Donnerstag, 4. September 2025

Great Women #429: Ruth Hubbard

Hat dir deine Oma ( oder gar noch deine Mutter? ) auch weiß gemacht, du sollst ganz viel Karotten essen, dann siehst du besser im Dunkeln? Dieser Glaube war während des Zweiten Weltkriegs weit verbreitet. Dahinter steckte, vor allem in Großbritannien, dass man zum einen einen enormen Karottenüberschuss hatte, aber auch das Radar erfunden, mit dem die Royal Air Force deutsche Flugzeuge nachts avisieren konnte. Um diese neue Technologie nicht zu verraten, machte man den Briten weiß, ihre verbesserte Nachtsicht sei ihrem emsigen Karottenkonsum zu verdanken und würde den Menschen helfen, bei Stromausfällen gut zu sehen. Diese "Fake News" wurden sogar landesweit an die Wände gepappt und in die Briefkästen gesteckt. Währenddessen erforschte auf der anderen Seite des großen Teichs eine Frau die wahren Hintergründe des Dämmerlichtsehens: Ruth Hubbard .

"Frauen werden immer noch dazu erzogen, 
großen Männern zu Füßen zu sitzen."
..... 
"Sie wissen, der Löwe ist der König der Tiere, 
bis Sie herausfinden, 
dass es die Löwin ist, die alles tut."

Die ist allerdings am 3. März 1924  zuerst in Wien auf die Welt gekommen, als Ruth Hoffmann, Kind zweier  jüdischer Eltern, Richard Hoffmann, 31 Jahre alt, und Helene "Hella" Ehrlich, ein Jahr älter. Beide sind Ärzte und zählen zu den linken Intellektuellen & sozialistischen Aktivisten der Stadt. Helene ist sogar eine begabte Konzertpianistin, und als Kind zeigt Ruth ebenfalls vielversprechende pianistische Fähigkeiten, liebt Kammermusik und genießt Bücher mit komplizierten Handlungssträngen bzw. kniffligen wissenschaftlichen Fragestellungen.

Ruth ist vierzehn Jahre alt, als das Nazireich auf Österreich ausgeweitet wird. Die Eltern sind als Juden & Sozialisten doppelt gefährdet und schaffen es gerade noch rechtzeitig, mit Ruth & ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Alexander Peter in die Vereinigten Staaten zu fliehen.

Dort lassen sie sich außerhalb von Boston, in Brookline Massachusetts, nieder. An der Brookline High School schließt Ruth ihre Schulausbildung ab und schreibt sich anschließend in Cambridge, Massachusetts am Radcliffe College ein, um dort einen vormedizinischen Abschluss zu erlangen. Diese Berufswahl liegt für sie erst einmal nahe, denn alle um sie herum sind Ärzte.

Radcliffe College (1938)

In Harvard lernt sie den Literaturstudenten Frank Hubbard kennen, der später ein führender Cembalobauer werden wird, und heiratet ihn 1942 im Alter von 18 Jahren, bevor er wegen des Zweiten Weltkriegs eingezogen wird.

Das Radcliffe ist ein "Liberal Arts College", was bedeutet, dass man zum Grundstudium in einem Geistes- oder naturwissenschaftlichen Fach zusätzlich ein breites Allgemeinwissen und allgemeine intellektuelle Fähigkeiten vermittelt bekommt. 

Die Institution ist zu diesem Zeitpunkt ein "Harvard Annex", weil Frauen in der ehrenwerten Einrichtung das Studium nicht erlaubt ist. Unterrichtet wird von Harvard-Professoren - ausschließlich Männer -, die es übel nehmen, ihre Zeit in Radcliffe mit dem Wiederholen von Vorlesungen vor Frauengruppen verbringen zu müssen. Oft schickt man nur die zweite Garnitur für diese Aufgabe, so dass das Niveau des vermittelten Wissens nicht mit dem in Harvard vergleichbar ist. Ruth empfindet, dass die Lehrenden kaum ihre Verachtung gegenüber den Frauen verbergen und das Verhalten als herabwürdigend. Es brandmarkt Frauen in ihren Augen als Bürger zweiter Klasse.

ca. 1945
Für die Sommerschule wird die Geschlechtertrennung zeitweilig aufgehoben, so dass Ruth mit einer weiteren Kommilitonin einen Physik-1-Kurs mit 350 Studenten belegen kann - sehr unbehaglich für sie! Als im Herbst der reguläre Unterricht wieder beginnt, dürfen die beiden Studentinnen allerdings nicht mit dem Physik-2 -Kurs fortfahren, da dieser Kurs Harvard-Studenten vorbehalten ist. Ihr wird sogar von einem weiteren Studium in  Physik dringend abgeraten, und so wendet sie sich der Biologie zu. 1944 beendet sie ihr Studium der Biochemie mit dem Bachelor-Abschluss.

Zunächst wohnt sie bei ihrem Ehemann, der in Chattanooga Tennessee stationiert ist, bis sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ins Labor des George Wald eintritt, einem charismatischen Professor für Biologie der Harvard University von knapp vierzig Jahren. Wald ist besessen von der Photochemie der Augäpfel und einem enormen, ungelösten Rätsel: Wie wandelt das Auge Licht in Informationen für das Gehirn um?

Ruths Laborarbeit ist mit einem Graduiertenstudium finanziell abgesichert und auch sie forscht nun zu Sehpigmenten. Wald hat zuvor schon herausgefunden, dass diese Sehpigmente aus einem Vitamin-A-Aldehyd, heute Retinal genannt, bestehen. Ruths erste Untersuchungsreihe besteht darin, diesen Mechanismus aufzuklären. Aufgrund finanzieller Unterstützung durch ein Promotionsstipendium des United States Public Health Service kann sie ab 1948 ihre Forschungen auch an der University College Hospital Medical School in London fortführen. 

Rhodopsin ist ein lichtempfindliches Protein, das sich in den Stäbchen der Netzhaut befindet. Es ist für das Sehen bei schwachem Licht, dem sogenannten Skotopischen Sehen, verantwortlich. Früher ist es auch unter dem Namen "Sehpurpur" bekannt gewesen. Es besteht aus dem Protein Opsin und einem Chromophor 11-cis-Retinal. Trifft Licht auf Rhodopsin und das darin enthaltene Retinal, löst das eine Signalkaskade aus, die zur visuellen Wahrnehmung führt.
Ruth arbeitet viele Stunden im Labor, lagert unzählige Augäpfel von Menschen, Tintenfischen & Kühen im Kühlhaus und entwickelt die sachgerechtesten Methoden, diese aufzuschneiden, um an ihren Inhalt zu gelangen. Noch vor ihrem 25. Geburtstag hat die junge Frau bereits eine Reihe bahnbrechender Erkenntnisse gewonnen.

Die ausgezeichnete berufliche Beziehung, die zwischen der jungen Doktorandin und ihrem Mentor herrscht, hat sich in dieser Zeit sehr schnell auch zu einem Liebesverhältnis gewandelt. Da Wald verheiratet ist - Ruth & ihr Ehemann leben schon lange räumlich getrennt, da dieser in Europa auf der Suche nach alten Musikinstrumenten ist -, halten sie ihre Beziehung fast vierzehn Jahre geheim. "Eine große Romanze", wird ihr gemeinsamer Sohn später sagen.

1950 erfolgt Ruths Promotion. 1951 wird sie von Frank Hubbard geschieden und geht nun als Forschungsstipendiatin weiteren Studien zu Retinal und Retinol nach. George Walds Hypothese hat sich inzwischen verifizieren lassen. 1952 kann Ruth dank eines Guggenheim-Stipendiums am Carlsberg-Forschungszentrum in Kopenhagen  weiter am Thema arbeiten. Von da ab bis in die 1960er-Jahre leistet sie wichtige Beiträge zum Verständnis der Biochemie und Photochemie des Sehvermögens von Wirbeltieren und Wirbellosen.

Ruth mit George Wald und Sohn Elijah
(1959)

Nachdem auch George Wald geschieden ist, heiraten sie 1958. Im Jahr darauf kommt im März Elijah zur Welt, der später ein bekannter Gitarrist & Musikwissenschaftler werden wird, 1961 Deborah "Debbie".

Das Leben der nunmehr 35jährigen dreht sich weiterhin ausschließlich um das Labor: Sie und Wald gehen jeden Morgen zu Fuß zum Campus, arbeiten in nebeneinanderliegenden Laboren, essen gemeinsam zu Mittag und schlendern anschließend wieder nach Hause, wobei sie die ganze Zeit über ihre Arbeit diskutieren. "Es gab Rhodopsin beim Frühstück und Rhodopsin beim Abendessen", wird sich Elijah später erinnern. 

Die eifrige Forscherin veröffentlicht über dreißig Artikel über das Sehen. 1967 erhält sie zusammen mit ihrem Ehemann die Paul-Karrer-Medaille der Universität Zürich für ihre Arbeiten auf diesem Gebiet. Es ist auch das Jahr, in dem George Wald mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird - Ruths Anteile an der Rhodopsin-Forschung werden ihm einfach mitangerechnet.

Bei der Verleihung der Paul-Karrer-Medaille bzw. des Nobelpreises
(1967)

Bis dahin lebt sie eigentlich zufrieden in einer patriarchalischen Welt. "Ich dachte wirklich, Männer seien klüger, interessanter und die bessere Gesellschaft." Und noch regt es sie nicht auf, dass sie und die anderen Wissenschaftlerinnen in Harvard in niederen Dozenten- und Forschungspositionen – "Nicht-Jobs" bzw. "typisches Frauenghetto" nennt sie es später  – gehalten werden, während Männer eine Festanstellung als Professoren bekommen. "Wir waren einfach naiv und dachten: ‚Na ja, Harvard lässt uns hier arbeiten. Ist das nicht nett von denen?‘Ich habe das Ganze nicht wirklich wahrgenommen."

George, Deborah, Ruth & Elijah
(1969)
Jetzt sieht sich Ruth aber um! Und wie!

Nun tritt sie quasi in die Fußstapfen ihrer politisch aktiven Eltern und ihres Bruders Alexander, Anwalt der Black-Panther-Bewegung und der United Farm Worker. Ende der 1960er Jahre nimmt sie ihre Kinder mit zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Sie schaut sich auch genauer die Erscheinungsformen der Wissenschaft um sie herum an, zunächst was den Beitrag der Forschung insbesondere zu den in Vietnam eingesetzten Waffen, Gasen und chemischen Entlaubungsmitteln anbelangt.  Eine abrupte Kehrtwende in ihren Ansichten wird ausgelöst: 

"Es wurde einfach unerlässlich, die Augen nicht vor der Tatsache zu verschließen, dass Wissenschaft Teil der gesellschaftlichen Struktur ist“, sagt sie später.

Zur gleichen Zeit beginnen Frauen an Universitäten im ganzen Land die Grundlagen der Privilegien weißer Männer zu hinterfragen, auf denen das traditionelle Wissen basiert. Nachdem sie über zwei Jahrzehnte lang maßgeblich zu unserem wissenschaftlichen Verständnis des Sehens beigetragen hat, beginnt Ruth Hubbard mit ihrer noch aufschlussreicheren Arbeit in den Bereichen Wissenschaft und Feminismus. Sie wendet sich also von der Suche nach Antworten auf biologische Fragen ab und der Frage zu, wer überhaupt die Fragen formuliert. Und da geht ihr auf, dass "die großen Fragen von Männern gestellt wurden, und deshalb stellen sie nur bestimmte Arten von Fragen."

Sie interviewt nun andere Wissenschaftlerinnen, um weitere anekdotische Daten für einen Vortrag über das Leben als Wissenschaftlerin vor der American Association for the Advancement of Science (AAAS) zu sammeln. Und wie durch einen Blitz ausgelöst wird ihr klar, dass ihre Karriere nicht den Verlauf genommen hat wie die ihrer männlichen Kollegen!

1982
Ihre eingehenderen Betrachtungen bringen den in der Wissenschaft tief verwurzelten Frauenhass und Sexismus ans Licht und das führt auf Dauer zu einem der radikalsten Fortschritte in Harvard: der Vergabe von Festanstellungen an Frauen. Ruth Hubbard wird 1974 schließlich die erste Frau, die eine unbefristete Professur für Biologie an der Harvard University erhält und damit "mehr Freiheit bei der Entscheidung, welche Arbeit ich machen und was ich lehren wollte." Ihr feministischer Aktivismus und ihre Kritik der Soziobiologie verändern die Wissenschaftsgeschichte. 

Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt als Professorin hält Ruth ein kleines Seminar mit dem Titel "Bio 109 – Biologie und Frauenfragen" ab, das sich mit Sexismus und Rassismus sowie mit Fragen zu Klasse, Sexualität und anderen ausgrenzenden Strukturen in der Wissenschaftsgeschichte auseinandersetzt. Bis zum Ende des Jahrzehnts zieht "Bio 109" Dutzende von Studierenden an. 

1976 gibt sie ihre Arbeit im Labor auf – sehr zum Missfallen ihrer Kollegen –, um sich auf die Art und Weise zu konzentrieren, wie soziale Strukturen die Wissenschaft prägen. In den 1980er Jahren und darüber hinaus verfasst Ruth Bücher und Artikel, in denen sie sich gegen die Soziobiologie und ähnliche Formen des Missbrauchs der Wissenschaft zur nachträglichen verstandesmäßigen Rechtfertigung von Diskriminierung wehrt.

"Um Hubbards Einfluss zu verstehen, muss man sich mit der Denkweise jener Zeit auseinandersetzen. Damals dachten Wissenschaftler beispielsweise ernsthaft darüber nach, wie die menschliche Evolution erklären könnte, warum Jungen beim SAT-Mathetest im Durchschnitt besser abschnitten als Mädchen. Immerhin übertraf die Zahl der Jungen, die bei diesem Test zu den besten 0,01 % gehörten, die der Mädchen mit ähnlich guten Ergebnissen im Verhältnis 13:1. Doch die vorherrschende Theorie der 1980er Jahre besagte, dass die Gehirne der neolithischen Jäger in der prähistorischen afrikanischen Savanne – natürlich allesamt Männer – ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen ermöglichten als die der Sammlerinnen. Das Argument lautete, dass die Fähigkeit, Tiere mit Steinwaffen zu erlegen, Jahrtausende später zu korrekteren Antworten bei Multiple-Choice-Fragen zu Gleichungen führte. Dieser Analyse zufolge spiegelten traditionelle Geschlechterrollen und -erwartungen angeborene Fähigkeiten wider, anstatt Verhalten und Entscheidungen zu beeinflussen." So beschreibt Beryl Lieff Benderly, eine Wissenschaftsautorin, was sie vorgefunden hat, als sie sich mit Ruth Hubbards Ideen auseinandergesetzt hat.

1970er Jahre
Ruths Interesse an Rhodopsin ist also erloschen. Sie erklärt, dass sie mit der "vorgetäuschten Objektivität" der Laborarbeit fertig sei und widmet sich stattdessen nun dem Schreiben und Redigieren von Büchern, die die maskulinen Paradigmen der Wissenschaft in Frage stellen. 

Seit den 1970er Jahren erlebt die Forschung zu Geschlechterunterschieden allerdings auch immer wieder einen flashback, indem behauptet wird,  wissenschaftlich bewiesen sei, dass Frauen von Natur aus besser in der häuslichen Pflege und Mutterschaft seien als Männer, während Männer von Natur aus besser für das wettbewerbsorientierte Leben auf dem Markt geeignet seien. Der Schutz der reproduktiven Integrität von Frauen wird als Vorwand benutzt, um diese von besser bezahlten Berufsgruppen auszuschließen, von denen sie traditionell ohnehin ausgeschlossen gewesen sind. Diese Art der wissenschaftlichen Mythenbildung sollte langsam der Vergangenheit angehören, findet Ruth.

Der angesehene Genetiker Richard Lewontin allerdings schätzt seine Kollegin: "Niemand war eine einflussreichere Kritikerin der biologischen Theorie der Ungleichheit der Frauen als Ruth Hubbard." Ihre hervorragenden Kenntnisse der technischen, philosophischen und soziologischen Aspekte der Biologie zwingen ihre Kollegen, ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen und ihre Theorien zu überdenken. Doch Ruth Hubbard ermutigt nicht nur Kolleginnen, in ihrer Karriere voranzukommen, sondern inspiriert auch Frauen außerhalb der Wissenschaft, sich entsprechende Bildung anzueignen. 

"Sie war wirklich eine Mentorin für eine Generation von Progressiven, Feministinnen und LGBT-Studenten in Harvard, und das bedeutete ihr sehr viel", so ihre Tochter Deborah, eine Anwältin. Und ihr Sohn ergänzt: "Sie war eine echte Lehrerin, nicht nur im Klassenzimmer. Sie beriet gern Menschen und gab gern Ratschläge. Sie interessierte sich aufrichtig für Menschen. Sie war jemand, zu dem die Leute, die sie kannten, mit ihren Problemen kamen."

Ruth kritisiert auch das bis heute übliche Peer-Review-Verfahren in der Wissenschaft, welches vor unzuverlässiger, ungenauer und voreingenommener Forschung schützen solle, aber in der Praxis darauf hinauslaufe, dass "Gleichgesinnte mit ähnlichem persönlichen und akademischen Hintergrund" nur die Plätze in den Gutachtergremien tauschen. Wissenschaftliche Materialien, die fast ausschließlich von weißen Männern erstellt werden, sind damit nicht vertrauenswürdiger als die Zucker-Propaganda, bei der in den 1960er- Jahren einige Harvard-Wissenschaftler von der Zucker-Industrie geschmiert worden sind und sich eine ganz andere These durchsetzt: Fett sei das größte Übel auf unserem Speiseplan, das mache uns dick und krank. 

1990

1990 greift sie in einem Essay mit dem Titel "Die politische Natur der 'menschlichen Natur'" die Gewohnheit der Wissenschaftler und Wissenschaftsautoren an, Gene ( die nichts anderes als Moleküle sind ) als Schlüssel zum "Geheimnis des Lebens" oder als "Baupläne des Organismus" zu begreifen: 

Das sei "eine Form des Reduktionismus, der individuelles Verhalten und gesellschaftliche Merkmale anhand biologischer Funktionen erklärt", was "zu Vergleichen zwischen der Größe der Gehirne von Männern und Frauen sowie zwischen den Gehirnen von Männern verschiedener Rassen geführt hat – was Wissenschaftler nutzten, um die Überlegenheit kaukasischer Männer gegenüber Männern anderer Rassen und gegenüber allen Frauen zu ‚beweisen‘."

In Anbetracht der Äußerungen des aktuellen Präsidenten der USA mit all ihren Folgen für viele Menschen im Land müsste Ruth Hubbard im Grab rotieren...

Die Stellung der Frauen und nicht-weißen Männer in den Naturwissenschaften bessert sich mit dem Herannahen des neuen Jahrtausends deutlich. Doch noch immer kann Caroline Criado Perez 2019 in "Invisible Women" über eine "geschlechtsspezifische Datenlücke" klagen: Von Sicherheitsgurten über Werkzeuge bis hin zu Bürotemperaturen ist die Welt um uns herum nach den Maßstäben von "kaukasischen" Männern gestaltet. Und frau muss immer noch betonen: Weibliche Gehirne sind nicht weniger intelligent, mathematisch weniger begabt oder weniger fleißig, doch stehen Männern mehr Möglichkeiten für Ausbildung, Praktika und Vernetzung in der Wissenschaft zur Verfügung. Und wenn es um Fakten geht, gibt es ein Spektrum an Wahrheit. Wie Ruth  Hubbard so schreibt: "Fakten sind nicht einfach da draußen. Jede Tatsache, jeder Faktor hat einen Urheber."

Zurück zum ( privaten ) Menschen Ruth Hubbard, die sich  in den USA immer wie eine Ausländerin gefühlt hat. 1990 sagt sie in einem Interview mit dem "Boston Globe": 

"Diese Fremdheit hat mir das innere Recht und die Freiheit gegeben, mein Leben nach meinen Bedürfnissen zu gestalten – mich nicht an Modelle anpassen zu müssen, die vorgeben, wie eine Berufstätige, eine Ehefrau, eine Mutter oder eine Gastgeberin zu sein hat. […] Wenn ich einige meiner Freunde ansah, hatte ich das Gefühl, dass es mir leichter fiel, loszulassen, woran ich nicht teilhaben wollte. Ich kann es Arroganz nennen, und in gewisser Weise ist es das auch. Aber es entsteht aus der fehlenden Identifikation mit einem Modell, in das ich passen muss."

Viele Jahre lang nach ihrem Rückzug aus der biochemischen Forschung verbringen Ruth Hubbard und George Wald die Winter in Cambridge und die Sommer in Woods Hole am Cape Cod, wo sie gern am öffentlichen Strand sonnenbaden und nackt schwimmen. Als George Wald am 12. April 1997 stirbt, ist Ruth, nun 73 Jahre alt, verzweifelt und hört praktisch auf, sich weiter in der Welt der Wissenschaft zu äußern. Sie wird vom Ausmaß ihrer Trauer überrascht. "Für jemanden, der sich als Feministin einen Namen gemacht hatte, war es ein Schock für sie, dass er wirklich der Mittelpunkt ihres Lebens war", so ihr Sohn.  

"Sie dachte, dass ihr Leben nach dem Tod meines Vaters mit mehr Schwung weitergehen würde: Sie würde Konferenzen besuchen, mehr reisen, mehr Bücher schreiben. Aber als mein Vater tatsächlich starb, wollte sie nichts anderes mehr tun. Er war ihre andere Hälfte. Da sie nun allein auf der Welt war, fiel es ihr sehr schwer, weiterzumachen. Fast fünf Jahre vergingen, in denen sie fast nichts tat. Sie nahm ihr intellektuelles Leben wieder auf, aber nicht mit derselben Kraft. Ihr Ehrgeiz war nicht mehr derselbe."

Wie nahe sie mir da ist! Doch solange sie körperlich noch dazu in der Lage ist, schwimmt die einst so inspirierende & kämpferische Wissenschaftlern & Feministin weiter vor der Küste von Woods Hole und bleibt ihren Überzeugungen treu, bis sie am 1. September 2016 mit 92 Jahren in ihrem Zuhause in Cambridge stirbt. 

Ihr Verdienst liegt vor allem darin, dass sie ihre mutigen Ideen zu einer Zeit veröffentlicht hat, als geschlechtsspezifische Themen noch als absolut unakzeptable Provokationen gegolten haben. Ein wertvoller Beitrag im Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen also! Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit hat sich da in mir breit gemacht, als ich über sie geforscht & geschrieben habe.

                                                                                

Gerne mache ich an dieser Stelle auf andere großartige Frauen aufmerksam,
über die ich schon gepostet habe und die einen Gedenktag haben:


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