Donnerstag, 4. Juni 2020

Great Women #222: Anna Mahler

Ihre Eltern kennen sicher viele, ist der Vater doch ein Titan am Komponistenhimmel gewesen, die Mutter eine legendäre Persönlichkeit der Musik- Kunst- und Literaturszene. Das ist auch für Anna Mahler, ihre "Gucki" und meine heutige Great-Woman, eine Last gewesen, die es ihr schwer gemacht hat, einen eigenen Platz im Leben wie auch im wundersamen Wiener Kosmos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu finden. Da ich über ihre Mutter und ihren Vater viel gelesen habe, war ich auch neugierig, etwas über sie zu erfahren, deren 32. Todestag gestern gewesen ist.

"Der Wert in der Kunst 
wird nicht durch oberflächliche Eigenschaften bestimmt, 
sondern durch die Fähigkeit, 
unsere innersten Gefühle zu erreichen 
und zu berühren."

1906
Anna Justine Mahler kommt am 15. Juni 1904 in Wien zur Welt. Sie ist die Tochter des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler und dessen Frau Alma Schindler (später berühmt unter dem Namen  Mahler-Werfel). Diese beiden legendären Elternfiguren werden das Leben des Mädchens weitaus mehr bestimmen, als es sonst bei Eltern der Fall ist. Ihrem Einflussbereich, ihrem Schatten wird sie zeitlebens zu entkommen versuchen.

Der 41jährige gefeierte Komponist hat die 22jährige umschwärmte Alma 1902 geheiratet - "das schönste Mädchen Wiens", von Gustav Klimt porträtiert, von Max Burckhard, Direktor des Wiener Burgtheaters gefördert, von Alexander von Zemlinsky im Komponieren unterrichtet. Die jüdische Abstammung des zum Katholizismus konvertierten Böhmen sowie der Altersabstand und seine Vermögensverhältnisse lassen ihn in den Augen von Almas Familie nicht gerade als Traum-Schwiegersohn erscheinen. Auch Bruno Walter, Kapellmeister an der Oper und engster Vertrauter Mahlers, hat so seine Zweifel: "... sie eine gefeierte Schönheit, gewöhnt an ein glänzendes gesellschaftliches Leben, er so weltfern und einsamkeitsliebend..."

Es ist die heftige Leidenschaft der blutjungen, immer wieder als sinnlich beschriebenen Alma für Mahler, die alle Bedenken überwinden hilft. Bereits schwanger geht sie in die Ehe, die alles andere als unkompliziert sein wird, denn Alma fühlt sich alsbald von ihrem berühmten Mann zu wenig beachtet, glaubt, alles für ihn aufgegeben zu haben und kommt sich vor wie eine bloße "Haushälterin". Sie lässt sich auf viele Flirts ein, denn sie braucht es, bewundert zu werden. Der Komponist wiederum, durchaus als neurotisch zu bezeichnen, unterwirft alle Familienmitglieder seinem strikt geplanten Tagesablauf, ist ein berüchtigtes Arbeitstier und pflegt selbst in der Sommerfrische in Maiernigg am Wörther See sich in sein eigenes kleines "Komponierhäuschen" zurückzuziehen. Anna wird später über ihren Vater erzählen: "Bei Tisch darf nie gesprochen werden, um meinen Vater in seinen Gedanken nicht zu stören." Und: "Er hat so wenig Zeit für mich, viel zu wenig Zeit  ..."

Gustav Mahler mit "Putzi" und "Gucki"
(1905)
Vor Anna ist schon im November 1902 die Schwester, Maria Anna, "Putzi" genannt, geboren worden, die mit viereinhalb  Jahren in Maiernigg stirbt. Von der kleinen Schwester zunächst mit Scharlach angesteckt, bekommt Maria Diphterie. 48 Stunden nach einer Notoperation mit einem Kehlkopfschnitt zeigt sich: Diese Mühe ist vergebens gewesen.

Innerlich gebrochen kehrt das Ehepaar nach Wien zurück. Es ist überhaupt ein schwieriger Sommer für die Familie: Mahlers Konflikte mit der Wiener Hofoper, der wachsende Antisemitismus, der sich gegen ihn richtet, dann der bei ihm festgestellte Herzklappenfehler, eine zunehmende Entfremdung zwischen den Ehepartnern, und schließlich der Tod des Kindes. Wie es Anna unter all diesen Sorgen geht, habe ich nicht herausgefunden. Nach Maiernigg kehren die Mahlers jedenfalls nie mehr zurück.

Nachdem Mahler zum letzten Mal in Wien Ende November 1907 dirigiert hat, reist die Familie nach New York, wo sie am 20. Dezember ankommt. Dort erlebt der Komponist einen Höhepunkt in seinem Schaffen als Komponist & Dirigent.

Auch bei seiner zweiten Reise nach New York ist Anna mit von der Partie. Seine letzte Amerika- Reise wird Gustav Mahler dann 1911 unternehmen bzw. sein letztes Konzert  am 21. Februar in der New Yorker Carnegie Hall geben. Anna befindet sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Mutter Alma, die eine Fehlgeburt hatte, in Tobelbad, einem Kurort in der Steiermark, während ihr Vater in New York erkrankt. Gustav Mahler stirbt, wieder zurück in Europa, am 18. Mai 1911 nach viertägigem Koma in einem Sanatorium im 9. Bezirk Wiens. Anna ist da knapp sieben Jahre alt.

Sie lebt nun allein mit ihrer Mutter, die vor dem Tod ihres Ehemannes in Tobelbad eine leidenschaftliche Affäre mit dem Architekten Walter Gropius begonnen hat. Zunächst besucht das Mädchen eine öffentliche Schule, ab 1914 wird sie von Hauslehrern unterrichtet. Eine systematische Bildung oder einen offiziellen Schulabschluss erhält sie aber nicht, da ihre Mutter auf formale Bildung wenig Wert legt. Anna wird ihr Leben lang nicht richtig schreiben und rechnen können.

Gefördert wird hingegen die Musikalität und Kreativität des Kindes. So bekommt sie  Klavierunterricht ( unter anderen bei dem Komponisten Richard Robert ) und beginnt, die Besucher im Salon ihrer Mutter zu zeichnen. Die bekanntesten Musiker, Maler, Schriftsteller und Literaten im Wiens der Jahrhundertwende verkehren regelmäßig dort. Deren Zuwendung kann das Kind sicher sein, weniger bei ihrer exzentrischen Mutter, ihrer "Tiger-Mami", von der sie immer wieder eingesetzt wird, um sich um ihre Besucher zu kümmern: "Sei lieb, Guckerl und unterhalte meine Gäste, bis ich komme ... !" Später wird sie das so kommentieren:"Die Alma hat das Talent gehabt, Sklaven zu machen."

Anna ist als Kind oft als Zeugin bei den Aventüren ihrer Mutter dabei, auch, als Alma als "Die Windsbrautporträtiert wird von Oskar Kokoschka, mit dem die Mutter ab 1912 ihre nächste Affäre hat und von dem sie ein Kind erwartet, das sie allerdings abtreiben wird. Kein Wunder, dass Anna immer introvertierter, immer stummerwird, und dafür wird sie auch noch von der Mutter gescholten!

Die hat inzwischen im August 1915 Walter Gropius in Berlin geheiratet, der dafür Sonderurlaub von der Front des 1. Weltkrieges erhalten hat. Im Oktober des darauf folgenden Jahres bringt sie die gemeinsame Tochter Manon zur Welt. Es ist das Jahr, in dem sich die zwölfjährige Anna mit ihrer Mutter anlegt: "Ich kann nicht kämpfen, aber ich bin widerspenstig! Also es war mir klar, dass es für mich notwendig war, zu Bach zu kommen und weg von Wagner!"
Dass Alma Gustav Mahlers Musik nie wirklich geliebt oder verstanden hat, hat sie oft genug selbst zugegeben. Stattdessen lebt sie ihre unausgelebte Sinnlichkeit beim Spielen der Opernpartituren des hochverehrten Richard Wagners auf dem Klavier aus, tagtäglich, mindestens ein Akt. Wer in dieser Zeit Wagnerianer ist, ist mit wenigen Ausnahmen sozusagen von Natur aus 
auch Antisemit. "Kein Jude kann jemals Wagner verstehen", heißt 
es bei Alma in den Tagebüchern... 
Broncia Koller-Pinell:
"Bildnis Anna Mahler"
(ca.1921)
Im Haushalt der Mahlers ist eine große Bibliothek an musikalischen Werken vorhanden, und Anna spielt alles, was sie dort vorfindet, gewinnt so eine gewisse Bildung auf diesem Gebiet und trifft dabei auch auf die Werke von Johann Sebastian Bach. Den spielt sie nun rauf und runter, und ihre Mutter leidet, denn Bach kann sie nicht ausstehen: "Sie hat es geliebt, sich sehr zu dramatisieren, nicht wahr. Es war nicht immer alles wahr, was sie gesagt hat", so Anna über ihre Mutter, die als Reaktion darauf, dass ihr ihr "kleiner Sklave entrutscht" ist, sich in ihr Bett verkriecht weint und klagt: "Sie ist mir artfremd. Kühl - überlegend und jüdisch.

Eine entsetzliche Zeit, so auch Anna! 

Doch die Klarheit & Strenge der Bachschen Kompositionen gibt der Heranwachsenden Halt und Sicherheit. Bald sucht Anna nach einem weiteren Ausweg aus dem Schatten des Komponisten-Übervaters, aus der stets sinnlich aufgeheizten Welt der Mutter.

Die Alternative findet sie schließlich in der Familie der Wiener Malerin Broncia Koller- Pinell, die sie bewundert. Deren Werk ist vom Sezessionsstil, dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit geprägt. Aber entscheidender ist die Wesensart der Malerin, die in Annas Augen eher wie eine richtige Mutter ist, zu der sie ein gutes persönliches Verhältnis aufbaut und von deren Malerei sie nur zusätzlich inspiriert wird. Anna heiratet im November 1920 Broncias Sohn, den acht Jahre älteren Dirigenten Rupert Koller, da ist sie gerade 16 Jahre alt, und zieht mit ihm nach Wuppertal, trennt sich aber bereits nach wenigen Monaten von ihm und kehrt für kurze Zeit nach Wien zurück. ( Die Ehe wird formal am 2. Juli 1923 geschieden. )

In Wien lernt sie den Komponisten Ernst Krenek, vier Jahre älter als sie, kennen, dem sie nach Berlin folgt. Der hält sie für "ein frühreifes, eigenwilliges und, von einem konventionellen Standpunkt aus gesehen, höchst exzentrisches Kind", sie bewundert seine Musik, eine a-tonale, und macht ihm seine Klavierauszüge, denkt aber nicht daran, Musikerin zu werden, obwohl sie neben dem Klavier auch auch Violine & Violoncello spielen kann. Stattdessen besucht sie einige Kurse an einer Berliner Kunstschule und "kultiviert mit ziemlich verzweifelter Hartnäckigkeit ein mittelmäßiges Maltalent" (Krenek). Anfang 1924 heiratet Anna Krenek, aber nach zehn Monaten ist wieder alles aus: Für die noch sehr junge Anna ist das Leben an der Seite ihres komponierenden Ehemannes bald zu eng.

Während eines gemeinsamen Zürich-Aufenthaltes mit Krenek erhält ihre eigene künstlerische Betätigung durch den Kontakt zu dem Schweizer Landschaftsmaler Cuno Amiet neuen Auftrieb - in der Familie ist sie in ihrer Kunstbegeisterung nur von ihrem Stiefgroßvater Carl Moll bestärkt worden.

Anna geht nun nach Rom, um bei Giorgio de Chirico zunächst Malerei zu studieren, hält sich auch in Paris auf, bevor sie sich endgültig in Wien der Bildhauerei zuwendet: "Ich wollte nie Maler werden, Farbe war für mich nicht wichtig, meine Bilder waren immer zweidimensionale Skulpturen." In Wien vertieft sie ihre Kenntnisse bei Fritz Wotruba, der einer der bedeutendsten österreichischen Bildhauer seiner Zeit werden wird und ihr in loser Form Unterricht erteilt. Doch dass sie eine Wotruba - Schülerin ist, ist ihren Werken nicht wirklich anzusehen.

Anna Mahler (1930), Ernst Krenek, Paul Zsolnay
Ihr unstetes nomadisches Dasein unterbricht Anna 1929, als sie krank wird und von ihrer Mutter kurzerhand zur Genesung auf den in der noblen Wiener Society so beliebten Semmering geschickt wird. Paul Zsolnay, Verleger seit 1924 u.a. auch von Alma Mahlers künftigem dritten Ehemann Franz WerfelFreund der Familie, aber eben auch geschäftlich mit ihr verbunden, wird von Alma gebeten, ihrer Tochter Gesellschaft zu leisten. Begeistert sind beide nicht von diesem Plan, kommen sich aber im entspannten Ambiente der noblen Kuranstalt näher. Zsolnay, ein eingefleischter Junggeselle von 34 Jahren entdeckt in der nunmehr 25-jährigen Künstlerin, die er eigentlich aus Kindertagen kennt, auf einmal seine große Liebe.

Im Winter 1929 findet bereits die Hochzeit in Paris statt, denn Anna ist schwanger und auch sonst soll die Wiener Öffentlichkeit ausgeschlossen bleiben, denn Vater Zsolnay hält nicht viel von der bereits zweimal geschiedenen Braut. Alma Mahler selbst hat zuvor das Verhältnis zu Franz Werfel kurz vor ihrem 50. Geburtstag durch eine Eheschließung legalisiert.

Anna mit ihrer Mutter Alma auf der Hohen Warte
 (1933)
Mit dieser neuen Verbindung Annas verstärken sich zwei wichtige Wiener Netzwerke: Jenes von Alma Mahler, als "grande veuve" schlechthin eine Wiener Institution, die ab 1931 auf der Hohen Warte ihre Feste feiert, und das von Andy Zsolnay, Pauls Mutter, die im Kaunitz-Schlössl in der Hietzinger Maxingstraße residiert, wo auch Anna die nächste Zeit leben wird, auch wenn zunächst ein Umzug nach Berlin aus Verlagsgründen avisiert ist. Annas erstes Kind kommt 1930 zur Welt und wird nach ihrer Großmutter Alma benannt.

Doch auch diese Ehe empfindet Anna schon bald wieder als Gefängnis und entflieht ihm bereits 1931 mit dem rumänischen Zsolnay-Autor René Fülöp Miller. Ein Skandal! Das Liebespaar versucht sogar, gemeinsam Selbstmord zu begehen. Schließlich gelingt es Paul 1932, Anna zurückzugewinnen und sie monatelang vor der Umwelt abzuschirmen. In dieser Zeit verstärkt Anna ihre bildhauerischen Bemühungen und unterhält ein eigenes ebenerdiges Atelier in der Operngasse 4, nahe dem eigentlichen Zentrum Wiens, dort, wo ihr Vater "seine Herrschaft ausgeübt hat". 

Anna Mahler: "Otto Klemperer"
Als Steinbildhauerinnnen haben es Frauen zu dieser Zeit immer noch schwer, Anna durchbricht diese Restriktionen und beschreitet neue Wege. Die Berühmten, die Großen -  alle kommen in ihr Atelier, denn Anna, "die Tochter", ist eine, die ihnen quasi auf Augenhöhe begegnet.

Sie ist aber auch wirklich sehr gut, modelliert, ja baut fast die Köpfe mit kleinen Tonkügelchen und es gelingt ihr, die persönlichen Züge und die Charaktere ihrer Modelle zu treffen. Sie modelliert Musiker-Köpfe, Künstler-Köpfe, darunter Wilhelm Furtwängler, Otto Klemperer, Bruno Walter, Rudolf Serkin, Artur Schnabel, Carl Zuckmayer, Hermann Broch, Franz Werfel, Fritz Wotruba und Fritzi Massary ( und später dann auch Showstars wie Julie Andrews ).

Anna neben einer Büste ihres Vaters
in den 1930er Jahren
Auch der Schriftsteller Elias Canetti sucht sie auf, um ihr den Brief eines Verehrers, des Dirigenten Hermann Scherchen, zu überbringen. Canetti, der eitle, verliebt sich umgehend und heftig, Anna serviert ihn allerdings auch wieder recht zügig ab. Canetti macht sie aber zur literarischen Figur und räumt ihr in seinem Werk "Das Augenspiel - Lebensgeschichte 1931 - 1937" einen Platz ein.

1934, im Jahr des österreichischen Bürgerkrieges, kommt es zur endgültigen Trennung der Zsolnays. Die gemeinsame Tochter Alma wächst ab da bei der Großmutter Andy Zsolnay auf.

Bei einem gemeinsamen Sommerurlaub mit Alma & Franz Werfel 1934 in Italien lernt Anna auch den Bundeskanzler des Austrofaschismus, Kurt Schuschnigg, kennen und unternimmt gemeinsame Ausflüge mit ihm in der von Mussolini zur Verfügung gestellten Staatskarosse. Schuschnigg ist über seinen Beichtvater, den Theologieprofessor Johannes Hollnsteiner, pikanterweise letzter Liebhaber von Annas Mutter, mit dieser bekannt. 

Auch Schuschnigg soll der Anziehungskraft der aparten Anna erlegen sein, manchen Aussagen zufolge, ist da mehr als nur Freundschaft gewesen. Immerhin wird sie eine Porträtbüste von ihm anfertigen und sich später für ihn auch politisch aktiv einsetzen, indem sie für die am 13. März 1938 geplante Volksabstimmung plädiert - ein gewaltiger politischer Spagat, denn Anna Mahlers Herz schlägt links, das belegen zahlreiche Quellen ( während sich in ihrer Mutter Salon in der Jugendstilvilla auf der Hohen Warte die austrofaschistische High Society ein Stelldichein gibt, und Alma mit ihren antisemitischen Tönen ganz dem Zeitgeist folgt ). An diesem Beispiel wird die ganze Widersprüchlichkeit der Person Anna Mahler deutlich...

Doch zurück zum Jahr 1935: Annas Halbschwester Manon Gropius, 18 Jahre alt, hat sich in Venedig mit der Kinderlähmung infiziert und stirbt im April, ein Schlag auch für die inzwischen 30jährige, denn in den ersten vier Lebensjahren ist Manon "ihr Kind" gewesen, und sie kennt die von der gemeinsamen Mutter zur Heiligen, zum "Schaustück" Stilisierte besser als manch anderer.

1937 ist eigentlich das Jahr der internationalen Anerkennung Anna Mahlers als Bildhauerin, als sie den "Grand Prix" der Pariser Weltausstellung für die "Stehende", ein weiblicher Akt, erhält. "... die Figur verschränkt die Arme hinter dem Kopf und scheint sich selbst zuzuhören - ihrer eigenen Seele, in der das Geheimnis des Lebens schläft", schreibt das "Neue Wiener Journal" dazu. Doch die politische Entwicklung in ihrem Heimatland wird die künstlerische der Anna Mahler alsbald unterbrechen:

Am 12. März 1938, dem Tag, an dem der sogenannte Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wird, reist Anna, die als "Halbjüdin" nun bedroht ist, zusammen mit ihrer Mutter über Prag und Budapest nach Mailand, wo Franz Werfel auf sie wartet. Ihr bildnerisches Werk muss sie zurücklassen ( und es wird so gut wie vollständig dem Bombenhagel zum Opfer fallen ).

Anna mit Tochter Alma Zsolnay
(ca. 1940)
Von Mailand aus zieht der Tross über die Schweiz nach Paris und von dort nach London, wo Anna bleiben wird ( Alma & Franz Werfel kehren nach Frankreich zurück ). 1939/40 findet sie in Hampstead ein bescheidenes Atelier und fängt an, neue Porträtbüsten zu formen zum Beispiel von Paul Zsolnay und ihrer Tochter Alma, beide ebenfalls nach England emigriert, Erich Kleiber, Arnold Rosé u.a. 

Sie schließt sich dem "Austrian Centre" an, einer österreichischen Emigranten- Organisation, die Kontakte zwischen Briten und Österreichern forcieren soll. Darüberhinaus gehört sie dem "Free Austrian Movement"an, beides Vereinigungen, in denen zahlreiche emigrierte Künstlerinnen und Künstler zu finden sind. 

In diesen Kreisen lernt Anna 1942 den aus Kiew stammenden Dirigenten Anatole Fistoulari kennen, den sie heiratet, bevor ihre zweite Tochter Marina 1943 geboren wird. Aber auch diese Ehe scheitert, obwohl Fistoulari Annas große Liebe ist, an seiner Untreue und den großen finanziellen Schwierigkeiten, die sich durch die Gründung eines Orchesters ergeben haben. 

"Ach - Gucki, war Dir wieder langweilig, wie das bei all Deinen Bindungen bis jetzt der Fall war ... ?", kommentiert Mutter Alma. Und an anderer Stelle: "Anna hat einen Versager geheiratet, der es nicht wert ist, ein Teil der Familie Mahler zu sein." Zur Scheidung kommt es allerdings erst 1956, die faktische Trennung erfolgt schon 1950, als Anna mit Marina nach Kalifornien nach Beverly Hills in das Haus ihrer Mutter zieht, die mittlerweile wieder einmal verwitwet ist ( Franz Werfel ist im Exil in den Vereinigten Staaten 1945 an einem Herzinfarkt gestorben ). 

Von links nach rechts:
Anna Mahler: "Gustav Mahler", "Anatole Fistoulari", "Arnold Rose" und "Arnold Schönberg"
Ab 1952 - Alma Mahler - Werfel ist unterdessen nach New York verzogen - lebt Anna in einem eigenen Haus, das mit dem Geld von Alma finanziert worden ist und dessen angrenzenden Parkplatz am Beverly Glen Boulevard sie als Freiluft - Bildhauerwerkstatt nutzt, immer schon sehr früh am Morgen, um der heißen kalifornischen Sonne zu entgehen. Ein halbes Jahr dauert es in der Regel, bis ein Stein zu Ende bearbeitet ist. 

Gesellschaftlich bewegt sich Anna in Kalifornien im Freundeskreis der Mutter, der sie mit einer Hassliebe verbunden ist, wie ihre Tochter Marina später berichten wird. Es folgt eine künstlerisch produktive Phase: Sie zeichnet Porträts, fertigt Büsten an und nimmt Totenmasken ab, so etwa die des Komponisten Arnold Schönberg und des Dichters Lion Feuchtwanger. Marina Mahler-Fistoulari: "Wir lebten schweigend zusammen. Denn sie brauchte die Stille, um arbeiten zu können."

Und Anna hat auch wieder einen neuen Mann an ihrer Seite: den Filmcutter, Schriftsteller und Regisseur Joseph Albrecht, der sich schon in den 1930er Jahren in Wien in sie verliebt hat, als er in die Kreise ihrer Mutter über den Schriftsteller Carl Zuckmayer gelangt war. In den USA hat er unter anderem Franz Werfel als Sekretär unterstützt. Nun widmet er sich der künstlerischen Karriere Annas.

Arbeit am "Tower of Masks" ( "Maskenturm", 1961 )
Zwischenzeitlich hat Anna auch einen Lehrauftrag für Modellieren an der University of California in Los Angeles (UCLA) inne. In den Jahren 1951 bis 1964 werden ihre Werke im Rahmen von sieben Ausstellungen gezeigt, darunter eine Kollektivausstellung im "Jepson Art Institut" in Los Angeles. Die ersehnte öffentliche und finanzielle Anerkennung durch einen Auftrag der UCLA für einen "Maskenturm" bleibt aber trotz eines angefertigten fast fünf Meter hohen Entwurfs mit mehr als vierzig übereinander geschichteten Masken aus Kalkstein aus. 1964, nach dem Tod ihrer Mutter, mit dem sich ihrer finanzielle Lage durch das Erbe konsolidiert, kehrt Anna nach Europa zurück, zuerst nach London, wo sie ein Haus mit Atelier erwirbt. 

1986
Ab 1969 lebt & arbeitet sie auch auf Anregung ihrer zweiten Tochter Marina, die seit ihrem 18. Geburtstag wieder in Europa ist, in Spoleto in Italien, wo sie im Jahr zuvor einen kleinen Palazzo im nahen Maccerino erworben hat, den sie in der Folgezeit renoviert. Ab da verbringt Anna dort den Sommer, den Winter hält sie sich in der Stadt Spoleto auf. 

1970 heiratet sie Josef Albrecht, teilt ihm aber neun Jahre später mit, dass sie nun ihre Zeit alleine verbringen möchte, um sich weiter entwickeln zu können. Man habe zu viel Zeit damit verbracht, sich umeinander zu kümmern. Albrecht scheint ihr das nicht krumm genommen zu haben, denn bei ihrem Tod kommentiert er: "Mir waren 38 Jahre meines Lebens mit einer Lichtgestalt beschert.

Wenige Wochen vor einer großen Einzelausstellung ihrer Großplastiken und Porträtbüsten im Foyer des Kleinen Festspielhauses Salzburg, der ersten in ihrem Heimatland, von der sie sich erhofft, endlich aus dem Schatten der Eltern treten zu können, stirbt Anna Mahler bei einem Besuch der Tochter Marina am 3. Juni 1988 in London im Alter von 84 Jahren. Sie wird am 19. Juni auf dem Highgate Cemetery in London begraben.

Dem Schicksal ihrer Mutter nicht ganz unähnlich, hat Anna Mahler ein Leben an der Seite bemerkenswerter Menschen geführt, sich selbst als Person durch die Konzentration auf eine eigene kreative Arbeit aber viel stärker zurückgenommen, denn "Anna Mahler hatte keine Geduld mit dem Kult der Selbstdarstellung", so Ernst Gombrich bei seiner Grabrede. 

1984 hat sie selbst einmal gesagt: "Meine Bildhauerei ist eine Disziplin, in der man alles braucht: den Körper, Intelligenz, Gefühl. Das Glück, das ich daraus gezogen habe, hat mir sogar Schuldgefühle verursacht." 

Dabei ist sie ihren völlig eigenen Weg gegangen, unbeeinflusst von allen Moden und Zeitströmungen. Vor allem ist sie eine begnadete Porträtistin gewesen, eine Stärke, die wohl auch auf ihrer Fähigkeit beruht hat, den Menschen geduldig zuzuhören. Vor allem aber vermögen ihre Frauenfiguren zu bezaubern, zwar groß, schwer, voluminös, aber voller Grazie ( in Deutschland ist ein Torso im Luisenpark in Mannheim der Öffentlichkeit zugänglich ).

Zu Anna Mahlers 100. Geburtstag 2004 hat im Literaturhaus Wien auf der Grundlage langjähriger internationaler Recherchen der Kunsthistorikerin und Journalistin Barbara Weidle eine Ausstellung stattgefunden. Einem großen Publikum ist Anna Mahler als Künstlerin aber immer noch fremd. Ich hoffe, ich kann mit diesem Post ein klein wenig dazu beitragen, das zu ändern. Mich haben ihre Skulpturen, abgebildet im Salzburger Ausstellungskatalog, sehr berührt.





12 Kommentare:

  1. Liebe Astrid,
    das ist wieder sehr interessant. Ich muss gestehen, dass ich Anna Mahler bisher nicht kannte... Gustav Mahler hingegen höre ich sehr gerne, besonders seine siebte Synphonie und das Lied von der Erde höre ich auch äußerst gerne. Wirklich wunderbare Musik.
    Danke für dieses wieder sehr gute Portrait.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  2. Liebe Astrid, dein heutiges Portrait ist für mich großteils Neuland, die Person Anna Mahler betreffend. Über die Eltern habe ich viel gelesen, Mahler oft gelauscht,die Eskapaden seiner Frau interessiert verfolgt, aber die Tochter geriet irgendwie aus dem Blick. Danke, dass du hier ihren Weg so interessant beschreibst. Liebe Grüße, Sunni

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  3. Liebe Astrid,

    ein dickes DANKE für dieses Portrait!

    Liebe Grüße Luitgard M.

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  4. Das Leben ihrer Mutter war ja schon abenteuerlich, aber die mir bis dato quasi unbekannte Anna steht ihr in Nichts nach.
    Ihre Kunst kannte ich auch nicht, finde sie aber sehr beeindruckend und eigen.
    Wie schwer es mit solch exzentrischen Eltern ist, kann ich mir gut vorstellen. Auch ihre Töchter werden da ein gewisses Erbe mit sich getragen haben.
    Dass Du uns heute Anna Mahler so ausführlich vorgestellt hast, ist wunderbar. Vielen Dank!
    Herzlichst, Sieglinde

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    1. Über Alma Zsolnay gibt es hier ein paar Infos: https://mahlerfoundation.org/mahler/familie/generation-8/1-alma-ottilie-leonore-germany-zsolnay-1930-2010
      Und über Marina Fistoulari-Mahler: https://mahlerfoundation.org/mahler/familie/generation-8/2-marina-havilec-fistoulari-1943
      GLG

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  5. bei dieser Lebensbiographie wird einem ja geradezu schwindelig....!!!!
    was für ein wahnsinnig interessantes aber auch schwieriges Unterfangen selbst zu einer anerkannten Person zu werden wenn man in jungen Jahren weder schreiben und lesen richtig gelernt hat und es dennoch schafft im Leben Fuß zu fassen.
    Vielen Dank für diese herausragende Biographie,
    Die Namen mit denen sie sich in ihren vielen Ehen schmückt oder geschmückt wird, sind mir natürlich bekannt, die Lebenswege ihrer eigenen Person nicht.
    ein abenteuerliches schwieriges Leben gerade in dieser Zeit, was hat sie alles an Klippen umschifft , das sie es bis ins hohe Alter schaffte, zur heutigen Zeit fast undenkbar..
    danke...für mich dieser Beitrag über sie, hochinteressant...
    herzlich Angelface.

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  6. Im Zusammenhang mit Franz Werfel habe ich schon von Alma gehört, mich aber nicht weiter mit ihrer Biografie beschäftigt. Danke, dass du sie mir nahe gebracht hast. Ein sehr bewegender Lebenslauf!!
    Gruß zu dir
    heiDE

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  7. Von Mutter Alma habe ich mal am Rande gehört, von Tochter Anna bislang noch nichts. Wirklich sehr bewegt, dieses Frauenleben. Aber irgendwie hat man immer das Gefühl, dass sie sich nie richtig von der Mutter emanzipieren konnte.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  8. Danke, liebe Astrid. Da werde ich mich noch mal noch etwas beschäftigen damit.
    GlG Sieglinde

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  9. Spannend! Mit der Beziehung ihrer Eltern habe ich mich schon mehrmals beschäftigt. Aber die Tochter hatte ich nicht im Blick. Die Egomanie beider Eltern bleibt halt nicht ohne Folgen.
    LG
    Magdalena

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  10. Liebe Astrid,
    danke für das interessante Portrait. Egal ob berühmt oder nicht, dass Leben ist nicht einfach. Aber es ist doch erstaunlich, dass sie künstlerisch ihren eigenen Weg zielsicher gegangen ist und beachtenswerte Objekte geschaffen hat.
    LG
    Agnes

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  11. der familienname ist mir natürlich bekannt, aber von anna mahler habe ich bisher noch nichts gehört und keins ihrer werke gesehen. traurig eigentlich!! danke für deine vielen informationen, von denen mir allerdings ganz schön schwindelig wurde!! so ein bewegtes leben zwischen so vielen bekannten persönlichkeiten mit all ihren eigenheiten. um sie alle zu verstehen, müsste ich mir wohl eine zeichnung mit all ihren verbindungen machen... darüber zu schreiben: du hast meine hochachtung!
    liebe grüße
    mano

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Danke, dass du dir für ein paar liebe Worte Zeit nimmst!

Ich wünsche mir allerdings nach wie vor, dass ein Name am Ende des Kommentars steht.
Da die anonymen namenlosen Kommentare zuletzt wieder zugenommen haben, hier der ausdrückliche Hinweis:

Ich werde sie ab jetzt wieder konsequent NICHT freischalten.

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