Donnerstag, 13. Juni 2024

Great Women #380: Oda Krohg

Natürlich habe ich damals das so positiv wirkende, ansprechende Porträt von ihr im Osloer Nationalmuseum gesehen ( und als Postkarte gekauft ), war aber gedanklich völlig mit den Bildern ihres angesehenen und viel berühmteren Zeitgenossen Edvard Munch beschäftigt ( und noch nicht aufmerksam genug bei der Suche nach großartigen Malerinnen ). Inzwischen scanne ich natürlich Publikationen in allen Medien ab nach für mich neuen Entdeckungen. Und da war sie auf einmal erneut auf meinem Radar: Oda Krohg.

Christian Krohg: "Porträt von Oda Krohg"
(1886)

Alexandra & Christian Lasson
Oda Krogh kommt als Ottilia Pauline Christine Lasson am 11. Juni 1860, also vor 164 Jahren, in Kristiania ( wie Oslo damals noch geheißen hat ) in Norwegen zur Welt. 

Ihre Familie zählt zum Bürgertum: Ihr Vater, der 30jährige Christian Otto Carl Lasson, ist als Regierungsadvokat eine eher bürgerliche Beamtenexistenz. Er ist der Vetter seiner Frau, der Mutter Odas, Alexandra "Saschinka" Cathrine von Munthe af Morgenstierne, 22 Jahre alt, älteste Tochter des Attachés der schwedisch-norwegischen Delegation in St. Petersburg, Christian Fredrik Jacob von Munthe af Morgenstierne, und der russischen Prinzessin & Hofdame Anastasia Sergiewna Soltikoff. Das klingt schon etwas ungewöhnlicher. 

Das Paar, seit 1857 verheiratet, bekommt zusammen elf Kinder, von denen acht Töchter und zwei Söhne überleben: Anastasia (Nastinka, *1858), Peder Carl (Per, *1859), Ottilia, Alexandra (*1862), Marie (*1864), Christian (*1865), Emilie (Mimi; *1869), Caroline (Bokken, *1871), Sofie (Soffi; *1873) und Elisabeth (Betzy; *1875). Oda, so wird das Mädchen gerufen, ist also die Drittgeborene. 

1869 kauft Vater Lasson, nunmehr Staatsanwalt am Obersten Gerichtshof, das Haupthaus eines ehemaligen Gutes in Soenerløkken, Grønnegate 19, in Kristiania. Das Haus im sogenannten Schweizer Stil errichtet ist angemessen für die große Familie und nimmt auch die Großmutter Ottilia ( Odas Namenspatronin ) & die unverheiratete Tante Emilie Nicoline auf. Das Paar tauft den Ort um in Lassonløkka und macht ihn zu einem kulturellen Schwerpunkte der Stadt, der häufig von bekannten Malern, Komponisten und Autoren der Zeit besucht wird. Vor allem auf der Musik liegt der Interessenschwerpunkt der Eltern. 

Der Vater ist konservativ und lehnt alles ab, was ihm zu radikal erscheint. Dennoch ist er ein guter Freund von Bjørnstjerne Bjørnson, dem Literaturnobelpreisträger und Politiker, mit dem er dessen republikanischen Ansichten & seine Bibelkritik diskutiert. Er engagiert sich vor allem aber für den kulturellen Wiederaufbau seines Landes nach der Befreiung von dänischer Herrschaft 1814.

Die Lasson-Kinder mit ihrer Mutter,
Oda ganz links
(1881)

Der Frauenfrage, die in jenen Tagen heiß diskutiert wird, steht Lasson nicht gerade wohlwollend gegenüber. Man ist in der Familie einfach nicht liberal genug, die begabten Töchter zu ermuntern, mehr aus ihren Fähigkeiten zu machen als lediglich gute Hausfrauen und Mütter zu werden. Sie erhalten auch nur eine geringe formale Bildung. Die Beschäftigung mit der Kunst wird akzeptiert, damit die Mädchen genug ästhetisches Gespür entwickeln, um später ein ansprechendes Zuhause für den Ehemann zu kreieren. Nichtsdestotrotz werden sich später einige von ihnen auf diesem Gebiet hervortun, und der Vater Widerspruch & selbstbestimmtes Verhalten dulden müssen. Vor allem Oda & ihre Schwester Alexandra werden ihm einiges zumuten.

Als Oda später eine Malerschule besuchen will, erlaubt es der Vater mit der Bemerkung: "Ja, du kannst anfangen - aber wenn du Talent hast, darfst du nicht weitermachen."

Einen Monat, nachdem die Mutter, an der alle Kinder zärtlich hängen, mit 41 Jahren überraschend an einer Lungenentzündung gestorben ist, heiratet Oda im Alter von einundzwanzig Jahren im Juni 1881 den Geschäftsmann & Vizekonsul Jørgen Engelhart. Der ist acht Jahre älter als sie, hat mehrere Jahre im Ausland verbracht, in Berlin, London und Paris, und gilt als weltoffener und wohlhabender Mann, der ein florierendes Holz- und Eisen-Exportunternehmen betreibt. Das Brautpaar bezieht eine großzügige, moderne Wohnung in der Pilestredet, die im norwegischen "Monopoly" die Stelle der Hauptstraße einnimmt.

Die Ehe ist wohl eher auf Betreiben des Vaters zustande gekommen, hat der doch viele Töchter "unter die Haube zu bringen", und der junge Engelhart scheint eine gute Partie zu sein. Von Liebe ist wohl eher weniger die Rede, obwohl Oda eine zugewandte Person ist, die die Liebe zu anderen Menschen, zunächst ihrer Familie, ins Zentrum ihres Fühlens & Handelns stellt.

Per Lasson
Schon ein Jahr darauf bringt Oda ihre Tochter Sascha zur Welt. Ihr Bruder Per, zu dem sie eine innige Beziehung hat, erkrankt zur gleichen Zeit an Krebs, und sie begleitet ihn im Herbst 1882 nach Halle, wo er von einem damals hoch angesehenen Mediziner am Kehlkopf operiert wird. Die anderen Schwestern sehen sich außerstande, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen, das Praktische zu organisieren, vor allem zu trösten und zu stützen. Oda hingegen erweist sich als sehr fürsorglich. Im Frühjahr 1883 reist sie mit dem schwerkranken Bruder noch einmal nach Bad Kreuznach zur Kur.

Doch alles ist vergebens: Im Juni 1883 stirbt Per mit 24 Jahren noch auf dem Schiff unterwegs nach Kristiania. Er ist ein vielversprechender Komponist gewesen, hat aufgrund seiner Jugend aber nur 15 Lieder, 9 Klavierstücke sowie eine Orchesterouvertüre hinterlassen können. "Pers Todeskampf wurde zum Maßstab für alles, was sie später empfinden sollte", schreibt Ketil Bjørnstad in seinem Buch.

Oda ist unterdessen auch wieder schwanger, und zu allem Überfluss an Problemen muss ihr Mann Konkurs anmelden. Sie reagiert mit Enttäuschung & Wut, hat ihr Mann sie doch nie in seine Schwierigkeiten eingeweiht. Entsprechend hintergangen fühlt sie sich und beendet schließlich die eheliche Beziehung, zieht bei ihrem Vater, der sich ebenfalls betrogen wähnt, und ihren unverheirateten Geschwistern wieder in der Grønnegate ein. Dort kommt ihr Sohn Frederik, genannt Ba, im Herbst zur Welt.

Eine Trennung an sich ist in jener Zeit schon ein Skandal. Aber dass diese dann auch noch von der Frau ausgeht und die mit zwei Kleinstkindern letztendlich in eine winzige Wohnung in der Sporveisgatain außerhalb des Elternhauses zieht, schlägt dem Fass den Boden aus. Trotz der Proteste ihres Vaters geht Oda anschließend auch noch in eine Malschule. Die Kunst ist allerdings nicht der sicherste Weg zum Reichtum, wenn frau ihren Lebensunterhalt selber bestreiten muss. Aber Oda lockt die Möglichkeit, sich zudem künstlerisch ausdrücken zu können. Vielleicht sehnt sich ein junge Frau von 23 Jahren, die zuletzt so viel Kummer & Sorgen zu bewältigen gehabt hat, einfach nur nach einer solchen Möglichkeit...

Christian Krohg: "Die Fotografie"
( Porträt Odas; 1884 )
Im September 1880 haben die Maler Christian Krohg und Frits Thaulow  in den "Aftenposten" bekannt gegeben, dass sie am Storthings Plads in Kristiania im Haus Pultosten eine Malschule für Damen eröffnen werden. Im Winter 1883/1884 folgt Oda ihrem Aufruf. Man kann  allerdings davon ausgehen, dass sie ihren Lehrer Christian Krogh schon gekannt hat, ist er doch nur ein paar hundert Meter von ihrem Zuhause aufgewachsen und hat der gleichen sozialen Schicht angehört. Das gibt dem alten Lasson aber nicht Sicherheit genug, hat sich Krohg doch recht antibürgerlich hervorgetan. 

Der künstlerische Kontakt zwischen Krohg und seiner Schülerin ist schnell geknüpft, und Oda übernimmt den naturalistischen Stil des um acht Jahre Älteren. Sie, die noch nie die Welt in einem Braunschleier gesehen hat, wie sie die noch tonangebenden & vom norwegischen Bürgertum geschätzten Maler der Düsseldorfer Schule malen, wird eine Malerin des Lichts werden.

Doch auch menschlich kommen sie sich näher und ein erneuter Skandal bahnt sich an, als Oda mit ihrem dritten Kind, diesmal von Christian Krohg, schwanger ist. Das muss vermieden werden, um Odas Vater zu schonen, denn sie ist noch nicht offiziell von Jørgen Engelhart geschieden, da die Trennungsfrist drei Jahre beträgt. Um die Situation zu retten, reisen Oda und Christian nach Belgien, wo Christian im Sommer an der Weltausstellung in Antwerpen teilnimmt. Odas Aufenthalt ist als Studienreise getarnt.

Im August 1885 ( im September des Jahres erfolgt dann auch die Scheidung von Engelhart ) wird die Tochter Nana in Brüssel geboren. Das Kind mit nach Norwegen zu nehmen - unvorstellbar! So wird das Baby in Belgien zur Pflege gegeben. 

Odas Gemütszustand ist nicht der Beste. "Sie hatte eine Tat begangen, die auf einem maskulinen Gedankengang beruhte", so Bjørnstad: Nana wird ihr Alptraum bleiben, egal wo und bei wem sich die junge Mutter befinden wird. Die seelische Belastung spiegelt auch ein "Kleines Porträt von Oda", gemalt von ihrem Geliebten, wieder. Doch sie ist noch jung und von bemerkenswerter Kraft & Energie und kümmert sich schließlich um ihre daheimgebliebenen Kinder, um ihre Malerei, den Alltag, aber auch um das Leben in der Bohème der Stadt, die sich jetzt unter diesem Begriff quasi konstituiert.
"Am Kristianiafjord"
(1886)
"Die Kunst­szene in Kris­tia­nia, dem heuti­gen Oslo, war im ausge­hen­den 19. Jahr­hun­dert über­schau­bar. In einer Stadt mit rund 135.000 Einwoh­nern kannte man sich, vor allem, wenn man eine Lebens­an­schau­ung teilte. Edvard Munchs und Oda Krohgs Wege kreuz­ten sich in den einschlä­gi­gen Cafés der Bohème, beide waren vom Maler Chris­tian Krohg – Odas späte­rem Ehemann – unter­rich­tet worden. Zwischen den beiden Künst­lern entwi­ckelte sich eine Freund­schaft. In Munchs Litho­gra­fie "Kris­tia­nia-Boheme II"... zeigt er sie in einer Cafészene, in stol­zer Haltung, leger geklei­det und mit selbst­be­wusst in die Hüften gestütz­ten Armen." ( Sabine Weier an dieser Stelle )

1886, mit 26 Jahren, kann die junge Künstlerin schon ihren Durchbruch feiern: 

Zwei ihrer Bilder werden für den Salon, der Herbstausstellung in Kristiania, angenommen, einmal ihr wohl bis heute berühmtestes "Am Kristianiaford ( Japanische Laterne)" und zum anderen "Mein Junge". 

Das Pastellbild "Am Kristianiaford" ist am Sommersitz der Familie Lasson in Hvitsten entstanden, eine ihrer Schwestern mag Modell gestanden haben. Dank der weichen Eigenschaften der Pastellkreide in den unterschiedlichen Nuancen von Blau ist die melancholische Atmosphäre der Mittsommernacht gut wiedergegeben und wird mit dem romantischen Lampion noch verstärkt. Der Japonismus, der bald so en vogue sein wird, hat Oda bei dieser Darstellung inspiriert. 

"Mein Junge" - gemeint ist Odas vierjähriger Sohn Ba-  ist nur noch vom Hörensagen bekannt.

Ba ist auch der kleine Held auf zwei Gemälden von 1887, auf dem er die Zeitung "Aftenposten" zerschneidet - ein malerischer Reflex Odas auf die Medienschelte der Zeitung auf eine Benefiz - Künstlerveranstaltung, bei der Geld gesammelt werden soll für ein zu errichtendes Kunsthaus. Frits Thaulow, inzwischen auch mit Odas Schwester Alexandra liiert, schlägt im Rahmen der Auseinandersetzungen gar einen Zeitungsredakteur nieder und muss 60 Tage ins Gefängnis. Die Truppe ist immer wieder für Schlagzeilen gut. 

"Ein Abonnent der Aftenposten I"
1887

Jenseits der Malerei lebt auch Oda den Vorstellungen der aus Studenten, Akademikern & Künstlern zusammengesetzten Bohème entsprechend, die die bürgerliche Doppelmoral & Heuchelei verachten. 

1887 nehmen ihr die Schwestern ihres Ehemannes die Kinder weg, weil sie von Odas Besuch in einer Pariser Absinthkneipe erfahren haben. Der alte Lasson sorgt schließlich dafür, dass das rückgängig gemacht wird und Oda ihre Kinder zurückbekommt.

Die junge Frau geht auf das "herausfordernde Programm" ihrer Bohème-Freunde ein und beginnt neben ihrer Beziehung zu Krohg ein Dreiecksverhältnis, indem sie den leidenschaftlich in sie verliebten Wortführer der Gruppe, Hans Jæger, erhört. 

Jæger, durchaus als fanatisch zu bezeichnen, hat bereits 1885 unter dem Titel "Kristiania-Bohème" ein Skandalbuch veröffentlicht, in dem es eigentlich nur um Sex geht, um politisch begründete Verführung, freie Liebe und die Anerkennung der Prostitution. Für dieses Buch muss er bitter büßen: Er wird nicht nur zu Gefängnis verurteilt, er verliert auch seine Stelle als Parlamentsstenograf und damit sein Auskommen. Außerdem wird ihm das Recht zum Studium abgesprochen. Pikanterweise trifft dieses Urteil ausgerechnet Odas Vater...

Einen Sommer lang praktiziert seine attraktive Tochter mit ihm die freie Liebe. Was es wirklich ist, ist schwer zu sagen. Es ist Jæger, der Oda den Titel "la vraie princesse de la bohème" anheftet. Das spiegelt allerdings eher die Fantasie der Männer der Gruppe wieder, denn die Realität der jungen Frau, Mutter, Malerin Oda Engelhart, die - abgesehen von ihren Liebschaften - wenig bohèmienhaftes in ihrer Malerei bzw. in ihrem Umgang mit ihren Geschwistern und Kindern an den Tag legt. Der literarische Ehrgeiz dieser Männer trägt dazu, sie zu jener femme fatale zu stilisieren, die in Edvard Munchs Bild "Vampir" ihre epochale Verkörperung erfahren wird.

Gegen Ende des Sommers, in Hvitsten, entsteht das eingangs wiedergegebene Porträt Odas von Christian Krohg.

um 1890
Dieses Bild einer Frau mit wallendem Haar und lockerer Kleidung, offen, freundlich, frei und lebensfroh, in diesen wunderschönen Rottönen, eine Frau, die die vorherrschenden Vorstellungen über die Rolle der Mutter und Hausfrau in Frage zu stellen scheint, wird in den 1970er Jahren in seiner Symbolkraft von der norwegischen Frauenbewegung übernommen werden. Doch wird da der kleine diskrete Hinweis des Malers gern übersehen: ein kleiner goldener Ring an Odas rechtem Ringfinger...

Tatsächlich heiraten Christian Krohg & Oda am 4. Oktober 1888, eine Woche, nachdem Odas Ehe endgültig aufgelöst ist, und ein paar Tage, bevor Hans Jæger aus dem Gefängnis entlassen wird. Sie gehen auf Hochzeitsreise nach Skagen, wo eine andere befreundete Künstlergruppe lebt. Bald ist sie zum vierten Mal schwanger.

Oda wird erst im Alter einsehen, was mit ihr in jenen Jahren als Bohemiènne geschehen ist: Die Vorstellungen ihrer Freunde haben sie gezwungen, gegen jedes Gefühl zu leben. Was Oda eigentlich sucht, ist nicht Unabhängigkeit, sondern Bindung. Aber frau wird auch den Eindruck nicht los, sie habe diese Ehe nicht (mehr) gewollt.

Der verlassene Jæger wird über die Erfahrungen in jenem Sommer das Buch "Kranke Liebe" verfassen, welches 1893 erscheinen wird. Der norwegische Dramatiker und Schriftsteller Henrik Ibsen urteilt darüber: "Ein Buch von einem Schwein, über Schweine, für Schweine." 

Vorher, im  Juni 1889, schenkt Oda einem weiteren Sohn das Leben, dem sie im Andenken an ihren verstorbenen Bruder den Namen Per gibt ( und der später ein bekannter Maler werden wird ). Edvard Munch ist einer seiner Paten. Das Bild "In der Wanne" von Christian Krohg spiegelt eine Familienidylle wieder:

Christian Krohg "In der Wanne"
(1889)
Sascha, die erste Tochter Odas, greift nach der Schürze der Kinderfrau, die den Säugling badet, Ba schmiegt sich an seine Mutter und betrachtet das Baby. Und ganz rechts beugt sich, in sanfteren Farben gemalt, zufrieden dreinschauend, der Vater ins Bild. Er, der Kritiker aller bürgerlichen Normen & Institutionen, hat mit dieser Ehe wohl sein Ziel erreicht ( wenn ich es genau so 85 Jahre später nicht selbst erlebt hätte, könnte ich diese Widersprüchlichkeit nicht glauben ). 

Christian Krohg ist stolz auf seine Frau Oda, er zeigt sie regelrecht vor, man merkt, "dass er sie förmlich weiterschob, von einem Mann zum nächsten", schreibt Ketil Bjørnstad später in seinem Buch.

Im Herbst des Jahres zieht das Malerpaar für ein halbes Jahr nach Kopenhagen, die großen Kinder in der großväterlichen Familie zurücklassend. Erstaunlich, wie Odas Vater sich einbringt, obwohl er ihr lange nicht verzeihen kann, dass sie sich in antibürgerlichen Kreisen bewegt und sich Dinge herausnimmt, die sich für ein anständiges großbürgerliches Mädchen an und für sich nicht schicken.

Durch diese Reise können sich die Kroghs dem Gerede um Hans Jæger & Oda entziehen und die Aufnahme der inzwischen bald fünfjährigen Nana in die Familie vorbereiten. 

Es imponiert mir, wie die Mutter von vier Kindern im Alter von einem bis sieben Jahren es schafft, noch so beeindruckende Gemälde wie "Crescendo" zu malen! Das Bild wird als eine Selbstdarstellung gelesen:

"Crescendo"
(1889)

Der Titel geht auf die bekannteste Komposition ihres toten Bruders zurück und ist ein schöner Ausdruck ihrer Verbundenheit. Eher bedrückend ist auch die Stimmung des Bildes "Arme Kleine", das Christian mit seiner Tochter Nana zeigt:

"Arme Kleine"
(1891)

Christian Krohg ist ein warmherziger, empathischer Vater, dem diese Tochter besonders nahe steht, während Odas Verhältnis zu ihr kompliziert bleibt. 

Erstaunlich auch, welch Melancholie Odas Bilder, auch aufgrund der Farbwahl, durchweht und mit dem Einsatz von Weiß immer wieder nur eine kleinere Spur von Optimismus verbreitet wird. Oda ist eine Meisterin mit einem deutlichen Gespür für das Implizierte. So steht ihre Kunst in scharfem Kontrast zu dem Bild von ihr, das in der Literatur, in Memoiren und Anekdoten geschaffen werden wird. 

Sie führt in diesen Jahren tatsächlich ein emotional wie sozial aufreibendes Leben und ist immer wieder in Skandale sowohl in Kristiania, aber auch Kopenhagen und Berlin verwickelt, wohin sie 1893 reisen.

"Selbstporträt"
(1892)
Die Mitglieder der sogenannten Kristiania-Bohème haben auch in der deutschen Hauptstadt eine gewisse Berühmtheit erlangt, sind sie doch beispiellos radikal und kompromisslos, gleichzeitig aber auch "hypersensible, von Potenzstörungen geschlagene Neurastheniker", wie Helmut Kreuzer in seiner Habilitation über "Die Bohème" 1968 schreiben wird. Die Überspanntheit, die leichte Hysterie, das schnelle Kokettieren mit dem Selbstmord und die ständige Beschwörung bedingungsloser Liebe ist strapaziös  und scheint auch an Oda nicht spurlos vorüberzugehen, wie mir ihr Selbstporträt von 1892 nahelegt, auf dem sie mir sehr introvertiert & verwundbar erscheint.

Im Jahr zuvor hat sie ein kurzzeitiges Verhältnis mit dem zwanzigjährigen Kunstkritiker Jappe Nilssen gepflegt, an dessen unglücklichen Verlauf das bis heute berühmte Bild "Melancholievon Edvard Munch erinnert, der den jungen Mann völlig verzweifelt am Strand von Åsgårdstrand malt. Auch Nilssen benutzt Oda als Vorlage für seinen einzigen Roman "Nemesis". Und dann ist da noch der der Dichter Sigbjørn Obstfelder, für dessen Buch "Das Kreuz. Ein Liebesroman" Oda Krohg ein Vorbild für eine Romanfigur abgegeben hat. Ketil Bjørnstad lässt einen Freund Munchs in seinem Roman sagen:
"Es ist übrigens komisch mit Oda. Sie schwimmt überall obenauf, frisch und lächelnd, und alle Männer liegen im Morast und verkommen."

Das spiegelt wieder, wie Oda damals wahrgenommen wird: als Mythos, Muse, eben als femme fatale. Als Mensch weniger.

Am meisten emotional in Anspruch nimmt sie die langjährige Beziehung zum damals sehr gern gespielten Dramatiker Gunnar Heiberg, die wohl ihre Wurzeln in einer Episode in Berlin hat, als Heiberg Oda in einer Auseinandersetzung in einer Künstlerkneipe in Schutz nimmt, nachdem diese August Strindberg angegriffen hat, der wiederum sie vorher provoziert hat mit der Feststellung, Krohg sei ihr Sklave. Das Verhältnis mit Heiberg wird viele Jahre andauern. Auch in seinen Dramen "Der Balkon" und "Tragödie der Liebe" sind unverkennbar Spuren von Oda enthalten...

Gunnar Heiberg & Jappe Nilssen
1893 begleitet Oda ihren todkranken Vater zur Kur in Vichy. Im Juli des Jahres stirbt er, und Oda zieht mit ihren Kindern ins Elternhaus zurück. Sie versucht von ihrem Ehemann loszukommen, reist 1895 auch wieder alleine nach Paris, kehrt allerdings wieder nach Norwegen zurück.

1897 gibt sie Heibergs Druck nach, nimmt ihren Sohn an die Hand und zieht nunmehr mit dem Dramatiker an die Seine. Ihre beiden größeren Kinder aus ihrer ersten Ehe wandern mit ihrem Vater im Jahr darauf nach Brasilien aus. Nana bleibt bei Odas Schwestern.

Mit Christian Krohg hält sie den Anschein eines Ehelebens aufrecht durch wechselseitige Besuche in Kristiania & Paris. Doch wie so oft trügt der Schein: Christian ist krank mit erheblichen Alkoholproblemen und kommt 1900 in ein Alkoholiker- & Pflegeheim. 

Gegen Ende des Verhältnisses mit Heiberg malt sie ein Porträt des Dramatikers, quasi ein Abschiedsgeschenk. 1901 kommt es zum endgültigen Bruch, und Heiberg geht nach Norwegen zurück. Oda lebt nun wieder mit Mann und Sohn bis 1909 in verschiedenen kleinen Atelierwohnungen auf dem Pariser Montparnasse zusammen. Im Sommer halten sie sich in Norwegen auf. Krohg unterrichtet in Paris an der bekannten Académie Colarossi. 

Oda hat eine lange Phase, in der ihre künstlerische Produktion immer mehr abgeebt ist. Sie beschäftigt sich in dieser Zeit mit der Herstellung von gefärbtem und verziertem Leder. Nach Jahren des Stillstandes nimmt sie schließlich neue Motive und Ausdrucksformen in Angriff. Trotz allem bleibt die Porträtmalerei in ihrer Arbeit vorherrschend. Vor allem Künstler und Personen aus dem eigenen Umfeld stehen ihr Modell. 1903 stellt sie erstmals im Pariser Salon aus, ab da regelmäßig bis 1909.

Von links nach rechts: "Selbstporträt" ( 1906), "Johanne Dybwad" (1912), "Aasta Hansteen" (1903)



Hervorzuheben ist ihr Bildnis von Aasta Hansteen, die in jungen Jahren eine der ersten Malerinnen Norwegens gewesen ist und nun eine kompromisslose Frauenrechtlerin. Das energisch angehobene Kinn der alten Kämpferin hebt die Darstellung von anderen Porträts ab. So auch von Odas Selbstporträt von 1906, auf dem sie einfach nicht mehr die Lebenslust zeigt, die sie früher wohl so anziehend gemacht hat.

1909 wird Christan Krohg zum Professor an der neu begründeten Staatlichen Kunstakademie von Kristiania ernannt - die Familie nimmt nun eine öffentliche Position in der Stadt ein. Oda zögert, Paris zu verlassen, bleibt doch auch ihr geliebter Sohn dort zurück, der ebenfalls zum Maler ausgebildet worden ist, erst von seinem Vater, dann von Henri Matisse. 

ca. 1930
Schließlich lassen sie sich ein Haus im sogenannten "English Quarter" im Stadtteil Frogner von ihrer Tochter Nana entwerfen, inzwischen eine Grafikerin, in das sie nach seiner Fertigstellung 1914 einziehen. 

Oda malt weiter Porträts auf Bestellung wie das freundliche der Johanne Dybwad, der damals bekanntesten Schauspielerin des Landes. Ihre wichtigste Rolle scheint in dieser Lebensphase die der Gattin des Künstlers gewesen zu sein. Ein Narrativ ist viel verbreitet, das besagt, dass Oda ihrem Mann die Farben aus dem beeindruckenden Rauschebart gewaschen, auf angemessene Kleidung geachtet und seine Leinwände untermalt hat. Er ist ihr auch ein wichtiges Modell, und es gibt einige ergreifende Porträts von ihm. Im Oktober 1925 stirbt Christian Krohg, Oda ist da 65 Jahre alt.

Über die zehn Jahre, die sie ihn überleben wird, ist nicht allzu viel bekannt ( ihr Sohn Per wird ihre Aufzeichnungen bis auf "Maaneskin (Ein Fragment)" vernichten, um seinen eigenen Ruf nicht zu ruinieren ). Den dunklen Wintern in Norwegen entflieht sie immer wieder nach Paris, wo sie ab 1917 auch einen Enkel hat, Guy, Sohn von Per Krohg, ebenfalls später ein Künstler. Es heißt, sie habe dann in  der "Closerie des Lilas" auf dem Montparnasse ihren täglichen Aperitif eingenommen und Billard gespielt. In Oslo, in ihrem großzügigen Zuhause in der Halvdan Svartes Gate, schart sie immer noch junge Künstler um sich, sie, die immer noch wie ein Mythos verehrt wird. 

Nachdem Oda im Herbst 1935 an einer Grippe erkrankt ist, stirbt sie am 19. Oktober 75jährig an deren Folgen und wird auf dem Friedhof Vår Frelsers Gravlund bestattet.


Im Eingangsbereich des Grand Café in Oslo befindet sich ein großes Gemälde ihres Sohnes Per Krohg von 1928, auf dem er die Stammgäste der Kristiania Bohème festgehalten hat. Die beiden Frauen im Zentrum des Bildes sind seine Mutter und seine Tante Alexandra. 

Ihr legendärer Ruf als ultimative Bohème-Prinzessin, als femme fatale hat den Blick auf die wahre Person Oda Krohg und ihre Kunst eher verstellt, zumal auch kunsthistorische Fehldatierungen dazu geführt haben, ihre Rolle als Impulsgeberin in der Entwicklung der norwegischen Malerei hin zum Symbolismus eines Edvard Munchs zu erkennen. Sie hat ihr erstes Sommernachtsbild gemalt, noch bevor ihr sehr viel berühmterer Kollege damit angefangen hat. 

Es gibt auch einige Indizien, dass sie nie so skandalös sein wollte, wie es die Kunstwerke ihrer Freunde & Liebhaber vermitteln. Dass sie lieber privat sein wollte, daraufhin weisen ihre Gemälde, auf denen sie immer dem Betrachter den Rücken zukehrt. Irgendwie ist mir diese Frau auch nach eingehenderer Beschäftigung ein schillerndes Mysterium geblieben.







3 Kommentare:

  1. liebe Astrid, welch eine Biographie und ein beeindruckender riesiger Stammbaum als Erbe an dem ein Mädchen das zur Frau wird schwer zu tragen hat in einer Zeit, in der den weiblichen Nachkommen einer so großen Familie das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben versagt bleibt, die dennoch immer wieder erneut darum kämpfte..
    eine Art der Revolution sehe ich in ihrer Wahl der Männer aus der irre langen Biographie.. auch in ihren " Ausbrüchen und meist sehr dunkel umflorten Portrait s.
    ja als ein Mysterium, nicht nur als Muse der Männer und erwählten Lebensgefährten , so sehe ich sie auch...
    die Bilder sind phantastisch, das "Crescendo"
    (1889) als ein wunderbares Stimmungsbild mit starker Ausdruckskraft...
    sehr bewegend ihr Leben das so oft verkannt wurde...

    hat mich sehr beeindruckt
    herzliche Grüße angel

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  2. Ein beeindruckendes Leben! Mir tun manchmal nur die Kinder dieser Künstlerpaare Leid. Aber sie scheinen ihren Weg gegangen zu sein und künstlerische Begabung als Erbe mitgenommen zu haben.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  3. das erste Bild mutet sehr modern an
    und ich dachte nicht dass es schon so lange her ist
    dass diese Frau lebte
    ein bewegendes unruhiges Lebenwohl stets zwischen
    der Verlangen nach Selbstständigkeit
    aber auch Geborgenheit
    sehr berührend
    und ihr Bilder sind sehr ausdrucksstark
    liebe Grüße
    Rosi

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie weiterhin konsequent NICHT freischalten. ( Ausnahme: die amerikanische Gepflogenheit, nicht zu unterschreiben )

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