Donnerstag, 22. Dezember 2022

Great Women #322: Patti Smith

Wenn jemand für Punk und Poesie gleichzeitig steht, dann meine heutige Great Women. Sie ist Sängerin, Schriftstellerin, Freundin so vieler Menschen, eine Ikone. Mehr als mit ihrer Musik konnte ich bislang mit allem anderen sehr, sehr viel anfangen. Gerade als Mensch gibt sie mir in meiner derzeitigen Situation immer wieder den passenden Anstoß, meine Stimmungslage zu händeln. Die Rede ist heute von Patti Smith, die in acht Tagen 76 Jahre alt wird.

Patricia Lee "Patti" Smith kommt also am  30. Dezember 1946 in Chicago, Illinois, USA zur Welt. 

"Ich bin an einem Montag auf der North Side von Chicago geboren, während des großen Blizzards von 1946. Ich kam einen Tag zu früh, denn an Silvester geborene Babys brachten aus dem Krankenhaus einen neuen Kühlschrank mit. Meine Mutter hätte mich gern noch in sich behalten, doch als das Taxi in wirbelndem Schnee und Wind den Michigansee entlangkroch, setzten bei ihr die Presswehen ein." So beschreibt sie ihren Start ins Leben an dieser Stelle.

1951

Ihre Mutter ist Beverly Smith, eine Kellnerin & Jazzsängerin. Patti ist ihr ältestes Kind von insgesamt vieren: Zwei Jahre später kommt Linda, dann Bruder Todd zur Welt, Kimberly dann zehn Jahre später. Vater Grant Smith ist Maschinist in einem Honeywell-Werk. 

Es ist ein eher ärmliches Elternhaus in dem Patti aufwächst, typisch für die amerikanische Arbeiterschicht. Die Mutter steht den Zeugen Jehovas nahe, der Vater ist Atheist, kennt sich dennoch sehr gut in der Bibel aus, liebt ebenfalls den Jazz, liebt Science-Fiction-Geschichten und Ufos, was Patti mit ihm teilen wird. Die Mutter bringt der Tochter das Beten bei, als sie drei Jahre alt ist. Gebete seien bis heute Teil ihres Alltags, erklärt Patti Smith später in einem Interview. Ihre religiöse Erziehung führt bei ihr aber nicht zu einer lebenslangen Bindung an eine Religion.

1950 zieht die Familie nach Germantown, einem Viertel in Pennsylvania, in eine Übergangswohnung für Militärangehörige, untergebracht in Baracken am Rande eines unbebauten Feldes voller Wildblumen. Wie Patti es beschreibt, hätte es meine Kindheit sein können mit all den Spielen, den Gänseblümchenkränzen, den Glühwürmchen in Gläsern, den plaudernden Erwachsenen vor ihren Häusern, aber auch tragischen Momenten, wie der Tod einer Freundin an Leukämie. Patti ist selbst auch oft krank,Tuberkulose, Scharlach, Hepatitis A. Die Mutter ist oft in Sorge, dass sie nicht überlebt. Patti geht in die Sonntagsschule, vervollkommnet ihre Gebetspraxis, die aber dann bald Konkurrenz von den Büchern bekommt. Lesen kann sie schon, bevor sie in die Schule kommt.

"Als ich ein kleines Kind war, wusste ich immer, dass ich etwas Besonderes in mir hatte", erinnerte sie sich. "Ich meine, ich war nicht attraktiv. Ich war nicht sehr gesprächig, in der Schule sehr schlau. Es gab nichts, was der Welt gezeigt hätte, dass ich etwas Besonderes war, aber ich hatte die ganze Zeit diese enorme Hoffnung. Ich hatte diesen enormen Geist, der mich am Laufen hielt ... ich war ein glückliches Kind, weil ich das Gefühl hatte, dass ich über meinen physischen Körper hinausgehen würde ... ich wusste es einfach."

Sie wird  allerdings erst mal wieder unglücklich, als sie erneut umziehen, sechs Jahre später nach Woodbury, New Jersey. Dort wird ihre jüngste Schwester Kimberly geboren. Patti ist schüchtern und introvertiert und fühlt sich zwischen "Sümpfen, Pfirsichplantagen und Schweinefarmen um uns herum" isoliert. Nur ihr Bruder ist ihr "treuer Leutnant", mit dem sie spielt, oberkörperfrei, wie bei Jungen üblich. Irgendwann macht ihr die Mutter klar, dass sie sich ein Hemd anziehen müsse. In diesem Moment fühlt sie sich von ihrer Mutter verraten. ( ein durchaus ähnliches Erlebnis hatte ich mit meiner Mutter und kann diese Gefühle gut verstehen. ) "Das Ganze erschien mir vollkommen wider meine Natur", schreibt sie. "Eine Zeit lang grollte ich ihr." Die Rollenvorstellungen der Zeit lehnt sie für sich ab: "Wo ich aufwuchs, brachte man Mädchen nicht einmal das Autofahren bei. Sie lernten nur das Kuchenbacken."  ( Quelle hier )

Mit Bruder Todd
Ein einschneidendes Erlebnis ist ein Familienausflug per Bus zum "Museum of Modern Art" in Philadelphia. Während die Geschwister über den Marmorboden schlittern, hat die sonst so "mürrische Zwölfjährige mit schlaksigen Armen und Beinen" ein Erweckungserlebnis. Sie weiß nicht, ob sie das Zeug zur Künstlerin hat, aber sie hungert seitdem danach, eine zu sein. Die Pubertierende rettet sich wieder in Bücher, jetzt vor allem über Künstler, und den Rock'n Roll. Sie tanzt mit ihren Geschwistern, während die Eltern arbeiten, zeichnet, schreibt Gedichte. Ihre Lehrer in der Deptford High School, eine, an der auch afroamerikanische Kinder unterrichtet werden, ermutigen sie dazu. Ihr Musiklehrer macht sie mit Opernmusik bekannt und sie liebt vor allem Puccini. Maria Callas‘ Gesang rührt sie zu Tränen. 

Als ihre Mutter ihr zum 16. Geburtstag ein Buch über Diego Riviera schenkt, bekommen ihre Tagträumereien neue Nahrung: Sie wünscht sich, einen Künstler lieben zu können und Seite an Seite mit ihm zu arbeiten.

In den Sommerferien arbeitet Patti in einer Fabrik. Obwohl sie diese Arbeit als "das letzte" empfindet, kann sie so ab 1964 ihren Besuch des Glassboro State College finanzieren, um Kunstlehrerin  zu werden. Dann wird sie im Spätsommer 1966 schwanger von einem 17jährigen. Sie muss das College verlassen, aber da ist ihr eh endgültig klar, dass Kunstlehrerin nie ihr Ziel gewesen ist, sondern immer Künstlerin . Als ihre Schwangerschaft sichtbar wird, ekeln sie Nachbarn auch aus ihrem Elternhaus, so dass sie bei einer anderen Familie Smith, einem Künstlerpaar, unterschlüpfen muss. 

Das kleine Mädchen, welches sie nach Ostern 1967 zur Welt bringt, findet bei einer liebevollen Akademikerfamilie ein Zuhause. Ihr Mindestlohn-Job in einer Schulbuchdruckerei in Philadelphia ist nun wirklich nicht das, was sie will, zumal ihre Kolleginnen sie attackieren, weil sie Arthur Rimbaud auf Französisch liest - das tun nur Kommunisten, so deren Ansicht. Als ihr dann gekündigt wird, gibt sie ihr letztes Geld für eine Fahrkarte, nimmt tränenreich Abschied von zu Hause, ausgestattet mit einer Kellnerinnenmontur durch die Mutter,  und fährt am 3. Juli 1967 über Philadelphia nach New York.

Die Freunde, bei denen sie unterkommen will, sind an einen unbekannten Ort umgezogen. Patti verbringt die nächste Zeit auf der Straße, schläft im Central Park, in Hauseingängen, U-Bahn-Wagen und einmal sogar auf einem Friedhof. "Oh, es war beängstigend!", erzählt sie später einmal. "Aber nicht gruseliger, als die Nacht auf einem Feld im Süden Jerseys zu verbringen." Sie sucht ständig nach Arbeit, begegnet hilfreichen Menschen.  Es ist der "Sommer der Liebe" und sie fühlt sich frei. 

Robert Mapplethorpe und Patti Smith
(1967)

Der Versuch als Kellnerin geht daneben ( und ihre Arbeitskluft lässt sie auf einer öffentlichen Toilette zurück ), aber ein weiterer Job in der Filiale einer Buchhandelskette verschafft ihr immerhin eine Schlafmöglichkeit in der dazugehörigen Toilette. Eines Tages trifft sie dort auf Robert Mapplethorpe.

Robert Mapplethorpe wurde 1946 als drittes von sechs Kindern einer katholischen Arbeiterfamilie geboren. Nach dem Abschluss der Schule ging er auf Wunsch seiner Eltern an das Pratt Institute, eine Kunsthochschule in Brooklyn. Dort kam er mit der 68er-Bewegung in Kontakt. 1967 beendete er das Studium mit einem Bachelor of Fine Arts und zog nach Manhattan. Dort lernte er im Sommer 1967 die damals noch unbekannte Musikerin und Poetin Patti Smith kennen, mit der er bis 1972 zusammenlebte. Sie ermutigte ihn zu einer Karriere als Fotograf. [...] Mapplethorpe lebte ein sehr exzessives Leben, das von Drogen und zahlreichen homosexuellen und heterosexuellen Beziehungen geprägt war. [... ] Mapplethorpe starb Anfang März 1989 an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung im Alter von 42 Jahren. ( Wikipedia )

Nachdem Robert sie zufällig aus einer durchaus gefährlichen Situation befreien kann, laufen sie gemeinsam durch die New Yorker Nacht und erzählen sich gegenseitig aus ihrem Leben und begreifen "... dass wir in dieser kurzen Zeitspanne beide unsere Einsamkeit aufgegeben und sie durch Vertrauen ersetzt hatten. [...] Wir blieben zusammen, als sei es die normalste Sache der Welt; wir wichen einander nicht von der Seite, außer um zur Arbeit zu gehen."

Es gelingt den Beiden, eine gemeinsame Wohnung zu finden, doch der Winter ist hart, weil sie immer wieder ihre Arbeit ( und Robert manchmal den Mut ) verlieren. Das Geld fehlt, um ins Kino, Museum, zu Konzerten zu gehen. "Wir wussten nicht, dass Woodstock stattfand. Wir hätten ohnehin kein Geld, kein Auto und keine Zeit gehabt. Wir waren nur mit uns selbst beschäftigt", fasst sie es einmal in einem Interview zusammen. Erst 1970 sehen sie erstmals eine Band live auf einer Bühne.

Es ist die Zeit, in der die ersten jungen Leute in New York an Drogen sterben. Patti weiß, dass sie diese nicht verträgt und es sich aufgrund ihrer Arbeit nicht erlauben kann, zugedröhnt zu sein. Ihr Gefährte wird viel mehr davon angezogen. Dann verändert sich auch noch seine Persönlichkeit auffällig. Sie tappen erst Mal völlig im Nebel. Einmal, als sie heftig streiten, ruft er ihr hinterher: "Wenn du mich verlässt, werde ich schwul!" Später, als seine Homosexualität völlig klar ist, gibt sich Patti die Schuld: 

"... ich dachte, er ist schwul geworden, weil ich meine Rolle als seine Lebenspartnerin nicht erfüllt hätte. Ich dachte damals, Männer werden schwul, weil sie ihresgleichen nicht unter Frauen finden. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass das keine rationale Entscheidung ist." ( Quelle hier )

Mit Sam Shepard
(1971)

Es tut ihr weh, dass er sich mehr für Männer interessiert, und sie weiß erst einmal nicht, was sie machen soll. "Unsere Verbindung war aber nicht auf Sex gegründet. Sie wurzelte in einer tiefen gegenseitigen Wertschätzung." 

Beenden wollen sie ihre Beziehung nicht. Sie trennen sich immer mal auf Zeit, und Patti unternimmt 1969 mit ihrer Schwester Linda eine Reise nach Paris. Nach ihrer Rückkehr schwören sie sich, einander nicht zu verlassen, bevor sie nicht sicher sind, auf eigenen Beinen stehen zu können. Mit dem erkrankten Gefährten kommt sie jetzt im berühmt- berüchtigten Chelsea Hotel unter.

Doch auch sie wendet sich nun anderen Männern zu. Jim Carroll, ein drei Jahre jüngerer Schriftsteller & Musiker zieht zunächst bei Patti ein. 1970 spricht der Schauspieler Sam Shepard, bereits ein Star am Theater, später berühmt für seine Rollen im Film, Patti auf der Straße an und lädt sie in ein Restaurant ein. Sie beginnt eine Affäre mit ihm, obwohl er verheiratet ist, ein Kind hat und seine Familie nicht verlässt.

Sie schreiben gemeinsam ein Theaterstück, in dem Rockmusik eine Hauptrolle spielt. Patti merkt, dass sie nicht zur Schauspielerin taugt, auf der Bühne gefällt es ihr aber. Drei Tage nach der Premiere verschwindet Shepard mit seiner Familie aus New York und beendet die Affäre. Zwei Sätze schreibt er ihr, die sie dazu bringen, Musikerin zu werden. "Die Träume, die Du für mich gehabt hast, waren nicht meine Träume. Vielleicht sind diese Träume für Dich bestimmt."

Inzwischen tritt Patti, die Dichterin, die die meisten üblichen Gedichtlesungen langweilig findet, auch zusammen mit Lenny Kaye auf, den sie aus einem örtlichen Plattenladen kennt und der sie auf der Gitarre begleitet. Ihrem ersten großen Auftritt im Februar 1971 wohnen die New Yorker Szene-Stars Allen Ginsberg, Andy Warhol, Lou Reed und andere bei. Sie trägt ihr Gedicht "Oath" vor: "Christ died for somebody's sins, but not mine (...) Christ, I'm giving you the goodbye, firing you tonight. I can make my own light shine." Die Reaktionen sind ambivalent. 

"Von Robert habe ich gelernt, dass Widersprüchlichkeit oft der eindeutigste Weg zur Wahrheit ist," schreibt sie in ihrem Buch über ihre Beziehung. Ende 1972 gehen sie endgültig getrennte Wege. Robert zieht in ein Loft, welches ihm sein neuer Partner Sam Wagstaff bezahlt hat, Patti mit ihrem neuen Geliebten Allen Lanier, Gründungsmitglied des Blue Öyster Cult, in eine gemeinsame kleine Wohnung. Freundschaftlich verbunden bleiben sie sich weiterhin. 1978 werden sie das erste und einzige Mal ihre Werke gemeinsam ausstellen. 
                                                                                              
In diesen Jahren veröffentlicht sie ihren ersten Gedichtband "Seventh Heaven". Schmeichelhafte Kritiken folgen, aber nur wenige Exemplare werden verkauft. Zwei weitere Sammlungen - "Early Morning Dream" und "Witt" (1973; Titelfoto wieder von R. Mapplethorpe) erhalten ein ähnlich großes Lob. Geld verdient sie aber vor allem mit Musikjournalismus für Magazine wie den "Rolling Stone".

1974 gründet sie ihre Band, in der neben Lenny Kaye Richard Sohl am Piano und Ivan Král am Bass zu finden sind, und die regelmäßig in und um New York auftritt. Sie nimmt die Single "Piss Factory" auf, die heute allgemein als der erste "Punk" - Song gilt und der ihr eine beachtliche und fanatische Anhängerschaft einbringt. Im Mai 1975 , nachdem Bob Dylan bei einem ihrer Konzerte für ihre Glaubwürdigkeit gesorgt hat, bekommt Patti Smith einen Plattenvertrag mit Arista Records, der ihr alle künstlerischen Freiheiten einräumt.

John Cale nimmt sie schließlich als Produzent unter seine Fittiche  und schafft mit ihr ihr Debütalbum "Horses". Das macht Patti Smith als Rock-Poetin bekannt, und sie setzt damit dem selbstzufriedenen Optimismus des späten Hippie-Rocks ein rabiates Ende. Auf dem Cover natürlich ein Foto von Robert Mapplethorpe, das er von ihr schon früher aufgenommen hat. 

Ihr zweites Album "Radio Ethiopia" beeindruckt mit rauem, alternativem Rock. 1977 bricht sie sich bei einem schweren Unfall auf der Bühne den Schädel, mehrere Wirbel im Nacken, im Rücken, am Steißbein und muss einige Zeit aussetzen.

Der weltweite Durchbruch gelingt ihr schließlich mit dem etwas kommerzielleren "Easter", auf dem auch das mit Bruce Springsteen aufgenommene "Because The Night" enthalten ist. Im Sommer 1978 klettert der Song auf Platz 13 der Top 40-Charts. Patti ist jetzt noch vor ihrem Freund Mapplethorpe berühmt geworden, obwohl sie es immer anders angenommen hat.

1979 schließt sie ihre Gesangskarriere mit der Platte "Wave" vorläufig ab. Der Titel "Frederick" darauf ist dem Gitarristen Fred "Sonic" Smith von MC5, der legendären Proto-Punk-Band, gewidmet, mit dem sie eine Fernbeziehung führt. Von der wilden Ungezähmtheit der ersten Aufnahmen ist jetzt nicht mehr viel übrig. Es scheint, als habe Patti ihren Job als weiblicher Messias der Unangepassten getan. Doch: "Nur Anstoß zu erregen finde ich langweilig", so ihr Statement. Mit den Provokationen der englischen Punkbands hat sie eben nichts gemein.

Sie zieht nun von New York nach Detroit, um ein neues Leben mit Fred Smith anzufangen. Zweiunddreißig ist sie da, ihr neuer Gefährte drei Jahre jünger. 1980 heiratet das Paar und in den nächsten 17 Jahren verschwindet Patti Smith größtenteils aus der öffentlichen Szene, bekommt zwei Kinder - Jackson 1982 und Jesse 1987 - widmet sich dem häuslichen Leben und arbeitet wieder als Buchhändlerin.

1987
"Ich bin kein Vorstadtmensch. Für mich ist eine gute Nachbarschaft dort, wo man eine gute Tasse Kaffee bekommt und ein guter Buchladen zu Fuß erreichbar ist. Aber wir haben so viel Kultur in unserem Haus geschaffen, wie wir konnten. Wir passten uns an, indem wir nicht auf uns aufmerksam machten."

Fred macht in dieser Zeit einen Pilotenschein, Patti setzt ihr Schreiben fort, bringt zwei weitere Gedichtbände heraus und findet sich langsam damit ab, dass sie vielleicht nie wieder Musik aufnehmen wird. 1988 kommt dennoch ein Album - "Dream of Life"- zustande in Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann. Eine kommerzielle Enttäuschung, obwohl "People Have The Power" irgendwie Kult wird.

Fred lehrt sie, richtig zu singen und nicht nur die Worte durch die Nase zu pressen. Das Letzte, was Fred seiner Frau vor seinem Tod beibringt, ist das Gitarrenspiel, sieben bis acht Akkorde. Patti weiß es da noch nicht, aber dieses neue Können wird ihre Rettung sein, als ihr Mann am 4. November 1994 seiner Herzinsuffizienz (HF) erliegt. "Those guitar chords got me through a lot of difficult nights.

Nach seinem Tod zieht ihr Bruder Todd zu ihr. "Er hat hart gearbeitet, um meine Stimmung aufzuhellen, und er hat mich dazu gedrängt, Aufnahmen zu machen", erzählt sie später an dieser Stelle. "Er hat sich alle Mühe gegeben, mich auf die Arbeit zu konzentrieren, und dann ist er einen Monat später (an einem Herzinfarkt) gestorben. Es war völlig unerwartet und ich fühlte mich ziemlich trostlos." 

Robert Mapplethorpe, "der Künstler meines Lebens", ist da schon seit 5 Jahren tot. Der Pianist ihrer Band in den 1970er Jahren, Richard Sohl, ist vor vier Jahren gestorben. Sie hört die halbe Nacht Bob Dylan und Kurt Cobain und in der restlichen Zeit komponiert sie neue Songs auf ihrer Gitarre. Das rettet sie durch diese erbarmungslose Zeit. Auch Michael Stipe, der Sänger von R.E.M.,  den Patti bis dahin nicht persönlich kennt, hilft ihr aus der Krise. Schließlich holt Bob Dylan sie wieder ins Rampenlicht. Patti aktiviert ihre alte Band, und sie treten zwei Wochen lang in Dylans Vorprogramm auf.

Schließlich muss sie wieder Geld verdienen. Also geht sie ins Aufnahmestudio. Sie bittet Lenny Kaye, ihr bei der Gestaltung des neuen Albums zu helfen und es mit ihr fertigzustellen. So schließt sich der Kreis der Zusammenarbeit von vor 25 Jahren: "Ohne Lennys Geduld hätte ich es nicht geschafft."

Monatelang vermeidet sie einen Track zu vollenden, den die Band für einen Song namens "My Madrigal" aufgenommen hat, weil sie es nicht ertragen kann, die folgende Verse zu singen: "We waltzed below motionless skies/All heaven’s glory turned in your eyes/You pledged me your heart/Till death do us part."

Doch mit diesem 1996er Comeback-Album "Gone Again" gelingt ihr eine triumphale Rückkehr. "Gone Again" ist ein kathartisches Album, auch wenn es nicht jammert und lauthals klagt. Auch aus der Erfahrung von Verlust & Tod heraus geprägt, ist sein Thema das der Überwindung der Tragödien. "I wanted people to know that life is still worth living."

Ab da ist Patti Smith mit ihren Alben wieder ein fester Bestandteil der Musikszene: Es folgen "Peace and Noise" 1997, "Gung Ho" 2000 und "Trampin'" 2004, die alle von Musikkritikern hoch gelobt werden und ihre Fähigkeit beweisen, ihre Musik so umzugestalten, dass auch eine neue Generation von Rockfans sich angesprochen fühlen kann.

2007 wird Patti Smith in die "Rock and Roll Hall Of Fame" aufgenommen und ihr Album "Twelve" kommt heraus. Darauf nimmt sie es mit einem Dutzend Rockklassikern auf, darunter "Gimme Shelter", "Changing of the Guards" und "Smells Like Teen Spirit". Es folgt 2012 das von der Kritik gefeierte "Banga" (2012), eine Liedersammlung von ungewöhnlicher Bandbreite: Vom countryesken Pop zum psychedelisch jazzigen Höllenfeuer hat die Platte alles drauf. Den Titel trägt das Album nach einem Hund in Michail Bulgakows  Roman "Der Meister und Margarita", der Patti Smith sehr gut gefallen hat. ( Da beweist sie wieder einmal ihren breit gefächerten Horizont. ) Und nach elf Alben wird klar, dass sie keinen Stillstand kennt.

2015 geht sie auf eine weltweite Tournee, um das vierzigjährige Jubiläum ihres legendären Albums "Horses" zu feiern. Jeder, der vielleicht erwartet hat, dass Patti Smith in ihrem 69. Lebensjahr die Energie herunterdrehen würde, wird überrascht.

"Und ich weiß, dass ich nicht singen kann wie Amy Winehouse oder Rihanna. Ich kann mich nicht auf diese körperliche Schönheit oder bestimmte Dinge verlassen, die man hat, wenn man jung ist. Aber worauf ich mich verlassen kann, ist, dass ich, wenn ich auf die Bühne gehe, nur aus einem Grund da bin, und zwar um mit den Leuten zu kommunizieren. Ich habe keine Wünsche für mich. Karriere ist mir egal. Einen Platz habe ich schon, einen guten Namen … eigentlich will ich nichts, außer dass wir alle gemeinsam etwas erleben."
2015
(© Dylan Martinez/Reuters)












 

Im Dezember 2016 vertritt sie Bob Dylan bei der Verleihung seines Literaturnobelpreises. Sie singt Dylans "A Hard Rain's a-Gonna Fall". Mittendrin hat sie einen Aussetzer und entschuldigt sich mit "Es tut mir leid, ich bin so nervös" und singt anschließend weiter. Später veröffentlicht sie ein Essay im "The New Yorker". Darin gesteht sie, sie habe abbrechen müssen, weil sie "übervoll an Emotionen war". 

Patti Smith ist eben nicht nur Musik: Im Jahr 2010 veröffentlicht sie "Just Kids" ( deutsch: "Nur Kinder" ), das Buch, in dem sie den Lesern einen persönlichen Einblick in ihre prototypische Jugend als Künstlerin und ihre enge Beziehung zu Robert Mapplethorpe in New York City gibt. Er hat sie bei ihrer letzten Begegnung vor seinem Tod noch daran erinnert, dass sie ein solches Buch schreiben soll. Es wird ein "New York Times"- Bestseller und erhält den "National Book Award". Im gleichen Jahr publiziert sie noch ein weiteres Buch, "M Train". Darin erzählt sie von ihrer Ehe mit Fred "Sonic" Smith, von ihren Lieblingsbüchern und von Dingen und Menschen, die sie im Laufe ihres Lebens verloren hat und die dadurch für sie nur an Bedeutung gewonnen haben. In London kommt im selben Jahr noch eine weitere Lyrik- Anthologie heraus. 

"Woolgathering", publiziert 1992, kommt auf Deutsch ( "Traumsammlerin" ) erst 2013 in den Buchhandel. In kurzen, poetischen Prosatexten – assoziativ zusammengefügt wie eine Patchworkdeckvoller Erinnerungen - unternimmt sie eine Reise in ihre Vergangenheit. Inspiriert wird sie in ihrem Schreiben von den amerikanischen Beat-Poeten, aber auch wieder vom französischen Dichter Arthur Rimbaud, den sie ja seit ihrer Jugend verehrt. 2017 kauft sie sogar das Haus des Dichters in Roche, der Ort, in dem Rimbaud teilweise aufgewachsen ist, um es der Nachwelt zu erhalten. Sein Grab ist übrigens auch das erste gewesen, das sie 1973 in Europa besucht hat ( und diese Gewohnheit behält sie ihr ganzes Leben bei, da sind wir uns ähnlich ).

Ihr letztes Buch - "A Book of Days" von 2022, ist ein Fotobuch. Ein darin wiederkehrendes Motiv sind verstorbene Freunde und Idole.

"Ich gehe mit den Verstorbenen, die ich liebe, durchs Leben. Manchmal möchte ich sie nicht dabeihaben, weil ihre Nähe schmerzhaft ist, vor allem bei meinem Mann und meinem Bruder. Manchmal sehne ich mich nach der Nähe meiner Mutter. Und seit Robert Mapplethorpe starb, habe ich das Gefühl, dass er mir förmlich so nahe ist, wie Sie es jetzt sind. Im Alltag sind diese Menschen in meinem Bewusstsein, als ob ich sie fast sehen könnte. Ich kann mit ihnen reden oder sie fühlen", sagt sie in einem Interview.

Dieses Buch rückt auch einen weiteren Aspekt der künstlerischen Betätigung der Patti Smith ins Blickfeld: das Fotografieren. Begonnen hat sie es mit einer Polaroid-Kamera, inzwischen benutzt sie das Handy. Ihre frühen Fotos hat sie in ihren Zeichnungen eingebaut à la Robert Rauschenberg oder andere Pop-Artisten. Doch das Wichtigste ist ihr immer das Schreiben: "Nähme man mir die Bühne weg, wäre ich traurig, nähme man mir das Schreiben weg, wäre mein Herz gebrochen."

2022 in Berlin
CC BY-SA 3.0
Charakteristisch für Patti Smith sind ihre wahrlich eklektizistischen Interessen: 

Sie schätzt die sogenannte Hochkultur ebenso wie die populäre Kultur, -  die Süddeutsche Zeitung nennt sie mal "Weltsubkulturerbe" - alles zur gleichen Zeit. Sie ist mit Menschen aus vielen Milieus in Kontakt oder befreundet, die sie begeistert & inspiriert und umgekehrt. So hat die Designerin Ann Demeulemeester den Patti- Smith-Horses-Look in ihren Kollektionen öfter zitiert und entwirft und schneidert bis heute Kleidungsstücke für sie. 

Sie liebt die Geschichte von Peter Pan und würde gerne eine wie Pinocchio schreiben, verfasst aber auch einen Kriminalroman. Ihre wichtigen "Verdienste" sind, die Brücke gebaut zu haben zwischen Rockmusik und Poesie und in der machodominierten Männerdomäne Punkrock Frontfrauen salonfähig gemacht zu haben.  

2020 erhält Patti Smith den Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion. Kurz vor ihrem 75. Geburtstag bekommt sie den Schlüssel der Stadt überreicht, in der sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat, wegen ihrer "Authentizität", wie der New Yorker Bürgermeister De Blasio meint.

"Ich mag, wo ich stehe. Wenn man altert, gibt es viele Herausforderungen. Körperliche zum Beispiel. Aber ich mag es. Der Geist weitet sich für mich auf eine andere Art aus – einfühlsamer vor allem, " äußert sie sich zu ihrem 70. Geburtstag ( Quelle hier ).

Und damit drückt sie aus, wie auch ich das Altern erlebe - noch ein Grund, mich ihr verbunden zu fühlen! Ich hoffe, sie verbringt in acht Tagen ihren 76. Geburtstag bei guter Gesundheit und im Kreise derjenigen, die mit ihr überlebt haben.



7 Kommentare:

  1. Liebe Astrid, vielen lieben Dank für diese wundervolle Hommage an eine grosse, authentische Künstlerin. Patti Smith begleitet mich seit ich 15 bin mit ihren Texten, ihrer Musik, ihrer Kunst. Mit 17 habe ich in einer kurzlebigen Schülerband versucht, "Pissing in the river" zu singen, habe Textauszüge aus ihren Songs und Gedichten auf meine Arme geschrieben und mir gewünscht, sie mal live zu sehen, was mir sehr viele Jahre später mehrmals gelungen ist. Ich bin mir sicher, dass meine Kinder mir ihr neustes Buch unter den Weihnachtsbaum legen werden. Danke Astrid und frohe Festtage! Claudine

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  2. Astrid,

    was eine schöne Zusammenfassung über die Künstlerin.
    Bekannt wurde sie mir vor vielen Jahren durch das von ihr gesungene "Because the night..".

    Eine in vieler Hinsicht außergewöhnliche kraftvoll liebende und Emotionen spürende Frau ohne Rücksicht auf Konventionen. So viele Exemplare gibt es heute nicht mehr.

    Ich bewundere sie für vieles, besonders für ihr Verhältnis zu Robert Maplethorpe, das mit Sicherheit kein einfaches für beide war.
    Love conquers all.

    Grüße von Claudia

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  3. Wahnsinn welch eine unglaubliche, - sehr anspruchsvolle Biographie , das dichte Leben einer FRau die ich in Gedanken oft schon bewunderte, viele textpassagen mitsang, sie ist ja mein Jahrgang....
    sie wieder aufleben zu lassen..eine wunderbare Entscheidung..
    für die ich dir sehr danke....
    wirst du zum Fest Besuch von der Familie bekommen?
    diese ein wenig bleiben...
    ich wünsch mir das für dich sehr...
    damit das alleine sein nicht in die Traurigkeit fällt,
    ... ich denke da sehr an dich und wünsche dir von Herzen ein schönes Fest...
    liebe Grüße angel

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  4. Man merkt Deinem Text heute an, wie gern Du sie hast, wie Du von Ihrer Einstellung und Kreativität und Liebe für Menschen mitgehst und beflügelt wirst.
    Wenn das jemand bei Menschen erreichen kann, dann hat er auch all das Lob verdient. Damit schafft er ein großes Miteinander, in vielerlei Hinsicht.
    Liebe Grüße
    Nina

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  5. von Helga:

    Liebe Astrid,

    Patti Smith war mir bisher nicht bekannt, bis ich nun bei Dir über die „Womens“ von ihr las. Heute in der Tageszeitung NN berichtet nun der Kulturteil über sie:
    Patti Smith wird gerne als „Godmother of Punk“ bezeichnet, dabei ist die unermüdliche
    75-jährige, die kurz vor Jahreswechsel am 30. Dezember 76 Jahre alt wird, weitaus mehr. Zeichnerin, Schriftstellerin, Fotografin, Magierin der Massen. Stellvertretend für ihren Kumpel Bob Dylan holte sie sogar dessen Literaturnobelpreis in Stockholm ab. Nach Smiths diesjährigem, umwerfenden Konzert beim Tollwood-Festival in München wird die amerikanische Künstlerin sich 2023 erneut für zwei Konzerte nach Deutschland begeben. Eins davon findet in Mittelfranken statt. Am 25. Juni tritt Patti Smith, deren bekanntester Song „Because The Night belongs to lovers“ gemeinsam mit Bruce Springsteen entstand, auf Burg Abenberg auf. Der Vorverkauf hat begonnen.
    Lust bekommen? Vielleicht geht Sieglinde mit Dir? 😁

    Lieben Gruß und ein gesegnetes Fest, wünschen Dir Helga und Kerstin

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  6. Liebe Astrid,
    es war mir gerade in den letzten Wochen schon bewusst, dass Du zu Patti Smith eine besondere Verbindung hast, habe ich doch bei Dir Gedanken, wunderschöne, echte, das Leben zeichnende Gedanken von Patti Smith gelesen.
    Patti Smith ist eine Ikone und zwar eine von jenen, wie es sie nicht (mehr) allzu häufig gibt. Ich denke, auch durch ganz tiefgehende Schicksalsschläge früh weise geworden, eine Weisheit, die andere nicht einmal mit hohem Alter erreichen. Gleichzeitig strahlt sie große Würde aus, auch etwas, das man wahrlich nicht an jedem Menschen bemerken kann.
    Ich verstehe, dass sie eine wahre Quelle der Inspiration und der Hoffnung ist, nicht nur für Dich, sondern für so viele andere Menschen auch.
    Erst vor einiger Zeit konnte ich auch im TV eine Dokumentation sehen und ich erkannte, wie sehr sie mit Fred Sonic Smith eine Einheit bildete. Auffällig ist auch, dass sie viele Freundschaften pflegt, räumliche Distanzen scheinen dabei kein Hindernis zu sein.
    Ein tolles Portrait, mit viel Herz versehen -
    wunderbar zu lesen! DANKE dafür!

    Alles Liebe wünsche ich Dir für die nächsten Tage, viel Kraft und Nahrung durch all Deine lieben Menschen!
    Mit herzlichen Grüßen,
    C Stern

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  7. Wunderbar! Patti Smith ist für mich seit Studienzeiten ein Begriff, prägend. Doch zuerst kam die erste Begegnung mit Punk in den 1970ern, bei meinem allerersten Londonaufenthalt. The Cure, Blondie, Siouxsie and the Banshees und dann kam Patti Smith. Mich begeisterte ihre Vielseitigkeit und so begleitet sie mich seitdem, taucht in gewissen Momenten immer in mir auf. Den Titel "Godmother of Punk" wird auch gerne für Nina Hagen gewählt, doch es ist Patti Smith, sie kann mehr als auffallen, viel mehr! Mit Patti Smith ging ich ins Jahr 2022, was sich so hilfreich erwies.
    Gerne hätte ich mir eins ihrer beiden Konzerte in Deutschland 2023 gegönnt. Das in Ulm-Wiblingen im Klosterhof reizt mich immer noch. Allerdings habe ich schon ein Konzertticket kurz vorher bei Bruce Springsteen, bei dir um die Ecke. Es ist für mich schwierig langfristig Pläne zu machen.
    Danke für dieses Frauenportait!
    Viele liebe Grüße,
    Karin

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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