, was sich z.B. im Ausschluss der Frauen von einem der Speisesäle ausdrückt. Auch die von Rosalind bisher geleisteten Forschungsarbeiten wissen die Kollegen nicht zu würdigen, geschweige denn ihre Allgemeinbildung und ihre politischen und kulturellen  Interessensgebiete. Das Klima bleibt frostig.

Foto 51
Rosalinds Arbeit besteht darin, die bis dahin wenig beleuchteten DNA-Moleküle zu erforschen.  Ihr gelingen mit Unterstützung des Studenten Raymond Gosling gestochen scharfe Aufnahmen des DNA-Moleküls. Schnell ist klar, dass diese in zwei Strukturzuständen auftreten, je nachdem, ob es sich um eine kristalline DNA handelte oder ein DNA, der Wasser zugesetzt worden ist. Anfang 1953 findet Rosalind heraus, dass die zwei verschiedenen Formen der DNA beide eine spiralförmige, helikale Struktur besitzen. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht sie aber nicht.

Watson & Crick in Cambridge 1953
Zur gleichen Zeit arbeiten Francis Crick und James Watson in Cambridge an einem theoretischen Modell der DNA, ohne in Kontakt mit Rosalind zu stehen.

Rosalinds Kollege Maurice Wilkins zeigt ihnen im Januar 1953 aber eines ihrer röntgenkristallographischen Fotos - das berühmte Foto 51 - und ein weiterer Forscher macht ihnen die bis dahin unveröffentlichte Zusammenfassung von Rosalinds Forschungsergebnissen zugänglich. Crick & Watson setzen ihre Kollegin nicht davon in Kenntnis und erwähnen auch ihr Verdienste mit keinem Ton, als sie später ihre eigenen Ergebnisse in "Nature" veröffentlichen. Die Wissenschaftshistorikerin Margaret Rossiter wird diese Praxis, Leistungen von Frauen Männern zuzuschreiben, später  "Matilda-Effekt"  nennen. Erst 1968 wird Watson in seinem Buch "Die Doppelhelix" eingestehen, dass er Rosalinds Daten gekannt hat.

Jennifer, die "kleine Schwester," kommentiert das später: Sie wäre "vor Wut explodiert", hätte sie gewusst, dass James Watson und Francis Crick ihre Daten verwendet haben. Sie sei aber überzeugt, dass ihre Schwester gestorben sei ohne die Erkenntnis, wie sehr sie zu dieser Entdeckung beigetragen hat.

Zu dieser Zeit arbeitet Rosalind Franklin längst am "Birkbeck College" der Londoner Universität, wo sie eine angenehmere Arbeitsatmosphäre vorfindet. Ihr  neues Forschungsprojekt befasst sich mit der Entschlüsselung der Struktur eines Pflanzenvirus, dem Tabak-Mosaikvirus (TMV) .

Im Rahmen dieser Forschungsarbeiten hält sie sich zwischen 1954 und 1956 länger in den USA auf. Die Ergebnisse dieser Studien bringen bahnbrechende Erkenntnisse über den Aufbau von Viren. 1956 bekommt sie den Auftrag, Modelle für diese zylinder- und kugelförmige Viren zu erstellen, die 1958 im Rahmen der Weltausstellung in Brüssel präsentiert werden sollen.

1955
Am Ende ihres letzten USA - Aufenthaltes bemerkt sie an sich körperliche Veränderungen, die sie zurück in London untersuchen lässt. Eine Operation wird dringend angeraten: Sie leidet an Eierstockkrebs.  Zuerst freut sich Rosalind noch, dass keine komplette Hysterektomie vorgenommen werden muss und die Chance auf eigene Kinder bestehen bleibt. Doch schon einen Monat später sieht nach einer zweiten Operation alles anders aus. Während der folgenden 18 Monate muss sie ihre Arbeit immer wieder für Operationen und Behandlungen unterbrechen. Aber es ist damals nicht Usus, offen über eine Krebserkrankung zu sprechen. Deshalb erfährt auch Rosalinds Team nicht, was mit ihr wirklich los ist.

Die sieht ihre wichtigste Aufgabe nun darin, Finanzierungsmöglichkeiten für ihr Forschungsteam zu organisieren. Auch eine Reise nach Paris und eine Wanderung im Schwarzwald unternimmt sie 1957 noch und veröffentlicht weitere sieben wissenschaftliche Aufsätze - "die Illusion der Normalität" ( Brenda Maddox ) zerbricht im April des Jahres, als ihr der Arzt nach weiteren Problemen bezüglich ihres Gesundheitszustandes reinen Wein einschenkt. Doch: "Rosalinds Schreibtisch und Terminplan waren so voll, dass sie zum Sterben zu beschäftigt war." ( Brenda Maddox ) Sie besucht sogar im Sommer noch eine Konferenz über Polio in Genf und macht einen Ausflug nach Zermatt zum Matterhorn und zeigt keine Schwäche auf dieser Reise. Polio wird nun ein neues Interessengebiet der unermüdlichen Forscherin.

Im November 1957 muss sie sich in eine Spezialklinik begeben, so dass ihr Team eine Ahnung davon bekommt, woran sie erkrankt ist. Sie unterzieht sich als eine der Ersten einer Chemotherapie und verfasst am 2. Dezember ihr Testament. In der philanthropischen Tradition ihrer Familie setzt sie als ihren Haupterben Aaron Klug ein, ein loyaler Mitarbeiter und späterer Nobelpreisträger in Chemie, der mit dieser Unterstützung in Großbritannien bleiben und seine Forschungsarbeit wird fortsetzen können. Gegen Ende März legt sie noch einmal einen vollen Arbeitstag ein, um ihre Forschung zu ergänzen und schriftlich festzuhalten - fünf Seiten mit Berechnungen kommen so zustande.

Am 16. April 1958 stirbt Rosalind Franklin mit knapp 38 Jahren in London. Ihre engsten Mitarbeiter sind erschüttert, haben sie sie doch noch an ihrem letzten Arbeitstag mit erhobenem Haupt erlebt. Am nächsten Tag wird sie auf dem jüdischen Friedhof in Willesden beigesetzt. Die "New York Times" spricht in ihrem Nachruf von einem großen Verlust für die Wissenschaft.

Als die Forscher Crick, Watson und Wilkins 1962 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für ihre Arbeit an der DNA-Struktur  erhalten ( "for their discoveries concerning the molecular structure of nucleic acids and its significance for information transfer in living material"), erwähnen sie den Beitrag ihrer Kollegin Rosalind Franklin zu ihren  Erkenntnissen mit keiner Silbe.

Warum James Watson 1969 in seiner Erzählung "Die Doppel-Helix" dann noch einmal nachtreten muss, kann ich mir nur mit seinen generellen Einstellungen und seinem Charakter erklären - Watson gerät bis heute immer wieder in die Schlagzeilen mit seinen rassistischen, sexistischen und homophoben Einstellungen & Äußerungen:
"Sie tat nichts, um ihre weiblichen Eigenschaften zu unterstreichen. Trotz ihrer scharfen Züge war sie nicht unattraktiv, und sie wäre sogar hinreißend gewesen, hätte sie auch nur das geringste Interesse für ihre Kleidung gezeigt. Das tat sie nicht. Nicht einmal einen Lippenstift, dessen Farbe vielleicht mit ihrem glatten schwarzen Haar kontrastiert hätte, benutzte sie, und mit ihren einunddreißig Jahren trug sie so phantasielose Kleider wie nur irgendein blaustrümpfiger englischer Teenager. Insofern konnte man sich Rosy gut als das Produkt einer unbefriedigten Mutter vorstellen, die es für überaus wünschenswert hielt, dass intelligente Mädchen Berufe erlernten, die sie vor der Heirat mit langweiligen Männern bewahrten." ( Quelle hier )
Auch wenn er gegen Ende seines Buches seine Aussagen auf Druck von Forscherkollegen und der Brüder Rosalinds relativiert ( "Einige Jahre zu spät wurde uns bewußt, was für Kämpfe eine intelligente Frau zu bestehen hat, um von den Wissenschaftlern anerkannt zu werden, die in Frauen oft nur eine Ablenkung vom ernsthaften Denken sehen." ), überdauert die negative Beschreibung der Forscherin - "Rosy, das Drachenweib, das Daten hortet, die es nicht versteht" -  bis heute. Erst sechs Jahre später regte sich Widerspruch in einem Buch, und ein 1987 von der BBC verfilmtes Porträt Rosalinds macht sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und zu einer feministischen Ikone. Heute tragen Preise, Stipendien, eine Universität, Straßen und der Mars-Rover der ESA, der 2020 zum Mars geschickt werden soll, ihren Namen.






9 Kommentare:

  1. Ein sehr interessanter Post über eine scheinbar sehr begabte Wissenschaftlerin, die nur leider das Pech hatte, in eine Zeit hineingeboren worden zu sein, in der begabte Frauen das Pech hatten, Frauen zu sein... wenn ich den Text dieses Betrügers und Obermachos Watson lese, kommt mir das kalte Grauen.
    Liebe Grüße, Maren

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  2. Liebe Astrid,
    zu Beginn achte ich mir och, welches Glück Rosalind doch hatte, in eine so interessante und aufgeschlossene Familie hieingeboren worden zu sein - sogar ein Suffragist war dabei! Und dann auch noch als Jüdin in Britannien, nicht im hochgefährlichen Deutschland. Aber obwohl sie ihren Weg gehen durfte (was garantiert eine Ausnahme selbst für noch so begabte und kluge Frauen war), ist sie an so viele Grenzen gestoßen und eine Unverstandene geblieben. Ob ihre Arbeit mit den Röntgenstrahlen sie krank gemacht hat? In jedem Fall ein trauriges, frühes Ende für eine hoch interessante Frau!
    Herzlichst, Traude
    https://rostrose.blogspot.com/2019/07/lady-in-red-und-fotofestival-la-gacilly.html

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    1. Ja, man nimmt an, das die Röntgenstrahlung verantwortlich für den Krebs gewesen ist.
      LG

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  3. Liebe Astrid,
    wieder hast du eine interessante Frau vorgestellt und anschaulich dargestellt, wie sich Frauen gegen die Macht der Männer durchsetzen mussten und ja auch noch müssen. Ich lese deine Posts immer gerne.
    Liebe Grüße
    Agnes / Gartenbienenweide.de

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  4. Der Matilda-Effekt, was für ein Killer mit harmlosem Namen.
    Rosalind Franklin war mir unbekannt und ich finde es höchst interessant, was Du über sie schreibst. Wie konsequent sie ihre Berufung gelebt hat und auch durch Leistungsstipendien noch vieles selbst finanziert hat, ist sehr beeindruckend. Leistung war sicher etwas, was sie immer erbracht hat, bis zu ihrem Tod. Immer aufrecht.
    Wo sie sich wohl mal hat fallenlassen können?
    So eine junge Frau und das Leben schon vorbei.
    Herzlichste Grüße schickt Sieglinde

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  5. Heute verschlägt mir deine wunderbar geschriebene Frauenbiographie schier die Sprache: vor der Tragik dieses viel zu kurzen Lebens, vor der Begabung dieser Wissenschaftlerin und vorallem wegen der Dummheit und Dreistigkeit dieser Männer mit dem eigentlich unverdienten Nobelpreis.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Wieder ein sehr interessanter Artikel über eine mir unbekannte, aber geniale Wissenschaftlerin. Mein Gott, anstatt die Möglichkeiten zu sehen, egal ob der Kopf dahinter weiblich oder männlich ist, bzw. war...
    Liebe Grüße
    Nina

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  7. Was für eine Geschichte! Irgendwann hatte ich Wasser in den Augen, noch vor dem Zitat von James Watson.
    Diese Worte ließen mich an einen Film erinnern, eine Frauengeschichte, die mich ähnlich bewegt hat. Nur konnte ich mich weder an den Namen der Frau, noch an den Filmtitel erinnern. Recherche. Stunden! ... Gefunden. Clara Immerwahr, über die Du auch schon berichtet hast.
    Viele Grüße,
    Karin

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  8. Vielen Dank für dieses tolle Portrait. Ich bin über Susannes Nadelbrief zu dir gesprungen und bin begeistert, dass diese für mich so vorbildhafte Wissenschaftlerin hier so gewürdigt ist. Ich werde meine Schüler mal hier auf deine Seite aufmerksam machen, das ist wirklich megagut! LG Ingrid (PS: Leider haben sich die Verhältnisse an der Uni erst zu meiner Studienzeit langsam zu vernändern begonnen in den Naturwissenschaften. Wenn ich an die Chemie denke damals noch nicht allzuseh ... )

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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