Plakat der Frauenbewegung gemeinfrei |
Heute jährt sich also der Tag zum hundertsten Male, an dem vom Rat der Volksbeauftragten ein Aufruf an das deutsche Volk mit diesem Inhalt erging:
"Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen".
Knapp drei Wochen später, am 30. November 1918, trat dann das entsprechende Gesetz, das Reichswahlgesetz, mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Und weitere sieben Wochen später ( am 19. Januar 1919 ) stimmten zum ersten Mal Frauen bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung mit ab. Wieder einen Monat später hielt dann erstmals eine Frau, die Sozialdemokratin Marie Juchacz, vor dem demokratisch gewählten deutschen Parlament eine Rede.
"Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf (...) dass wir Frauen dieser Regierung nicht etwa (...) Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."
Obwohl die Frauen vor hundert Jahren 54 Prozent der Wahlberechtigten stellten, kandidierten bei dieser ersten demokratischen Wahl in Deutschland nur 308 Frauen ( gegenüber 1310 männlichen Bewerbern ). Von den männlichen Kandidaten erhielt jeder Dritte ein Mandat, bei den Frauen war das nur jede Achte, das bedeutete 36 weibliche Abgeordnete ( 8,5% ), die 387 Männern gegenüber standen. Die Wahlbeteiligung der Frauen lag allerdings bei 82,3 Prozent, in einzelnen Orten sogar über 95 Prozent, ein Zeichen für die große Politisierung!
Bayern, das uns so manches Mal heutzutage eher konservativ erscheint, hatte in jenen Tagen eine Vorreiterrolle inne: Dort erhielten die Frauen bereits mit der Ausrufung des Freistaats am 8. November 1918 das aktive und passive Wahlrecht. Acht Frauen zogen damals als Abgeordnete in den bayrischen Landtag ein, darunter Ellen Ammann, die Gründerin der Bahnhofsmission und Vorkämpferin für die Verbesserung der gesellschaftlichen Lage der Frauen sowie für demokratische Verhältnisse generell.
Deutschland gehörte neben England ( dort war das Wahlrecht allerdings noch gebunden an den Besitz ), Österreich, Polen, Luxemburg zu den Ländern, die nach dem Ersten Weltkrieg das Frauenwahlrecht einführten, das Finnland ( damals noch ein Großherzogtum im russischen Reich ) als erstes europäisches Land schon 1906 beschlossen hatte. Auffallend: alles nichtromanische Länder!
Zuallererst aber haben die Neuseeländerinnen (1893) - damals waren die Inseln noch eine britische Kolonie- und dann die Australierinnen ( 1902 ) das Recht zu wählen zugestanden bekommen. Die Vereinigten Staaten folgten erst 1920 ( hier in meinem Post zu Alice Paul nachzulesen ), wobei einzelne Bundesstaaten schon ab 1869 den Frauen dieses Recht zugestanden hatten. Und Frankreich, das Land von "Liberté, Égalité, Fraternité", also eine der ältesten Männerdemokratien, gestand seinen Frauen erst 1944 das aktive und passive Wahlrecht zu, Italien 1946 und die Schweiz gar erst 1971. Schlusslicht in Europa war Liechtenstein ( 1984 ).
Die Einführung des Frauenwahlrechts veränderte das Rollenbild in der Gesellschaft allerdings wenig, und eine soziale und politische Gleichheit kam nur im Schneckentempo voran, denn weiterhin wurde das Ideal von "des Menschen Weib" als Hausfrau und Mutter hoch gehalten. Auch die Weimarer Verfassung garantierte keine uneingeschränkte Gleichstellung von Männern und Frauen. Erst sogenannte "Frauengesetze" ermöglichten Frauen die Zulassung zu Berufen, die bisher Männern vorbehalten waren, z.B. als Rechtsanwältin oder Richterin. Dagegen gelang es den progressiven politischen Kräften in der Weimarer Republik nicht, die gesetzlichen Bestimmungen für weibliche Beamte zu beseitigen, die bei Heirat oder der Geburt eines unehelichen Kindes gezwungen waren, den Dienst zu quittieren ( "Beamtinnen-Zölibat" ).
Die Einführung des Frauenwahlrechts veränderte das Rollenbild in der Gesellschaft allerdings wenig, und eine soziale und politische Gleichheit kam nur im Schneckentempo voran, denn weiterhin wurde das Ideal von "des Menschen Weib" als Hausfrau und Mutter hoch gehalten. Auch die Weimarer Verfassung garantierte keine uneingeschränkte Gleichstellung von Männern und Frauen. Erst sogenannte "Frauengesetze" ermöglichten Frauen die Zulassung zu Berufen, die bisher Männern vorbehalten waren, z.B. als Rechtsanwältin oder Richterin. Dagegen gelang es den progressiven politischen Kräften in der Weimarer Republik nicht, die gesetzlichen Bestimmungen für weibliche Beamte zu beseitigen, die bei Heirat oder der Geburt eines unehelichen Kindes gezwungen waren, den Dienst zu quittieren ( "Beamtinnen-Zölibat" ).
1933 änderten sich die Verhältnisse wieder völlig zu Ungunsten der Frauen: Deren gleichberechtigte Teilhabe an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft passte ja nicht zu den erklärten Zielen der NS - Familienpolitik, nach deren Vorstellungen sich die Frauen nur ihrer "wesengemäßen" Bestimmung als Hausfrau und Mutter zuwenden sollten ( "Dem Führer ein Kind schenken" - das sahen nun auch gut gebildete Frauen als ihre vorrangige Aufgabe an ). Die letzte Frau, die im demokratisch gewählten Reichstag noch einmal zu Wort kam, war Clara Zetkin, die seinerzeit auch als erste Frau in der deutschen Parlamentsgeschichte als Alterspräsidentin den Reichstag am 30. August 1932 eröffnen durfte. Die Politik der Nazis führte zum völligen Verschwinden der Frauen aus allen Parlamenten.
Erst Jahre später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, konnten die Frauen wieder in die Parlamente einrücken, und einigen Altparlamentarierinnen gelang ein persönlicher und politischer Neuanfang, darunter Helene Wessel, ( Zentrumspartei ), die CDU -Abgeordnete Helene Weber sowie die beiden SPD-Politikerinnen Friederike Nadig und Elisabeth Selbert ( hier mein Post zu ihr ), die "Mütter des Grundgesetzes".
Auch heute kann ich wie am Freitag nur wieder appellieren: Vergesst die nicht, die ein Leben lang dafür gekämpft haben, dass wir Frauen heutzutage so leben können, wie wir es tun ( ohne dass es meinen Ansprüchen in jeder Hinsicht gerecht würde )! Angesichts der rückwärts gewandten Ideologien, die in Europa & und der Welt wieder Fuß fassen, sollten wir mit ihnen und ihrer Leistung für den menschlichen Fortschritt unsere weibliche Identität stärken.
Die Frauen auf den Fotos in diesem Post sind übrigens ganz großartige Frauen aus der K.schen Sippe von vor hundert Jahren...
Wir sehen uns heute noch einmal am Spätnachmittag zu "12 von 12"
Auch heute kann ich wie am Freitag nur wieder appellieren: Vergesst die nicht, die ein Leben lang dafür gekämpft haben, dass wir Frauen heutzutage so leben können, wie wir es tun ( ohne dass es meinen Ansprüchen in jeder Hinsicht gerecht würde )! Angesichts der rückwärts gewandten Ideologien, die in Europa & und der Welt wieder Fuß fassen, sollten wir mit ihnen und ihrer Leistung für den menschlichen Fortschritt unsere weibliche Identität stärken.
Die Frauen auf den Fotos in diesem Post sind übrigens ganz großartige Frauen aus der K.schen Sippe von vor hundert Jahren...
Wir sehen uns heute noch einmal am Spätnachmittag zu "12 von 12"
Danke für diesen Post und Danke, dass Du diese privaten Photos zeigst. Ich habe gerade ein schönes Buch dazu verschenkt: 100 Frauen: und 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland und Österreich. Dort portraitieren 60 Illustratorinnen 100 Frauen engagierte Frauen aus Deutschland und Österreich. Viele bekannte, aber auch Frauen die und deren Leistungen mir unbekannt waren.
AntwortenLöschenLg Maren
Liebe Astrid,
AntwortenLöschendas Thema hast du eindrücklich erklärt, super Text. - Solche Entscheide gehen in der Schweiz sehr langsam und stell dir vor, der Kanton Appenzell Innerrhoden führte das Frauenstimmrecht als letzter Kanton ein und zwar im Jahr 1990.
In meinem Wohnkanton Schwyz stimmten 1971 die Schwyzer Männer gegen das Frauenstimmrecht. Erst ein Jahr später besassen die Frauen auch im (konservativen) Kanton Schwyz das Stimmrecht.
Dir einen guten Wochenstart und
liebe Grüsse aus der Schweiz
Eda
als ich in die schweiz kam , musste ich eine genehmigung eines mannes haben , um ein bankkonto zu eröffnen ! ich war entzetzt !
AntwortenLöschenlg
Ganz toller Beitrag von Dir, Danke zu so einer wichtigen Geschichte
AntwortenLöschenUnd schön, dass Du es mit eigenen Fotos bringst! Ich finde es toll, wenn man so auf die starken Frauen der Familie zurück schauen kann, denn wir können uns eigentlich nicht mehr vorstellen, wie es zu ihrer Zeit war, für uns ist Wahlrecht und ein eigenes Konto, einen Beruf ergreifen ganz normal. Heute gibt es sicher auch Herausforderungen, aber die hatten die Frauen bestimmt damals auch schon. Also, immer weiter...
Liebe Grüsse,
Nina
Danke für deinen großartigen Post. 100 Jahre ist schon eine lange Zeit und doch gibt es noch viel zu tun. Wo sind die Frauen in der politischen Männerdomäne in der Mehrheit und wo sind die Frauen in den Finanzwelten und wie sieht es in den Parteilisten aus- Wahlkanditatinnen sind immer in der Minderheit.
AntwortenLöschenDa finde ich mutige Frauen wie Marie Jucharz und aktuell Christine Bergmann, SPD, als hoffnungsvolle Frauen. Ein Beispiel das es weitergehen muss mit der Gleichberechtigung.
Danke und Gruß zu dir
heiDE
Dank an all die Frauen die dafür gekämpft haben. Tolle Bilder Astrid und ja Erkältung ist fies und Schlüssel verlieren noch mehr.
AntwortenLöschenLG
Ursula
Sehr schön zusammengefasst und wunderbar bebildert, liebe Astrid! LG Ulrike
AntwortenLöschenLiebe Astrid, da ke für deine ausführlichen Erinnerungen an das 100.jährige Frauenwahlrecht. Es ist schon toll was die Frauen damals geleistet hatten. Unter Einsatz ihres Lebens haben sie sich für bessere Arbeitsbedingungen, 8Stunden Tag, und .... gekämpft. Endlich wird ihnen an solch einer Jährung auch mal in vielem Städten gedacht und vor allem den jungen Menschen ins Bewusstsein gerückt. Liebe Grüsse, Thea (thea_tobischschuster@yahoo.com)
AntwortenLöschenDeine Erinnerung an die Einführung Frauenwahlrechts ist wieder einmal so interessant. Ich werde sie dann auch noch verlinken, wenn ich die Bücher meines Monats November vorstelle - von und/oder über Frauen.
AntwortenLöschenWenn ich das wunderschöne Frauenbild aus Eurem Familienalbum anschaue, wird mir ganz wehmütig. Hier haben Kriegswirren, Flucht, Vertreibung und Bombennächte in beiden Familie alles zunichte gemacht.
Liebe Grüße
Andrea
Wie diese - übrigens Unmengen, aus allen Jahrzehnten! - Fotos in den Westen gekommen sind, wir ein unlösbares Rätsel bleiben, denn meine Schwiegermutter ist ganz alleine mit ihren drei kleinen Söhnen, der Jüngste gerade ein Jahr alt, Ende Januar 1945, über die Danziger Bucht mit dem Schiff geflohen. Da hat man eigentlich ganz Anderes nötig als Fotos.
LöschenLG
Auf jeden Fall war das gestern ein Tag zum Feiern. Ich habe auch mit einer Freundin auf diesen Tag angestoßen mit einem Glas Sekt.
AntwortenLöschenWas mussten Frauen hier in Deutschland alles leisten und erdulden, damit diese Selbstverständlichkeit endlich Wirklichkeit wurde.
Wie schnell diese Selbstverständlichkeit dann auch wieder weg sein kann, zeigt die Geschichte aber auch.
Daher gilt es wirklich nicht zu vergessen und wachsam zu sein. Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen Satz tatsächlich mal so selbst schreiben werde. Er klingt so retro.... und ist leider doch einfach aktuell.
Danke für Deine wunderbare Geschichtsstunde zum Frauenwahlrecht! Dass es funktionieren kann, haben die Frauen in den USA kürzlich bewiesen. Das hat mich so gefreut.
Danke auch für die wunderbaren und wundersam geretteten Frauenfotos der K.schen Familie. Ein ganz besonderer Schatz!
Herzlichst, Sieglinde
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenvielen Dank für diesen Post, zwar habe ich Gestern schon einiges dazu im DLF gehört, aber es nochmals zu lesen ist gut.
Für mich ist es vollkommen unverständlich, wie wenig Rechte Frauen früher hatten und wenn ich davon höre, dass eine Frau früher das Einverständnis des Mannes brauchte, z. B. für ein Bankkonto, dann weiß ich gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll, weil es mir aufgrund der Absurdität schlicht die Sprache verschlägt.
Ich wünsche Dir noch eine wundervolle Woche.
Viele liebe Grüße
Wolfgang
vielen dank für deinen beitrag, der einige fakten enthält, die mir gar nicht bekannt waren, z.b. dass frankreich erst 1944 das frauenwahlrecht eingeführt hat.
AntwortenLöschendie familienbilder sind großartig, wie schön, dass du diese erinnerung noch in deinem besitz hast!
liebe grüße
mano
In Ba-Wü sind nächstes Jahr Kommunalwahlen und ich werde nicht nur wählen, sondern stehe wieder auf der Liste zur Wahl. Ehrensache.
AntwortenLöschenAm Rande: Als ich 1988, vor der Geburt meines zweiten Kindes, die Entscheidung traf mich bei dem geplanten Kaiserschnitt auch gleich sterilisieren zu lassen war das Einverständnis meines damaligen Ehemannes erforderlich!
Ich kenne nicht die momentane Rechtslage, aber damals war ich völlig außer mir. Durch die Heirat das Recht über Entscheidungen über meinen Körper verloren zu haben konnte und wollte ich nicht akzeptieren.
Danke für Deinen Bericht,
mit vielen lieben Grüßen,
Karin
das Frauenwahlrecht war schon eine harte Nuss die es zu knacken galt
AntwortenLöschenwenn man überlegt dass es in der Schweiz teilweise bis 1990 gedauert hat
muss man sich einmal vorstellen..
Vor 225 Jahren wurde z.B. Olympe de Gouges in Paris hingerichtet. Sie hatte, unter anderem, das Wahlrecht für Frauen gefordert
so lange kämpfen Frauen dafür
danke für deinen Bericht
liebe Grüße
Rosi
Das ist ein richtig schöner Post! Wir sollten sie nicht vergessen, unserer Vorreiterinnen. Sie haben eine Menge Missbilligung auf sich nehmen müssen um das wir heute den Luxus haben (fast)alles machen zu können, was wir nur wollen.
AntwortenLöschenDie Damen auf den Fotos sehen übrigens sehr nett aus.
Lieben Gruß
Andrea
So, jetzt bin ich endlich dazu gekommen, hier zu lesen. Das hast Du wieder großartig gemacht. Es ist doch einfach nicht zu fassen, dass es Frauen gibt, die nicht wählen gehen.
AntwortenLöschenLG
Magdalena