Fünfzehn solcher Collagen habe ich inzwischen einem Great-Women-Post vorangestellt, fünfzehn mal vierundzwanzig Frauen habe ich hier in meinem Blog porträtiert, seit ich die Anregung von Barbara Bee Anfang Oktober 2014 aufgegriffen habe.
Heute dann eine Frau im Porträt, die ich gewählt habe, nicht nur, weil sie im Schatten stand, sondern weil sie einer Familie von Großdichtern peinlich war und demzufolge deklassiert worden ist ( und dann auch in Heinrich Breloers Fernsehdreiteiler über "Die Manns - Ein Jahrhundertroman", dargestellt von Veronica Ferres, auf die enthemmte, der Trunksucht verfallene, laszive Femme fatale reduziert wurde ). Die Rede wird heute sein von Nelly Mann.
Veronika Ferres als Nelly in der Fernsehverfilmung (2000) |
Nelly Mann wird als Emmy Johanna Westphal am 15. Februar 1898 in Ahrensbök geboren. Sie ist die zweite uneheliche Tochter der 26jährigen Dienstmagd Bertha Margaretha Elisa Westphal aus dem nahen oldenburgischen Eilsdorf stammend. Unehelich geboren zu sein, ist damals nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal: Von den hundertzehn Kindern, die Nellys Geburtsjahr in Ahrensbök zu Welt kommen, sind das immerhin fünfzehn. Es ist auch kein Grund, die "gefallene" Mutter aus dem Dienst zu schmeißen, denn auf dem Lande herrscht Arbeitskräftemangel.
Bertha wohnt mit ihren beiden Töchtern im Haus des jüdischen Händlers Noah Troplowitz, der aus Oberschlesien nach Holstein gekommen, eine dort ansässige Schneiderin geheiratet hat und evangelisch getauft ist. Als möglicher Vater von Nelly wird er erst in den 1970er Jahren forciert. In der Biografie von Kirsten Jüngling wird als möglicher Vater ein Landbriefträger, der Ahrensbök und Umgebung mit Post versorgt hat, vermutet. Immerhin scheint das kleine Mädchen selbst von dieser Tatsache auszugehen, denn die erwachsene Nelly wird später von sich sagen: "Ich kann gut laufen, ich habe Füße wie ein Landbriefträger." Der Standesamteintrag in Ahrensbök, der die Aussage der Hebamme zur Geburt Nellys protokolliert, nennt keinen Vater. Am 11. April wird das Mädchen evangelisch getauft, und als Patinnen fungieren eine Frau Bäckermeister, eine Frau Schuldiener und die Frau Troplowitz.
Niendorf (1900) |
Nelly absolviert in Nienstedt die dreiklassige Volksschule und durchläuft anschließend eine Lehre als Näherin, ob in Lübeck oder Hamburg weiß man nicht genau. Erst im Dezember 1920 bekundet ihr Stiefvater in einer standesamtlichen Erklärung, dass die Tochter seiner Frau seinen Namen tragen dürfe. Eine Adoption im juristischen Sinne ist das nicht. Seither wird der Name Kröger oft - unzutreffend- als Nellys Geburtsname genannt. Es ist aber anzunehmen, dass die inzwischen volljährige Stieftochter selbst auf der Namensänderung bestanden hat. "Nelly" wird sie sich selbst nennen, als sie endlich in der Hauptstadt lebt. Ihre Taufnamen klingen ihr "zu spießig".
Nach Berlin hat sie sich wohl mit einer Freundin aufgemacht. Die Meuterei der Matrosen in Kiel bei Kriegsende, der Sturz der Monarchie, die Gründung der Republik, Inflation, Arbeitslosigkeit, dazu in der engstirnigen Provinz Klatsch und Tratsch, wie soll sich da ein junge Frau umtun? Nelly beschließt, wie viele junge Frauen jener Tage, in die Hauptstadt abzuhauen.
Sie kommt am Lehrter Bahnhof an, findet in der Invalidenstraße eine Schlafstelle und Arbeit in einer Kleiderfabrik. Mit einer Freundin flaniert sie eines "linden Sommerabends am Kurfürstendamm, mit einem hergewehten Jüngling gehn sie tanzen" im Tanzpalais "Delphi". Werner Schmidt, "ein Schwerenöter anno 1924, 1925,... so in weißen Tennishosen, Sakko, Hemd und Schlips und fürchterlich glatt rasiert,... Typ Dr. med. oder jur. im Rot-Weiß-Tennis-Club...", so Joachim Seyppel hier. Bald wird geheiratet und auch wieder geschieden. Für ein Kind aus dieser Verbindung gibt es nur Gerüchte, keine Beweise. Eine Freundin überredet Nelly, in der Bar "Bajadere" in Kleiststraße bzw. in der "Kakadu-Bar" in der Joachimstaler Straße - nichts genaues weiß man nicht - als Animierdame zu arbeiten.
Nelly mit Heinrich Mann (1930) |
Da sie beide aus der gleichen Lübecker Gegend kommen, und Nelly nie ihr Plattdütsch verleugnet, ist schnell eine Verbindung hergestellt, ganz gleich, dass Nelly zu Kunst & Literatur nun rein gar nichts zu sagen hat. Dafür kann er erzählen, z.B. von der Verfilmung seines berühmten Romanes "Professor Unrat" in Neubabelsberg. "Der blaue Engel" soll das Werk heißen, mit der jungen Marlene Dietrich ( anstelle von Manns Freundin Hesterberg, weshalb diese mit ihm dann verärgert Schluss macht ). Darüberhinaus kann er berichten von einem Bruder, der 1929 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, Thomas Mann nämlich. Die Zeitungen sind voll mit Fotos dieser Familie.
Dass Nelly gleichzeitig eine Beziehung zu einem jüngeren Kommunisten namens Rudi Carius hat, von dem sie sich nie ganz losmachen wird, stört Heinrich offenbar wenig, da ist er nicht kleinlich. Die Verbindung des ungleichen Paares besteht erst mal eine ganze Weile auch nur darin, gemeinsam nach Nizza zu fahren, um dort Urlaub zu machen.
Nelly, Heinrich & ein Bekannter am Strand von Nizza |
Zu öffentlichen Auftritten nimmt Heinrich sie nicht mit. Aber sie hilft ihm, Anzug und Krawatte auszuwählen. Und als am 27. März 1931 Heinrich Manns 60. Geburtstag in der Preußischen Akademie der Künste mit großem Empfang und Festbankett begangen wird, tritt seine Freundin dabei zwar nicht auf, scheint aber für "Kognak und Brötchen" in seiner Wohnung zuständig gewesen zu sein.
Besonders muss Nelly sich aber gegen die Standesdünkel der Mann- Familie wappnen: Beim Clan und dem "Zauberer" selbst ist sie als nicht salonfähige, typische "Heinrichfrau" verschrien. Die "schreckliche Trulle", wie der Literaturnobelpreisträger und jüngere Bruder Heinrichs "Frau Kröger" im späteren Tagebuch im Exil nennen wird, ist mitnichten "comme il faut", sondern eine Zumutung. Katia Mann wird sie einmal sogar als "arge Hur" bezeichnen. Persönlich kennenlernen werden sie sich erst im Exil.
An dieser Stelle ist vielleicht ein kleiner Exkurs zu den beiden berühmten Brüdern angebracht:
Katia & Thomas Mann (1929)
Geboren wird Heinrich Mann am 27. März 1871 in Lübeck, Thomas am 6. Juni 1875 als Söhne eines Senators und einer aus Brasilien stammenden Mutter. Die literarische Karriere der beiden Brüder beginnt in Italien. Gemeinsam entwerfen sie 1896/97 in Rom und Palestrina einen satirischen Gesellschaftsroman, der vom Kaiser bis zum Bettelmann alles umfassen sollte. Daraus wird bei Heinrich der unter "feinen Leuten" in Berlin spielende Gesellschaftsroman "Im Schlaraffenland" (1900), bei Thomas die "Buddenbrooks" (1901), der "Verfall einer Familie". Heinrich Mann lebt lange unstet, sucht erotische Abenteuer als Stoff für seine Werke und heiratet erst mit 43 Jahren. "Bei Heinrich Mann gehen Weiblichkeit und Literatur und später auch Weiblichkeit und Politik eine innere Verwandtschaft ein, die es nicht zulässt, das eine vom anderen zu trennen." Thomas hingegen, der zeitlebens mit seinen homoerotischen Bedürfnissen kämpft, heiratet Katia Pringsheim aus einer wohl angesehenen Münchner Familie schon mit dreißig, um sein Leben in geordnete Bahnen zu überführen. 1903 zeichnen sich erste Missstimmungen zwischen den Brüdern ab. Obwohl Thomas sich als Schriftsteller in der Öffentlichkeit etabliert hat, fühlt er sich von seinem Bruder als Künstler zurückgesetzt und kritisiert seinerseits die "langweilige Schamlosigkeit" in dessen Büchern.
Auf Dauer bleibt Nelly für den Schriftsteller nicht nur das körperlich anziehende, kesse & schlagfertige Sexualobjekt, sie wird schließlich Partnerin und Assistentin und man nimmt im Dezember 1932 gemeinsam Wohnung in der Fasanenstraße 61 in Charlottenburg-Wilmersdorf. Da zieht aber auch schon das Unglück der Naziherrschaft herauf, das beider Leben von nun an vielleicht enger verknüpfen wird, als gedacht. Und Nelly wird alsbald mit dem ganzen "Schlamassel" und der Abwicklung desselben zurückbleiben, weil Heinrich dem neuen Regime nicht passt.
Schon am 15. Februar 1933 wird er genötigt, seine Position als Präsident der Akademie der Künste abzugeben. Sechs Tage später ist er auf der Flucht, ohne Gepäck, sozusagen als Flaneur nur mit Regenschirm in der Hand und einer Fahrkarte bis Frankfurt/Main und einem bis September gültigen Frankreich-Visum in der Tasche. "Dank ihrer Geschicklichkeit" ist vorher dafür gesorgt, dass sein Gepäck bereits im Gepäcknetz im Zug untergebracht ist, ohne dass er damit auffällt. Schon einen Tag später geht er in Kehl zu Fuß über die Grenze. Ziel: Nizza. In Frankreich hat er zuverlässige Freunde.
Nelly hingegen soll als seine "Sekretärin" seine komplizierte Berliner Hinterlassenschaft abwickeln, den Hausrat verkaufen, Schulden vom Erlös bezahlen und sich erst dann auf den Weg nach Frankreich machen. Das ist der Plan. Doch Nelly wird vom Vermieter schikaniert, muss binnen drei Tagen die Wohnung verlassen, wird wegen Diebstahl, Einbruch und Unterschlagung angezeigt. Sie kommt sogar 3 Tage in Haft.
Unterstützung erfährt sie nur durch ihre Halbgeschwister Käthe und Walter, letzterer Scharführer einer SS-Reiterstandarte, der hilft, so viel & so unauffällig wie möglich von Heinrichs Habe, vor allem seinen Büchern, zu retten. Die Korrespondenz mit Heinrich erfolgt in einer Art Tarnsprache, die nicht die einer politisch völlig Ahnungslosen ist, sondern die einer politisierte Antifaschistin, die weiß, wie man die Gestapo täuscht. Im Hinterkopf hat Nelly, mit Rudi Carius nach Frankreich zu gelangen, denn der wird nach der Tötung zweier SA-Männer am 30.1.1933 gesucht und ist in der Stadt untergetaucht.
Zunächst fährt sie nach Niendorf zur Familie - Carius folgt ihr in einem späteren Zug -, kann aber nur kurz bleiben und versteckt sich dann gemeinsam mit ihm auf einem Fischkutter ihres Stiefvaters in Saßnitz auf Rügen. Es ziehen Wochen ins Land, bis die Wetterverhältnisse eine Überfahrt in einem kleinen Segelboot nach Trelleborg in Dänemark erlauben. Heinrich Mann überweist ihr aus Frankreich Geld nach Kopenhagen für die Weiterfahrt. Wie die Flüchtenden weiter bis nach Le Havre gekommen sind, bleibt im Dunkeln.
Schließlich steht Nelly Anfang des Sommers ihrem "Mann" in Bandol, wohin der sich zu seinem Bruder Thomas hinverzogen hat, gegenüber - "der größte Beweis von Anhänglichkeit, den ich im Leben empfangen habe" wird er nach ihrem Tod schreiben.
Nelly, die wegen eines Unfalls noch vor der Machtergreifung neben ihrer Alkoholabhängigkeit zudem in eine solche von Schmerzmitteln geraten ist, ist mit ihrer Drogenabhängigkeit ein gefundenes Fressen für die Emigrantenkolonie an der Côte d'Azur. Die Manns, Feuchtwangers, Werfels, Franks, Schickeles nutzen die Möglichkeit, sich von den eigenen Problemen abzulenken ( zu denen ebenfalls ein exzessiv zu nennender Drogenkonsum gehört hat. Man denke nur an die Kinder der Manns, Erika & Klaus. )
Hinzukommen Nellys Minderwertigkeitskomplexe, mit denen ihr Partner gar nicht geschickt umzugehen vermag. René Schickele weiß ihre "fleischliche Anmut" aber zu schätzen und liebt eh das Lästern über andere. Und die "Frivolität von Frau Kröger", ihre "sozusagen splitternackte Geschichten" aus ihrer Zeit in Berlin sorgen für die von ihm so gehätschelten Tratschgeschichten.
1934 |
Wohl kann frau sich in einer solchen Atmosphäre nicht fühlen, zumal sie oft länger allein ist: Heinrich ist immer wieder in Paris, wo er Präsident der Deutschen Freiheitsbibliothek ist, ja, er reist sogar nach Prag zu seiner Ex-Frau & Tochter und schreibt der sich in Nizza durch einen Einbruchsversuch unsicher fühlenden solche Worte wie "Du bist das schönste, beste Fleisch für mich und hast ein braves Herz. Ich glaube, daß wir uns immer besser verstehn." 1935 bleibt er sogar summa summarum ein halbes Jahr von ihr fern.
Carius wiederum leistet im Auftrag der KPD in Frankreich und sodann im Spanischen Bürgerkrieg Kurierdienste, eine wichtige Rolle, aufgrund der er für Nelly ebenfalls nicht greifbar ist. Ein ehemaliger Kampfgenosse Rudis, Rudi Flach, der in Châteauxneuf de Grasse mit seiner Frau eine Hühnerfarm betreibt, bietet ihr ein alternatives Lebensmodell & die Wärme, die ihr im Intellektuellenmilieu der Emigranten fehlt. Nelly ist bewusst, dass sie ohne ihre Beziehung zu Heinrich Mann bedeutungslos für diese Menschen ist. Offen geht aber keiner in der Exilantengemeinde auf Konfrontation mit ihr. Thomas Mann bemerkt nur im Tagebuch ihre "alberne Ordinärheit". Sonst schenkt er ihr Rosen und schätzt ihre Kochkünste.
Die Hauptaufgabe Nellys besteht also darin, Heinrich Mann bei der Organisation des Alltags den Rücken freizuhalten. Während er seinen politischen, publizistischen und schriftstellerischen Tätigkeiten bis zur Erschöpfung nachgeht, besorgt und organisiert sie den häuslichen Bereich – die klassische Arbeitsteilung also. Sie eignet sich die französische Sprache in Form von Wendungen an, die sie für den Einkauf von Lebensmitteln braucht und meistert bald die Anforderungen der feinen französischen Küche und bewirtet die anderen Exilanten vorzüglich - Kochen als Anerkennungsquelle, immerhin! Trotz immer wieder erfahrener Demütigungen scheint es Nellys glücklichste Zeit im Exil zu sein.
Dass es ihr 1936 schlecht geht, führt der wenig anwesende Schriftsteller allein auf ihre Sorgen um Rudi Carius zurück und ist verärgert, als ihr Zustand sich nicht bessert. Mit letzter Kraft schafft Nelly es, alleine eine bescheidenere Wohnung in Nizza in der Rue Rossini anzumieten, gegen Ende des Jahres 1936 einzurichten und zu Sylvester ein formidables Menü aufzufahren für Menschen, die sie nicht schätzen ( ebenso nicht die gebotenen kulinarischen Genüsse ).
Am 6. Januar 1937 kommt es zu dem Exzess, den René Schickele später genüßlich ausmalen wird: Nelly bricht in einer Bank zusammen ( und nicht in der Gosse, wie es seitdem kolportiert wird ). Aber ein echtes "annus horribilis" wird dann 1938, das Jahr, in dem sie vierzig wird und bilanzieren muss, dass nach zehn Jahren Beziehung die Lasten sehr ungleich - zu ihren Ungunsten - verteilt sind. Es ist von einer Operation die Rede, für die es keine Belege gibt, eine neue Wohnung wird genommen, weil Heinrich wohl begriffen hat, dass sie ein festes Zuhause braucht. Schon bald bricht sie erneut zusammen nach einem Medikamentenentzug zu Hause und landet am 17. Dezember als Notfall in stationärer Entwöhnung. Für Nelly wohl die Hölle! Ihre Briefe an Heinrich offenbaren ihren Schmerz, ihre Scham, ihre Ängste.
"Lieber Heinrich," schreibt Nelly da,"dass du über mich schlecht denkst, macht nichts. Du hast mir oft Unrecht getan, ich will nicht darüber reden. [...] Ich könnte Dich demütig erinnern, dass ich schon lange in Rue Rossini krank war, aber wir hatten nie Geld, mich gesund zu machen. Deine Damen ( die Exfrau & die Tochter; Erg.d.mich ) mussten Entfettungskuren für sehr viel Geld machen. [...] Hast du vergessen, dass du mich so unglücklich und von meinen Eltern gelockt hast. Du hast den Mut mir durch meinen Arzt sagen zu lassen [...] wenn ich die Wohnung betrete, gehst Du weg." Und in einem weiteren Brief u.a.: "... möchte ich so gerne dieses Leichenhaus gegen ein etwas freundlicheres vertauschen. Ich sehe nur Gespenster und Leichen tanzen. [...] nur friere und hungere ich sehr!"
Die bei ihr angewandten Therapien der damaligen Psychiatrie - Essensentzug, Kältezufuhr des Körpers, soziale Isolation und andere drakonisch wie antiquiert anmutende Maßnahmen mehr - , vermögen ihre Symptome wie panische Angstzustände, Paranoia, Wahnvorstellungen nur oberflächlich zurückzudrängen.
Anfang 1939 wird sie in ein Sanatorium - wohl in Vence - verlegt. Nach einem Hoch folgt wieder ein Tief, und endlich wacht Heinrich auf, als vom Einschließen der Patienten die Rede ist. Erschüttert betreibt er ihre Entlassung. Die Klatschmäuler in seiner Umgebung, darunter auch Thea Sternheim ( siehe dieser Post ) nehmen Nellys Probleme nicht ernst. Aus heutiger Sicht ist es wahrscheinlich, dass Nelly zeitlebens an Depressionen gelitten hat, die nur unzureichend diagnostiziert und behandelt worden sind.
Im Frühsommer baut sie wieder mit viel Energie an ihrem neuen Nest, während Heinrich in Paris weilt. Er kommt in einem Brief an seinen Bruder zu dem Schluss, dass er Nelly nur helfen kann, gesund zu werden, wenn er sich mit ihr trauen lässt. Ihr schreibt er: "Weisst du was ich möchte? Mit dir im Bett, meine süsse Frau."
Am 9. September 1939, wenige Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, findet tatsächlich die Trauung im Hochzeitssaal des Rathauses von Nizza statt. Trauzeugen sind Nellys Arzt und ihr Anwalt. Heinrich ist achtundsechzig, Nelly einundvierzig. Es scheint eine kurze, glückliche Zeit zu sein, bis das Paar sich eingestehen muss, dass die Kriegsentwicklung eine weitere Vertreibung wahrscheinlich machen wird, denn die Vichy-Regierung betrachtet die Exilanten als feindliche Ausländer. Folglich verlieren sie die gerade gewonnene Wohnung und Heinrich seine journalistische Arbeit. Das Geld wird knapper als ohnehin schon.
Die Manns bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten |
Alma Mahler-W., Franz Werfel |
Dani Karavan "Passagen" in Portbou in Erinnerung an Walter Benjamin, der sich auf der Flucht dort das Leben nahm (1994) |
"Dieses Jahr war das traurigste meines Lebens. Die Härte der Freunde. Die Sorge um die nächste Mahlzeit. Der Schmerz um den Verlust der Menschenwürde. Ein bisschen viel", schreibt sie 1941 an eine Freundin.Verständlich, dass sie von einem Umzug nach New York träumt. Im Herbst 1942 schreibt sie an die Freundin an der Ostküste: "Nun haben wir [...] uns damit abgefunden, hier zu verstummen. […] Wir sind wie in einem Grab."
"Lieber Heinrich, bedenke, als Du krank warst: […] Ich habe Dich auch nicht in eine Anstalt gebracht", schreibt sie nach ihrem vierten Selbstmordversuch. "Nur weil ich in meiner tiefsten Demütigung [...] oft betrunken war, habe ich nicht ganz meinen Verstand verloren."
"Die Geschäfte gehen nicht wie erwartet", schreibt sie an ihre Freundin Salomea Rottenberg. "Die Gelder kommen in kleinen Raten und großen Abständen. [... ] Ich kann mir nicht mehr helfen und niemand anderes tuts. Es gibt so viele Hilfsorganisationen, aber für Heinrich Mann nicht. Den lässt man wissend sterben."
"Meine Angst um sie war beständig. Heilung durfte ich nicht mehr hoffen. Mein einziger Wunsch war, sie zu erhalten. Sie war die lebende Gestalt meiner besten Erinnerungen, der liebevollsten, der tragischen. Jetzt bin ich mit den Erinnerungen, Schatten nur noch, allein", schreibt er an Salomea Rottenberg kurz darauf.
Katia Mann an ihren Sohn Klaus:
"Die wichtigste Nachricht ist ja wohl, dass Deine Tante Nelly, nach vier vorangegangenen Fehlschlägen, nun vermittels Schlafmittel endgültig dahingegangen ist. Es wurde ja immer katastrophaler mit ihr [...[ und es mußte wohl schließlich so kommen. Auch mag es für den armen alten Ohm à la longue wohl eine Erleichterung sein."
Der hat sich einst in einem Brief an seine Mutter dahingehend geäußert, sein Onkel sei "mit Frau Kröger wie mit einer ansteckenden Krankheit geschlagen." Jetzt antwortet er:
"Was für eine Schande! Was für eine überflüssige, häßliche Tragödie! Das muß ein schrecklicher Schlag für den armen alten Heini gewesen sein. [...] Konnte sie nicht ein paar Jahre warten?Was für ein bedauerlicher, ungehöriger Mangel an Rücksicht und Selbstkontrolle!"
Und Thomas Mann: "Es war hohe Zeit, daß dieses Bündnis durch den Tod gelöst wurde."
So viel Herzlosigkeit und mangelndes Einfühlungsvermögen in Heinrichs Trauer muss frau wohl nicht kommentieren...
Geredet wird weiterhin über Nelly:Die Nachgeschichten sind peinlich bis bösartig. Bis auf wenige Ausnahmen bleibt sie auch nach ihrem Tod Objekt der Verachtung und Verleumdung, weil sie nicht dazu gehört hat. Ihre äußere Erscheinung - "zu fett" -, Sprache, Benehmen und Umgangsformen haben ebenso wenig in diese Gesellschaft der hochgemuten, überreizten Exilanten gepasst wie ihre mangelnde Bildung und ihre anrüchige Vergangenheit. Dass sie zum Alkohol gegriffen hat, gerät zum Stigma ihrer kompletten Person. Selbst ausgegrenzt im Exil, hebt sich die kulturelle Elite so ab und wertet sich damit auf. "Was die Misogynie nicht abräumt, erledigt der Klassismus", meint Karin Ceballos Betancur an dieser Stelle.
Liebe Astrid,
AntwortenLöschenwieder mal ein großartiges Porträt, das du uns schenkst. Danke dafür.
Nur eine kleine Anmerkung -
Auf dem ersten Foto ist glaube ich Armin Mueller-Stahl zu sehen?
Liebe Grüße,
Claudia
Für Nelly Mann habe ich auch große Solidarität und Mitgefühl. Intellektuelle Menschen, die so hoch aufgewertet werden wie die Manns und Co. können ja unglaublich arrogant und gefühllos sein mit anderen. Klugheit schützt eben nicht vor echter Dummheit, möchte ich es mal so sagen...Bildung allein ersetzt keine Herzensbildung.
AntwortenLöschenIch denke dabei auch an Christiane Vulpius, die Goethe so lange unverheiratet im Hintergrund zur Seite und Verfügung stand...
Auf jeden Fall ein bewegendes Schicksal, über das ich kaum etwas wusste.
In Nizza war ich vor einigen Jahren, da es Partnerstadt von Nürnberg ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwierig es dort für sie gewesen sein muss. Kaum französisch sprechend und kaum Geld habend. Das muss Horror dort gewesen sein.
Danke für dieses Portrait einer Frau im Schatten, die es anderen ermöglichte im Licht zu sein.
Herzlich,
Sieglinde
Hier noch als Ergänzung :-): https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/armin-mueller-stahl-nicht-spielen-nur-darstellen-a-172315.html
AntwortenLöschenInteressant! Ich hab das Foto so im Netz gefunden, den Film hab ich nicht gesehen, da fernseherlos seit über 40 Jahren. Jetzt zwischendurch weiter recherchiert und Bilder gefunden mit der Ferres und Hentsch. So eine Idylle wie auf dem Foto hat es zw. den beiden Protagonisten sicher nicht gegeben…
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis!
LG
Danke für die, wieder interessante, Vorstellung einer besonderen Frau. Ich wünsche ihnen ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr! Gundula Mehlfeld
AntwortenLöschenDie Reaktionen der Mann-Familie spiegeln ja sie selber wider. Was für eine tapfere Frau, die sich gegen die Widerstände der Zeit und die Widerwärtigkeiten der Menschen durchsetzen musste.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Andrea
oh mein Gott
AntwortenLöschenwas für eine Tragödie..
sie hat sich aufgeopfert für ihren Mann
und Andere ..und niemand hat es ihr gedankt.. keiner sie unterstützt
daran musste sie ja zerbrechen
danke für das Portrait
Rosi