Sonntag, 21. Juli 2024

Monatsspaziergang Juli 2024

Eigentlich hatte ich einen ganz anderen Spaziergang für diesen Sommermonat vor, einen, der tief in die Geschichte eintauchen sollte. Doch es gab so viele Terminverschiebungen, so dass meine Zeit knapp wurde. Da kam mir das Angebot der Pensionista- Gruppe meiner alten Schule für genau dieses, mein avisiertes Ziel für den Monat August ganz gelegen & ich habe DEN Spaziergang verschoben und einen kleineren gewählt in einem sehr übersichtlichen Viertel der südlichen Altstadt, das eigentlich mehr oder weniger aus einer großen Kirche mit mehr oder weniger Drumherum besteht: das Kapitolviertel.

 

Das liegt südlich von der west-östlichen Hauptdurchgangsachse der Stadt, die zur Brücke nach Deutz auf der Schääl Sick führt.

Die gabelt sich dann auch noch, so dass man von der Straßenbahn aus eine breite Verkehrschneise überqueren muss. Dann geht's ne Treppe rauf, und schon landet man in einer anderen Welt, einer der kleinen städtischen Idyllen:

Lichhof heißt der Platz, dessen Namen sich auf auf den Friedhof ( lich = mittelhochdeutsch für Leiche ) der Nonnen bezieht, die hier in einem Kloster gelebt haben. Rechts, die Treppe hoch, ist das sogenannte "Singemeisterhäuschen",  die Dienstwohnung des Chorleiters. Linkerhand ist mein erstes Ziel:

Das Dreikönigenpförtchen ( op Kölsch: Dreikünnijepöötzche ) - die einzige noch erhaltene Immunitätspforte in Köln, die im Mittelalter in den "Immunitätsbereich" des damaligen Klosters geführt hat. Dieser Hof ist ausschließlich diesen Nonnen vorbehalten gewesen.

Die Sage berichtet, dass durch dieses kleine Tor fast auf den Tag genau vor 860 Jahren die Knochen der Heiligen Drei Könige, ergaunert in Mailand von Rainald von Dassel, Kölner Erzbischof & Kanzler des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bzw. des deutschen Kaisers Friedrich I. Barbarossa, vom Transportschiff auf dem Rhein in die Stadt gebracht worden sind. 

Ein toller Schachzug war das, brachte das der Stadt doch eine lukrative Einnahmequelle: Im Mittelalter waren diese Reliquien so ein erstrebtes Ziel für Gläubige wie das heute vergleichsweise in Mekka der Fall ist. Und Pilger müssen essen & trinken, kaufen Souvenirs, übernachten gar. Allerdings platzte bei dem Massenandrang, der darauf folgte, der Dom aus allen Nähten. Und so wurde im Sommer 1248 der Grundstein für den heutigen, größeren, gotischen Dom gelegt.


Rechts vom Tor eine ausladende Mispel im Garten des "Singemeisterhäuschen". Und darüber ahnt man schon:


Die Namensgeberin des Viertels: Die Kirche Sankt Maria im Kapitol bzw. ihre Apsis.

Da will ich hin und gehe also weiter durch das Törchen und lande erst einmal auf dem Marienplatz:


Der ist geradezu typisch für Kölner Plätze:

Architektonisch disparat, so weit es nur geht, vollgestellt mit Autos. Kein Platz, um sich niederzulassen, um die Stille zu genießen. Die idiotische Kriegsraserei der Nazis hat im 2. Weltkrieg dazu geführt, dass 90 Prozent der schönen alten, traditionsreichen Stadt hinterher in Schutt & Asche gelegen hat. Die geflohenen & bei Kriegsende wieder heimgekehrten Kölner haben einfach mit den zur Verfügung stehenden Mitteln neuen Wohnraum geschaffen, ohne links und rechts zu gucken. Den Rest hat dann noch der Modernisierungswahn des Wirtschaftswunders erledigt. Der Sinn für Schönheit gehört allerdings eh nicht zur Grundausstattung der autotochthonen Bevölkerung ( leider ).

Also nichts wie weiter um die Ecke, die Kasinostraße entlang bis zum Tor, das in die Anlage der Kirche mitsamt dem den Kreuzgang führt:

Geschafft! Für mich wahrlich ein Highlight in der wuseligen Großstadt, ein Paradiesgärtlein quasi, vom Küster & Hausmeister seit 2008 angelegt & gepflegt.

Hier sitze ich, genieße die Blumenpracht, das Vogelgezwitscher, das Insekten- & Faltergeschwirr und freu mich, dass die städtischen Geräusche trotz der Hörgeräte kaum wahrnehmbar sind.

Und während ich warte, dass der Gottesdienst zu Ende und mir das Betreten der Kirche möglich ist, geht der Blick auch himmelwärts, auf einen der noch erhaltenen beiden Flankentürme der Kirche. ( Der Glockenturm ist schon im 17. Jahrhundert eingestürzt, die Treppentürme im 18. Jahrhundert bis auf die Sockel abgerissen.  )


Vorbei an den Löwen links und rechts vom Eingang ( grinst oder bleckt der die Zähne?) geht's ins Innere des ganz besonderen romanischen Baus: 

St. Maria im Kapitol gilt als älteste der für die Romanik des nördlichen Rhein-Maas-Gebietes typischen Dreikonchenanlagen und ist eine der zwölf romanischen Basiliken Kölns. Konchen sind muschelartige, halbrunde Wandnischen in einem sonst langestreckten Gebäude.

Am Eingang steht auch schon ein Modell des Tempels, auf dessen Fundament die Kirche errichtet worden ist. Der Tempel befand sich etwas außerhalb des politischen Zentrums der römischen Stadt, dem Forum, und wurde im 1. Jahrhundert n. Chr. für die Kapitolinische Trias Jupiter, Juno und Minerva, also die drei bedeutendsten römischen Gottheiten, errichtet. Anlass zum Bau war die Erhebung des Oppidums zur Colonia römischen Rechts gewesen, Colonia Claudia Ara Agrippinensium geheißen. ( Über Agrippina hab ich schon mal gepostet. )

Diese Dame war es, die die erste Kirche errichten ließ. Plektrudis heißt sie, ist hier bestattet, lebte im 7. Jahrhundert, war die Ehefrau des karolingischen Hausmeiers Pippin des Mittleren und durchaus von gewissem Einfluss & auch politisch aktiv. Ihre Gebeine aus diesem Sarkophag sind im  Zweiten Weltkrieg verloren gegangen.

Im 9. Jahrhundert fiel diese erste Kirche angeblich einem Normannensturm zum Opfer. Im 11. Jahrhundert ist dann an Ort & Stelle ein Frauenstift entstanden.

Ein ganz besonderer Schatz ist eine zweiflügelige Tür, die entsprechendes Interesse hervorruft, denn sie stammt noch aus der Zeit, als die zweite Kirche um 1060 vollendet wurde. Erst in den 1930er Jahren ist sie in den Innenraum versetzt worden, hat also knapp 900 Jahre das Portal der Nordkonche verschlossen. Sie wird zu den bedeutendsten Holztüren der Kunstgeschichte gerechnet.


Inzwischen nehmen mich diese alten Schnitzereien, Bildhauereien bzw. romanischen Architektur - Details gefangen.

Das war nicht immer so. Dazu beigetragen haben der Herr K. mit seinen fundierten Kenntnissen und meine damals noch kleine Tochter. ( Die Madonna mit dem Kind stammt vom Oberrhein & aus dem 13. Jahrhundert. )


Manche Gesichter berühren mich besonders...


... und gehen zu Herzen.





Auch die Darstellung des leidenden Jesus, ein sogenanntes Crucifixus dolorosus aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der spätgotischen Epoche, wahrscheinlich im 15. Jahrhundert, ist es farblich noch weitaus drastischer bemalt worden, als in der ursprünglichen Fassung. Wie sagt doch Kiki Smith? Dem Christentum ist es gelungen, für Leid & Schmerz beeindruckende Bildkunstwerke zu schaffen und es damit zu entrücken. Noch in der Neuzeit galt das Kreuz übrigens als wundertätig und war Ziel von Wallfahrten.

Und dann kommt man dermaßen beeindruckt & nachdenklich raus, geht weiter auf die angrenzende Stephanstraße und trifft auf heutige Realitäten bzw. Vorlieben, die genauso irritieren können wie der Gemarterte am Kreuz:

Die Stephanstraße ist tatsächlich auch ein historischer Platz, hat doch hier der Verein "Kölner Schwulen- und Lesbentag" (KLuST) 1991 die erste ColognePride organisiert ( später CSD ), der an diesem Wochenende zum 33. Mal stattfindet. Die Stephanstraße ist nach wie vor Teil des Geländes für die Pride-Veranstaltungen.

Ich bin dann über die Hohe Pforte, ebenfalls ein Zentrum der Bewegung, zurück über die Cäcilienstraße gegangen und habe noch einmal zurückgeschaut auf die alte Kirche. ( Wer noch mehr über sie wissen will, der sei auf den Wikipedia - Artikel verwiesen. )

Dann habe ich habe meinen Spaziergang noch etwas fortgesetzt - unter anderem Blickwinkel. Aber davon war schon im gestrigen Post die Rede. Den heutigen verlinke ich wieder mit Kristina Schapers Blog.

                                                                                                

16 Kommentare:

  1. Liebe Astrid, ich bin gern mit Dir gegangen. Es ist als hätte ich Dich an der Seite als einheimische Stadtführern. Ich bin beeindruckt von Deinen schönen Bildern, der Paradiesgarten ist eine Wucht. Ich kann mir gut vorstellen, wie die (angeblichen) Reliquien die Menschen anlockten.
    In Sri Lanka habe ich das in Kandy erlebt, dort ist ein Zahn Buddhas aufbewahrt, weshalb die Menschen es Zahntempel nennen. Danke für die schöne Führung durch dieses interessante Viertel.
    Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, liebe Grüße Tina

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  2. Liebe Astrid, das ist wirklich ein Paradiesgärtlein, liebe Astrid. Die Details, die du im Kircheninneren zeigst, finde ich interessant und sie sind zum Teil ganz offenbar sehr wertvoll, aber der Garten mit den alten Säulen und der Blütenpracht ist für mich der wahre Schatz der Anlage!
    Alles Liebe und schönen Sonntag, Traude
    https://rostrose.blogspot.com/2024/07/weltreise-2024-6-station-neuseeland.html

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  3. Danke fürs mitnehmen! Vielleicht werfe ich nie nach Köln kommen. Aber dsnk dir und anderen Bloggerinnen sehe ich so doch einiges Sehenswertr aus Deutschland
    Herzlichst
    yase

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  4. merci Astrid pour cette promenade avec ces trésors anciens qui ont marqués cette ville et qui continuent d'exister ...
    bon dimanche
    mo

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  5. St. Maria im Kapitol ist uns entgangen bei unserem bereits wieder Jahre zurückliegenden Kölnbesuch. Und dann schreibst du von 12 romanischen Kirchen in Köln. Ich fand schon die paar wenigen, die wir besucht haben, beeindruckend. Aber 12! noch erhaltene. Zusätzlich zum gotischen Dom, der ja auch eine Ikone für sich ist. Jetzt bin ich wirklich beeindruckt. Danke fürs mitnehmen und fürs nahebringen all dieser besonderen Ausstattungsstücke. Der Kreuzgang ist auch etwas Besonderes. Ich spaziere immer wieder gerne mit dir durch Köln.
    Liebe Grüße, heike

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    1. Köln hatte im Mittelalter, als es die größte Stadt nördlich der Alpen war, so viele Kirchen wie das Jahr Tage hatte. Das kam tw. auch daher, dass es immer wieder neben den Stiftskirchen ( für die "hütere" Geistlichkeit ) eine gewöhnliche Pfarrkirche für das gemeine Volk stand. Denen hat man zu Zeiten Napoleons und danach den Garaus gemacht, nachdem sie als Pferdeställe usw. abgewirtschaftet waren.
      GLG

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  6. das ist ja wirklich auch ein lauschiges plätzchen inmitten der lauten stadt. diese wunderbaren kreuzgänge sind für mich fast immer ein ruhepol und ein ort des deifriedens und der entspannung. schön, das es so etwas mitten in köln gibt!
    deine bilder der holz- und steinskulpturen sind wunderbar!
    danke fürs mitnehmen an diesen schönen ort!
    liebe grüße von mano

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  7. Das sind wahrlich Gegensätze liebe Astrid, Heilige und Sadomaso,
    aber genau so ist Köln, und genauso lieben wir es doch, oder?
    Köln ist eben offen aber auch ein seeehhr heilig...
    Ein schöner Spaziergang, in dieser Kirche war ich noch nie, kommt direkt auf meine Liste.
    Danke fürs Mitnehmen und lieben Gruß
    Nicole

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  8. Liebe Astrid, zu einem interessanten Spaziergang hast du uns mitgenommen und Kreuzgang und Stille einer Kirche sind für mich auch immer Ruhepole, die Entspannung und Meditation versprechen.
    Ich wünsche dir noch einen schönen Rest-Abend und eine gute neue Woche - lieben Gruß von Marita

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  9. Wunderschön, das Paradiesgärtchen.
    Bewegend die Gestalten und Gestaltungen während deines Rundgangs, und dann der Gegensatz vor der Tür.
    Mit vielen lieben Grüßen,
    Karin

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  10. So gern bin ich mit Dir mitgegangen durch diesen besonderen Teil und an diesen paradiesischen Ort. Ein wunderbarer Kreuzgang zum Ruhigwerden und den Trost der Schönheit genießen.
    Auch wenn es ringsum teilweise unschön zugeht. Sowas versöhnt.

    Die Kölner waren ja wirklich "heilig", kein Wunder, dass sie besonders doll Karneval und CSD feiern ... Es war mir gar nicht so klar, dass es außer dem Dom und St. Ursula noch soviele Kirchen gab und noch gibt.
    Wieder mal ein sehr feiner Spaziergang mit Dir. Danke.
    Sieglinde

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  11. einen wundervollen Spaziergang hast du gemacht
    ein wirkliches Paradiesgärtlein hat sich dir aufgetan
    und die Kunstwerke in der Kirche beeindrucken und berühren
    da möchte man still sitzen und genießen
    und die laute Welt außen vor lassen
    liebe Grüße
    Rosi

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  12. Was für ein wundervoller Ort, liebe Astrid. Manche Gesichter sehen so voller Trauer aus, dass es schmerzt. Ich verstehe, warum sie Dich berühren. Die grünen Plätze in Köln und auch in anderen größeren Städte finde ich einfach immer schön. Auch in Duisburg gibt es solche. Ganz liebe Grüße, Nicole

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  13. Das war jetzt ein Informativer Spaziergang mit dir. Gründlich recherchiert, wie man es von dir von den Frauen gewohnt ist. Sollte ich es einmal nach Köln schaffen, werde ich sicher vorher deinen Blog durchstöbern.
    L G Pia

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  14. Liebe Astrid,
    ein wunderbarer und sehr interessanter Spaziergang. Ich bin wieder sehr gerne mitgekommen. Das Paradiesgärtchen ist wirklich eine Oase, so mitten in der Stadt und deine Ausführungen u.a. zu St. Maria im Kapitol waren für mich sehr lehrreich. Auch deine fantastischen Fotos habe ich wieder sehr genossen.
    Ich wünsche dir noch eine gute Woche!
    Liebe Grüße
    Ingrid

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  15. ...wieder ein interessantes Stadtviertel, liebe Astrid,
    den Kreuzgang mit dem schönen Gärtchen mag ich am liebsten, dies Durchblicke gefallen mir immer so gut,

    liebe GRüße Birgitt

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst! Ich setze allerdings voraus, dass am Ende eines anonymen - also von jemandem ohne Google- Account geposteten - Kommentars ein Name steht. Gehässige, beleidigende, verleumderische bzw. vom Thema abweichende Kommentare werde ich nicht veröffentlichen.

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